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Wir sind die deutsche Wirtschaft

Tim-Oliver Müller ist Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie
Foto: www.mark-bollhorst.de

Der Schalter ist aus

Die Baubranche leidet unter schlechten Rahmenbedingungen und einer unzureichenden Politik der Bundesregierung, sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie

Herr Müller, wie stellt sich die Entwicklung der Bauindustrie dar?

Wir haben seit vielen Monaten in Folge einen realen Rückgang bei den Auftragseingängen, zusätzlich gibt es dramatisch eingebrochene Zahlen bei den Baugenehmigungen. Das bedeutet auch, dass wir einen negativen realen Umsatz haben. Nach knapp minus fünf Prozent 2022 gehen wir in diesem Jahr von minus sechs Prozent aus. Damit wird der Bau mit Blick auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt zur Bremse. Dieser Bremseffekt kann 2023 0,6 Prozentpunkte betragen. Große Sorgen bereitet uns vor allem der Wohnungsbau. Derzeit steht der Schalter eindeutig auf aus. Damit droht auch eine Insolvenzwelle. Hinzu kommt die sozialpolitische Komponente, denn wir sind diejenigen, die bezahlbaren Wohnraum schaffen müssen. Wenn wir das nicht hinbekommen, steigen die Mieten weiter.

Was sind denn die größten Probleme?

Dazu gehören der starke Anstieg der Baumaterial- und der Baupreise, die Probleme mit den Lieferketten, die hohen Energiepreise und schließlich die Inflation und die steigenden Zinsen. In Deutschland kommt hinzu, dass die Bundesregierung derzeit eher Unsicherheit statt Sicherheit verbreitet. Das zeigt die Diskussionen zum Heizungsgesetz und die abrupten Förderstopps. Es gibt einfach keine verlässlichen Rahmenbedingungen. Dazu kommen dann noch sehr hochgesteckte Anforderungen zum Klimaschutz, die bautechnisch unnötig sind und zusätzliche Kosten produzieren.

Und bei Straße und Schiene stockt es auch?

Der Investitionsbedarf für Erhalt und Erweiterung von Schienen und Straßen in Städten, Landkreisen und Gemeinden bis 2030 beträgt gigantische 372 Milliarden Euro. Das ist fast so hoch wie ein jährlicher Bundeshaushalt. Wir haben über Jahre unser Tafelsilber nicht ordentlich gepflegt –das Resultat sehen wir jetzt. Nur: Wir reden über wesentliche Grundbedürfnisse, über die Mobilität von Bürgerinnen und Bürgern, Verbindung von Stadt und Land. Eine gesunde Verkehrsinfrastruktur ist essenziel für unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Wir brauchen deshalb einen Verkehrsplan für Deutschland, der nicht in Legislaturperioden und regionalen Zuständigkeiten denkt, sondern den flächendeckenden Verkehr ermöglicht. Wir brauchen Planungsund Projektbeschleunigung.

Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe
Foto: Anne Hufnagl

BAU IN DER KRISE

Explosive Mischung für die Bauwirtschaftwirtschaft

Die Unternehmen benötigen Unterstützung durch die Politik – auch, um die Fachkräfte halten zu können, fordert Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe.

Die Zahlen im Wohnungsbau sind stark eingebrochen. Was folgt daraus für die Bauwirtschaft?

Wir sehen uns nach einer langen positiven Phase jetzt einem perfekten Sturm gegenüber. Wir haben eine explosive Mischung aus stark gestiegenen Immobilienzinsen, stark verteuerten Bauprodukten in Kombination mit einer von Wirtschaftsminister Robert Habeck gestrichenen Wohnungsbauförderung und hohen energetischen Anforderungen. Das alles hat dazu geführt, dass uns im Wohnungsbau die Aufträge weggebrochen sind.

Droht eine Insolvenzwelle?

In diesem Herbst bauen die Unternehmen noch die gute Auftragslage ab, die aus der Zeit von vor eineinhalb bis zwei Jahren stammt. Aber wir erkennen, dass die Auftragsreichweite deutlich dünner wird. In der Folge ist in der Beratungsarbeit unserer Landesverbände die Kurzarbeit erstmals seit zwölf Jahren wieder das Thema Nummer eins. Deswegen sind wir in sehr intensiven Gesprächen sowohl mit der Bundesbauministerin Klara Geywitz als auch mit der Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, denn es ist ungemein wichtig, dass die Firmen ihre guten Fachkräfte behalten. Es wäre eine Katastrophe, wenn wir bald viele dieser Fachkräfte verlieren würden, denn die Erfahrung aus der Pandemiezeit in anderen Branchen hat gezeigt, dass viele nicht wieder zurückkommen, wenn sie erst einmal weg sind. Wir müssen also alles tun, um die Leute zu halten – das klappt aber nur, wenn es für die Unternehmen eine Perspektive gibt. Wir benötigen sehr schnell positive Signale, damit 2025 die Sonne wieder aufgeht, denn wir haben einen Vorlauf von etwa 18 Monaten.

Sollte man die Klimaschutzanforderungen für den Wohnungsbau herunterschrauben?

Wir sind der festen Überzeugung, dass der von der Ampel geplante Schritt zu EH40 zum Januar 2025 überambitioniert ist und nicht mehr in die Zeit passt. Der Übergang von EH55 zu EH40 kostet etwa 15 bis 20 Prozent oder 300 bis 400 Euro pro Quadratmeter – das ist einfach nicht mehr zu realisieren. Wir brauchen jetzt die Abkopplung des Förderprogramms von EH40.

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