5 minute read

Der Neves-Staudamm

Next Article
anzeiger

anzeiger

LAPPACH - Vor 60 Jahren erfolgte der erste Betonguss für die Staumauer des Neves-Stausees in Lappach. Das technische Großbauwerk findet in Zeiten der Energiekrise eine neue Bedeutung.

Advertisement

Zu den technischen Kulturgütern zählen nicht nur historische Bauten, sondern nicht minder Werke aus der Neuzeit, die das Leben der Menschen bedeutend und nachhaltig verändert haben. Die Staumauer in Neves kann als solches bezeichnet werden.

WEISSES GOLD – ENERGIE AUS WASSERKRAFT

Nach dem Ersten Weltkrieg sah man in der Nutzung der Wasserkraft zur Erzeugung elektrischer Energie ein enormes Potential für den wirtschaftlichen Aufschwung in Italien. Das wasserreiche Südtirol war für den Staat von besonderem Interesse, wie beispielsweise das Stauprojekt des Reschensees Ende der 1940er-Jahre. Im Zuge dessen fanden in den 1950er-Jahren auch Vermessungsarbeiten für Staustufen im Mühlwaldertal statt. Die geologischen Eigenschaften und die Struktur der Felsen wurden durch seismische und geomechanische Messungen geprüft. Geplant waren drei Staustufen, und zwar in Mühlwald, Unterlappach und Neves. Verwirklicht wurden letztlich eine kleinere Staustufe in Mühlwald und der große Staudamm am Talschluss bei Neves in Lappach.

BAU DER STAUMAUER

1961 wurde zunächst die Fahrstraße von Oberlappach nach Neves angelegt. Das Gelände ist lawinengefährdet, weshalb man am Talschluss in Neves erst sichere Standorte für die Unterkünfte der Arbeiter und für Werkstätten finden musste. Danach erfolgte der Aushub für den Bau der Fundamente der Staumauer. Hierfür wurden 71.500 Kubikmeter Material abgetragen, was rund 7.000 Lastkraftwagen entspricht. 1962 erfolgten die ersten Betongüsse. Im Laufe von zwei Jahren wuchs die Betonmuschel mit einer Kronenhöhe von 92 Metern in die Höhe. Insgesamt wurden 96.000 Kubikmeter Beton verbaut. Gefertigt ist die Bogenstaumauer aus 13 Einzelteilen, die durch Gummidichtungen miteinander verbunden sind, um die Dehnungen bei Kälte und Wärme auszugleichen. Innen ist die Mauer hohl und in gewissen Abständen mit Messpunkten versehen. Seit 1992 werden alle vier Stunden die Daten von 64 Messpunkten mittels Computer an das Kontrollzentrum in Mestre bei Venedig geleitet und ausgearbeitet. Abweichungen aus der Norm lösen automatisch einen Alarm aus, was Kontrollen bzw. Sicherheitsmaßnahmen zur Folge haben.

DIE FLUTUNG

Ein weiterräumiger, flacher Almboden bildete einst den idyllischen Talschluss von Neves, Kühe grasten darauf und Alpinisten durchquerten ihn zur Besteigung des Weißzints oder Großen Möselers. Dann begann die Flutung des Neves-Stausees: seine maximale Länge beträgt 1.200 Meter, die Breite 635 Meter und das Fassungsvermögen 14.8200.000 Kubikmeter. Der Wasserspiegel liegt bei ca. 1.860 Metern. Die Stauzeit dauert jeweils von April bis Oktober und das Wasser des Speichersees wird vorwiegend zur Erzeugung von Spitzenstrom verwendet.

DAS E-WERK IN UNTERLAPPACH

Zeitgleich mit dem Neves-Staudamm entstand von 1961-64 das E-Werk in Unterlappach. Das Wasser des Stausees wird durch einen 6 Kilometer langen Felsstollen und anschließend durch eine Druckrohrleitung auf die zwei Turbinen des E-Werks in Unterlappach geleitet, die je 28 Megawatt/Std. produzieren.

DIE STAUANLAGE IN MÜHLWALD

standen. 1957 wurde mit es mit einem Fassungsvermögen von 1 Millionen Kubikmeter angelegt und anschließend der 5 Kilometer lange Verbindungsstollen zum E-Werk in Mühlen in Taufers fertiggestellt.

ERINNERUNGEN

Gut an die Bauzeit des Staudamms erinnert sich Pepi Ausserhofer aus St. Georgen. Der heute 78-Jährige war 1962 Jahre in der Gemeinde Mühlwald als stellvertretender Sekretär beschäftigt. Er musste sämtliche Verträge mit der Baufirma Torno in Italienisch aufsetzen. Ebenso weiß Karl Wieser (86) aus Mühlen in Taufers, Seniorchef der gleichnamigen Baggerfirma, wie er damals seinen Grund in Mühlen an die italienische Baufirma kurzfristig vermietete, die dort ihr Basislager aufschlug. Wieser besaß damals ein mit Wasserkraft betriebenes Sägewerk bei der Mühlener Wiere und verkaufte seine Bretter sowie Kantholz an Torno. Weiters schaffte er ein Lastauto an, um für Torno Transporte nach Lappach zu übernehmen. Im Zuge der Bauarbeiten passierte der Baufirma an der Rohrleitung in Zösen in einem schwer zugänglichen Gelände und wo nur händisch mit Schaufel und Pickel gearbeitet werden konnte, ein Missgeschick; es führte keine Straße zum Unglücksort. Wieser bot sich an, mit Bagger einen Zugang zur Unglücksstelle zu eröffnen und kaufte somit seinen ersten Bagger, eine 10-Tonnen-Laderaupe. Um den Bagger überhaupt erst zum Einsatzort zu bringen, verging eine Woche, aber die Reparaturarbeit selbst konnte dann schnell und problemlos durchgeführt werden. Der Bau der Staumauer war gewissermaßen auch der Grundstein für das Aufstreben von Wiesers Baggerfirma. Generell fanden beim Bau der Staumauer viele Arbeiter eine Beschäftigung, für einige endete sie jedoch tödlich, unter ihnen für zwei Einheimische.

BESICHTIGUNG

Heute führt eine 22 Prozent steile, mautpflichtige Straße von Oberlappach zum Stausee. Sie ist im Einbahnverkehr ampelgeregelt und von Mai bis Ende Oktober von 7 bis 20 Uhr befahrbar. Die Krone der Staumauer kann begangen werden und der Blick nach Norden auf die Gletscher der Zillertaler Alpen ist beeindruckend, genauso wie südwärts in den Talgrund der Staumauer. Zum Wandfuß führt auch ein steiler, öffentlich begehbarer Steig hinab, von wo erst die gewaltige Dimension des Betondamms ersichtlich ist. Rund um den Stausee ist ein schöner, ebener Weg angelegt, der auch mit Kinderwagen befahrbar ist. Entlang des Rundweges werden an 14 Infotafeln die Flora und Fauna des Gebietes um Neves erklärt.

VERLETZLICHE VOLLKOMMENHEIT

In der aktuellen Zeit, in der die Politik verzweifelt nach schnellen Lösungen für die Gewinnung von elektrischer Energie sucht, wird auch die Wasserkraft als regenerative Energiequelle neue Bedeutung erlangen. Bleibt zu hoffen, dass alte Projekte von Stauanlagen, die einst entlang von Bächen im Pustertal angedacht waren, nicht aus den verstaubten Kisten hervorgeholt werden. An einer Schautafel am Neveser Stausee prangt ein Spruch: „Man mag sich daran freuen, was Menschen zu entdecken und anzuwenden verstehen – und anerkennen, dass Elektrizität zu den Grundlagen des Fortschritts gehört. Zugleich wissen wir, dass wir derzeit noch weit von jener Vollkommenheit entfernt sind, die die Natur entwickelt hat. Den Eingriffen des Menschen entgegen steht die Achtung vor den Grenzen des Lebens. An den Grenzen beweist das Leben seine verletzliche Vollkommenheit.“ (IB)

NEVES STAUDAMM

Technische Daten Höhe: 92 m Volumen des Damms: 96.000 m³ Basis: 14,35 m Dammkrone: 3,20 m Fassungsvermögen See: 14.8200.000 m³ Durchfluss an der Basis 118 m³/sec Abflussrohr: 1,05 x 0.90 m Einzugsgebiet 25,12 km² Gesamt mit Ableitung Zösenbach 34,82 km² Davon Gletschergebiet: 8,30 km²

This article is from: