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DIE STIMME DER BIERTRINKERiNNEN

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_BILDER Tom Leishman Camra

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Europäische BierkonsumentInnenvereinigungen setzen sich seit fast 60 Jahren durchaus erfolgreich für die Interessen der Bierfans ein – vor allem für Vielfalt und Transparenz.

Es war der Abend des 6. Dezember 1963, als sich sieben verärgerte BierliebhaberInnen im Pub The Rising Sun in der Londoner Vorstadt Epsom zusammenfanden, um den Lauf der Dinge in der Bierindustrie zu ändern. Sie beanstandeten eine rapide zunehmende Verschlechterung von Qualität und Geschmack ihres Lieblingsgetränks. Die Ursache dafür sahen sie in der zunehmenden Verwendung von Zapf- beziehungsweise Ausschankgasen in der Gastronomie sowie in der Einführung von Edelstahlfässern, den sogenannten Kegs, die damals gerade in der Bierindustrie Einzug hielten. Um ihrem Unmut mehr Gehör zu verschaffen, gründeten sie an jenem Nikolausabend 1963 die Society for the Preservation of Beers from the Wood, kurz SPBW. Die erste BierkonsumentInnenvereinigung der Welt war geboren.

Scheinbeerdigungen

Die noch heute aktive KonsumentInnenvereinigung mit dem sperrigen Namen – der übrigens daher rührt, dass 1963 gezapftes Bier noch fast ausschließlich aus Holzfässern kam – führte in den 1960er-Jahren einige kleinere medienwirksame Kampagnen durch, in denen sie bestimmte Modernisierungsprozesse in den großen Brauereien und Gaststätten anprangerte und auf die damit verbundenen negativen Auswirkungen für KonsumentInnen hinwies. So wurden beispielsweise Scheinbeerdigungen vor Pubs abgehalten, die sich mit Kegs beliefern ließen. Durch die mediale Berichterstattung erreichte die SPBW einen größeren Bekanntheitsgrad in der britischen Bevölkerung und konnte Ende der 1960er bereits etwa 40 Sektionen und mehrere Tausend Mitglieder vorweisen.

Die SPBW blieb indes nicht lange allein. 1971 gründeten vier Freunde aus England im Rahmen einer Bierreise an die Westküste Irlands im beschaulichen Dunquin mit der Campaign for Real Ale (CAMRA) die zweitälteste und mit über 190.000 Mitgliedern heute weltgrößte nationale BierkonsumentInnenvereinigung der Welt. Die Ziele von CAMRA ähnelten von Anfang an jenen der SPBW: die Erhaltung der britischen Biervielfalt und Pubkultur sowie die Ablehnung des Einsatzes von Gasen bei Schankanlagen. Während die SPBW aber vor allem auf Einzelaktionen der jeweiligen Sektionen setzte, war CAMRA von Anfang an um einheitliches Auftreten und nationale Wirksamkeit bemüht.

Keine Selbstverständlichkeit

Auch in anderen europäischen Ländern fanden in den folgenden Jahren

Auch der Verein Bier IG Österreich ist seit seinem Gründungsjahr 2002 Mitglied in der EBCU. Insgesamt vertritt die EBCU mittlerweile die Interessen von etwa 210.000 Bierkonsumen tInnen aus ganz Europa.

BierliebhaberInnen zusammen, um der sich ausbreitenden Konsolidierung und Vereinheitlichung in der Bierindustrie sowie einer erweiterten Besteuerung von Bier seitens der Staaten entgegenzutreten und den KonsumentInnen eine Stimme zu geben.

Nun mag die Existenz einer VerbraucherInnenorganisation in der Bierindustrie zunächst ganz selbstverständlich anmuten, gibt es sie doch in vielen Wirtschaftsbereichen. Allerdings gab es bis vor wenigen Jahren in vielen Ländern dieser Welt eben keine solche Interessensvertretung der BierkonsumentInnen. Teilweise gibt es sie heute noch nicht. So existiert beispielsweise in den USA, dem großen Wegbereiter der weltweiten Craft-Bier-Bewegung mit einem riesigen Absatzmarkt, bis heute keine BierkonsumentInnenvereinigung.

Europäischer Dachverband

Da sich die Ziele der einzelnen Vereinigungen ähnelten und zudem immer mehr national bindende Beschlüsse auf europäischer Ebene gefasst wurden, gründeten drei der Organisationen – CAMRA, Objectieve Bierproevers (Belgien; heute: Zythos) und PINT (Niederlande) – 1990 in Brüssel mit der European Beer Consumers Union (EBCU) einen europäischen Dachverband. Dieser sollte die Mitglieder zum einen besser untereinander vernetzen und zum anderen ihren Forderungen auch auf europäischer Ebene Gewicht verleihen.

Mittlerweile sind 18 nationale BierkonsumentInnenvereinigungen in der EBCU zusammengeschlossen. Neben den Gründungsorganisationen aus Großbritannien, Belgien und den Niederlanden sind dort Norwegen, Schweden, Finnland, Irland, Dänemark, Spanien, Frankreich, Italien, Tschechien, die Schweiz, Polen und Deutschland vertreten. Auch die österreichischen BierkonsumentInnen haben eine Stimme im Dachverband. Der Verein Bier IG Österreich ist seit seinem Gründungsjahr 2002 Mitglied in der EBCU. Insgesamt vertritt die EBCU mittlerweile die Interessen von etwa 210.000 BierkonsumentInnen aus ganz Europa.

Im Jahr 2008 unterzeichneten die Mitgliedsorganisationen der EBCU eine Satzung, in der die Rolle traditioneller Biere als wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur, Geschichte und des täglichen Lebens festgelegt und die formalen Ziele und die Struktur der Organisation definiert werden. Demnach setzt sich die EBCU für einen verantwortungsvollen Bierkonsum ein und auf europäischer Ebene dafür, die Vielfalt der traditionellen europäischen Bierkulturen zu bewahren und zu pflegen, wobei ein besonderes Augenmerk auf lokale, regionale und nationale Brautraditionen und Bierstile gelegt wird. Des Weiteren sollen die VerbraucherInnen vor unfairen Preisen geschützt werden, indem die EBCU gegen unangemessene Besteuerung oder ausbeuterische Geschäftspraktiken angeht. Und schließlich drängt die EBCU darauf, dass die VerbraucherInnen ausführliche und sachliche Informationen über jedes im Handel erhältliche Bier erhalten. Um diese Ziele zu erreichen, betreibt der Verein Lobbyarbeit, schaltet Werbung, publiziert Artikel und führt Kampagnen.

So kämpft die EBCU zum Beispiel seit Jahren für eine vollständige Transparenz aller kommerziell in Europa erhältlichen Biere in Bezug auf Inhaltsstoffe, Nährwertangaben und den

— Die Weitergabe und Pflege von Bierwissen sehen die Verbände als eine ihrer Kernaufgaben. —

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genauen Herstellungsort. 2015 hängten Mitglieder der EBCU in der Brüsseler Zentrale der Brewers of Europe, der europäischen Dachorganisation der nationalen Brauereiverbände, Plakate auf, die genau diese Offenheit forderten. Der Brauereidachverband zeigte sich wenig erfreut über diese Forderung und lehnte weitere Kennzeichnungspflichten auf den Bieretiketten lange Zeit ab.

Doch hier zeigte sich der zunehmende Einfluss der organisierten VerbraucherInnen: Die Brauereien konnten die Forderung ihrer Kundschaft nach mehr Transparenz nicht ewig ignorieren. 2018 lenkte der Dachverband ein und brachte eine Selbstverpflichtung für alle seine Mitglieder auf den Weg, die die genauere Kennzeichnung aller in Europa erhältlichen Dosen- und Flaschenbiere ab 2022 vorsieht und viele Forderungen der EBCU aufgenommen hat. Zwar geht dieser die Verpflichtung in einzelnen Punkten noch nicht weit genug, aber dennoch kann hier von einem Erfolg gesprochen werden, den die EBCU zugunsten aller BierkonsumentInnen in Europa erzielt hat.

Internationale Vernetzung

Zweimal im Jahr treffen sich die Delegierten der nationalen KonsumentInnenverbände aus ganz Europa, um aktuelle Themen zu besprechen und das bestehende Netzwerk zu erweitern. Genau diese internationale Vernetzung ist auch der größte Vorteil für die Mitglieder der nationalen Organisationen. Es werden nämlich nicht nur auf europäischer Ebene Kampagnen geplant und KonsumentInnenrechte vorangetrieben. Mitglieder der EBCU erhalten Rabatte bei Veranstaltungen aller PartnerInnenorganisationen, können im Rahmen von Bierfestivals und Bierwettbewerben hinter den Kulissen dabei sein und sich als offizielle Bier-JurorInnen für die EBCU akkreditieren lassen.

Überdies führt der internationale Austausch zu einem erweiterten Ver-

So kämpft die EBCU zum Beispiel seit Jahren für eine vollständige Transparenz aller kommerziell in Europa erhältlichen Biere in Bezug auf Inhaltsstoffe, Nährwertangaben und den genauen Herstellungsort.

— Bierverkostungen und -bewertungen finden auf vielen Events statt. —

ständnis verschiedener (Bier-)Kulturen sowie neuen Bekannt- und Freundschaften. Bier bringt Menschen seit jeher zusammen und so manch ein gutes Gespräch fängt bei einem gemeinsamen Bier an, über das es sich zu reden lohnt. Damit das auch weiterhin so bleibt und die BierkonsumentInnen ihr Recht wahrnehmen, ihre Wünsche und Bedürfnisse an Brauindustrie und Staat heranzutragen, sind BierkonsumentInnenvereinigungen unabdingbar. Je mehr KonsumentInnen sich dabei einbringen, desto mehr fällt ihre Stimme bei zukünftigen Entscheidungsprozessen im Spannungsfeld zwischen Industrie, Staat und KonsumentInnen ins Gewicht.

MEHR MEHRWEG?

_TEXT Martin Mühl

_BILDER istock.com/thelinke Ottakringer Brauerei

Bier ist bei Mehrweg ein Vorbild – es geht aber noch mehr.

Bier ist die klare Nummer eins. Das mag in mancher persönlichen Biografie stimmen – Bier ist aber zum Beispiel auch beim Thema Mehrweg die absolute Nummer eins. War es bis in die 90er-Jahre hinein auch in Österreich noch so, dass Mehrwegglasflaschen etwa bei Mineralwasser absolut Usus waren, so ist Mehrwegglas heute nicht mehr das Gebinde erster Wahl. Außer beim Bier. Im Jahr 2020 wurden beinahe 60 Prozent der verkauften Gesamtmenge an Bier in Mehrweggebinden verkauft. Eine Zahl, die übrigens in den letzten Jahren vergleichsweise konstant geblieben ist. Was 2020 allerdings anders war, ist dass 2019 über 20 Prozent der Gesamtmenge in der Gastronomie und auf Events aus Fässern und Tanks in Gläser gezapft wurden, während dies 2020 wegen der Corona-Schließungen nur rund 12 Prozent waren. Dafür stieg der Anteil des Bieres in 0,5-LiterMehrwegflaschen 2020 von 41,1 auf 47,7 Prozent.

Sortieren, waschen und wiederbefüllen

Eine Brauerei, die im Frühjahr 2020 auf die klassische braune 0,5-Liter-Mehrwegflasche umgestiegen ist, ist Ottakringer. Allerdings nicht von einer Einwegflasche: Auch die unverwechselbare grüne Schulterflasche von Ottakringer war eine Mehrwegflasche, wurde aber von den KonsumentInnen nicht als solche erkannt und deswegen auch nicht zurückgebracht. Tobias Frank, Braumeister und Geschäftsführer Technik bei Ottakringer: »Auch unsere grüne 0,5-Liter-Flasche war eine Mehrwegflasche, wurde aber trotz unserer Werbung dafür nicht als solche erkannt und, weil es so eingelernt war, mit anderem grünem Glas im Buntglas entsorgt.« Das hat dazu geführt, das Ottakringer die Flaschen nicht zurückbekommen hat. Gesamt sind im deutschsprachigen Raum mehrer Milliarden braune NRW-Flaschen in Umlauf, von der grünen Ottakringer-Flasche waren es vier Millionen. Der Handel sortiert die Flaschen nicht nach Abfüller bzw. Produzent, sondern retourniert den Brauereien Flaschen, die sie dann sortieren, waschen und wiederbefüllen. Ottakringer musste seine Flaschen von anderen Brauereien abholen und zurücktauschen.

Dazu kommt im Falle Ottakringers auch ein anderes Einkaufsverhalten in Wien, wo die Brauerei besonders stark ist: »Während in Restösterreich die Halbliterflasche in der 20er-Kiste besonders viel gekauft wird, sind in Wien, auch weil weniger mit dem Auto eingekauft wird, andere Gebinde beliebter«, so Tobias Frank. An der Umstellung der

»Während in Restösterreich die Halbliterflasche in der 20er-Kiste besonders viel gekauft wird, sind in Wien, auch weil weniger mit dem Auto eingekauft wird, andere Gebinde beliebter.«

↑ TOBIAS FRANK, GESCHÄFTSFÜHRER OTTAKRINGER

Flasche hat Ottakringer übrigens zwei bis drei Jahre gearbeitet. Solche Entscheidungen sind von großer Tragweite und für längere Zeiträume. Mehrweg ist für die Brauerein teurer und sie verzichten mit der NRW-Flasche auf optische Unverwechselbarkeit.

Aktuell gibt es in Deutschland sowie Österreich regional Zusammenschlüsse und Verbände, die auch bei der 0,33-Liter-Flasche Initiativen in Richtung Mehrweg starten – bisher aber nicht erfolgreich. Frank sieht hier vor allem die Getränkehersteller aktiv, während er zu bedenken gibt, dass etwa der Handel ein Platz- und Ressourcenproblem hat. Gesetzliche Mehrwegregelungen werden hier etwas ändern. Wobei Frank auch die KonsumentInnen aufruft, selbst aktiver zu werden und Angebote wie Recycling zu nutzen und Müll nicht an unpassenden Stellen zu entsorgen.

Chancengleichheit

Auch das Bundesministerium für Klimaschutz spricht von nötigen gesetzlichen Regelungen – auch wenn man sich erfreut darüber zeigt, dass die ProduzentInnen aktiv werden. Sarah Warscher, Referentin für Abfallwirtschaft im Bundesminsterium für Klimaschutz, erklärt: »Wir haben Rückhalt aus der Bevölkerung, das ist gut. Über 80 Prozent wünschen sich sowohl verbindliche Quoten als auch ein Pfandsystem. Wenn die KonsumentInnen die Gebinde sowieso zurückbringen müssen, würde das Chancengleichheit bringen und auch Mehrweg unterstützen.« Die EU gibt bis 2029 eine verbindliche Trennsammelquote von 90 Prozent vor – wird diese nicht eingehalten gibt es empfindliche Strafzahlungen auf Basis von Tagsätzen bis zur Erreichung der Quote. Die Praxis in anderen Ländern habe gezeigt, dass dies nicht ohne verpflichtendes Pfandsystem zu erreichen ist. Der Weg geht also eindeutig in Richtung mehr Mehrweg.

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