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Prof. Dr. D. Willbold, Philipp Bürling
ALZHEIMER 3
Sprunginnovation aus Düsseldorf
Wenn es um die thermodynamischen Eigenschaften von Amyloid-Beta geht, wird es kompliziert. Wenn die neue Bundesagentur für Sprunginnovationen (SprinD) in ein kleines Startup vom Rhein einsteigt, wird es spannend. Wenn die Prionentheorie von Nobelpreisträger Stanley Prusiner bei Alzheimer eine Rolle spielt, wird es gespenstisch. Georg Kääb sprach mit Prof. Dr. Dieter Willbold (Uni Düsseldorf) und Philipp Bürling (CEO Priavoid GmbH).
Prof. Dr. Dieter Willbold
Universität Düsseldorf
BTJB_Herr Prof. Willbold, das Umfeld in der Alzheimerforschung: Wie sehen Sie die bisherigen, aber auch aktuelle Versuche und Entwicklungen?
Willbold_Einmal sieht man die Antikörper-Versuche bei Amyloid-β und tau, und die Kolumbien-Studie ist sicherlich höchst spannend, darauf warten wir Impfung als aktive Immunisierung ist ja schon vor langer Zeit probiert worden, aber mit einem körpereigenen Protein hat man dann eben auch eine Reaktion ausgelöst, die zum Studienabbruch führte, ja eigentlich führen musste Ob man diesen Weg mit diversen Anpassungen erfolgreich beschreiten können wird, da kann man derzeit keine seriöse Vorhersage treffen Alle Antikörperansätze haben immer die Problematik der Blut-Hirn-Schranke, und zudem, dass das Immunsystem die eigentliche Arbeit verrichten muss Ob diese Immunzellen dann aber auch wirklich zur Beseitigung der Aggregate im Menschen beitragen, solche validen Daten stehen noch aus Auch intrazelluläre Targets bleiben verschlossen
Dass der Tau-Antikörper von AC Immune bei all diesen Vorbemerkungen eine Wirkung zu haben scheint, wie kürzlich publiziert, also ja vermutlich extrazelluläres Tau abfängt, ist eine durchaus interessante neue Entwicklung
Abb.: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
BTJB_Wie liegt Ihr Ansatz da im „Rennen“?
Willbold_Wir haben uns aus allen diesen Gründen dafür entschieden, weder Antikörper noch Small Molecules zu verwenden, sondern quasi eine Kombination aus beiden Welten mit unseren All-D-Peptiden, die eine größere Stabilität ohne nachweisbare Immunogenität aufweisen Prinzipiell sind unsere Moleküle oral verfügbar – einige von ihnen gehen über die Blut-HirnSchranke und man kann sie auch membrangängig machen durch spezielle Anpassungen Zudem muss man ja berücksichtigen, dass der Antikörper die Arbeit nicht selbst verrichtet; ein starkes Immunsystem ist auch noch nötig, was im hohen Alter nicht immer mehr vorzufnden ist. Unsere Substanz führt direkt durch die Bindung an das Zielaggregat zu seiner Zerstörung Eines unserer All-D-Peptide bindet spezifsch die Monomere des Aβ, und destabilisiert so das Aggregat
BTJB_Wie können Sie diese Spezifität in der ProteinProtein-Wechselwirkung erreichen, ohne eine regelrechte Bindung der Moleküle?
Willbold_Wir müssen hier tiefer in die thermodynamischen Verhältnisse rings um so eine Proteinstruktur einsteigen Es ist contra-intuitiv und gedanklich eine Herausforderung, sich vorzustellen, dass man hinbekommen muss, das hochfexible, instabile Monomer in seiner fexiblen Struktur zu stabilisieren. Stabilität in die Instabilität zu bringen, und damit aber die Funktionsfähigkeit des AmyloidMonomers aufrechtzuerhalten Der übliche Weg der Proteine ist ja, aus einer zufälligen, losen Vorstruktur zur endgültigen, stabilen 3D-Struktur zu gelangen Wir wollen nun das genaue Gegenteil, einen hochfexiblen Zustand als Dauerzustand erhalten Es gibt mittlerweile Untersuchungen über andere Proteinstrukturen, wo zwei ebenfalls ungeordnete Proteine sich gegenseitig „ungeordnet“ halten und erst durch die Anwesenheit ihres eigentlichen „Substrates“ (in diesem Falle DNA) in eine höhere Ordnung und stabile 3D-Struktur manövriert werden, um dann ihre eigentliche Funktion ausüben zu können
BTJB_Solche Messungen sind sicherlich kein Kinderspiel, also was messen Sie da eigentlich?
Willbold_In einem Bindungsexperiment würde man normalerweise eine Interaktion erwarten, die im Analysegerät aufscheint, durch Konformationsänderungen oder Ähnliches Unsere Substanz ändert an der Struktur des AmyloidMonomers nichts und stabilisiert sie doch Wir nutzen also die klassischen Bindungsmessgeräte, wo die entsprechende starke Bindung unserer Substanz an Amyloid-Monomere beobachtbar ist, aber im NMR-Spektrum beispielsweise kommt bei der Analyse ein scheinbares „Nicht-Ereignis“ heraus In Wahrheit, wie dann die In-vitro-Experimente zeigen, stabilisiert unsere Substanz Monomere in ihrer fexiblen Struktur und – wenn statt Monomere Aggregate vorhanden sind – werden diese in die Einzelteile dissoziiert Diese ganzen Assays mussten wir alle erst entwickeln, validieren, von anderen validieren lassen
BTJB_Gehen wir aus dem Physikunterricht zum eher nachvollziehbaren In-vivo-Experiment, was ist ihr Modellsystem?
Willbold_Wir arbeiten mit einerseits zwei klassischen Maus-Modellen Diese Modelle kann man schon als sehr „künstlich“ bezeichnen, sie benötigen mehrere humane Gene transgen eingebaut, um überhaupt eine vergleichbare Pathologie zu entwickeln Das andere, spannendere Mausmodell ist sicherlich das von Ulrich Demuth, TBA2 1 von Probiodrug, heute Vivoryon, wo die Tiere selbst eine echte Neurodegeneration entwickeln, und zwar rasant in wenigen Wochen In allen drei Modellen konnten wir die Wirksamkeit der Substanz zeigen, die nicht als Reduktion von Plaques zu verstehen ist, das war gar nicht unser Ziel, sondern wir haben auf Wiederherstellung der Kognition geschaut, bei der Demuth-Maus auf eine Verzögerung der Neurodegeneration In diesen Modellen, in Experimenten in verschiedenen Laboren, haben wir diese Verbesserungen gesehen, bei einmal täglicher oraler Behandlung
BTJB_Es gibt mittlerweile größere Vorbehalte gegenüber der Aussagekraft dieser Tiermodelle.
Willbold_Ich bin kein Fan des Schimpfens auf Tiermodelle, weil man da leicht etwas oberfächlich herangeht. Die gescheiterten Alzheimerstudien waren vom Ansatz her oft nicht ganz sinnvoll aufgesetzt, weil beispielsweise ein präventiver Mechanismus mit einer bereits schwer erkrankten Population untersucht wurde Man war dort schlicht gesagt einfach schon zu spät dran, um noch etwas ausrichten zu können, das muss man nicht der Maus in die Schuhe schieben
BTJB_Ich würde gerne Ihre Vorstellung über den Anfang, das Einsetzen der Alzheimererkrankung hören, was passiert da?
Willbold_Es gibt eine große Zahl an Risikofaktoren, also spielen viele Faktoren zusammen, bis es zum Ausbruch und einer Manifestation der Krankheit kommt Man hat die Experimente gemacht, dass man von Maus zu Maus mit den Aggregaten die Plaque-Pathologie übertragen kann Man sieht auch, die Ausbreitung im Gehirn selbst geht von einer Region nicht unbedingt gleich in die direkte Nachbarregion, sondern über die weitläufgen Nervenverzweigungen in deren entsprechenden Zielregionen Also es muss eine Art von intrinsischer Weiterleitung dieser Fehlinformation geben, wie man sie bei der Prionen-Krankheit erkannt hat, und das sehe ich mittlerweile schon als recht gesetzt in der Wissenschaft an
Die Frage nach dem ursächlichen Auslöser relativiert sich ja auch, wenn man auf die Down-Syndrom-Betroffenen oder einzelne lokale Populationen etwa in Kolumbien mit verschiedenen Punktmutationen schaut Allen gemein ist, dass eine höhere Aβ-Konzentration letztlich schneller zur Alzheimererkrankung führt
BTJB_Was macht Amyloid-beta aber dann toxisch?
Willbold_Aβ darf man sich nicht so vorstellen, dass es sofort Aggregate bildet Etwas muss passieren – kinetisch, physiologisch geht das nicht einfach mal so Aus unserer Sicht ist das also ein seltenes Ereignis, aber wenn man nur lange genug wartet, also mit hohem Lebensalter, ist die Wahrscheinlichkeit eines seltenen Ereignisses eben höher Die Amyloid-Plaques sind ja schon das Ergebnis eines Abwehrkampfes, und diese Plaques sagen – das hat man auch gezeigt – in ihrer Größe nichts über die Schwere der Krankheitssymptome aus, sondern eher etwas über die erfolgreiche Aktivität des Immunsystems In den Plaques packen die Gliazellen diese Aggregate weg, umhüllen sie, um sie möglichst unschädlich zu machen, das geht eine ganze Weile unbemerkt vonstatten und Individuen können das unterschiedlich gut verkraften
BTJB_Ein Prion trägt in seiner Struktur die Information für die Fehlfaltung und dies dann als Trigger weiter. Ist das auch die Überlegung beim pathologischen Amyloid-beta?
Willbold_Ja Sehen Sie sich das toxische Oligomer an, aus sagen wir mal 20 bis 30 Monomer-Einheiten, es ist sehr geordnet Das Monomer und die Monomer-Einheiten im Oligomer sind dabei chemisch identisch Nur die dreidimensionale Struktur ist anders und entscheidet über gut oder böse Die amyloide Struktur im Oligomer ist also ein Informationsträger für weiteres Wachstum und die Vermehrung der Aggregate Gerade gab es eine Publikation, dass virale Komponenten angeblich eine solche Aggregatbildung triggern könnten, das machte die Presse zumindest daraus Tatsächlich wurde in der Publikation gezeigt, dass die Ausschleusung solcher Aggregate aus Zellen durch solche viralen Faktoren unterstützt werden kann Das Anstoßen der gesamten Reaktion wurde hingegen nicht gezeigt
BTJB_Und das All-D-Peptid mischt sich nun dazwischen?
Willbold_Unsere Substanz wirkt kooperativ, substöchiometrisch, wird dabei nicht verbraucht, sondern kann mehrfach wirken Sie löst ein Aggregat in mehrere Monomere auf, zerstört also das Oligomer und die darin enthaltene Information zu weiterem Wachstum und Vermehrung. Die Aufösung ist dabei der entscheidende Punkt, weil die erneute Aggregatbildung unter normalen Umständen physiologisch gar nicht sehr favorisiert wird
Abb.: Priavoid GmbH BTJB_Herr Bürling, es stellt sich dann die Frage, wie Sie auf diesem so verschiedenen Weg von allen anderen Ansätzen weiterkommen, was als Nächstes ansteht?
Bürling_Für unsere Substanz haben wir eine Phase I-Studie im Menschen durchgeführt, um die Sicherheit zu zeigen Das waren sehr überzeugende Ergebnisse aus einer vierwöchigen Beobachtung Es laufen jetzt Vorbereitungen Philipp Bürling
CEO Priavoid GmbH
einer Langzeit-Toxizitätsstudie, da wir eine etwa einjährige Behandlungsdauer erwarten, wenn wir die Phase II angehen werden Da muss nun als Zwischenschritt erst eine sehr viel längere Toxizitätsstudie präklinisch noch vorgeschaltet werden, bevor wir eine so lange Behandlung mit Menschen machen können
BTJB_An dieser Stelle hat Ihnen nun die Bundesagentur für Sprunginnovationen unter die Arme gegriffen?
Bürling_Ja genau, in diesem Frühjahr Und bei aller Diskussion über SprinD, die ich ja auch mitbekomme: Das ist für uns eine tolle Sache, natürlich auch komplex, weil schnell das EU-Beihilferecht auf den Plan tritt Insgesamt klingt es komplizierter als es ist, aber entscheidend ist, es funktioniert Die Sprungagentur hat eine eigene GmbH gegründet, die nun unsere Arbeit „sponsert“
BTJB_Wären andere Fördermaßnahmen oder -programme nicht auch möglich gewesen?
Bürling_Wir brauchen einen achtstelligen Betrag Das ist in kaum einem anderen Förderprogramm auch mit unserem Zeithorizont vorhanden oder darstellbar Nach der nächsten Studie wissen wir ja eindeutig mehr, da hoffen wir auf eine Situation, die in unserer Umgebung große Motivation und Interesse hervorrufen wird Aber bis dahin müssen wir jetzt erst einmal kommen
BTJB_Ist die Förderung durch SprinD im Erfolgsfall eventuell hinderlich, oder wird man da auch in eine Eigenständigkeit entlassen werden?
Bürling_Für uns sind dann einerseits alle Optionen offen, und wir haben für die eigene Entwicklung jede Freiheit von der Agentur Eigene Entwicklung bedeutet in diesem Zusammenhang die Übertragung des neuen Wirkmechanismus auf andere Targets, wie Tau, alpha-Synuclein, TDP-43 und viele mehr Dafür ist Priavoid klassisch fnanziert, zum Beispiel durch unseren Business Angel Detlev Riesner
Willbold_Hier hat die FDA nun auch eine Tür geöffnet, wie sie es schon einmal im Falle von Multipler Sklerose mit der Zulassung von Interferon gemacht hat Damit löste sie dann eine Welle von Zulassungen für weiterer Wirkstoffe aus
Bürling_Ja, einfach die Möglichkeit zu sehen, es könnte eine Zulassung auch tatsächlich bei Alzheimer erfolgen, hat die Investoren wieder aufgeweckt