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Herzerfrischung
TEXT Annalena Eisfeld und Irina Zelewitz
Manche gehen statt kalt duschen lieber in eisigen Gewässern baden.
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Bei Minusgraden in eiskaltem Wasser zu schwimmen war die längste Zeit GeheimagentInnen, Elitetruppen, ExtremsportlerInnen und allenfalls SkandinavierInnen vorbehalten. Inzwischen, so scheint es, kann das fast jederR. Zumindest sieht man heute auch in den Wintermonaten immer mehr Unverfrorene zwischen Eisschollen in Seen mit schneebedeckten Ufern und sensationellen Instagram-Kanälen schwimmen. Wenige von ihnen folgen dabei allerdings ihrer Intuition, eher im Gegenteil.
Medizinisch betrachtet löst Kälteeinwirkung im menschlichen Körper innerhalb weniger Sekunden Alarmbereitschaft aus und versetzt ihn in einen Überlebensmodus. Dadurch bedient sich der Organismus sofort eines ganzen Repertoires an Schutzfunktionen, vor allem solcher gegen den
Wärmeverlust: Die Blutgefäße verengen sich, die Muskeln fangen an zu zittern, um Wärme zu erzeugen, und zahlreiche Botenstoffe werden ausgeschüttet.
Robert Fritz, medizinischer Leiter eines Gesundheitszentrums mit Fokus Sportmedizin in Wien, erklärt das Phänomen folgendermaßen: »Im Prinzip versucht unser Körper immer, die Körperkerntemperatur stabil zu halten. Er mag also weder besonders viel Hitze im Zentrum des Körpers noch übermäßige Kälte.« Reguliert wird das über die Haut, in der sich feine Gefäße befinden, die sich über eine Muskelstruktur verengen oder ausdehnen. Wenn nun plötzlich Kälte auf der Haut spürbar ist, »dann zieht der Körper diese Gefäße zusammen und versucht, die Durchblutung extrem einzuschränken, damit das Blut keinesfalls auskühlt und dann in die Körpermitte kommt«, erklärt Fritz. Genügt jedoch die Verengung der Gefäße nicht mehr, beginnt der Körper durch Kontraktion der Skelettmuskulatur Wärme zu erzeugen und eine drohende Unterkühlung abzuwenden.
Das Gefühl, wenn sich bei Kontakt mit kaltem Wasser der ganze Körper zusammenzuziehen scheint, das die meisten Menschen wohl in erster Linie als Kälte beschreiben würden, bezeichnet Josef Köberl als »Signal, das unser Hirn aufnimmt«, und die Reaktion auf dieses Signal biete eine »Möglichkeit, sich selbst kennenzulernen. Zu lernen, wie kann mein Körper mit Schmerz umgehen und was fange ich mit den Emotionen an, die er auslöst – ich spüre dann einfach, wie mein Körper funktioniert.«
SOMMERFRISCHE IN DEN ALPEN
Köberl ist Präsident der Ice Swimming Association Austria sowie Eisschwimmtrainer, und zwar einer, der es wissen will: In seinem Trainingsangebot finden sich auch Schwimmausflüge in den Hintertuxer Gletscher, dort ist auch das Wasser kälter. Tatsächlich hat das Gletscherwasser eine Temperatur leicht unter 0 Grad Celsius und außerdem eine geringere Tragfähigkeit als gewöhnliches Süßwasser. Man muss sich also auch etwas mehr bewegen, um nicht im Gletscher unterzugehen. Auch internationales Publikum wird von dieser Selbsterfahrungsmöglichkeit mit Alpenpanorama angezogen. Köberl schmeißt sich und begleitet Lernwillige aber auch in gewöhnliche Flachlandgewässer, Hauptsache, sie haben unter 5 Grad Celsius, denn nur dann handelt es sich streng genommen um Eisbaden. Alles andere ist eigentlich nur Baden.
»Die einen probieren es, weil es in Mode ist, andere, weil sie eine Wette verloren haben.« — Josef Köberl, Eisliebhaber
PROBIER’S MIT GEMÜTLICHKEIT
Wobei Köberl betont, dass man die Sache langsam angehen muss: »Ich beobachte das immer wieder – ob Leute nun einen Trainer dabeihaben oder nicht: Die Leute gehen viel zu schnell ins Wasser. Wenn das Erlebnis zu extrem ist, ist die Verarbeitung schwierig. Mir haben Leute von Nächten voller Albträume und Schweißausbrüchen berichtet. Alles, was zu schnell geht, geht in Richtung Schock.«
Sein Tipp: sich richtig Zeit zu lassen. Nein, das führe nicht dazu, dass die Leute eher wieder umdrehen würden, sagt der Trainer, der laut eigenen Angaben inzwischen rund 4200 Lernwillige ins eisige Wasser – und bisher auch alle wieder lebend raus – begleitet hat. Er geht bei seinen Kursen vor den TeilnehmerInnen ins Wasser und wartet dort auf sie. »Weil es beim Reingehen immer diesen ganz kurzen Moment gibt, wo man umdrehen möchte. Und wenn man da auf die Person zugeht, Vertrauen gibt, kann sie diesen Punkt leichter überwinden. Und dann wird es wohlig und dann beginnt das eigentliche Eisschwimmen. Das ist dann ein positives Erlebnis.«
Dass auch das Hormonsystem durch Kälteeinwirkung beeinflusst wird, bestätigt Fritz: »Das ist auch einer der Gründe dafür, warum das manche Menschen so gern machen.« Der Körper befindet sich in einer Extremsituation und schüttet Hormone, unter anderem Adrenalin, aus, »um weiter zu funktionieren, und das kann sich wie ein richtiger Kick anfühlen«, sagt Fritz.
Viele erhoffen sich neben dem Adrenalinrausch auch, weniger anfällig für Erkältungen
Wiener Wasser ist beson-
ders kalt. Laut den Wasserwerken kommt es hier mit maximal 10 Grad aus dem Hahn – in London oder Paris können es hingegen in den Sommermonaten auch mal laue 20 Grad sein. und Infekte zu sein. Obwohl es Untersuchungen gibt, die einen Zusammenhang zwischen der Kälteexposition und einem starken Immunsystem nahelegen, betont Fritz: »Die Studienlage ist sehr dünn und nicht wirklich aussagekräftig. Es gibt einige finnische Studien, die das Saunieren und den anschließenden Gang ins kalte Wasser untersucht haben. Von denen weiß man, dass regelmäßige kalte Bäder – und da geht es wirklich ganz besonders um die Regelmäßigkeit – das Immunsystem stärken können.« Wer hingegen nur ab und zu eisschwimmen geht, der riskiere eher eine Überlastung des Körpers, als von den langfristigen Effekten zu profitieren.
EINE HERZENSANGELEGENHEIT
Trotz der Vorteile, die der kontrollierte Aufenthalt in kalten Gewässern mit sich bringen kann, weisen WissenschaftlerInnen deutlich auf potenzielle Gefahren hin. Sportmediziner Fritz erklärt, dass es durch die extreme Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems zu einer Belastung des Herzmuskels kommt. Für gesunde Menschen sei das kein Problem, leide man jedoch unter hohem Blutdruck, könne das Blutdruckspitzen auslösen und lebensgefährlich sein. Wer sich hier nicht ganz sicher ist, sollte sich vor dem Ersteinstieg ins Eisbadewasser Fritz zufolge jedenfalls ärztlich untersuchen lassen. Generell gelte: »Gesunden Menschen unter 35, die wissen, dass ihr Blutdruck in Ordnung ist, denen wird nichts passieren.« Wirklich vorsichtig sollten aber auch diese in strömenden Gewässern sein. »Es kann einem beim Eisbaden schnell schwummrig werden, der Kreislauf wegkippen und plötzlich ist man in der Mitte eines eiskalten Flusses.« Daher sei es so wichtig, dass man sich sowohl dem Eisbaden als auch den kalten Duschen stets kontrolliert und schrittweise annähere und dabei weder allein in der Wohnung oder am Flussufer sei noch unter Einfluss von Alkohol oder Drogen stehe, welche die körperlichen Schutzfunktionen unterbinden können.
WIE KALT IST KALT GENUG?
An mangelnder Insta-Kompatibilität allein wird es nicht liegen, dass dem Wechselduschen zumindest in jüngster Zeit weit nicht so viel (sozial)mediale Aufmerksamkeit zuteilwird wie dem Eisbaden. Dem für Extremkälte-Aktionen und die dafür selbstentwickelte Atemtechnik bekannten »Iceman« Wim Hof folgen immerhin 2,4 Millionen Menschen auf Instagram. Unter dem Hashtag #eisbaden finden sich über 22.000 Beiträge, und der äquivalente englische Tag #iceswimming bringt es sogar auf 90.000 Fotos.
Das kalte Wasser, das aus unseren Duschhähnen fließt, hat übrigens meist eher 10 Grad, ist also deutlich wärmer als ein kleiner See in der Winterlandschaft. Ob man sich der Kälte nun aber nur unter der Dusche aussetzt oder im eisigen Badesee plantscht, ändert laut Sportmediziner Fritz nichts am positiven körperlichen Effekt: »Das macht keinen Unterschied, weil
Josef Köberl beim Baden auf dem Hintertuxer Gletscher. Dort will er seine WorkshopteilnehmerInnen für das Gletscherschmelzen sensibilisieren. Im Alltag ist Köberl Aviation Security Auditor im Bereich Luftfahrtinfrastruktur des österreichischen Klimaschutzministeriums.
beides deutlich unter der Körperkerntemperatur liegt und dadurch einen intensiven Reiz erzeugt. Also wenn wir ganz ehrlich sind, ist das kalte Duschen genauso sinnvoll.«
Fritz betont allerdings, dass sich die im Leistungssport geltende Devise »was dem Kopf guttut, das tut dem Körper auch gut« ebenfalls auf bewusste Kälteexposition anwenden ließe: »Wer sich beim Eisbaden gut fühlt, soll das gerne machen. Aber wer nur widerwillig in das Eisbecken steigt und wem es beim dritten Mal immer noch nicht taugt, die oder der kann es auch einfach lassen. Wunder braucht man sich davon eh nicht erwarten.«
Von Wundern spricht auch der Weltrekordhalter im Gletscherwasserschwimmen nicht, sondern von Grenzerfahrungen: »Ich war 38 Minuten drin und bin eine Strecke von 1511 Metern geschwommen«, beschreibt Köberl eine seiner inzwischen vielen eisbezogenen Rekordleistungen beiläufig. »Mich interessiert halt das Grenzgehen, ich bin immer neugierig, was dann mit mir passiert und was ich mir dann denke. Die einen probieren es, weil es in Mode ist, andere, weil sie eine Wette verloren haben. Auf manche wirkt es befreiend.« Ob das Eisbaden schon manche seiner KursteilnehmerInnen komplett kaltgelassen hat, kann Köberl nicht beantworten, denn er fragt nicht lang nach: »Manche sind nach außen cool und vielleicht nur innerlich bewegt. Für mich ist es nicht wichtig, zu wissen, was sie sich denken, sondern dazu beizutragen, dass sie möglichst ein gutes Gefühl dabei haben.« Das erreiche man, wenn man die Leute auf die Erfahrung vorbereite und weder mental noch physisch überfordere. »Nicht Härte schmilzt das Eis, sondern Liebe. Liebe zur Kälte«, lautet Köberls gern wiederholter Leitspruch, denn: »Die Wilden würden es viel länger aushalten als ich, wenn es anders wär.«