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HELDCHEN IN STRUMPFHOSEN
TEXT Ursel Nendzig Es gibt Kleidungsstücke, die verleihen uns Superkräfte. Und manchmal tun sie das sogar, ohne dass wir es bemerken.
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Muss zugeben, ich war immer schon ein FashionVictim. Auch wenn in meinem Fall vielleicht eher die Mode das Opfer ist und ich die Täterin. Meine Mama, die sich nicht mehr an mein erstes Wort erinnern kann oder daran, wann ich laufen gelernt habe, erinnert sich zum Beispiel lebhaft daran, mit welcher Vehemenz ich als Zweijährige darauf bestanden habe, das hellviolette Unterhemd mit den dunkelvioletten Herzen zu tragen. Ich kann das Teil jederzeit vor meinem inneren Auge auftauchen lassen und mich darüber ärgern, dass es mir, wenn es nicht irgendwann vor lauter Waschen-Anziehen-Waschen zu Staub zerfallen wäre, auch nicht mehr passen würde.
Das Unterhemd jedenfalls, das ja kaum jemand jemals gesehen hat, hat mir aber trotzdem, durch die Kraft der violetten Herzen, Haltung, Stärke und Coolness verliehen. Die hätte ich ohne es nie gehabt. Sowas konnte mein Unterhemd.Der große Sohn hat diesen –manche würden sagen Spleen, ich nenne es Spürsinn – offensichtlich ebenfalls. So trug er mit zwei bis drei Jahren ausschließlich Strumpfhosen statt Hosen. Dabei gab es nur zwei im Sortiment, die ihm zusagten: Die eine war kackbraun, die andere weinrot. Diese beiden Strumpfhosen verliehen ihm wohl genau die gleichen Superkräfte wie mir einst das Unterhemd. Nur dass sie bei ihm eben sichtbar waren, sehr sogar. Er spazierte völlig unbeirrt in den Kindergarten, seine dünnen Beinchen in Kackbraun oder Weinrot engmaschig umschlossen.
Die Strumpfhosen wurden für besondere Anlässe selbstverständlich auch entsprechend mit anderen Fashion-Fundstücken ergänzt. So trug er zum runden Geburtstag seines Opas über der kack- braunen Strumpfhose eine türkise Badehose mit drei orangefarbenen Streifen an der Seite. Ich war entzückt.
Er konnte auch genau erklären, warum er dieses und nur dieses Beinkleid bevorzugte: Erstens, die Bewegungsfreiheit. Es war ihm dadurch möglich, sich völlig ungehindert herumzurollen, zu hüpfen, zu klettern, zu laufen und zu robben, ohne, dass unten ein Luftzug hineinkommen, die Hose verrutschen oder sich gar Falten bilden konnten. Das alles waren nämlich Dinge, die der große Sohn lange Zeit nicht ertragen konnte. Seine Endgegner: verdrehte Sockennähte, Schuhe, in denen sich beim Gehen die Ferse bewegen konnte, Hosen, in die von unten Luft hineinkriechen oder die hinunterrutschen konnte.
Ebenfalls Endgegner waren (und sind es bis heute geblieben) Verkleidungen. Etwas, was ich nicht verstehen kann! Verkleidungen sind mir sehr lieb, zumindest, solange sie nicht dafür missbraucht werden, sich »sexy« anzuziehen. Der große Sohn weigerte sich jedenfalls vehement, aber Mutti trickste das Bürschchen aus, indem sie zur weinroten Strumpfhose ein Pyjama-Oberteil kombinierte , das sie aus dem Erbsack zog (das ist jener Sack Kleidung, den mir meine Schwägerin regelmäßig vorbeibringt, weil meine Neffen wie Unkraut wachsen! Meine Söhne haben dank diesem Umstand so gut wie noch nie neues Gewand bekommen). Auf den Pyjama war eine Ritterrüstung gedruckt. Der große sah wirklich mittelalterlich aus, ohne es zu bemerken. Mein kleines, violettes Modeherz hüpfte vor Freude.