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Regionale Produktion als Rendite: In Krems wird eine Regionalwert AG entwickelt

Regionale Produktion als Rendite

Nach dem Vorbild der in Freiburg und Hamburg bestehenden Regionalwert AGs soll nun auch Österreich eine bekommen. Die GründerInnen Andrea Heistinger und Alfred Schwendinger im Interview.

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In terview Irina Zelewitz

Andrea Heistinger

Die Agrarwissenschaftlerin ist Organisationsberaterin und Biogartenbuchautorin – unter anderem durch ihre Bücher vermittelt sie einem breiten Publikum die Relevanz von Biogartenbau und Sortenvielfalt. A ndrea Heistinger und Alfred Schwendinger sind zwei der InitiatorInnen der Regionalwert AG Krems, der ersten ihrer Art in Österreich. Sie suchen BürgerInnen, die in den Ausbau nachhaltiger Wertschöpfungsketten zur Produktion regionaler Biolebensmittel investieren.

BIORAMA : Warum gründet ihr eine Regionalwert AG?

Andrea Heistinger: Meine Motivation ist das Wissen, dass die regionale Produktion gesunder Biolebensmittel nur durch das Investment von VerbraucherInnen gesichert werden kann. Unternehmerisches Handeln ist in diesem Sektor nur durch das Investment von sehr viel Geld möglich. Um einen Arbeitsplatz in der Landwirtschaft zu schaffen, muss ich – damit wird gerechnet – rund 400.000 Euro investieren. Viele Menschen wollen sich hier engagieren, haben dafür aber das Kapital nicht. Andererseits haben Menschen Kapital und wissen nicht, wohin am besten damit.

Wer steht dahinter?

Andrea Heistinger: Eine Gruppe von über 50 Menschen. Frauen und Männer, junge Menschen, die gerade mit ihrer Ausbildung fertig sind, mitten im Arbeitsleben stehen oder gerade in Pension gegangen sind. Und: Einige BiopionierInnen. Darunter Reinhild FrechEmmelmann für den Bereich Gemüsezüchtung, Ernst Gugler für den Bereich nachhaltige Druckverfahren, Alfred Schwendiger für die Naturkostläden oder Alfred Grand für regionalen Kompost.

Woran beteiligt sich die Regionalwert AG? Nur an ProduzentInnen und VerarbeiterInnen von Lebensmitteln?

Alfred Schwendinger: Wir konzentrieren uns auf die Biolebensmittelwertschöpfungskette vom Saatgut bis zum Teller, inklusive Einzelhandel und Gastronomie – in der Region. Also vor allem Produktion, Verarbeitung und Handel von Lebensmitteln, aber da kann prinzipiell auch eine Abfüllanlage oder eine Steuerberatungskanzlei dabei sein.

Wo endet die Region?

Alfred Schwendinger: Mit den Grenzen Niederösterreichs.

Es gibt bereits Beteiligungsgesellschaften. Was ist Rechtsform und Alleinstellungsmerkmal dieser Regionalwert AG?

Andrea Heistinger: Das Grundkonzept ist, dass Menschen aus einer Region sozial und ökologisch verantwortungsvolle Wertschöpfungskreisläufe aufbauen. Die Kriterien für die Investments wird der Aufsichtsrat in den nächsten Monaten ausarbeiten. Und wir haben einen Beratervertrag mit Christian Hiss (Entwickler des Konzepts der Regionalwert AGs in Deutschland). Aber wir machen hier keine Kopie der Regionalwert AG in Freiburg, wir

setzen unsere Schwerpunkte selbst. Wir sind eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Diese gibt vinkulierte Namensaktien aus. Das heißt, es ist uns bekannt, wem die Aktien gehören, und diese dürfen nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates der Regionalwert AG gehandelt werden.

Was ist eine »Bürgeraktie« und wie viele darf einE BürgerIn halten?

Alfred Schwendinger: Die Bürgeraktie kann nur eine Person – auch eine juristische Person – lösen. Wir zielen darauf ab, dass viele BürgerInnen jeweils wenige solcher Namensaktien halten und nicht nur zwei, drei wesentliche EigentümerInnen. Eine Beschränkung diesbezüglich wird in der Satzung festgelegt werden. Ein Vorbild könnte Deutschland sein, da liegt sie bei 20 Prozent.

Mit welcher Reaktion der Finanzmarktaufsicht wird gerechnet?

Andrea Heistinger: Das Konzept Regionalwert AG ist in Deutschland in Abstimmung mit der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht entstanden und ich gehe davon aus, dass auch die österreichische Finanzmarktaufsicht grünes Licht geben wird.

Wir legen Wert darauf, dass die Betriebe, in die investiert wird, betriebswirtschaftlich eigenständig agieren können – mit Kapital der Regionalwert AG. Wir sind keine Bank. Die Eigenkapitalquoten, die bei einem Betrieb für ein Investment durch die Regionalwert AG Voraussetzung sind, müssen erst festgelegt werden.

Wann gibt es Aktien?

Alfred Schwendinger: Wir streben an, Anfang September zu gründen und Anfang 2021 die ersten Aktien auszugeben. Eine Aktie wird 500 Euro plus Agio kosten.

Was sind die Parallelen und Unterschiede, die sich zum deutschen Vorbild abzeichnen?

Alfred Schwendinger: Ein Unterschied zur ersten Regionalwert AG, die vor 15 Jahren in Freiburg gegründet wurde, ist die große Anzahl unserer GründerInnen: fast 50. Bei der Grundstruktur der AG und den Kriterien für die Betriebe werden wir uns sehr an die deutschen Vorbilder anlehnen. Für mich ist es natürlich ein Ziel, mehr Einnahmen zu lukrieren – ob uns das gelingt, bleibt spannend. Was wir aber vermeiden wollen: dass vom Anlagekapital relativ viel für die laufenden Kosten – etwa die Personalkosten der Regionalwert AG – verwendet wird, statt als Investmentkapital.

Ich persönlich habe auch bei der Gemeinwohlgenossenschaft (Projekt »Bank für Gemeinwohl«, Anm. d. Red.) eingelegt – Das war eine wertvolle Erfahrung, aber die Einlage von 1000 Euro war dann nach ein paar Jahren nicht einmal mehr 500 Euro wert. Das kann uns auch passieren, das muss allen klar sein. Ich hoffe aber, dass unser Aufsichtsrat hier Grenzen einziehen wird, also dass zum Beispiel maximal 10 Prozent der Einlagen für den laufenden Betrieb aufgewendet werden dürfen.

Woran erkennen die Aktionäre, dass sinnvoll investiert wird?

Andrea Heistinger: Es gibt eine ausführliche Berichtspflicht, durch die ökologische und soziale Kriterien über von Christian Hiss entwickelte Kennzahlen Eingang in die Buchhaltung findet. Das heißt, wir schielen nicht nur auf die Rendite. Durch ein Schielen auf die Rendite kann man die Welt nicht ändern. Und: Eine Geldanlage in Form von Aktien einer Regionalwert AG ist keine Geldanlageform für den Notgroschen, in den ersten Jahren ist nicht mit einer monetären Rendite zu rechnen.

Schnelle Effekte gibt es an anderer Stelle,nämlich durch den Zuwachs an regionaler Versorgungssicherheit mit wertvollen Lebensmitteln aus artgerechter Tierhaltung und gesunden Böden durch die Schaffung von neuen Betrieben in der Biolebensmittelwirtschaft.

Wie werben Sie für Investments?

Alfred Schwendinger: Viele fragen: Ist das eine Spende oder ein Investment. Ich antworte: Es ist ein Investment, dass dazu dienen soll, mehr regionale, biologische Produkte in der Region auf den Teller zu kriegen. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern man muss an diese Produkte auch praktisch und unkompliziert herankommen.

Die Aktionäre werden in ein Miteinander mit den Unternehmen treten, mit dem Ziel, sukzessive zu einer Kostenwahrheit zu kommen: Es sollen die Kosten, die in einem Betrieb anfallen, um verantwortungsvoll zu wirtschaften, von den KonsumentInnen getragen werden. Regionalwert AGs sollten Übergangslösungen sein.

Alfred Schwendinger

Der Getreide- und Erdäpfelbauer in Maria Laach am Jauerling ist Biobauer seit 1984 und Betreiber vom EVI – Bioladen und Biorestaurant in Krems.

Mehr Information: regionalwert-ag.at

Das komplette Interview:

Biorama.eu/

Regionalwert-AG-krems

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of the same

Gemüsebäuerinnen und Gemüsebauern beleben ein altes Konzept wieder: das Konzept des Market Gardens, der die Region mit Gemüsevielfalt versorgt. Bis 2030 soll es in jedem größeren Ort Europas einen Market Garden geben.

Text

Irina Zelewitz

Unter Flächeninanspruchnahme wird der dauerhafte Verlust biologisch produktiven Bodens durch Verbauung für Siedlungs- und Verkehrsfläche verstanden. J unge Leute ohne familiären landwirtschaftlichen Hintergrund können sich, sofern sie nicht mit größeren Mengen Kapital ausgestattet sind, den Berufswunsch LandwirtIn eher abschminken, ein Trend geht Richtung Großbetrieb. Gleichzeitig wird landwirtschaftliche Nutzfläche durch den laufenden Flächenverlust einerseits, durch den Kauf von Land andererseits sukzessive knapper. Österreich liegt in Sachen Flächenversiegelungsgeschwindigkeit im europäischen Spitzenfeld.

Ein Ansatz sind Hofübergabebörsen, auf denen LandwirtInnen ohne familieninterne Nachfolge, externe NachfolgerInnen finden. Ein anderer, spezifisch für den Bereich Obst und Gemüse, ist das Konzept des Market Gardens. Auf Deutsch: Vielfaltsgärtnerei. Hier wird eine relativ kleine Fläche – etwa ein Hektar, statt 100 Hektar – sehr intensiv bewirtschaftet. Aber biologisch und für die Direktvermarktung. »Ich produziere nicht auf zehn Hektar Karotten, weil da bräuchte ich halb Österreich als KundInnen – sondern ich produziere nur in zwei oder drei Beeten Karotten und beliefere damit 150–250 Haushalte«, sagt der Absdorfer Market Gardener Alfred Grand. So kann ein lokaler Markt mit Gemüsevielfalt versorgt werden – in Direktvermarktung. Grand macht das durch das System Gemüsekisterl – er beliefert einen Umkreis von zehn Kilometern und möchte zeigen, dass nicht nur in den Städten, sondern auch in ländlichen Gegenden der Markt für Gemüse-Abos durchaus vorhanden ist. Spez ialisierung eng t ein Die Kleinheit bedingt die Direktvermarktung. Und wer groß ist und sich auf wenige Kulturen spezialisiert, muss den Handel beliefern und zu dessen Konditionen produzieren – und auch Handelsmargen miteinberechnen. »Wenn ich sieben Äpfelbäume habe, kann der Handel damit nichts anfangen, aber ich kann in jedes Biokisterl drei Äpfel geben. Und wenn die Äpfel nix werden, dann hab ich niemandem Äpfel versprochen«, erklärt Grand.

Was für die einen ein Nachteil ist – sich nicht aussuchen zu können, welches Gemüse man bekommt – ist für die anderen ein Vorteil – eine Entscheidung weniger treffen und Anregung zu bekommen, auch Gemüse und Obst zu verarbeiten, das man ansonsten vielleicht gar nicht erst kauft. Vor allem Familien könnten sich laut Grand für das System begeistern, weil das Kisterl Kindern Überraschungen biete und durch die mitgelieferten Rezepte anrege, Neues zu probieren. »Nicht jeder mag das. Aber manche Leute wissen die Zwangsbeglückung zu schätzen. Sie bekommen ein paar Tage vor der Lieferung Informationen über die Gemüsesorten, die sich im Kisterl befinden werden, per Mail.«

Einige der Market Gardener sind gut vernetzt und verfolgen ambitionierte Ziele. Grand ist einer von ihnen und erklärt: »Wir sind eine Initiative von Market Gardeners und das Ziel für Europa lautet: In jedem größeren Ort soll bis 2035 ein Market Garden stehen.« Mit den größeren Orten sind Orte wie Absdorf mit sei

Während die eine Kultur gerade reif wird, werden bereits Jungpflanzen, die für denselben Standort bestimmt sind, herangezogen – um auf kleiner Fläche hohe Erträge zu erzielen.

nen 2.000 EinwohnerInnen gemeint. Das soll nicht nur die Lebensmittelproduktion als Betätigungsfeld wieder zugänglicher machen, sondern durch den geringen Flächenverbrauch auch eine ganzjährige dezentrale Lebensmittelversorgung in Bioqualität ermöglichen.

Was ist drin, im Kisterl? Ein großes Biokistl kostet beim Team vom Grand Garten 20 Euro die Woche, das kleine 15 Euro. Im Schnitt bringt ein Kisterl also rund 1.000 Euro Umsatz im Jahr, seine 150 KundInnen erwerben bei ihm so Gemüse um 150.000 Euro. Dafür wird derzeit gut ein halber Hektar bewirtschaftet. »Als Startkapital für die Bewirtschaftung eines Hektars inklusive Pacht brauche ich in Österreich rund 50.000 Euro«, erklärt Grand. »Wenn man zu zweit ist und im ersten Jahr nichts für die eigene Arbeit entnimmt.«

Es ist das erste Jahr des Bestehens des Market Gardens in Absdorf. Im Juni 2019 erfolgte die Vermessung der auch zuvor schon landwirtschaftlich genutzten, gut einen Hektar großen Fläche, das Einzäunen gegen Gemüseraub durch Hasen und das Anlegen der Beete. Der Rest der Fläche soll folgen.

Forsch ung im Garten Der Absdorfer Market Garden unterscheidet sich von anderen, weil er ein Forschungsgarten ist. Hier sollen Erkenntnisse generiert werden, die zur Verbreitung der Idee beitragen. Die Beetbreite von 0,75 Metern und die -länge von rund 30 Metern sind beispielsweise auf das Konzept der Handarbeit mit Lowtech-Geräten abgestimmt. Welche Fruchtfolge optimal ist usw., das gehört erst systematisch erforscht.

Derzeit braucht es in diesem Market Garden vier bis fünf Vollzeitarbeitskräfte, Forschung und Erfahrung sollen schnelle Effizienzsteigerungen bringen – damit dieselbe Produktionsmenge von zwei bis drei Menschen erwirtschaftet werden kann.

Der »Market Garden« bezeichnet traditionell jenen Bereich der Gemüseanbauflächen, der zum Verkauf bewirtschaftet wurde.

Denn was mit dem Pflug bearbeitet wurde, war die Farm, alles was hingegen mit der Hacke bearbeitet wurde, war der Garten.

Alfred Grand ist Landwirt im niederösterreichischen Absdorf. »Nebenbei« beschäftigt er sich seit 20 Jahren mit Regenwürmern. Sein Forschungs- und Demonstrationsbauernhof hat drei Schwerpunkte: Bodengesundheit, Agroforst und Market Gardening.

Klare Ziele

Modellregionen des Klima- und Energiefonds wie Wagram entwickeln konkrete Projekte, um dem Klimawandel und seinen Folgen entgegenzuwirken.

Text

Martin Mühl

Klima- und Energiefonds

Mit seinen Förderungen und Initiativen unterstützt der Klima- und Energiefonds die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Klima- und Energieziele. Das Ziel ist die Entwicklung einer CO 2 -freien Wirtschaft und Gesellschaft, die Stärkung der Innovationskraft heimischer Unternehmen und die nachhaltige Nutzung regionaler Ressourcen. D ie Ziele sind eindeutig abgesteckt: Zum einen geht es um den kompletten Ausstieg aus fossiler Energie und damit auch um mehr regionale Unabhängigkeit. Zum anderen darum, Regionen dabei zu unterstützen, sich mittels Anpassungen vor den negativen Effekten des Klimawandels zu schützen und sich daraus ergebende Chancen – auch wirtschaftlich – zu nutzen. Die beiden Ziele werden jeweils von einem Programm des Klima- und Energiefonds gemeinsam mit dem bmk unterstützt. Seit 2009 gibt es insgesamt 96 Klimaund Energiemodellregionen (kems) und seit 2016 sind bereits 39 Klimawandel-Anpassungsmodellregionen (klar!) teil des Programms.

Die niederösterreichische Region Wagram mit den Gemeinden Absdorf, Fels am Wagram, Grafenwörth, Großriedenthal, Großweikersdorf, Kirchberg am Wagram, Königsbrunn am Wagram, Stetteldorf am Wagram und Tulln an der Donau ist Teil beider Programme. Die großen Themen in Wagram benennt Modellregionen-Manager Stefan Czamutzian: Das sind im Bereich klar! erstens Trockenheit und Hitze, zweitens die verlängerte Vegetationszeit und drittens der Niederschlag, der intensiver ausfällt und zu für die Landwirtschaft ungünstigen Zeiten. Als Energiemodellregion arbeitet man in den Bereichen Landwirtschaft und Humusaufbau, Mobilität und Energie. Die von der Region in konkreten Projekten umzusetzenden Arbeitsfelder sind damit zusammenhängend Gestaltung und Grünraum, Landwirtschaft und Weinbau, sowie Leben und Wohnen. Als kem beziehungsweise klar! gilt es dabei einen vom Klima- und Energiefonds vorgegeben Phasenplan von der Identifikation der Projekte über deren Umsetzung bis zur Evaluierung, Weiterführung und Kommunikation darüber (Disseminierung) zu durchlaufen.

Bew usstseinssch aff ung Als kem hat Wagram Projekte in der Landwirtschaft für sich definiert – wie etwa Landwirschaft 2.0 mit alternativen Ackerbaumethoden, Gärtnereien als grüne Kompetenzzentren, einen Fokus auf regionale Produkte oder mehrere Aspekte nachhaltiger Energiewirtschaft und erneuerbarer Energie. Als klar! geht es ganz praktisch unter anderem um die Gestaltung von öffentlichen Plätzen, um die Überprüfung, inwieweit Grünflächen klimarelevanten Zielen entsprechen, um Begrünungsmanagement im Weinbau, klimafittes Bauen und Wohnen, aber auch um klimaverträglichen Genuss. Teil der Projekte ist dabei die Bewusstseinsschaffung in der Bevölkerung vor Ort, die näherbringt und verständlicher macht, wie Wagram vom Klimawandel bereits direkt betroffen ist. Zumindest die Auftaktveranstaltung mit Marcus Wadsak als Gastredner wurde schon einmal gut angebommen.

Ruf der Wildnis

Kater Einstein ist eine von acht Hauskatzen, die Biologin Wimmer-S chmidt mit Sendern ausschickte.

Streunende Hauskatzen paaren sich auch mit der Europäischen Wildkatze. Das droht deren robusten Genpool zu verwässern.

Text

Thomas Weber

Massentigerhaltung

Ein ausführlicher Schwerpunkt auf biorama.eu widmet sich den ökologischen Auswirkungen der 600 Millionen Hauskatzen auf die Biodiversität. E instein, ein ortsbekannter Streuner – immer wieder fiel sein Name, als Stefanie Wimmer-Schmidt durch Mallersbach spazierte, um in der Bevölkerung nach Katzen zu fragen, die sie für ihre Diplomarbeit mit einem gps-Sender versehen könnte. »Einstein ist immer unterwegs«, hörte die Wildbiologin häufig. Der auffällige rot-weiße Kater sei allgegenwärtig. Vorschriftsgemäß kastriert zwar, doch mit seinen sechs Jahren weder Kätzchen, noch träge gewordener alter Kater. Damit stellt Einstein das ideale Versuchsobjekt für ihr Forschungsprojekt dar, das war der 30-Jährigen gleich klar. Als eine von acht Freigängerkatzen streifte Einstein mehrere Monate mit einem Sender am Halsband durch die Gegend. Vier der besenderten Tiere sind es gewohnt, durch eine Katzenklappe, wann immer sie wollen ins Freie zu gelangen. Sechs davon sind kastriert. Die Biologin möchte herausfinden, wohin es die Hauskatze (Felis catus) zieht, wenn sie ihr angestammtes Haus verlässt, und ob sich die Radien von kastrierten und unkastrierten Tieren unterscheiden.

Hybridkatzen durch Genf lusS Aus Sicht der Diplomandin ist Mallersbach keine x-beliebige Ortschaft. Es ist nicht nur die Heimat von Einstein, sondern auch das Hoheitsgebiet der Wildkatze. Lange galt die Wildkatze auch hier als ausgestorben. Doch seit 2007 weiß man, dass es im Gebiet des grenzüberschreitenden Nationalparks Thayatal-Podyjí wieder – oder noch – einzelne Tiere gibt. Sogar eine kleine Population des scheuen Wildtiers wird vermutet – ganz in der Nähe, wo Einstein und Elliot, Koda und Felix, die Kater Carlos und Flauschi, Jack und die Katze Ricky umherstreifen. Mit seinem Bestand aus mächtigen Buchen, Eichen und Hainbuchen, naturnahen Wiesen und schneearmen Wintern scheint das Grenzgebiet ideal für die störungsempfindliche Wildkatze. Von der Nationalparkverwaltung wurden zu ihrem Schutz Ruhezonen ausgewiesen. Solch ein Betretungsverbot ist Einstein und den anderen Hauskatzen naturgemäß einerlei. Erst recht wenn die Hormone in die Wildnis locken. Denn Haus- und Wildkatze unterscheiden sich zwar genetisch voneinander. Kreuzungen sind aber möglich – aus Sicht des Artenschutzes allerdings unerwünscht. »Die räumliche Überlappung von Haus- und Wildkatzen (Felis silvestris) und die dadurch bestehenden Gefahren für die Wildkatze im Nationalpark Thayatal« lautet der Titel von

Fotofallen und DN A-T ests des Nationalparks Thayatal zeigen, dass immer wieder Hauskatzen ins Wildkatzenrevier vordringen.

Wimmer-Schmidts Masterarbeit an der Universität für Bodenkultur. Von Anfang Dezember bis Ende April 2020 hat sie das Bewegungsverhalten der acht Hauskatzen über gps mitverfolgt. Bewusst im Winter, zur Paarungszeit der Wildkatzen. Als ÜberträgerInnen von Krankheiten sind Hauskatzen zwar das ganze Jahr über eine Bedrohung. Die vermutlich größte Gefahr für die Europäische Wildkatze ist aber genetischer Natur: die Kreuzung mit der Hauskatze. Die Forschung spricht von einer Hybridisierung und befürchtet, dass die erst von PhönizierInnen und RömerInnen nach Europa gebrachte Hauskatze das seit 300.000 Jahren hier lebende Wildtier genetisch verdrängt. Internationale Untersuchungen haben gezeigt, »dass der Genfluss primär von Haus- auf Wildkatzen läuft«. Soll heißen: Unkastrierte Hauskater bedrohen den Genpool der ohnehin bereits stark gefährdeten Wildkatze. Mischlingstieren geht beispielsweise das besonders dichte Fell, das größere Gehirn und die effizientere Verdauung der Wildkatze verloren. Und irgendwann ist die Wildkatze dann genetisch ganz ausgestorben.

Präven tion durch Kastration Für heuer ist die Ranzzeit der Wildkatzen vorüber, die Hauskatzen sind ihre Halsbänder wieder los und im besten Fall gibt es irgendwo im Dickicht ein, zwei Würfe junger wilder Kätzchen – ohne dass ein Hauskater mit im Spiel war. Stefanie Wimmer-Schmidt wird über den Sommer die Daten interpretieren. Einstein hat alle in ihn gesetzten Erwartungen gleichermaßen erfüllt und enttäuscht: Wie ganz Mallersbach vorhergesagt hatte, war der Kater ständig unterwegs. Doch die gps-Pins auf Google Earth zeigen, dass er dabei das Ortsgebiet nicht wirklich hinter sich ließ. Unwahrscheinlich, dass Einstein jemals wirklich mit einer Wildkatze in Kontakt war. Große Überraschung ist, wie sehr sich Verhalten und Streifgebiete der beiden unkastrierten Kater unterscheiden: Während es Koda oft tagelang weit hinaus auf die Felder zog, genügte Flauschi der zum Haus gehörende Garten.

Dass sich Haus- und Wildkatze prinzipiell begegnen können, sieht die Biologin mit ihrer Arbeit bereits bestätigt. Offensichtlich auch, »dass einige Katzen dann am weitesten weg und am meisten unterwegs sind, wenn ihre BesitzerInnen selbst nicht zu Hause sind«. Stellt sich als nächste Forschungsfrage, wie nah sich Wildkatzen ans Siedlungsgebiet heranwagen.

Wohin geht meine Katze?

Mit einem GPS Cat Tracker des oberösterreichischen Start-ups Tractive (Kosten: 50,– Euro) kann jedeR selbst beobachten, wo sich die eigene Katze herumtreibt.

tractive.com

Buchtipp:

»Katze allein zu Haus.

Wohn ung skatzen glück lich machen « von Heike Grotegut (Ulmer Verlag, 2020). Die aus dem TV bekannte Tierpsychologin zeigt, wie eine Katze ohne Schuldgefühle auch indoor gehalten werden kann.

Rückkehr zu den R eben

Unverkennbar: der Steinkauz mit seinen großen gelben Augen und dem weißen Überaugenstreifen. Im Weingarten macht er sich nützlich und Jagd auf Mäuse, er frisst aber auch Insekten.

Wie der bedrohte Steinkauz zuerst in den Weingärten und dann auf den Weinetiketten des Wagrams auftauchen soll.

Text

Thomas Weber

Bild

Josef Stefan S elbst gesehen hat Andy Ulzer den Steinkauz noch nicht. Auch das markante »Gjuuuuut« des Vogels ist ihm noch nicht untergekommen. Die Begeisterung des Winzers ist allerdings unüberhörbar, wenn er von den Eulen spricht – seinen Eulen –, die sich draußen in den Weingärten niedergelassen haben. Auch dass es gleich im ersten Jahr Nachwuchs gibt, hat er mit Freude vernommen. Das haben ihm die ForscherInnen erzählt, »die von der Vogeluni«, als sie vom Bruterfolg berichteten. »Ich bin leider gar nicht so oft draußen«, sagt der 33-Jährige. »Die Tiere haben die meiste Zeit einfach ihre Ruhe.« Die zwei Faust große Eule ist zwar nicht scheu und lebt teilweise tagaktiv. Theoretisch lässt sie sich leicht auch aus der Nähe beobachten, wenn sie exponiert über Reben und Obstbäumen Ausschau hält. Doch sie ist sehr selten geworden, auch hier am Wagram, wo sie früher überall anzutreffen war. Es fehlen alte Stadeln, hohe Bäume und Streuobstwiesen, Steinhaufen und Gstätten, in denen sie sich wohlfühlt. Im Weinbau sorgte außerdem eine vielerorts immer noch übliche Praxis für allumfassende Artenödnis: dass die Reihen zwischen den Rebstöcken durch regelmäßiges Ackern und Eggen frei von Bewuchs gehalten werden. Davon kom

men allerdings immer mehr WinzerInnen wieder ab. Denn wenn im Weingarten nichts außer Wein wächst, bleibt zwar alles Wasser für die Reben. Doch ohne Wurzelwerk und Pflanzendecke erodiert der Boden, und auch das Bodenleben verkümmert und wird abgeschwemmt. Deshalb lassen Weinbaubetriebe – sowohl biologisch zertifizierte, als auch konventionell wirtschaftende – die Fläche zwischen ihren Zeilen inzwischen wieder häufiger dauerhaft begrünt und durchgehend bewachsen. Damit wird diese auch für den Steinkauz als Lebensraum – wieder – attraktiv. Denn er bevorzugt und braucht eher niedrig gehaltene Vegetation, um erfolgreich Mäuse jagen zu können. »Die kurzrasigen Flächen sind eine Ersatzlandschaft für Flächen, die früher beweidet wurden. Sie sind für den Steinkauz, die Heidelerche und Turmdohlen ideal«, weiß Richard Zink, Forscher an der von der Vetmeduni Vienna betriebenen Außenstelle der Österreichischen Vogelwarte in Seebarn am Wagram. Ihn und seine KollegInnen meint Winzer Ulzer, wenn er von »denen von der Vogeluni« spricht. Als Fürsprecher von Steinkauz und Heidelerche haben sie »Rettet den Steinkauz«, eine ursprünglich von ehrenamtlichen BirdwatcherInnen betriebene Initiative, auch auf ein akademisches Fundament gestellt; professionelles Monitoring und Vogelberingung inklusive. Wie selten der Steinkauz geworden ist, gilt es erst herauszufinden. Vielleicht 120, höchstens 150 Brutpaare leben noch in Österreich, schätzt Richard Zink. Ziel ist es, diese Zahl in den nächsten 20 Jahren zu verdoppeln. Dafür braucht es zusammenhängende Flächen. Der Forscher betont deshalb, bewusst auch konventionelle Betriebe für Kooperationen gewinnen zu wollen.

Verbün det gegen die Mä useplage Die Zwillingsbrüder Andy und Mike Ulzer betonen zwar, auf Insektizide und Herbizide zu verzichten und »sehr naturnah« zu arbeiten, bio sind sie allerdings nicht. »Wir haben seit vielen Jahren keinen offenen Boden. Wir setzen auf Bodenbegrünung, düngen mit Pferdemist und haben eine der wenigen verbliebenen Weingartenhütten der Gegend«, erzählt Andy Ulzer. 3 mal 3 Meter Grundfläche, ein 70, vielleicht 80 Jahre alter Bretterverschlag inmitten von Grünem Veltliner und Riesling. Die Hütte mag alt und für die Brüder ohne Funktion sein. Gebraucht wird sie dennoch, und zwar vom Steinkauz. Er brütet zwar in Baumhöhlen, aber auch in offenen Bauwerken. Deshalb haben die Leute von der Vogeluni einen Nistkasten in der Hütte der Ulzers aufgehängt. Und dass es darin gleich im ersten Jahr Steinkauzküken gab, bestätigt ihre Arbeit. An die 100 Menschen wie die Ulzers unterstützen diese hier am Wagram: BesitzerInnen von Pferdeställen, HalterInnen von Schafen, SelbstversorgerInnen und WinzerInnen, die den Weinberg als artenvielfältigen Lebensraum verstehen. »Unser Ziel ist es, weder die Bewirtschaftung einzuschränken noch soll es Belastungen für die Bewirtschaftenden geben«, sagt Projektleiter Zink. »Neben dem Ziel, Trauben zu ernten, gibt es Biodiversität gewissermaßen als Nebenprodukt.« Die Ulzer-Brüder denken darüber nach, sich intensiver zu engagieren. Weitere Nistkästen, Stein- und Holzhaufen als Ruheplätze. »Wir haben auch schon mal angedacht, Schafe zur Beweidung einzusetzen. Nur ist uns noch nicht klar, was die Schafe für die Trauben bedeuten würden«, gesteht Andy Ulzer.

Wagram

Mächtige Geländestufe nördlich der Donau. Bezeichnet seit 2007 auch ein 2.720 Hektar umfassendes Weinbaugebiet (vormals als »Donauland« vermarktet), das auch die südlich gelegenen Weinorte des Tullnerfelds und Klosterneuburg umfasst.

Gehaltvolle, aromatische

Weine, geprägt von Löss und Flussschotter.

Wagram pur

Vogelschutzverein, der sich am Wagram und im Schmidatal um das Wohl

ergehen von Wiedehopf

und Steinkauz kümmert, z. B. durch das Anbringen von Nistkästen. Dokumentiert wird die Arbeit von Josef Stefan, 2004 als »BB C Wildlife Photographer of the Year« ausgezeichnet.

wagrampur.at

Das Revier eines Kauzpärchen hat nur die Größe eines Fußballfeldes. Um langfristig zu überleben, braucht der Steinkauz aber größere zusammenhängende Flächen, weil die Jungvögel nicht weit abwandern.

Extensive Beweidung wäre aus Sicht der Artenvielfalt ideal. Sie steht für eine urtümliche Wirtschaftsweise, die in Kreisläufen denkt, und die ursprüngliche Vielfalt der Kulturlandschaft auch am Wagram erst ermöglicht hat. Gleichzeitig würden Schafe den Brüdern jede Menge Arbeit abnehmen. Denn das Grün zwischen den Rebzeilen muss alle fünf bis sechs Wochen gemäht werden. Auch der Steinkauz selbst könnte sich nicht nur beim Mäusefangen als nützlich erweisen.

Eine genüg same Art schü tzen Andy Ulzer denkt für seinen Veltliner und den Riesling bereits über »eine Sonderlinie mit der Eule am Etikett der Flaschen« nach. Für die Menschen von der Vogeluni wäre es der Idealfall, würde die bedrohte Art solcherart sichtbar gemacht werden. Dann ließe sich in angenehmer Atmosphäre beim Trinken Bewusstsein für Biodiversität schaffen. »Vielleicht«, sinniert Richard Zink, »zahlt dann der eine oder die andere auch einen Euro mehr für den Artenschutz.« Garant dafür ist freilich auch

»Es wäre uns ein Anliegen, wenn es der Steinkauz auch auf die Emblems der Weinflaschen schafft.

Vielleicht zahlt dann der eine oder die andere auch einen Euro mehr für den Artenschutz.«

— Richard Zink, Österreichische

Vogelwarte / Vetmeduni Vienna

eine Eule am Etikett keiner. Wirkliche Vielfalt braucht der Steinkauz nicht. Dem Kauz reicht kurzes Gras, weiß der Forscher: »Im Grunde genügen ihm schon zwei verschiedene Grasarten.« Wirkliche Vielfalt sieht man im Weingarten jedenfalls auf den ersten Blick. Am Etikett ist sie durch eine Bio- oder besser noch durch eine Demeter-Zertifizierung markiert.

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