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IMPACT ALS PFLICHTFACH

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WOFÜR STEHT …

WOFÜR STEHT …

Wien macht soziale und ökologische Auswirkungen zum Thema in jeder Gründungsberatung und Förderung. Berlin stärkt Social Business.

Laut Austrian Start-up-Monitor haben 49% der im Jahr 2022 gegründeten Start-ups ökologische oder gesellschaftliche Ziele oder beides als Kern ihres UnternehmerInnentums definiert. Dementsprechend stellen 51 % der Gründungen die Verbesserung eines gesellschaftlichen oder ökologischen Problems nicht an die erste Stelle. Doch auch deren unternehmerisches Handeln hat Auswirkungen – ganz konkret zum Beispiel auf die CO 2 -Emissionen. Die Wirtschaftsagentur Wien macht die Beschäftigung mit der sozialen und ökologischen Wirkung des zukünftigen Unternehmens deswegen nun zum Pflichtfach in ihrer Gründungsberatung. Unter anderem auch, weil Wien es sich zum

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Ziel gesetzt hat 2040 klimaneutral zu sein oder weil neue Regularien, die bereits in Kraft sind oder noch verhandelt werden, wie die EU-Taxonomie oder auch Lieferkettengesetze, die Unternehmen zunehmend in die Pflicht nehmen. Und zwar mittelfristig und als LieferantInnen nicht nur die Großen. Auch eine Finanzierung und deren Konditionen wird sich immer mehr zumindest auch an diesen Kriterien orientieren.

»Bei allen unseren Angeboten für GründerInnen und Start-ups wird nun das Thema Impact behandelt, im Founders Lab gibt es die so genannte Impact Journey verpflichtend«, erzählt Gabriele Tatzberger, Director Startup Services bei der Wirtschaftsagentur

Verified Social Enterprise

Seit Dezember 2022 können sich Unternehmen in Österreich als »Verified Social Entprise« registrieren und diesen Status von externer Stelle kontrolliert ausweisen.

Wien: »Am Ende eines Gründungsstipendiums müssen die TeilnehmerInnen nach sechs Monaten einen Finanzplan und eine Impactbeilage abgeben.« Mehr als 1000 TeilnehmerInnen betrifft das pro Jahr und schon in Orientierungsgesprächen soll es nicht nur um wirtschaftliche Fragen oder die künftige Gesellschaftsform gehen, sondern eben auch um Fragen zur sozialen und ökologischen Wirkung. Für mehr Tiefe kann die Wirtschaftsagentur entsprechende ExpertInnen und weiterführende Angebote empfehlen. In ihrem »Impact Assessment Technologie Report« sammelt sie viele Fakten zu den geltenden und kommenden internationalen Regularien und stellt Tools vor, mit denen Unternehmen ihr Wirken und ihren Fußabdruck berechnen können.

Ausweitung Auf Das Gesamte F Rderprogramm

macht haben.« Gabriele Tatzberger vermutet, dass es manche nicht ganz so ernst nehmen könnten mit dem Impact und warnt vor negativen Folgen: »Wir werden auch Greenwashing erleben. Aber ›If you claim it, you have to prove it‹ muss gelten, sonst gibt es einen Imageschaden.«

St Rkung Der Gemeinwohl Konomie

Berlin und dort die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe unterstützt aktuell viele Organisationen, Netzwerke und Events,

Ökologische Ausrichtung

Laut dem 4. Deutschen Social Entrepreneurship Monitor (2022) arbeiten 88,9 % der deutschen Social Enterprises mehr als einem der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu. 55,4 % adressieren direkt ökologische Zielstellungen.

Plan der Wirtschaftsagentur Wien ist es auch, diesen Zugang ab 2024 im gesamten Förderprogramm zu verankern: »Wir wollen diese Themen in die Förderprogramme integrieren. Ziel muss es sein, keine Projekte zu unterstützen, die sozialen oder ökologischen Schaden anrichten und umgekehrt sollen Unternehmen und Projekte, die diese Themen berücksichtigen eine bessere Bewertung in den Calls bekommen«, skizziert Gabriele Tatzberger künftige Beurteilungskriterien. Die Wirtschaftsagentur Wien ist überzeugt, dass sich dieser Zugang auch für die Unternehmen selbst auszahlt: »Es ist ein Marktvorteil, wenn man ein nachhaltigeres Produkt als das marktübliche hat. Hier ergibt sich ein riesiger Markt, der zu nutzen ist. Ein Beispiel sind Immobilien: der Energieplus-Standard zeigt, wie man etwas mit Impact machen kann und sich dadurch auf lange Sicht viel Geld spart.« Entwickelt werden diese Richtlinien und Programme im Austausch mit Hochschulen, Fachhochschulen und Interessensgruppen, auch bei der Vermittlung wird auf Vernetzung gesetzt: »Wir sind nicht immer die Richtigen, aber wir wissen, wer helfen kann. Das meint sowohl gezielte Fachexpertise als auch GründerInnen, die den Prozess bereits durchge-

— Gabriele Tatzberger, Wirtschaftsagentur Wien

die das Ziel haben Social Entrepreneurship voran zu bringen. Einer der zentralen Hubs dafür ist Social Economy Berlin, eine Plattform, die viel an Information oder auch Kontakte zu Beratungsstellen bietet und erst Mitte Juli 2023 in Berlin die zweitägige Social Economy Berlin Konferenz mit Keynotes, Podiumsdiskussionen, Workshops und auch einem Pitch-Karussell veranstaltet hat. Im November 2022 wurde die neue Start-up Agenda 2026 für Berlin präsentiert, die ebenfalls die Förderung von Impact-Start-ups als eines von fünf Fokusfeldern definiert. Für ganz Deutschland gibt es die »React with Impact«-Förderung die darauf abzielt gemeinwohlorientierte Unternehmen und Start-ups zu stärken.

Aktuell bezieht sich diese Unterstützung in erster Linie auf Personen und Organisationen, die gezielt gesellschaftliche und ökologische Verbesserungen zum Kern und Fokus ihrer Tätigkeit machen.

Wiener Feinkost Brigittenauer Weizenwurst

Die Manufaktur Hiel ist eigentlich ein Bio-vegan-Pionier, verkauft ihre Produkte dennoch als »vegetarische Feinkost«.

Das Gassenlokal in der Brigittenau als geräumig zu bezeichnen, wäre übertrieben. Trotzdem ist verhältnismäßig viel Platz, seit ein Teil der Produktion ins nahegelegene Niederösterreich verlegt wurde. Auf den 100 Quadratmetern in der Stadt wird Seitan hergestellt, also verarbeitetes Weizenprotein, »und in Korneuburg alles, was wir in Gläser abfüllen«, erklärt Richard Hiel (41). Die Wiener Produktionsstätte ist unscheinbar wie sich auch die Produkte von Hiel gestalterisch zurückhalten. »Unser Verkaufsargument soll der Geschmack sein.« Auch dass die Produkte vegan sind, bleibt dezent. Sogar die Beschreibung »Vegetarische Feinkost« führt man weiter im Firmennamen; vielleicht aus Nostalgie. Als Vater Peter Hiel (67) 1988 erste Aufstriche herstellte, wären sowohl bio als auch vegetarisch neu gewesen. »Die Produkte waren vegan, aber das war in den 80ern kein Thema.« Heute liefert Hiel seine Seitanwürste und Aufstriche an Heurige, Bio- und Feinkostläden, neun MitarbeiterInnen erwirtschaften einen Umsatz von 800.000 Euro. Vom Vegan-Boom profitiere man schon. Von vielem, was Supermärkte diesbezüglich anbieten, grenzt man sich aber ab. »Ich sehe viele konstruierte Produkte, Hochverarbeitetes, das – weil nicht bio – auf Aromen und Zusatzstoffe setzt«, sagt Hiel, ganz Purist.

THOMAS WEBER hiel.at

BRANDENBURGER ANTRIEB E-MOTORRAD AUS BERLIN

Erockit will mit über 100 km/h und 120 km Reichweite die Welt erobern.

In einem ehemaligen Stahlwerk im Nordwesten Berlins, schon in Brandenburg, im Gewerbehof Nord in Henningsdorf, wurde das Erockit entwickelt und dort wird es auch derzeit noch gebaut. Ein elektrisches angetriebenes Motorrad, dessen Geschwindigkeit wie bei einem Fahrrad über Pedale gesteuert wird, das aber so innerhalb weniger Sekunden auf über 100 km/h beschleunigt werden kann. Und auf der Autobahn gefahren werden darf. Das Erockit soll mit einer Reichweite von über 120 Kilometern den Pendlerverkehr nicht nur elektrifizieren, sondern als Zweirad deutlich weniger Platz und Energie verbrauchen. Begeistert zeigen sich nicht nur das Team (darunter Ex-Manager von Pininfarina oder auch Tesla), sondern auch halbwegs prominente Investoren. Kleinaktionäre können online noch einsteigen, der indische Großinvestor Motovolt könnte dafür sorgen, dass die Produktion international aufgestellt wird, skaliert und künftig einen Einstiegspreis deutlich unter den derzeit rund 13.000 Euro möglich macht. Kaufen kann man ein Erockit, von dem aktuell einige hundert Stück jährlich nördlich von Berlin gefertigt werden aber schon. Das reduzierte Retro-Design ist gelungen und sorgt nicht nur für Blicke, wenn man damit auf der Autobahn mit über 100 km/h radelt.

erockit.de

Berliner Kunst Brotkulturfetischismus

Neuköllner Biobackkunst aus einer gläsernen Backstube mit Einsatz für Brotkultur und Sozialem.

Seit 2011 verköstigt »Endorphina Backkunst« Neuköln mit Biobrot und Biokleingebäck. 80 Tonnen brandenbrugisches Biogetreide werden dafür in Neukölln auch gemahlen – Dinkel, Roggen und Weizen. Gebacken wird in der Gläsernen Backstube in der Elsenstraße 52 in Neukölln vom Nachmittag bis in die frühen Morgenstunden. Die Bäckerei ist Teil der Slow-Food-Bewegung. Besonders die köstlichen süßen Schnecken, Scones oder auch Sauerteigbrote sind einen Besuch der Bäckerei wert. Nicht ganz zufällig wird hier von Kunst gesprochen, denn »Endorphina Backkunst« setzt sich auch für den Erhalt der deutschen Brotkultur, die auch Unesco-Weltkulturerbe ist, ein. Die 30 MitarbeiterInnen aus insgesamt sieben Nationen erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund einer Million Euro und verschreiben sich dabei nicht nur der Endorphinproduktion, sondern auch dem Kiezzusammenhalt – unter anderem als »bester Ausbildungsbetrieb deutschlandweit« (gekürt 2019). Nicht nur Praktikumsplätze, sondern auch Backkurse für Kitas und Schulen werden angeboten.

Der Hunger auf Endorphina-Backwaren kann in der Backstube in Berlin-Neukölln wie an zahlreichen Wochen- und Biomärkten berlinweit gestillt werden. Auch das Hofcafé ist einen Besuch wert, allerdings leider nicht biozertifizierrt.

DORIS MÜLLNER

endorphina.de

BERLINER BACKWAREN VOLLWERT-KOLLEKTIV

Mit hochwertigen Zutaten aus der Neuköllner Backstube versorgt der Mehlwurm Berlin mit Backwaren.

Bereits seit vier Jahrzenten ist die Bäckerei »Mehlwurm« eine Institution in Berlin-Neukölln und gilt damit als eine der ältesten Biobäckereien der Stadt. Das 1983 gegründete Kollektiv aus der linksalternativen Szene hebt sich nicht nur in seiner Führungsform von anderen Bäckereien ab, sondern auch durch die Wahl und Qualität der Zutaten. Wenn möglich wird ohne Hefe gebacken und der selbst angesetzte Natursauerteig verwendet. Auf künstliche Backhilfen wird verzichtet. Das Brotgetreide wird in der Backstube in der Pannierstraße 2 gemahlen – und das schmeckt man auch – Von leckeren Dinkelbrötchen, über Karottenbrote und Spinatstrudeln bis hin zum veganen Franzbrötchen und der umfangreichen Kuchentheke. Für die Sparfüchse gibt es auch Backwaren vom Vortrag zum reduzierten Preis. Im Team aus 26 MitarbeiterInnen wird großer Wert auf ein harmonisches Miteinander gelegt und betont, dass flache Hierarchien gelten und alle überall mitzureden haben. Im Geschäft in Neukölln herrschte jedenfalls bei den bisherigen Besuchen der Autorin jedes Mal auffällig gute Stimmung.

Die Biobackwaren können vor Ort in Neukölln, in der Marheineke Markthalle in Kreuzberg oder samstags am Boxhagener Markt in Friedrichshain sowie in diversen Biosupermärkten erworben werden.

mehlwurm.de

DORIS MÜLLNER

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