128 Farben. Ein Musterbuch für Architekten, Denkmalpfleger und Gestalter

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6 Einleitung Kapitel 1

16 WeiĂ&#x;e Farben Kapitel 2

52 Graue und schwarze Farben Kapitel 3

76 Umbren Kapitel 4

102 Bronzen und Metallics Kapitel 5

112 Gelbe Farben Kapitel 6

126 Ocker Kapitel 7

146 Orange Farben Kapitel 8

162 Rote Farben Kapitel 9

180 Rote Ocker und braune Farben Kapitel 10

200 Karmin, Violett und Purpur Kapitel 11

224 Blaue Farben Kapitel 12

262 GrĂźne Farben

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Einleitung Vor einigen Jahren gründeten Susanne Hürlimann und ich eine kleine Farbenmanufaktur. Die grundlegende Frage, die sich uns zuallererst stellte, war eine unternehmensphilosophische mit ökonomischen Folgen: welche Farben wollten wir produzieren? Dass es Farben für die Architektur, für Innenräume und Fassaden sein sollten, das war bald klar. Aber welche? Während einer meiner zahlreichen Literaturrecherchen stieß ich 1997 auf eine mit Originalfarbmustern bestückte Neuauflage der Farbenklaviaturen von Le Corbusier aus den 1930er und 1950er Jahren. Seine Polychromie architecturale 1 war damals weitgehend unbekannt. Die Schönheit der Farbmuster, die Begrenzung der Nuancen auf die überschaubare Anzahl von 63 und der Name Le Corbusier als Zugpferd ließen mich den Weg nach Paris zum Sitz der Fondation Le Corbusier, der Nachlassverwalterin Le Corbusiers, antreten. Die Fondation Le Corbusier erteilte unserer kleinen Firma die Berechtigung zur Produktion der Farben Le Corbusiers – trotz einiger Konkurrenz durch finanzkräftige Produzenten, wie sich später herausstellen sollte. Für mich war dies der Anfang einer bis heute andauernden Abenteuerreise in die Geschichte der Farbe in der Architektur. Das vorliegende Buch ist ein Ergebnis dieser Unternehmung. Im Verlaufe meiner Forschungs- und Farbrekonstruktionsarbeiten wurde mir deutlich, dass Farben heute anders interpretiert und gemischt werden als bis 1950. In folgenden Aspekten unterscheiden sich die Farben der frühen Moderne von den heute verwendeten Baufarben: 1 Arthur Rüegg (Hg.), Polychromie architecturale. Le Corbusiers Farbenklaviaturen von 1931 und 1959 / Le Corbusier’s Color Keyboards from 1931 and 1959 / Les claviers de couleurs de Le Corbusier de 1931 et de 1959, Basel, Boston, Berlin 1997 (Neuauflage 2006).

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– Die Wahl der Pigmente: Ästhetik wich Effizienz, jede Farbe inklusive Weiß ist heute greller und reiner als früher. – Die Systematisierung: Farbe wird heute nach ihrer Bemessung im sichtbaren Wellenlängen-Bereich von 400 und 700 nm definiert, systematisiert und auf den Messwert reduziert. – Die Benennung: Ziffernfolgen, welche numerische oder quantitative Lagen auf einem virtuellen Farbkörper festlegen, ersetzen sinnstiftende Namen, wie «Himmelblau», oder Herkunftsbezeichnungen wie «Venezianischrot» oder «Beinschwarz» (ein Pigment aus kalzinierten Knochen). – Die Bedeutung der Psychologie: war es etwa vor 1950 noch die ästhetisch-räumliche Wirkung einer Farbe, die über ihren Einsatz bestimmte, so wurden die Ergebnisse der Wahrnehmungspsychologie nach 1950 zum Entscheidungsfaktor schlechthin. – Die Berufung auf die Tradition in der Architektur und in der Malerei: heute reflektiert das industrielle Farbangebot die Machbarkeit, die sich aus dem zu erzielenden Preis herleitet. Einer gewachsenen künstlerischen Tradition wird keine Bedeutung zugemessen. Das vorliegende Buch stellt Farben vor, die sich in all diesen Punkten auf die ältere Tradition der Ästhetik berufen. Es ist eine Zusammenstellung von 128 Farben, die über einen besonderen Gebrauchswert für Architektur, Innenarchitektur, Denkmalpflege und Gestaltung verfügen. Die Reproduktion der Farben ist aufwändig im Vier-Farben-Druck vorgenommen worden und beruht auf den hochpigmentierten Farben des Aniva®-Druckverfahrens. Zusätzlich wurden acht Sonderfarben gedruckt. Jede Farbe wird mit ihrem Ursprung oder «Erfinder» belegt, und es wird ihre spezifische Verwendungsgeschichte, die sie von allen anderen Farben unterscheidet, erzählt. Entstanden ist ein «Musterbuch» mit den Kulturgeschichten von 128 Farben, welche sich durchaus industriell produzieren lassen, ihre Herstellung ist jedoch, wie auch der Druck des Buchs zeigte, aufwändiger als die konventionelle Farbherstellung. Die Einleitung in dieses Buch sowie auch die thematischen Einführungen in jedes der Farbkapitel geben erste theoretische Grundlagen in die relevanten Fragen des Farbgebrauchs für Architekten, Innenarchitekten, Denkmalpfleger und Gestalter. Das in Vorbereitung befindliche Handbuch Farbe als Material bearbeitet die einzelnen Themen ausführlich.2 2 Katrin Trautwein, Farbe als Material. Ein Handbuch für Architekten, Denkmalpfleger und Gestalter, im Birkhäuser Verlag in Vorbereitung, Erscheinungstermin geplant für 2011.

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Die Wahl der Pigmente Ein kurzer Rückblick auf die Herkunft der am Bau verwendeten Farben zeigt, dass diese heute nach anderen Maßstäben gewählt werden als bis etwa 1920. Zu Beginn der Industrialisierung war Farbe der Gegenstand rein ästhetischer Auseinandersetzungen, und die Grenzen der Verwendbarkeit wurden in erster Linie durch die Verfügbarkeit der farbgebenden Pigmente gesetzt. Der Diskurs fand zwischen dem Architekten, dem Bauherrn und dem Handwerker statt, welcher die Pigmente und Bindemittel selbst zu Farben verarbeitete. Im Zuge der Industrialisierung überfluteten neu entwickelte Pigmente wie etwa Kobaltgrün, Marsgelb und Heliogenblau den Markt. Neue technische Fertigungsverfahren ermöglichten günstigere Preise. Der Prozess der Farbenherstellung in den neuen Fabriken, ein ökonomisch geprägter Vorgang, wurde der ästhetischen Entscheidung vorgeschaltet. Chemiker und Fabrikgründer sind selten die besten Hüter der Ästhetik, die Folge davon war, dass die Farbenauswahl beziehungsweise die eingesetzten Pigmente etappenweise effizienter, reiner und greller wurden. Ein Vorgang, der in letzter Konsequenz bis heute andauert.

Die Systematisierung Noch etwas war bereits sehr früh hinzugekommen und ließ den Diskurs um die Farbenwahl abstrakter werden: die um 1900 entwickelten Farbordnungssysteme von Albert Henry Munsell ( 1858–1918) und Wilhelm Ostwald (1853–1932 ).3 Sie sollten einerseits eine Systematik und einheitliche Nomenklatur in die industrielle Vielfalt der Farben bringen, andererseits lieferten sie eine Systematik für die Herstellung von einer großen Anzahl Farben aus nur wenigen Grundfarben. Aber die häufig gemachte Aussage, man könne alle Farben einem Farbordnungssystem zuweisen, ist unhaltbar.4 Da diese Farbsystematisierungen sich perfekt zu Mischanleitungen mit Normpigmenten automatisieren ließen, boten sie neue Möglichkeiten der Rationalisierung. Die Modelle der Farbsysteme von Ostwald und Munsell beruhen auf Dreiecken mit Farbflächen. Schwarz, Weiß und jeweils eine Vollfarbe bilden die drei Eckwerte, zwischen ihnen befinden sich die abgestuften Mischfarben. Diese Dreiecke werden um eine Mittelachse hochkantig angeordnet, und zwar so, dass sie einen Farbenkreis bilden mit den gesättigten Vollfarben am äußeren Rand und einer senkrechten Schwarz-Weiß-Achse als verbindende Mitte 3 Narciso Silvestrini, Ernst-Peter Fischer und Klaus Stromer ( Hg.), Farbsysteme in Kunst und Wissenschaft, Köln 1998. 4 Friedrich Schmuck, «Farbsysteme und Farbordnungen», in: Farbe und Architektur, hrsg. von Rainer Wick, (=Kunstforum International 57[1]) 1983, S. 163–180.

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aller Dreiecke. Alle Dreiecke zusammen bilden so einen dreidimensionalen Farbkörper. Horizontal verlaufen eine Rot-Grün- und eine Gelb-Blau-Achse durch seine Mitte. Ausgehend von diesen Farbordnungssystemen war der Weg zu einer materiellen Reduktion auf jene Stoffgruppe der Pigmente kurz, die sich durch ihre Farbstärke und Reinheit für solche Zusammensetzungen am besten eigneten. Man suchte und fand Pigmente, die sich möglichst monochrom verhielten, also ein blaues Pigment, das möglichst blau und nicht außerdem rötlich oder grünlich ist. Farbordnungssysteme zerlegen eine rubinrote Farbe beispielsweise in eine Mischung aus Schwarz, Weiß und einem Rot mit Blauanteil. Hellblau kann sich zusammensetzen aus: – Blau und Weiß (Hellblau rein) – Blau mit Schwarz und Weiß (Hellblau trübe) – Blau mit Grün, Schwarz und Weiß (Hellblau trübe mit Grünstich) – Blau mit Rot, Schwarz und Weiß (Hellblau trübe mit Violettstich). Aus rechnerischen Gründen kann das helle Blau nicht gleichzeitig einen Rot- und einen Grünanteil haben. Jede Farbe setzt sich mithilfe solcher Farbordnungssystemen aus maximal zwei von vier möglichen bunten und zwei unbunten Farben zusammen. Wir werden sehen, dass sich die Farben in der Natur stets aus allen sechs Farbwerten zusammensetzen. Will man die Tiefe und harmonische Wirkung der Farben aus der Natur mit Pigmenten erreichen, muss man die Farbmisch-Software überlisten und die fehlenden Farbwerte über komplementäre Mischungen (Grün zu Rot, Violett zu Gelb, Orange zu Türkis usw.) beimengen. Farbsysteme alleine leisten das nicht.

Die Benennung Die Lage einer Farbe auf einem Farbkörper lässt sich mit drei Koordinaten beschreiben: im Fall des Rubinrots legen diese erstens den Abstand des Rubinrots zu reinem Rot am Rande des Farbkreises fest, zweitens definieren sie den Abstand zur unbunten Mitte und drittens die Helligkeit bzw. Höhe auf der Schwarz-Weiß-Achse. Die sich aus solch einem Farbsystem ergebenden Vorteile liegen in der Ermöglichung einer eindeutigen Kommunikation und in der gradlinigen Übersetzbarkeit sowohl in Rezeptierungs-Software als auch von einem Farbraum in einen anderen. So können beispielsweise die

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Farbkoordinaten des Natural Colour Systems (NCS) in RGB-Bildschirm- oder CMYK-Druckfarbenkoordinaten übersetzt werden. Die Lage auf dem Farbkörper des NCS-Farbsystems wird rechnerisch übersetzt in eine Lage auf einem zweiten Farbkörper, dem ein anderes Farbordnungssystem zugrunde liegt. Kulturelle und materielle Bezüge werden mit diesen farbtechnisch eingeschränkten Lagebezeichnungen unbedeutend, sinnliche Bezüge über Farbnamen (wie «Sametschwarz» für eine bestimmte schwarze Farbe) entfallen. Reproduzierbarkeit ist das Ziel dieser Farbkultur, nicht Ästhetik. Dass eine stets wachsende Anzahl von Nuancen tatsächlich aus immer weniger Pigmenten ausgemischt wurde, war den wenigsten bewusst, denn der Farbendiskurs hat sich stufenweise immer weiter von dem ihm ursprünglich zugrunde liegenden Farbmaterial entfernt. Die tiefer werdende Kluft zwischen Farbmaterial und Farbwissen wurde erst mit dem Ergebnis der räumlichen Umsetzung deutlich sichtbar, mit der zunehmend grellen, stumpfen, flachen oder künstlichen Wirkung der Wand- und Fassadenfarben in unserer gebauten und gestalteten Umwelt.

Die Bedeutung der Psychologie Ästhetische Überlegungen werden freilich noch immer angestellt, doch richten sie sich nicht mehr nach der Raumwirkung des Farbmaterials – da dieses Wissen größtenteils nicht mehr vorhanden ist. Wahrnehmungspsychologische Studien machten angeblich fundierte Aussagen zu Farbwirkungen, diese wurden dann den Positionen auf den Farbkörpern zugewiesen. Die Psychologisierung der entmaterialisierten Farbe belegte Normfarben wieder mit einer Bedeutung. Eine Vielzahl von Büchern fasst die Ergebnisse zahlreicher Studien zusammen und benennt die verallgemeinerten Farbwirkungen, die sich seit den 1950er Jahren als die ausschlaggebenden Kriterien für die Farbenwahl etabliert haben.5 Aussagen wie «Farben lösen automatisch unbewusste Reaktionen und Assoziationen aus (die teilweise archetypisch, d.h. angeboren und deswegen grundlegend sind): Blau beruhigt, Rot wirkt anregend bis aggressiv, Gelb hemmt Ängste» 6, sollten Orientierung bieten. Solche Aussagen sind zwar nicht unbegründet, sie sind aber undifferenziert und reflektieren einen ungenauen Sprachgebrauch. Ein tiefes Blau aus Ultramarin ist beispielsweise nicht beruhigend. «Blau» ist, wie sich hier zeigt, ein abstrakter und zu weit gefasster Begriff. Welches Blau 5 Drei aktuelle Beispiele: Eva Heller, Wie Farben wirken. Farbpsychologie, Farbsymbolik, kreative Farbgestaltung, Reinbek bei Hamburg 2004. Ingrid Riedel, Farben. In Religion, Gesellschaft, Kunst und Psychotherapie, Stuttgart 2009. Klausbernd Vollmar, Farben. Symbolik – Wirkung – Deutung, München 2009. 6 Klausbernd Vollmar, a.a.O., S. 15.

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also ist es, das die erwähnte Farbassoziation unter welchen Licht- und benachbarten Farbbedingungen auslöst? Antworten auf diese und ähnliche Fragen bieten Architekten und Gestaltern echte Orientierung. Verallgemeinerungen über Farbwirkungen eines ganzen Farbbereichs, wie oben anhand des Beispiels von Blau beschrieben, sind das Ergebnis einer Vernachlässigung der Beziehungen zwischen Farbmaterial und Farbwahrnehmung. Weil das Material aus dem Blickwinkel geraten ist, werden Empfindungen nun Begriffe wie «blau» auferlegt. In modernen Gestaltungslehren wird die Kommunikation, ein Akt der quantitativen Zerlegung, mit der Wahrnehmung, also einem Sinnesvorgang, gleichgesetzt. Die Empfindung, die das unbeachtete Material auslöst, bleibt bis zur eigentlichen Ausführung unbekannt. Die Empfindung des Subjekts und die Farbe als Objekt lassen sich nicht voneinander trennen – das war Goethes große Erkenntnis. Er erkannte als Erster, dass man dem Potenzial der Farbe nicht gerecht wird, sofern man diese nicht umfassend in ihrem komplexen Kontext von Bedeutungen betrachtet. Die kontextabhängigen Bedeutungen umfassen eine rein subjektive (was finde ich schön?), eine kulturell geprägte intersubjektive (welche Erfahrungen gibt es mit der Farbe?) und eine objektive (was ist messbar?) Ebene. Eine Farbenauswahl, die sich, wie heute geschehen, nur auf das Messbare stützt, birgt in sich das Risiko der Beliebigkeit.

Traditionen in der Architektur und in der Malerei Der Weg zurück aus einer Welt der beliebigen Farben führt wieder zum Farbmaterial und seiner Geschichte. In diesem Sinn ist das vorliegende Buch ein Plädoyer für eine materialgerechte Auseinandersetzung mit Farbe. Was geschieht, wenn Farben wieder aufgrund von Überlegungen zum Material und der Geschichte ihres Gebrauchs verwendet werden ? Die hier präsentierte Zusammenstellung von Farben berücksichtigt die jeweilige kulturelle Bedeutung und Wertschätzung, wie sie aus der menschlichen Bemühung um poetische und wirkungsvolle Farben gewachsen ist. Manche Farben entfalten durch ihr Spiel mit dem Licht eine einzigartige Wirkung an der Fläche. Sie liegt im Pigment begründet. Die Schwefelteilchen im Kristallkern des Ultramarinblaus zum Beispiel verwandeln unsichtbares ultraviolettes Licht in eine unverwechselbare blaue Farbe. Darum leuchtet Ultramarinblau auch im Schatten. Ultramarinblau, Ultramaringrün,

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Pariserblau, die Farben aus Bronzen und Zinnoberrot sind Beispiele für einzigartige Farb-Licht-Wechselwirkungen, die sie bedeutsam und unersetzbar machen für den Farbgestalter. Bezeichnenderweise fallen sie alle aus dem Rahmen der konventionellen Farbordnungssysteme, sie gehören aber in dieses Buch. Alle Farben in diesem Buch erfüllen mehrere der folgenden Kriterien: – Sie werden aus Pigmenten hergestellt, die im Zusammenspiel mit Licht eine besondere Wirkung entfalten. – Sie sind kulturhistorisch wichtig, ihre Verwendung ist aus Zeiten belegt, in denen der Farbästhetik ein hoher Stellenwert eingeräumt wurde. – Sie entfalten im Raum eine bemerkenswerte, von anderen Farben nicht imitierbare Qualität und damit eine besondere physiologische Wirkung. – Sie wurden von einem bekannten Architekten oder Künstler zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gelungen eingesetzt. – Sie haben ihr Vorbild in der Natur, beziehungsweise sie sind den meisten Menschen als ursprüngliche Farberfahrungen vertraut und werden darum als besonders schön empfunden.

Die Farbenauswahl Ebenso wie Goethe sich gegen Isaac Newtons Farbsystem von 1704 wandte, weil er erkannt hatte, dass sich das Farbphänomen nicht in unabhängige objektive und subjektive Teilbereiche trennen ließ, wusste auch Le Corbusier, dass er mit dem damals vorherrschenden Ostwald-Farbsystem der komplexen Wirklichkeit der Farbwirkung nicht gerecht wurde. Le Corbusier wählte Farben nach den Pigmenten, nicht nach ihrer Lage in einem entmaterialisierten Farbraum. «Intelligenz und Leidenschaft; keine Kunst ohne Emotion, keine Emotion ohne Leidenschaft.»7 Intelligent gewählte Farben erzeugten Freude, kreierten ruhige oder froh machende Stimmungen und erhöhten die Plastizität seiner Räume. Es ist als großes Glück für die Farbforschung zu betrachten, dass Le Corbusier seine auf die Zwecke der Architektur ausgerichtete Farbenauswahl dokumentierte und belegte.8 Für ihn deuteten Intelligenz und Emotion in dieselbe Richtung und ließen ihn eine puristische Skala von 43 Farben entwickeln, zu verwenden von allen, die mit Farben atmosphärische und konstruktive Aufgaben lösen wollten.9 Seine Skala beruht auf 17 traditionellen Künstlerpigmenten. Diese wurden in 14 Farbtongruppen eingeteilt, die meisten setzen sich aus einer Volltonfarbe und wenigen überlegt abgestuften Aufhellungen zusammen. 7 Le Corbusier, «Towards a New Architecture», in: Essential Le Corbusier, L’Esprit Nouveau Articles, Oxford 1998, S. 164 (Übersetzung durch die Autorin). 8 Siehe Anm. 1. 9 Le Corbusier, Claviers de Couleurs Salubra, Basel 1931.

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In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts veränderte sich Le Corbusiers Architektur. Beton und andere Baustoffe wie Holz und Stahl blieben sichtbar, Materialeigenfarben schufen Atmosphäre und machten konstruktive Bezüge sichtbar. Farbe übernahm fortan dekorative und kompositorische Aufgaben. Alfred Roth beschrieb diese letztgenannte Aufgabe der Farbe zutreffend mit dem Begriff der «gestalteten Gleichgewichte»10. Die für diese Funktion notwendige neue Farbenskala Le Corbusiers umfasste nun nur noch 20 dominante Farbnuancen.11 Die 63 Farben der Polychromie architecturale von Le Corbusier ergeben zusammen ein schlüssiges, rational begründbares und von einer hochstehenden Ästhetik geprägtes Farbsystem für die Architektur. Diese Farben bilden etwa die Hälfte der hier abgebildeten Nuancen. Die anderen hier vorgestellten Farben lassen sich nicht zu vergleichbar geschlossenen Gruppen zusammenfassen, sie entspringen unterschiedlichen Hintergründen und Konzepten. Manche, wie Champagnersilber und Grüner Tee, sind zu Publikumslieblingen avanciert, weil sie besondere Ansprüche an die Ästhetik erfüllen. Andere wurden in gelungener Weise von Architekten eingesetzt, die intensiv mit Farbe als Bestandteil der Architektur arbeiteten. Weitere sind Teil einer klassischen Palette, welche die Menschheit schon seit sehr Langem begleiten und die, trotz neuer Möglichkeiten, nie ihre Bedeutung verloren haben. Pompejanischrot ist hierfür ein schönes Beispiel. Wenn es Klassiker unter den Farben gibt, also solche, die ihre Aufgabe besser erfüllen als andere oder die von mehr Menschen als schön empfunden werden als andere, dann sind sie hier dabei. Die vorgestellte Palette ist das Ergebnis jahrelanger Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Architekten, Innenarchitekten, mit der Denkmalpflege und mit Gestaltern, sie bemüht sich um eine abgerundete Ausgewogenheit. Die grundlegenden Kapitel zu den weißen Farben, zu den grauen und schwarzen Farben sowie zu den Umbren werden durch Kapitel zu allen bunten Farben ergänzt. Alle diese Farben weisen eine außergewöhnlich gute Kombinierbarkeit untereinander auf. Trotzdem kann eine Auswahl nie vollkommen und endgültig abgeschlossen sein, ich freue mich daher auch über Rückmeldungen, Vorschläge, Ergänzungen und über Argumente für oder gegen Farben, die hier gezeigt werden. Dies würde den mir wichtigsten Zweck erfüllen, nämlich den Diskurs um Farbe in der Architektur wieder lebhafter werden zu lassen, sowohl in der Theorie als auch in der Materialisierung. Sie gehören zusammen, um zu Goethes Erkenntnis zurückzukehren. 10 Zitiert in: Rüegg, siehe Anm. 1, S. 80 11 Le Corbusier, Claviers de Couleurs Salubra 2, Basel 1959

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Danksagung Zuallererst bedanke ich mich bei Susanne Hürlimann und bei meinen Eltern. Susanne ermöglichte es mir, eine Firma zu gründen; meine Eltern haben mir Neugier und eine erstklassige Ausbildung mit auf den Weg gegeben. Kostbare Geschenke ! Auch bei Thomas Fritz, der viele Fehler korrigierte und Sonntagnachmittage damit verbrachte, sich Ideen und halbfertige Gedanken anzuhören, bedanke ich mich von Herzen. Bei Karoline Mueller-Stahl bedanke ich mich für die kompetente, humorvolle und geistreiche Lektoratsarbeit. Ich habe oft beim Lesen anderer Bücher über die geschliffenen Sätze gestaunt, nun weiß ich, dass sie vielleicht ganz und gar ungehobelt daher kamen und die Lektorin erst Mustersätze daraus machte. Hier war das oft der Fall. Ebenso möchte ich dem Hersteller im Birkhäuser Verlag, Werner Handschin, sowie der Graphikerin Muriel Comby meinen Dank aussprechen. Manchmal stößt man auf Menschen, die Kompetenz, Feingefühl und Erfahrung mitbringen, einen sachdienlichen Perfektionismus entwickeln, Zusammenhänge kennen und Freude an der Zusammenarbeit zeigen. Karoline, Werner und Muriel habe ich so erlebt. Eine anders geartete Dankbarkeit gilt drei Firmen, die einen Beitrag zu den Druckkosten geleistet haben: erstens der Farbenmanufaktur kt.COLOR, die mit hohem Aufwand und großer Leidenschaft traditionelle und neue Farben erforscht und Herstellmethoden aus alten und ökologisch sinnvollen neuen Pigmenten entwickelt. kt.COLOR verkauft die traditionell pigmentierten Farben aus diesem Buch international. Zweitens der Firma Thymos, deren Mitarbeiter die Farben aus der Farbenmanufaktur kt.COLOR und weitere ökologisch einwandfreie Farben in der Schweiz vertreiben. Drittens der Karl Bubenhofer AG, eine weitere innovative Schweizer Firma, die als erste Firma der Welt in Zusammenarbeit mit kt.COLOR industrielle Rezepturen für die hier gezeigten komplexen, komplementär gemischten Farben entwickelte. Die industriell pigmentierten Farben sind bei KABE Farben erhältlich. Ohne ihre Beiträge wäre das hier vorliegende Buch weniger schön geworden. Der Vergleich einer stillschweigend schönen Farbe mit einem Gourmet-Menü oder einem Spitzenwein ist nicht verfehlt, denn sie alle beeinflussen unser Wohlbefinden unmittelbar. Die erstklassige Farbe bleibt von diesen dreien aber am längsten wirksam. Umso verwunderlicher, dass wir sie so wenig kennen ! Wenn das Buch einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Zusammenhänge zwischen Farben und Architektur leistet, dann wäre das wirklich großartig !

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Eine kurze Bedienungsanleitung, oder Welche Informationen finden Sie in diesem Buch? – 08.001 – Eine Farbnummer. Le Corbusiers Farben führen seine originale Numerierung. Die anderen Farben folgen einem daran angelehnten Numerierungssystem. – Champagnerweiß – Der traditionelle Farbname. – Quelle – Der Erfinder, erstmalige oder bekannteste Verwender einer Farbe beziehungsweise die Quelle der Vorlage, welche der Neuauflage der Farbe diente. – Geschichte – Die Daseinsbegründung der Farbe. – Verhalten an der Fläche – Hinweise auf mögliche Funktionen: ob eine Farbe sich im Raum ruhig oder dynamisch verhält, ob sie im Licht oder im Schatten eine besondere Wirkung entfaltet. Auf diese für die Architektur relevanten Farbfunktionen werde ich in dem in Vorbereitung befindlichen Theoriebuch ausführlich eingehen.12 – Historische Pigmentierung – Die überlieferte Pigmentierung, wie sie in der Farbenmanufaktur kt.COLOR umgesetzt wird. – Industrielle Pigmentierung – Eine alternative Pigmentierung, die sich unter Verzicht auf Naturpigmente industriell umsetzen lässt, wie sie in der Schweiz von der Firma Karl Bubenhofer AG hergestellt werden. – Fassadentauglichkeit – Einen Hinweis darauf, ob der Farbton so rezeptiert werden kann, dass er fassadentauglich ist. – CMYK-Annäherung – Die dem Farbton am nächsten kommende Entsprechung im CMYK-Farbraum für die Darstellung im Druck.13 – RGB-Annäherung – Die Übersetzung der CMYK-Annäherung in den RGB-Farbraum für die Farbdarstellung auf dem kalibrierten Bildschirm.14 12 Siehe Anm. 2. 13 Michael und Pat Rogondoni, Process color manual. 24’000 CMYK combinations for design, prepress and printing, San Francisco 2000. 14 Adobe Systems, InDesign Version CS3, 2007.

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Gelbe Farben

Nach Goethes Farbenlehre streben Gelb, Orange und Rot der «Plusseite» zu: sie sind die Farben der «Erregung und Steigerung»2. Blau, Rotblau (Violett) und Blaurot (Purpur) streben der entgegengesetzten Minusseite zu. Diese Unterscheidung ist gestalterisch entscheidend. Ein Grünstich lässt Gelb unter ungünstigen Beleuchtungsbedingungen eine unangenehme Wirkung annehmen. «Durch eine geringe und unmerkliche Bewegung wird der schöne Eindruck des Feuers und Goldes in die Empfindung des Kotigen verwandelt und die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abscheus und Mißbehagens umgekehrt.» 3 Eva Heller nennt Gelb «die zwiespältigste Farbe», einerseits ist die der Erfahrung entnommene Symbolik positiv, nämlich «die Symbolik der Sonne, des Lichts und des Goldes. Die historisch geprägte Symbolik ist [aber] negativ. Gelb war die Farbe der Geächteten, es blieb die Symbolfarbe der egoistischen Eigenschaften».4 Was war es, was Goethe wirklich beobachtete, warum neigt Gelb so besonders zur Ambivalenz, und welche Bedeutung haben diese Aussagen für die Architektur und für gelbe Wand- oder Fassadenfarben ? Die materielle Sicht auf Gelb liefert wichtige Erkenntnisse. Gelbe Pigmente absorbieren Licht im kurzwelligen Violett- und Blaubereich. Sie benötigen energiereiches Licht um gelb zu wirken. Konventionelle Lichtquellen sind im Violett- und Ultraviolettbereich aber schwach ausgestattet. Zudem ist Gelb die hellste Farbe des sichtbaren Spektrums. Vermindert sich nun die Lichtstärke durch Schattenwurf (wie bei Filz, Raufasertapeten oder grob verputzten Oberflächen) reagieren erstens die gelben Pigmente an sich und zweitens das Auge auf «Wenn nun diese Farbe, in ihrer Reinheit die Trübung erneut empfindlich. Der Unterschied zwischen und hellem Zustande angenehm und erfreulich, in ihrer ganzen Kraft einer gelben Fläche, die zuerst belichtet und dann aber etwas Heiteres und Edles hat, beschattet wird, ist erheblich. Johann Wolfgang von so ist sie dagegen äußerst empfindlich Goethe beschrieb solche Phänomene. und macht eine sehr unangenehme Wirkung, wenn sie beschmutzt oder Die stärkste, alle Kulturen übergreifende Assoziation einigermaßen ins Minus gezogen wird.» zu gelben Farben ist die zur Sonne. Überträgt man diese Johann Wolfgang von Goethe Assoziation auf den Raum und berücksichtigt die aufgeführten materiellen Besonderheiten gelber Pigmente nicht, ist man versucht, düstere Räume mit gelben Farben «sonnig» und warm zu gestalten. Das Vorhaben scheitert 1

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aber aus physikalischen Gründen, das Ergebnis ist nicht überzeugend, und die negativen Gelbassoziationen kommen zum Tragen: Gelb als geächtete Farbe – wenn die gelbe Fläche nicht die Bedingungen vorfindet, die sie benötigt, um schön zu strahlen. Zu lösen ist diese Diskrepanz mit der Wahl einer gelben Farbe aus einer Palette, die reines Gelb meidet, dafür gelbe Farben enthält, die entweder rötlich und darum vom Licht unabhängig, warm und zuvorkommend oder ergraut und darum im Schatten stabil oder sogar Gold sind. Gelbe Farben treten im Raum hervor, graue entziehen sich der Aufmerksamkeit. Gelbe Farben brauchen am meisten Licht um zu leuchten, blaue und graue am wenigsten. Daraus können folgende Verallgemeinerungen für den Einsatz von gelben Farben im Raum abgeleitet werden: – Helle Flächen in großen Räumen strahlen mit kräftigen gelben Farben. – Gelbe Fläche treten im Raum hervor, gelbe Räume wirken kleiner. – Flächen mit grob verputzter Struktur und solche, die im Schatten stehen, wirken wohltuend, wenn rotstichige oder ergraute gelbe Farben daran zur Anwendung kommen. – Im Schatten stehende, geglättete Flächen wirken außerordentlich edel unter Anwendung von Blattgold oder Bronzen- und Metallicfarben. 1 Johann Wolfgang von Goethe, Zur Farbenlehre, in: Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. XIII, Abs. 770, München 1988, S. 496. 2 Ebda., Abs. 534, S. 446. 3 Ebda., Abs. 771, S. 496. 4 Eva Heller, Wie Farben wirken. Farbpsychologie, Farbsymbolik, Kreative Farbgestaltung, Reinbek 2005, S. 129.

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CMYK-Annäherung: 0.55.100.0 RGB-Annäherung: 215.145.36

Verhalten an der Fläche: dynamisch, auch im Schatten wirksam Historische Pigmentierung: Chromrot und Chromgelb Industrielle Pigmentierung: Mischung von organischen und anorganischen Pigmenten mit komplementären Anteilen Fassadentauglichkeit: nicht witterungsbeständig

43.22

Persischorange / Orange perse Günther Förg, Künstler, 2002

Günther Förg suchte eine Farbe, die zwischen den Farben 43.17 Orange und 43.20 Jaune vif von Le Corbusier liegt, und stieß dabei auf Persischorange. Persischorange ist eine alte Farbe: bereits der von den Burinmo-Jägern in Papua Neu Guinea ver wendete Farbname «wor» bezeichnet so ein gelbliches Orange mit Braunund Grünanteilen.5 Die Farben und Farbbezeichnungen der Naturvölker galten freilich Farben, die ihr Vorbild in der Natur hatten. Persischorange gleicht den Blütenblättern der Ringelblumenfamilie und ist eine harmonische grüngoldgelbe Farbe, die sich auch unter schattigen Lichtverhältnissen stabil verhält. Heutige Anforderungen an Effizienz haben vermehrt brillante, monochrome Farben hervorgebracht, die bisweilen unangenehm auf Veränderungen in der Lichtquelle reagieren. Naturnahe, komplex zusammengesetzte Farben wie Persischorange leuchten unter allen Lichtquellen, denn die Anteile aller anderen Farben lassen sie differenziert auf Veränderungen im Tages- oder Kunstlicht reagieren. 5 Simon Ings, A Natural History of Seeing. The Art and Science of Vision, New York 2007, S. 213.

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CMYK-Annäherung: 10.0.65.0 RGB-Annäherung: 232.237.128

Verhalten an der Fläche: dynamisch, auch im Schatten wirksam Historische Pigmentierung: Litholechtgrüngelb G Industrielle Pigmentierung: Wismuthgelb, Chromgrün und Ocker Fassadentauglichkeit: in manchen Techniken witterungsbeständig

32.065

Pfister Gelb / Jaune «Bauhaus» Hans Kittel, Farbkarte im Buch Pigmente, 1960 6

Wassily Kandinsky teilte Farben ein nach «zwei großen Abteilungen […]. 1. Wärme und Kälte des farbigen Tones und 2. Helligkeit oder Dunkelheit desselben».7 Eine Mehrzahl der gelben Farben sind den warmen, hellen zuzuordnen. Der letzte Farbton dieses Kapitels 08.004 Jaune ocre könnte als neutral und dunkel charakterisiert werden, ein reines Zitronengelb wäre kühl und hell. Pfister Gelb ist kalt und dunkel, eine Ausnahme unter den gelben Farben. Fritz Pfister gelang erstmals die Nachstellung der alten BASF-Farbe «Litholechtgrüngelb G» aus modernen Gelbpigmenten. Der kühl anmutende Farbton kann sich im Licht vornehm entfalten, im Schatten aber glanzlos wirken, er passt hervorragend zu metallischen blauen und grauen Farben und zu Umbren. Die Faszination des Farbtons liegt in seiner Herbheit, er erinnert eher an eine gelbgrüne Flechte auf verwitterten Felsen als an das Gelb des Eidotters oder der Sonne. 6 Hans Kittel, Pigmente. Herstellung, Eigenschaften, Anwendung, Stuttgart 1960. 7 Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, Bern 1952 (Originalausgabe 1910).

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CMYK-Annäherung: 0.0.40.0

Verhalten an der Fläche: dynamisch

RGB-Annäherung: 254.250.181

Historische Pigmentierung: Organisches Gelbpigment mit Rotocker und Umbra natur Industrielle Pigmentierung: Wismuthgelb mit Rot- und Grünpigmenten Fassadentauglichkeit: in manchen Techniken witterungsbeständig

32.066

Primelgelb / Jaune primevère Aufhellung von Farbton 43.20 Jaune vif, 2002

«Wenn ich sage gelb und blau, so verstehe ich darunter nicht ein flaches gelb und ein flaches blau, wie diese Tiere in Schulbüchern und im Konversationslexikon abgebildet sind. Als Maler meine ich natürlich zwanzig Nuancen gelb und zwanzig Nuancen blau.» 8 Giacometti sollte Recht behalten, denn aus der Nähe betrachtet, erkennt man, dass das Gelb der Schlüsselblume oder alle Farben der Natur Mischungen von verschiedenen Nuancen enthalten. Im Primelgelb erstreckt sich die Palette vom zartgrünen Ende des Gelbspektrums bis zum orangeroten. Diese Überlagerung von Grün und Rot macht gelbe Farben besonders lichtempfindlich, denn die gelben Pigmente sind am wenigsten robust. «Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden», schrieb Goethe,9 und meinte damit, dass man Farben und Licht gemeinsam betrachten muss. Die Blütenblätter benötigen die Frühlingssonne, um Kraft zu gewinnen, und es ist folgerichtig, dass die primelgelbe Farbe direkte Beleuchtung braucht, um nicht zerbrechlich zu wirken. 8 Augusto Giacometti, Blätter der Erinnerung, Chur 1997, S. 198. 9 Johann Wolfgang von Goethe, «Vorwort», Zur Farbenlehre, in: Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. XIII, München 1988, S. 315.

Kapitel 5

Gelbe Farben

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CMYK-Annäherung: 0.15.75.0 RGB-Annäherung: 245.220.98

Verhalten an der Fläche: dynamisch, etwas trübe im Schatten Historische Pigmentierung: Neapelgelb 725 hell Industrielle Pigmentierung: Wismuthgelb oder Hansagelb mit komplementären Anteilen Fassadentauglichkeit: nicht witterungsbeständig

32.068

Neapelgelb (Farbton) / Jaune de Naples Hans Kittel, Farbkarte im Buch Pigmente, 1960 10

Schon Cennini beschreibt ein mineralisches Gelb, das später in der Renaissancezeit in Neapel als Malfarbe unter dem Namen Giallorino di fornace (Ofengelb) gebraucht wurde. Der italienische Name verweist auf den Herstellungsprozess: Antimonerzgestein, das geröstet wird. Das Bleiantimonat-Pigment war wenig farbstark, dafür gut deckend, mit fast allen Bindemitteln verträglich und sehr teuer. Diese gelbe Farbe ist ein kultureller Wegbegleiter der Menschheit, wobei der Name Neapelgelb erst nach 1700 auftaucht. Neapelgelb fand seine Verwendung in hochwertigen Ölfarben im Innen- und Außenbereich, beispielsweise an der Dachuntersicht der Dessauer Meisterhäuser Muche-Schlemmer, wo das dekorative, bleihaltige Pigment das Holz konservierte. Die freundliche, ausgewogene Qualität des Neapelgelbs wird heute freilich über bleifreie Pigmentmischungen erzielt. 10 Siehe Anm. 6.

Kapitel 5

Gelbe Farben

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CMYK-Annäherung: 0.25.95.0 RGB-Annäherung: 233.201.47

Verhalten an der Fläche: dynamisch, benötigt gutes Licht, um schön zu leuchten, trübe im Schatten Historische Pigmentierung: Chromgelb Industrielle Pigmentierung: Mischung von organischen und anorganischen Pigmenten mit komplementären Anteilen Fassadentauglichkeit: nicht witterungsbeständig

43.20

Tiefgelb / Jaune vif Eine Farbe der Klaviatur Le Corbusiers von 1959 11

Le Corbusier nahm Gelb nicht auf in seine wichtigste Palette der Farben für die Architektur, die sogenannte «Grande gamme», mit Farben, die sich im Raum stabilisieren und die die plastische Sprache der Architektur unterstützen. «Ein Quadratmeter Gelb herrscht über das Vierfache seiner Fläche», schrieb Le Corbusiers Freund Fernand Léger.12 Zu stark drängt sich ein kräftiges Gelb wie Jaune vif auf, zu abhängig ist es vom Licht in seiner dynamischen Wirkung. Jaune vif ist eine sonnengelbe Farbe, die im Licht genauso Freude macht, wie sie im Schatten Enttäuschung auslöst. Das liegt daran, dass kräftige Gelbpigmente viel Licht benötigen, um ihre Färbung zu entfalten. Im Schatten fehlt ihnen diese Kraft, und dem Raum fehlt die Sonne dann doppelt. Metallische, Licht reflektierende Goldbronzen und bescheidene Ockernuancen bringen eher Licht und Wärme in dunkle Räume. 11 Le Corbusier, Claviers de Couleurs Salubra 2, Basel 1959. Vgl.: Arthur Rüegg (Hg.), Polychromie architecturale. Le Corbusiers Farbenklaviaturen von 1931 und 1959 / Le Corbusier’s Color Keyboards from 1931 and 1959 / Les claviers de couleurs de Le Corbusier de 1931 et de 1959, Basel, Boston, Berlin 1997 (Neuauflage 2006). 12 The Tate Gallery (Hg.), Léger and Purist Paris, Ausstellungskatalog, London 1970, S. 96. ( Übersetzung durch die Autorin.)

Kapitel 5

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CMYK-Annäherung: 0.15.80.10 RGB-Annäherung: 221.202.80

Verhalten an der Fläche: dynamisch, auch im Schatten wirksam Historische Pigmentierung: Neapelgelb hell mit Umbra natur Industrielle Pigmentierung: Wismuthgelb, Ocker und Umbra Fassadentauglichkeit: in manchen Techniken witterungsbeständig

08.004

Gelber Ocker / Jaune ocre Le Corbusier, Maison Blanche, La Chaux-de-Fonds, 1912

Je gelber und reiner der Farbton, desto mehr Licht braucht eine gelbe Farbe, um freundlich zu wirken. In einem düsteren Raum wirkt eine ergraute gelbe Farbe beruhigender und wärmer als eine reine gelbe Farbe, die stets zur Aktion «Licht einschalten» auffordert. Höhere Gelbanteile lassen eine Farbe zum Licht und höhere Grauanteile zum Schatten tendieren. Licht und Gelb gehen Hand in Hand und es braucht beide. Damit eine gelbe Farbe in einem schwach beleuchteten Raum zur Geltung kommen kann, sollte Gold zum Einsatz kommen oder eine ergraute gelbe Farbe wie Jaune Ocre. Das schattige Ockergelb geht auf Le Corbusiers Schlafzimmer in der Maison Blanche zurück. In ihm gleichen natürliche grüne Erden mit ihrer Stabilität im Schatten das anspruchsvolle mineralische Gelbpigment aus. Das Ergebnis ist lichtstabil, harmonisch und wohltuend.

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