ULRICH KNAACK REBECCA BACH SAMUEL SCHABEL (HRSG.) BAUEN MIT PAPIER ARCHITEKTUR UND KONSTRUKTION
1 PAPIER IN DER ARCHITEKTUR
Forschungsprojekt BAMP! – Bauen mit Papier
Geschichte von Papier in der Architektur
2 MATERIAL
Aufbau Holz und Aufschlussverfahren
. . . . . . . . . . .
. .
. . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 HALBZEUGE UND KOMPONENTEN
Papier, Karton und Pappe
Wellpappe
Sandwichstrukturen
Hülsen
Naturfaserverstärkte Platten
Freigeformte Bauteile
4 BAUKONSTRUKTION
5 TRAGWERK, BRANDSCHUTZ, BAUPHYSIK
BEISPIELE
5
8
9 Die
11
22
.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Papierproduktion
.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Materialeigenschaften
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
36
36
38
40
42 Profile 45
47
50
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Idealisierte Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Verbindungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Konstruktionstypologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
68 Tragwerksdimensionierung 68 Brandschutz 73 Bauphysik 76 Ökologische Betrachtungen 79 Typische Konstruktionsdetails 81 6
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Häuser und Hütten PAPER HOUSE · Yamanashi, Japan 86 PAPER LOG HOUSE · Kobe, Japan 88 INHALT
WIKKELHOUSE Amsterdam, Niederlande u. a. 90
CARDBOARD SCHOOL · Westcliff-on-Sea, Großbritannien 96 CARDBOARD HOUSE Sydney, Australien 100
KLUBHAUS HOCKEY UND TENNIS CLUB RING PASS · Delft, Niederlande . . . . . . . . . . . . 102
PH-Z2 Essen, Deutschland 104
INSTANT HOME · Darmstadt, Deutschland 108
STUDIO SHIGERU BAN, KUAD · Kyoto, Japan 112 HOUSE OF CARDS Breslau, Polen 114
TECH 04 · Breslau, Polen 118 HOUSE 01 Darmstadt, Deutschland 120 HOUSE 02 · Darmstadt, Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .122
NOTUNTERKÜNFTE AUS PAPIER Darmstadt, Deutschland 126
Pavillons
CARDBOARD THEATRE APELDOORN · Apeldoorn, Niederlande 130 JAPANISCHER PAVILLON DER EXPO 2000 · Hannover, Deutschland 132
PAPER THEATRE IJBURG Amsterdam und Utrecht, Niederlande 134 ARCH/BOX · Breslau, Polen 136
Brücken
PAPIERBRÜCKE PONT DU GARD Pont-du-Gard, Frankreich 138
PAPER BRIDGE · Patterdale, Cumbria. Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
EINE BRÜCKE AUS PAPIER Darmstadt, Deutschland 142
Innenausbau und Möbel
AESOP DTLA Los Angeles, USA 144
CARDBOARD BOMBAY · Mumbai, Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
CARDBOARD OFFICE Pune, Indien 152
CARTA COLLECTION · Zürich, Schweiz 156
6
7 AUSBLICK 158
Gestaltung neu definieren
Funktion und Nutzung
Konstruktion
Materialtechnologie
Prozesse neu denken
8 FAKTEN UND KENNZAHLEN FÜR INGENIEURE 170
Prüfmethoden zum Material
Prüfmethoden zum mechanischen Versagen von Bauteilen
Prüfmethoden zur Bauphysik
Materialbeispiele
Herausgeber und Autoren
Glossar
Bildnachweis
Register
7
158
161
162
164 Rezyklierbarkeit 167
168
170
174
178
180
188
190
195
196
1 PAPIER IN DER ARCHITEKTUR
Warum sollen wir überhaupt mit Papier bauen? Einem Material, das üblicherweise ganz andere Zwecke erfüllt, zuvorderst für das dauerhafte Dokumentieren von Wissen als Buch, Zeitung oder Schriftstück, aber auch in der Hygiene und in der Verpackungs industrie. Dieser Frage wird die vorliegende Publikation nachgehen.
Papier wird aus Holz hergestellt. Menschen nutzen diesen nachwachsenden Roh stoff seit jeher für Bauwerke, und der Werkstoff erlebt derzeit einen Entwicklungsschub in vielen neuen Anwendungen und Verbindungstechnologien, die dem anisotropen Charakter des Materials Holz gerecht werden. Genau hier liegt das Potenzial des Mate rials: Papier kann als Weiterentwicklung des Basiswerkstoffs Holz gesehen werden –eine Art Holz 2.0!
Holz ist anisotrop, hat als natürlicher Werkstoff aufgrund des Wachstums also unterschiedliche Festigkeiten in x-, y- und z-Richtung, ist aber auch gekennzeichnet durch Imperfektionen im Bereich von Verzweigungen und Vorschädigungen aufgrund des langen Wachstumsprozesses. Über die Jahrhunderte hat sich der konstruktive Um gang mit dem Werkstoff durch Verbindungstechniken und Sicherheitsszenarien tech nologisch so entwickelt, dass wir über genügend Erfahrungen und Erkenntnisse verfü gen, um Holz sicher und planmäßig verwenden zu können. Zugleich weisen ihn seine ungleichmäßigen Erscheinungen als natürliches, gewachsenes Material aus. Ein Bei spiel, das den Fortschritt in der Technologie dokumentiert, um die Unregelmäßigkeiten des Holzes auszugleichen, ist das Furnierschichtholz: Hier werden sehr dünn geschnit tene Platten oder Schichten (1–3 mm) übereinandergeleimt und damit zu einem neuen Holzwerkstoff zusammengesetzt, sodass die Imperfektionen des Holzes sich durch die Überlagerung aufheben. Durch Verdrehen der Schichten zueinander lassen sich auch die unterschiedlichen Festigkeiten kompensieren und so zumindest in zwei der drei Richtungen gleiche Belastbarkeit erreichen. Auch können die durch das Wachstum be schränkten Dimensionen des Werkstoffs um ein Vielfaches überschritten werden: Bäu me liefern Bretter in begrenzten Breiten und Längen – Furnierschichtholzplatten wer den derzeit in einer maximalen Dimension von 3,5 × 25 m angeboten, eine Begrenzung, die eher dem Transport und der Auslegung der Maschinen geschuldet ist als den gene rellen technischen Möglichkeiten. So entsteht auf der Basis eines natürlichen Werk stoffs ein homogenes und weitestgehend natürliches Material mit Dimensionen, die in der Natur nicht vorkommen – und zwar in einer sehr maßhaltigen industriellen Repro duzierbarkeit.
Und nun Papier? Papier entsteht durch mechanischen oder chemischen Auf schluss von Holz und der dann folgenden neuen Verbindung dieser Holzfasern in Form von dünnen flächigen Schichten. Zudem können Füll- oder Zusatzstoffe andere Volumi na und Funktionalitäten erzeugen. Die Papierherstellung gleicht also dem Produktions
81 PAPIER IN DER ARCHITEKTUR
würde. Tatsächlich war die Einheit einige Jahre lang bewohnt, was die gute thermische Qualität der Gebäudehülle und die Widerstandsfähigkeit der Pappverbundplatten bei ungünstiger Witterung belegt hat.8
Der Einfluss des Papierarchitekten Shigeru Ban
Die zeitgenössische Ära des Bauens mit Papier geht auf den japanischen Architekten Shigeru Ban zurück. Da die vorangegangenen Forschungsarbeiten und Projekte auf Kurzzeit- oder temporäre Lösungen ausgelegt waren, konzentrierte Shigeru Ban sein Interesse von Anfang an auf das Entwickeln neuer Lösungen, um diese in experimentel len Konstruktionen zu implementieren. Seine Begeisterung für diese Bauweise brachte ihm alsbald den Ruf als „Papierarchitekt“ ein. Seine Faszination für Papier, gespeist von der Tradition der Papierverwendung in seiner Heimat, zeigte sich erstmals in den Ent würfen, die Shigeru Ban für Ausstellungen zu den beiden internationalen Architekten Emilio Ambasz 1985 und Alvar Aalto 1986 in der Axis Gallery in Tokio entwickelte. Im ersten Projekt verwendete Ban quadratische Papphülsen und Wabenkernplatten, um den Raum zu organisieren. Für die Aalto-Ausstellung wollte Shigeru Ban eigentlich Holz verwenden, eines der Lieblingsmaterialien dieses Architekten. Aufgrund des limitier ten Budgets entschied er sich allerdings für Papphülsen als Hauptbaumaterial für die gesamte Ausstellung » Abb. 9. 9
Shigeru Ban sagte einmal, dass seine Arbeit mit Papier anfänglich nicht auf des sen positiven ökologischen Merkmalen basierte, sondern dass er es generell nicht mochte, Material wegzuwerfen, und dass es in seinem Büro einfach eine Menge Papp hülsen gab, auf die das Pauspapier aufgewickelt war. Das Interesse an den Papphülsen
15Die Geschichte von Papier in der Architektur
8 Plydome als Unterkunft für Saisonarbeiter.
7 Plydome, Herbert Yates, 1966. Axonometrie und Schnitt.
4 BAUKONSTRUKTION
In diesem Kapitel, das sich mit den baukonstruktiven Grundlagen von Papierkonstruk tionen befasst, werden zunächst die zuvor beschriebenen Halbzeuge und Komponenten zu idealisierten konstruktiven Strukturen zusammengefasst und deren mechanische Eigenschaften diskutiert. Daran anschließend werden Verbindungstechniken vorge stellt, womit diese Strukturen zusammengefügt werden können. Das Kapitel schließt mit Konstruktionstypologien, welche aus den vorherigen Teilen hergeleitet werden, ab. Vertiefendes Wissen zur Mechanik von Papier und zu Berechnungsverfahren ist im Kapi tel „Fakten und Kennzahlen für Ingenieure“ am Ende des Buches zu finden.
Idealisierte Strukturen
Wie bereits beschrieben, wird Papier zuerst als Papierbahn und damit als flächiges, orthotropes Material hergestellt. Die in den weiteren Produktionsschritten hergestell ten Halbzeuge und Komponenten eignen sich zur Konstruktion von anwenderspezifi schen Tragsystemen und Gebäudestrukturen mit den entsprechenden mechanischen Eigenschaften. Für einen effizienten Materialeinsatz sind diese Eigenschaften bei der Materialwahl für die Tragwerksplanung » Kapitel 5 , S. 66–70 zu berücksichtigen.
Zur Analyse von Konstruktionstypologien und den daraus resultierenden Trag systemen können diese Komponenten in folgende grundlegende idealisierte Struktu ren zusammengefasst werden:
• Linienelemente
• Flächenelemente
• Volumenelemente
Diese Elemente dienen zur Diskretisierung der Struktur, um sowohl analytische als auch numerische Berechnungen durchzuführen. Im Folgenden werden die grund legenden mechanischen Eigenschaften der zuvor genannten idealisierten Strukturen beschrieben » Abb. 1
Linienelemente Balken
Bei einem Linienelement dominiert die Länge des Elements gegenüber der Breite und der Höhe des Querschnitts. Linienelemente werden in der Stabstatik zur Berechnung der wirkenden Kräfte und Momente, sogenannter Schnittgrößen » Abb. 2, angewendet.
Zu den klassischen Linienelementen zählen Papphülsen und Pappprofile » Ab schnitte „Hülsen“ und „Profile“, S. 42–44 und 45–46.
544 BAUKONSTRUKTION
9 Linearverbindungen für Papprohre: a Innenmuffe, b Außenmuffe, c Druckprofil.
10 Formschlüssige Verbindungen für Papprohre: a vollständiger Formschluss, b einseitiger Form schluss, c kraftschlüssige Verbindung.
11 Steckverbindungen für Papprohre: a Metallzapfen, b leichter Kreuzzapfen, c Zapfen mit Vollkontakt.
12 Muffenverbindungen für Papprohre: a einfacher Formschluss, b mit Druckplatten, c mit Zwischenverbin dern.
Massive Steckverbindungen ergeben sich aus Holzblöcken, die zu einem Knoten zusammengefügt werden. Mit dieser Methodik lassen sich Befestigungen besser an die Papprohre montieren, was die Kontaktfläche zwischen den konstruktiven Elementen maximiert. Je präziser die Komponenten gefertigt sind, umso optimaler ist die Tragfä higkeit.
Bei beiden Varianten hängt die konstruktive Integrität stark von der gewählten Holzart ab. Darüber hinaus können minimale Toleranzen die Tragfähigkeit und Integri tät verbessern, was jedoch einen sehr arbeits- und zeitaufwendigen Montageprozess mit sich bringt.
624 BAUKONSTRUKTION
GSEducationalVersion GSEducat ona Version GSEducationalVersion
a b c a b c a b c a b c
Höhere statische Anforderungen erfüllen Stahlverbinder, kombiniert mit einer Vorspannung der Papprohre. In diesem Fall konzentrieren sich die Metallzapfen aller benachbarten Träger in einer zentralen Gelenkverbindung.
Bei Muffenverbindungen ummanteln zumeist Formteile aus Aluminium oder Stahl die Papprohre, befestigt mit Druckringen, Nieten, Bolzen oder neuerdings auch Ver bundwerkstoffen » Abb. 12
Alle hier erläuterten Verbindung weisen unterschiedliche Qualitäten auf. Die Unterschiede zwischen Hochleistungsverbindungen aus Metall und den übrigen Ver bindungsarten sind indes gering. Bei handgefertigten Lösungen sind weichere Materia lien von Vorteil, ebenso ist es sinnvoll, wenn der Entwerfer eng in den Herstellungs prozess eingebunden ist. Für papierbasierte Konstruktionen eignen sich insbesondere Verbindungen aus Holzwerkstoffen oder Verbundwerkstoffen, hergestellt aus leicht verfügbaren Faserprodukten. Entsprechende Forschungsarbeiten mit Schwerpunkt auf Detaillierung, Prototyping und Tragfähigkeitstests liefern hierzu aufschlussreiche In formationen.6
Konstruktionstypologien
Die Bandbreite der Konstruktionstypologien für das Bauen mit Papier ist sehr groß, lässt sich aber in die drei Kategorien Scheiben-, Schalen- und Rahmen- bzw Skelett konstruktion unterteilen » Abb. 13. Prinzipiell für das Material geeignet sind freistehen de, ebenerdige Bauten, die auf temporäre Nutzung ausgelegt sind.
Scheiben- und Schalenkonstruktionen setzen sich hauptsächlich aus tragenden, mehrlagigen Verbundplatten zusammen – je nach der spezifischen Funktion einer be stimmten Wand (Teil einer Außen- oder Innenwand, des Daches etc.) und den generel len Anforderungen an die Konstruktion. Repräsentative Beispiele funktionaler Wand elemente sind in » Kapitel 5, S. 81, aufgeführt.
Scheibenkonstruktionen
Die vertikale (z) und rechtwinklig zur Hauptebene verlaufende (y) Steifigkeit der Plat ten ist dabei ein wichtiger Faktor » Abb. 13 a. Deren konstruktive Stabilität lässt sich er höhen, indem man unterschiedliche Papierprodukte strategisch in eine mehrlagige Verbundplatte integriert. Besonders geeignet und beliebt ist hierfür Vollpappe. Die
13 Hauptkonstruktions typologien für das Bauen mit Papier: a Scheibe, b Schale, c Rahmen.
63Konstruktionstypologien
GSEducationalVersion y a b c
14 Dünnwandige Konstruk tionen, a Origami-Struktur, b auf Zugkraft basierende Struktur mit schmaler Rahmenkonstruktion.
Vorzüge von Wabenplatten kommen besonders bei Kräften zum Tragen, die rechtwink lig auf die Oberfläche einwirken (z. B. Windlasten). Entscheidend ist die Zusammenstellung der einzelnen Lagen. Dies sollen weitere wesentliche Aspekte veranschaulichen, die aufzeigen, wie das Design einer Platte zweckdienlich geändert werden kann. Die Zwischenlagen, die parallel zur Hauptebene der Platte verlaufen, tragen den Großteil der axialen Lasten und tragen zur Biegebe ständigkeit bei. Dieser Aspekt sowie die allgemeinen Stabilitätsanforderungen bestim men die Anzahl und Dicke solcher massiven Lagen ebenso wie die Integration leichte rer Lagen, die auch als Pufferzone zur Klimaregulierung fungieren können. Daher kann die Gesamtdicke eines Paneels erheblich variieren, je nach Priorität der zuvor genann ten Entscheidungen und den bauphysikalischen Eigenschaften der gewählten Werk stoffe. Weitere Aspekte, die bei der Planung zu beachten sind und sowohl zur Stabilität als auch zur Dauerhaftigkeit beitragen können, betreffen die Qualität der äußeren Schicht bzw. die Oberflächenbeschaffenheit, die Kantenbeschaffenheit und die Tole ranzen zwischen den einzelnen Paneelen. Von Bedeutung sind auch das Erhärten der äußeren Oberflächen, abgerundete Außenkanten und Abdichtungen, um Toleranzen auszugleichen und äußere Einflüsse wie Regenwasser abzuwehren.
Scheiben- und Schalenkonstruktionen sind prädestiniert für die Vorfertigung. Im Besonderen, weil der Laminiervorgang bestimmte Bedingungen und spezielle Maschi nen erfordert, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Daher gelten modulare oder voll ständig vorgefertigte Konstruktionen als die empfehlenswertesten Montagekonzepte, zumal sie problemlos umplatziert werden können. Ein gutes Beispiel für eine solche modular vorgefertigte Struktur ist das Projekt Wikkelhouse » Kapitel 6, S. 90–95
Schalenkonstruktionen
Bestimmte Formen mit geschlossenen Geometrien können die Tragfähigkeit und Stabi lität erhöhen, indem auf die konstruktiven Elemente Druck ausgewirkt wird und Wind lasten durch aerodynamische Fassadenformen um das Gebäude geführt werden. Zu den häufigsten Formen gehören diesbezüglich Bögen und Kuppelkonstruktionen, die bevorzugt für temporäre Installationen und Demonstrationsprojekte gewählt werden und häufig innovative Konstruktionen aufweisen, wie beispielsweise zellenförmige
644 BAUKONSTRUKTION
GSEducationalVersion
a b
5 TRAGWERK, BRANDSCHUTZ, BAUPHYSIK
Nachdem das vorherige Kapitel die baukonstruktiven Grundlagen vermittelt hat, geht es nachfolgend um Konzepte zur Tragwerksdimensionierung, bauphysikalische Aspek te, den Brandschutz und die Möglichkeiten der ökologischen Auslegung, energetischen Bilanzierung und der Rezyklierbarkeit. Zunächst wird die Stabilität von Papierbauteilen analysiert, wozu auch die konstruktiven Fragen des Brandschutzes gehören. Welche bauphysikalischen Grundlagen bei einer Gebäudehülle aus Papier zu beachten sind, beschreibt der » Abschnitt „Bauphysik“, S. 76–79. Im Fokus stehen dabei die hygrothermi schen Eigenschaften von Papierkonstruktionen, also die Wärmedämmung und der Feuchteschutz. Im Sinne der Nachhaltigkeit werden im Anschluss der Lebenszyklus eines Papiergebäudes betrachtet und die wichtigsten Parameter für kreislaufgerechte Papierkonstruktionen dargelegt. Ebenso werden erste Erkenntnisse zur Dauerhaftig keit solcher Konstruktionen beschrieben. Abschließend zeigt der » Abschnitt „Typische Konstruktionsdetails“, S. 81–83, Prinziplösungen, die die zuvor angesprochenen Aspekte kombinieren, mit dem Ziel, die potenzielle Funktionalität von Papierprodukten in der Architektur beispielhaft zu illustrieren.
Tragwerksdimensionierung
Alle Bauteile, aus denen ein Tragwerk besteht (Balken, Platte, Scheibe, Schale und Membran » Kapitel 4, S. 54–57), müssen hinsichtlich ihrer tragenden Funktion (Standsi cherheit, Gebrauchstauglichkeit) dimensioniert werden. Die Tragwerksdimensionie rung ist hierbei ein Zusammenspiel von Sicherheit, Ästhetik und Wirtschaftlichkeit. Für eine optimale Lösung sind diese drei Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen und mit den jeweils gesetzten Randbedingungen in Übereinkunft zu bringen. Zur Lösung gehören:
• Entwurf des Tragwerks,
• Ermittlung der Einwirkungen,
• Modellierung, Systemfindung durch Idealisierung,
• Schnittgrößen-/Spannungsermittlung,
• Bemessung, Dimensionierung von Bauteilen und die
• konstruktive Durchbildung.
Darüber hinaus ist im Allgemeinen für jedes Bauwerk der Nachweis der Tragfä higkeit und Gebrauchstauglichkeit zu führen. Dies gewährleistet sowohl die Sicherheit als auch die Ästhetik bzw. den Komfort bei der Nutzung.
685 TRAGWERK, BRANDSCHUTZ, BAUPHYSIK
15 Dachdetail beim Scheibentragwerk, vertikaler Schnitt, Maßstab 1:20. Großmaßstäbliche Darstellung des Scheibentragwerks aus mehreren Papierschichten und dem Fensteranschluss.
17 Fassadendetail, Scheibentragwerk, horizontaler Schnitt, Maßstab 1:20
Steckbare Plattenverbinung
Auflager Fußboden
Profilbewehrung
Befestigung Fensterprofil
18 Fassadendetail, Rahmenkonstruktion, horizontaler Schnitt, Maßstab 1:20
16 Dachdetail bei einer Rahmenkonstruktion, vertikaler Schnitt, Maßstab 1:20. Großmaßstäbliche Darstellung des Skeletttragwerks mit der umhüllenden Fassade und dem Fensteranschluss.
GSEduca
Steckbare Trägerverbindung
Steckbare Plattenverbindung
Profilbewehrung
Deckschicht Binder
Befestigung Fensterprofil
825 TRAGWERK, BRANDSCHUTZ, BAUPHYSIK
tionalVersion
GSEducationalVersion GSEducationalVersion
WIKKELHOUSE
Das Wikkelhouse war eines der ersten in Masse produzierbaren Papier-Wohnge bäude. Das Konzept stammt von René Snel und basiert auf einer von ihm erfundenen Maschine, die mehrere Lagen Wellpappe um eine hausförmige Scha lung wickelt und verklebt. Durch das Aneinanderreihen mehrerer dieser so produzierten Elemente entsteht dann ein kleines Haus.
Ursprünglich als Notunterkunft für Katastrophengebiete gedacht, sollte es
ARCHITEKT UND ERFINDER: René Snel, Weiterentwicklung: Fiction Factory
STANDORT: Nicht festgelegt, Produktion in Amsterdam
JAHR: 1996 (Erfindung), Weiterentwicklung seit 2012
VERWENDUNG: Wohnen
KONSTRUKTIONSTYPOLOGIE: Rahmenbauweise
FLÄCHE: Variabel, 5 m² pro Segment
GEPLANTE LEBENSDAUER: 50 Jahre (erwartet), mit 15 Jahren Garantie
drehbareSchalung
3
Förderband Leimauftrag
1
4 Abrollung
Herstellungsprozess des Wikkelhouse: Die selbsttragende Gebäudehülle entsteht durch das Wickeln von einlagigen Wellpappen um eine hausförmige Schalung.
schnell und flexibel transportierbar sein. Dementsprechend entwickelte Snel die Maschine so, dass sie auf einen Lastkraft wagen passte und somit zumindest über kürzere Strecken problemlos transpor tiert werden konnte. Auch das Ausgangs material ließ sich in seiner kompaktesten Form, nämlich aufgerollt, per LKW transportieren. Die Häuser konnten dann direkt vor Ort und entsprechend der jeweiligen Anforderung hergestellt werden. Die Nachfrage war jedoch so
begrenzt, dass Snel 2012 die WikkelhouseIdee und diese Maschine an die Firma Fiction Factory verkaufte. Seitdem entwickelt und vermarktet das Unterneh men das Wikkelhouse-Konzept an seinem Produktionsstandort in Amsterdam für dauerhafte Wohnnutzungen weiter, in der Praxis vor allem als Ferienhaus. Inzwischen steht die ursprünglich auf einem LKW montierte Wickel-Maschine in einer Produktionshalle. Das ermöglicht höhere Produktionsraten und eine
906 BEISPIELE
Schematische Außenansicht. GSEducationalVersion 2
Außenansicht.
Modulschemata.
91Häuser und Hütten
wird mit einer wasserdichten und zugleich diffusionsoffenen Folie überzo gen und mechanisch befestigt. So kann kein Wasser von außen in die Konstruk tion eindringen, aber Feuchtigkeit aus dem Bauteil heraus diffundieren. Dies vermeidet Schimmelbildung und struktu relle Schwächungen durch Feuchtigkeit im Wandkern. Den Abschluss bildet eine hinterlüftete Fassade, in der Regel aus horizontalen Holz-Lattungen. Diese bewahren die Konstruktion vor Regen,
Spritzwasser usw. Die dahinter zirkulie rende Luft schützt die Konstruktion zusätzlich vor Feuchtigkeit. Holzelemente an den Rändern der Segmente ermöglichen das Verbinden der Segmente untereinander. Die Holzelemente sind bei jedem Segment identisch angeordnet, damit die verschie dene Segmentvarianten frei kombiniert werden können. Inklusive aller konstruktiven Elemente erreicht der Wandaufbau eine Dicke von
etwa 25 cm. Durch die Form und den Herstellungsprozess des Wickelns ist der Aufbau der Dach- sowie der Bodenkonst ruktion analog zum zuvor beschriebenen Aufbau. Als Fundament dienen Beton sockel, um das Wikkelhouse 50 cm vom Boden abzuheben. Dies vermeidet Schäden an der Konstruktion durch aufsteigende Bodenfeuchte; sogar Überschwemmungen können dem Wikkelhouse nichts anhaben.
946 BEISPIELE
Das Wikkelhouse wird in Segmenten gefertigt und auf der Baustelle zusammengesetzt (oben). Es kann auch als schwimmendes Ferienhaus fungieren, hier beim Transport und an seinem Ankerplatz im Hafen von Rotterdam.
Außenansicht.
Innenansichten.
95Häuser und Hütten
HOUSE OF CARDS
Isometrie und Grundriss der Papierkonstruktion.
Das House of Cards gehört zu dem Typus der Notunterkünfte, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen ein Dach über dem Kopf bieten. Die temporär ausgelegte Rahmenkonstruktion aus Pappe eignet sich aber auch als kosten günstige und umweltfreundliche Wohn lösung an jedem Ort auf dieser Welt. Das Projekt wurde auf der Grundlage früherer Forschungsarbeiten über papierbasierte Wohneinheiten (TECH = Transportable Emergency Cardboard House) entwickelt und in enger Zusam menarbeit mit der Statikberaterin Julia Schoenwaelder ausgearbeitet. House of
Cards gewann den FutuWRO-Wettbewerb im Rahmen des Programms der Europäi schen Kulturhauptstadt Breslau 2016. Das Konzept umfasste zwei Wohneinhei ten mit unterschiedlich großen Spann weiten von jeweils 2,6 und 4,3 m. Der konstruktive Aufbau der beiden Einheiten bestand aus einer T-förmigen Rahmen konstruktion aus Pappe, ausgefüllt mit sich wiederholenden vorgefertigten Sand wichpaneelen aus Wabenpappen (Format 1,1 × 2,2 m) und Dachpaneelen. Letztere variierten abhängig von der Dachneigung und -größe. Die Längsabmessungen der Einheiten sind variabel anpassbar, je
ARCHITEKT/ERFINDER: Jerzy Łątka (archi-tektura.eu)
KONSTRUKTION: Julia Schoenwaelder
TECHNISCHE BERATUNG: Marcel Bilow
STANDORT: Breslau (Wrocław), Polen
JAHR: 2016
VERWENDUNG: Temporäres Wohnen
KONSTRUKTIONSTYPOLOGIE: Rahmenkonstruktion
FLÄCHE: 16 m²
GEPLANTE LEBENSDAUER: Temporär (18 Monate)
nach Anzahl der Bauelemente. Die räumlich unterschiedlich angeordneten Einheiten passen zu verschiedenen Bewohnertypen, beispielsweise einer Gruppe von Arbeitern oder mehreren Familien.
Die kleinere Einheit war während des Programms Kulturhauptstadt Europas
2016 auf dem Großen Ring, dem histori schen Marktplatz von Breslau, ausge stellt. Die Umsetzung des Projekts erfolgte in Zusammenarbeit mit der Breslauer Universität für Wissenschaft und Technik, deren Studenten am Bau beteiligt waren. Marcel Bilow von der
1146 BEISPIELE
Außenansicht.
115Häuser und Hütten
NOTUNTERKÜNFTE AUS PAPIER
Isometrie der Papierkonstruktion.
Die Notunterkünfte aus Papier sind das Ergebnis von Forschungsarbeiten des BAMP!-Teams und der PapierbauForschergruppe des Instituts für Statik und Konstruktion der TU Darmstadt. Ziel des Notunterkünfte-Projekts war es, eine Modulbauweise mit handelsüblichen Papierwerkstoffen zu entwickeln, die dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Das Pilotprojekt soll demonstrieren, dass Papierkonstruktionen sehr leistungsfähig sind und sich gerade wegen ihrer Einfachheit für den temporären Woh nungsbau im großen Stil eignen.
Im Falle von Ereignissen wie Erdbeben, Überflutungen und anderen Naturkatast rophen besteht ein großer Bedarf an temporärem Wohnraum. Derlei Unter künfte müssen den Bewohnern rasch Schutz bieten, leicht zu transportieren und schnell aufzubauen sein. Um Ressourcen zu schonen, ist es zudem wichtig, dass die Baumaterialien wieder verwertet werden können.
Die Hülle der Notunterkunft erfüllt durch ihren mehrschichtigen Aufbau alle geforderten Funktionen eines modernen Gebäudes. Die Aspekte Transport,
ARCHITEKT/ERFINDER: Institut für Statik und Konstruktion, TU Darmstadt
STANDORT: Darmstadt, Deutschland
JAHR: 2020
VERWENDUNG: Notunterkunft oder temporäres Wohnen
KONSTRUKTIONSTYPOLOGIE: Rahmenkonstruktion
FLÄCHE: 16 m²
GEPLANTE LEBENSDAUER: Temporär (18 Monate)
Konstruktion und Verbindung wurden so einfach wie möglich gehalten, damit auch ungelernte Arbeiter die Notunterkunft vor Ort und ohne komplexe Hilfsmittel montieren können.
Hinsichtlich der architektonischen Gestaltung spiegelt die Notunterkunft den Archetypus eines Hauses wider, da das Satteldach nahezu kulturunabhängig als bildhafte Assoziation des Wohnens verstanden wird.
Die Module basieren auf einem holztypi schen Rastermaß von 125 cm und können zu unterschiedlichen Hausgrößen
6 BEISPIELE
126
Häuser und Hütten
Gebauter Demonstrator.
Anordnung der Konstruktionssegmente zur Erstellung der Module.
127
PAPIERBRÜCKE PONT DU GARD
Diese Papierbrücke, realisiert von Mick Eekhout mit Octatube und basierend auf einem Entwurf von Shigeru Ban, greift Komponenten auf, die Octatube bereits zuvor beim Paper Theatre in Ijburg » S. 134–135 sowie einer Überdachung in Avignon verwendet hatte. Die 2 m breite Fußgängerbrücke entstand in der Nähe des römischen Aquädukts Pont du Gard aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. bei Nimes. Anlass hierfür war ein Kulturfestival. Die
Stufen bestanden ebenfalls aus Pappe, gewonnen aus Altpapier, die mit einer Kunststoffbeschichtung versehen wurde. Die Konstruktion umfasste 280 Papp hülsen mit einem Durchmesser von 115 mm und einer Wanddicke von 19 mm, die beidseitig gegen Feuchte beschichtet wurden. Die Knotenpunkte wurden wie bei den anderen zwei Projekten aus verzinktem Stahl hergestellt. Durch eine Integration von Zugstäben
ARCHITEKT/ERFINDER: Shigeru Ban
KONSTRUKTION UND PRODUKTION: Octatube
MONTAGE: Octatube mit Studierenden der Architekturfakultät Montpellier
STANDORT: Vers-Pont-du-Gard, Frank reich
JAHR: 2007
VERWENDUNG: Brücke
KONSTRUKTIONSTYPOLOGIE: Räumliche Fachwerkkonstruktion
SPANNWEITE: 20 m
GEPLANTE LEBENSDAUER: Temporär (zwei Monate)
innerhalb der Papphülsen wurden die vorgespannten Hülsen zu Fachwerkbögen zusammengesetzt. Mittels der Vorspan nung und dem Fachwerk konnten asymmetrische Belastungen durch die Fußgänger aufgenommen werden. Das Fachwerk wurde dann durch diagonale Zugseile stabilisiert. Ähnlich wie bei der Theaterkuppel in Ijburg verbinden Stahlknoten die Papphülsen. Durch die Vorspannung war eine mechanische
1386 BEISPIELE
G S E d u c a o n a V e r s o n
Isometrie.
Unteransicht der Konstruktion aus zusammengefügten Papprohren.
Verbindung der Hülsen mittels Schrauben in den Knoten nicht notwendig, da lediglich Druckspannung in den Knoten herrscht. Durch die Vorspannung der Stahlstäbe im Inneren der einzelnen Kartonröhren werden alle Röhren auf Druck beansprucht (Erfinder: Luis Weber, Octatube). Somit konnten Schraubver bindungen, die ausreißen könnten, vermieden werden und zum anderen war die Demontage sehr einfach.
139Brücken
Vorderansicht der Konstruktion.
Unteransicht.
Seitenansicht: Die Brücke spannt 20 m über den Bach. Im Hintergrund das römische Aquädukt.
Aufbau der Papierbrücke Pont du Gard.
AESOP DTLA
Die Wände, der Tresen und die Lampen bestehen aus Papprohren. Die Arbeitsplatte des Tresens ist ebenfalls aus recyceltem Papier.
ARCHITEKT: Brooks + Scarpa
BAU: RJC Builders
STANDORT: Los Angeles, USA
JAHR: 2014
VERWENDUNG: Laden
FLÄCHE: 100 m²
Aesop Downtown Los Angeles (DTLA), der bisher größte Laden des australischen Kosmetikunternehmens, befindet sich im Erdgeschoss des Eastern Columbia Building von 1929 im historischen Theaterviertel von Los Angeles, am Rande des Fashion District und in der Nähe des berühmten Orpheum Theatre. In Anlehnung an die Geschichte des Viertels und die Papprollen, auf die die
Stoffballen der Kostümgeschäfte und Modeläden aufgewickelt waren, besteht die Ladeneinrichtung aus runden Pappröhren mit einem Durchmesser von 15 cm, die als Wände und Möbel dienen. Die vertikalen Hülsen sind durch Schrau ben verbunden. Auch die Hängeleuchte wurde aus Pappröhren gefertigt. Die Arbeitsplatten bestehen aus recyceltem Papier. Für die Ausstellungsregale wurde
25 mm dickes Bambussperrholz verwen det. Die drei Porzellanwaschbecken für das Ausprobieren der Produkte wurden gebraucht erworben. Die Fußböden bestehen aus dem polierten Beton des historischen Gebäudes von 1929 und unterstreichen den Vintage-Stil. Eine lange Schaufensterfront mit großen Fenstern schafft eine Verbindung zu der belebten Straße.
1446 BEISPIELE
Außenansicht des Ladens.
Ansicht der Regalwand, die aus Papprohren hergestellt wurde.
Innenansicht des Aesop-Ladens.
145Innenausbau und Möbel
7 Additiv hergestellte Bauteile aus Papier, TU Darmstadt, 2021.
Bereich, in dem die Forschung derzeit Potenzial erwarten lässt, bezieht sich auf das Ein bringen zusätzlicher Funktionen wie die elektrische Leitfähigkeit, die Möglichkeit der gesteuerten Verformung oder des Auflösens von Teilen der Konstruktion unter be stimmten zu definierenden Umständen (Feuchte, Temperatur, Lasteinwirkung).
Was die Fügetechnik angeht, orientiert sich das Bauen mit Papier im Wesentli chen am Holzbau und adaptiert entsprechende Systeme und Komponenten. Die ab gewandelten Lösungen sind vielversprechend, da sie dem Werkstoff Papier mit seinen Eigenschaften wie der Anisotropie am ehesten gerecht werden. Neben den mechani schen Verbindungen kommt auch der Klebetechnik eine große Bedeutung zu, die im Holzbau in den letzten Jahren ebenfalls sehr erfolgreich vorangetrieben wurde. Mit ihr lassen sich Kräfte flächig verteilt in den Werkstoff einbringen, was bei Papierkonstruk tionen von Vorteil ist.
Auch die Fügetechniken aus dem Textilbereich lassen sich gut auf das Bauen mit Papier übertragen: Als flächiger Werkstoff können Textilien besser Zug- als Druckkräfte aufnehmen » Abb. 6. Entsprechende Lösungen mit Nähten, Kederanschlüssen oder Ver klebungen sind gut denkbar und haben Entwicklungspotenzial. Abschließend sei auf den Aspekt der additiven Herstellung hingewiesen. Auch beim Papier sind volumen erzeugende Herstellungsprozesse vorstellbar, die aus der Papiermasse freigeformte Bauteile erzeugen. Erste Versuche hierzu sind wegweisend » Abb. 7
Materialtechnologie
Einer der Anlässe für das Projekt „BAMP! – Bauen mit Papier“ war der Umstand, dass bisher alle Bauwerke aus Papier aus Materialien wie etwa Wellpappe bestehen, die eigentlich für eine ganz andere Branche, nämlich die Verpackungsindustrie gedacht sind – einzige Ausnahme hiervon sind die Kartonagen für Gipskartonplatten. Offen sichtlich gab es an der Schnittstelle zwischen Papierherstellung und der Baubranche bisher nur sehr wenig Austausch und kaum spezifische Produktentwicklungen. Das BAMP!-Projekt konnte an dieser Schnittstelle dazu beitragen, entsprechende Netzwer
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nehmen und wieder abgeben können. Dies könnte eine signifikante Wirkung auf das Raumklima in Bezug auf die Luftfeuchtigkeit haben. Auch hierzu gibt es bisher kaum Erkenntnisse.
Die Verwendung von Füllstoffen, insbesondere mineralischen, spielt in der Her stellung konventioneller Papiere eine große Rolle. Dabei geht es vor allem darum, die optischen Eigenschaften und Oberflächenqualitäten zu verbessern, das spezifische Gewicht zu erhöhen und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Wasser, Fett, Öl usw. (Barrierequalität) zu optimieren. Auch Bauanwendungen können Anlass geben, die Ei genschaften von Papier zu verbessern, etwa hinsichtlich Wärmeleitfähigkeit, Brand schutz, Masse, Schalldämmung und auch Widerstandsfähigkeit gegen Feuchtigkeit und Mikroorganismen. Auch die Anbindungsfähigkeit von papierbasierten Schichten an mineralische Schichten (z. B. Papier-Beton-Laminate) lässt sich durch das gezielte Einbringen von Füllstoffen in die der Betonoberfläche zugewandte Papierschicht ver bessern.1 Es ist vorstellbar, dass durch Füllstoffe eine Trennschicht zwischen einer Pa pierlage und einer darauf aufgebrachten Putzoberfläche so eingestellt werden kann, dass die Putzlage nach Ende ihrer Nutzungszeit gut abgetrennt und separat von der Papierlage rezykliert werden kann.
Das Thema Materialkombinationen, beispielsweise in Form von Laminaten, ist generell sehr spannend. Papier lässt sich sehr einfach mit unterschiedlichen Materia lien verbinden. Dazu kann man die vielen OH-Gruppen an der Oberfläche der Cellulo sefasern nutzen, die mit verschiedensten Klebstoffen oder Bindemitteln gute Haftei genschaften erreichen. Bei Papier-Glas-Laminaten wurde dies an der TU Darmstadt in ersten Versuchen untersucht » Abb. 8. Glas und Papier haben mechanisch und auf an deren physikalischen Ebenen komplementäre Eigenschaften und bieten somit Poten zial für spannende Synergien. Beide Materialien dehnen sich bei zunehmenden Tempe raturen nur wenig aus, und die optischen Eigenschaften von Papier lassen sich durch
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11 Sandwichkern aus Papier in Miura-Faltung.
DAS NATÜRLICHE MATERIAL PAPIER IST DERZEIT GEGENSTAND DER FORSCHUNG UND ERPROBUNG IN DER BAUPRAXIS. ES IST KOSTENGÜNSTIG HERSTELLBAR, BESTEHT AUS NACHWACHSENDEM ROHSTOFF UND IST VOLLKOMMEN REZYKLIERBAR.
DER SCHWERPUNKT DER VERWENDUNG LIEGT DABEI AUF DER TEMPORÄREN NUTZUNG, ETWA IN ÜBERGANGSBAUTEN FÜR SCHULEN, NOTUNTERKÜNFTE ODER „MICROHOMES“. RICHTIG VOR NÄSSE UND FEUER GESCHÜTZT, ERWEIST SICH DAS MATERIAL ALS FEST UND HALTBAR. UND AUCH DER ARCHITEKTONISCHE ANSPRUCH KOMMT DABEI KEINESWEGS ZU KURZ, WIE BEISPIELE VON PRITZKER-PREISTRÄGER SHIGERU BAN ZEIGEN.
DIE EINFÜHRUNG ERKLÄRT DIE GRUNDLAGEN DES BAUENS MIT PAPIER UND ZEIGT SPANNENDE ANWENDUNGEN.