EIN MATERIAL MIT LANGER TRADITION | MATERIALEIGENSCHAFTEN | FERTIGUNGSPROZESSE | ANWENDUNGEN: INNENBEREICH | ANWENDUNGEN: AUSSENBEREICH | STOFFSTRÖME | OBERFLÄCHENEFFEKTE | MUSTER UND RÄUMLICHE ANORDNUNGEN | THERMODYNAMISCHE HÜLLEN | STRATEGIEN ZUR INDIVIDUALISIERUNG DER FORM | SYSTEME IN ENTWICKLUNG, PRODUKTE UND TECHNOLOGIEN
K E R A M I S C H E BAU SYS T E M E
KERAMISCHE BAUSYSTEME: Weit über traditionelle Aufgaben für Dekor und Schutz hinausgehend, stehen heute ausgereifte keramische Systeme für den Einsatz in der Architektur zur Verfügung. Auf der Basis avancierter Materialforschungen, Fertigungstechnologien sowie digitaler Entwurfsmethoden eröffnen diese hoch performativen, multifunktionalen Produkte neue Verwendungsmöglichkeiten für Keramik in Architektur und Bauwesen.
MARTIN BECHTHOLD
ANTHONY KANE NATHAN KING
KERAMISCHE BAUSYSTEME IN ARCHITEKTUR UND INNENARCHITEKTUR
MARTIN BECHTHOLD ANTHONY KANE NATHAN KING
Verlag und Autoren danken NBK Architectural Terracotta und AGROB BUCHTAL für die freundliche Unterstützung dieser Publikation. Layout, Covergestaltung und Satz: Reinhard Steger Deborah van Mourik Proxi, Barcelona Übersetzung aus dem Englischen: Steffen Walter, Falkensee Fachredaktion der Übersetzung: Oliver Schaeffer, München Lektorat und Redaktion: Andreas Müller, Berlin Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN PDF 978-3-0356-0322-4, ISBN EPUB 978-3-0356-0335-4) sowie in einer englischen Sprachausgabe (ISBN 978-3-03821-843-2, ISBN PDF 978-3-03821-024-5, ISBN EPUB 978-3-03821-593-6) erschienen. Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2015 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei
In diesem Buch werden etwa bestehende Patente,
gebleichtem Zellstoff. TCF ∞
Gebrauchsmuster, Warenzeichen u.ä. in der Regel nicht erwähnt. Wenn ein solcher Hinweis fehlt, heißt das nicht, dass eine
Printed in Germany
Ware oder ein Warenname frei ist. Aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen genannten Materialien und Produkte war
ISBN 978-3-0356-0279-1
eine jeweilige Prüfung hinsichtlich eines eventuell vorhandenen Markenschutzes nicht möglich. Im Zuge einer einheitlichen
987654321
Handhabung wurde deshalb auf die Setzung von Warenzeichen
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(z.B. ® oder TM) in der Regel verzichtet.
INHALT
8
KAPITEL 1
KERAMISCHE MATERIALSYSTEME
35
Brennen und Brennöfen
38 Glasieren 38 Nachbearbeitung 39
Verpackung und Distribution
12
GEBRANNTER TON – EIN MATERIAL MIT LANGER TRADITION
40 KAPITEL
12
40 43
19. Jahrhundert 16
Vom 20. Jahrhundert bis in
OBERFLÄCHENEFFEKTE 64 Einleitung
The Wallpaper Factory, Islington,
5
ANWENDUNGEN: INNENBEREICH
Nord-London, Großbritannien 68 Farbvariationen
Museum Brandhorst,
Verklebte Fliesensysteme
70
Individuelle Glasuren
Mechanisch montierte Fliesen
Erweiterungsbau des
München, Deutschland
44 Sanitärkeramik
Holburne Museum, Bath, Somerset, Großbritannien
die Gegenwart 46 18
KAPITEL 3
MATERIALIEN UND MATERIAL EIGENSCHAFTEN 18 Ton 19 Tonmassen 21 Schwinden 22
Eigenschaften keramischer
Bauteile 22 Glasuren 25
KAPITEL 6
ANWENDUNGEN: AUSSENBEREICH 46 50
Hinterlüftete Fassaden
52
Verschattungs- und Sichtschutzelemente
53 Akustikverkleidungen 54 Bedachungen
Weitere Anwendungen im Außenbereich
Weitere Oberflächenbehandlungen
Dreidimensionale Oberflächen
Museum der Kulturen Basel, Schweiz
74
Glasuren mit Perlglanzeffekt
MUCA Konzerthalle und Auditorium, Algueña, Alicante,
Verbundfassaden mit aufgeklebten Fliesen
55
72
Spanien 78 Abziehbildverfahren
80 Hochleistungsoberflächen
Weststrand-Promenade, Benidorm, Spanien 82 Tintenstrahldruck
KAPITEL 7
FERTIGUNGSPROZESSE
STOFFSTRÖME: BETRACHTUNGEN ZUM LEBENSZYKLUS
28 Trockenpressen
58
29 Extrusion 31 Slumping 32 Schneiden 32 Feuchtpressen 33 Schlickerguss 35
Drehen auf der Töpferscheibe
35
Über- und Einformung
Restaurant La Mandarra de La Ramos,
56
KAPITEL 4
One Eagle Place, London, Großbritannien
und -beschichtungen
26
KAPITEL 8
66 Oberflächenreliefs
KAPITEL 2
Von den Anfängen bis ins
64
Pamplona, Spanien 84 Nanobeschichtungen
Pinnacle, Bologna, Italien
Von der Rohstoffgewinnung bis zur Produktion
59
Bau- und Nutzungsphase
60
Szenarien für das Ende der Nutzungsdauer
62
Ökobilanzierung und Materialvergleiche
5
86
KAPITEL 9
118
KAPITEL 10
148
KAPITEL 11
MUSTER UND RÄUMLICHE ANORDNUNGEN
THERMO‑ DYNAMISCHE HÜLLEN
STRATEGIEN ZUR INDIVIDUALISIERUNG DER FORM
86 Einleitung
118 Einleitung
148 Einleitung
88
Komplexe Geometrie
120
150
Pulsate, Primrose Hill,
Ziegeln
London, Großbritannien
Halle 8B, Verwaltung eines
90
Komplexe Montage
Kulturzentrums, Madrid, Spanien
154
Pixelierung des Baukörpers
Jüdisches Gemeindezentrum,
124
Grão – Keramikpixel
Spanischer Pavillon, Expo 2005,
Mainz, Deutschland
Jardim Botânico Tropical,
Tektonik aus wiederverwendeten
Computergestütztes SlumpingVerfahren Villa Nurbs, Empurabrava, Spanien
Aichi, Japan
94
Nichtrepetitive Anordnungen
Travessa do Marta Pinto,
Zamet Center, Rijeka, Kroatien
Belém/Lissabon, Portugal
Schlickergusselementen
98
Figurative urbane Mosaiken
Sonnenschutz in Mauerwerkoptik
Villa für einen Industriellen,
Muhammad Ali Center,
Student Services Building,
Shenzhen, China
Louisville, Kentucky, USA
University of Texas at Dallas,
162
Individualisierte Extrusions‑
100
Urbane Mosaiken auf
Texas, USA
elemente für kleine Stückzahlen
126
Hochrelief-Flächen aus
gekrümmten Oberflächen
130 Lichtmodulation
Kosemo Brick, Archie Bray
Markthalle Santa Caterina,
Erweiterung des Israel Museum,
Foundation, Helena,
134
Perforierte Platte
Barcelona, Spanien
Jerusalem, Israel
104 Robotergestützte
Montana, USA 166 Systemvariation
Mosaikherstellung
Schulbibliothek, Gando,
Behörde für Stadtentwicklung
Iowa State Mural,
Burkina Faso
und Umwelt,
Ames, Iowa, USA 106
158
136
Kühler Hohlraum
Hamburg, Deutschland
Flächen mit regelmäßigem
Patio 2.12, Andalucía Team, Solar
Vieleckmuster
Decathlon Europe 2012, 2. Preis,
Rekonstruktion der Kuppeln des
Urban Guerrilla, Valencia, Spanien
Madrid, Spanien
Alberta Legislature Building,
108
Vorhang aus Fliesen
Xinjin Zhi Museum,
140
112
Dreidimensionale Systeme
Atmende Säulen Spanischer Pavillon auf der Expo
Chengdu, China 144
170
Digitale Rekonstruktion
Edmonton, Kanada 172 Winkelvariation
2008, Saragossa, Spanien
Trumpf Betriebsrestaurant,
BIO SKIN
Ditzingen, Deutschland
3Dx1, Mailand, Italien
Sony Research and Development
176
Definierte Rauten
114
Selbsttragende Systeme
Office, Tokio, Japan
Umgestaltung La Riera de la Salut,
Casalgrande Ceramic Cloud 180
Fertigung geschichteter
(CCCLoud), Reggio Emilia, Italien
Sant Feliu de Llobregat, Spanien Strukturen Erweiterung des Oceanário, Lissabon, Portugal 184
Diskretisierung von Verbundflächen Erweiterung Museum de Fundatie, Zwolle, Overijssel, Niederlande
6
188
KAPITEL 12
SYSTEME IN ENTWICKLUNG
PRODUKTE UND TECHNOLOGIEN
ANHANG
188 Einleitung
206 Einleitung
218 Über
190
207
Fertigungsanlagen für
219 Namenregister
großformatige Fliesen
221 Sachregister
Großformatige Fliesen:
223 Sponsorenprofil
Neolith, Techlam, Maximum
224 Abbildungsnachweis
Roboterverlegte Fliesenmosaiken Design Robotics Group an der Graduate School of Design der
207
Harvard University 192
Integriertes Design-to-Robotic
208
Ökosystem
Waschtisch aus Saphirkeramik
Design Robotics Group an der
208
Bioaktive Keramik: Bionictile
Graduate School of Design der
209
Im Slumping-Verfahren
209
Im Slumping-Verfahren
210
Transluzentes Porzellan:
Polytechnic Institute, und
210
Modularer Keramikofen
Skidmore, Owings & Merrill (SOM)
211
Berliner Ofenkacheln
Harvard University 194
Thermisch aktivierte
hergestellte Fliese: UP
Gebäudehüllen The Center for Architecture,
hergestellte Fliese: STAR
Science and Ecology, Rensselaer
196 Keramik-Beton-Verbundschale
Material Processes and Systems
Slimmker-Light
211 Keramos-Schränke 211
Group an der Harvard University und der Technischen Universität
212 Physikalische
200 Schaumkeramik
202
Gasphasenabscheidung (PVD):
Fotosensitive Blueware-Fliesen Studio Glithero
Im Inkjet-Druck hergestellte Fliesen: Emotile
Graz 198
Hochfestes Porzellan:
Metallbeschichtungen 213 Lasergravur 213 Recyclingfliesen
European Ceramic Work Center,
213
Vormontierte Systeme: Flexbrick
Joris Laarman Studio BV
214
Verbundsystem aus Keramik und
Additive Keramiksysteme
204 Automatisierte
Materialbearbeitung
Beton: Terraclad 214
Keramiklamellen-System: Shamal
215
Solar-Dachziegel: Panotron
215
Garderobe aus Keramik: Milkystar
216
Keramik zur Schalldämpfung: Akustikschindel
216
Fliese für industrielle Anwendungen: Acigres
216
Material-Mimikry: Age Wood, Age Beton, Age Blend
7
die Autoren
KAPITEL 3
MATERIALIEN UND MATERIALEIGENSCHAFTEN Aufgrund ihrer Eigenschaften sind keramische Materialien für verschiedenste architek tonische Anwendungen geeignet. Ihre Härte, Dichte und Dauerhaftigkeit sowie die Möglichkeit eines variantenreichen Erscheinungsbilds haben Keramik seit Jahrhunderten weltweit zu einem beliebten Baumaterial gemacht. Von Nachteil sind die Sprödigkeit und unzureichende Zugfestigkeit des Baustoffs; diese sind durch geeignete Entwurfs- und Detaillierungsstrategien zu kompensieren. Tonbasierte keramische Elemente verfügen je nach Region über jeweils einzigartige Materialeigenschaften, die sich in Abhängigkeit von den geologischen Bedingungen unterscheiden (1). Moderne Architekturkeramik weist maßgeschneiderte Eigenschaften auf, die durch bestimmte Mischungen von Ausgangsstoffen (Tonmassen) beeinflusst werden. Während des Sinter- oder Brennvorgangs kommt es zur Umwandlung von Ton zu Keramik und in bestimmten Fällen zu einer Verglasung des Materials, so dass ein gefügedichtes, homogenes Produkt entsteht. Die Materialeigenschaften werden hier anhand ihrer Veränderung vom ungebrannten (Ton) über den gebrannten (Keramik) bis zum endbehandelten Zustand (glasiert usw.) betrachtet; das nachfolgende Kapitel 4 stellt dann die Formungsprozesse dar. 1 Ton-Rohmaterialien in einer Keramik-Produktionsstätte in Uganda.
Ton „Ton“ ist ein Begriff zur Beschreibung einer Gruppe von natürlichen Stoffen mit spezifischen Zusammensetzungen und Eigenschaften, die sich in einem Brennvorgang zu Keramik umwandeln lassen. Ton ist weltweit in großen Mengen verfügbar und besteht vor allem aus Tonmineralen wie z.B. dem Kaolinit (Al2O3 + 2SiO2 + 2H2O) sowie aus Gesteinssanden wie Quarz und Feldspat. Der Rohstoff bildete sich über verschiedene geologische Zeitalter durch die Zersetzung von Erstarrungsgesteinen, vor allem Granit, zu Feldspat. In Verbindung mit einem chemischen Hydratationsprozess führt der Abbau von Feldspat zu Tonerde, Quarz und weiteren Mineralien zur Bildung von Ton. Dieser lässt sich in Primärton und Sedimentton (Sekundärton) unterscheiden. Primärton verbleibt am Ort des ursprünglichen Feldspatvorkommens und ist oft der reinere und seltenere der beiden Typen. Der häufiger anzutreffende Sedimentton ist in der Regel plastischer und bildet die Basis für den Großteil der derzeitigen Herstellung von Architekturkeramik. Durch Einwirkung von Wind, Wasser und glazialen Kräften können Sedimenttone von ihrem Entstehungsort verschoben werden. Verunreinigungen mit weiteren Mineralien und organischen Verbindungen führen zu Eigenschaften des Tons, die sich je nach geologischer Region unterscheiden (2).
Tonmassen Tonmassen sind Mischungen verschiedener Tone und Zusatzmittel, die auf die jeweiligen
2 Heller
Dunkler
Porenhaltig
Steingut
Terracotta*
Gefügedicht
Projekterfordernisse zugeschnitten werden. In Verbindung mit der Regelung des Temperatur-
Porzellan
Steinzeug
profils im Zeitverlauf des Brennverfahrens erlaubt dies ein hohes Maß an Individualisierung der Produkte mit erheblichen Unterschieden in Dichte, Porosität und Festigkeit sowie in den thermischen Eigenschaften. Entwurf und Produktion von Tonmassen sind ein eigenständiges Spezialgebiet, das Chemie und Verfahrenstechnik vereint. Tonmassen sind von entscheidender Bedeutung für das Leistungsprofil der keramischen Elemente. Angesichts der Komplexität der damit verbundenen Fragestellungen obliegt dieser Teil des Entwurfsprozesses eindeutig den Materialwissenschaftlern, Chemikern oder Keramikingenieuren bei den Herstellern, wobei sich der Rezepturentwurf auf die vom Projektteam vorgegebenen Leistungsmerkmale stützt. Meist kommen als Tonmassen für Architekturkeramik Steingut und Steinzeug (beides Sedimenttone) sowie Porzellan zum Einsatz. Allgemeinsprachlich werden diese Begriffe in Bezug auf Gebrauchskeramik verwendet, dienen hier jedoch als technische Benennungen für die verschiedenen Mischungen aus Ton und Zusatzmitteln (3). Weitere Unterscheidungen beziehen sich
Darstellung häufiger Zusammensetzungen von Tonmassen: Steingut, Steinzeug und Porzellan.1 * Terracotta wird oft als Steingut angesehen und als Bezeichnung für alle Arten von rötlicher und bräunlicher Keramik in der Architektur verwendet.
auf geringfügig abweichende Zusammensetzungen innerhalb der einzelnen Tontypen. Steingut ist ähnlich wie Porzellan immer weiß, wird jedoch zwischen 1.000 °C und 1.100 °C gebrannt. Terracotta wird ebenfalls etwa bei 1.000 °C gebrannt, ist aber immer mit Eisen verunreinigt und daher rot. Das Material wird für Blumentöpfe, Dachziegel, dicke Fliesen, Mauersteine oder größere Fassadenelemente eingesetzt. Steingut-Tonmassen weisen eine relativ grobe Korngröße auf. Steinzeug dagegen, häufig für Fliesen in architektonischen Anwendungen sowie für Fassadenelemente verwendet, besteht aus feinerem Granulat, verfügt über bessere mechanische Eigenschaften und hat einen geringeren Porositätsgrad. Glasierte Rohre für städtische
Zusammensetzungen beispielhafter Tonmassen (A–E)*
A 30
Steinzeugton Temperaturen gebrannte weiße Kaolinmasse, die dabei üblicherweise vollständig vitrifiziert
25
Typische Steingutzusammensetzungen
Wasserleitungen werden in der Regel aus Steinzeug hergestellt. Porzellan ist eine bei höchsten Gewöhnlicher roter Ton
C
D
E
20
20
30
35
10
10
20
10
30
10
10
15
25 35 75
Roter Ton
wird, um selbst ohne Glasur eine sehr niedrige Wasseraufnahme zu gewährleisten. Jede dieser Drehton
B
25
15
20
Grund-Tonmassen wird zu einer nahezu flüssigen Gießmasse, wenn Dispergiermittel zugegeben Kaolin Feuerfester Ton werden. Dies sind in der Regel Natriumsilikate, die der Beseitigung der elektrischen Anziehung Flint
zwischen den Tonpartikeln dienen und so den Ton in einem niedrigviskosen Zustand halten. GießNephelinsyenit Zusammensetzungen beispielhafter Tonmassen (A–E)*
A
B
C
D
10
10
10
E
Typische Steingutzusammensetzungen
massen werden zur Formung von geometrisch komplexen, häufig hohlen Elementen verwendet. Talk 25 Gewöhnlicher roter Ton 30 Typische Steinzeugzusammensetzungen
Typische daraus hergestellte Produkte sind Toiletten- und25 Waschbecken (siehe Kapitel 4 Steinzeugton mit 35 Steinzeugton
Steinzeugton
25
25 35
25
15
Feuerfester Ton
10
10
Flint
10
20
Kaolin
Nephelinsyenit
Steinzeugzusammensetzungen Typische Steinzeugzusammensetzungen
80
75
Drehton
10
15
Typische Porzellanzusammensetzungen
Diagramm mit Darstellung häufiger Kapselton 2 Ton-Grundtypen. Drehton 15 10
20
30
35
10
10
20
10
30
10
10
15
40
30
Talk Steinzeugton
20
20 20
30
40
Kaolin 10
Roter Ton Feldspat
10
10
10
10 30
Feuerfester Ton Georgia-Kaolin
35
25
Florida-Kaolin
10
15
Englischer Drehton
5
10
25
5
30
40
15
25
Kentucky-Drehton
15 10
30
30
25
Nephelinsyenit Flint
5 15
10
Flint
Feldspat
30
20 25
20
20
25
20
*Teile pro Hundert
20
20
Kaolin Feuerfester Ton
10
Flint
10
Nephelinsyenit
20
20
30
35
10
20
10 10
10 30 10 Zusammensetzungen beispielhafter Tonmassen (A–E)*
A
B
C
10 D
Gewöhnlicher Steinzeugton roter Ton
30 80
75
25 40
30
Steinzeugton Kapselton
25
Roter Ton Drehton
10
75 15
20
30
30
Drehton Kaolin
25
15
20
20
20 40
30 10
35 5
Feuerfester Feldspat Ton
10 10
10 10
10
Flint Flint
10
Talk
E
75
Roter Ton Drehton
D
Typische Steingutzusammensetzungen Typische Steinzeugzusammensetzungen
30
C
TypischeTypische Steinzeugzusammensetzungen Porzellanzusammensetzungen
Gewöhnlicher roter Ton
B
Typische Porzellanzusammensetzungen
Typische Steingutzusammensetzungen Steingutzusammensetzungen Typische
A
15
15 E
35 20
Kaolin Roter Ton
Nephelinsyenit Feuerfester Ton
15
10 10
10
20 10
10
30 30
10
Talk Georgia-Kaolin
35
25
25
10 5
15 30
Steinzeugton Florida-Kaolin
80 10
75 15
40
30 40
15
30 10
30
Kapselton Englischer Drehton
5
10
20 25
Drehton Kentucky-Drehton
10
15
20
Kaolin Feldspat
30
30
25
10 20
10 20
10 25
Roter Ton Nephelinsyenit Flint Feldspat
10 25
5
20
20 15
30
Feuerfester Ton Georgia-Kaolin
35
25
Florida-Kaolin
10
15
Englischer Drehton
5
10
25
5
30
40
15
25
Kentucky-Drehton
15 10
30
30
25
Nephelinsyenit Flint
40 20
*Teile 10 pro Hundert10
Flint
Feldspat
15
20 25
20
20
25
20
*Teile pro Hundert
20
Drehton
75
10
15
40
30
20 20
30
10
Roter Ton Feldspat Flint
30 40
Kaolin
10
10
10
5 15
10 Zusammensetzungen beispielhafter Tonmassen10 (A–E)* A
B
C
30 D
E
Gewöhnlicher roter Ton Georgia-Kaolin
30 35
25
25
5
30
Steinzeugton Florida-Kaolin
25 10
15
35
40
15
Roter Ton Drehton Englischer
5
75 10
25
Drehton Kentucky-Drehton
25
15
20
20 10
20
25
30
35 20
Feuerfester Ton
Kaolin Feldspat
30
30
Feuerfester Ton Nephelinsyenit
10
10
Flint Flint
10 20
20
10 25
10 80
75
10
15
40
20
30
10 10
10
10
10 30
Feuerfester Ton Georgia-Kaolin
35
25
Florida-Kaolin
10
15
Englischer Drehton
5
10
25
5
30
40
15
25
Kentucky-Drehton
15 10
30
30
25
Nephelinsyenit
19
5 15
10
Flint
Flint
30 40
Roter Ton
Feldspat
15
30
Kaolin
Feldspat
20
20
Kapselton Drehton
10 20
10 pro Hundert 30 10 *Teile
Nephelinsyenit
Steinzeugton
15
25
Talk Typische Steinzeugzusammensetzungen
Zusammensetzungen beispielhafter Tonmassen (A–E)*
25
Typische Porzellanzusammensetzungen
3
Drehton
Typische Steingutzusammensetzungen Porzellanzusammensetzungen Typische
75 Roter Ton Kapselton einer ausführlichen Erläuterung der Fertigungsprozesse).Die Unterscheidung verschiedener
80
20 25
20
20
25
20
*Teile pro Hundert
20
KAPITEL 4
FERTIGUNGSPROZESSE
Die Herstellung keramischer Materialien erfordert eine komplexe Abfolge von Prozessschritten. Diese beginnen im vorgelagerten Bereich mit der Rohstoffgewinnung und -aufbereitung, gefolgt von der Tätigkeit des Keramikherstellers, welche die Formgebung, das Glasieren, die Trocknung und das Brennen der Tonmasse umfasst. Des Weiteren gehören hierzu die Nachbearbeitung und Verpackung sowie die nachgelagerte Logistik und der Einbau (1). Im Gegensatz zu den meisten anderen Baustoffen lässt sich Ton in unterschiedlichsten Zuständen formen – vom trockenen Pulver bis zur nahezu flüssigen Gießmasse. Im plastischen Zustand ist er ohne Wärmezufuhr unter vergleichsweise niedrigem Druck formbar. Diese Bandbreite an möglichen Prozessschritten führt zu einem äußerst vielseitigen Fertigerzeugnis. Industrielle Keramikhersteller betreiben automatisierte Anlagen mit hohem Produktionsausstoß (2). Die handwerkliche Herstellung ist durch manuelle Arbeitsschritte und die Produktion kleiner Mengen an Endprodukten mit größeren Toleranzen gekennzeichnet (3). Für Architekten, die sich der Planung maßgeschneiderter Keramiksysteme für Fassaden, Dächer oder Innenräume verschrieben haben, haben sich Kombinationen beider Ansätze als am geeignetsten erwiesen. Diese Art der objektspezifischen Anpassung erfordert Produktionsmengen von einigen Tausend Stück. Sie ist eng verwandt mit der echten „kundenindividuellen Massenproduktion“, jedoch nicht mit dieser identisch. Letztere umfasst die Herstellung unterschiedlicher Artikel in größeren Stückzahlen, die vorwiegend aus Kombinationen von kundenindividuell standardisierten Modulen entstehen. Die Grundlagen der keramischen Herstellungsverfahren sind unabhängig von der jeweiligen Fertigungsumgebung, jedoch gibt es darüber hinaus wichtige Unterschiede. Aus Sicht des Entwerfers ist die praktische Unterscheidung zwischen „Feucht“- und „Trocken“verfahren vermutlich am zielführendsten, wenn es um die Abwägung von Optionen für die Formgebung keramischer Elemente geht. Diese Einordnung hat Auswirkungen auf die Produktionskapazität (bei der Verarbeitung im Nasszustand geht es eher um kleine Stückzahlen), die Maßtoleranzen, die Art der eingesetzten Werkzeuge und die Stückkosten. Hier zeigt sich am deutlichsten die Fähigkeit des Entwerfers zur Entwicklung neuartiger oder kundenindividualisierter keramischer Elemente. Nahezu alle Fertigungsprozesse für Architekturkeramik umfassen eine Abfolge ähnlicher Schritte: die Aufbereitung der Tonmasse und nachfolgend ihre Formgebung und Trocknung, den Brennvorgang, die Nachbearbeitung und Verpackung. Im Zuge des steigenden Automatisierungsgrades der industriellen Fertigung werden mehrere dieser Phasen miteinander verbunden. In auf größte Stückzahlen ausgelegten Produktionsbetrieben wird während oder unmittelbar nach dem Formgebungsprozess der Tonmasse ein Beschichtungsmaterial (Glasur) aufgebracht, und die daraus entstehenden Erzeugnisse werden getrocknet und direkt in den Brennofen transportiert. (Wichtige Prozessabweichungen werden nachfolgend im Zusammenhang mit dem Grad der möglichen Individualisierung erläutert. Weiteres findet sich in den Fallbeispielen in den Kapiteln 8 bis 12.)
1
2
Typische Fertigungsabläufe für keramische Materialsysteme für die Architektur.
Automatisierte Anlagen ermöglichen die Produktion großer Stückzahlen bei äußerst geringem Personalaufwand.
Rohstoffgewinnung und -aufbereitung Ton
Rohstoff 1
Weitere Ausgangsstoffe
Rohstoff 2
Rohstofflieferanten
Oberflächenbehandlung
Tonmasse
Extern
Keramikhersteller
Wasser
Anpassung der Tonmasse
Ausrüstungen
Formgebungsverfahren
Schamotte
Abfallrückgewinnung
3 Abfallrückgewinnung
Trocknung
In einer für mittlere Stückzahlen ausgelegten Betriebsstätte im spanischen Valencia glasiert eine Kunsthandwerkerin manuell eine im Gießverfahren hergestellte Keramikfliese.
Aufbringen der Glasur
Abfallrückgewinnung
Lufttrocken Ofenbrand
Schrühgebrannt
Erhärtet Abfallrückgewinnung Abfall
Hilfs-/ Betriebsstoffe
Abfallrückgewinnung
Nachbearbeitung
Verpackung
Erhärtet
Lagerung und Versand
Ofenbrand
Marketing
Distributionsnetzwerke Baustoffe
Branchenverband
Distributor
Bauunternehmen
Einbauunternehmen
Fassadenbauer
Einbau auf der Baustelle
Abfall
Es existieren heute nur wenige andere Branchen, in denen es zugleich Massenhersteller sowie Unternehmen gibt, die feiner abgestufte, handwerklich orientierte Produktionsverfahren einsetzen. Am unteren Ende der Skala möglicher Stückzahlen finden sich Künstler und Gebrauchskeramiker, die gelegentlich Erzeugnisse für architektonische Anwendungen – häufig als Einzelanfertigungen – herstellen. Mittlere Produktionsmengen sind mit einem höheren Spezialisierungsgrad der Belegschaft verbunden, deren Arbeitsteilung beispielsweise Handformung oder Strangpressung von Elementen, Glasieren, Steuerung des Brennvorgangs und weiteren Arbeitsschritte umfassen kann. Viele der im Buch angeführten Beispiele, insbesondere in Bezug auf die Individualisierung von Formen und thermodynamischen Hüllen, stehen für die Verzahnung von handwerklichen Arbeitsgängen mit Technologien, die üblicherweise für die Herstellung großer Stückzahlen Anwendung finden. Letztere umfassen unter anderem automatisierte, teils robotergestützte Anlagen zum Aufbringen der Glasur sowie computergesteuerte Brennöfen und Maschinen für die Nachbearbeitung. Hybride Fertigungsumgebungen dieser Art bieten das größte Potenzial für die Individualisierung von Erzeugnissen. Hersteller, die diesen Ansatz verfolgen, arbeiten bei der Entwicklung objektspezifischer Keramiksysteme häufig direkt mit Planungsteams zusammen. Schließlich sind in groß dimensionierten Produktionsanlagen sämtliche Schritte der Formgebung, Endbehandlung und Nachbearbeitung des Tons automatisiert, meist unter Einsatz von Robotertechnik und mit einem Mindestmaß an manueller Interventionsmöglichkeit. Änderungen an produzierten Chargen sind auf ein Minimum zu beschränken, um kostenintensive Prozessunterbrechungen für die Einrichtung der Anlagen zu vermeiden. Ebene Fliesen werden zu einem Großteil auf solchen Anlagen hergestellt.
27
KAPITEL 5
ANWENDUNGEN: INNENBEREICH
Verklebte Fliesensysteme In Innenräumen allgegenwärtig ist das vielleicht bekannteste Anwendungsbeispiel keramischer Materialsysteme: die Fliese, mit der an Wand und Boden widerstandsfähige Oberflächen geschaffen werden können. Als eine der ältesten Anwendungen von Keramik in Gebäuden ermöglichen Fliesen die Realisierung einer breiten Palette an Farbtönen und Oberflächeneffekten, in jüngster Zeit auch fotorealistische Nachbildungen anderer Werkstoffe wie Holz oder Naturstein sowie individualisierte grafische Dekorelemente. Kleinere Fliesenformate lassen sich auf einfache Weise mittels Klebung auch auf komplex geformten Oberflächen fixieren, wie beispielsweise in der Bibliothek im ungarischen Pécs (1). Oberflächenbeläge dieser Art bestehen aus Fliesen, die auf biegesteife Unterkonstruktionen aufgeklebt werden. Die dazwischenliegenden schmalen Fugen werden mit Mörtel verfüllt. Ihre Langlebigkeit, Reinigungsfreundlichkeit selbst nach strengsten Hygienestandards sowie allgemein ihre Widerstandsfähigkeit sind entscheidende Vorteile. Am weitesten verbreitet sind hier die Trockenpressung und die Extrusion, mit denen Fliesen in Abmessungen von 12 × 12 mm bis ca. 450 × 450 mm hergestellt werden. Kleine Fliesen in Größen von 12–50 mm werden üblicherweise als Mosaikfliesen bezeichnet und bereits im Werk auf ein Gitter aufgeklebt, um die Verlegezeit zu verkürzen. Das gesamte einzubauende Mosaikfliesenelement misst dann etwa 300 × 300 mm (2). 1 Vielfarbige Keramikfliesen be decken die komplex geformte Oberfläche des „Bienenstocks“ im Gebäude einer Regionalbibliothek im ungarischen Pécs, entworfen vom Architekturbüro Török és Balázs Építészeti Kft.
Am anderen Ende der Skala finden sich neueste Entwicklungen in Richtung immer größerer Fliesen in Abmessungen von bis zu 1.500 × 3.000 mm und Stärken von nur 3–5 mm. Diese Produkte sind häufig mit Glasfasern verstärkt, die auf die Rückseite auflaminiert oder zwischen zwei Keramik-Außenschichten eingebracht werden. Dünne Fliesen lassen sich als auflaminierte Oberfläche von Möbeln oder als Wand- und Bodenbeläge nutzen und in einfach gekrümmten Bereichen verlegen. Von den Autoren durchgeführte Versuche zeigen, dass sich die Radien einer einfachen Krümmung für 3 mm dicke Fliesen an 3 m annähern können. Bereits vorhandene Fliesenbeläge lassen sich damit ohne wesentliche Erhöhung der Gesamtstärke des Bodenbelags überfliesen. Mit einer Biegefestigkeit von etwa 50 N/mm2 sind solche dünnen Erzeugnisse selbst für Fassaden mit ihren üblichen Windlasten geeignet. 2 1.500 mm
Wandfliesen werden in vielen Größen mit Kantenlängen von 12–3.600 mm hergestellt. Dabei sind rechteckige, aber auch viele andere Formen möglich.
3.600 mm
Fliesen werden meist in quadratischer oder rechteckiger Form hergestellt, darüber hinaus sind jedoch viele Sonderformen und -muster möglich. Weit überwiegend weisen Fliesen eine glatte Oberfläche auf; zudem werden reliefartige, konturierte und profilierte Ausführungen angeboten, die im Zusammenspiel mit der Beleuchtung aufgrund ihrer texturierten Oberfläche interessante Effekte erzeugen können. Mit Ausnahme der meisten großformatigen, dünnen Fliesen ist die Fliesenrückseite strukturiert, um einen wirksameren Verbund mit dem Fliesen kleber oder -mörtel herzustellen. Einfach oder doppelt abgerundete Kanten werden für Randbereiche sowie Hohlkehlfliesen oder besondere Sockelformate für Wand-Boden-Übergänge angeboten. Abgewinkelte Fliesen für Fensterbänke sollen für eine ausreichende Ableitung
3
des Wassers nach unten sorgen (3). Dreidimensionale Ausführungen dieser Art werden oft stranggepresst. Eine Übersicht der in den USA und Europa für Fliesen geltenden Normen1 findet sich in (4). Trockengepresste Fliesen sind in der Regel 3–11 mm dick, extrudierte Erzeugnisse weisen dagegen Stärken von 10–20 mm und darüber auf. Bei glatten Fliesen liegen die Maßtoleranzen in der Regel bei 0,5–2 % für die Gesamtgröße und die Ebenheit sowie bei 5–10 % für die Dicke.2 Die Breite der Mörtelfugen steht in direktem Zusammenhang zu den Maßtoleranzen: Üblich sind Fugenbreiten zwischen 1,5 und 6 mm. Fugen von 3 mm finden sich typischerweise bei vielen Flächen im Wohnbereich, auf denen industriell hergestellte, trockengepresste Fliesen verlegt sind. Die einschlägigen Normen regeln zahlreiche weitere Grenzwerte. Die Auswahl von Fliesen für Innenräume wird im Bodenbereich von wichtigen Eigenschaften wie ihrer Wasseraufnahme, Abrieb- und Rutschfestigkeit bestimmt. Die Wasseraufnahme ist von besonderer Bedeutung, wenn durchgefärbte, unglasierte Fliesen im Nassbereich verwendet werden oder eine Nassreinigung vorgesehen ist. Unglasierte Terracottafliesen weisen tendenziell die höchste Porosität und Wasseraufnahme auf; Porzellan und Steinzeug verfügen dagegen über eine höhere Dichte und damit größere Beständigkeit gegen das Eindringen von Flüssigkeiten. Für alle Bodenfliesen ist die Rutschfestigkeit ein entscheidendes Kriterium. Die genauen Anforderungen hängen vom Anwendungsbereich mit den dort üblicherweise einwirkenden Stoffen ab (beispielsweise Öl oder Chemikalien im industriellen Bereich, Wasser im Wohnbereich), des Weiteren vom typischen Sohlenprofil der von den Nutzern getragenen Schuhe.
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Besondere Formteile zur Verlegung in Eckbereichen und für zahlreiche weitere Anwendungen.
4
Europa
USA Mindestbruchfestigkeit [N]
US Klassifizierung (ANSI A 137.1)
Absorptionsrate [Gew.-%]
Gefügedichte Fliese
< 0,5
Klassenbezeichnung (DIN EN 14411) Ia
Typische Brenntemperatur [°C]
Mindestbruchfestigkeit < 7,5 mm [N]
Mindestbruchfestigkeit > 7,5 mm [N]
Biegefestigkeit [N/mm2]
1200–1300
600
1.300
28 / 21
1150–1300
600
1.100
23 / 18
600
950
20 / 11
750
900
17.5 / 8.0
600
600
0,5
Durchschnittswert 1.110 Einzelwert 1.000
Steinzeugfliese (0,5–3 %)
1 2
Ib
3 4 Halbsteinzeugfliese (3–7 %)
5
IIa
6 7 8
Durchschnittswert 1.110 Einzelwert 440
Nichtsteinzeugfliese
(über 7 %)
9
IIb
10 > 10
III
950–1150
Prüfung: 4-Punkt-Biegeversuch
8.0 / 7.0 Prüfung: 3-Punkt-Balkenbiegeversuch erste Zahl: Mindestdurchschnittswert
Fliesenklassifizierung in den USA und Europa. Die angegebenen Biegefestigkeiten sind Mindestwerte.
zweite Zahl: Mindesteinzelwert
Die Auswahl eines Produkts mit höherer Rutschfestigkeit führt in der Regel zu einem höheren Grad der Schmutzansammlung auf der Fliesenoberfläche. Die Fliesengröße und damit die Zahl der Mörtelfugen hat ebenfalls Einfluss auf die Rutschbeständigkeit des Fliesenbodens. Fugen führen fast immer zu einer geringfügigen Aufrauung mit zwangsläufig höherer Reibung. Auch hier ist ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen der Instandhaltung – Mörtelfugen sind tendenziell weniger schmutzbeständig und können das Eindringen von Wasser ermöglichen – und der Rutschfestigkeit zu finden. Ein häufig auf der Baustelle eingesetztes Verfahren zur Prüfung der Rutschbeständigkeit besteht in der Verwendung eines Pendelprüfgeräts (5). Dieses besteht aus einem schweren Pendel, dessen Bewegung sich verlangsamt, wenn sein Gummikopf (der eine Schuhsohle simuliert) auf der Fliesenoberfläche gleitet.3 Zudem stehen elektronische Geräte zur direkten Messung der Reibungsbeiwerte zur Verfügung. Im Labor wird häufig eine Prüfung durchgeführt, bei der eine Rampe mit veränderlichem Gefälle zum Einsatz kommt und eine Testperson die Rampe hinunterläuft, bis sie ausrutscht. Die Verlegung von Fliesen ist mit hohem Arbeitsaufwand verbunden. Sie macht einen großen Teil der Gesamtkosten von gefliesten Flächen aus (6). Auch aus diesem Grund werden Großfliesen mit entsprechend verkürzten Verlegezeiten zunehmend attraktiver. Bei der Herstellung von geklebten Fliesenflächen kommen viskose Kleber zum Einsatz, die auf einen biegesteifen Untergrund aufgebracht werden. In Nassbereichen kann zudem eine zusätzliche Membran – häufig aus Polyethylen – oder eine Imprägnierung erforderlich sein. Als Kleber sind relativ elastische Produkte auf Latexbasis verfügbar, die vorwiegend im Wohn- und gewerblichen Bereich mit niedriger Beanspruchung verwendet werden, darüber hinaus Zementmörtel für die Verlegung im Dünn- und Dickbettverfahren sowie Epoxidharzkleber. Bei Keramik mit höherem Absorptionsvermögen können trocken abbindende Klebemörtel erforderlich sein.
5 Die Pendelprüfung zur Ermittlung der Rutschfestigkeit kann nach Verlegung der Fliesen durchgeführt werden. Die Mikroskop-Aufnahme zeigt das Bild einer glatten, glasierten Fliese mit mittlerer Oberflächenrauigkeit.
ANWENDUNGEN: INNENBEREICH
6 Beim Einbau von Fliesen kommt es ganz auf das handwerkliche Geschick des Fliesenlegers an. Jede einzelne Fliese wird sorgfältig im geglätteten Mörteloder Kleberbett verlegt. Nach Erhärtung des Klebers werden die Fugen verfüllt und die Fliesenoberfläche mit einem Schwamm von Rückständen gesäubert.
Ein relativ neues Verfahren zur Verklebung von Fliesen besteht in der Verwendung von mit Kleber beschichteten Gittern, die berührtrocken sind und eine schnelle Verlegung ermöglichen. Nach dem Aufkleben der Fliesen und Trocknen des Klebers kann mit der Verfugung begonnen werden. Das Bausystem aus Fliesen und Kleber wird durch Materialien für die Fugenverfüllung vervollständigt.4 Hierfür stehen zementgebundene (gesandete und nichtgesandete) Mörtel, Acryl-Fugenmassen und Epoxidharze zur Verfügung. Für unglasierte, stark saugende Fliesen sind Acryl-Fugenmassen keine optimale Lösung, da sich Rückstände der Fugenmasse nur schwer von der Oberfläche entfernen lassen. Insgesamt wird das Farbbild wesentlich von der Farbe der Fugenmasse bestimmt; dies gilt insbesondere für Flächen, auf denen Mosaik fliesen verlegt sind. Mechanisch montierte Fliesen In jüngerer Zeit gewinnen auch Systeme für die Trockenverlegung glatter Fliesen auf Flächen in Innenräumen an Bedeutung. Hierfür wurden mechanische Verbindungen entwickelt, um den zeit- und arbeitsaufwendigen Vorgang des Fliesenklebens auf der Baustelle abzukürzen und die Möglichkeit zu schaffen, Fliesen auch in Räumen mit häufiger Umgestaltung – beispielsweise in Bürogebäuden – wiederzuverwenden. Mit mechanischen Mitteln befestigte Fliesen kommen unter anderem für Hohlraumböden zum Einsatz. Hierbei werden dicke Fliesen unmittelbar auf eine erhöhte Unterkonstruktion aufgelegt oder auf eine biegesteife Unterlage aufgeklebt, die wiederum auf fest eingestellten oder höhenverstellbaren Füßen ruht. In manchen Fällen dienen auch zusätzliche Trägerelemente der Abstützung der Randbereiche solcher erhöht angeordneter Bauteile. Gegenüber dem Klebeverfahren ergeben sich deutlich kürzere Verlegezeiten; zudem sind die Fliesenböden bereits unmittelbar nach der Verlegung begehbar. Darüber hinaus kann eine einfache Demontage unter dem Gesichtspunkt der Wiederverwendung der Fliesen nach dem Ende ihrer Nutzungsdauer von Vorteil sein (7). Derzeit werden Forschungsprojekte zum Einsatz von Elastomer-Zwischenschichten zwischen Fliesen und biegesteifen Unterlagen durchgeführt, die jedoch noch nicht zu marktfähigen Produkten geführt haben. Dabei ersetzt die Zwischenschicht den Fliesenkleber, und ein in den Fliesenfugen angeordnetes Dichtungsprofil sorgt für einen gleichmäßigen Verlegeabstand (8). Mechanische Verbindungssysteme, die aus ursprünglich für den Außenbereich entwickelten Systemen abgeleitet wurden, sind zweifellos gut geeignet für solche Keramikbekleidungen in Innenräumen. Ein Beispiel hierfür ist das vom New Yorker Büro Ennead Architects entworfene Gebäude des National Museum of American Jewish History in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania. In diesem Fall wurde am gesamten Gebäude ein einheitliches System verwendet, jedoch unter Weglassung der Dichtungsprofile in den Fugen im Innenbereich (9). Zur Ausbildung glatter Eckdetails wurden einige extrudierte Formteile gebogen. Zudem lassen sich mechanische Verbindungen als fester Bestandteil des keramischen Elements selbst planen. Abbildung (10) zeigt ein vom spanischen Architekten Francisco Mangado
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KAPITEL 6
ANWENDUNGEN: AUSSENBEREICH
Keramiksysteme für den Außenbereich nutzen die traditionellen Vorteile des Baustoffs: Wasserbeständigkeit, Dauerhaftigkeit und Variantenreichtum in der Oberflächengestaltung. Dabei unterliegen sie jedoch einer weit stärkeren Beanspruchung als viele Anwendungen in Innenräumen (1). Bodenbeläge, Fassaden, Verschattungs- und Sichtschutzelemente sowie Bedachungen sind im Außenbereich der Witterung und Verschmutzung ausgesetzt und unterliegen weiteren Einflüssen aus ihrer Umgebung und aufgrund der Nutzung durch den Menschen. Bei richtiger Planung und Installation können keramische Bauteile sehr langlebig und widerstandsfähig sein. Ungeeignete Kombinationen von Glasur, Tonmasse, Kleber, Mörtel oder Fugenmasse können jedoch zu Schadensfällen durch eindringendes Wasser führen– diese sind insbesondere in Klimazonen mit häufigen Frost-Tau-Wechseln problematisch. In diesem Fall kann sich der Zustand keramischer Materialsysteme rasch verschlechtern. Die Keramikindustrie hat diese Herausforderungen bereits vor langer Zeit erkannt und in Best-Practice-Empfehlungen umgesetzt, die in den einschlägigen Normen und Regelwerken enthalten sind. Dieses Kapitel stellt die für Anwendungen im Außenbereich geltenden Grundsätze und Vorgehensweisen im Überblick dar. Weitere Informationen finden sich in der entsprechenden Fachliteratur und in Publikationen der Branchenverbände, darunter des Tile Council of North America, der britischen Tile Association, des Fachverbands Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e. V. in Deutschland sowie der nationalen Vereinigungen anderer Länder. 1 Die niederländische Elfstedenmonument-Brücke ist mit handelsüblichen glatten Fliesen belegt, die auf die Betonkonstruktion aufgeklebt wurden. Dabei arbeiteten die Künstler Bas Lugthart und Maree Blok mit dem Keramikhersteller Royal Tichelaar Makkum zusammen, um ein Mosaik herzustellen, bei dem jede einzelne Fliese aus dem Bild eines Teilnehmers am jährlichen Schlittschuh-Rennen besteht.
Verbundfassaden mit aufgeklebten Fliesen Fassadenbekleidungen aus Keramik dienen als unmittelbare optische und haptische Schnittstelle zwischen dem Gebäude, seiner Umgebung und dem Betrachter. Mit Keramikfassaden lassen sich unterschiedlichste ästhetische Qualitäten und Ausdrucksformen realisieren. Aus rein funktionaler Sicht ist eine Unterscheidung nach monolithischen Wänden mit Barrierefunktion (mit oder ohne Außendämmung), zweischaligen Wänden und hinterlüfteten Fassaden mit Druckausgleich sinnvoll. Die Klassifizierung von Anwendungen im Außenbereich wird zum Teil bestimmt von den Verfahren, die bei der Befestigung des Elements auf der Unterkonstruktion zum Einsatz kommen. Hier wird in der Regel unterschieden nach aufgeklebten (Verbund-) und mechanisch fixierten Keramiksystemen.
2a
2b
2c 2a/b: Traditionelles japanisches Gebäude mit einer Fassade aus durchgefärbten Fliesen. Die Mörtelfuge erhält durch eine nach außen ragende Verdickung eine plastische Gestalt. 2c: Komplexe, vielfarbige Keramik flächen eines traditionellen Pubs in der irischen Hauptstadt Dublin.
3 Die weißen Betonfertigteiltafeln der Fassade des vom Architekten Ramón Esteve entworfenen Gymnasiums Jaume I im spanischen Valencia werden durch leuchtend gefärbte, geflieste Innenhöfe akzentuiert.
Zu den bei weitem ältesten Anwendungen keramischer Fassaden gehören Fliesen oder Kacheln ohne tragende Funktion, die auf eine biegesteife Unterkonstruktion aufgebracht werden. Das Interesse an dieser Bauweise ist heute geringer, was unter anderem auf befürchtete Ablösungen vom Untergrund und das Erfordernis diffusionsoffener äußerer Fassadenschichten zurückzuführen ist. Eine ganze Reihe aussagekräftiger historischer Beispiele haben sich jedoch bis zum heutigen Tag erhalten (2). In vielen asiatischen Städten bestimmt diese Art von Fassaden nach wie vor das Bild – trotz ihrer in manchen Fällen alles andere als attraktiven Gestaltung haben sie sich als sehr langlebig erwiesen. Dabei ist sowohl der Einbau auf der Baustelle als auch eine Vorfertigung auf biegesteifen Platten – häufig Betonfertigteile – möglich. Zusätzlich erweitern lässt sich der Variantenreichtum im Entwurf durch die Vielzahl an verfügbaren Glasuren für die Oberflächenbehandlung (3). Die derzeit gebräuchlichen Fliesenabmessungen ermöglichen das Aufkleben großer Platten bis etwa 900–1.200 mm Kantenlänge. Hierfür kommen häufig Zementmörtel zum Einsatz. Aber auch kleinere Formate spielen nach wie vor eine wichtige Rolle. Bei Fassaden mit aufgeklebten Fliesen liegt die Fugenbreite bei allen gegen eindringendes Wasser abgedichteten Fliesen bei etwa 5 mm. Es sind Dehnfugen von 8–10 mm so vorzusehen, dass die jeweilige geflieste Fläche nicht größer als 12–16 m2 ist. Bei der Verteilung der Dehnfugen sind mögliche Maß- und Formänderungen des Untergrunds zu berücksichtigen, also auch Veränderungen des Materialgefüges und der Geometrie, zudem vorhandene konstruktive Bauteile wie Decken und Stützen. Das Fugenmuster ist unter Einberechnung von Bautoleranzen sorgfältig zu planen, wobei auch die an der Fassade vorhandenen zahlreichen Durchbrüche und sonstigen geometrischen Merkmale zu beachten sind. Außer bei sehr kleinen Abmessungen werden zur sicheren Fixierung der Fliesen nicht nur Kleber, sondern in der Regel auch Metallankersysteme verwendet. Die Anker bieten Schutz vor Abplatzungen; sie werden meist in entlang der Fliesenkante oder auf der Rückseite verlaufende Schlitze eingeführt und sind so nach der Verfugung nicht mehr sichtbar (4).
47
KAPITEL 7
STOFFSTRÖME: BETRACHTUNGEN ZUM LEBENSZYKLUS
In der gegenwärtigen Branchenpraxis besteht eine enge Fokussierung auf die Energieeffizienz von Gebäuden als Primärziel. Diese Debatte ist auf mindestens zwei Ebenen mit grundlegenden Fehlern behaftet: Zum einen konzentrieren sich die Fragestellungen des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen nahezu ausschließlich auf die Betriebsphase des Gebäudes und ignorieren damit vorgelagerte Fertigungsprozesse und nachgelagerte Szenarien nach dem Ende der Nutzungsdauer. So entspricht die in einem typischen Bürogebäude enthaltene graue Energie derzeit etwa dem Energieverbrauch eines Gebäudebetriebs über fünf bis acht Jahre. Da Gebäude für die Aufrechterhaltung des Nutzerkomforts in der Betriebsphase zukünftig weniger Energie verbrauchen werden (und weniger CO2 emittieren), verschiebt sich dieses Gleichgewicht zunehmend auf die graue Energie – selbst bei Betrachtung der Energiebilanz über eine Nutzungsdauer von durchschnittlich 50 Jahren. Diese veränderte Realität hat dazu geführt, dass in Systemen zur Nachhaltigkeitszertifizierung ein zunehmend höherer Anteil von Materialdaten enthalten ist und Umweltproduktdeklarationen und ähnliche Informationen zu Bauprodukten zunehmende Verbreitung finden. Auf einer zweiten Ebene wird die Unklarheit durch die Tatsache gefördert, dass die grundlegenden Gesetze der Thermodynamik weitgehend missachtet werden. Allgemein betrachtet untersucht die Thermodynamik Energieumwandlungen und konzentriert sich dabei besonders auf die Wärme. Aus thermodynamischer Sicht lässt sich Energie innerhalb eines bestehenden Systems nicht verbrauchen; sie wird lediglich von einer Form in eine andere umgewandelt. Ziel des Gebäudeentwurfs muss es daher sein, diesen Transformationsprozess so zu strukturieren, dass der größtmögliche Anteil der umgewandelten Energie zu einer tatsächlichen Wertschöpfung und zu positiven Ergebnissen führt, beispielsweise zur Nutzung von Wärme für die Beheizung der Räume. Unter Energieeffizienz ist letztlich die Maximierung der für eine gegebene Energieumwandlung nützlichen Arbeit und damit die Minimierung der Entropie zu verstehen. Dabei kommt es auf eine intelligentere Verwendung des Begriffs der „Effizienz“ an, da dadurch eine ganzheitliche Betrachtung aller Energieumwandlungsvorgänge gefördert wird: von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Nutzung bis hin zur Entsorgung und Wiederverwendung oder zum Recycling. Im Entwurf verschiebt sich der Fokus folglich vom Energieverbrauch während der Betriebsphase zu einer weiter gefassten Betrachtung des Lebenszyklus.
Ein am Lebenszyklus orientierter Entwurf begreift Gebäude im Idealfall als geschlossene Kreisläufe von Energie und Materie, die so gebaut sind, dass die Umweltauswirkungen der Rohstoffgewinnung („Wiege“) und Produktion sowie des Betriebs bis hin zu den Szenarien am Ende des Lebenszyklus („Bahre“)1 minimiert werden. Hierbei besteht ein Bezug, jedoch auch ein Unterschied zur Ökobilanz, die sich auf die reine Analyse als quantitative Systemuntersuchung beschränkt. Die formalen Anforderungen an eine Ökobilanz sind in der Norm ISO 14040 geregelt. Zwar ist ein gewisser Grad der Analyse und Quantifizierung von Wirkungen und Ressourcen für die entsprechende Lebenszyklusbetrachtung unverzichtbar, die Erstellung einer vollständigen Ökobilanz ist jedoch extrem aufwendig und insbesondere für die Erarbeitung des Gebäudeentwurfs nicht unbedingt sinnvoll (1). Auch betrachtet die Ökobilanz 1 Tongewinnung Absiebung
Mahlen Mischen
Rohstoffe für Glasur
Lagerung + Bewitterung Wasser
Hersteller
Feuchtverfahren
Endanwender
Trockenverfahren
Feststoffabfall Abwasser
Mahlen
Mahlen in Kugelmühle
Brechen Mahlen
Pulverisieren
Feuchter Ton
Flüssiger Ton
10–20 % Wasser
30–40 % Wasser
Feuchtpressung
Abfall
Trocknen
Trockenes Tonpulver 2–5 % Wasser
Schlickerguss
Trockenpressung
Recycling vermahlener Keramik
Extrusion
Distributoren Trocknung
Glasur
Glasur Abfallwiederverwendung Trocknung
Brennen
AbfallWiederverwendung
Verpackung
Darstellung der Ökobilanz für die Ressourcenströme während der Tongewinnung und Herstellung von Keramikfliesen.
Nachbearbeitung
Karton, Kunststofffolie, Holzpaletten
nicht den Einfluss des Materialmix, der Verbindungen und der Zugänglichkeit auf die Möglichkeit der Demontage und der Wiederverwendung oder des Recyclings von Bauprodukten. Diese und weitere Aspekte werden in einem lebenszyklusorientierten Entwurf berücksichtigt. Dabei werden Gebäude als temporäre Materialansammlungen betrachtet, wobei ein Großteil der benötigten Baustoffe aus der Wiederverwertung oder dem Recycling kommen soll. In den eigentlichen Bau- und Entwurfsstrategien sollten dann sinnvolle Konfigurationen des Gesamtgebäudes, seiner Infrastruktur und Bausysteme so konzipiert werden, dass Umnutzung, Wiederverwendung und Recycling des gesamten Bauwerks und seiner Bestandteile ermöglicht werden. Hierzu gehören üblicherweise eine Beschränkung der Zahl der verwendeten Materialien, ein Entwurf, der auf die Rekonstruktion und Modernisierung derjenigen Gebäudeteile ausgerichtet ist, die zu einem früheren Zeitpunkt als andere Abschnitte das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen, sowie die Möglichkeit der einfachen Trennung von Materialien. Eine fach- und sachkundige Materialauswahl ist wesentlicher Bestandteil einer am gesamten Lebenszyklus orientierten Entwurfsstrategie.
57
DREIDIMENSIONALE OBERFLÄCHEN
ENTWURF: Herzog & de Meuron FERTIGSTELLUNG: 2010 KERAMIKLIEFERANT: Agrob Buchtal GmbH KERAMISCHE BAUTEILE: Fläche von 1.300 m2 mit vier im Schlickerguss hergestellten sechseckigen Elementtypen mit 196 mm Kantenlänge und 12 mm
MUSEUM DER KULTUREN BASEL S CHWEIZ
1 – Schnitt mit dem neuen Dach und Ausstellungsraum.
Wandstärke
2 – Komplexe Geometrie der konstruktiven Form.
Glasuren mit Spiegeleffekt bieten neue
abstrakte Weise die das Gebäude umgeben-
vom deutschen Architekturkeramik-Spe-
Möglichkeiten der Gestaltung von Keramik
den historischen Basler Dachlandschaften
zialisten Agrob Buchtal geliefert. Auch die
oberflächen. Das Gebäude des Museums
mit ihren Biberschwanzziegeln. Im Gegen-
sofort ins Auge fallende spiegelnde Glasur
der Kulturen Basel aus der Mitte des 19.
satz zum orangeroten Terracottafarbton der
wurde eigens für das Projekt entwickelt. Für
Jahrhunderts, im Herzen der mittelalter
benachbarten Dächer nimmt die in einem
Agrob Buchtal ist dieses Vorgehen gängige
lichen Stadt auf dem Münsterhügel gele-
changierenden Grünton gehaltene Spiegel
Praxis: Das Unternehmen konzipierte im
gen, galt es so zu erweitern, dass es einen
glasur jedoch explizit Bezug auf die traditio-
Lauf der letzten Jahrzehnte mehr als 15.000
Großteil der mehr als 300.000 Objekte des
nellen grünen Dachziegel des Münsters.
objektspezifische Glasurrezepturen.
Museums fassen konnte.
Das Dach des Münsters zieht den Blick des
Gefertigt wurden die Keramikfliesen in ei-
Herzog & de M euron entschieden sich
Betrachters durch seine aus den Farben
nem modifizierten industriellen Schlicker‑
für eine Aufstockung des Gebäudes, statt
Weiß, Rot, Gelb und Grün gebildeten Rhom-
gießverfahren unter Nutzung von Gipsfor-
einen Baukörper im historischen Innenhof
ben an; das Museum der Kulturen erhält da-
men, um die erforderliche Präzision zu ge-
zu planen (1). Sie entwarfen ein zusätz
gegen durch das Zusammenspiel konvexer,
währleisten.
liches Geschoss mit einer gefalteten Dach-
flacher und konkaver Keramikelemente eine
Die Formen umfassten drei sechseckige
landschaft, welche die mittelalterlichen
dynamische Qualität, die je nach Standort,
Elemente (konvex, konkav und flach) sowie
Dachverläufe der Stadt auf moderne Weise
Lichteinfall und Witterungsbedingungen
ein trapezförmiges Endstück mit Kanten-
neu interpretiert (2, 3). Hervorstechendstes
variiert. Insgesamt vermittelt der Entwurf
längen von 196 mm und einer Wandstärke
Merkmal dieses Entwurfs sind die eigens
den Eindruck einer guten Einbettung in sein
von 12 mm (7, 8). Das Befestigungssystem
gefertigten Keramikelemente, die eine Flä-
Umfeld, sticht aber dennoch als herausra-
ermöglicht die individuelle Abnahme jedes
che von rund 1.300 m² bedecken (4, 5).
gendes architektonisches Werk hervor.
einzelnen Elements, falls ein Zugang zur
Die dreidimensionalen, sechseckigen
Die Keramikelemente wurden indivi-
darunterliegenden wasserführenden
Keramikelemente interpretieren auf
duell von Herzog & de Meuron geplant und
Schicht erforderlich ist (6).
OBERFLÄCHENEFFEKTE
3 – Das Museum inmitten der historischen Tonziegel-Dachlandschaft von Basel.
4 – Einbaumuster und Elementschnitte.
6 – Die Keramikelemente sind einzeln am Montagesystem befestigt.
7 – Detail der Spiegeloptik mit dunkelgrüner Unterglasur.
5 – Der Erweiterungsbau vom Innenhof aus gesehen.
8 – Die Winkel und Formen der Elemente bewirken im Zusammenspiel mit der Spiegelglasur eine Streuung des Lichts.
73
GLASUREN MIT PERLGLANZEFFEKT
ENTWURF: COR asociados, Miguel Rodenas + Jesús Olivares FERTIGSTELLUNG: 2011 KERAMIKHERSTELLER: COR asociados KERAMISCHE BAUTEILE: 498 × 498 × 19 mm, 685 m2
MUCA KONZERTHALLE UND AUDITORIUM ALGUEÑA, ALICANTE, SPANIEN
1 – Grundriss erstes Obergeschoss.
2 – Massenmodell mit neuer Konzerthalle in Perlglanz-Optik und rekonstruiertem Bestandsbau.
Glasuren mit Perlglanzeffekt gehen ur-
Perlmutt-Fassade, die sich von ihrer Um-
Nachfolgend wurde der weiße Emailgrund
sprünglich auf das 12. Jahrhundert zurück.
gebung abhebt, dabei aber auch in einen
aufgetragen und bei 1.180 °C eingebrannt,
Größere Verbreitung fanden sie durch den
Dialog mit ihr tritt.
um die Elemente zu vitrifizieren. Schließ-
für seine grünen Perleffekt-Glasuren be-
Der Entwurf verfolgt das Ziel einer
lich wurde auf die Oberfläche eine dünne
kannten ungarischen Hersteller Zsolnay.
„Unschärfe“ mit lebendig wirkenden Ele-
Metallbeschichtung aufgebracht und bei
Sie wurden häufig in Art-Nouveau-Objek-
menten, deren Erscheinungsbild sich je
780 °C eingebrannt (6, 7). Die Fliesen wur-
ten eingesetzt, verloren dann jedoch an
nach Standort und Lichteinfall verändert (3,
den dann direkt auf die Betonkonstruktion
Bedeutung. In Algueña entdeckten und
4, 5). Die Entscheidung für Keramik ermög-
aufgeklebt (8, 9).
modifizierten die Architekten COR asocia
lichte individuelle Anpassungen in erhebli-
In Spanien diente dieser chemische
dos, Miguel Rodenas und Jesús Olivares,
chem Umfang auch im Rahmen des vorge-
Prozess seit langem der Beschichtung von
eine alte Glasurtechnik, wie sie auch für
gebenen Budgets. In einem achtmonatigen
Fensterbänken aus Keramik mit grünem
Schmuckelemente in den Häusern ihrer
Forschungsprozess wurde der Glasurvor-
Grundton. Deren Produktion wurde nach
Großeltern verwendet wurde, um daraus
gang für die gewünschte Helligkeit, Dauer-
und nach eingestellt, da es im Fertigungs-
etwas Neues zu erschaffen.
haftigkeit und Farbgebung optimiert.
prozess häufig zum Bruch kam. In Koopera-
Algueña ist eine Kleinstadt mit 2.000
Die Architekten arbeiteten mit einem
tion mit dem Keramikhersteller entdeckten
Einwohnern, die vorwiegend von der Land-
kleinen Keramikhersteller zusammen,
COR asociados diesen Prozess neu und ent-
wirtschaft und von der Marmorindustrie
der über die erforderliche Erfahrung verfüg-
wickelten ihn weiter. Sie verwendeten eine
geprägt ist. Das Projekt mit einem B udget
te, um den Glasurvorgang kostengünstig zu
weiße Farbbasis, lösten die in der Fertigung
von nur ca. 560.000 Euro umfasste die
modifizieren. Als Material wurde ein frost-
bestehenden Probleme und veränderten
Rekonstruktion eines leer stehenden
beständiges Standard-Porzellan für den
den Perlglanzeffekt so, dass er einem mo-
Wachhauses aus den 1960er Jahren und
Außenbereich gewählt. Die Fliesen wurden
dernen Erscheinungsbild entsprach. Das
die Errichtung eines neuen, 350 m² großen
im herkömmlichen Trockenpressverfah-
Unternehmen vermarktet und vertreibt nun
Konzertsaals mit 230 Plätzen (1, 2). Zen-
ren hergestellt und bei 950 °C im traditi-
in diesem Verfahren hergestellte, individuell
traler Bestandteil des Projekts ist eine
onellen Dreifachbrand schrühgebrannt.
angepasste Fliesen für weitere Projekte.
OBERFLÄCHENEFFEKTE
3 â&#x20AC;&#x201C; Erweiterung und Rekonstruktion sind vom historischen Bauwerk klar abgegrenzt.
75
4 – Durch ihre räumliche Anordnung, die sich über die ganze Fassade erstreckt, streuen die Fliesen das einfallende Licht und spiegeln den Himmel.
5 – Westfassade.
OBERFLÄCHENEFFEKTE
6, 7 – Auftragen der dünnen Metallschicht zwischen den Brennvorgängen.
8, 9 – Aufkleben der Fliesen auf die Unterkonstruktion.
77
KOMPLEXE MONTAGE
ENTWURF: Manuel Herz Architects FERTIGSTELLUNG: 2010 KERAMIKHERSTELLER: NBK Architectural
JÜDISCHES GEMEINDEZENTRUM MAINZ, DEUTSCHLAND
Terracotta KERAMIKBERATER: Niels Dietrich KERAMISCHE BAUTEILE: 17.000 extrudierte Elemente in den Abmessungen 150 × 100 × (600, 750, 900) mm
100 mm
150 mm
600–900 mm
100 mm
150 mm
600–900 mm
1 – Schnitt und Ansicht des extrudierten Elements. 2 – Gebrannte, unglasierte extrudierte Elemente.
Die Feinheiten des dreidimensionalen E ffekts
Die Architekten arbeiteten bei der Fertigung
zu können. Die Standardelemente wurden in
dieses Musters liegen primär in der Montage-
der 17.000, 600–900 mm langen Fassadenele-
Längen von 600, 750 und 900 mm hergestellt,
logik und ihrem Bezug auf die Gebäudeform
mente mit dem Hersteller NBK Architectural
um wahrnehmbare Fugenrhythmen zu ver-
begründet – statt wie bei zahlreichen ande-
Terracotta zusammen.
meiden. So waren jeweils nur das erste und
ren Keramiksystemen in der Farbgebung oder
Eine einzige Extrusionsform kam zum
letzte Element einer Reihe Unikate, welche
Anordnung der Elemente.
Einsatz. Die dreieckigen Elemente sind
eine Nummerierung und individuelle Platzie-
Der Entwurf nimmt Bezug auf die Bedeu-
150 mm breit und 100 mm hoch und zur Be-
rung erforderten.
tung des Schreibens in der jüdischen Tradition
festigung an der Unterkonstruktion an ihrer
Die Zahl der unterschiedlichen, in die
und auf die Rolle der Stadt Mainz als Zent-
Basis mit T-förmigen Nuten versehen (1, 2).
Fassade eingeschnittenen Winkel war be-
rum für Talmud-Studien im Mittelalter. Die
Das Zusammenspiel dieser dreieckigen Ele-
grenzt, so dass auch von diesen „individuell“
Gebäudeform ist eine Abstraktion von fünf
mente mit der konzentrischen Geometrie
auf Maß geschnittenen Teilen mehrere Hun-
hebräischen Buchstaben, und die individuell
entlang der ebenen Außenwände lässt pers-
dert Stück produziert werden konnten (10,
gefertigte Fassade zeigt eine Gerichtetheit,
pektivische Illusionen entstehen.
11). Dennoch stellte die Unterscheidung und
welche der Handlung des Einschreibens
Nach dem Sieg im Wettbewerb im Jahr
entsprechende Anbringung der individuell
entspricht. Die hinterlüftete Vorhangfas-
1999 erwies sich eine aufgetretene Projekt-
gefertigten Produkte auf der nur b eschränkt
sade besteht aus eigens entworfenen ext-
verzögerung letztlich als vorteilhaft, da sie
Platz bietenden Baustelle inmitten der Stadt
rudierten Keramikelementen, die auf einer
einer intensiveren Kooperation von Archi-
eine logistische Herausforderung dar.
Aluminium-Unterkonstruktion befestigt sind.
tekt und Hersteller bei der Durchbildung
Die Planung eines Befestigungssystems
Letztere ist wiederum an der Beton-Tragkons-
der Fassade den Weg bahnte. Die Fenster
für die Fassadenelemente mit ihrer von
truktion befestigt.
des Gebäudes sind von den äußeren Kanten
der Horizontalen zur Vertikalen wechseln-
Ursprünglich hatten die Architekten Stahl
parallel abgesetzt, erzeugen so konzentrische
den Abwinkelung erwies sich als schwie-
oder Beton als Material für die Fassade in
Fassadenlinien und erübrigen den Einsatz von
rig. Letztlich entschied man sich für eine
ihrer komplexen, individuellen Form ins Auge
um die Öffnungen verlaufenden angepassten
Aluminium-Unterkonstruktion, die rechtwink-
gefasst. Jedoch erwies sich der Werkstoff
Elementen (3). Zu Beginn jeder Reihe findet
lig zur Fassadengeometrie an den Betonwän-
Keramik als am besten geeignet – insbeson-
sich ein Element mit einem Winkel, der im
den angebracht wurde, mit einer Sekundär-
dere aufgrund der Anforderungen, die sich
Werk von NBK am Ausgang der extrudierten
struktur parallel zur Geometrie (4, 5, 6, 7).
aus dem extrem unregelmäßigen Muster
Elemente aus der Fertigungsstraße einge-
Die Keramikelemente wurden an der Sekun-
sowie der gewünschten Dauerhaftigkeit und
schnitten wurde (12). Nach Verlegung des ers-
därkonstruktion befestigt mit Aufhängungen,
würdevollen Ausstrahlung ergaben. Laut
ten Elements folgen die weiteren Standard-
die in Nuten auf der Rückseite geschoben
Manuel Herz „bot der Einsatz von Keramik
elemente in der Reihe, bis es zur Richtungs-
wurden. Aus Sicherheitsgründen wurde zu-
eine unglaubliche Effizienz, da ich mir den
änderung kommt. Das Endstück jeder Reihe
sätzlich Kleber verwendet (8, 9). Um eventuel-
Fertigungsprozess der Elemente selbst zu-
weist ebenfalls eine Abwinkelung auf, wurde
le Abweichungen des Rohbaus auszugleichen,
nutze machen konnte; alle Geometrien waren
jedoch auf der Baustelle zugeschnitten, um
wurde die Unterkonstruktion hochpräzise mit
aus einem einzigen Grundelement ableitbar“.
flexibel auf Toleranzabweichungen reagieren
Toleranzen von rund 5 mm montiert.
MUSTER UND RÄUMLICHE ANORDNUNGEN
3 – Fassadenabwicklung mit Verlegemuster. Die Farben stellen jeweils die unterschiedlichen Längen der Keramikelemente dar.
5 – Manuelles Anbringen von Befestigungsklemmen.
6 – Befestigung auf der Unterkonstruktion.
4 – Schnitt mit Befestigung der Keramikelemente, Aluminium-Unterkonstruktion, Dämmschicht und tragender Betonwand.
7 – Probemontage der fertigen Elemente.
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8 – Montagevorgang mit sichtbarer Unterkonstruktion.
9 – Auf der Baustelle gelagerte, montagefertige Teile.
MUSTER UND RÄUMLICHE ANORDNUNGEN
10 – Auf unterschiedliche Längen zugeschnittene Elemente.
11 â&#x20AC;&#x201C; Fertiggestellte Fassade.
12 â&#x20AC;&#x201C; Muster des Herstellers. Detail der Montagefugen.
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SYSTEMVARIATION
ENTWURF: Sauerbruch Hutton FERTIGSTELLUNG: 2013 KERAMIKHERSTELLER: NBK Architectural
BEHÖRDE FÜR STADTENTWICKLUNG UND UMWELT HAMBURG, DEUTSCHLAND
Terracotta KERAMISCHE BAUTEILE: extrudierte Terracotta elemente in unterschiedlichen Längen, in einer Reihe von Farben endbehandelt
1 – Lageplan.
2 – Luftaufnahme.
Dieses Projekt der Berliner Architekten
einen konkaven und konvexen Gebäudever-
Elemente sind hohl und bestehen aus zwei
Sauerbruch Hutton veranschaulicht die In-
lauf aufnehmen (8, 13, 14). Sonderbauteile
Schichten von je 10 mm und einem Luftzwi-
dividualisierung der Elementform beim Ex
werden zu einer zweiten Fertigungsanlage
schenraum von ebenfalls 10 mm. In regel-
trusionsverfahren (1). Die Fassade aus 27.000
transportiert und dort manuell in einseitige
mäßigen Abständen sind Streben angeord-
Keramikelementen ist exemplarisch für die
Gipsformen abgeformt. Dabei liegen die
net, die den Bereich zwischen den beiden
Form- und Farbanpassung in der Produktion
Teile mit der endbehandelten Oberfläche an
Schichten stabilisieren. In das Hohlprofil
mittlerer bis hoher Stückzahlen (2, 3).
der Oberfläche der Form an, so dass eine
können bei Bedarf Bewehrungsstäbe ein-
Der Extrusionsprozess in Kombination
eventuell durch die Krümmung verursachte
gefügt werden. Jedes Element ist für sich
mit individueller Formanpassung ermög-
Materialverformung per Hand beseitigt wer-
genommen selbsttragend und lässt sich
lichte die Herstellung einer Anzahl von
den kann, ohne dass hierunter die sichtbare
ohne Beeinträchtigung des Gesamtsystems
objektspezifischen Querschnitten. Auch
Seite des Elements leidet. Dieser sekundäre
abnehmen und austauschen (9).
wenn extrudierte Fassadensysteme in vor-
Formgebungsprozess sichert die Einhaltung
Alle von NBK hergestellten Fassa-
ab definierten Formen verfügbar sind, wird
der Toleranzen des Gesamt-Bausystems,
den sind auf die Installation mit Hilfe der
häufig – wie bei den Systemen von NBK –
mit gewissen Schwankungen ist aber den-
NBK-Unterkonstruktion ausgerichtet (11).
eine objektspezifische Extrusionsmatrize
noch zu rechnen. Da die nachgelagerten
Im hier beschriebenen Projekt verfügt das
hergestellt. Die Vorlaufzeit für die Formen
manuellen Arbeitsschritte die Elementkos-
extrudierte Element über einen nicht sicht-
liegt bei etwa sechs Wochen. Da die Formen
ten wesentlich erhöhen, werden gewölbte
baren Kanal, so dass es eine Reihe von Ver-
so dimensioniert werden, dass das von der
Bauteile ausschließlich für exponierte Berei-
ankerungen aufnehmen kann, die in die Un-
Tonmasse abhängige Schwinden ausge-
che vorgegeben, in denen die Krümmung des
terkonstruktion am Gebäude integriert sind
glichen wird, sind alle Projektparameter
Gebäudes so stark ist, dass flache Bauteile
(12). Überlappungen der Elemente verbergen
bereits vor der Fertigung der Ausrüstung zu
nicht in Frage kommen. Vor dem Aufbrin-
die Verankerungen. In einigen Fällen dient
definieren.
gen der Glasur werden alle Elemente auf
ein stranggepresstes Bauteil aus Aluminium
Während des Extrusionsvorgangs wird
ihre endgültige Länge zugeschnitten; dies
der Verstärkung des Keramik-Hohlprofils,
Ton über große Extruderschnecken durch
geschieht üblicherweise nach dem Schrühb
insbesondere bei der Überbrückung von
die Matrize auf ein spezielles Förderband
rand mit einer CNC-gesteuerten Nasssäge,
Öffnungen oder einer Nahtstelle ohne Ab-
gepresst, das als Schutz für die Unterseite
so dass auch nach dem Schwinden enge
stützung (10). Das Fassadensystem besteht
des Elements dient und damit die Oberflä-
Toleranzen gewährleistet sind (4).
aus 2.044 Fertigelementen einschließlich
chenkonsistenz gewährleistet (siehe nähere
Zur Sicherung der Konsistenz und Ho-
der Gebäudeumhüllung, der Fenster und
Ausführungen in Kapitel 4). Sekundäre Form-
mogenität des Erscheinungsbilds wird die
einbaufertigen Beschlägen für die Montage;
gebungsprozesse ermöglichen die Erfüllung
Glasur allseitig aufgebracht – auch an den
in der Regel werden die Keramikelemente
spezieller architektonischer Anforderungen,
Kanten, die ansonsten oft keiner Endbe-
vor der Installation am Gebäude auf den
darunter Ecklösungen und Elemente, die
handlung unterzogen werden. Die einzelnen
montierten Elementen angebracht (5, 6, 7).
STRATEGIEN ZUR INDIVIDUALISIERUNG DER FORM
3 – Mit seiner Fassadengestalt fügt sich das Gebäude gut in sein Umfeld ein.
4 – Eine Nasssäge dient dem Zuschnitt der extrudierten Elemente vor dem Glasieren. 5 – Keramikelemente werden auf der Baustelle für die Montage gestapelt. 6 – Vorgefertigte Fassadenelemente beim Heben in ihre Einbaulage.
7 – Mit minimalem Personalaufwand werden die Fassadenbauteile am Gebäude befestigt.
167
8 – Ausschnitt der fertigen Fassade mit regelmäßiger Krümmung.
9 – Nicht sichtbare Verbindung, die eine Abnahme einzelner Elemente ohne Beeinträchtigung der benachbarten Bauteile ermöglicht.
10 – Durch die eingebaute Bewehrung können die Keramikelemente Leerstellen in der Fassade überbrücken.
11 – Eingearbeitete Kanäle nehmen standardisierte Beschläge auf.
STRATEGIEN ZUR INDIVIDUALISIERUNG DER FORM
12 – Schnittdetail mit Varianten der extrudierten Elemente.
13 – Fortlaufend gekrümmte horizontale Keramikelemente nehmen den dynamischen Fassadenverlauf auf.
14 – Ausschnitt mit gekrümmten Fassadenelementen.
169
SCHAUMKERAMIK
DESIGNER: Marjan van Aubel STATUS: laufende Forschungsstudie
EUROPEAN CERAMIC WORK CENTER JORIS LAARMAN STUDIO BV
1 – Auswahl von Schaumkeramik-Materialproben.
Die Herstellung einer Schaumstruktur mit
Marjan van Aubel ist eine niederländische
bei dem ein stabiler Schaumstoff entsteht,
dem Ziel, festen Werkstoffen neue Eigen-
Designerin mit einem Faible für die Wissen-
der sich im Vergleich zur festen Masse auf
schaften zu verleihen, findet breite Anwen-
schaft und einem familiären Hintergrund
etwa 300 % ausdehnt. Seine Dichte liegt
dung bei vielen Polymeren, Metallen und
im Bereich der Chemie. Während ihres Auf-
bei 300–400 kg/m2, also deutlich unter der
anderen Materialien. Trotz der Tatsache,
enthalts am European Ceramic Work Center
von Festkeramik (2). Die Struktur des Ma-
dass es auf dem Gebiet der technischen
entwickelte sie ein Verfahren zur Herstel-
terials besteht aus wärmedämmenden und
Keramik zu einer regen Forschungs- und
lung von Schäumen aus einer Mischung
wasserabweisenden, geschlossenzelligen
Entwicklungstätigkeit zur Herstellung von
von 5–25 % Kaolinit, 10–30 % Alkalimetall-
Poren (3). Eine Glasur steigert die Belast-
Schaumkeramik gekommen ist und An-
salzen und/oder Erdalkalisalzen, 40–75 %
barkeit und Festigkeit der Schaumstoffe.
wendungen wie Keramikfilter heute weit
Fritte sowie weiteren Ausgangsstoffen. Auf
Van Aubel realisierte erste Anwendungen
verbreitet sind, verzeichnete man bei aus
eine Trocknungsphase bei niedrigen Tempe-
für Möbel und Geschirr, jedoch ist auch die
Ton hergestellten Werkstoffen bei dersel-
raturen folgt der Brennvorgang im Ofen bei
Entwicklung von Bauprodukten und anderen
ben Fragestellung kaum Fortschritte (1).
Temperaturen zwischen 800 und 1.200 °C,
Objekten möglich (4, 5).
SYSTEME IN ENTWICKLUNG
2 – Detail der Probe des geschäumten Materials mit sichtbaren Zelleigenschaften und Transluzenz.
3 – Schaumporzellan dient zur Herstellung eines funktionalen transluzenten Gefäßes.
4, 5 – Schaumporzellan für die Herstellung einer großformatigen Keramikskulptur.
201
ÜBER DIE AUTOREN
MARTIN BECHTHOLD ist Professor für Architekturtechnologie an der Graduate School of Design (GSD) der Harvard University und Assoziierter Professor am Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering. Zuvor war er Baumer Gastprofessor an der Ohio State University und Gastprofessor am Institut für Tragwerksentwurf der Technischen Universität Graz. An der GSD leitet er das Doktorandenprogramm und ist der Gründungsdirektor der dortigen Material Processes and Systems Group (MaPS). Bechthold ist Koautor von Structures (7. Aufl., Prentice Hall, 2013) und Digital Design and Manufacturing (Wiley, 2004) sowie Autor von Innovative Surface Structures (Taylor & Francis, 2008), eines Buches, welches die zunehmend enge Verbindung des konstruktiven Entwerfens mit digitalen Fertigungstechniken am Beispiel leichter Schalen- und Membrankonstruktionen thematisiert. Er ist international mit Vorlesungen und als Leiter von Workshops tätig. Seine Entwurfsforschungen im Bereich Keramik werden seit 2012 auf der jährlichen Messe CEVISAMA in Valencia präsentiert. Im Jahr 2014 erhielt er den ACADIA Innovative Research Award of Excellence. ANTHONY KANE ist am Institute for Sustainable Infrastructure in Washington, D. C. tätig und dort Vice President für Forschung und Entwicklung. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen die Nachhaltigkeit unserer gebauten Umwelt sowie fortgeschrittene Fertigungsverfahren. Er ist einer der Autoren des Werks Infrastructure Sustainability and Design (Hrsg. Spiro Pollalis u.a., Routledge, 2012) und hat Fachartikel für das International Symposium on Automation and Robotics in Construction (ISARC) publiziert. Seine Arbeiten wurden zudem in Fabricating the Future (Philip F. Yuan u.a., Tongji University Press, 2012) veröffentlicht. Kane war zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Material Processes and Systems Group an der Harvard University und lehrte am Boston Architectural College. NATHAN KING ist Assistenzprofessor für Architektur an der School of Architecture + Design der Virginia Tech sowie Stellvertretender Direktor für strategische Forschungsvorhaben am dortigen Center for Design Research. Er lehrte an der Harvard GSD und an der Rhode Island School of Design (RISD), wo er Mitbegründer des Glass Robotics Laboratory (GRL) war. Nach einer Ausbildung im Bereich Kunst und Kunstgeschichte erwarb King Master-Abschlüsse in Industriedesign und Architektur. Er promovierte an der Harvard GSD und war dort Gründungsmitglied der Design Robotics Group. Über seine wissenschaftliche Tätigkeit hinaus ist Nathan King Forschungsdirektor der MASS Design Group und arbeitet dort an der Entwicklung und Einführung innovativer Bautechnologien und Medizintechnik und Bewertungsmethoden für übergreifende Anwendungen unter Bedingungen knapper Ressourcen. King arbeitet zudem als Berater bei der Entwicklung von Forschungseinrichtungen und -programmen sowie Software im Bereich technologischer Innovationen in Kunst, Architektur, Design und Bildung.
ANHANG
MEILENSTEINE DER NBK KERAMIK GMBH 1, 4, 6
2, 5, 7
3
1 Potsdamer Platz in Berlin 2 Central Saint Giles, London 3 Sitz der Europäischen Kommission, Berlaymont-Gebäude, Brüssel 4 Museum Brandhorst, München 5 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Hamburg 6 King Abdullah University of Science and Technology, Königreich Saudi-Arabien (weltweit größtes Terracotta-Projekt, 140.000 m²) 7 111 West 57th Street (Steinway Tower), New York
Das Unternehmen NBK Architectural Ter-
Im Lauf der Firmengeschichte entstand
racotta ist weltweit tätig – die zentralen
eine sehr umfangreiche Zahl an Projekten,
hörlich und fordern uns, mit der Entwicklung nicht nur Schritt zu halten, sondern sie
Herausforderungen und innovativen Ent-
die wir realisieren durften. Unsere ausge-
voranzutreiben. Weil wir das Lösen komple-
wicklungen haben jedoch ihren Ausgang in
führten Bauvorhaben skizzieren die vielfäl-
xer Aufgaben lieben, arbeiten wir daran mit
Europa genommen, wo Terracotta als Bau-
tigen Gestaltungsmöglichkeiten moderner
Leidenschaft und Entschlossenheit. Krea-
material eine sehr lange, durch vielfältige
Terracottafassaden und vermitteln einen
tiver Motor sind unsere hochqualifizierten
Gestaltungsansätze geprägte Tradition hat.
Eindruck, wie Handwerkskunst mit innova-
Mitarbeiter, die sich flexibel und mit „For-
Bis heute liegt unser besonderes Augen-
tiven Methoden und zukunftsorientierten
scherdrang“ den Fragestellungen widmen:
merk auf diesem Markt, auf dem wir uns
Ideen vereint werden kann. Denn es ist un-
Sie sind offen für Neues und Ungewöhnli-
seit Anfang der 1990er Jahre, seit der Ent-
ser Anspruch, tradierte Techniken und Fer-
ches, lassen sich inspirieren von unkonven-
wicklung großformatiger Keramik, intensiv
tigkeiten in eine Sprache zu übersetzen, die
tionellen Ideen und visionären Vorstellun-
engagieren.
den Anforderungen der zeitgenössischen
gen; sie denken analytisch und pragmatisch,
Erste herausragende Projekte wie der
Architektur gerecht wird.
um realisierbare Konzepte zu entwerfen;
Potsdamer Platz in Berlin oder der Sitz der
Dazu trägt nicht zuletzt die kontinuierli-
und sie sind ambitioniert, auch das schein-
Europäischen Kommission in Brüssel bilde-
che Ausweitung unseres Portfolios bei.
bar Unmögliche möglich zu machen. Denn
ten für NBK den Anfang. Mit den politischen
Die Erwartungen an Qualität und Leis-
gerade dies macht den Reiz unserer Arbeit
Veränderungen jener Zeit dehnte sich der
tungsfähigkeit, aber auch an Ästhetik und
aus und spornt uns bei NBK immer wieder
Wirtschaftsraum in Richtung Osteuropa aus. Vielseitigkeit des Produkts steigen unauf-
an, auf diesem Weg weiterzugehen.
223
EIN MATERIAL MIT LANGER TRADITION | MATERIALEIGENSCHAFTEN | FERTIGUNGSPROZESSE | ANWENDUNGEN: INNENBEREICH | ANWENDUNGEN: AUSSENBEREICH | STOFFSTRÖME | OBERFLÄCHENEFFEKTE | MUSTER UND RÄUMLICHE ANORDNUNGEN | THERMODYNAMISCHE HÜLLEN | STRATEGIEN ZUR INDIVIDUALISIERUNG DER FORM | SYSTEME IN ENTWICKLUNG, PRODUKTE UND TECHNOLOGIEN
K E R A M I S C H E BAU SYS T E M E
KERAMISCHE BAUSYSTEME: Weit über traditionelle Aufgaben für Dekor und Schutz hinausgehend, stehen heute ausgereifte keramische Systeme für den Einsatz in der Architektur zur Verfügung. Auf der Basis avancierter Materialforschungen, Fertigungstechnologien sowie digitaler Entwurfsmethoden eröffnen diese hoch performativen, multifunktionalen Produkte neue Verwendungsmöglichkeiten für Keramik in Architektur und Bauwesen.
MARTIN BECHTHOLD
ANTHONY KANE NATHAN KING
KERAMISCHE BAUSYSTEME IN ARCHITEKTUR UND INNENARCHITEKTUR
MARTIN BECHTHOLD ANTHONY KANE NATHAN KING