Bildsemiotik: Grundlagen und exemplarische Analysen visueller Kommunikation

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bildsemiotik Dieses Buch vermittelt in gut verständlicher Weise die theoretischen Grundlagen der drei Bereiche Syntaktik, Semantik und Pragmatik und erläutert dann in exemplarischen Bildanalysen didaktisch geschickt die unterschiedlichen Strategien visuellen Gestaltens. Die wichtigsten Grundbegriffe und die produktivsten Analysemethoden werden nachvollziehbar und anregend dargestellt.

BILDSEMIOTIK

www.birkhauser.ch

Thomas Friedrich und Gerhard Schweppenhäuser

thomas friedrich (*1959) ist Professor für Philosophie und Designtheorie sowie Leiter des Instituts für Designwissenschaft an der Fakultät Gestaltung der Hochschule Mannheim. gerhard schweppenhäuser (*1960) ist Professor für Design-, Medienund Kommunikationstheorie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

Thomas Friedrich und Gerhard Schweppenhäuser

BILDSEMIOTIK Grundlagen und exemplarische Analysen visueller Kommunikation


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und »Symbol« nach Charles S. Peirce vorgestellt. Kapitel 4 und 5 enthalten ausführliche Beispielanalysen, in denen diese drei Kategorien methodisch angewandt werden. Kapitel 6 führt in die visuelle Rhetorik ein und enthält praktische Analyseübungen (nach Gui Bonsiepe und Hanno Ehses) anhand von Beispielen aus dem Bereich der Werbung. Kapitel 7 stellt die strukturale Analysemethode der Rhetorik des Bildes (nach Roland Barthes) – oder, in einer etwas modifizierten Terminologie, die Analyse der rhetorischen Codes mit ihren verbalen und visuellen Registern (nach Umberto Eco) – vor. Sie wird in praktischen Übungen anhand von Beispielen erprobt, die ebenfalls aus dem Bereich der Werbung ausgewählt wurden. Das Buch endet mit einem kurzen Ausblick auf Fragen der Semiotik des Films in Kapitel 8. Wir möchten uns bei einigen der Personen ausdrücklich bedanken, die bei Konzeption und Ausführung dieses Buches eine wichtige Rolle gespielt haben: Christian Hartmann (Mailand) brachte uns auf die Idee, unser Vorlesungsmaterial zu einer Publikation auszuarbeiten; Beat Schneider (Bern) und Robert Steiger (Basel) unterstützten unser Projekt in entscheidenden Phasen; Veruschka Götz (Mannheim/Berlin) und Moritz Horn sorgten mit klarem Blick und sicherer Hand für das richtige Erscheinungsbild. Unser »namenloser«, aber nicht weniger herzlicher Dank geht an all die Studierenden, die uns in zahlreichen Lehrveranstaltungen in Bozen, Mannheim und Würzburg gedanklich weitergebracht haben.

Mannheim und Würzburg im September 2009


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wer hat angst vor theorie? kommunikationspraktiker müssen ihr tun begründen können 08. 09

01_Theorie und Begründung Nicht Kopf, sondern Bauch, nicht Theorie, sondern Praxis, nicht Begriffe, sondern Gefühle, nicht objektive Verhältnisse, sondern subjektives Erleben stehen häufig im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Beim Wort »Theorie« stellt sich mitunter nur eine einzige Assoziation ein: »Theorie ist abgehoben.« Wenn es zutrifft, dass eine diffuse Theoriefeindlichkeit verbreitet ist, dann ist es notwendig, einmal genauer zu klären, was hier eigentlich abgelehnt wird. Gespräche wie das Folgende sind im Bereich der Kommunikationsgestaltung, etwa bei der Präsentation von Diplomarbeiten, durchaus nicht außergewöhnlich: Frage: »Sie haben hier eine rote Futura mager 12 Punkt verwendet – warum haben Sie diese Schrift gewählt und keine andere?« Antworten: »Das hat mir mein Gefühl gesagt«; »Seit meiner Kindheit habe ich ein Faible für die Farbe Rot«; »Die Futura gefällt mir von allen Schriften am besten«; »Ich finde magere Schriften einfach schöner als die fetten.« All diese Antworten haben etwas gemeinsam: Als subjektive Meinungen begründen sie nicht die Wahl der Schrift. Theorien sind, allgemein gesprochen, Aneinanderreihungen von sprachlichen Einheiten zum Zweck der Begründung. Sie müssen daher bestimmten Kriterien genügen. 01.1_Wann ist eine Begründung nötig? Bevor bestimmt werden kann, wann in einem konkreten Fall eine Begründung richtig oder falsch ist, muss geklärt werden, wann überhaupt eine Begründung nötig ist. Nehmen wir die Aussage: »Diese Schrift gefällt mir nicht.« Philosophen würden dies ein Geschmacksurteil nennen, und außerhalb der Philosophie gilt bekanntlich, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt. Eine andere Person könnte erwidern: »Mir gefällt diese Schrift sehr wohl«; wieder jemand anders sagt vielleicht: »Ich finde diese Schrift nicht nur unschön, sondern geradezu abstoßend.« Statt von Geschmacksurteilen kann man hier auch von subjektiven Meinungen sprechen. All diesen Meinungen ist gemeinsam, dass sie keine Geltung beanspruchen, die über das sie aussprechende Individuum hinausginge. Das heißt: Der eine meint dies, der andere meint das, und all diese Meinungen sind formal gleichwertig. Aus diesem Grund bedarf eine subjektive Meinung keiner Begründung. Fragt jemand: »Warum gefällt dir diese Schrift?«, dann genügt es, tautologisch zu antworten: »Sie gefällt mir nun einmal.« Anders ist die Situation, wenn im Falle einer konkreten Gestaltungsaufgabe, zum Beispiel einer Getränkeanzeige, die Äußerung fällt: »Diese Schrift passte am besten in das Format, das für die Anzeige zur Verfügung stand«. In diesem Fall liegt eine konkret-pragmatische Begründung vor. Mit dem Gegenstand, dem Thema der Gestaltungsaufgabe, hat diese Begründung freilich nichts zu tun. Nehmen wir nun an, die Person, die den Entwurf vorlegt, sagt: »Eine fette serifenbetonte Linear-Antiqua passt besser zu einem amerikanischen Whiskey als eine magere Französische Renaissance-Antiqua.« Damit ist nicht gemeint: »Mir passt die eine Schrift besser als die andere« – dies wäre wieder eine subjektive Meinung. Fragt man also nicht: »Welche Schrift passt mir besser?«, sondern: »Welche Schrift passt besser zum Produkt?«, dann bringt die Antwort keine subjektive Meinung zum Ausdruck, sondern formuliert Implikationen einer Begründung. Man geht


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dann davon aus, dass das »Nichtpassen« der mageren Renaissance-Antiqua und das »Passen« der fetten serifenbetonten Linear-Antiqua mit der konkreten Gestaltungsaufgabe zu tun hat. Eine Französische Renaissance-Antiqua wird in unserem Kulturkreis eher mit französischem Burgunder assoziiert, während eine fette serifenbetonte Antiqua aufgrund unserer kulturellen Seh-Schulung durch Comics, Westernfilme etc. als eher zu nordamerikanischem Whiskey passend empfunden wird. Zusätzlich zur Sachbezogenheit weist die Aussage also auch insofern über den Sprecher hinaus, als sie uns deutlich machen will, dass auch andere Personen zu demselben Urteil kommen müssten. Wer so spricht, behauptet, etwas nicht nur zu glauben, sondern es zu wissen, und genau dann muss eine Begründung angegeben werden. Ob einem persönlich die Helvetica, die Schwabacher oder die Capitalis Monumentalis besser gefällt, ist bei der Begründung von Gestaltung somit unerheblich. Wenn Uneinigkeit über eine Gestaltungsentscheidung besteht – und das kommt ja bekanntlich nicht nur bei Diplomprüfungen vor, sondern auch ständig im beruflichen Alltag (sowohl innerhalb der Agentur als auch im Gespräch mit dem Auftraggeber) –, dann ist es von Vorteil, seine Entscheidung begründen zu können. Begründende Aussagen sind im Idealfall zugleich sach- und auf andere Subjekte bezogen. Letztere sollten demnach auch zu dem Urteil gelangen, dass die gewählte Schriftart zur Gestaltungsaufgabe passt. Allgemein gilt: Eine Person, die Äußerungen formuliert, welche eine Geltung auch für andere beanspruchen, muss diese begründen können. Grundsätzlich gibt es Äußerungen mit Wahrheitsanspruch und Äußerungen mit Geltungsanspruch. Ein Wahrheitsanspruch wird erhoben, wenn ein Wissen behauptet wird (wie im obigen Beispiel). Sätze mit Geltungsanspruch sind normativ: Sie fordern andere auf, etwas zu tun, indem sie Normen, das heißt Maßstäbe und Richtlinien formulieren. Nehmen wir als Beispiel für die zweite Gruppe einen Satz von Otl Aicher, der sinngemäß lautet: „Kommunikationsdesigner sollten auf die Capitalis Monumentalis gänzlich verzichten.“ Normativ ist dieser Satz, weil der Sprecher will, dass die Aussage zur Richtschnur für andere Personen (alle Kommunikationsdesigner) wird. Aus diesem Grund muss Aicher dann eine Begründung nennen – was er selbstverständlich auch getan hat. Sie lautet sinngemäß: „Die Capitalis Monumentalis passt nicht zu freien Gesellschaftsformen, denn sie war die Schrift der römischen Sklavenhaltergesellschaft, und außerdem ist sie eine Grabsteinschrift. Sie steht für Unfreiheit, Staatsgewalt und Tod. Unterstrichen wird dies dadurch, dass sie eine reine Majuskelschrift ist.“ Aus all diesen Gründen sei sie abzulehnen.

Capitalis Monumentalis


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Es geht hier nicht darum, ob diese Begründung überzeugend ist (man könnte einiges daran in Frage stellen); es soll lediglich gezeigt werden, dass ein normativer Satz einer Begründung bedarf, weil er fordert, dass andere etwas tun sollen. Schema 1 SUBJEKTIVE MEINUNGEN

haben keinen Geltungsanspruch, der über den Sprecher hinausgeht

Begründung ist nicht notwendig

WISSENSSÄTZE

haben einen Wahrheitsanspruch, der über den Sprecher hinausgeht

Begründung ist notwendig

NORMATIVE SÄTZE

haben einen Geltungsanspruch, der über den Sprecher hinausgeht

Begründung ist notwendig

01.2_Begründungen in der Wissenschaft, im Alltag und speziell in der Gestaltungspraxis Freilich macht es einen Unterschied, ob normative Sätze und Wissenssätze im Alltag oder in einem wissenschaftlichen Kontext fallen. Die Kriterien, denen die jeweiligen Begründungen genügen müssen, sind in diesen Fällen unterschiedlich streng. Insbesondere in den Naturwissenschaften haben Begründungen oft Gesetzescharakter, das heißt: Sie drücken eine übergesellschaftliche und überhistorische Notwendigkeit aus – man denke zum Beispiel an das Gravitationsgesetz in der Physik. Im Alltagszusammenhang und auch im spezifischen Feld des Kommunikationsdesigns gilt dieses strenge Begründungskriterium nicht. Ein Kommunikationsgestalter muss zum Beispiel die im konkreten Fall ausgewählte Art der Typografie und des Layouts begründen. Das »Passen« von Typografie und Layout bezieht sich nun einerseits auf den jeweiligen kommunikativen Zweck, den es zu realisieren gilt, und hängt andererseits mit den konnotativen Bedeutungen zusammen, die durch die ausgewählte Schriftart, die Schriftgröße, die Anordnung der Schrift usw. transportiert werden und weitaus instabiler sind als die denotativen Bedeutungen. Jedes Zeichen hat stets zwei Bedeutungsaspekte: die Denotation, also die Grundbedeutung, die ein Zeichen im Zeichensystem hat, und die Konnotationen, also die sekundären Bedeutungen des Zeichens, die im kulturellen Kontext stark variieren. Die konnotative Bedeutungskomponente überlagert die denotative Grundbedeutung. Während Assoziationen, die ein Betrachter mit einer zeichenhaften Mitteilung verbindet, sozusagen dessen »Privatsache« sind, handelt es sich bei den Konnotationen gewissermaßen um »öffentliche« Angelegenheiten. Die Konnotationen zeichenhafter Mitteilungen bewegen sich in einem Rahmen, den das kulturelle Gedächtnis durch verbale und visuelle Codierungen und Überlieferungen bereitstellt. Diese Codierungen und Überlieferungen sind freilich keine Naturgegebenheiten, sondern geschichtliche – und somit veränderbare – Faktoren. Kommen wir noch einmal auf das oben aufgeführte Anzeigenbeispiel zurück. Zwar stimmt es, dass eine fette serifenbetonte Linear-Antiqua die Konnotationen »Amerika« und »Wilder Westen« transportiert, und man kann daher sagen,


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dass diese Schrift besser zu amerikanischem Whiskey passt als eine magere Französische Renaissance-Antiqua. Das heißt aber nicht, dass dies auch in Zukunft die Primärkonnotationen jener Schrift sein müssen. Konnotationen sind kulturrelativ und veränderlich; sie unterliegen semantischen Verschiebungen. Das heißt, die Bedeutungen von Zeichen sind wandelbar. Die Primär-Konnotationen der fetten serifenbetonten Antiqua können sich also ändern. Hier spielen immer ein Zeit- und ein Kulturfaktor mit – und genau das ist die Bedingung für die Möglichkeit gestalterischer Innovation. Gerade Kommunikationsdesigner selbst arbeiten ja ständig daran, durch den kreativen Einsatz von Schriften deren aktuelle konnotative Bedeutungen zu verändern. Sie verwenden bestimmte Schriften nicht nur so, dass sie »passen«, sondern mitunter auch in der Weise, dass die verwendete Schrift gerade durch ihr »Nichtpassen« den ausgedrückten Inhalt beispielsweise ironisiert und so den Betrachter einer Anzeige zum Schmunzeln bringt; zum Beispiel, wenn mit einer fetten serifenbetonten Linear-Antiqua nicht für einen Whiskey, sondern für ein Schlankheitsmittel oder eine Schönheitscreme geworben wird. Eine ironisierende Verwendung einer Schrift ist nur möglich, weil sie bestimmte Konnotationen hat, die der Gestalter dann im konkreten Gebrauch vorsätzlich bricht. Auch und gerade bei ironisierender Verwendung besteht »Begründungspflicht«. 01.3_Begründung und kommunikativer Zweck Entscheidend für die Auswahl typografischer Einheiten – und auch dafür, ob eine ironische Verwendung möglich ist oder nicht – ist der jeweilige kommunikative Zweck, der die Ziele gestalterischen Handelns bestimmt. Das Ziel der Gestaltung eines Kommunikationsprozesses ist der Maßstab, an dem sowohl die Entscheidungen des Gestalters als auch dessen Begründungen dafür zu messen sind. Kommunikationsdesignerisches Tun muss begründbar sein. Bei einem Leitsystem für einen internationalen Flughafen ist der typografische Gestaltungsspielraum sicherlich geringer als bei einer national geschalteten Werbekampagne. Optimale Sicht- und Lesbarkeit sowie internationale Verständlichkeit bilden im ersten Fall die Gestaltungskriterien. Das kommunikative Spiel mit ironisierenden Mehrdeutigkeiten könnte hier im Ernstfall tödlich ausgehen – etwa, wenn das Gebäude in Brand steht –, während es bei der Werbekampagne eine durchaus verkaufsfördernde Wirkung haben kann. Kommunikationsdesigner müssen also nicht die Kommunikation als solche begründen, sondern vielmehr konkrete Einzelfälle mit durchaus sehr unterschiedlichen kommunikativen Zwecken, wobei letztere jeweils der Maßstab der Begründung sein müssen. Des weiteren haben Kommunikationspraktiker es vor allem mit den konnotativen Bedeutungen zu tun, die durch die ausgewählten typografischen Einheiten transportiert werden. Konnotative Bedeutungen sind fragil und kulturrelativ und unterliegen stärkeren semantischen Verschiebungen als denotative Bedeutungen. Für die Kommunikationspraxis kann es folglich keine Begründungen mit überkulturellem und übergeschichtlichem Gesetzescharakter geben.


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Der Vorwurf der »Verwissenschaftlichung der Gestaltung«, dem sich die Vertreter der Ulmer Schule ausgesetzt haben, ist demnach berechtigt – aber nur, wenn man ihn präzisiert und von einer »Vernaturwissenschaftlichung der Gestaltung« spricht. Eben darin bestand zunächst das Ulmer Projekt, das nicht gelingen konnte, weil es für die Kommunikationsgestaltung keine Naturgesetze gibt. Die Designtheorie kann keine an der Informationstheorie orientierte mathematischnaturwissenschaftliche Disziplin sein; sie muss vielmehr Anleihen bei der Phänomenologie, der Semiotik, der Hermeneutik und der kritischen Theorie der Gesellschaft machen. Das haben die Ulmer Designtheoretiker selbst bemerkt, was alsbald zu einer starken Öffnung insbesondere in Richtung Semiotik führte. Fassen wir zusammen: Theorien als Begründungssysteme haben ihren Ursprung nicht erst im Bereich der Wissenschaft, sondern bereits im Alltag, und zwar überall dort, wo Äußerungen mit universellem Geltungsanspruch gemacht werden. Um sich auf Begründungen zu einigen, muss man kommunizieren, das heißt man ist genötigt, sich über Ziele, Zwecke und Mittel zu verständigen. Kommunikation und Gesellschaft und damit der gesamte Bereich des Sozialen und Kulturellen beginnen mit Formulierungen, die einer Begründung bedürfen. Im Hinblick auf das Problem der Theoriefeindlichkeit muss man sich Folgendes verdeutlichen: Wer Theorie (im Sinne von systematischen Begründungszusammenhängen) radikal ablehnt, arbeitet in letzter Konsequenz auf eine Welt hin, in der nur noch subjektive Meinungen nebeneinanderstehen. Die vielen Meinungen sind dann gleichwertig, aber eben auch gleichgültig. So wichtig das Recht auf Meinungsfreiheit ist, spätestens im Konfliktfall reichen subjektive Meinungen nicht mehr aus. Hier sind Begründungen gefragt, und ohne Theorie kann es keine Begründungen geben. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob der theoretische Begründungsrahmen expliziert wird oder implizit bleibt. Theorie und Wissenschaft bewegen sich im Bereich der konstitutiven Unterscheidung zwischen »wahr« und »falsch«. Wissenschaftliche bzw. theoretische Sätze erheben den Anspruch, wahr und intersubjektiv verbindlich zu sein. Unter »Wahrheit« versteht man die Angemessenheit einer Aussage an den Sachverhalt, über den sie gemacht wird. Eine wissenschaftliche bzw. eine theoretische Aussage erhebt den Anspruch, ihrem Gegenstand angemessen zu sein und von jedem, der sich am Reflexionsprozess beteiligt, grundsätzlich nachvollzogen werden zu können. Was als wahr gilt und was als falsch, kann sich historisch und kulturell bedingt verändern. Daher verfallen dogmatische Wahrheitsansprüche regelmäßig der berechtigten Kritik. Annahmen wie die, dass die Erde eine Scheibe sei, um die sich die Sonne drehe, oder dass Gott Eva geschaffen habe, indem er eine Rippe aus dem Körper Adams herausgenommen habe, konnten auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden – auch nicht mithilfe dogmatischer Begründungen (»So steht es in der Heiligen Schrift«). Der Anspruch auf Wahrheit (Angemessenheit der Aussage an den Sachverhalt) und intersubjektive Geltung ist dagegen im Diskurs von Wissenschaft und Theorie unverzichtbar, denn ohne ihn wird Theorie sinnlos. Der Satz »Frauen sind geistig und sittlich nicht für das Hochschulstudium geeignet« galt in Deutschland noch bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs als wahre Aussage. Der Satz »Frauen wurde lange Zeit – aus sozialen und kulturellen Gründen,


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die mit der Sicherung bestehender Herrschaftsverhältnisse zusammenhingen – der Zugang zu Institutionen höherer Bildung vorenthalten« ist hingegen nach heutigem Wissensstand als wahre Aussage zu bezeichnen. Theorie, auch die der Gestaltung, vollzieht sich dabei stets in einer dreischrittigen Kreisbewegung, die aus Reflexion, Begründung und Kritik besteht. »Kritisieren« (von altgriech. krinein) heißt im Wortsinn »unterscheiden«, »entscheiden« und »(be)urteilen«. Im Sinne der neuzeitlichen Philosophie (seit Immanuel Kant) bezeichnet Kritik die Bestimmung der Leistungen und der Grenzen von etwas. Verfasst etwa ein Kulturwissenschaftler eine »Kritik des Fernsehens«, so will er damit nicht zum Ausdruck bringen, dass er nicht viel von diesem Medium hält oder es ganz ablehnt. Er untersucht darin vielmehr, was das Medium Fernsehen leisten kann und wo seine Grenzen liegen. Das Spezifische des Mediums soll herausgearbeitet werden. Im Fernsehen kann man beispielsweise »live« über Ereignisse berichten, was etwa im Medium Kinofilm nicht möglich ist; im Fernsehen lassen sich hingegen komplexe philosophische Erörterungen schlechter realisieren als im Radio oder in einem Printmedium, weil die visuelle Erscheinung der Protagonisten oder die Visualisierungen philosophischer Konzepte (in der Regel) vom begrifflichen Verstehen eher ablenken. Um nun auf diesem oder ähnlichen Gebieten Entscheidungen über die Wahl und den Einsatz eines Mediums treffen zu können, muss man sachorientiert über die Materie und den kommunikativen Zweck nachdenken (Reflexion), seine Schlüsse konsistent und widerspruchsfrei mit Argumenten darlegen (Begründung) und aufgrund der vorgenommenen Unterscheidungen Entscheidungen treffen. Daraus entsteht wiederum eine veränderte Ausgangslage, die erneute Reflexion, Begründung und Kritik erfordert. Schema 2 REFLEXION

den Gegenstand im Zusammenhang begreifen

BEGRÜNDUNG

eine Theorie formulieren: allgemeingültige Thesen und Argumente im Zusammenhang

KRITIK

wahr/falsch, besser/schlechter unterscheiden und Entscheidungen treffen

HANDLUNG

Anwenden, Umsetzen und Überprüfen der getroffenen Entscheidungen

ERNEUTE REFLEXION

den Gegenschand im Zusammenhang begreifen

BEGRÜNDUNG

eine Theorie formuieren: allgemeingültige Thesen und Argumente im Zusammenhang

KRITIK

wahr/falsch, besser/schlechter unterscheiden und Entscheidungen treffen

USW.


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Denken wir uns beispielsweise einen Gestalter, der seit einiger Zeit für eine bestimmte Firma arbeitet. Er denkt über die Möglichkeiten und Grenzen des bisherigen Corporate Design der Firma nach und kommt zu dem Schluss, dass ein Re-Design nottut. Eine Begründung dieser durch Reflexion gewonnenen Annahme könnte lauten, dass der bisherige Firmenauftritt Konnotationen hervorruft, die nicht mehr als zeitgemäß empfunden werden. Farben, Typografie und Signet des Erscheinungsbildes versetzen die Kunden ungewollt in die Vergangenheit zurück. Das Gleiche gilt für das Personal der Werbeauftritte, zum Beispiel hellhäutige, rotwangige, blonde Kinder mit Zöpfen oder Seitenscheiteln in Dirndln und Lederhosen. Da die Firma mit ihren Produkten Kinder von heute ansprechen möchte, würde es sich vielleicht anbieten, modisch frisierte, multiethnische »Kids« in »trendigen Klamotten« zu zeigen. Gleichzeitig könnte es durchaus sinnvoll sein, weiterhin sowohl Mädchen als auch Jungen auftreten zu lassen. Oder sollte man das »unzeitgemäße« Design vielleicht sogar tendenziell beibehalten und im Sinne des Retro-Stils versuchen, es den umworbenen Jugendlichen als »kultig« zu vermitteln? Hier wird es darauf ankommen, zu differenzieren und gut begründete Entscheidungen zu treffen. Gerade vorsichtige Anpassungen ermöglichen, dass ein Erscheinungsbild für die Betrachter im Laufe der Zeit »konstant« bleibt und die Konnotation des Altmodischen ausbleibt. Die vorsichtigen Veränderungen bewahren die »Identität der Firma«, indem sie diese an die visuellen Codes und die Mentalitäten der Gegenwart anpassen. Das Denotat bleibt gleich, die Konnotationen ändern sich. Nur wer sich ändert bleibt sich treu, sang einst Wolf Biermann – Identität kann nur durch Veränderungen aufrechterhalten werden. In jedem Fall muss das bestehende Corporate Design kritisch analysiert werden: Was kann es heute noch leisten, wo liegen seine Grenzen? Was ist vom Alten zu übernehmen, was ist zu erneuern? Wenn das Re-Design gelungen ist, herrscht in der Regel für eine Weile kein Handlungsbedarf. Erst wenn es seinen Zweck nicht mehr optimal zu erfüllen scheint, muss neu reflektiert werden.


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Ein Zeichen steht immer für ein Objekt, und es steht immer für jemanden für ein bestimmtes Objekt. Was ruft es in diesem hervor? Es kann (jeweils in erster Linie) etwas Emotionales sein, etwas Handlungsleitendes oder etwas Kognitives bzw. Logisches. 1_Wenn der Interpretant (die Zeichenwirkung) z.B ein Gefühl ist, motiviert das Zeichen unmittelbar. Höre ich etwa einen Ton oder eine musikalische Tonfolge, bewirkt das in mir eine Stimmung. In einem solchen Fall wird ein Zeichen ohne Weiteres richtig verstanden; im Bewusstsein des Interpreten wird die angemessene, u.U. die Wirkung erzielt, die vorgesehen war (Volli 2002, S. 32). 2_Wenn das Zeichen dynamisch motiviert, führt es zu einer Handlung. Es motiviert, oder, mit anderen Worten: Es führt mittelbar zu einem Resultat. Peirce spricht hier auch von energetischen Zeichen. Ich höre zum Beispiel eine Tonfolge von zwei Tönen im Abstand einer Terz, die fortlaufend wiederholt und lauter werden. Ich sitze gerade im Auto, und diese Tonfolge bewirkt, dass ich an den rechten Fahrbahnrand fahre, um einem nahenden Krankenwagen Platz zu machen, den ich zwar noch nicht sehen, aber bereits hören kann. 3_Wenn das Zeichen logisch-kognitiv motiviert, führt es zu einer Schlussfolgerung. Nehmen wir an, im zuletzt genannten Beispiel würde die Tonfolge nicht lauter, sondern leiser. Ich kann in diesem Falle daraus schließen, dass der Krankenwagen sich mir nicht nähert und ich nicht an den Fahrbahnrand fahren muss. Aber der Bereich, um den es Peirce im Falle der logischen Zeichenwirkungen eigentlich geht, ist der Zusammenhang einer Kultur und ganz besonders der Zusammenhang wissenschaftlichen Arbeitens. Hier geht es um Zeichendeutung, die im Kontext einer gemeinsamen Überlieferung steht und ein gemeinsames Ziel hat: die Suche nach der Wahrheit. Also beispielsweise die Zeichen, die Archäologen oder Biologen interpretieren, um aus Bruchstücken und Einzelbeobachtungen herauszufinden, was im alten Rom geschehen oder wie die Evolution der Lebewesen vom Einzeller bis zum Menschen verlaufen ist.


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beispiele aus dem werblichen bereich beispiele aus dem werblichen bereich

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04_Sechs Beispiele aus dem werblichen Bereich 04.1_Abb.: »Kieler Woche 1986« Die Wörter und Zahlen auf dem Plakat sind symbolische Zeichen. In einer anderen Sprache und in einem anderen Schrift- und Zahlensystem sähen sie anders aus. Auch der Name der Segelveranstaltung ist ein symbolisches Zeichen, denn die Regatta könnte ebenso gut einen anderen Namen tragen. Das abgebildete Dreieck, das aus einem Stück Papier ausgerissen ist, ist ein ikonisches Zeichen für ein Segel, dem es erkennbar ähnelt, und der monochrom blaue Bildhintergrund ist ein ikonisches Zeichen für Wasser und Himmel, die Elemente, die uns beim Segeln umgeben. Man könnte allerdings auch sagen, dass es starke symbolische Zeichenaspekte hat, denn Wasser und Himmel sind ja tatsächlich nicht immer blau, doch in unserer Kultur ist es üblich, sie so darzustellen. Nach ganz ähnlichen Prinzipien ist das Motiv für ein Titelblatt des Magazins der Süddeutschen Zeitung gut zwanzig Jahre später gestaltet. 04.2_Abb.: »Wollsiegel« Die stilisierte Darstellung eines Wollknäuels ist ein ikonisches Zeichen (Kriterium: visuelle Ähnlichkeit), das als symbolisches Zeichen für eine bestimmte Textilqualität steht. Der Verband der Textilhersteller – genauer gesagt, das Internationale Wollsekretariat – hat festgelegt, dass dieses stilisierte Bild eines Wollknäuels nur diejenigen Textilien kennzeichnet, die aus »reiner Schurwolle« bestehen, genannt »Wollsiegel-Qualität«. Die Abbildung stammt von Francesco Saroglia. Die Form dieses Warenzeichens für Wolle drückt strenge Eleganz und Modernität aus (die einen Gegensatz zur Vorstellung muffiger selbstgestrickter Pullis bilden soll). 04.3_Abb.: »Shell« Bei dem folgenden Beispiel handelt es sich um das ikonische Zeichen für eine Muschel (Kriterium: visuelle Ähnlichkeit), das als symbolisches Zeichen für einen Konzern steht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Firmengründer das stilisierte Muschelbild in Erinnerung an seinen Vater, einen Muschelhändler, als Markenzeichen gewählt. »Bereits 1904 hatte sich das Logo zum Abbild einer Kammuschel entwickelt und wurde seitdem insgesamt sieben Mal überarbeitet. Das bis heute fast unverändert verwendete Logo von 1971 wurde vom amerikanischen Industriedesigner Raymond Loewy entworfen« (www.marken lexikon.com/logos_s.html#Shell [26.01.08]).

An example of John Pasche’s design portfolio, copyright Musidor BV.

04.4_Abb.: »Rolling Stones« Das poppige Bild eines roten Mundes mit herausgestreckter Zunge wurde Anfang der 1970er Jahre von John Pasche als Erkennungszeichen der Rolling Stones entworfen. Die englische Tageszeitung The Guardian berichtete am 2. September 2008, dass das Victoria-and-Albert-Museum in London Pasches Originalzeichnungen des Rolling-Stones-Logos erworben hat. Dabei wurde der Designer mit einer Äußerung zitiert, die erläutert, wie er seinerzeit zu seinem Motiv inspiriert wurde: »I wanted something anti-authority, but I suppose the mouth idea came from when I met Jagger for the first time at the Stones’ offices. I went into this sort of wood-panelled boardroom and there he was. Face to face with him, the first thing you were aware of was the size of his lips and his mouth«


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(The Guardian, 02. 09. 2008). In den Augen von Pasche ähnelt sein Logo-Motiv Jaggers Mund – ein klarer Fall von ikonischer Zeichenhaftigkeit. In den späten 1960er Jahren hatten die Beatles die Fotografie eines grünen Apfels als Markenzeichen für ihr Plattenlabel „Apple Records“ eingeführt. Auf dem Cover und auf der A-Seite der Vinylplatten war ein ganzer, auf der B-Seite ein halber Apfel abgebildet. Beide Logos sind ikonische Zeichen, die als symbolische Zeichen genutzt werden.

Titelblatt »Süddeutsche Zeitung Magazin, 2007«

04.5_Abb.: »Apple« Der abgebildete Apfel wurde in den 1970er Jahren als Markenzeichen des Unternehmens »Apple Computer Inc.« entworfen. Auch dies ist ein ikonisches Zeichen, das als symbolisches Zeichen genutzt wird, nämlich als Firmenlogo. Es kommt


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noch eine kulturgeschichtliche Symbolik hinzu: Im biblischen Mythos ist der Apfel die Frucht des Baums der Erkenntnis, von der Adam und Eva nicht kosten dürfen. Der Computer-Apfel verweist mit seiner Bissspur darauf, dass jemand sich, ebenso wie Adam und Eva, nicht an das Verbot gehalten hat und daher Erkenntnis besitzt. Sind das wir, die Menschheit? Oder die Hersteller des jeweiligen Produkts? Eine Branchen-Anekdote besagt, der Firmengründer habe im Verlauf einer Sitzung, in der niemandem eine zündende Logo-Idee einfallen wollte, den Apfel, in den er gerade gebissen hatte, auf den Tisch geknallt und den Raum verlassen. Es ist eher unwahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen, dass die Idee zum Motiv so entstanden ist. »Das erste Logo zeigte eine unter einem Baum sitzende Gestalt, die gerade über ein Schriftstück gebeugt war. Der darüber gezeigte Apfel wurde später im Logo übernommen. […] Da das Logo eher wie ein alter Kupferstich aussah und viel zu aufwendig gestaltet war, wurde es wenig später von Regis McKenna überarbeitet und auf den bekannten, angebissenen Apfel reduziert« (www.markenlexikon.com/logos_a.html [26.01.08]). Danach ist die Bildersprache ihrer eigenen Logik gefolgt – auch die Gestaltung des Logos mit fünf Querstreifen in Regenbogenfarben ist dafür ein Indiz: »Der Regenbogen […], dessen Farben für Hoffnung und als Brücke zum Himmel interpretiert werden können, kann als Rückkehr ins verlorene Paradies gedeutet werden. Der Designer selbst lehnte sich laut Eigenaussage jedoch nicht bewusst an den Schöpfungsmythos an, wenngleich das Unternehmen noch heute von dieser ungeplanten Interpretation profitiert« (ebd.). Wie auch immer: Das Halbrund ist ein indexikalisches Zeichen, das ikonisch repräsentiert wird, nämlich die Darstellung der Spur eines Bisses. Der leitende Zeichenaspekt (für die Deutung des Zeichens) ist bei diesen Beispielen aus der kommerziellen Sphäre der symbolische Aspekt. Wir haben es hier nicht mit Abbildungen zu tun, die die Funktion haben, etwas zu zeigen, zu verdeutlichen oder das Aussehen von etwas Abwesendem im Bilde zu vergegenwärtigen o.Ä., sondern mit Firmenlogos.

G. Schweppenhäuser in North Carolina (Foto: Katrin Greiser)


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Deutschen Bahn könnte beispielsweise lauten: »Einsteigen, entspannen, ankommen.« (Heute wäre im Falle der Deutschen Bahn etwas wie »Warten, einsteigen, hoffen« zeitgemäßer.) Paronomasie: Wortspiel zweier klangähnlicher Wörter. Einige (klassische und moderne) Beispiele aus dieser überaus beliebten Kategorie: »urbi et orbi«, »Geiz ist geil«, »Bei der EM-Qualifikation ausgeschieden: die Tränen der Dänen« oder »Quod licet Iovi, non licet bovi«. John Lennons Wortspiel-Name »The Beatles« verdichtete zwei gleichlautende, aber verschieden geschriebene Silben (»beat« und »beet«) zu einem Wortzeichen mit einer Primärbedeutung, die einen musikalischen Fachbegriff konnotiert, und einem Nonsens-Subtext, der vage auf Generationskonflikt und Subkulturen anspielt (u.a. auf den Film The Wild One von 1953 mit Marlon Brando, in dem von einer Motorradgang die Rede ist, die The Beetles (»die Käfer«) heißt). Trikolon: Ein Kolon ist eine rhythmische Sprecheinheit, die auf einer Atempause beruht. Beim Trikolon handelt es sich um ein dreigliedriges Satzgefüge (wie zum Beispiel »Ready, Steady, Go!«) oder um die dreifache Setzung von Wiederholungen und Aufzählungen, die eingesetzt werden, um andere rhetorische Figuren zu verstärken. »Veni, vidi, vici« oder »Verliebt, verlobt, verheiratet« sind allgemein bekannte Beispiele für Trikola mit Alliteration. »My World. My Style. My Ecco.« lautet der Slogan eines dänischen Schuherstellers. Ein ehedem berühmter Buchtitel war »Götter, Gräber und Gelehrte«, und im Kinderprogramm des deutschen Fernsehens wurde die Reihe »Sport, Spiel, Spannung« ausgestrahlt. Auch hier wird das Trikolon mit dem Stilmittel der Alliteration kombiniert, ebenso wie bei »Wünsche werden wahr!«, das oft im Zusammenhang mit dem Weihnachtsgeschäft verwendet wird. In die Geschichte der Reklame ging das Trikolon »Drei Dinge braucht der Mann: Feuer, Pfeife, Stanwell« ein. Asyndeton: Wörter oder Wortgruppen werden ohne Verbindung aneinandergereiht. Das kann dramatische Wirkungen wie Leidenschaft und Erregung bewirken, wenn der Eindruck entsteht, dass keine tiefere Verknüpfung besteht, aber auch so gegensätzliche lyrische Stimmungen wie Zerstreutheit oder gehaltvolle Knappheit zum Ausdruck bringen. In dem Song »The Spider And The Fly« von Mick Jagger und Keith Richards heißt es: »Sitting, thinking, sinking, drinking / Wondering what I'd do when I'm through tonight / Smoking, moping, maybe just hoping / Some little girl will pass on by«. Bei den Zeilen eins und drei handelt es sich um Asyndeta. Hyperbel: Eine Bedeutung wird mit Hilfe von Zeichen visualisiert, deren Gehalt über das des eigentlich Ausgesagten hinausgeht. Eine Hyperbel ist eine Übertreibung von etwas über seine normalen und angemessenen Dimensionen hinaus. Sie kann sowohl vergrößernd als auch verkleinernd erfolgen. »Das dauert mal wieder eine Ewigkeit!«, sagt man beispielsweise, oder: »Darf ich dazu vielleicht auch ein oder zwei Worte sagen?«. Friedrich Holländer schrieb: »Männer umschwirr’n mich wie Motten das Licht.« Und die Gruppe The Fantastic Four sang 1967, frei nach William Shakespeare: »The whole world is a stage / And everybody is playing a part.«


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Understatement: Eine verbale Untertreibung wird visuell veranschaulicht. Eine Sympathie-Werbekampagne für den Deutschen Fußballbund könnte zum Beispiel die Textzeile »In den letzten Jahrzehnten haben die deutschen Fußballer ganz ordentlich mithalten können« mit der kontrastierenden Präsentation von Fotos der zahlreichen Weltmeisterschaftspokale und Medaillen für Endspielteilnahmen verbunden werden. Eine nicht-kontrastierende Visualiserung der Textzeile könnte beispielsweise deutsche Fußballer in einer Reihe mit den Weltstars der Zunft zeigen. Gesetz der wachsenden Glieder (diese Bezeichnung stammt von dem Sprachwissenschaftler Otto Behaghel; vgl. Leumann u.a 1972, S. 772): Wörter oder Wortgruppen werden in einer Reihe angeordnet, sodass der Umfang der Glieder zunimmt; dabei kann eine rhythmische Steigerung eintreten. Zum Beispiel dichtete Paul McCartney für das Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band: »Woke up, / Fell out of bed, / Dragged a comb across my head, / Found my way downstairs and drank a cup / And looking up I noticed I was late ...« (»A Day in the Life«). Klimax: Steigerung von Aussageinhalt oder Aussagekraft durch entsprechende Anordnung von Wörtern, Wortgruppen oder Sätzen (wie im Fall des Gesetzes der wachsenden Glieder oder des Trikolon). So könnte man zum Beispiel formulieren: »Ich fand einen Menschen, ich fand die Liebe, ich fand mein Glück.« Oxymoron: Verbindung zweier sich widersprechender Ausdrücke, um eine Pointe zu schaffen. »Die Letzten werden die Ersten sein« ist ein klassisches Beispiel für diese Figur, »Kaufen heißt Geld sparen« ein neueres. Pleonasmus: Ein eigentlich überflüssiger Zusatz zu einer Aussage, sodass das Gemeinte sprachlich mehrfach zum Ausdruck kommt. Zweck des Pleonasmus sind Nachdruck und Verdeutlichung; oft ist er aber auch indexikalisches Zeichen für einen nachlässigen Stil, z.B.: »der weiße Schimmel« oder »ein alter Greis«. Tautologie: Bezeichnung eines Begriffs durch zwei dasselbe aussagende Worte, der man oftmals als Stilfehler begegnet, zum Beispiel in einem Satz wie: »Die Krisentendenz des Kapitalismus ist bereits schon von Karl Marx mustergültig analysiert worden.« Eine rhetorische Tautologie im strengen Sinne ist die Unterstreichung durch eine Wiederholung desselben Wortes wie beispielsweise in dem Satz: »Was zuviel ist, ist zuviel!« Ellipse: Leicht zu ergänzende Wörter oder Bildzeichen zur Straffung und Prägnanz. »Dass du pünktlich nach Hause kommst!« ist eine elliptische Version des Satzes: »Ich fordere von dir, dass du pünktlich nach Hause kommst.« Ein Beispiel aus der Werbung: »Sommerzeit – Reisezeit«. Rhetorische Frage: eine Behauptung, die um des Effektes willen in die Form einer Frage gekleidet ist und keiner ausdrücklichen Antwort bedarf. Man kann beispielsweise fragen: »Wie oft soll ich Dir eigentlich noch sagen, dass du Dir vor dem Essen die Hände waschen musst?« oder formulieren: »Wie lange sollen wir das noch mitansehen, ehe wir endlich etwas dagegen unternehmen?«, oder, klassischer: »Quousque tandem abutere, Catilina, patientia nostra?« (Cicero, Catilinaria 1).


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06.3_Analyse visueller Rhetorik

06.3.1_BHW: »Jetzt auftrumpfen – kein Geld verschenken« Verschmelzung: Die blaue Brille wird aufgrund ihrer Farbe in das Superzeichen BHW eingebunden. Die syntaktische Verknüpfung (gleiche Farbe) suggeriert bzw. unterstellt eine semantische Verbindung. Parallelismus: Die Farbe Blau und das Wort »blau« beziehen sich auf dieselbe Bedeutung. Visuell-verbaler Vergleich: Mithilfe sprachlicher Vermittlungen (»auftrumpfen« = »kein Geld verschenken«) werden zwei Bedeutungen visuell miteinander gleichgesetzt (›Asse‹) bzw. verglichen (»seh’ ich blau« vs. »Ich sehe schwarz«).


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06.3.2_KAISER: »Schauma, wie günstig« Wortspiel: Der Produktname »Schauma« klingt wie die umgangssprachlich ausgesprochene Aufforderung »Schau mal!«. Der Prospekt wurde im Vorfeld des Osterfests verteilt. Das Kind mit Fernglas im Hasenkostüm ist ein satirisch übertriebenes Sinnbild für die Suche nach Ostereiern. Dies konnotiert: So, wie man zu Ostern Ostereier findet, findet man in der Drogeriekette Waren zu besonders günstigen Preisen. Verschmelzung: Die Aufforderung wird aufgrund der Klangähnlichkeit in das Superzeichen »Schauma«, den Produktnamen, eingebunden.


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US NAVY, »Let the Journey begin«

Roland Barthes entdeckte das für ihn initiale Beispiel beim Friseur, als er wartend durch Zeitschriften blätterte. In seinem berühmten Buch Mythen des Alltags, das er in den 1950er Jahren schrieb, entwickelte Barthes anhand dieses Beispiels seine Theorie der visuellen Mythologie: Ein Titelblatt der Illustrierten Paris Match (Nr. 326, Juni/Juli 1955) zeigte einen jungen schwarzen Soldaten in der Uniform der französischen Armee beim Fahnengruß, »den Blick erhoben und auf eine Falte der Trikolore gerichtet« (Barthes 1957, S. 95; korrekt übersetzt müsste es heißen: „den Blick erhoben und wahrscheinlich auf eine Falte der Trikolore gerichtet“). Frankreich, schreibt Barthes, werde in derartigen Bildern nicht als die Kolonialmacht dargestellt, die es in Wahrheit sei, mit all den damit verbundenen Problemen, welche staatliche Gewalt, Unterdrückung und Freiheitsberaubung nach sich zögen, sondern vielmehr als ein Land, dessen Söhne ihm ohne Unterschied freudig dien-


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ten, um die Freiheit zu verteidigen. Der algerische Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich dauerte von 1954 bis 1962. Die Botschaft des Bildes laute, »daß Frankreich ein großes Imperium ist, daß alle seine Söhne, ohne Unterschiede der Hautfarbe, treu unter seiner Fahne dienen und daß es kein besseres Argument gegen die Widersacher eines angeblichen Kolonialismus gibt als den Eifer dieses jungen Negers, seinen angeblichen Unterdrückern zu dienen« (ebd.). Diese Mythologie brauchte eine Herrschaftsform, die zwar historisch zum Untergang bestimmt war, sich aber noch eine Zeit lang am Leben halten wollte. Dass diese Art der Mythologie- oder Ideologieproduktion auch fünfzig Jahre später noch immer in Blüte steht, mag ein relativ neues Beispiel einer Werbung für die U.S. Navy belegen, die Ähnlichkeit mit dem Beispiel von Barthes aufweist. Für Barthes war das Titelblatt mit dem Fahnengruß ein Beispiel für »ein erweitertes semiologisches System«: »[…] es enthält ein Bedeutendes, das selbst schon von einem vorhergehenden System geschaffen wird (ein farbiger Soldat erweist den französischen militärischen Gruß), es enthält ein Bedeutetes (das hier eine absichtliche Mischung von Franzosentum und Soldatentum ist), und es enthält schließlich die Präsenz des Bedeuteten durch das Bedeutende hindurch« (ebd.). 07.3_Die Nachrichten des Bildes Barthes’ Grundthese zur Analyse der Rhetorik des Bildes ist, dass jede Bild-TextKombination grundsätzlich drei Botschaften hat: eine verbale Botschaft, die aus zwei Ebenen besteht, und zwei Bildbotschaften. Der Einfachheit halber spricht Barthes nicht von den »drei Nachrichten der Bild-Text-Kombination«, sondern von den »drei Nachrichten des Bildes«. Er unterscheidet zwischen der linguistischen (sprachlichen) Nachricht und der ikonischen (bildlichen) Nachricht. Die sprachliche Nachricht umfasst Denotationen und Konnotationen, die bildliche Nachricht umfasst einerseits nicht codierte (denotative) Elemente und codierte (konnotative) Elemente. 1_Die linguistische Nachricht ist die sprachlich formulierte Botschaft; sie besteht aus Denotationen (einfache Bedeutungen der Worte und Zeichen) und Konnotationen (Begleitvorstellungen, die zur Grundbedeutung hinzukommen). »Was die Textbotschaft zunächst rein referenziell bedeutet, wird durch die konnotative Bedeutung geöffnet und zum Konnotationszeichen für eine symbolische Botschaft«, formuliert der Soziologe Stefan Müller-Doohm, der eine kultursoziologische Hermeneutik auf den Spuren von Barthes entwickelt hat. Die so produzierte symbolische Botschaft »ist als Sinnsprache Teilmoment einer kulturellen Diskurspraxis« (Müller-Doohm 1997, S. 101). 2_Die nicht codierte ikonische Nachricht besteht aus den erkennbaren abgebildeten Gegenständen (so, wie wir sie vermöge der Gesetzmäßigkeiten unserer Wahrnehmung erkennen). 3_Die codierte ikonische Nachricht besteht aus den Konnotationen der Bildelemente (den Begleitvorstellungen, die aufgrund unseres kulturellen Kontextwissens hinzukommen). Sie spricht gleichsam eine durch Konnotationen geprägte Metasprache, die den Sinn bzw. die Bedeutung des Bildes bestimmt und die Richtung(en) vorgibt, in denen die Betrachter die Bildbotschaft dechiffrieren.


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zu Hause fühlt, wird diese Perspektive kaum zur Identifikation einladen, aber es gibt ja auch ähnliche Kontaktsituationen in der U-Bahn. Wahrscheinlicher wäre in diesem Fall freilich die distanzierende Wirkung, die dem Bild denotativ zwar nicht attestiert werden kann, ihm aber konnotativ umso stärker eingeschrieben ist. Alle Bildteile zusammengenommen konnotieren Bewegung, Fortschritt, Erfolg, Zuversicht, Zukunft. Die Anzeige im Ganzen erinnert an einen Serienbrief, der durch »handschriftliche« Zusätze personalisiert und verbindlicher gemacht wurde. Vor zwanzig Jahren war es noch durchaus verbreitet, dass Angehörige gebildeter Schichten ihre Grüße zum Jahresende in fotokopierter Form vervielfältigten und mit handschriftlicher Anrede sowie Schlussworten usw. verbindlicher gestalteten. Mittlerweile konnotiert diese Präsentationsform genau das, was die Zeichen der vorliegenden Bild-Text-Kombination auch denotieren, nämlich offizielle Kommuniqués wie z.B. von städtischen Energieversorgungsunternehmen, regierungsamtliche Mitteilungen o.Ä., denen eine persönliche Note gegeben werden soll. Gleiches gilt für oft lästige Anschreiben aus dem Versandhandel. Die Bundesregierung »schreibt uns einen Brief« – eine Adresse, an die wir unsere Antwort richten könnten, wird indessen nicht angeben. Lediglich Internetseiten zum Weiterlesen werden genannt, und das soll selbstverständlich Transparenz und Bürgernähe suggerieren. Auf den einschlägigen Seiten findet man dann auch ein Formular, in dem man der Bundeskanzlerin eine Nachricht per E-Mail schicken kann. Die Asymmetrie zwischen Sender und Adressaten ist also kein Schnitzer, sondern ein weiterer Kunstgriff dieser handwerklich rundum gelungenen politischen Werbemaßnahme.

Wayne Rooney für Nike, 2006

07.3.6_Beispiel-Analyse: NIKE, 2006 Zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006 wurde dieses Bild des englischen Fußballstars Wayne Rooney in einer Werbekampagne der Sportartikelherstellers Nike in den überregionalen Zeitungen Englands und auf einer riesigen


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Leinwand in London präsentiert. Über das Internet fand die Werbung sehr schnell Verbreitung weit über England und Europa hinaus. Als Spieler der englischen Weltmeisterschaftsmannschaft hat Rooney den Ruf eines Machers, keines Grüblers – eines harten, zur Rücksichtslosigkeit neigenden Kämpfers, der aus der Unterschicht kommt und damit auch kokettiert. 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht: Das einzige Textelement ist der rechts unten positionierte Slogan »Just do it«, versal in einer Serifenschrift gesetzt, grau auf weißem Grund. Ein Punkt am Ende des Satzes fehlt, stattdessen steht dahinter der bekannte Swoosh, das Firmenzeichen von Nike, in rot. Diese Farbe korrespondiert mit dem Rot der ikonischen Botschaft. Der Firmenname Nike wird auf der Anzeige nirgendwo präsentiert. Allein der Swoosh, dessen Funktion als Firmenzeichen beim Betrachter als bekannt vorausgesetzt wird, und die Kenntnis, dass »Just do it« der Slogan der Firma Nike ist, verweisen darauf, dass es sich um eine Kampagne der Firma Nike handelt. 2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht: Der Slogan ist einfach, aber inhaltlich äußerst ambivalent. Er konnotiert Ehrgeiz, Wucht und (sportlichen) Eifer auf höchst direkte Art und Weise. Die Aussage »Tu es einfach« passt gut zu Rooneys Image, zielorientiert zu handeln. Macher sind angesagt, wenn es um Sieg und Erfolg geht, nicht nur im Sport. In dieser Botschaft steckt implizit auch eine gewisse Intellekt(uellen)feindlichkeit, denn sie lautet: »Nicht denken, sondern handeln!« Die Denker werden zu Zauderern und Bedenkenträgern zurechtgestutzt. Nike liegt damit durchaus im gesellschaftlichen Trend, der die »Praxis« heroisiert und bedächtig-reflektiertes Tun als altmodisch abqualifiziert. Die Forderung nach der Autonomie von Theorie wird heute kaum noch verstanden. Wie im Sport, so zählt auch gesamtgesellschaftlich ausschließlich der Sieg, der Erfolg, das Ergebnis. Der Fußball ist wie das Leben, das Leben ist Überleben, das Überleben ist Kampf, unser Kampf ist der Fußball. Da man den Slogan sofort mit der martialischen ikonischen Botschaft in Verbindung bringt, stellt sich auch die Kampf-Konnotation sogleich ein, nämlich aktive Gewalt. Ebenso die Opfer-Konnotation, also am eigenen Leib erfahrene, passive Gewalt. Die Konnotation, dass Sport im Gegensatz dazu ja auch lustbetontes, gemeinsames Spiel sein kann, wird gezielt vermieden; diese Bedeutung passte nicht zu Rooneys Image. Ebenso wenig wie die Einsicht, dass es ein Zeichen für einen hohen Entwicklungsstand der Zivilisation ist, wenn man Rudel- oder Dorfgemeinschaftsstreitereien nicht mehr als reale blutige Kämpfe austrägt, sondern in einer regelgeleiteten symbolischen Form. Da diese Werbung zu Beginn der Weltmeisterschaft präsentiert wurde, als noch nicht klar war, ob nicht Hooligans und andere Schläger den Verlauf der Weltmeisterschaft massiv stören würden: Konnte diese Reklame nicht auch als Aufforderung an die Hooligans verstanden werden, besonders gewalttätig in Aktion zu treten? Zwar ist dies zum Glück nicht geschehen, aber es mag durchaus so scheinen, als hätten die Werber diese provokative Botschaft mitkommuniziert.


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Weiterhin schwingt natürlich auch eine höchst profane Bedeutungsebene bei dem Slogan »Just do it« mit: »Wir stellen Sportartikel her – kauft sie!« Das Firmenzeichen am Ende des Slogans hat Bestätigungscharakter und unterstützt damit die linguistische Botschaft. Man hakt ein Schriftstück ab und sagt damit: »Ja, das passt«, »richtig so« oder »gut gemacht«. Slogan und Swoosh suggerieren, dass alles machbar ist, vorausgesetzt, man will es – und das kommuniziert jenen liberalistischen Gemeinplatz, der von allen am wenigsten originell ist. 3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht: Zu sehen ist eine Fotografie des englischen Fußballnationalspielers Wayne Rooney, der sich rot-weiß bemalt mit freiem Oberkörper präsentiert. Seine Arme sind abgespreizt, die Hände zu Fäusten geballt, das Gesicht ist angespannt, der Mund geöffnet, er scheint zu schreien. Kopf und Torso bilden die Mittelachse eines symmetrischen Bildaufbaus. Die Oberkante der Arme teilt das Bild fast im Goldenen Schnitt. Der Hintergrund ist komplett weiß. Das Format ist horizontal. 4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht: Rooneys Pose in Verbindung mit der Bemalung ist das erste, was Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Gesichtsausdruck ist verzerrt wie zum Schrei: roh, brutal, aktiv auf der einen Seite, schmerzvoll, leidend, passiv auf der anderen. Rooney schillert also zwischen den Opfer- und den Täterkonnotationen. Das Bild ruft die Gedankenverbindung der Kreuzigung hervor. Das Kreuz selbst wird sowohl durch Rooneys Pose gezeigt, als auch durch die auf den geweißten Leib aufgemalte rote Farbe, die dann als Blut gelesen wird. Das kann so gedeutet werden, dass Rooney als Täter im Blutrausch erscheint – oder als Quasi-Christus, als Märtyrer, der sich heldenhaft für den Sieg des Guten geopfert hat. Eine weitere Konnotation ist augenscheinlich: Die Farbe Rot in Kreuzanordnung auf einem (geweißten) Nationalspieler lässt den Betrachter sofort an die Flagge Englands denken. Rooney wird hier zum Nationalsymbol erhöht; das Gute, für das er kämpft bzw. für das er sich opfert, ist England, sein Land. Nationalsymbole und religiöse Symbole haben eine strukturelle Ähnlichkeit, da sie stets auf ein Allgemeines verweisen, dem man sich unterwirft und das man verehrt. Ob das Allgemeine nun eine Nation ist oder ein wie auch immer strukturierter Gott, ist der Form nach zunächst einmal das Gleiche. Inhaltlich – geschichtlich – gibt es dann freilich doch einen zentralen Unterschied zwischen Rooney als englischem Nationalheld und Jesus als Erlöser der Menschen: Als Nationalheld Englands repräsentiert der Fußballspieler Konkurrenzprinzip und Wettbewerb, den Sieg, der nur durch die Schaffung von Verlieren zustande kommen kann. Den Christus, dessen Botschaft stets auch die Überwindung des Kampfes und der Konkurrenz durch Versöhnung ist, nimmt man Rooney nicht ernsthaft ab, denn er steht für den Kampf. Er leidet für den Sieg, indem er seine Feinde unterwirft. Rooneys Nacktheit transportiert die Konnotation der Wildheit und des Animalischen, aber auch die der kreatürlichen Verletzlichkeit. Rooneys Leib wird als verletzter präsentiert. Die ersten von Menschen realisierten Schriftzeichen wurden vermutlich in das Fleisch nackter Menschenleiber eingeritzt. Das Kainszeichen,


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von dem im Alten Testament berichtet wird, ist eines dieser frühen Schriftzeichen (Türcke 2005, S. 18 ff.). Rooneys Körper ist in diesem Sinne ein gezeichneter. Unterstützt wird dieses mythische Bild-Archaikum durch die weiße Körperfarbe, die man mit den Mimesispraktiken schamanistischer Zauberer in Verbindung bringen kann oder auch mit der Praxis des cinis caput spargere, der Asche, die zur Strafe und zur Buße auf das Haupt gestreut wird. Ob als Schamane, der ja als Medium zwischen den Göttern und den Menschen fungiert, als jesusähnliche Gestalt oder als englischer Nationalheld: Rooney wird gottähnlich bzw. als Heiliger präsentiert. Und das überträgt sich durch die bloße faktische Nähe auch auf die Marke Nike. Bewusst wird auf die Internetadresse und den Nike-Schriftzug verzichtet. Der Swoosh gilt als das in den USA am häufigste tätowierte Zeichen. Christoph Türcke hat darauf hingewiesen, dass die Schriftkultur der Logos, der Firmenzeichen, heute wieder nach der regressiven Logik der Kainszeichen funktioniert (Türcke 2005, S. 190 ff.). Aus dieser Perspektive würde für einen Global-Player wie Nike, wenn man so will, das Gleiche gelten, was durch den omnipräsenten Weltmeisterschaftsspieler Rooney ikonisch suggeriert wird: Jeder weiß, wo »Er« zu finden ist, »Er« ist überall, »Er« ist unter uns. So wie kein Christ die Adresse von Gott kennen muss, braucht auch Nike keine (Internet-) Adresse anzugeben; nicht einmal der Schriftzug ist nötig, der Swoosh genügt. Jeder weiß, wo die Nike-Konsumkathedralen auf dieser Welt zu finden sind, jede Stadt weltweit hat Nike-Gotteshäuser, die von den Menschen aufgesucht werden. Dies braucht der Konzern nicht mehr zu kommunizieren. Er verkündet: Ich bin, war und werde immer da sein, ich bin der Größte, überall in der Welt; wir sind eine große Gemeinde der Sieger. Die Anzeige wurde von Christen, die ihre religiösen Gefühle verletzt sahen, und Moralisten, die vor allem das Kokettieren mit der Gewalt für unangebracht hielten, stark kritisiert. Damit haben sie erst zur flächendeckenden Verbreitung dieser Kampagne beigetragen. Man sollte bei dieser Anzeige allerdings eine Konnotation nicht übersehen: Sie wurde von Großbritannien aus geschaltet; für Briten konnotiert diese Anzeige ebenso wie für Kenner des Landes von außerhalb stark den englischen Humor. Und der ist meistens, auf erfrischende Weise, nicht politically correct.


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