Susanne Stacher
Architektur in Zeiten der Krise Aktuelle und historische Strategien für die Gestaltung „neuer Welten”
Birkhäuser Basel
Impressum Susanne Stacher
Library of Congress Control Number: 2023936682
Doktor der Philosophie, Habilitation im Fachbereich Architektur und Städtebau, Professorin an der École nationale supérieure d’architecture
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
de Versailles
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
https://www.versailles.archi.fr/fr/annuaire-enseignants/susanne-stacher
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von der Universität für angewandte Kunst Wien und mit Unterstützung der École nationale
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten
supérieure d’architecture de Versailles und ihres Forschungslabors LéaV
Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung,
Mit Gastbeiträgen von: Paolo Amaldi, CH-Genf, und Philippe Potié,
der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und
F-Nizza
der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses
Projektleitung „Edition Angewandte“ für die Universität für
Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den
angewandte Kunst Wien: Anja Seipenbusch-Hufschmied, A-Wien
Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergü-
Content & Production Editor für den Verlag: Katharina Holas, A-Wien
tungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.
Übersetzung aus dem Französischen: Caroline Gutberlet, D-Berlin Lektorat: Claudia Mazanek, A-Wien
ISSN 1866-248X
Layout, Gestaltung und Satz: Katharina Erich, A-Wien
ISBN 978-3-0356-2772-5
Covergestaltung: Floyd E. Schulze, Birkhäuser Verlag, D-Berlin
e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2775-6
Litho Buchkern: Katharina Erich und Elmar Bertsch, A-Wien
Französische Print-ISBN 978-3-0356-2774-9
Litho Cover: Pixelstorm Litho & Digital Imaging, A-Wien
Die französische Originalausgabe erscheint zeitgleich 2023 unter dem
Druck: Holzhausen, die Buchmarke der Gerin Druck GmbH,
Titel: Architecture en temps de crise. Stratégies actuelles et historiques
A-Wolkersdorf
pour la conception de „mondes nouveaux“
Papier: Nautilus Classic 90 g/m2, holzfrei Bilderdruck matt 135 g/m2 Schriften: Kern: Avenir, MetaPlus, Nami Com; Cover: Arial und Times
© 2023 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Im Westfeld 8, 4055 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 987654321
www.birkhauser.com
Inhalt
2 Zurück zur Ländlichkeit Streben nach Entschleunigung ...................................
62
• Ebenzer Howard: Die Gartenstadt als Vorbild der Vorwort ....................................................................
6
Theoretische Rahmung ..............................
9
modernen Agrarstadt ..................................................
66
• Adolf Loos und Margarete Schütte-Lihotzky: Haus mit
Krisen ........................................................................
10
• Welche Entwürfe, welche Ästhetiken angesichts der
einer Mauer und Selbstversorgergarten, 1920 ..............
69
• Hannes Meyer: Siedlung Freidorf, Muttenz, 1919–1924
73
• Bruno Taut: Die Stadtkrone und die Hufeisensiedlung, 1920/1933 ..................................................................
Krise? ..........................................................................
12
Psychologie der Krise ................................................
13
• Pierre-Henri Castel: Apokalypse, Angst und Schrecken –
83
3 Schaffen durch Zerstören Beschleunigung als Mittel zum Zweck ......................
98
• Marinetti und Sant’Elia: Die Manifeste des Futurismus
wie gelingt eine Wiederverzauberung der Welt? ........
13
• Sigmund Freud: Todestrieb und Sublimierung ...........
14
• Hartmut Rosa: Beschleunigung und Resonanz,
1909/1914 ..................................................................
101
• Le Corbusier: Plan Voisin de Paris, 1925 ...................... 106 • Gordon Matta-Clark: Anarchitektur und Conical
eine neue Weltbeziehung ...........................................
17
Ästhetik ....................................................................
18
Nutzungen und Rituale .............................................
19
Intersect, 1975 ............................................................ 117 • Bjarke Ingels Group (BIG): Masterplanet, ab 2020 ....... 125
4 Wiederverzauberung der Welt Aufhebung der Zeit durch einen Sprung in die Zukunft 134 • Paul Otlet und Le Corbusier: Weltmuseum und Museum
Krise, Katastrophe, Zusammenbruch, Kollaps ............
20
mit unbegrenztem Wachstum, 1928/1939 ..................... 136 • Cedric Price und Joan Littlewood: Fun Palace,
Zeit ...........................................................................
22
• Fortschritt ...................................................................
22
• Archigram, David Greene: Rokplug und Logplug, 1969
1961–1965 .................................................................. 148
• Beschleunigung ..........................................................
24
• Ryūe Nishizawa und Rei Naito: Teshima Art Museum,
• Subjektive Zeit ............................................................
26
Vier Figuren ..............................................................
28
157
2010 ............................................................................. 162
Ein Fazit mit Aussicht ................................... 168 Andere Zeiten, andere Räume – Paolo Amaldi ............... 177
Architektur in Zeiten der Krise ...............
33
Angesichts eines „Endes aller Zeiten“ – Philippe Potié .. 181
34
Anhang ................................................................ 183
1 Archaismus Sprung rückwärts in Raum und Zeit .......................... • J.-N.-L. Durand und J.-T. Thibault: Tempel für die
Abbildungsverzeichnis ..................................................
184
Gleichheit, 1793 ..........................................................
40
Bibliografie .................................................................... 187
• Bernard Rudofsky: Architektur ohne Architekten, 1964
46
Index ............................................................................. 193
• Hans Hollein: Absolute Architektur, 1962 ...................
50
Dank ............................................................................... 199
• Junya Ishigami: House & Restaurant, Yamaguchi, 2019
55
Biografie der Autorin ..................................................... 200
Vorwort Was nun folgt, ist Spekulation, oft weitausholende Spekulation, die ein jeder nach seiner besonderen Einstellung würdigen oder vernachlässigen wird. Im weiteren ein Versuch zur konsequenten Ausbeutung einer Idee, aus Neugierde, wohin dies führen wird. Sigmund Freud, Jenseits des Lustprinzips (1920)
Giorgio de Chirico, Die Eroberung des Philosophen, 1913/1914, Öl auf Leinwand Die Zeit auf der Uhr, die einen frühen Nachmittag anzeigt, passt nicht zur düsteren Stimmung des Gemäldes, dessen lange Schatten von einem wesentlich späteren Zeitpunkt künden. Diese Diskrepanz wirkt beunruhigend, denn man verliert die zeitliche Orientierung. Die glänzende Kanone im Vordergrund, vor der zwei metallisch wirkende, wie Kanonenkugeln anmutende Artischocken liegen, sowie die Abwesenheit von Menschen und die mutmaßlich vollkommene Stille verstärken dieses Krisengefühl. Nur die Technik – zudem verkörpert durch die fahrende Eisenbahn – scheint wie von selbst in Bewegung zu sein, als Sinnbild eines Fortschritts, der bedrohliche Züge angenommen hat. Der Titel „Die Eroberung des Philosophen“ verweist auf diesen Kipppunkt, wo die Technik an die Stelle des reflexiven Denkens tritt.
6
Vorwort
Verschiedene Positionen aus Wissenschaft und Philosophie
Meine Hypothese lautet, dass historische Krisen, die eine
zu den aktuellen Krisen geben uns ein Werkzeug an die Hand,
Störung der linearen Zeit und des Strebens nach Fortschritt
um die Vorstellungen von Fortschritt, Wachstum, Natur und
(der seit der Moderne als kontinuierliche Dynamik begriffen
Gesellschaft zu hinterfragen, die in Architekturprojekten
wird) hervorrufen, gleichzeitig auch immer zu ontologischen
jüngeren Datums zum Tragen kommen. Die ästhetischen Ent-
Krisen führen, in denen unsere Beziehung zur Welt infrage
scheidungen und Entwurfsstrategien dieser Projekte werden
gestellt wird. In diesen Momenten des Umbruchs werden
denen aus anderen Krisenzeiten, die sich im Laufe der
Fortschritt, Kultur und Gesellschaft in ihren Grundlagen und
Geschichte ereignet haben, gegenübergestellt. Krisen sind
ihrem Wesen hinterfragt. Wenn Krisen menschliches Handeln
Kippmomente, in denen die Zeit gleichsam stehen bleibt, sich
radikal infrage stellen, sind die Haltungen, die Architekt:innen
die Erwartungen an die Zukunft verändern und sich neue
in solchen destabilisierenden Momenten einnehmen, als
Perspektiven auftun.
psychische Mechanismen anzusehen, die aus deren inneren
Wir werden die Gegenwart hinterfragen, indem wir die Archi-
Krisen resultieren. Das zwingt sie, Stellung zu beziehen und
tekturgeschichte neu auslegen. Dabei werden wir uns vielmehr
durch die eigenen Entwürfe neue Weltbeziehungen zu schaffen.
auf die Brüche konzentrieren und eine Deutung durch das
Historische Krisen fungieren als Auslöser und wecken starke
Prisma der Krise unterbreiten, statt die heroischen Ereignisse,
Emotionen, die uns zum Nachdenken und Handeln bewegen:
die großen Erfindungen und den technischen Fortschritt zu
Wir projizieren uns in sie hinein und stützen uns auf sie, um
beleuchten und einem Narrativ zu folgen, dem eine vermeint-
Projekte zu entwerfen, die die Welt grundsätzlich hinterfragen
liche historische Linearität zugrunde liegt.
und somit ihrerseits die Welt in eine Krise stürzen. Da sie eine
Denn ist es nicht so, dass gerade in Momenten tiefgreifender
Gegenströmung hervorbringen, üben architektonische Entwürfe
Veränderungen, die stets mit einer starken Beschleunigung
eine Rückwirkung auf die Gesellschaft aus. Insofern können
einhergehen, unter dem Vorzeichen der Dringlichkeit bedeu-
sie nicht nur als „Ausdruck“ der Krisen betrachtet werden,
tende Projekte entstehen, die eine neue Weltbeziehung zu
denen sie eine dinghafte Gestalt verleihen, sondern auch als
skizzieren vermögen? Dass die Ausarbeitung solcher Projekte
„Agierende“, die auf ihre Weise an der Transformation
letztlich das einzige Mittel ist, um in unsicheren und angstbe-
von Gesellschaft mitwirken. Somit können wir Krisen durch
setzten Zeiten weiterzukommen? Aber wie kann aus der Angst
diese Architekturen verstehen, und das ist genau der Blick-
heraus ein Schaffensdrang entstehen?
winkel, aus dem heraus ich meine Erkundungen unternehmen
Wenn ich heute im Kontext der Krisen, die unsere gegenwär-
werde. Welche Art von Projekten entwickeln Architekt:innen,
tige Gesellschaft auf globaler Ebene erschüttern und bedro-
welcher Strategien und Mittel bedienen sie sich, was ist ihr
hen, die Architekturgeschichte durch das Prisma der Krise zu
Instrumentarium?
beleuchten versuche, dann in dem Bemühen, uns aus dem
Momente des Stillstands eröffnen ein fiktionales Feld; das
lähmenden Schrecken zu lösen und zum Nachdenken und
Unerwartete, Schwebende, Unbekannte entfacht ein kreatives
Handeln anzuregen.
Potenzial, das von dem Drang getragen ist, die Welt zu verändern: Architekt:innen bemühen sich, die Gesellschaft umzu-
Zusammenhänge zwischen Krise, Zeit und Ästhetik
wandeln, das Stadt-Land-Verhältnis zu überdenken, sich
Wo große historische Umbrüche eine neue ästhetische
andere Städte und Wohnformen vorzustellen, die Architektur
Dynamik – begriffen als Ausdruck einer kulturellen Renais-
und ihre Materialität zu erneuern, aber auch, eine innovative
sance – hervorbringen, werden bestimmte Muster und
Ästhetik zu schaffen, um eine Dynamik des Neubeginns in
Konstanten erkennbar, die der Bildung einer kollektiven Vor-
Gang zu setzen. Welchen Blick auf die Welt schlagen sie vor?
stellungswelt zugrunde liegen. Diese Umbrüche infolge von
Gemäß welcher Ästhetik (im Sinne einer sinnlichen Erfahrung)
Wirtschafts-, Finanz-, Staats-, Gesellschafts- oder Gesund-
und zu welchen Zwecken?
heitskrisen sowie von Kriegen oder Umweltkatastrophen
Die Vorstellung vom „Ende der Zeiten“ fordert uns auf, über
schlagen sich insbesondere in der Architektur nieder, die
unsere Beziehung zur Welt nachzudenken. Krisen bewirken
wie andere künstlerische Praktiken als Vorreiterin das Bild
einen Bruch, eine klare Zäsur zwischen dem Davor und dem
einer „neuen Welt“ über die Trümmer der „alten“ breitet.
Danach. Sie unterbrechen die Dynamiken, die bis dahin die Vorwort
7
Welt bestimmten, und haben ihre eigene Zeitlichkeit. In der
Die Mechanismen dieser räumlich-zeitlichen Eingriffe, die
kurzen Spanne des Kippmoments laufen die Geschehnisse
verschiedene Möglichkeiten des Reagierens, Projizierens und
verdichtet, wie in Zeitlupe ab. Angesichts von Krisen, so meine
Handelns erahnen lassen, werden anhand unterschiedlicher
Hypothese, müssen Architekt:innen Strategien entwickeln, um
Beispiele aufgezeigt. Dabei stütze ich mich im Wesentlichen
ihre eigene Raum-Zeit zu erschaffen, und sich dem Chaos
auf die Projekte und Schriften der jeweiligen Architekt:innen
entziehen, indem sie eine „neue Welt“ kreieren. Was genau
sowie auf Interviews, die mit ihnen geführt wurden. Maßgeblich
ist die Triebfeder für ihre Projekte? Welche Rolle nehmen
für die Auswahl der Schriften und Projekte, die längst nicht
Architekt:innen in den großen Krisenmomenten ein? Auf
erschöpfend ist, sind die jeweils bestimmenden Merkmale der
welche Art wirken sie an der Formulierung neuer Werte mit?
vier Figuren. Ausgehend von den Ästhetiken und Narrativen der präsen-
Vier Figuren von zeitverändernden Handlungsmodi
tierten Architekten, die in krisenbedingten Kippmomenten
Ich schlage vor, die Reaktionsweisen von Architekt:innen ange-
entstanden sind, richtet sich das Augenmerk auf ihre Gefühls-
sichts von Krisenzeiten entsprechend ihrer Handhabung von
welt und ihre Anliegen, auf ihr Verhältnis zu Fortschritt und
Raum und Zeit zu differenzieren. Diese Kategorien der Kon-
Technik sowie darauf, wie sie an der Formulierung neuer
traktion und Dilatation der Raum-Zeit sind mit spezifischen
Werte mitgewirkt haben. Besonderes Interesse gilt dabei
Handlungsmodi verbunden, die immer mit einem bestimmten
ihrem Handeln auf der Raum-Zeit-Ebene, dem Ausgangspunkt
psychologischen Zustand einhergehen: Nehmen die Archi-
einer Ästhetik, in der Fiktion und Ritual eine wesentliche Rolle
tekt:innen das eine Mal einen Kurswechsel vor und versetzen
spielen. Die ausgewählten Architekten sind namhafte Vertreter
sich in die Raum-Zeit einer vergangenen Epoche, so versuchen
der Baukunst, und ihre Projekte und Schriften sind allgemein
sie ein andermal die bestehenden Dynamiken zu verlangsamen
bekannt; mein Beitrag wird die Analyse und Deutung ihrer
oder zu beschleunigen, oder aber sie versuchen den disruptiven
Projekte durch das Prisma der Krise sein, verbunden mit der
Prozess der Krise anzuhalten, um sich in eine ferne Zukunft
Frage nach ihrem Instrumentarium und ihrer Handhabung von
zu projizieren.
Zeit. Die ausgewählten Beispiele stammen im Wesentlichen
Um die Handlungsweisen mit der Handhabung von Zeit zu
aus dem 20. und 21. Jahrhundert; einige sind älteren Datums,
verbinden, habe ich – als Darstellungen einer bestimmten
um zu verdeutlichen, wie bestimmte Phänomene und Hand-
Dynamik, als mentales Bild, Konzept oder Handlung in greif-
lungsmodi über einen längeren Zeitraum fortbestehen. Die
barer Form – vier „Figuren“ ausgemacht, die auf einem
Auswahl der Beispiele ist eine dezidiert internationale, um die
Eingriff in die Zeit beruhen. Diese Figuren, die in der gegen-
Unterschiedlichkeit der politischen, sozialen und kulturellen
wärtigen Welt (wieder) auftauchen, sind als psychischer und
Kontexte aufzuzeigen. Die internationale Dimension erlaubt
politischer Ausdruck des Schaffens in Krisenzeiten anzusehen.
außerdem, die Architektur in den Kontext einer immer stärker
Handlungsmodi und Positionierungen verdichten sich zu einer
vernetzten Welt zu stellen (was in Krisen- und Kriegszeiten
ästhetischen Haltung und bieten Narrative für eine Neugestal-
wesentlich sichtbarer wird). Die historische Einbindung gegen-
tung der Gesellschaftsräume. Die vier Möglichkeiten, in die
wärtiger Projekte lässt sie greifbar werden, ermöglicht einen
Zeit einzugreifen, sind:
Vergleich der Narrative, Anliegen und Instrumente sowie eine Auslotung ihres Aktionspotenzials angesichts künftiger Klima-,
Archaismus: Sprung rückwärts in Raum und Zeit
Gesundheits-, Wirtschafts- und Gesellschaftskrisen.
Zurück zur Ländlichkeit: Streben nach Entschleunigung
Der erste Teil dieser Publikation liefert das theoretische Instru-
Schaffen durch Zerstören: Beschleunigung als Mittel zum
mentarium für die eigentliche Architekturanalyse im zweiten
Zweck
Teil, dessen Gliederung den vier „Figuren“ des Handelns und
Wiederverzauberung der Welt: Aufhebung der Zeit durch
der Handhabung von Zeit und Raum folgt.
einen Sprung in die Zukunft
8
Vorwort
Theoretische Rahmung Denn was ist schließlich der Mensch in der Natur? Ein Nichts im Vergleich mit dem Unendlichen, ein All im Vergleich mit dem Nichts, ein Mittelding zwischen nichts und allem, unendlich weit davon entfernt, die Extreme zu erfassen; […] Er ist gleichermaßen unfähig, das Nichts zu sehen, dem er entrissen wurde, und das Unendliche, das ihn verschlingt. […] Das ist unser wahrer Zustand. Das macht uns unfähig, etwas entweder sicher zu wissen oder es überhaupt nicht zu kennen. Wir treiben auf einer weiten Mitte, immer unsicher und schwankend, von einem Ende zum anderen gestoßen; jeglicher Grenzpunkt, an den wir uns klammern und festhalten wollten, gerät ins Wanken und entschlüpft uns, und wenn wir ihn verfolgen, entzieht er sich unserem Zugriff, er entgleitet uns und wendet sich zu ewiger Flucht; nichts steht für uns still. […] Wir brennen vor Verlangen, einen festen Halt und eine letzte, beständige Grundlage zu finden, um darauf einen Turm zu errichten, der sich bis zum Unendlichen erheben soll, aber unser ganzes Fundament kracht auseinander, und die Erde tut sich bis in die Tiefen auf.1
Blaise Pascal, Gedanken (1670)
9
Krisen
tiefgreifenden Wandel, die in utopischen oder dystopischen Szenarien Gestalt annehmen.
10
Fast täglich verkünden die Medien Krisen und sagen größere
Ein anderes Phänomen, von dem wir insbesondere während
Katastrophen voraus. Auf der einen Seite haben wir den Klima-
der Lockdowns zur Eindämmung der Pandemie betroffen
notstand und die Umweltkrise, die sich zu einer immensen
waren, ist der Eindruck, dass die Zeit stillsteht. „Wenn alles
Katastrophe auszuweiten drohen, wenn die Auswirkungen des
stillsteht, kann alles infrage gestellt, umgelenkt, ausgewählt,
Menschen auf den Planeten nicht drastisch eingeschränkt
gesichtet, endgültig unterbrochen oder, im Gegenteil, be-
werden, auf der anderen Seite eine Verschärfung der Ungleich-
schleunigt werden“, stellt der französische Soziologe und
heiten, die seit den 1980er Jahren zu einer wachsenden Ver-
Philosoph Bruno Latour fest, der diesen Stillstand der Zeit als
elendung der ärmsten sozialen Schichten führt. Es sind Protest-
Chance für eine mögliche Neuorientierung ansieht.2 Ein
bewegungen entstanden, deren Akteur:innen Straßen und
günstiger Zeitpunkt also, um sich auf das Wesentliche zu
Verkehrskreisel blockieren sowie Plätze, Einkaufszentren und
konzentrieren und sich eine andere Welt für die Zukunft aus-
im Bau befindliche Flughäfen besetzen. Umweltschützer:innen,
zumalen. Denn wie Latour mahnt: „Tatsächlich ist die Gesund-
Klimaaktivist:innen, Gelbwesten, Gewerkschaftler:innen, Protest-
heitskrise eingebettet in etwas, das keine – stets vorüber-
nomad:innen und viele andere versuchen sich symbolischer
gehende – Krise ist, sondern ein dauerhafter und unumkehr-
Orte zu bemächtigen, um ihren Unmut gegenüber der weltweit
barer ökologischer Wandel. Während wir bei Ersterer gute
herrschenden Dynamik zum Ausdruck zu bringen.
Chancen haben, glimpflich davonzukommen, stehen bei
Während ich diese Zeilen schreibe – im Rückblick am Ende
Letzterem die Chancen gleich null.“3
meiner Recherche –, sind zwei große Krisen hinzugekommen:
Angesichts des ökologischen Notstands, der keine Krise ist,
zuerst die Pandemie, besonders verheerend und grenzenlos,
„sondern ein dauerhafter und unumkehrbarer Wandel“, denken
und dann der Krieg in der Ukraine, eine wahre menschliche,
Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen sowie
ethische und geopolitische Katastrophe, die zudem die ökolo-
Politiker:innen, Philosoph:innen, Architekt:innen und Städte-
gische, wirtschaftliche und soziale Krise auf globaler Ebene
planer:innen über neue Modelle nach, in denen der Mensch
drastisch verschärft und deren volles Ausmaß wir noch nicht
einen geringeren Einfluss auf die Natur haben sollte. Der öko-
abschätzen können. Zahlreiche Publikationen haben sich bereits
logische Notstand hängt unmittelbar mit der Geopolitik und
mit der weltweiten Interdependenz in Krisenfällen beschäftigt,
dem Wirtschafts- und Finanzsystem zusammen, die wiederum
insbesondere wenn es zur Überlagerung mehrerer Krisen
andere, nämlich soziale Krisen auslösen können. Wie For-
kommt. Doch erst wenn wir plötzlich direkt betroffen sind, wer-
scher:innen warnen, könnte das Zusammenfallen unterschied-
den wir uns kollektiv bewusst, wie stark diese Interdependenz
licher Krisen eine globale Katastrophe auslösen, die die
der Ströme von Energie, Nahrungsmitteln, Technologieproduk-
Überlebensfähigkeit auf unserem Planeten gefährdet.
ten usw. in einer globalisierten Welt ist. Diese bedeutenden
Nach der Finanzkrise von 2008 prognostizierte Jacques Attali
Krisen zeigen uns, dass wir vor nichts in Sicherheit sind (für
eine recht düstere Zukunft;4 Thomas Piketty hingegen sieht in
diejenigen, die noch glaubten, es zu sein), und machen die po-
der Krise nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Dynamik
litische, wirtschaftliche, soziale, ökologische und gesundheitliche
der Beschleunigung und des Fortschritts, die bedeutende
Zerbrechlichkeit unserer vollends vernetzten Welt deutlich.
Veränderungen und Verbesserungen in der Menschheits-
Das rasante globale Grassieren des Coronavirus und die
geschichte herbeiführen könnte. In seinem Buch Kapital und
Energiekrise in Europa infolge des Krieges in der Ukraine
Ideologie 5 unterstreicht der Ökonom die Notwendigkeit, eine
haben in hohem Maße unser Bewusstsein dafür geschärft,
auf mehr Gleichberechtigung aufgebaute Gesellschaft nach
dass wir uns in einer Krise befinden. Wir wurden schlagartig
sozialdemokratischem Vorbild zu schaffen, in der die
mit den negativen Auswirkungen der Globalisierung und mit
Umverteilung von Vermögen absoluten Vorrang haben muss
der Anfälligkeit unserer Lebensräume konfrontiert. Die Logik
(etwa durch progressive Vermögenssteuern), um einer Ver-
des Fortschritts und des unbegrenzten Wachstums wird mehr
schärfung der Armut entgegenzuwirken. Zur Verhinderung
denn je infrage gestellt, und es entstehen Träume von einem
einer unumkehrbaren ökologischen Katastrophe plädiert er
Theoretische Rahmung
Anmerkungen Seite 30 xx
für eine weltweite Regulierung der CO2-Emissionen (wovon
Dieses Wiederaufleben apokalyptischer Themen ist mehr als
vor allem die reichen Länder betroffen wären) mit dem Ziel,
ein Symptom“, schreibt Michaël Fœssel.11 Für den Philosophen
die Luftverschmutzung und die Zerstörung der Ozonschicht zu
ist das Ende der Welt bereits eingetreten, weil das menschliche
reduzieren.
Subjekt durch den Verlust seiner Handlungsmöglichkeiten
Bei dem jetzigen Tempo könnte die Gleichzeitigkeit von Krisen,
nicht mehr von der Welt bewohnt ist: „Der Triumph der Technik
gepaart mit der Verschärfung bzw. Beschleunigung mehrerer
über das Handeln, des Kapitals über die Arbeit, des Bedürf-
Indikatoren (etwa das Versiegen von Energieressourcen, der
nisses über das Verlangen sind alles Phänomene, die erklären,
rasante Anstieg der Weltbevölkerung, klimabedingte Migra-
warum wir es so eilig haben, eine Welt, die wir bereits verloren
tionsbewegungen, soziale und ökonomische Ungleichheiten
haben, zu Ende gehen zu sehen.“12 Er verortet diesen Verlust
oder Finanzkrisen) zum Zusammenbruch der Gesellschafts-
in der Moderne und der „Auflösung der traditionellen Hierar-
systeme führen, wie die Analysen zahlreicher internationaler
chien, was ein neues Unbehagen hervorgerufen hat, nämlich
Forscher:innen nahelegen. Angesichts der Verschärfung der
,nach dem Ende der Welt‘ leben zu müssen“.13 Insofern sei
verschiedenen Krisen auf globaler Ebene in den letzten Jahren
„die Tatsache, dass das Ende der Welt bereits eingetreten ist,
ist eine neue Wissenschaft namens Kollapsologie entstanden,
[…] eine gute Nachricht, die uns vor die Alternative stellt, das
die einen intuitiven Ansatz verfolgt; denn das Erstellen von
Leben zu verewigen oder einen Raum für das Mögliche einzu-
Prognosen auf der Grundlage komplexer Daten könne keine
richten“, denn „am dringendsten ist nicht, die kommende
rein wissenschaftliche Forschung ohne spekulative Dimension
Apokalypse zu verhindern, sondern sich die Welt wieder anzu-
sein, so Pablo Servigne und Raphaël Stevens, die Exponenten
eignen“.14 In seinem Nachwort zur Neuauflage 2019 thematisiert
dieser Strömung in Frankreich. In ihrem ersten Buch für ein
Fœssel „die katastrophale Beschleunigung des Klimawandels“15
breites Publikum mit dem Titel Comment tout peut s’effondrer,6
und stellt die Frage „Was macht das Reale zu einer wirklichen
das ein Bestseller wurde,7 stellen sie folgende von einem apo-
Welt?“16 in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Angesichts
kalyptischen Unterton begleitete rhetorische Frage: „Können
der durch den Klimawandel stark verschärften sozialen Ungleich-
das Zusammentreffen und die Verstetigung von ,Krisen‘ unsere
heit, wenn nur die Reichsten ihr Überleben durch Abschottung
Zivilisation wirklich in einen unumkehrbaren Strudel hinein-
sichern können, drängt sich die Frage auf, was eigentlich eine
ziehen?“ Sie lenken das Augenmerk auf die Verbindungen
bewohnenswerte und rettungswürdige Welt wäre. So lädt
zwischen den verschiedenen Krisen, um uns vor der Gefahr zu
Fœssels Buch in diesen unsicheren Zeiten zum Handeln, zur
warnen, die ihr Zusammenfallen für die Gesellschaft bedeuten
Neugestaltung der Welt ein.
könnte. Sie versuchen uns damit klarzumachen, dass wir auf
Während die einen aus einer politischen und gesellschaftlichen
den Zusammenbruch, auf „das Ende der Welt“9 zusteuern,
Perspektive heraus das Handeln in den Vordergrund stellen,
allerdings nicht ohne Szenarien einer Wiederverzauberung
konzentrieren sich die anderen darauf, wie die ökologische
der Welt zu entwerfen, die ein anderes Bild der Zukunft
Apokalypse vermieden werden kann. Doch unabhängig vom
zeichnen, um die Leserschaft nicht in eine nihilistische De-
Blickwinkel betrifft die Frage der Unumkehrbarkeit alle Men-
pression zu stürzen. So sprechen sie sich für den Aufbau
schen und alle Bereiche. Wissenschaftliche Erkenntnisse
einer resilienteren Gesellschaft aus, die auf der Bildung autono-
vermischen sich mit Emotionen. Mehr oder weniger gewagte
mer, vernetzter Kollektive beruht und demzufolge in ländlichen
Vorhersagen im Zusammenhang mit der Frage „Wann geht
Gegenden angesiedelt ist. Die durch Covid -19 ausgelöste
die Welt unter?“ erhitzen die Gemüter, ohne eine Antwort zu
Gesundheitskrise hat diese Bewegung aufs Land noch verstärkt,
geben, denn niemand kann die Zukunft vorhersagen. Dann
nicht nur als Zufluchtsort für Städter:innen, sondern auch als
wird versucht, sich in eine ungewisse Zukunft zu projizieren.
Ort, der für die Erzeugung lebenswichtiger Güter von entschei-
Um sich der Angst vor dem „Ende der Welt“ zu entziehen,
dender Bedeutung ist.
entwickeln die einen Theorien, Strategien und diverse Szenarien
„Unsere Epoche ist, so sagt man, eine der Katastrophen. Ange-
„anderer Gesellschaften“, die resilienter, egalitärer und nach-
sichts von Gesundheits- und Umweltkrisen oder der atomaren
haltiger sind. Die anderen nehmen eine nihilistische Haltung
Bedrohung ist der Fortschrittsglaube der Angst gewichen.
ein, sehen zu, wie die Welt zugrunde geht, und genießen die
8
10
Anmerkungen Seite 30
Krisen
11
letzten Augenblicke, die ihr noch bleiben. Die Dynamik des
Im aktuellen Kontext die Krise in den Mittelpunkt der Forschung
Kippmoments fördert die Entstehung dystopischer und utopi-
zu stellen, eröffnet die Möglichkeit, die Korrelation zwischen
scher Szenarien der Vor- oder Nach-Katastrophen-Zeit, die die
dem Niedergang eines Systems und der Entstehung eines
Umrisse einer neuen Gesellschaft skizzieren. Dieser fiktionale
neuen Paradigmas sowohl in ästhetischer als auch in sozialer
Prozess führt uns zurück zu unserem Forschungsgegenstand:
Hinsicht zu analysieren. Die Suche nach einer neuen Welt findet
Architektur, Kunst und Ästhetik im weiteren Sinne, begriffen
oft ihren ersten Ausdruck in der Architektur: Sie öffnet imaginäre
als geteilte Erfahrung des Wahrnehmbaren (siehe Abschnitt
Räume und schafft neue Weisen, die Welt zu bewohnen (und
„Ästhetik“).
damit auch des In-der-Welt-seins im Heidegger’schen Sinne). So lassen sich die Umwälzungen unserer Gesellschaften in den
Welche Entwürfe, welche Ästhetiken angesichts der Krise?
Bauwerken ablesen, die den Kern, den Status Nascendi uto-
Durch ihr Ausmaß beeinflussen die verschiedenen Krisen unserer
mitgewirkt?
Epoche und die apokalyptischen Erzählungen auch die Archi-
Die französische Philosophin Agnès Gayraud definiert „Kultur“
tektur. Welche Rolle können Kunst und Architektur in einem
in Anlehnung an Theodor W. Adorno als „die Art und Weise,
Schlüsselmoment spielen, wenn die bis dato gültigen Systeme
wie eine Gesellschaft sich selbst darstellt, und die Gesamtheit
kollabieren? Können sie eine neue Weltbeziehung aufbauen?
der sedimentierten Formen, die diese Darstellungen ihrer
Welche Aufgabe kann die Architektur haben, wenn sie zum
selbst veranschaulichen“.20 Die Kultur ist Ausdruck der politi-
Medium einer Untergangsvision oder, im Gegenteil, zu einer
schen, philosophischen und künstlerischen Ideen einer Gesell-
Schöpfungsvision für eine neue Gesellschaft wird? Dies führt
schaft. Sie stellt, so Gayrauds Formulierung, „eine Art Kruste
uns zur Frage der Ästhetik und der Form.
über der Welt“ dar, entstanden durch die Geschichte, durch
Für den Mathematiker und Wegbereiter der sogenannten
Reden, Geschwätz und Repräsentationen; eine ziemlich dünne
Katastrophentheorie (1972) René Thom bezeichnete der
Kruste, und „dann kommen die Kritiker und kratzen, versuchen
Begriff „Katastrophe“ den Ort, an dem eine Funktion plötzlich
das Sedimentierte aufzulösen, bringen zutage, dass sich unter
ihre Form ändert. Er versuchte die unvermittelten Formvari-
dem Offenkundigen Widersprüche verbergen“.21 Das post-
anten, die zum Auftreten von Diskontinuitäten führen, mit
metaphysische kritische Denken (das seit Kant den Versuch
einzukalkulieren, um ein dynamisches Modell zu entwickeln,
der Philosophie, die Existenz Gottes beweisen zu wollen,
das eine Morphologie hervorbringen kann. Er stellte eine
anprangert) bezieht sich auf das Offensichtliche, insbesondere
Verbindung zwischen Singularitäten und der Entstehung von
auf die Kultur, und versucht die Sedimentschichten freizulegen.
Formen her. Eine „Katastrophe“ war für ihn also eine Ände-
Versuchen wir also, an dieser Kruste zu kratzen und die ver-
rung der Form, die zum Auftreten einer Diskontinuität führt.19
schiedenen Kulturkrisen unserer Gesellschaft zu analysieren,
Die Verbindung zwischen Diskontinuität, Bruch und Entste-
indem wir in den Kosmos der Architektur und der urbanen
hung einer Form, welche auf einem dynamischen System
Visionen eintauchen.
gründet, ist besonders interessant, wenn man diese Annahme
Wie funktioniert ästhetisches Handeln und wie eignet es sich
auf die Architektur-produktion anwendet. Denn wie Kunst
die Welt an? Welche tieferen Motive stecken dahinter? Um
und Literatur hat Architektur Teil am fiktionalen Prozess (sei
Antworten auf diese Fragen zu finden, werde ich in dieser
er nun utopisch oder dystopisch) durch ihr Vermögen, andere
theoretischen Rahmung fünf Themenbereiche entfalten: zu-
Lebensweisen in anderen Räumen zu skizzieren.
nächst die Psychologie der Krise, um ästhetisches Handeln
Die Frage der Form gehört in den Bereich der Ästhetik.
aus psychologischer Sicht zu verstehen; dann die Ästhetik, um
Welche Ästhetik ist heranzuziehen, wenn alles kippt?
genauer zu bestimmen, was dieser Begriff umfasst; ferner die
Welche Funktion hat der ersonnene Entwurf und wie
Nutzungen und Rituale, um die physische Dimension zu
kann dieser umgesetzt werden? Wie ist sein Modus Ope-
erfassen, die ihrerseits eine bestimmte Ästhetik hervorbringt;
randi zur Überwindung der Krise?
des weiteren die Zeit als wesentlichen Faktor für die fiktionalen
17
18
12
Theoretische Rahmung
pischer Ideen verkörpern. Wie haben Architekt:innen in Kippmomenten an der Formulierung neuer kultureller Werte
Anmerkungen Seite 30
Eingriffe seitens der Architekt:innen; und schließlich den
um die Welt zu retten, wenn man um die Unausweichlichkeit
Begriff des Fortschritts, um die Zielsetzungen der Entwürfe
ihrer Zerstörung weiß?“23
besser fassen zu können.
In seiner Antwort beschäftigt sich Castel mit dem Moment, der dem Weltende vorausgeht: Wie wird der Mensch reagieren?
Psychologie der Krise
Er ordnet die Vorstellung vom Weltende in den historischen Kontext ein und stellt fest, dass es seit jeher apokalyptische Erzählungen gegeben hat; „neu aber ist, dass es nicht eine
Für ein besseres Verständnis des ästhetischen Prozesses wird
Katastrophe ist, sondern die Katastrophe. Günther Anders
die für Krisenzeiten typische Gefühlslage untersucht, nämlich
nannte das eine Apokalypse ohne Reich, ohne Heil“, erläutert
die Angst. Wie können wir mit unserem Schaffen darauf rea-
er. „Diese Vorstellung gab es vor dem Atomkrieg der 1960er
gieren und uns aus dem Stillstand befreien? Wie vermögen
Jahre nicht. Die Klima- und Umweltkatastrophe bedroht die
wir kraft des ästhetischen Prozesses unsere angstvolle Weltbe-
Existenz der Menschheit und der Welt.“ Im Gegensatz zu vielen
ziehung zu überwinden?
anderen verzichtet Castel darauf, die Alarmglocken zu läuten,
Für den dänischen Philosophen Søren Kierkegaard ist Angst
um die Menschen zu mobilisieren, damit sich die gegenwärtige
etwas zutiefst Menschliches; es ist der Schwindel des freien
Lage verbessert (so wie dies beispielsweise Bruno Latour in
Individuums angesichts seiner Möglichkeiten und wider-
seinem Buch Où atterrir? getan hat).24 Er geht von der fatalis-
sprüchlichen Entscheidungen: „Wäre der Mensch ein Tier
tischen Feststellung aus: „Die Apokalypse ist unvermeidlich,
oder ein Engel, würde er sich nicht ängstigen können. Da er
sie wird kommen, in Wirklichkeit hat sie schon begonnen. Wir
eine Synthesis ist, vermag er sich zu ängstigen. Und je tiefer
sind die Menschen vom Ende. Es geht nicht mehr darum, wie
er sich ängstigt, desto größer ist der Mensch.“ In Krisensi-
sie aufgehalten werden kann, sondern darum, wie wir mit ihr
tuationen verstärkt sich die Angst umso mehr. Forscher:innen,
leben können.“25
insbesondere Philosoph:innen und Psycholog:innen, versuchen
Castel befasst sich mit unserem Verhalten in der Endphase
dann die Möglichkeiten der Reaktion des Menschen auf die
der Menschheit und kommt zu dem Schluss, dass wir eben
Krise und deren Reichweite zu ergründen und zu bewerten.
keine Angst vor dem Ende der Welt haben müssen, da dieses
22
so sicher sei wie für den Einzelnen die Gegebenheit des Todes.
Pierre-Henri Castel: Apokalypse, Angst und Schrecken – wie gelingt eine Wiederverzauberung der Welt?
Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine Angst gibt. Angst
Ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit: Am 31. Dezember 2018
(das er in einer fernen Zukunft ansiedelt) wird zur Kernfrage,
war Pierre-Henri Castel, Philosoph, Psychoanalytiker und For-
da er die kollektive Bewusstwerdung konditioniert. „Wie kann
schungsdirektor am CNRS, in der Radiosendung L’Invité(e)
die lähmende Angst in einen kollektiven Rettungsimpuls um-
des Matins von France Culture zu Gast. Guillaume Erner, der
gewandelt werden?“, fragt Castel in seinem Buch Le Mal qui
Moderator der Sendung mit dem Titel „Zusammenbruch:
vient. Essai hâtif sur la fin des temps, das philosophische und
2019 oder das Ende der Zeiten?“, eröffnete das Gespräch mit
psychologische Ansätze verbindet.27 „Lange Zeit hat man es
folgender Frage: „Angesichts der Litanei von Klimakatastrophen
mit der Angst versucht“, doch „die Heuristik der Angst ist in-
und alarmierenden Prognosen, aber auch der zunehmenden
effektiv, denn Angst kann zu Übersprungshandlungen führen;
Aufmerksamkeit für Kollaps-Theorien scheint die Vorstellung
aber sie lähmt auch und die daraus folgenden Effekte der
vom nahenden Ende sich in den Köpfen festgesetzt zu haben.
Resignation sind weit verbreitet. Deshalb habe ich vorge-
Aber was geschieht, wenn man diese Annahme ernst nimmt?
schlagen, es mit dem Schrecken zu versuchen. Am Ende wird
Was wird aus dem menschlichen Handeln und der Moral,
die Angst so groß sein, dass wir aufwachen“, spekuliert
wenn es kein Morgen mehr gibt? Wie soll man mit dem
Castel in der Hoffnung, den Lauf der Dinge doch noch ändern
Ende der Welt leben? Warum sollte man weiterhin handeln,
zu können.28 Was die Reaktion der Menschen nach dieser
Anmerkungen Seite 30
und Obsession sind Castel zufolge „die Kollateralschäden der aufkommenden Figur des verantwortlichen Individuums“.26 Unser psychologischer Zustand angesichts des Weltendes
Psychologie der Krise: Pierre-Henri Castel
13
Bewusstwerdung betrifft, bleibt er allerdings skeptisch:
Zerstören“ auf diesen Aspekt zurückkommen, der uns einen
„Es ist nicht sicher, dass es in Richtung des kollektiven Interesses
Schlüssel zum Verständnis des „Zerstörungstriebs“ liefern
geht, wenn sie [die Bewusstwerdung] keine Überlebensstra-
könnte.
tegien nährt, sondern furchtbare, gewalttätige Handlungen ent-
Castels Position mag fatalistisch erscheinen – er versucht
fesselt.“ Castel nennt diesen Zustand (in Anlehnung an Freuds
nämlich nicht, den Gang der Welt zu verändern, indem er uns
Theorie des Destruktionstriebs) „die Herrschaft des Bösen“.
auffordert, gegen jedwede Handlung zu kämpfen, die die In-
Dieses Szenario geht von der Annahme aus, dass menschliches
teressen des Gemeinwohls unterläuft –, hätte er nicht gleich
Handeln in Chaossituationen nicht notwendigerweise auf das
zu Beginn seines Buches angekündigt, dass er einen spekula-
Gute ausgerichtet ist: „Wenn es drängt, steht man dann
tiven Ansatz verfolgt und sich dabei auf den Leitsatz von
aufseiten der Opfer oder aufseiten der Henker?“, fragt er und
Freud bezieht: „Was nun folgt, ist Spekulation […], ein Versuch
stellt sich die Reaktion des letzten Überlebenden vor, der
zur konsequenten Ausbeutung einer Idee, aus Neugierde,
vielleicht eine „unheimliche, besondere Freude an den Trüm-
wohin dies führen wird.“35 Damit setzt er eine Reflexion in
mern und Gemetzeln“ empfindet.30 Die Möglichkeit, dass das
Gang, in der der Zusammenbruch, den er in einer fernen
Böse entfesselt wird, sei in den postapokalyptischen Holly-
Zukunft ansiedelt, in den Bereich der Fiktion gerückt wird.
wood-Drehbüchern sehr wohl vorhanden, komme aber im
Die unterbreitete apokalyptische Erzählung ist eine Spekula-
Katastrophen-Diskurs nicht vor, warnt er. „Das schließt das
tion, anhand derer er die Umrisse einer fiktiven Welt erkunden
Gute nicht aus, aber das Gute wird Klauen und Zähne haben,
kann. Durch seinen fiktionalen Ansatz lädt Castel uns ein, nicht
es wird bis zum Schluss seinen Willen zur Aufrechterhaltung
in Nihilismus zu verfallen, sondern eine Wiederverzauberung
der Gerechtigkeit bewahren und dafür ziemlich brutale Mittel
der Welt anzustreben.
einsetzen.“
Eine solche Haltung als Reaktion auf Krisensituationen ist
29
31
Castel bezieht in seiner weiteren Argumentation den Faktor
weit verbreitet, auch in der Architektur. Dies wird anhand
Zeit mit ein, da „das Ende der Welt nicht sofort kommen
einiger Beispiele im Kapitel „Wiederverzauberung der Welt“
wird“. Wenn die Panik nachlässt, muss man das Leben über-
veranschaulicht.
denken und sich mit dem Gedanken an den Untergang anfreunden: „Wenn sich unser Schicksal in den nächsten Jahrhunderten entscheidet, was wird dann aus unserer Moral, wenn nur noch wenig Zeit bleibt, um glücklich zu sein? Ist es wirklich
14
Sigmund Freud: Todestrieb und Sublimierung
so schlimm, dem Ende der Welt nahe zu sein, und wie können
Von Sigmund Freud erfahren wir, dass das ästhetische Handeln
wir uns einen glänzenden Abgang verschaffen?“32 Als Moral
auf dem Todestrieb beruhen kann. Er entwickelte dieses Konzept
schlägt Castel daher die Freude vor: „Es steht uns nicht mehr
nach dem Ersten Weltkrieg als einem Ereignis beispielloser
viel Zeit zur Verfügung, um glücklich zu sein. So präsentiert
menschlicher Vernichtung. Im Jahr 1915, mitten im Krieg, ver-
sich das Morgen oder Übermorgen als die einzige Gelegen-
öffentlichte der Vater der Psychoanalyse einen Text, in dem er
heit, die uns bleibt, um zu verwirklichen, was uns am Herzen
die komplexen Beziehungen zwischen Krieg und Tod analysierte.
liegt.“33
Dieser Text, der sogleich auch ins Französische übersetzt
Damit thematisiert Castel sowohl die unheimliche Lust an
wurde, lässt seine tiefe Skepsis gegenüber der Idee des Fort-
der Zerstörung als auch das Sehnen nach einer Wieder-
schritts der Menschheit erkennen, da der Krieg die Illusion
verzauberung der Welt. Die Frage der Wahrnehmung und
zerstört hat, dass die kulturellen Errungenschaften unerschüt-
des psychologischen Zustands angesichts des Zusammen-
terlich seien; auf schonungslose Weise hat er die primitiven
bruchs steht im Zentrum seiner Erkundungen: „Es war ein
Triebmotive offengelegt:
Weg, die Idee des Todestriebs bei Freud aufzugreifen, was mir
„Von dem Wirbel dieser Kriegszeit gepackt, […] werden wir
erlaubt, die eigentliche Bedeutung der Zivilisation und des
selbst irre an der Bedeutung der Eindrücke, die sich uns
Anteils an Zerstörung, der in ihrem Aufbau steckt, zur Spra-
aufdrängen, und an dem Werte der Urteile, die wir bilden.
che zu bringen.“
Es will uns scheinen, als hätte noch niemals ein Ereignis so
34
Ich werde im Kapitel „Schaffen durch
Theoretische Rahmung
Anmerkungen Seite 30
viel kostbares Gemeingut der Menschheit zerstört, so viele
dieses Phänomen als „ewige Wiederkehr des Gleichen“41
der klarsten Intelligenzen verwirrt, so gründlich das Hohe
und stellte die Hypothese auf, „daß es im Seelenleben einen
erniedrigt. Selbst die Wissenschaft hat ihre leidenschaftslose
Wiederholungszwang gibt, der sich über das Lustprinzip
Unparteilichkeit verloren; ihre aufs tiefste erbitterten Diener
hinaussetzt“.42 Freud war der Ansicht, dass Lustprinzip und
suchen ihr Waffen zu entnehmen, um einen Beitrag zur
Destruktionstrieb paradoxerweise keinen Widerspruch dar-
Bekämpfung des Feindes zu leisten. Der Anthropologe
stellen, da die Selbstzerstörung eine Möglichkeit ist, innere
muß den Gegner für minderwertig und degeneriert erklären,
Spannungen abzubauen, und das Streben nach Lust manchmal
der Psychiater die Diagnose seiner Geistes- oder Seelen-
nichts anderes ist als das Ende eines Schmerzes. Seiner These
störung verkünden. Aber wahrscheinlich empfinden wir das
zufolge würde das niedrigste Spannungsniveau (das das
Böse dieser Zeit unmäßig stark und haben kein Recht, es
Lustprinzip erreichen will) letztlich dem Ruhezustand des
mit dem Bösen anderer Zeiten zu vergleichen, die wir nicht
Leblosen entsprechen. So kommt er zu dem Schluss, dass
erlebt haben.
das Lustprinzip im Dienste des Destruktionstriebs steht:
Der einzelne, der nicht selbst ein Kämpfer und somit ein
„Wiederholungszwang und direkte lustvolle Triebbefriedi-
Partikelchen der riesigen Kriegsmaschinerie geworden ist,
gung scheinen sich dabei zu intimer Gemeinsamkeit zu
fühlt sich in seiner Orientierung verwirrt und in seiner
verschränken.“43
Leistungsfähigkeit gehemmt.“36
In Das Unbehagen in der Kultur (1930) unterscheidet Freud
Daraufhin stellt sich Freud die Frage, welche Triebe uns dazu
zwischen der trennenden Tendenz des Todestriebs (auch
bewegen, den Tod eines anderen Menschen herbeizuwün-
Thanatos), der die lebende Substanz auflösen, vernichten,
schen: Wir anerkennen „den Tod für Fremde und Feinde und
in ihren „uranfänglichen, anorganischen Zustand“ zurück-
verhängen ihn über sie ebenso bereitwillig und unbedenklich
führen will, und der bindenden Tendenz des Lebenstriebs,
wie der Urmensch“. Der Unterschied zu diesem bestehe darin,
„die lebende Substanz zu erhalten und zu immer größeren
dass „unser Unbewußtes […] die Tötung nicht aus[führt], es
Einheiten zusammenzufassen“44 (auch É, der mitunter die
denkt und wünscht sie bloß. […] So sind wir auch selbst, wenn
Triebe zur Selbsterhaltung und die Sexualtriebe umfasst, seine
man uns nach unseren unbewußten Wunschregungen beurteilt,
Energie ist die Libido 45). Eros und Thanatos wirken gleichzeitig
wie die Urmenschen eine Rotte von Mördern.“37 Freud setzt
und kämpfen unaufhörlich gegeneinander an, was Leben
diesen Wunsch in den Kontext der Aufklärung, die von der
hervorbringt. Diese beiden Triebe, die dem Wiederholungs-
Idee des menschlichen Fortschritts getragen wird:
zwang unterliegen, zielen zunächst auf das Subjekt selbst und
„Es ist ein Glück, daß alle diese Wünsche nicht die Kraft
richten sich dann, um die Selbstzerstörung zu vermeiden, auf
besitzen, die ihnen die Menschen in Urzeiten noch zutrau-
ein anderes Objekt in Form von Liebe oder Zerstörung.
ten; in dem Kreuzfeuer der gegenseitigen Verwünschun-
Freuds These46 wurde von seinen Zeitgenossen, insbesondere
gen wäre die Menschheit längst zugrunde gegangen, die
von den Marxisten Wilhelm Reich und Otto Fenichel, heftig
besten und weisesten der Männer darunter wie die schöns-
angefochten, denn mit einer solchen Theorie könnten Krieg
ten und holdesten der Frauen.“
und Völkermord sowie soziale und wirtschaftliche Ausbeutung
38
legitimiert und unwiderruflich sein, da sie als biologisches Destruktionstrieb, Todestrieb
Phänomen verstanden würden.
Nach dem Krieg entwickelte Freud in Jenseits des Lustprinzips 39
Interessant am Destruktionstrieb ist die Tatsache, dass er in
(1920) das Konzept von Destruktionstrieb oder Todestrieb. Er
seiner verwüstenden Dynamik versucht, das niedrigste
beobachtete einen Wiederholungszwang bei Kriegsneurotikern,
Spannungsniveau zu erreichen, um Erleichterung herbei-
bei denen traumatische Ereignisse starke Spannungen erzeug-
zuführen. Um schneller zum „Nullpunkt“ der Spannung
ten und immer wieder im Traum auftauchten. Der Patient sei
zu gelangen, strebt man nach einer Beschleunigung
„genötigt, das Verdrängte als gegenwärtiges Erlebnis zu
aller Dinge und der Zeit. In diesem Moment kann das
wiederholen, anstatt es, wie der Arzt es lieber sähe, als ein
Über-Ich mit dem Destruktionstrieb interagieren, um
Stück der Vergangenheit zu erinnern“. Freud charakterisierte
die Energie in ein produktiveres Feld umzulenken, was
40
Anmerkungen Seite 30 und 31
Psychologie der Krise: Sigmund Freud
15
als „Sublimierung“ bezeichnet wird und uns zum Gegen-
Triebverzicht als Grundlage von Kultur
stand dieser Studie zurückführt: zu Architektur und Kunst.
Freuds Definition von Kultur ist eng mit den Trieben verbunden. Er sieht in der Kultur ein Mittel für den Menschen, sich von
16
Sublimierung durch Kunst und deren Verhältnis zur Zeit
seiner eigenen Natur und seiner natürlichen Umgebung zu
Nach Freuds Auffassung kann der Destruktionstrieb über den
entfernen: Das Wort „Kultur“ bezeichnet „die ganze Summe
Umweg der Sublimierung in schöpferische Tätigkeit umgewan-
der Leistungen und Einrichtungen […], in denen sich unser
delt werden. Bei diesem Umwandlungsprozess wird die Trieb-
Leben von dem unserer tierischen Ahnen entfernt“, wobei sie
energie in Bereiche umgelenkt, die gesellschaftlich wertge-
zwei Zwecken dient: „dem Schutz des Menschen gegen die
schätzt werden, insbesondere den der Kunst, den die soziale
Natur und der Regelung der Beziehungen der Menschen unter-
Gruppe und das Über-Ich gutheißen. Dank dieser doppelten
einander“.47 Kultur beruht auf Verzicht, wie in Unbehagen in
Dynamik, die vom Todestrieb ausgeht, der auf Vernichtung aus
der Kultur dargelegt wird: Es ist „unmöglich zu übersehen,
ist, und dessen Sublimierung, die darin besteht, beispielsweise
in welchem Ausmaß die Kultur auf Triebverzicht aufgebaut ist,
durch die Kunst neue Perspektiven zu eröffnen, kann das (indi-
wie sehr sie gerade die Nichtbefriedigung (Unterdrückung,
viduelle oder kollektive) Trauma der Zerstörung überwunden
Verdrängung oder sonst etwas?) von mächtigen Trieben zur
werden. Dieser Aspekt wird im Kapitel „Erschaffung durch
Voraussetzung hat“.48 Für den Begründer der Psychoanalyse
Zerstören“ erörtert.
ist das Gewissen „die Folge des Triebverzichts“.49
Im Prozess der Sublimierung, bei dem die Urtriebe in schöpfe-
Die Kultur wäre also kein aktives und bewusstes Konstrukt,
rische Sphären gehoben werden, wird das Zeitempfinden zu
sondern ein „Prozess, der über die Menschheit abläuft“,50 ein
einem wichtigen Werkzeug. Die Kunst ermöglicht es, die Zeit-
unbewusster Prozess im Dienste des Eros, der versucht, die
wahrnehmung zu verändern oder sogar aufzuheben, wie das
vom Lebenstrieb angetriebenen Menschen zu größeren Ein-
Beispiel der Musik zeigt. Man denke an das Magnificat der
heiten zu vereinen.51 Dieser zivilisatorische Prozess steht im
Dante-Symphonie von Franz Liszt: Wenn wir das Decrescendo
Gegensatz zum natürlichen Aggressionstrieb, der Ausdruck
der Stimmen des Kinderchors hören, das sich allmählich ent-
des nach außen gerichteten Todestriebs ist. Der Aggressions-
fernt, halten wir den Atem an. Die Violinen vibrieren weiter in
trieb wird jedoch nicht einfach unterdrückt, sondern auch zum
hohen Lagen und verharren in einem erhabenen Schwebezu-
Aufbau der Kultur verwendet (durch Sublimierung). Die Kultur
stand. Dann wird es still. Wir spüren, wie sich die Spannung
steht also im Zentrum des Kampfes zwischen Eros und Thanatos,
auflöst, einen Augenblick lang hatten wir das Gefühl, dass die
dem Lebens- und dem Todestrieb.
Zeit stillsteht.
Dies ist ein für unsere Forschung einsatzfähiges Konzept,
In der Architektur kann die Zeit durch eine anachronistische
denn wenn wir die Ästhetik in das Zentrum des permanenten
Ästhetik, eine starke Raumatmosphäre oder einen spezifischen
Konflikts zwischen den Trieben stellen, können wir daraus
künstlerischen Akt aufgehoben sein, sodass eine neue Weltbe-
stichhaltige Interpretationen für die Analyse der in Krisenzeiten
ziehung entsteht, welche die Raumwahrnehmung verändert.
geschaffenen Ästhetik ableiten: In diesen Momenten starker
Die Aufhebung der Raum-Zeit lässt etwas anderes entstehen.
Beschleunigung radikalisiert sich alles, erst recht der Kampf
Schöpferisches Handeln kann als ein fiktionaler Vorgang ange-
zwischen Eros und Thanatos. Dieser psychoanalytische Ansatz
sehen werden, der eine eigene Zeitlichkeit und Räumlichkeit
eröffnet eine neue Perspektive für die Interpretation von
begründet und die Konstruktion eines Anderswo ermöglicht.
Architekturprojekten, die in Zeiten der Instabilität entworfen
In Krisenzeiten, nach einem Krieg oder einer Katastrophe, ver-
wurden, insbesondere wenn sie mit der umfassenderen Frage
mögen Kunst, Architektur und Ästhetik (im weitesten Sinne)
nach der Wirkung der Ästhetik auf die Gesellschaft im Allge-
den Destruktionstrieb zu sublimieren und ihn auf höhere Ziele
meinen in Verbindung gebracht werden.
auszurichten, um mit dem Lebenstrieb eine Gesellschaft wieder-
Zusammenfassend lässt sich bei der Untersuchung der mögli-
aufzubauen, die eine größere Resonanz, einen höheren Zivili-
chen Verbindungen zwischen den psychologischen Reaktionen
sationsgrad und einen stärkeren Zusammenhalt aufweist, eben
und den Zeitmodi die Hypothese aufstellen, dass der Vorgang
das, was Freud „Kultur“ nennt.
der Verdrängung in zwei Phasen verläuft. Die erste besteht
Theoretische Rahmung
Anmerkungen Seite 31
zunächst in einer Aufhebung der Zeit, um sich aus dem Hier
Fähigkeit, uns von der Welt „ergreifen“, berühren und verän-
und Jetzt zu lösen, die zweite in einem Zeitsprung nach vorn,
dern zu lassen. Rosa zufolge mangelt es in unserer modernen
um eine neue Zukunft zu eröffnen, wobei der Lebenstrieb die
Gesellschaft an Resonanz, da die Beschleunigung der Zeit
treibende Kraft ist (Kap. 4 „Wiederverzauberung der Welt“).
unsere Weltbeziehung auf individueller und kollektiver Ebene
Der Zeitmodus des Todestriebs hingegen besteht in einer
tiefgreifend verändert hat.
Beschleunigung, um den Untergang voranzutreiben, gefolgt
Rosa analysiert unsere Weltbeziehung anhand unterschied-
von einem Akt der Sublimierung, der die Zeit aufhebt und ein
lichster Formen, angefangen bei unseren körperlichen Grund-
neues Feld der Möglichkeiten eröffnet (Kap. 3 „Schaffen
erfahrungen (Atmung, Ernährung, Empfindungen) über unsere
durch Zerstören“). Das ästhetische Handeln hängt also vom
affektiven Beziehungen bis hin zu den ausgefeiltesten kogni-
jeweiligen Zeitmodus und vom jeweiligen psychologischen
tiven Konzepten. Er legt drei Resonanz-Kategorien fest: die
Zustand ab.
Beziehungen zu anderen Menschen in den Bereichen Freundschaft, Liebe und Politik („horizontale Resonanzachsen“), die
Hartmut Rosa: Beschleunigung und Resonanz, eine neue Weltbeziehung
Beziehungen zur Materie, zu Artefakten und Dingen in den
Die Frage der Kultur und der Aufhebung der Zeit ist auch
in den Bereichen Natur, Religion, Kunst und Geschichte („ver-
Gegenstand der Überlegungen von Hartmut Rosa. In der
tikale Resonanzachsen“) – mit anderen Worten alles, was nach
Nachfolge Adornos befasst sich der deutsche Soziologe mit
Gayraud die „Kruste über der Welt“ oder „Kultur“ ausmacht.
der Situation des Einzelnen angesichts von Krisen, die durch
Dieses Konzept ist für die Erforschung der Strategien und
die von ihm sogenannte Beschleunigung der Zeit in unseren
Sprache der Architektur interessant, weil es die Gesamtheit
modernen Gesellschaften ausgelöst werden. Er entwickelt
unseres In-der-Welt-seins einschließt, das hier durch das
eine „soziale Kritik der Zeit“ und analysiert zu diesem Zweck
Prisma der Ästhetik ergründet werden soll.
Bereichen Arbeit, Bildung und Sport („diagonale Resonanzachsen“) und die Beziehungen zu Ideen und einem Absoluten
die Transformationen, die sozialen Umbrüche, das Werden des Individuums und dessen Weltbeziehung. Rosa zufolge ist
Ästhetik und die Kraft der Kunst
die bedeutendste Erfahrung der Moderne die der „Beschleu-
Nach Rosa ist die Ästhetik integraler Bestandteil der
nigung“ – „alles wird immer schneller“ –, was zu einer grundle-
Resonanz:
genden Krise unserer Gesellschaft führt. „Wenn Beschleunigung
„Die Kunst ist – fast gleichzeitig mit der und in ganz
das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“, um
ähnlicher Weise wie die Natur – zur vielleicht wichtigsten
der gegenwärtigen Hektik entgegenzuwirken, so seine Hypo-
und nach und nach alle Alltagsbereiche durchdringenden
these. Unter „Resonanz“ versteht er „eine spezifische Form
Resonanzsphäre der Moderne geworden. […] Die Kunst
des Eintretens in eine Beziehung zur Welt, die auf wesentlichen
berührt und bewegt den modernen Menschen als Rezipien-
Dingen beruht. […] Dafür muss man sich mit der Welt verbun-
ten im Innersten seiner Seele wie nichts anderes – und sie
den fühlen. […] Man muss die Erfahrung gemacht haben, die
gebietet ihm als Produzenten, das heißt als Künstler oder
Welt zu berühren.“53 Diese Betrachtung vom Standpunkt des
Kunstschaffendem, indem sie ihre eigene Gesetzmäßigkeit
Einzelnen, die fast schon eine mystische Dimension aufweist,
gegen alle instrumentelle, politische oder ökonomische
ergänzt Rosa um eine Betrachtung vom Standpunkt der Gesell-
Vernunft geltend zu machen vermag.“54
52
schaft, da die menschliche Lebensqualität auch ein institutionel-
Ähnlich wie das Religiöse in früheren Gesellschaften durch-
les und kulturelles Problem ist. Er versucht mit der Vorstellung
dringt die Kraft der Kunst „die (spät-)moderne Subjektivität
zu brechen, dass allein materielle, symbolische und psychische
in allen Poren […]. Ästhetische Resonanzfähigkeit ist auf
Ressourcen uns zu unserem Glück verhelfen, und betont, dass
diese Weise als kollektiv verbindliche Forderung an die gesell-
wir auch in der Lage sein müssen, zu handeln. Die Resonanz,
schaftliche Stelle religiöser Resonanzfähigkeit getreten.“55
das heißt unsere sinnliche, bewusste Verbindung zur Welt,
Ich komme später im Abschnitt Zeit auf dieses Phänomen
stärkt unser Handlungsvermögen und im Gegenzug unsere
zurück, denn tatsächlich stellt die Ersetzung der Religion
Anmerkungen Seite 31
Psychologie der Krise: Hartmut Rosa
17
Charles de Wailly, Projekt für die Umgestaltung des Panthéons in eine Pyramide, Paris, um 1797, Perspektive, Feder und Tinte, lavierte Tinte mit Spuren von Graphit auf Papier, auf Karton montiert
1Archaismus Sprung rückwärts in Raum und Zeit Zeit: ein Sprung in Raum und Zeit, um einen Kurswechsel zu vollziehen Psychologie: Rückkehr zum Archetypus unter Bezugnahme auf eine frühere Kultur Modus Operandi: Reduzierung der Materialien, Verwendung von Urformen
Der Modus Operandi der Ästhetik, wie sie in der theoretischen
der Zeit und der Sprache“; bei diesem Vorgang dient die
Rahmung dargelegt wurde, vollzieht sich im nun folgenden
Apokalypse mit dem Bild der Wüste oder des Gartens „der
Kapitel in einem Sprung in Raum und Zeit. Die Rückbesinnung
Entstehung einer neuen Zeitlichkeit, die das Archaische zum
auf eine Epoche, die weit genug zurückliegt, um Abstand zur
Hauptmodus der Erfassung und Identifikation mit der Zeit
Jetztzeit zu gewinnen und somit eine andere Weltbeziehung
erhebt“.3 Wie zeigt sich diese „Rückkehr“ in der Architektur,
aufzubauen, erfolgt durch einen beabsichtigten Kurswechsel.
und inwiefern trägt sie dazu bei, eine neue Zukunft zu denken?
Es ist eine idealisierte „Rückkehr zu den Wurzeln“, eine Projek-
Wie können eine neue Formensprache und eine neue Ästhetik
tion in eine frühere Epoche, deren Ästhetik wiederverwendet
erschaffen werden, wenn Architekt:innen aus der Vergangenheit
wird, um ein neues politisches, kulturelles und gesellschaftliches
schöpfen? Auf welche Vorbilder stützen sie sich dabei, und wie
Ideal zu konstruieren. In diesem Kapitel geht es um die Neu-
kann dadurch die gegenwärtige Zeit initialisiert werden?
erfindung einer Sprache, eines Vokabulars, eines kulturellen Codes, die ein neues Zeitalter einläuten, indem sie aus dem
Archetypus
Urprinzip der Welt – arché – schöpfen. Unter Bezugnahme
In ihrer raumzeitlichen Dynamik rekurriert die Ästhetik auf
auf die griechischen Philosophen definierte Hannah Arendt
den Archetypus (von griech. archétypon „zuerst geprägt;
die Arché als „einen Anfang, der selbst nicht anfängt, eine
Urbild“),4 der in der Philosophie ein ideales (allgemeines)
dauernde Quelle des Entstehens“.1 Aus dieser Urquelle des
Modell ist, von dem ausgehend die Form, der Stoff und
potenziellen Werdens schöpfen Architekt:innen und Künst-
der Zweck eines Themas, das gleichsam zu einer Serie
ler:innen ihre Schaffenskraft. Chris Younès nennt sie eine
gehört, konstituiert werden. Bei den Empirikern ist der
sprudelnde „source-ressource“, Quelle und Ressource in
Archetypus eine „Grundempfindung, die psychologisch als
einem. Philippe Potié geht auf den Zeitfaktor ein und beschreibt
Ausgangspunkt dient, um ein Bild zu konstruieren“.5
den „Archaismus“ treffend als „einen Ort der Initialisierung
Gemäß der Theorie der Analytischen Psychologie von C. G. Jung
2
Anmerkungen Seite 60
Sprung rückwärts in Raum und Zeit
35
sind „Archetypen die instinktiven Formen mentaler Reprä-
Inhalt transportieren. Der beste Träger ist zu diesem Zweck
sentation“, die der menschlichen Erfahrung a priori zugrunde
auch der einfachste:
6
liegen, indem sie die Denk- und Vorstellungsmuster konditio-
„In Mythen, Legenden und allen anderen elaborierten
nieren. Es sind also leere Vorformen, die das Instinkt- und
mythologischen Stoffen gelangt man an die Grundstrukturen
Geistesleben organisieren und mentale Bilder (Gedanken,
der menschlichen Psyche nur durch eine sie bedeckende
Fantasien, Träume usw.) nach ihren je eigenen Dynamiken
Schicht mit Kulturelementen. Märchen hingegen enthalten
strukturieren. C. G. Jung sah in den Mythen einen Zugangs-
weitaus weniger spezifisches, bewusstes Kulturmaterial
weg zu den kulturellen Archetypen. In einem Brief an Sigmund
und spiegeln deshalb die Grundstrukturen der Psyche
Freud (der als Antwort auf Jungs Theorie der unzähligen Arche-
klarer wider.“10
typen den Begriff der „Urphantasien“ prägte, die lediglich das
Die „Schicht mit Kulturelementen“ stört C. G. Jung bei der
intrauterine Leben, die „Urszene“ bzw. den elterlichen Koitus,
Entzifferung der Grundstrukturen der menschlichen Psyche,
die Verführung und die Kastration umfassen) pochte Jung auf
da sie diese überlagert und verkompliziert, während Märchen
seine Kulturtheorie: „Das Letzte der Neurose und der Psychose
sich aufgrund ihrer offenkundigen Schlichtheit wesentlich
werden wir ohne Mythologie und Kulturgeschichte nicht lösen.“8
besser dafür eignen.
Von besonderem Interesse ist hier die Verbindung zwischen
Gilt das auch für die Architekturformen? Diese Analyse soll
Archetypus (als Repräsentationsform), Psychologie und Kultur-
uns als Schlüssel zum Verständnis der Werke dienen: Die
geschichte, geht es doch darum, die Entstehung eines Werkes
Archetypen, auf denen sich ein Werk stützen kann, sind –
mit archetypischen Zügen in einem Kontext des Umbruchs zu
samt all der darin enthaltenen Symbolik – umso leichter zu
verstehen, wenn Kultur, Gesellschaft und Umwelt in eine Krise
erkennen, je reduzierter und schlichter die Formensprache
geraten, die eine ontologische und im Grunde genommen
ist. Tatsächlich greifen Werke, die entstehen, wenn gesell-
auch eine psychologische ist. Welche Träume lassen sich durch
schaftliche Werte in eine Krise geraten, häufig auf Archetypen
den Rückgriff auf den Archetypus einer früheren Kultur herbei-
zurück, so jedenfalls meine Hypothese, um an eine ideali-
rufen? Welche Symbolik transportiert er?
sierte frühere Kultur anzuknüpfen. Auf diese Weise wird die
Kehren wir zu C. G. Jung zurück, um mehr darüber zu erfahren.
Gegenwart in der Schwebe gehalten und erfährt eine
Seiner Theorie zufolge neigt die menschliche Psyche überall
Erneuerung durch die Vergangenheit. Der Archetypus dient
dazu, auf ein und dieselbe a priori vorgegebene Repräsenta-
dann dazu, die symbolischen Kategorien zu reaktivieren, die
tionsform zurückzugreifen, und wird vom Universalthema
Kulturen Struktur verleihen, und sich Letztere (wieder) anzu-
strukturiert, das sie in sich birgt. Dieses Thema, das allen
eignen, indem die bis dahin gültigen Werte durch andere er-
menschlichen Kulturen und allen geschichtlichen Epochen,
setzt werden. Durch einen solchen raumzeitlichen Eingriff
trotz der Unterschiede in der symbolischen Darstellung,
lassen sich die ontologischen Werte einer Gesellschaft verän-
gemeinsam ist, generiert das kollektive Unbewusste. Die
dern. Der Archetypus dient als Werkzeug für eine Kultur-
Archetypen treten in Mythen und Träumen zutage und bilden
und Gesellschaftskritik, indem er aus Mythen, Symboliken
symbolische Kategorien, die Kulturen Struktur verleihen. In
und a priori vorgegebenen Repräsentationsformen schöpft.
einer offenkundigen Schlichtheit verbinden sie ein Symbol
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Archetypen starr sind,
mit einer Emotion.
im Gegenteil, wie C. G. Jung bemerkt: Die „archetypischen
7
36
„Die Archetypen werden [in den Märchen] in ihrer
Formen [sind] nicht bloss statische Muster […], sondern dyna-
einfachsten, schlichtesten und prägnantesten Form
mische Faktoren, die sich ebenso spontan wie die Instinkte
dargestellt. In dieser reinen Form liefern uns die arche-
in Impulsen äussern.“11
typischen Bilder die besten Schlüssel zum Verständnis der
Dieser Aspekt verleiht ihnen etwas Lebendiges, sodass sie
Prozesse, die in der Kollektivpsyche ablaufen.“
jederzeit reaktiviert und unbegrenzt wiederverwendet
9
An dem Archetypus-Begriff von C. G. Jung ist besonders
werden können. Die Besonderheit des Archetypus ist
interessant, dass das Wesentliche auf ein Bild oder eine
gerade seine Zeitlosigkeit: Er ist immer da und ist schon
Form reduziert wird, die einen symbolischen und kulturellen
immer dagewesen, er ist außerhalb der Zeit.
Archaismus
Anmerkungen Seite 60
Welche Archetypen wurden wann in der Geschichte und
Gesellschaft aufzubauen. Hier transportiert die Ästhetik auf ko-
zu welchem Zweck bemüht?
difizierte Weise eine politische und gesellschaftliche Bot-
Die raumzeitlichen Rückbesinnungsvorgänge setzen Dynami-
schaft. Die Verwendung antiker Archetypen bietet die
ken in Gang, die der bis dahin vorherrschenden Ästhetik zu-
Möglichkeit, eine zuvor unmögliche, neue Form der Resonanz
widerlaufen. Davon zeugen die nach Platons Vorbild abge-
einzuführen, kraft derer die Bürger:innen in einer humanisti-
haltenen Gastmahle in der Renaissance, die durch Rückgriff
schen Gesellschaft nun „die Welt berühren“ können.12 Im
auf die Antike einen Kontrapunkt zur damaligen politischen
Mittelalter wurden die „vertikalen Resonanzachsen“ (nach
Lage setzten, die von endlosen Kriegen und Lagerkämpfen
Hartmut Rosa die Beziehungen zu Ideen und einem
geprägt war. Dante, der selbst im Exil lebte, beschreibt dies
Absoluten in den Bereichen Natur, Religion, Kunst und
anschaulich in seiner Reise durch die Hölle, an deren Rand er,
Geschichte) weitestgehend von der Religion vereinnahmt.
geführt von dem Dichter Vergil Sokrates, Platon, Euklid und viele andere griechische Philosophen antrifft. Das Streben nach Erneuerung unter Rückbesinnung auf eine frühere Epoche wie die Antike findet seinen Ausdruck in Botticellis Gemälde Die Geburt der Venus, in dem die Liebesgöttin mit einer magischen, gleichsam schwebenden Zartheit ein neues Zeitalter ankündigt. Botticellis Gemälde revolutionierte die mittelalterliche Malerei ebenso wie die Darstellung der Idealstadt, mit der die Perspektive in die Malerei eingeführt wurde. Der Rückgriff auf antike Quellen ermöglicht es, das Pendel auf null einzustellen.
Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus, um 1484/1485, Tempera auf Leinwand
Die Rolle der Ästhetik besteht nun darin, diesem neuen intellektuellen Impuls, der die philo-
In der Renaissance weiteten sie sich auf die Bereiche der
sophische und politische Reflexion der Bürger:innen anregt,
Kunst, Architektur und Philosophie aus. Die neue Greifbarkeit
Gestalt zu verleihen. Ein Impuls, der in der zerbrechlichen
der Welt, in der der Mensch nun denken und handeln konnte,
Frische der Venus ebenso wiederzufinden ist wie in der römisch
spiegelt sich in Bildern wider, die den „neuen Wind“ (den
inspirierten Rotunde, die in einem dynamischen Raum zu
Zephir buchstäblich verkörpert) zum Ausdruck bringen. Der
schweben scheint und gleichsam der Zeit enthoben das Zentrum
Lebenstrieb bricht sich Bahn und vertreibt die Finsternis
einer menschenleeren Stadt bildet, die im Werden begriffen ist
der überkommenen Epoche.
und erst noch gebaut werden muss. In einem solchen Moment
Seit der Renaissance ist der fiktionale Modus der Verankerung
der Aufhebung der Zeit lässt die Ästhetik die Archetypen
in einer früheren Epoche ein wiederkehrendes Phänomen in
einer weit zurückliegenden Epoche aufleben, um die Menschen
krisenbedingten Kippmomenten, auch wenn die Ästhetik und
zu berühren, indem sie ihnen (wie Zephir der Venus) eine be-
die symbolische Dimension je nach Epoche variieren können.
lebende Regung einhaucht, die sie dazu antreibt, eine bessere
Anmerkungen Seite 60
Sprung rückwärts in Raum und Zeit
37
Luciano Laurana (vormals zugeschrieben), Idealstadt, um 1480/1490, Öl auf Holztafel
„Initialisierung“ der Sprache
der unter der Schreckensherrschaft seinen Höhepunkt erreichte, durch ein neues Kultur- und Symbolprogramm subli-
Nehmen wir als Beispiel die Französische Revolution. Sie
miert (in höhere Sphären erhoben) wurde. Zu diesem Zweck
markierte das „Ende einer Welt“, wie Kant es formulierte,
wurde im Jahr II der Republik (22. September 1793 bis
indem sie eine neue Regierungsform einführte, die auf den
21. September 1794) ein Wettbewerb ausgelobt, dessen
Werten der Aufklärung beruhte. Welche Ästhetik entstand in
ehrgeiziges Programm die Schaffung von Revolutionszeremo-
diesem radikalen Übergangsstadium vom Absolutismus zur
nien und -festen sowie neuer Institutionen und Denkmäler für
Volkssouveränität, als sogar die Zeitrechnung auf null gestellt
die Republik vorsah, um die alten zu ersetzen. Dieser Wende-
wurde (der neue Kalender begann mit der Gründung der
punkt war mit der Rückkehr archaischer Formen verbunden.
Republik im September 1792 mit dem Jahr I), und wie vermit-
Das zeigt unter anderem der Entwurf von Charles de Wailly,
telte sie die neuen Werte? Auf welche Epoche, welche Kultur,
der 1797 im Rahmen einer Ausschreibung für die Sicherung
welche Mythen und Riten stützte sie sich?
der Kuppel des Panthéon vorschlug, eine Pyramide in die
Nach der massiven Zerstörung königlicher und kirchlicher
ehemalige Kirche einzufügen, um sie dem Zeitgeschmack an-
Denkmäler ergab sich die zwingende Notwendigkeit, neue
zupassen und ihr die fehlende statische Stabilität zu verleihen.
Symbole für die aufstrebende Republik einzuführen. Aus
Ägyptische Formen waren auch in den Entwürfen für den
psychoanalytischer Sicht ließe sich die Hypothese aufstellen,
Wettbewerb des Jahres II stark vertreten. Zu den zahlreichen
dass der Destruktionstrieb (zusammen mit dem Todestrieb),
Vorhaben zählte auch ein republikanisches Denkmal als Ersatz für das Reiterstandbild Ludwig XIV. auf der Place des Victoires. Den Zuschlag bekam der Architekt Sobre für seinen von Elefanten gestützten Obelisken, der mit nach dem Vorbild ägyptischer Hieroglyphen flach eingravierten Allegorien verziert war und von einer Freiheitsstatue gekrönt wurde.13 Durch das Aufgreifen des ägyptischen Stils erhielt der Zeitfaktor eine wichtige Bedeutung, da man sich auf diese Weise in eine frühere Epoche zurückversetzen konnte. Dieses ästhetische Vorgehen ging mit einem politischen Programm einher: Jene Intellektuellen, die meinten, dass Frankreich dem ägyptischen Volk die Aufklärung nahebringen und es von den Mamelucken befreien sollte, betrachteten Ägypten nun als „Wiege der westlichen Zivilisation“. Diese Art von Verankerung an einem fernen Ort und in einer fernen Epoche funktioniert
Architekten Legrand und Molinos, Entwurf für einen Nationalzirkus auf der Place des Invalides in Paris, 1791
38
Archaismus
wie ein Archetypus im Sinne C. G. Jungs und eröffnet die
Anmerkungen Seite 60
Möglichkeit, eine Gesellschaft von Grund auf neu aufzubauen.
Republik und die Nationalfeiertage im Winter mit staatsbürger-
Bei einem so radikalen Umsturz, der nicht nur die Politik und
lichen und kämpferischen Liedern zu feiern“.15 Die alten Kultur-
die Staatsführung tangiert, sondern auch Ethik und Moral,
denkmäler sollten neuen Symbolen und Ritualen weichen, die
Religion und Ontologie, spielen Rituale eine wesentliche
zur Konsolidierung der jungen Republik beitragen konnten.
Rolle: Die emotionale Funktion der Kirche wurde von säkularen
Solche Umdeutungen von Ritualen, wozu auch gehörte, dass
Festen abgelöst, die auf die neuen Ideale von Freiheit,
Opernarien durch Revolutionslieder ersetzt wurden, scheinen
Gleichheit und Gerechtigkeit (sporadisch anstelle der Brüder-
bei der „Sublimierung“16 der Politik der Schreckensherrschaft
lichkeit) ausgerichtet waren. Zahlreiche Bauvorhaben sollten
eine wesentliche Rolle gespielt zu haben, dadurch dass der
die republikanischen Feste in Szene setzen, und so entwarfen
Destruktionstrieb mit dem Festritual (nach dionysischem
die Architekten riesige Arenen, um ihnen einen geeigneten
Muster) auf ein höheres Ziel umgelenkt wurde.
Rahmen zu bieten.
Hatte das Programm der neuen Bauvorhaben bis 1792 im
So sah eine Verordnung vom 5 floréal an II (24. April 1794)
Wesentlichen die Republik und die Freiheit zum Gegenstand
den Umbau der Oper der Königlichen Musikakademie (ein
(wie zahlreiche Vorschläge für die Nationalversammlung und
wichtiges Symbol der Kultur des Ancien Régime), die damals
die Place de la Bastille belegen), verlagerte sich mit dem Er-
am Boulevard Saint Martin untergebracht war, in eine über-
starken des linken Flügels innerhalb der Revolutionsbewegung
dachte Arena vor, „die dazu bestimmt ist, die Triumphe der
sein Schwerpunkt immer mehr in Richtung republikanische
14
Tugend und Gleichheit.17 In dieser Dynamik spielte der Politiker und Kupferstecher Sergent-Marceau, der als Abgeordneter im Nationalkonvent in der Fraktion der Montagnards saß und Mitglied des Überwachungsausschusses war,18 eine wichtige Rolle. Der glühende Revolutionär war in die Massaker vom September 1792 verwickelt.19 Seine Unterschrift steht unter einem Rundschreiben, in dem er diese Taten rechtfertigt (was man ihm später zum Vorwurf machte): „[…] Die Pariser Kommune beeilt sich, ihre Brüder in allen Departements darüber in Kenntnis zu setzen, dass ein Teil der in ihren Gefängnissen festgesetzten wilden Verschwörer vom Volk getötet worden ist. […] Zweifellos wird die ganze Nation […] sich schon bald dieses für das Wohl der Allgemeinheit so notwendigen Mittels bedienen.“20 Im Oktober 1792 wurde Sergent-Marceau zum stellvertretenden Leiter der „Kommission zur Erhaltung der künstlerischen Denkmäler“ nominiert, deren Aufgabe es war, die von den revolutionären Tumulten bedrohten Meisterwerke in Museen zu verwahren und die historischen Baudenkmäler vor Vandalismus zu schützen. In dieser Funktion schlug er am 7. Oktober 1793 vor,21 man möge „den Konvent bitten, dass ein Tempel für die Gleichheit und einer für die Freiheit errichtet werde und dass die Bildprogramme zugleich als ornamentaler Schmuck für diese beiden […] dienen. Ich weise darauf hin, dass es nur recht ist, wenn die Nation, die dafür zahlt, sich auch daran erfreuen kann. […] Das wird ein neues Schauspiel sein, für das Universum, Architekt Sobre, Entwurf eines Denkmals für die Place des Victoires in Paris mit Hieroglyphen und Elefanten, Wettbewerbsentwurf, 1793
Anmerkungen Seite 60
erschreckend für die Despoten, interessant für alle Völker.“22
„Initialisierung“ der Sprache
39
Leo von Klenze nach Jean-Nicolas-Louis Durand und Jean-Thomas Thibault, Temple à l’Égalité, 1793, Perspektive und Grundriss
J.-N.-L. Durand und J.-T. Thibault: Tempel für die Gleichheit, 1793
entspricht allerdings keiner klassischen Bauordnung und
Jean-Nicolas-Louis Durand und Jean-Thomas Thibault, die
Konventionen überall gleich, was dem gesamten Bau einen
zuvor im Atelier von Étienne-Louis Boullée gearbeitet hatten,
schablonenhaften, normierten Charakter verleiht. Der Unter-
gewannen den ersten Preis des Wettbewerbs für den Tempel
bau ist nicht weniger seltsam, bestehen doch die beiden
für die Gleichheit mit ihrem Entwurf für ein neoklassizistisches
Seitenteile nicht aus Stufen, wie bei griechisch-römischen
Bauwerk, das weit über die Funktion eines Tempels hinausging
Tempeln üblich, sondern aus dicken Mauern, die an den
und ein regelrechtes Heiligtum sein sollte, das der Republik
Enden ein Quadrat bilden, auf dem (rechts) eine Allegorie
geweiht war.23 Das Bauwerk hat die Form eines Peripteros,
der Gerechtigkeit und (links) eine Allegorie der Gleichheit
weist mehrere Kuriositäten auf: Bei den sechs Frontsäulen ist die Zwischenweite entgegen den stets nuancierten klassischen
eingraviert sind. Auch die Säulen sind ungewöhnlich, denn sie haben keinen runden, sondern einen quadratischen Querschnitt.24 All diese architektonischen Mittel spiegeln die neue „revolutionäre Ordnung“ des Tempels wider, der moderne, kubische und abstrakte Merkmale aufweist. Seine ägyptische Anmutung verdankt er einerseits den Kapitellen mit den Frauenköpfen, für die zweifellos der Tempel von Dendera in Ägypten Pate stand,25 und andererseits den Mauern zu beiden Seiten, die wie die Vorderpfoten der Sphinx von Gizeh nach vorn ragen. Auf dem Giebel sind Allegorien der Freiheit und der Gleichheit abgebildet, zwischen denen die Inschrift „Sie sind unzertrennlich“ prangt. Unter dem Fries ist zu lesen: „Die Tugenden sind die festesten Säulen der Gleichheit.“26 Diese Tugenden werden auf den Säulen genannt: Staatsbürgerliche Gesinnung, Mut, Eintracht, Arbeit, Sparsamkeit, Weisheit. Die Botschaft der Inschriften, die an das staatsbürgerliche Jean-Nicolas-Louis Durand, „Combinaisons horisontales, de Colonnes, de Pilastres, de Murs, de Portes et de Croisées“, 1802, Tafel 2, aus: Précis des leçons d’architecture données à l’École Polytechnique 40
Archaismus
und moralische Verhalten der Republikaner appellieren, wird
Anmerkungen Seite 60
symbolisch durch die Frauenköpfe (mit griechischem statt
des leçons d’architecture données à l’école polytechnique
ägyptischem Kopfschmuck) unterstrichen, die wie zahllose
(1802) eine erschöpfende Methode zur Durchführung eines
Über-Ichs von oben auf sie herabschauen.
Bauprojektes und zur Gebäudeanalyse. Das Neun-Felder-Haus,
Durand und Thibault waren die einzigen der am Wettbewerb
bei dem die Gebäudeteile in drei verschiedenen Kombinationen
für den Tempel für die Gleichheit teilnehmenden Architekten,
„zu einem Ganzen zusammengefügt“ werden,29 ist ein leuchten-
die über das eigentliche Denkmal hinaus ein Revolutionsmu-
des Beispiel dafür. In gewisser Weise kehrt dieses dreidimensio-
seum im Tempelinneren vorschlugen. Ein Bildprogramm, das
nale Spiel, das als zweite Tafel im zweiten Teil des Bandes mit
sich an die Zeichnungen von Jacques-Louis David anlehnt,
der Überschrift „Horizontale Kombinationen von Säulen,
veranschaulicht die wichtigsten Ereignisse der Revolution:
Stützen, Wänden, Türen und Fenstern“ abgebildet ist, zu den
den Sturm auf die Bastille, den Ballhausschwur, eine Szene
geometrischen Wurzeln der Architektur zurück und reiht sich
des Nationalkonvents sowie mehrere Kampfszenen. Eine
in die Tradition von Vitruvs De architectura ein.
raumgreifende Statue der Glückseligkeit der Allgemeinheit
Die Reduzierung der Architektur auf ein Vokabular der wirksa-
füllt die Mitte des Museums aus. Auf zwei Seitenaltären
men und nützlichen Typisierungen unterlag einer Dynamik,
steht geschrieben: „Natur, Vernunft, Menschlichkeit und
die derjenigen von Boullées fantastischen Entwürfen entgegen-
Gerechtigkeit sind das Fundament der Gesellschaftsordnung“.
gesetzt war, die von der Kraft des Erhabenen getragen eine
Mit dem großen Glasdach, durch das Tageslicht einfällt,
kosmische Stimmung verbreiten, wie die Entwürfe eines
taucht dieser Museumstempel der Moral die Gemälde und
Kenotaphs für Isaac Newton (1784) und der Königlichen Biblio-
Symbole der Republik in weißliches Licht.
thek (1786) belegen. Die postrevolutionäre stilistische Reduktion
Den klassischen Tempel auf eine streng geometrische, schab-
spiegelt nicht nur die Entstehung einer neuen bürgerlichen
lonenhafte Gestaltung zu reduzieren, kündigte einen Paradig-
(weniger wohlhabenden) Kundschaft wider, sondern auch den
27
menwechsel an: Nicht mehr das Schöne bestimmt die Ästhetik mit ihrem fragilen Gleichgewicht der Wahrnehmung, auch nicht das Erhabene eines Boullée, das starke Emotionen auslöst, sondern das Reduzierte und radikal Schlichte, das mit Rationalisierung und Kostenersparnis am Bau einhergeht.28 So hat dieser Revolutionstempel die Aufgabe, gleichsam den Destruktionstrieb zu sublimieren, indem er diesen in höchste Kunst umwandelt, die die Architekten mit einem moralischen und staatsbürgerlichen Erziehungsprogramm verbinden. Als a priori vorgegebene Repräsentationsform dient der Archetypus des Tempels nach ägyptischem Vorbild als Ausgangspunkt für die psychologische Konstruktion eines kollektiven Imaginären. Im Unterschied zur Architektur von Claude-Nicolas Ledoux, bei der alles – von der Bauform bis zum Ornament – eine „sprechende“ Symbolik transportiert, und im Gegensatz zur Architektur von Étienne-Louis Boullée, die das Register des Erhabenen bedient, reduziert Jean-Nicolas-Louis Durand, der radikal mit seinem Lehrer bricht, die Architektur auf Typisierun-
Jacques-Louis David, Der Schwur der Horatier, 1784, Öl auf Leinwand
gen, auf ein fast stummes Vokabular, wobei schon von außen, ohne jedes Geheimnis, sich das Innere eines Bauwerks erahnen
Durchbruch des Fortschrittsgedankens, der mit der einsetzenden
lässt. Das Tempelprojekt wurde nie realisiert.
Industrialisierung rasch konkrete Formen annahm. Die Form- und
Drei Jahre nach dem Staatsstreich von Napoleon Bonaparte
Kostenreduktion erfolgte durch eine drastische Simplifizierung, die
entwickelte Durand im ersten Band seiner Vorlesungen Précis
die Architektur auf ein Grundvokabular des Bauens reduzierte.
Anmerkungen Seite 60
Durand und Thibault: Tempel für die Gleichheit
41
Emil Krause, Hugo Mayer (nach einem Masterplan von Adolf Loos), Siedlung Rosenhügel, Siedlerarbeit, 1921, Fotograf: Josef Derbolav Machovsky
2 Zurück zur Ländlichkeit Streben nach Entschleunigung Zeit: Entschleunigung Psychologie: Rückgriff auf gesellschaftliche Archetypen; kollektive Rückbesinnung und Mitgefühl Modus Operandi: Reduktion und Sublimierung durch Ästhetik
Das Phänomen der „Rückkehr zur Ländlichkeit“ geht mit
einher, entweder umständehalber nach einer Katastrophe oder
Entschleunigung und mit substanziellen Einschränkungen der
einem Krieg oder aufgrund einer proaktiven Willensentschei-
Lebensweise einher, die von einer urbanen zu einer agrarischen
dung, die einen Verzicht impliziert. Solche Momente der Ein-
übergeht. Die Idee der Entschleunigung als Antwort auf die
schränkung sind mit einem starken ästhetischen Streben und
Dynamik des Fortschritts und dessen Folgen, die wir immer
einem fundamentalen Bedürfnis nach Verschönerung des neuen
weniger im Griff haben, bringt die Hoffnung auf eine Verlang-
„Naturzustands“ verknüpft, um darin über die Befriedigung
samung des Beschleunigungsprozesses mit sich, der exponen-
der mit dem bloßen Überleben verbundenen Bedürfnisse hinaus
tielle Ausmaße angenommen hat. Als Gegenentwurf zum
eine wahrnehmbare intellektuelle Entfaltung zu finden, die eine
chaotischen Wachstum der Industriestädte, verursacht durch
Transzendierung des vom üblichen Kulturmodell weit entfernten
die Dynamik des Kapitalismus und der Bodenspekulation,
Urzustands ermöglicht. Wie kann die Ästhetik neue Narrative
verbindet sich die „Rückkehr“ zu einer zumeist auf Autarkie
der „Rückkehr zur Ländlichkeit“ erschaffen? Und welche Archi-
und Selbstversorgung beruhenden neuen Form der Agrar-
tekturformen nimmt sie an, um der Dynamik der schnell wach-
gesellschaft in der Regel mit der Vision einer Gesellschaft,
senden Städte standzuhalten?
die nach genossenschaftlichem Vorbild umgestaltet wird
Der psychologische Modus besteht in einem „kollektiven Mit-
und nach Autonomie strebt. Kollektives Handeln spielt
gefühl“ (getragen vom Lebenstrieb) und in einer utopischen
dabei eine Schlüsselrolle und hat eine starke politische
Vision für die Gesamtheit einer sozialen Klasse (dann spricht
Dimension mit dem Ziel, gemeinschaftlich eine Gesellschaft
man von „Solidarität“) oder, in kleinerem Maßstab, für den
aufzubauen, die sich durch eine größere Solidarität und
begrenzten Mitgliederkreis einer Mikrogesellschaft, die ein
Resonanz auszeichnet.
paralleles Experimentum Mundi lebt. Die entschleunigte „Rück-
Diese Gegendynamik geht mit drastischen Einschränkungen
besinnung“ auf eine vorindustrielle Gesellschaftsform nimmt
(der Lebensweise, der Kultur, der verfügbaren Materialien usw.)
mitunter nostalgische, romantische und sogar mystizistische
Streben nach Entschleunigung
63
Züge an, wenn sie nicht in ein gewagtes Abenteuer abdriftet.
Berührung kommt) die bestehende Diskrepanz zwischen der
In jedem Fall knüpft sie an gesellschaftliche Archetypen an, die
Schnelligkeit des technischen Fortschritts und der Langsamkeit
tief im kollektiven Unbewussten vergraben sind. Das Imaginäre
der menschlichen Moral entgegen: „Aber die sittliche Anlage
beruht hier auf einem anderen Verhältnis zur produktiven Natur
der Menschheit, die […] ihr immer nachhinkt, wird sie, die in
(natürlicher, näher am Menschen, mit einem anderen Produk-
ihrem eilfertigen Lauf sich selbst verfängt und oft stolpert, (wie
tionsmaßstab) sowie auf der Neugestaltung einer „maßvolleren“
man unter einem weisen Weltregierer wohl hoffen darf) der-
Gesellschaft, das heißt mit reduziertem Konsum und auf die
einst überholen.“3 Vor dem Hintergrund der Aufklärung war
Befriedigung der Grundbedürfnisse ausgerichtet, allerdings
Kant der Überzeugung, dass im rasanten Wettlauf zwischen
angereichert mit neuen Kulturelementen und gesellschaftlichen
Moral und Fortschritt, der Konsum und Überfluss einschließt,
Werten, kraft derer die Einschränkungen und das damit zwangs-
am Ende die Moral siegen würde. Doch er hat sich geirrt. Im
läufig entstehende Gefühl von Verlust ertragen und überwunden
Zuge der zunehmenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert,
werden können. Bleibt die Frage, wie es bei diesem Modus
der Ausbreitung des Kapitalismus (mit seinen zyklischen
Operandi der Entschleunigung gelingt, neue Werte einzuführen,
Schwankungen, die dem Prozess der „schöpferischen Zerstö-
mit anderen Worten, auf welche ästhetische Ressourcen zu-
rung“ im Sinne Joseph Schumpeters innewohnen: Prosperität,
rückgegriffen wird, um mit den Einschränkungen und deren
Rezession, Depression, Erholung; siehe Kap. 3) und der immer
Sublimierung umzugehen.
gierigeren Bodenspekulation (1873 platzte die Spekulations-
Die „Rückkehr zur Ländlichkeit“ ist in der Geschichte ein wieder-
blase und löste wegen ihres Ausmaßes und ihrer internationa-
kehrendes Phänomen. Die Vision eines „Weltendes“ in Verbin-
len Tragweite die erste Große Depression aus) blieb ein
dung mit der Idee einer heilsamen „Rückkehr aufs Land“, wie
Großteil der Bevölkerung vom Fortschritt ausgeschlossen. Die
sie heute von den Vertretern der Kollapsologie propagiert wird
Industrialisierung verwandelte die Städte in überbevölkerte
(die Covid-19-Krise hat den Trend zur Stadtflucht noch beschleu-
und entsprechend ungesunde Metropolen und setzte die Ar-
nigt), erinnert an die Lebensreformbewegungen, die im ausge-
beiterklasse menschenunwürdigen Lebensbedingungen aus.
henden 19. Jahrhundert in England und im deutschsprachigen
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Hoffnung, die man
Raum aufkamen. Auf welchen Ideen basierte ihr Streben nach
in den technischen Fortschritt gesetzt hatte, infolge seiner ver-
Erneuerung und wie wurden diese in der Architektur umge-
heerenden Auswirkungen teilweise zerschlagen. Der Fort-
setzt? Wie verpflichteten sie zum Handeln? Im Folgenden wird
schritt hatte den Wettlauf gegen die Moral gewonnen.
die Bewegung der „Rückkehr zur Ländlichkeit“ – als Antwort auf Grundbedürfnisse und zugleich utopische Projektion einer
Walter Benjamin und der Engel der Geschichte
besseren Welt – anhand einiger Beispiele aus dem frühen
Im Zusammenhang mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus
20. Jahrhundert nachgezeichnet, auch um den Bogen zum
in Deutschland und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs
heutigen Trend der Stadtflucht zu spannen, der von der Angst
kritisierte Walter Benjamin, der in Berlin in eine assimilierte
vor dem Klimawandel und vom Willen nach Entschleunigung
jüdische Familie geboren wurde und ab 1933 in Frankreich im
getragen wird.
Exil lebte, den Fortschritt. Er verglich ihn mit einem unkontrollierbaren Sturm, der den „Engel der Geschichte“ in die Zukunft
64
Anzweiflung des „Fortschritts“
treibt, obwohl sich dieser der Vergangenheit zuwenden will,
In diesem Kapitel wird der derzeit zunehmend in der Kritik
um deren Trümmer wieder aufzurichten. Benjamin ließ sich
stehende Begriff des Fortschritts als ein „Prozeß andauernder
dafür von einem Bild von Paul Klee inspirieren, das er in den
und zunehmender Vervollkommnung […], der […] von den
frühen 1920er Jahren erworben hatte:
Menschen selber zu planen und zu vollstrecken sei“,1 diskutiert.
„Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein
Wie in der Einleitung dargelegt, hielt schon Kant dem Leib-
Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im
niz’schen Postulat „progressus est in infinitum perfectionis“2
Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine
und der Idee Rousseaus von der Vervollkommnungsfähigkeit
Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine
des Menschen (insbesondere, wenn er mit der Natur in
Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß
Zurück zur Ländlichkeit
Anmerkungen Seite 95
so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zuge-
Sozialdemokratie, für den
wendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns
die Natur „gratis da ist“7
erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die
und ganz im Dienst des
unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor
Menschen steht. Entgegen
die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten
dieser positivistischen
wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein
Weltanschauung folgte
Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln
Benjamin eher dem Ansatz
verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht
von Joseph Fourier, der
mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam
die Frage der Natur mit
in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der
der Idee einer sinnvollen
Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir
gesellschaftlichen Arbeit
den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“
verband;8 die Ausbeutung
4
Demnach bewahren die Trümmerhaufen, die der Fortgang des
der Natur sollte den kol-
Fortschritts verursacht hat, in sich eine Erinnerung, die den
lektiven (und nicht dem
katastrophalen Lauf der Geschichte aufhalten kann. Der Engel
spekulativen) Interessen
will die Zeit verlangsamen, um innezuhalten und die Trümmer
untergeordnet werden.
wieder aufzurichten, doch vergeblich. Diese Kritik des Fort-
Diese Vorstellung, die sowohl die Natur als auch eine für die
schritts versucht aus der Dynamik der Beschleunigung
Gesellschaft als Ganzes sinnvolle Arbeit umfasst, war bereits in
auszubrechen, die die Menschheit in eine grauenvolle Zukunft
der englischen Reformbewegung des späten 19. Jahrhunderts
treibt. Dieser Text ist einer von vielen, die Walter Benjamin
weit verbreitet; diese stellte sich gegen die unbegrenzte Dyna-
auf seiner Flucht Hannah Arendt anvertraute, nachdem er
mik des Industrialisierungsprozesses, der drastische Auswir-
als Deutscher in Südfrankreich in ein Internierungslager
kungen auf die Städte und die ländlichen Gebiete hatte.
gesteckt worden war. In seiner Verzweiflung nahm er sich
Der Fortschritt, der für gewöhnlich mit dieser Dynamik in Ver-
wenig später, im September 1940, als er in Portbou, nahe
bindung gebracht wird, ist ein ins Unendliche strebender
der französischen Grenze festsaß, das Leben. Arendt ver-
Vektor. Doch weil die Moral nicht mehr einem Fortschritt
schickte Benjamins Manuskripte nach New York, wo sie 1942
entsprach, der sich schrittweise von jeglicher Moral losgesagt
veröffentlicht wurden.
hatte und nur noch der eigenen Bahn des „immer mehr“
Angesichts des Aufstiegs des Faschismus reflektierte Benjamin
folgte, mussten der Begriff des Fortschritts neu definiert und
über Geschichte und Zeit und stellte die Vorstellung vom linea-
neue Formen der Stabilität gefunden werden – ausgehend von
ren Verlauf des Fortschritts infrage:
der Natur, einschließlich der des Menschen. Wie und auf wel-
Paul Klee, Angelus Novus, 1920, aquarellierte Zeichnung aus Tusche u. Ölkreide auf vergilbter Radierung eines Luther-Porträts aus dem 19. Jh.
„Die Vorstellung eines Fortschritts des Menschenge-
cher Grundlage sollte eine Gemeinschaft geschaffen werden,
schlechts in der Geschichte ist von der Vorstellung ihres
die sich wieder mit der Natur verband? Im englisch- und
eine homogene und leere Zeit durchlaufenden Fortgangs
deutschsprachigen Raum des späten 19. und frühen 20. Jahr-
nicht abzulösen. Die Kritik an der Vorstellung dieses
hunderts stand die Natur im Vordergrund der Erneuerungs-
Fortgangs muß die Grundlage der Kritik an der Vorstellung
bestrebungen, die von dem Wunsch nach Versöhnung des
des Fortschritts überhaupt bilden.“5
Menschen mit seiner Umwelt getragen waren und ihren Aus-
Benjamins Zweifel am linearen Verlauf des Fortschritts schloss
druck in der Idealvorstellung der „Town-Country“ bzw.
die Ausbeutung der Natur mit ein. Gemäß seiner marxistischen
Gartenstadt fanden. Diese wurde nicht als Gegensatz zwischen
Auffassung sollte die „Arbeit, wie sie nunmehr verstanden
Stadt und Land begriffen, sondern als Idealstadt, die sich das
wird“, nicht „auf die Ausbeutung der Natur“ hinauslaufen,
Ländliche zu eigen machte und zur Natur zurückkehrte. Für
„welche man mit naiver Genugtuung der Ausbeutung des Pro-
diese Bewegung, die auf einem starken kollektiven Mitgefühl
letariats gegenüber stellt“, schreibt er und bezieht sich dabei
beruhte, mussten angemessene urbane und architektonische
auf Josef Dietzgen, einen wichtigen Akteur der deutschen
Formen gefunden werden. Es entstanden ganzheitliche
6
Anmerkungen Seite 95
Streben nach Entschleunigung
65
Modelle, die einen regelrechten „Kosmos“ schufen, in dem wieder eine Resonanz zwischen Mensch und Umwelt erzeugt und der Aufbau einer genossenschaftlich organisierten Gesell-
Ebenzer Howard: Die Gartenstadt als Vorbild der modernen Agrarstadt
schaft möglich wurde, die auf gemeinschaftlichem Handeln
Als Ausgangspunkt dient uns die von Ebenezer Howard (1850–
beruhte. Welche Form haben diese Gesellschaftsmodelle ange-
1928) ersonnene „Gartenstadt“, da sie in der Folgezeit Mo-
nommen? Mit welchen Mitteln lässt sich ein kollektiver Geist
dellcharakter für zahlreiche Stadtentwicklungsvorhaben hatte.
bilden?
Heute verbinden wir mit diesem Begriff meist eine einfache Wohnform und vernachlässigen die Philosophie, die dem Kon-
Die in diesem Kapitel vorgestellten Beispiele enthalten Refle-
zept der Gartenstadt innewohnt, obwohl sie in gesellschaftli-
xionen über das Wesen und die Ausrichtung des Fortschritts.
cher Hinsicht revolutionär war – und doch ist angesichts der
Dabei geht es auch um den Status der Natur (als Freizeitraum
heutigen Krisen wieder ein wachsendes Interesse daran festzu-
und als produktive Natur) angesichts des ungebremsten
stellen. Als Reaktion auf die verheerenden Auswirkungen der
Wachstums der Industriestädte. Die Projekte übermitteln eine
Industriellen Revolution – die katastrophalen hygienischen Zu-
Kritik der Undifferenziertheit des urbanen Raums, die von der
stände in den rußgeschwärzten, überbevölkerten Städten und
rein spekulativen Dynamik des Kapitals gesteuert wird; sie unter-
das Elend der Arbeiter – stellte Howard im Londoner Kontext
breiten differenzierte, durch „starke Formen“9 gegliederte
des späten 19. Jahrhunderts weitreichende Überlegungen zum
Lebensräume, die für die Allgemeinheit bestimmt sind. Diese
Verhältnis von Stadt und Land an. Er wollte die laufende Spe-
beruhen auf einer grundlegenden Fragestellung: Wie findet man
kulationsdynamik bremsen, indem er ein alternatives Gemein-
eine Form, die der Formlosigkeit der modernen Stadt, die
schaftsmodell im ländlichen Raum vorschlug.
gemeinschaftliche Räume ausmerzt, entgegenwirkt? Wie kann
Die Gartenstadt – nachgerade ein Modell sozialer Durchmi-
man ein Gegenmodell entwerfen, das makrokosmisch und
schung – soll wie ein Magnet sowohl die Stadt- als auch die
stark genug ist, um gegen die bestehenden Dynamiken
Landbevölkerung anziehen. Um diese Idee zu veranschaulichen,
standzuhalten, und das gleichzeitig vielfältige mikrokosmische
entwarf Howard ein Diagramm mit drei Magneten, die Stadt,
Erfahrungen zulässt, die das Entstehen einer anderen Welt-
Land und die von ihm sogenannte „Town-Country“ mit ihren
beziehung konkret ermöglichen?
Vorzügen und Schattenseiten darstellen. Dem krassen Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land setzte er das Idealmodell der „Stadt in der Landschaft“10 entgegen, die idealerweise die
Ebenezer Howard, aus: Tomorrow – A peaceful Path to Real Reform, 1898, „Die drei Magneten“ 66
Zurück zur Ländlichkeit
„Social Cities“, Vernetzung der Gartenstadt
„Garden-City“, Diagramm der Gartenstadt und des umgebenden Agrarlandes
Anmerkungen Seite 95
besten Eigenschaften von Stadt und Land vereinen sollte:
ihrerseits an das Fernbahnnetz angeschlossen ist. Es ist ein re-
„Schönheit der Natur. Soziale Chancen. Leicht zugängliche
gelrechter Mikrokosmos, der nach eigenen Regeln funktioniert
Felder und Parks. Niedrige Mieten. Hohe Löhne. Niedrige
und dennoch mit der Außenwelt verbunden ist.
Steuern. Viel zu tun. Niedrige Preise. Ohne Schwitzsystem. Platz für Unternehmertum. Kapitalfluss. Reine Luft und reines
Ein politisches Modell
Wasser. Gute Kanalisation. Helle Häuser & Gärten. Kein
Howard legte besonderes Augenmerk darauf, wie die Verwal-
Rauch. Keine Slums. Freiheit. Zusammenarbeit.“
tung des Bodens als Gemeingut gestaltet sein sollte, um die
11
Howard schlug mit seiner Gartenstadt eine Kompromiss-
Spekulation zu bekämpfen. Er folgte einer politischen Vision,
lösung vor, um die Nachteile der Lebensweisen in der Stadt
die auf eine Reform des Bodenrechts sowie eine Stärkung der
und auf dem Land zu beheben. Dafür übertrug er die guten
Macht der Kommunen und des Staates im Zuge der Urbanisie-
Eigenschaften der Stadt auf das Land und umgekehrt. Auf
rung setzte. Er erwog sogar, die Banken in eine soziale Rich-
diese Weise führte er die Stadt gleichsam zum Naturzustand
tung zu reformieren: Sie sollten die Gewinne an die Stadtkasse
zurück und erhob das Land zum Kulturzustand, indem er die
ausschütten und durch die Stadtverwaltung kontrolliert wer-
herkömmliche urbane Logik vollständig umkrempelte. So
den.12 Diese Vision ist in das Zeitgeschehen eingebettet. Zur
wurde die ländliche Langeweile mit Kultur und Bildung sowie
Erinnerung: Marx hatte 1867 Das Kapital veröffentlicht, also
einer neuen Gesellschaftsordnung überwunden, in der jeder
31 Jahre vor dem Erscheinen von Howards Gartenstadt-Projekt.
Einzelne am kollektiven Leben teilnahm.
In Bezug auf den Kommunismus nahm Howard eine ambiva-
Die ideale Raumordnung basiert hier auf einem Prinzip von
lente Haltung ein: „Gewiß ist er ein vorzügliches Prinzip, und
Ringen mit einer Gartenanlage im Zentrum, um die sich das
bis zum gewissen Grad sind wir alle Kommunisten, selbst die,
Rathaus, die Kultureinrichtungen und das Krankenhaus grup-
die bei dem bloßen Gedanken schaudern, so genannt zu wer-
pieren; daran schließt ein großer „Zentralpark“ an. Rund um
den. Wir alle glauben an kommunistische Straßen, Parks, Biblio-
diesen Park läuft eine verglaste Galerie als Einkaufszentrum,
theken usw. Aber darum dürfen wir doch den Individualismus
der „Kristallpalast“. Um sie herum erstreckt sich ein Wohnviertel,
nicht unterschätzen.“13 Er verteidigt auch die Notwendigkeit
das durch Avenuen untergliedert ist; an der breitesten und
des Wettbewerbs, um das menschliche Handeln anzuspornen,
prächtigsten Avenue, die als kreisförmiger Park angelegt ist,
insbesondere hinsichtlich der Art und Weise, wie das Land zu
stehen die Schulen. Am Außenring befinden sich die Fabri-
bewirtschaften sei, da die Produktivität der Kommune eine
ken, deren Grundstücke direkt an der Ringbahn liegen, die
gute Bodenrente einbringt, die für ihr Funktionieren unerlässlich ist. Allerdings sollte der freie Wettbewerb nicht zu einem System der Ausbeutung führen; die Unternehmen seien „natürlich an das allgemeine Landesgesetz sowie an die Vorschriften gebunden, die für Werkstätten bestimmte Raumverhältnisse und gesundheitliche Bedingungen vorsehen“14. Ziel ist es, die Qualität der Produkte und die Produktion in einer gerechteren und sozial verträglicheren Weise zu verbessern. Um die Fehler des Kapitalismus zu korrigieren, soll Howard zufolge der Markt reguliert werden, damit es nicht zu Überproduktion und Handelsverlusten kommt. So sollten die Ladengeschäfte im „Kristallpalast“ der Aufsicht durch die Gemeinde unterliegen, die einen Numerus clausus festlegt, um sie vor der Konkurrenz zu schützen, gleichzeitig aber auch die Konsumenten, die, sollten sie mit den Produkten oder Preisen unzufrieden sein, fordern können, dass ein anderes Fachgeschäft dersel-
„Ward and Centre Garden-City“, Ausschnitt des Planes der Gartenstadt
Anmerkungen Seite 95
ben Branche die Genehmigung erhält, sich in der Gartenstadt
Ebenezer Howard: Die Gartenstadt
67
Gordon Matta-Clark, Conical Intersect, Paris, 1975, Fotograf: Harry Gruyaert
3Schaffen durch Zerstören Beschleunigung als Mittel zum Zweck Zeit: Beschleunigung Psychologie: Destruktionstrieb und Sublimierung Modus Operandi: Herbeiführung des Niedergangs, um Erneuerung in Gang zu setzen
Der Handlungsmodus, den dieses Kapitel nun beleuchtet,
und die Zeit beschleunigen. Gleichwohl kann der Destruktions-
beruht auf einem Akt der Zerstörung. Dabei kann es unter-
trieb über den Umweg der Sublimierung in produktive und
schwellig durchaus konstruktive Ambitionen geben, da Zer-
künstlerische Tätigkeiten umgewandelt werden. Wie Freud
störung auch neue Horizonte zu eröffnen vermag; dafür muss
unterstreicht: „Am meisten erreicht man, wenn man den Lust-
aber erst eine „Grundreinigung“ erfolgen. Daher wird es hier
gewinn aus den Quellen psychischer und intellektueller Arbeit
um Geschichte gehen und die Vorstellung vom „reinen Tisch
genügend zu erhöhen versteht. Das Schicksal kann einem
machen“, die Nietzsche häufiger bemühte, sowie um Fortschritt
dann wenig anhaben. Die Befriedigung solcher Art, wie die
und Entropie, um Beschleunigung und ihre ökonomischen,
Freude des Künstlers am Schaffen, an der Verkörperung seiner
ökologischen, urbanen und sozialen Folgen.
Phantasiegebilde […] haben eine besondere Qualität.“1 Nicht
Aus psychologischer Sicht ist die Triebkraft des schöpferischen
nur Künstler:innen, auch Architekt:innen vermögen sich die-
Handelns hier der Todestrieb (oder Destruktionstrieb), den
ses schöpferischen Elans in Momenten realer und zugleich
Freud in der Folge der Traumata des Ersten Weltkriegs theo-
ontologischer Krisen zu bedienen, um einem sich ihnen als
retisierte und der im Gegensatz zum Lebenstrieb mit Auflösung
unabänderlich darbietenden „Schicksal“ zu entrinnen. Dieses
verbunden ist: Er will zerschlagen, vernichten, zerstören und
Schicksal gilt es zu verändern: Der Vorgang der Beschleunigung
das Lebendige in seinen anorganischen Zustand zurückführen
zielt auf das schnellere Eintreten des Niedergangs ab, gefolgt
und zielt dabei in erster Linie auf das Subjekt selbst ab. Mit
von einem Akt der Sublimierung, der die Zeit aufhebt, um ein
diesem Auflösungsprozess ist zugleich ein fortwährender
radikal neues Feld potenzieller Möglichkeiten zu eröffnen.
Kampf zwischen Eros und Thanatos verbunden. Der Destruk-
Diese psychologische Dynamik liegt allen Projekten zugrunde,
tionstrieb, der einem Wiederholungszwang unterliegt, gewinnt
die in diesem Kapitel vorgestellt werden und deren Schaffens-
die Oberhand über das Lustprinzip, da er innere Spannungen
modus auf einem zerstörerischen Vorgehen beruht. Getrieben
abbaut. Um sie schnellstmöglich zu lindern, will man zerstören –
vom Wunsch nach Beschleunigung, haben manche Architekten
Anmerkungen Seite 131
Beschleunigung als Mittel zum Zweck
99
andere Räume und Zeitlichkeiten zu erschaffen versucht, ent-
Bruch mit der Geschichte und Tabula rasa
weder um eine „neue Welt“ zu entwerfen (die radikal moder-
Der Zerstörungsakt stellt das Verhältnis zur Geschichte grund-
ner, gerechter, hygienischer, sinnlicher usw. sein sollte) oder
sätzlich infrage. Nietzsche zufolge hat das sehnsüchtige
um das Alte auszulöschen – manchmal ohne eine bestimmte
Bewusstsein des Vergangenen eine lähmende Wirkung: „zu
Zukunftsperspektive vor Augen zu haben. „Schaffen durch
allem Handeln gehört Vergessen“,2 damit es Wandel geben
Zerstören“ beschreibt diesen doppelten Vorgang der Zerstö-
kann:
rung und Sublimierung in der Architektur (und in der Kunst).
„[e]s giebt einen Grad von Schlaflosigkeit, von Wieder-
Genaugenommen handelt es sich, je nach Fall, um eine
käuen, von historischem Sinne, bei dem das Lebendige zu
Schöpfung, die proaktiv durch einen Zerstörungsakt oder re-
Schaden kommt, und zuletzt zu Grunde geht, sei es nun
aktiv im Anschluss an eine erlittene Zerstörung erfolgt, indem
ein Mensch oder ein Volk oder eine Cultur. Um diesen
eine prospektive oder eine aperspektivische (perspektivlose,
Grad und durch ihn dann die Grenze zu bestimmen, an der
nihilistische) Haltung eingenommen wird. Bei der Analyse der
das Vergangene vergessen werden muss, wenn es nicht
Beispiele wird es darum gehen, auf diese feinen Unterschiede
zum Todtengräber des Gegenwärtigen werden soll, müsste
zu achten, da sie jeweils nicht nur einen eigenen Zeitablauf,
man genau wissen, wie gross die plastische Kraft eines
sondern auch eine jeweils andere psychologische Disposition
Menschen, eines Volkes, einer Cultur ist, ich meine jene
implizieren. Diese auf psychischen Reaktionen beruhenden
Kraft, aus der sich heraus eigenartig zu wachsen, Vergan-
zeitlichen Eingriffe können sich in unterschiedlichen ästheti-
genes und Fremdes umzubilden und einzuverleiben,
schen Haltungen niederschlagen, die in Momenten der Insta-
Wunden auszuheilen, Verlorenes zu ersetzen, zerbrochene
bilität und an Kipppunkten in Erscheinung treten. Worin
Formen aus sich nachzuformen.“3
bestehen die von Architekten vorgenommenen Zerstörungs-
Für den Philosophen der deutschen Romantik ist die Fähigkeit
akte, welches sind die Sublimierungsmodi und wie lautet ihre
zu vergessen befreiend, gleichzeitig unterstreicht er, wie
symbolische Botschaft an die Gesellschaft? Welche Ziele ver-
wichtig es ist, sich im richtigen Augenblick erinnern zu können,
folgen sie und welche Ästhetik bringen sie hervor? Welcher
denn „das Unhistorische und das Historische ist gleicher-
Natur sind die Beschleunigungsstrategien und welche Aus-
maassen für die Gesundheit eines Einzelnen, eines Volkes
wirkungen haben sie auf Stadt, Gesellschaft und Umwelt?
und einer Cultur nöthig“.4 Um von der Geschichte nicht zermalmt zu werden, sondern fortwährende Erneuerung zu ge-
Nietzsches Dionysos: „reinen Tisch machen“
währleisten, die ihrerseits in die Geschichte eingeht, plädiert Nietzsche dafür, dass jeder Mensch seinen eigenen Horizont,
100
Der Zerstörungsakt kann mit einem dionysischen Ritual
seine eigene Weltanschauung erschaffen sollte, die Voraus-
einhergehen, da dieser mit allem Apollinischen (Schönheit,
setzung, damit „der Mensch zum Menschen [wird]“.5 Auf
Harmonie, Beständigkeit) aufräumt. Umwälzungen und der
diese Weise führt er einen neuen Ansatz ein, der es dem In-
Verlust von Bezugspunkten ermöglichen eine tiefergehende
dividuum ermöglicht, frei zu denken und zu handeln – und
Befreiung, indem sie mit der alten Welt reinen Tisch machen,
also auch mit der Geschichte zu brechen, wann immer es ihm
der Conditio sine qua non für Erneuerung: Man muss sich
beliebt, um ein neues Kapitel aufzuschlagen.
des Vergangenen entledigen, um handeln zu können.
Seine romantisch-dionysische Vorstellung, „aus dem Nichts
Diese Haltung wird von der Figur des Dionysos verkörpert,
Werte zu erschaffen“,6 kommt in der Wendung „reinen Tisch
die Nietzsche mit einem Bruch mit der Geschichte assoziiert,
machen“ zum Ausdruck, die in mehreren seiner Schriften auf-
wobei der schöpferische Handlungsmodus in der Tabula
taucht. In Ecce Homo erklärt Nietzsche: „Und warum sollte
rasa besteht. Die Überlegungen des Philosophen sind
ich nicht bis ans Ende gehn? Ich liebe es, reinen Tisch zu
hier von besonderem Interesse, da er einen Schlüssel
machen.“7 Das ist eine mögliche Weise, die Gedanken zu
zum Verständnis dieses sonderbaren Zerstörungsmodus
befreien, um etwas erschaffen zu können. Diese Vorstellung
liefert, der letztlich die Bedingung schlechthin für jede
wird in seinem Werk Die Genealogie der Moral verinnerlicht
radikale Schöpfung zu sein scheint.
und mit dem Bewusstsein verbunden, der Stille einen Raum
Schaffen durch Zerstören
Anmerkungen Seite 131
zu geben, damit Unerwartetes zum Vorschein komme: „Die
an eine Krisis, wie es keine auf Erden gab, an die tiefste
Thüren und Fenster des Bewusstseins zeitweilig schliessen;
Gewissens-Collision, an eine Entscheidung, heraufbe
[…] ein wenig Stille, ein wenig tabula rasa des Bewusstseins,
schworen gegen Alles, was bis dahin geglaubt, gefordert,
damit wieder Platz wird für Neues.“8
geheiligt worden war. Ich bin kein Mensch, ich bin
In solchen Momenten der Schwebe, des Vergessens und des
Dynamit.“13
Bruchs mit der historischen Zeit bieten sich unversehens
Nietzsche, der alle Werte umwertete, war überzeugt: „Wir
Schöpfungsakte dar. Bei der Frage nach den Beweggründen
werden die Zeitrechnung verändern, ich schwöre es ihnen
eines solchen Vorgangs des Schaffens-durch-Zerstören unter-
zu.“14 Ziemlich kühn stellte er die christliche Zeitrechnung in
scheidet Nietzsche zwischen Nihilisten, die vom „Hass des
Abrede, hatte aber gleichzeitig „schreckliche Angst davor,
Missrathenen“ getrieben sind (eine Haltung, die er entschie-
dass man mich eines Tages heiligspricht […]. Ich will kein
den ablehnt), und der dionysischen Lust, die ihn fasziniert:
Heiliger sein, lieber noch ein Hanswurst.“15 Doch seine Nach-
die gepeinigte Seele des Philosophen oder Künstlers, der in
folger sollten anders entscheiden. Seine Schriften, insbeson-
seinem zutiefst romantischen Erkenntnisstreben fortwährend
dere der dionysische Begriff des Übermenschen, wurden ins
sich selbst sucht.
Gegenteilige umgedeutet (unterm Strich blieb nur der „Wille
Die dunkle und tragische Seite der Schaffenskraft verdichtet
zur Macht“ übrig), weit entfernt vom Streben des Selbst nach
sich im Lachen „jenes dionysischen Unholds […], der
Transzendenz, das für ihn mit einer Emanzipation des Denkens
Zarathustra heisst“ und in dessen taumelndem Tanz im
einherging.
Sturm. Das Lachen und der Tanz des Propheten, die Nietzsche
Nietzsches Plädoyer für den befreienden „reinen Tisch“
schildert, sind die symbolischen Vorboten einer Welt, die sich
machte Schule und fand über die Philosophie hinaus Eingang
auflöst, um sich in „der ganzen wundervollen Ungewissheit
in die Praxis, vor allem in Architektur und Städtebau. Fasziniert
und Vieldeutigkeit des Daseins“,11 wie Nietzsche begeistert
von der Figur des Architekten, projizierte Nietzsche ein be-
formuliert, neu zusammenzusetzen. Das Lachen resultiert aus
stimmtes Handlungsvermögen in sie hinein: „hier ist es der
der kritischen Distanzierung von der Gesellschaft und ist eine
grosse Willensakt, der Wille, der Berge versetzt, der Rausch
plötzliche Reaktion auf die Bewusstwerdung unseres In-der-
des grossen Willens, der zur Kunst verlangt.“ Für ihn war
Welt-seins in Abweichung zur Gesellschaft. Diese Art der
Architektur „eine Art Macht-Beredsamkeit in Formen, bald
Distanzierung haben wir beim Monte Verità gesehen (Kap. 1),
überredend, selbst schmeichelnd, bald bloss befehlend. Das
wo der von jeglichen Konventionen befreite Tanz die gel-
höchste Gefühl von Macht und Sicherheit kommt in dem zum
tende Moral zerrüttet. Nietzsche führt ins Feld, dass es eine
Ausdruck, was grossen Stil hat.“16 Kein Wunder, dass diese
absolute Wahrheit nicht gibt und dass jeder Mensch seinen
Faszination sich auf manche Architekturströmungen übertrug,
Weg finden muss, um der zu werden, der er ist. So wendet
verlieh Nietzsche doch dem Architekten durch den „grossen
sich Zarathustra an seine Schüler und stellt klar: „Hier redet
Willensakt“ eine einzigartige Macht als ordnende Kraft, die
kein Fanatiker, hier wird nicht ,gepredigt‘, hier wird nicht
bis dahin noch niemand so ausformuliert hatte.
9
10
Glauben verlangt“ – und fordert sie auf, sich selbst zu folgen. 12
Lachen, Tanzen, Ungewissheit, Vergessen, zersprungene Formen und „reinen Tisch machen“ sind die Modi Operandi eines zerstörerischen Schaffens, das zugunsten einer künstle-
Marinetti und Sant’Elia: Die Manifeste des Futurismus, 1909/1914
rischen Suche mit der Geschichte bricht. Wie ein Ende 1888,
In Italien setzte die Nietzsche-Rezeption zunächst im literari-
kurz vor seinem Zusammenbruch, verfasstes Manuskript
schen Bereich mit D’Annunzio ein, bekam aber 1908 mit
deutlich macht (posthum 1908 in Ecce Homo publiziert),
Mussolinis Aufsatz über die „Philosophie der Stärke“17 als
wusste Nietzsche durchaus, welchen Sprengstoff sein Werk
Antwort auf einen Vortrag des Abgeordneten Treves über
beinhaltete:
Nietzsches Buch Der Wille zur Macht (1901 postum von
„Ich kenne mein Loos. Es wird sich einmal an meinen
Nietzsches Schwester herausgebracht, die seine Schriften
Namen die Erinnerung an etwas Ungeheures anknüpfen, –
nach Belieben zusammenstellte und veränderte18) eine eminent
Anmerkungen Seite 131
Marinetti und Sant’Elia: Die Manifeste des Futurismus
101
Robert Delaunay und Felix Aublet, Innenausstattung der kegelstumpfförmigen Halle des Palais de l’Air, realisiert von der Association Art et Lumière, Architekten: Audoul, Hartwig, Gerodias, Exposition Internationale des Arts et Techniques, Paris, 1937; im Vordergrund: verschiedene Flugzeugmotoren; Fotograf: Henri Baranger
4
Wiederverzauberung der Welt Aufhebung der Zeit durch einen Sprung in die Zukunft
Zeit: Aufhebung der Zeit Psychologie: Lebenstrieb und Verdrängung Modus Operandi: Einklammerung der Krise zwecks Projizierung in die Nachkrisenzeit
Nach einer Krise oder einer großen Katastrophe, wie sie ein
erachtete Vorstellungen abweist und vom Bewusstsein fernhält.
Krieg darstellen kann, drängt sich die Frage der Identität und
Es sei auch an das Postulat „zu allem Handeln gehört Verges-
der Kultur als Seele einer Gesellschaft geradezu zwingend
sen“ von Nietzsche erinnert,2 der damit auf die lähmende
auf. Wie lässt sich in einer Gesellschaft nach einer Krise oder
Wirkung des Wissens um die Vergangenheit verwies; mithin
einem Konflikt unser kollektives „Sein“ wiederaufbauen, wie
sollten wir uns des Geschichtssinns und der Erinnerung entle-
können die Sehnsüchte nach einem besseren Leben in Frieden,
digen, wenn Letztere uns zu schaden beginnt, lautete die
in Resonanz mit der Gesellschaft und im Gleichgewicht mit
Schlussfolgerung des Philosophen noch vor Freud und dessen
der Umwelt erfüllt werden? Die Antworten fallen den jeweiligen
Theorie der Verdrängung. In diesem Kapitel steht also nicht
Herausforderungen und Bedürfnissen einer Epoche entspre-
das „reinen Tisch machen“ im Fokus, sondern die „Verdrän-
chend unterschiedlich aus.
gung“ als psychische Abwehrstrategie gegen den durch
Der Wunsch nach einer Wiederverzauberung der Welt während
große Krisen ausgelösten Destruktionstrieb, wodurch der
oder nach einer Krise gehorcht einer von den Lebenstrieben
Lebenstrieb wieder die Oberhand gewinnen kann. Welche
befeuerten Dynamik der Selbsterhaltung, Selbstliebe und
Werkzeuge haben Architekt:innen zur Hand, um die Vision
Nächstenliebe, die Freud „Eros“ oder „Libido“ nennt. Es ist
einer besseren Welt zu entwerfen? Inwieweit können Architek-
der Versuch, das Zersprengte wieder zusammenzufügen,
turprojekte eine politische Dimension haben und konkret auf
indem der Destruktions- und Spaltungstrieb neutralisiert wird.
unser Leben einwirken?
Der vereinigende Lebenstrieb kann mit Verdrängung einher-
Der Vorgang der „Wiederverzauberung der Welt“ weist eine
gehen, deren Wesen Freud zufolge „nur in der Abweisung
doppelte Zeitdimension auf und besteht zunächst aus einer
und Fernhaltung vom Bewußten besteht“.1 Verdrängung ist
Aufhebung der Zeit, um sich dem Hier und Jetzt zu entziehen,
die priorisierte Form der Triebabwehr und ein Vorgang, bei dem
und anschließend aus einer Projektion in eine bessere Zukunft.
das Subjekt als unangenehme und als mit dem Ich unvereinbar
Wie schlägt sich diese zeitliche Doppelbewegung bei den
Anmerkungen Seite 166
Aufhebung der Zeit durch einen Sprung in die Zukunft
135
Vernetzung: Vom Global Village zu architektonischen Phantasmagorien Das Aufkommen der Informatik hat auch Sozialwissenschaftler, Schriftstellerinnen, Künstler und Architektinnen dazu animiert, phantasmagorische Vorstellungswelten zu entwickeln, wobei die Möglichkeit einer computervernetzten Menschheit nicht nur neue Perspektiven eröffnete, sondern auch neue Ängste schürte. Diese beiden Aspekte finden sich auch im Buch The Gutenberg Galaxy. The Making of Typographic Man von Marshall McLuhan aus dem Jahr 1962. McLuhan setzte sich kritisch mit dem Beginn des Computerzeitalters auseinander und prägte den Begriff „Global Village“. Er ahnte voraus, dass die „Massenmedien“ die Welt in ein „globales Dorf“ verwandeln würden. Die „Gutenberg-Galaxis“ vereint, wie in Paul Otlets (ebenso vorausschauendem) Projekt, alle verzeichneten menschlichen Kunstwerke und Wissensbestände in sich – in einer Welt, die zu einem riesigen Computer geworden wäre: „Statt sich auf eine riesige alexandrinische Bibliothek hinzubewegen, ist die Welt ein Computer geworden, ein elektronisches Gehirn, wie wir das in einem kindischen Zukunftsroman lesen können. Und so wie unsere Sinne sich
Carl Andre, Essay On Sculpture For E. C. Goossen, 1964, Schreibmaschinenschrift auf Papier, 28 × 21 cm, aus: Carl Andre, Things in Their Elements, London 2011
nach außen begeben haben, so dringt der Große Bruder in
156
uns ein. Folglich werden wir, wenn wir uns dieser Dynamik
entschließt, diese visuelle Technik durch eine elektrische
nicht bewußt sind, schlagartig in eine Phase panischer
Technik einzuschränken, wird auch der Individualismus
Schrecken hineingeraten, was genau zu unserer kleinen, von
eingeschränkt.“61
Stammestrommeln widerhallenden Welt, zu unserer völligen
McLuhan unterstrich die Bedeutung des Übergangs von der
Interdependenz und aufgezwungenen Koexistenz paßt. […]
mündlichen Überlieferung zur schriftlichen, die durch die
Der Terror ist in jeder oralen Gesellschaft der Normalzustand,
Schrift segmentiert und homogenisiert worden sei, während
denn in ihr wirkt allzeit alles auf alles ein. […] In unserem
die neue elektrische Kultur eine Rückkehr zur Stammeskultur
langen Bemühen, für das Abendland wieder eine Einheit
mit sich bringe, die der oralen Kultur ähnle. Unsere „neue
des Empfindens, des Denkens und Fühlens zurückzuerlangen,
elektrische Zivilisation“ stelle „unser Leben wieder auf die
sind wir ebensowenig darauf gefaßt gewesen, die sich aus
Basis einer neuen Stammeskultur“, schrieb er zu Beginn des
einer solchen Einheit ergebende Stammeskultur anzunehmen,
Informatikzeitalters in der Überzeugung, dass die Technologie
wie wir auf die Fragmentierung der menschlichen Psyche
das Selbstverständnis des Menschen tiefgreifend verändern
durch die Buchdruckkultur vorbereitet waren.“60
würde, sowohl individuell als auch kollektiv.62 Die Geschichte
McLuhan stellte die These auf, dass der Buchdruck (im Unter-
hat ihm Recht gegeben.
schied zur Manuskriptkultur) den Menschen individualisiert
Die Rückkehr zur Stammeskultur ist in gewisser Weise eine
bzw. „entkollektiviert“ habe:
Rückkehr zum Archaischen. Die Faszination für das Archaische
„Der Buchdruck bildet die Endphase der Alphabet-Kultur,
findet sich bei David Greene, dem Mitbegründer der britischen
die den Menschen in erster Linie aus dem Stammesverband
Architektengruppe Archigram, ebenso wieder wie bei den
gerissen oder entkollektiviert hat. […] Der Buchdruck ist die
amerikanischen Minimalisten mit ihren rätselhaften, stummen
Technik des Individualismus. Wenn nun die Menschheit sich
Gegenständen, die wie aus vorgeschichtlichen Zeiten zu
Wiederverzauberung der Welt
Anmerkungen Seite 167
stammen scheinen, als die Schrift noch nicht erfunden war. Die Auflösung der Sprache im Sinne herkömmlicher Sprachformen vollzog bereits Kurt Schwitters mit seiner Ursonate (1922 –1932) nach dem Trauma des Ersten Weltkriegs, wobei Raketengeräusche die Satzstrukturen zerstören. Nach dem darauffolgenden Krieg setzte gegen Ende der 1950er Jahre die Wiener Gruppe (Achleitner, Artmann, Bayer, Rühm, Wiener) diese auflösend-neukomponierende experimentelle Tendenz mit Lautgedichten, Atemgedichten, Partituren und bildhaften „Topologien der Sprache“ (Konrad Bayer) fort – so, als ob nach einer schweren Katastrophe
Hans Hollein, Mobiles Büro, 1969, Installation, Foto und Film: Hans Hollein beim Zwischenstopp mit Reißbrett und Telefon am Flugfeld Aspern bei Wien
die Sprache selbst erst wieder neu erfunden werden müsste. Carl Andre, den der Besuch
dass die Zeichnung seines Hauses bald fertig sei. Der Kurzfilm
von Stonehenge 1954 tief beeindruckt hatte, schuf Anfang
Mobiles Büro feierte eine Erfindung, die uns dank des Telefons,
der 1960er Jahre Schriftbilder, in denen er die Sprache, völlig
das Hollein sich hellsichtig als drahtloses, mobiles Gerät vor-
sinnentleert, auf Wortgebilde reduzierte (…cockcockcock…)
stellte, von räumlichen Zwängen befreit. Allein die Vorstellung
und sie zu Rechtecken oder anderen geometrischen Figuren
einer Vernetzung des gesamten Globus und einer Mobilität
anordnete. Die Form gewann die Oberhand über den Inhalt,
ohne Einschränkungen stellte schon damals die Kultur- und
die geschriebene Sprache verschwand in abstrakten Figuren.
Weltsicht auf den Kopf.
Seine massiven, dunklen Skulpturen, auch aus unbehandeltem Holz, scheinen mehr der oralen, altüberlieferten und tribalistischen Tradition verbunden zu sein als der Schrifttradition. Schon lange vor dem Internet war die Vorstellung einer Ver-
Archigram, David Greene: Rokplug und Logplug, 1969
netzung der ganzen Welt, einer generalisierten Zusammenschaltung aller Erdbewohner:innen ein Traum, der viele
Ungefähr zur selben Zeit, als Cedric Price den Fun Palace ent-
Künstler:innen und Architekt:innen inspirierte, die über neue
warf, machte sich eine Gruppe junger Londoner Architekten
Wege nachdachten, die Erde zu bewohnen, beispielsweise in
daran, in Abkehr von der funktionalistischen Nachkriegsarchi-
mobilen und ultravernetzten Kapseln. 1969 erfand Hans Hollein
tektur des Wiederaufbaus eine andere Art des Bauens zu er-
ein ephemeres, aufblasbares, mobiles Büro, das überall aufge-
finden, die die Welt ein Stück weit wiederverzaubern könnte.
stellt und beliebig umgestellt werden konnte. Er ließ sich filmen,
Aus der Popkultur kommend, versuchten sie die Kriegszeit
wie er in einer Blase auf dem Boden sitzt, ein Zeichenbrett auf
und die darauf folgenden Krisenjahre mit ihren Erzählungen
den Knien; im Hintergrund sind Sportflugzeuge zu sehen. Als
und Architekturfantasien schnellstmöglich zu vergessen. Die
sein Telefon klingelt, hebt er ab und erklärt seinem Kunden,
Jugend hatte damals nur einen Wunsch: sich schleunigst von
Anmerkungen Seite 167
Archigram, David Greene: Rokplug und Logplug
157
Smart City Taiwan: https://www.twsmartcity.org.tw/en
Moderator: Guillaume Erner, 28. 9.2020: https://www.radiofrance.fr/
(zuletzt aufgerufen am 6.4.2023).
franceculture/podcasts/l-invite-e-des-matins/confines-deconfines-re
Williams, Alex und Srnicek, Nick, #Beschleunigungsmanifest für eine
confines-que-faire-de-notre-incertitude-avec-francois-hartog-et-
akzelerationistische Politik (2013), übers. von Samir Sellami und
frederic-worms-5412638 (zuletzt aufgerufen am 14. 4.2023).
Frederik Tidén, online: https://www.designing-history.world/beschleu
Rosa, Hartmut, Quelles relations aux autres dans la société moderne?,
nigungsmanifest-fuer-eine-akzelerationistische-politik/ (zuletzt aufgeru-
Radiosendung von France Culture, 26. 9. 2018: https://www.francecul
fen am 16.3.2023).
ture.fr/emissions/la-grande-table-2eme-partie/quelles-relations-auxautres-dans-la-societe-moderne
Wörterbücher Bailly, Wörterbuch Griechisch–Französisch (1894), Paris 1935. Chantraine, Pierre, Dictionnaire étymologique de la langue grecque, Paris 1968. Dictionnaire de l’académie française, 5e éd., Paris, 1798. Dictionnaire étymologique CNRTL des CNRS (Centre national de la recherche scientifique). Duden. Das große Fremdwörterbuch, Mannheim 2007. Gaffiot, Wörterbuch Lateinisch– Französisch, Paris 1934. Larousse: https://www.larousse.fr/dictionnaires/francais/rituel/69584 Le Robert: https://dictionnaire.lerobert.com/definition/contretemps Musiklexikon online: https://musikwissenschaften.de/lexikon/v/ver zoegerung/ TLFi, Le Trésor de la Langue Française informatisé: http://stella.atilf.fr/
Radio Audoin-Rouzeau, Stéphane, Il y a un imaginaire de fin de guerre qui, avec la crise du Covid-19, n’arrivera jamais, Radiosendung von France Culture, 15.4.2020: https://www.franceculture.fr/emissions/linvite-desmatins/stephane-audoin-rouzeau-est-linvite-des-matins (zuletzt aufgerufen am 10.1. 2023). Castel, Pierre-Henri, Pollution, inondations, contaminations: comment vivre avec la peur?, Radiosendung von France Culture: L’Invité(e) des Matins, Moderator: Guillaume Erner, 28.10.2019 a: https://www.franceculture.fr/emissions/linvite-des-matins/pollution-inondations-contami nations-comment-vivre-avec-la-peur (zuletzt aufgerufen am 3.1. 2023). Castel, Pierre-Henri, Effondrement: 2019 ou la fin des temps?, Radiosendung von France Culture: L’Invité(e) des Matins, Moderator: Guillaume Erner, 31.12.2019 b: https://www.radiofrance.fr/francecul ture/podcasts/l-invite-e-des-matins/effondrement-2019-ou-la-fin-destemps-2355938 (zuletzt aufgerufen am 3.1.2023). Gayraud, Agnes in einer Radiosendung von France Culture, Reihe „69, année philosophique“, Folge 2/4: „Adorno, mort d’un antimoderne“, 1.10. 2019: https://www.radiofrance.fr/franceculture/pod casts/les-chemins-de-la-philosophie/adorno-mort-d-un-anti-moderne5117463 (zuletzt aufgerufen am 3.1.2023). Hartog, François, Confinés, déconfinés, reconfinés: que faire de notre incertitude?, Radiosendung von France Culture: L’Invité(e) des Matins,
192
Anhang
Index
Bakunin, Michail 85
Chenal, Pierre 114
Bangkok 122, 124
Chiattone, Mario 104
Banham, Reyner 151
Chipiez, Charles 138
Absolutismus 38, 44
Barcelona 117
Chirico, Giorgio de 6, 168f., 172
Achleitner, Friedrich 157
Bard, Jean 81
Chronos 27, 32, 146, 174, 176
Adorno, Theodor W. 12, 17, 30
Baron, Erich 85, 97
Churchill, Winston 149
Agrargenossenschaft 73f.
Baumgarten, Siegmund Jacob 18
Cité Mondiale 136
Agrarreform 68
Bayer, Konrad 157
Città Nuova 103–106, 131
Ahrenberg, Theodor 146
Belviso, Francesca 102, 131
Colbert, Jean-Baptiste 113, 127
Aisthetik 31, 82, 96, 119
Benedikt von Nursia 177
Computermensch 147f., 162, 172
Akzelerationismus 120f., 123, 171
Benjamin, Walter 61, 64f., 73, 93, 95, 106,
Conrad, Peter 178, 180
akzelerationistisch 106, 121, 123ff., 130, 133
131, 173ff., 176
contretemps/contre-espaces 172, 176
Algier 117
Bergson, Henri 176
Cues, Nicolaus von 22, 31
Alloway, Lawrence 151, 166
Bernoulli, Hans 74, 96
Altmann-Loos, Elsie 95
Berthault, Louis-Martin 43
D’Annunzio, Gabriele 101
Amaldi, Paolo 88, 97, 104, 131, 166
Beschleunigung 7f., 10f., 15–18, 20f., 24, 28,
Dalí, Salvador 173
Anarchitecture 118, 132
29, 68, 86, 92, 99, 102, 108, 115, 119f., 124,
Damaschke, Adolf 74
Anders, Günther 13
130, 142, 171, 178, 180
Dante 16, 37
Angst 7, 11, 13, 26, 30, 165, 169, 173
Beschleunigung(sdynamik) 121, 130
David, Jacques-Louis 41ff., 60f
Anthropozän 24, 57, 174
Bezos, Jeff 129
Delaunay, Robert 135, 143f.
Antwerpen 117
BIG (Bjarke Ingels Group) 125ff, 129f., 133
Delécluze, Étienne-Jean 60f.
Apokalypse 11, 13, 21, 24, 26, 30, 35, 106,
Birobidschan 83
Demiurg, demiurgisch 89, 116, 126, 128
178, 182
Blum, Léon 144
Dessauer Bauhaus 75, 83, 97
_ architektonische 86, 97
Boccioni, Umberto 106
Destruktion(strieb) 14ff., 28, 38f., 41f., 45,
apollinisch 20, 100, 118
Bodenreform 74, 96, 107
60, 70, 99, 117, 119, 132, 135
Appia, Adolphe 150
Böhme, Gernot 18, 31, 82, 96
Detroit 120f.
Archaismus 8, 28f, 35, 44, 55ff., 58, 165, 169
Bois, Marcel 97
Deutsche Gartenstadtgesellschaft 84
Arché 28, 35, 54, 165, 170
Booth, Andrew 151
Diderot, Denis 42
Archetypus (-typisch) 28, 35 –38, 41, 43, 47,
Borromini, Francesco 142, 166
Dietzgen, Josef 65, 95
49, 50 –55, 57ff., 60, 63, 138, 141f., 170
Botticelli, Sandro 37
dionysisch 20, 39, 46, 100ff., 116, 118ff, 155,
Archigram 156–159, 161f., 165, 167, 172
Boullée, Étienne-Louis 40ff.
158, 165, 171ff.
Arendt, Hannah 35, 50, 60f., 65, 147, 166
Braillard, Maurice 94, 96, 107
Directoire-Stil 42, 44
Artmann, H. C. 157
Bramante, Donato 142, 166
Dissonanz 18
Ashby, Ross 152, 166
Brasilia 117
Doktrin 110
Ästhetik (ästhetisch) 7f., 12f., 16 –20, 26ff.,
Brecht, Bert 150, 153
Doumergue, Gaston 144
31f., 35, 37f., 41– 44, 46f., 49, 56 – 59, 63, 69,
Breitenborn 75
Dubut, Louis-Ambroise 179
73f., 78, 82ff., 87, 91– 94, 100, 104ff., 115f.,
Brunelleschi 181
Dufy, Raoul 144
118f, 123, 130, 135, 144, 160, 165, 169 –172
Bruschi, Arnoldo 142, 166
Durand, Jean-Nicolas-Louis 40f., 43, 59,
Ästhetisierung 82, 102, 106
Büchner, Ludwig 24, 32, 137
60, 170, 179
Attali, Jacques 10, 30
Buckminster Fuller, Richard 149, 151
Attlee, Clement 149, 166
Buenos aires 117
Attlee, James 118, 132
Egli, Ernst 70 Einstein, Albert 25, 182
Aublet, Felix 135, 143f.
Carli, Mario 106
Empire-Stil 42
Auböck, Carl 61
Carlyle, Thomas 178, 180
Ende aller Dinge/Zeiten 21ff., 25f., 32, 95,
Aufhebung von Zeit 8, 16f., 28, 29, 37,
Castel, Pierre-Henri 13f., 30, 176
175, 178, 180
135, 172
Centre Pompidou 119, 155
Engels, Friedrich 70, 85, 95
Aufklärung 15, 21f., 24, 38, 42, 60, 64,
Chamberlain, Neville 150
Enthoven, Raphaël 25, 32
123, 178
Chauvier, Éric 26, 32
Entropie 99, 117ff.
Index
193
Gesell, Silvio 74f.
124, 130, 171, 179
Gibson, William 129
Epstein, Jean 114
Goethe, Johann Wolfgang von 25
Jäggi, Bernhard 74f., 78
Erner, Guillaume 13, 30, 166, 176
GOR (Groupe des Objets Révolutionnaires)
Jeanneret, Pierre 114, 132, 166
Eros 15, 31, 55, 99, 135, 172
173, 176
Johnson, Philip 49
Ethik 28, 39, 47f.
Green City 124, 130, 133
Jung, C. G. 35f., 38, 52, 58, 60
Euklid 37
Grenoble 146
Experimentum Mundi 63, 82
Gropius, Walter 83
Kairos 27f., 32, 172, 174
Expressionismus 86, 91, 97, 182
Gruntz, Lukas 96
Kalter Krieg 50, 55, 148
Guevrekian, Gabriel 182
Kant, Immanuel 12, 21– 26, 28, 31f., 64, 95,
Guggenheim 94, 146
173, 176, 178f., 180, 181
Fenichel, Otto 15
Kapitalismus 45, 63f., 67, 73, 93f., 118, 120ff.,
Feuerstein, Günther 61 Fiktion 8, 14, 18f., 86, 90, 119, 126, 129f., 147,
Hamilton, Richard 151, 166
124, 133
158, 169, 175, 181
Hartog, François 19, 25, 27, 32, 147f., 166,
Katastrophe 7, 10–14, 20f., 31, 49, 55, 63, 65,
Fischer, Theodor 84
174, 176, 181
113, 116, 118, 122, 124, 131, 135, 141, 147, 157,
Fleming, Billy 126
Hartwig, René 135
173, 175, 177f.
Fœssel, Michaël 11, 30, 32, 178, 180
Haus mit einer Mauer 69, 71f.
Katastrophismus 182
Ford, Henry 121
Haussmann, Georges-Eugène 107, 109
Kaufmann, Emil 178f., 180
Fortschritt 6, 7f., 10f., 13ff., 22 – 25, 28, 31,
Heidegger, Martin 12, 27, 155, 167
Keynes, John Maynard 122
41f., 48f., 50, 53, 56, 59, 64ff., 68, 73, 83f., 92f.,
Heinrich VIII. 177
Kierkegaard, Søren 13, 30
99, 108, 115, 117–121, 123f., 128, 141, 145–148,
Heisenberg, Werner 152
King, Martin Luther 117
155, 165, 169–175, 178f., 181
Herder, Johann Gottfried 24, 32
Klee, Paul 64f.
Fourier, Joseph 65, 95
Hitchcock, Henry-Russell 49
Klenze, Leo von 40
Frank, Josef 70
Hitler, Adolf 97, 144, 146, 150
Kolbe, Georg 182
Franz, Marie-Louise von 60
Hoffmann, Franz 84
Kollaps 13, 20f., 30
Französische Revolution 22, 24ff., 38, 42ff.,
Hoffmann, Theodor 77ff., 81
Kollapsologie 11, 64
59, 170, 178, 180
Hölderlin, Friedrich 85
Kölner Werkbundausstellung 84
Freidorf 73–83, 92f., 96, 170
holistischer Kosmos 92
Kolumbus, Christoph 177
Freud, Sigmund 6, 14ff., 20, 30f., 36, 42, 53,
Hollein, Hans 33, 50– 55, 59, 61, 157, 166, 170
Konsonanz 18
55, 60f., 99, 131f., 135, 166, 173
Hollywood 14, 145
Konterrevolution 26
Fried, Michael 43, 60
Holzmeister, Clemens 51
Koolhaas, Rem 93
Friedrich, Caspar David 88, 97
Hoppen, Donald W. 61
Koselleck, Reinhart 22, 31f., 95, 178, 180
Frugès, Henry 113
Howard, Ebenezer 66–70, 73ff., 77, 83, 89,
Krause, Emil 63, 70
Fuhrmann, Ernst 85
92ff., 95, 107, 170
Krise 7f., 10f., 12, 13f., 16–19, 20f., 25 –28, 36,
Fun Palace 148ff., 152–155, 157, 159, 165,
Hufeisensiedlung 83, 90f. 97
44f., 49ff., 55f., 64, 66, 69, 73, 91, 94, 99, 101,
166f., 172
Huizinga, Johan 48
107, 115ff., 120f., 124, 130, 135, 141, 143f., 146,
Funktionalismus 46ff., 50 –53, 59, 82f., 106,
Hundertwasser, Friedensreich 51, 55, 61
148f., 159, 165, 169, 171–175, 178, 181
110, 117, 147, 171
Hüttenau 75
Kristallpalast 67, 86, 90– 93, 170
Futurismus, Futuristen 101 –106, 115f., 120f.,
Kropotkin, Pjotr 85 ICON Build 129
Krupp 75
Idealstadt 37f., 65, 84, 92
Kulturzustand 67
Gartenstadt 65–69, 73 – 76, 79, 83f., 88 –92,
Immeuble-Villas (Villen-Block) 112f.
Kunst 12, 16–20, 27, 37, 41– 46, 48, 51, 55, 59,
94, 95, 107, 112f., 130, 170
In-der-Welt-sein 12, 17, 20f., 54, 58, 101, 119,
50, 80ff., 85, 91, 97, 100ff., 104ff., 108f., 114,
Gayraud, Agnès 12, 17, 30
155, 163, 165, 173
116, 119, 123, 126, 136, 144, 146, 149, 163f., 170
Genf 94, 96, 107, 136, 138f., 141
Indeterminismus 152f., 155, 167
künstliche Intelligenz 127f.
George, Henry 74f., 96
Industrialisierung 24f., 41f., 64, 84, 102, 116
Kybernetik 147f., 152 –155, 161, 172
Gerodias, Jack 135
industrielle Revolution 66, 151f.
Gérôme, Jean-Léon 44
Instant City 159
123, 125, 130, 131, 147, 171, 176
194
Ishigami, Junya 55– 59, 61 170
Entschleunigung 8, 28, 29, 63f., 73, 86, 92,
Anhang
Laban, Rudolf von 45f., 61, 150
Labbé, Edmond 144, 166
_ Alles ist Architektur 53
Morasso, Mario 102
La Estampa Méxicana 83
_ Anarchitektur 132, 171
More, Thomas 177
La Fontaine, Henri 141
_ Architektur mit Händen 51
Moses, Robert 118
Laland, André 177, 180
_ Die futuristische Architektur 104
Moya, Hidalgo 149
Lamartine, Alphonse de 24f., 32
_ Kommunistisches Manifest 133
Muchina, Vera 144
Landauer, Gustav 85f.
_ Manifest der Moderne 115
Mundaneum 136–139, 141, 166, 172
Ländlichkeit 8, 28, 29, 45, 63f., 68, 91ff., 130,
_ Manifest des Futurismus 101–104, 106, 123,
Musée esthétique 140, 142
170 lange Dauer 174 Lapauze, Henri 60
131, 176 _ Manifest für die Genossenschaftsbewegung 91
Museum mit unbegrenztem Wachstum 136, 140–146, 165, 172 Musk, Elon 129
Larousse, Pierre 61
_ Museumsmanifest 165
Mussolini, Benito 101f., 106, 113, 131, 143
Latour, Bruno 10, 13, 30, 173ff., 176
_ terrestrisches Manifest 30, 176
Muttenz bei Basel 73f
Laurana, Luciano 38
_ Verschimmelungsmanifest 51, 61
Lebensreform(bewegung) 45f., 49, 64, 83f.,
Margarethenhöhe 75
Napoleon Bonaparte 41f., 44, 60
86
Marinetti, Filippo Tommaso 101–106, 123,
NASA 128f.
Lebenstrieb 15ff., 28, 31, 37, 63, 99, 135, 172
131, 171, 176
Nationalmuseum für westliche Kunst 146f.
Le Corbusier 53, 55, 61, 83, 97, 104, 106 –119,
Marot, Sébastien 94
Naturzustand 28, 45f., 59, 63, 67, 92
127, 130, 132, 136, 138–147, 166, 171f., 178,
Marx, Karl 45, 67, 85, 95, 120, 133
Netzwerk 137, 148, 159ff., 162
180, 181f.
Maschinenmensch 147
neue Welt 8, 28, 54, 73, 80f., 84, 86, 89, 96,
Ledoux, Claude-Nicolas 41, 178f., 180
Masterplanet 125f., 128f., 133, 171
100, 102, 116, 172
Legrand, Jacques-Guillaume 38
Materialität 7, 58, 79, 138, 144, 182
Neumann, John von 151f., 166
Leibniz, Gottfried Wilhelm 22, 31, 64, 95
Mathews, Stanley 151, 166f.
Neurath, Otto 141
Lenoir, Nicolas 60
Matta-Clark, Gordon 99, 117ff., 132
Newby, Frank 149, 151
Letchworth 69
Mayer, Hugo 63, 70
Newton, Isaac 41
Lévi-Strauss, Claude 25, 32, 174, 176, 181
Meisenbach, Johann Adam 45
New York 47, 51, 65, 94, 104, 113, 117f., 161
Licklider, J. C. R. 148, 166
Mendelsohn, Erich 182
Niemeyer, Oscar 117
Liszt, Franz 16
Mengel, Johannes 97
Nietzsche, Friedrich 18, 20, 31, 46, 85,
Littlewood, Joan 148 –155, 166f., 172
Mengel, Margarete 83, 97
99–103, 107, 114, 116, 120, 131ff., 135, 166,
London 66, 69, 113, 131, 146, 149ff., 154,
Menke, Christoph 18, 31
171, 176, 178, 180
161
Mensch, René 97
Nishizawa, Ryūe 162ff., 172
Loos, Adolf 63, 69 –74, 77f., 84, 92f., 95f.,
Mensch-Computer-Symbiose 148, 155, 159f.
Nuove Tendenze 104
170, 182
Metzendorfs Atelier 75
Loos, Claire 95
Meumann, Klaus 97
Obsoleszenz 159,176
Loos, Lina 95
Meyer, Hannes 69, 73– 84, 92f., 96f., 170
Olbrich, Joseph Maria 104
Louis-XVI-Stil 42
Meyerhold, W. E. 150
OMA 120, 124
Ludwig XIV. 38
Mies van der Rohe, Ludwig 182
ontologische Krise 7, 36, 47, 49, 50f., 56, 99,
Moderne 7, 11, 17, 20, 46f., 49, 56, 73, 82f.,
116, 148, 159, 165, 169, 172
MacColl, Ewan 150
104, 106f., 114 –117, 120f., 123, 128, 130, 147,
Otlet, Paul 136–139, 141, 146f., 156, 165,
Malabou, Catherine 28, 32, 155, 176
171, 177ff., 180, 181f.
166, 172
Malewitsch, Kasimir 182
Möhring, Bruno 84
Owen, Robert 75
Mallet-Stevens, Robert 144, 182
Molinos, Jacques 38
Malraux, André 117
Mondothèque 137
Pais, Filipe 173, 176
Manhattan 52
Montagnard 39
Palais de Compiègne 60
Manifest
Montaigne, Michel de 22, 31
Palais de l’Air 135, 143
_ #ACCELERATE MANIFESTO #Beschleuni-
Montecassino 177
Palais de Trocadero 144
gungsmanifest für eine akzelerationistische
Monte Verità 45f., 101
Palais Royal 60, 109
Politik 121ff., 125, 128, 130, 133
Montevideo 117
Palladio, Andrea 79, 83
Monzie, Anatole de 114
Pandemie 10, 127
_ Absolute Architektur 52, 61, 170
Index
195
Panthéon 35, 38, 119
Raum-Zeit 8, 16, 27, 43, 46f., 49, 50, 55, 84,
Schumpeter, Joseph 64, 120ff., 130, 133, 171
Paradigmenwechsel 41, 56, 118, 146f., 165, 169
92, 103
Schütte-Lihotzky, Margarete 69, 71–74, 95, 170
Paris 39, 42, 55, 99, 102, 106–110, 112ff.,
raumzeitlich 18f., 28, 35ff., 58, 84, 91, 119,
Schwarzwald, Eugenie 72
117ff., 132, 155
146, 169ff.
SEArch+ 129
Pariser Weltausstellung 1937 135, 142 – 146,
Recamier, Juliette 43, 45
Selbstverwaltung 75f. 79, 170
166, 178
Red Megaphones 150
Sell, Madlen 55, 61
Pascal, Blaise 9, 30
Reduktion 41f., 49, 60, 63, 71, 74, 84, 92f.,
Semper, Gottfried 53
Pask, Gordon 152ff., 167
169ff.
Seneca 20
Pasmore, Victor 151, 166
régimes d’historicité 19, 25, 32, 166
Sergent-Marceau 39, 60
Pavillon de l’Esprit Nouveau 112f., 115, 144
Reich, Wilhelm 15
Serres, Michel 173, 176
Pavillon de la Lumière 144
Religion 17, 37, 39, 44, 47, 59, 89, 93, 164, 178
Servigne, Pablo 11, 30
Pavillon des Temps Nouveaux 114, 144ff.
Renaissance 22, 37, 79, 181
Siedlerbewegung 69
Perrot, Georges 138
Resonanz 17f., 31, 37, 44f., 47, 49, 51, 55, 58f.,
Siedlung Freidorf 73– 80, 82f., 92f., 96, 170
Perugino 43
61, 63, 65, 69, 79, 93, 117, 135, 169f., 175
Siedlung Friedensstadt 72
Pestalozzi, Johann Heinrich 75
Resonanzachsen 17, 37, 44, 59
Siedlung Rosenhügel 63, 70
Philippeville (Skikda) 146
Revolution (Baukunst oder) 112f., 116, 132
Siedlungsgenossenschaft 73, 76
Piano, Renzo 155
revolutionäre Ordnung 40
Skylon 149
Pichler, Walter 51f., 54, 61
Rio de Janeiro 117
Smart (Cyber) City 121, 124, 128, 130, 133
Pierrefeu, François de 61
Ritual 8, 12, 19f., 39, 44, 46f., 51ff., 55, 57, 59,
Smithson, Robert und Alison 118
Piketty, Thomas 10, 26, 30
100, 119, 169, 171, 177
Sokrates 37
Plan Cerdà 107
Robert, Hubert 178, 180
Solano, Solita 73, 96
Plan de Paris 108ff., 132
Robespierre, Maximilien de 42, 60
Sombart, Werner 120, 133
Plan Voisin 106ff., 109f., 113ff., 132
Rogers, Richard 155
Sorel, Georges 102
Platon 37
Rosa, Hartmut 17f., 31, 37, 44, 51, 59, 60f., 69,
Soria y Mata, Arturo 107
Plug-in City 159
179, 180
Speer, Albert 144
Popper, Karl 152, 155, 167
Rosenberg, Harold 118
Spence, Thomas 68, 95
Portoghesi, Paolo 142, 166
Rosenblum, Robert 42, 60f.
Spencer, Herbert 68
Postmoderne 119, 181
Rousseau, Jean-Jacques 22, 64, 179
Spieltheorie 151f., 154
Potié, Philippe 35, 60
Rudofsky, Bernard 46–49, 50, 59, 61, 103, 170
Spiralform 124, 140 –143
Powell, Philip 149
Rudofsky, Berta 47, 61
Sprung in Raum und Zeit 28, 35, 46, 58, 170
Prachensky, Markus 51, 55, 61
Rühm, Gerhard 157
Srnicek, Nick 121ff., 125, 127, 133
Präraffaeliten 43
Russolo, Luigi 106
Stammeskultur 156
Präsentismus 25 Sagan, Carl 125
142, 147
Primitivismus 121
Salzburg 52
Steinmann, Martin 91, 95, 97
Psychoanalyse des Kleides 47f.
Sant’Elia, Antonio 101, 103 –107, 115, 119,
Stevens, Raphaël 11, 30
Püschel, Konrad 97
123f., 131
Stockholm 117
São Paulo 117
Sublimierung 14, 16f., 28, 39, 63f., 82, 92f.,
Saramago, José 173, 176
99f., 119, 132, 170f.
Sartoris, Alberto 104
Szambien, Werner 60
Quasi-Objekt 173, 176
196
Standardisierung 74f., 78f., 81ff., 93, 137,
Price, Cedric 148f., 151–155, 157, 159, 167, 172
Rabhi, Pierre 93, 97
Schär, Friedrich 74
Raffael 43
Schaudt, Emil 74
Tabula rasa 28, 100ff., 107, 112f., 115ff., 171
Rainer, Arnulf 51, 55, 61
Scheerbart, Paul 85–88, 90, 93, 97, 174
Taipei 121
Rainer, Roland 61
Scheeren, Ole 122, 124, 133
Taller de Gráfica Popular 83
Rancière, Jacques 18f., 31, 57, 61, 73, 82, 97,
Scheffler, Béla 97
Taut, Bruno 69, 73, 83–93, 97, 170
119, 133
Schinkel, Karl Friedrich 88, 97
Temporal, Marcel 108
Räumlichkeit 16, 42, 181
Schlegel, Friedrich 25, 32
Tempus 22, 28, 169
Raumstadtkonzept 159
schöpferische Zerstörung 64, 120f., 130, 171
Ternaux, Louis Mortimer 60
Anhang
Teshima Art Museum 162 –165, 172
Wien 50, 52f., 69f., 73, 77, 15
Thanatos 15f., 55, 99
Wiener Avantgarde 52
Theater Co-op 81
Wiener Gruppe 157
Theatre of Action 150
Wiener, Norbert 148, 152
Theatre Union 150
Wiener, Oswald 157
Thermidor 22
Williams, Alex 121–125, 127, 133
Thibault, Jean-Thomas 40f.
Winckelmann, Johann 18
Thom, René 12, 30, 180
Wittmer, Hans 83
Tokio 146
Wright, Frank Lloyd 50, 61
Tolstoi, Lew 85 Tolziner, Philipp 97
Xenakis, Iannis 182
Town-Country 65f. Trédé-Boulmer, Monique 27, 32
Yeampierre, Elizabeth 127
Treves, Claudio 101, 131
Younès, Chris 35, 60, 165
Turing, Alan M. 152 Zeitkrise 25 Übergangsritus 55, 59
Zeitlichkeit 8, 16, 19, 35, 42, 68, 90, 100,
Ukraine 10, 125
105, 119, 151, 155, 163ff., 169f., 175, 181f
Universalcomputer 152
Zeitmaschine 155
Universalismus 123
Zeitobjekte 163
Universalität 118
Zerstörung 11, 13 –16, 26, 71, 99f., 105f.,
Universalkultur 140
116 –121, 130, 133, 136, 147, 171
Universallehre 169
Zikkurrat 138, 141
universeller Sozialismus 89, 93
Zirkularität 154
Urban, Antonin 97
Zschokke, Heinrich 75
Ureinwohner (elektrifizierte) 161f., 165
Zusammenbruch 11, 13f., 20f., 59, 118,
Ursprung, Philip 118, 132
121f., 136
Utopie/Dystopie 10, 12, 84, 89, 91, 112f., 124ff., 129f., 155, 161f., 171, 180 Verdrängung 16, 28, 135, 166, 172 Vergil 37 Ville (cité) radieuse 111, 116f., 119, 130, 171 Virilio, Paul 179, 180 Vischer, Robert 96 Vitruv 41 Voisin, Gabriel (Plan V.) 106 –110, 113ff., 132 Wagner, Martin 91 Wagner, Otto 53, 104, 107 Wahrnehmung von Raum/Zeit 16, 19, 22, 27, 32, 57, 141, 163ff., 166 Wailly, Charles de 35, 38 Walking Architecture 161 Warhol, Andy 118 Weiner, Tibor 97 Weltbibliothek 136f., 140f., 147 Welwyn 69
Index
197