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Einleitung
Die Poesie der Bewegung in der Architektur Michael Schumacher
Der Finger fährt tastend über die kühle, glatte Oberfläche des iPhones und findet die vertiefte Kuhle des Schalters. Ein wohlkalkulierter Druck, ein Anschlagspunkt, und der Bildschirm leuchtet auf. Die Information „entriegeln“ erscheint. Die graphische Gestaltung der Benutzeroberfläche macht unmittelbar verständlich, dass es sich dabei um einen Schiebeschalter handelt. Der Finger berührt nur ganz zart die Glasoberfläche und ohne jeden Gegendruck, ohne jede Reibung folgt der virtuelle Schalter der Bewegung des Fingers und gleitet zur Seite; das Gerät wird freigegeben. Der Kalender erscheint und mit dem Daumen „scrollt“ man sich durch den Tag. Schiebt man zu energisch, schlägt die Liste der 24 Stunden des Tages oben oder unten an und federt leicht zurück. Eigentlich eine völlig unsinnige Funktion, bedenkt man, dass es sich nicht um eine mechanische Bewegung handelt. Ein schmaler schwarzer Balken auf der linken Seite bewegt sich in Gegenrichtung zur „scroll“-Bewegung, zu den Stunden des Tages, und erweckt den Eindruck eines Gegengewichtes. Bei der Suche im Internet, dieser wundervollen Maschine des 21. Jahrhunderts, ist alles winzig und um diesen Nachteil auszugleichen „zieht“ man mit Daumen und Zeigefinder das sogenannte „Fenster“ auf. Das Bild oder der Text werden immer größer, bis auch hier eine federnde Begrenzung einsetzt und die Hoffnung – in dem Film von Ray und Charles Eames The Powers of Ten so schön dargestellt –, durch kontinuierliche Vergrößerung in die Molekularstruktur des Universums einzutauchen, enttäuscht wird. Man kann nicht alles haben, aber im-
merhin führt uns das perfekte Produkt des elektronischen Zeitalters eindringlich die Poesie der Bewegung vor – der Bewegung, deren „natürliches“ Umfeld doch eigentlich die physische Welt ist, in der sich tatsächlich etwas bewegt, das Volumen und Gewicht hat. Was macht diese Faszination aus, wann ist eine Bewegung schön, interessant, wann ist sie plump und langweilig? Bewegung und Geschwindigkeit Eine immanente Eigenschaft von Bewegung ist die Geschwindigkeit, in der sie abläuft. Ohne Geschwindigkeit, beziehungsweise den Wechsel zwischen unterschiedlichen Zuständen, gibt es keine Bewegung. Bewegung entsteht durch eine Lageveränderung aus dem Ruhezustand über Beschleunigungsoder Abbremsvorgänge zurück in den Ruhezustand. Die Veränderung der Geschwindigkeit gestaltet sich in der Regel, den Gesetzen der Physik folgend, in etwa linear, gleichmäßig schneller und dann gleichmäßig langsamer werden, bis zum Stillstand. So öffnen wir eine Tür, ziehen eine Schublade heraus oder schließen die Schlagläden am Haus. Diese vom Stillstand über einen mehr oder weniger kontinuierlichen Anstieg bis zum Wendepunkt wieder zum Stillstand verlaufende Bewegung lässt sich gestalten. Wenn sie scheinbar ansatzlos und völlig gleichmäßig verläuft, verblüfft sie uns. Die Vorrichtung zur Aufnahme einer CD oder DVD funktioniert so. Die Bewegung ist dabei extrem kontrolliert. Kineastisch dramatisiert wurde dieser Aspekt der Bewegung in Stanley Kubriks Science-Fiction-Film 2001 – Odys-
see im Weltraum und gelangte zu Weltruhm. Der letzte überlebende Astronaut der Mission schaltet den alles kontrollierenden Bordcomputer HAL aus. Das geschieht dadurch, dass glasklare Module (nicht solche mit integrierten Schaltkreisen, sondern ein faszinierendes Nichts), die das Gehirn von HAL bilden, sich lautlos und völlig gleichmäßig langsam aus ihren Schächten herausschieben. HAL verliert dabei allmählich sein Gedächtnis, seine Stimme wird tiefer, und am Ende kann er nur noch Kinderlieder singen, das einzige, woran er sich erinnert. Die Langsamkeit und Gleichmäßigkeit der Schiebebewegung ist der Grund für die Magie der Bewegung und vermittelt uns eindringlich, um welchen dramatischen Akt es an dieser Stelle des Filmes geht. Bewegung und Form Bewegliche Dinge sind wie alle Dinge durch spezifische Formen charakterisiert. Aber die Definition der Form ist komplexer als bei statischen Gegenständen, da sich die Form durch die Bewegung verändert. Es geht in der Architektur häufig um die funktionale und gestalterische Kontrolle von drei Zuständen: geschlossen, geöffnet und der Zustand der Bewegung dazwischen. Eine Tür passt in geschlossenem Zustand perfekt in die Zarge. Beim Öffnen steht sie häufig irgendwie im Raum und findet in der Regel auch keine „schöne“ Öffnungsposition. In gewisser Weise wartet die Tür darauf, wieder geschlossen zu werden, um einen guten Ort zu finden. Türen in den dicken Mauern von alten Schlössern finden häufig eine Öffnungsposition, die ästhetisch mehr befriedigt.
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2001 – Odyssee im Weltraum, MGM, 1968
26
Theorie und Planung
1.4 Über das Verhältnis von Roboter und Raum Jan Zappe
Roboter sind bewegliche Architekturen. Ihr Verhältnis zur Architektur ist vielfältig und lässt sich aus den unterschiedlichsten Perspektiven betrachten. So kann man einen Roboter als kleines Architekturmodell für ein gigantisches bewegliches Gebäude auffassen, das seine äußere Form zu wandeln vermag. Oder man kann ihn als ein innenarchitektoni-
Arbeitsraum eines Industrieroboters
sches Element ansehen, das den Raum als integriertes Gerät oder dynamisches Mobiliar mitgestaltet. Dies sind jedoch nicht die üblichen Blickweisen auf Roboter, die heutzutage überwiegend als Arbeitsmaschinen in Industriehallen stehen. Integriert in die Produktionsabläufe am Fließband ergänzen sie sich mit den restlichen technischen Einrichtungen
SSRMS – Space Station Remote Manipulator System, NASA/CSA, 2005
zu einer funktionalen Einheit, die nach bestem Nutzen und höchster Effizienz in der Hallenarchitektur untergebracht ist. Diese Verortung und das Miteinander von Mensch und Roboter in der Industriehalle bedingen zahlreiche räumliche und architektonische Phänomene. Geht man aber über diese Szenerie hinaus und stellt sich einen Roboter in anderen, öffent-
Konzepte von Bewegung am Objekt und im Raum
27
A 1
AT-AT, All Terrain Armored Transport, Geher-Kampfmaschine aus den Star-Wars-Filmen: mobile Roboterarchitektur mit Besatzung, 1980
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Theorie und Planung
2.3 Systemgröße und -komplexität Photoblende
Bewegung wurde und wird in der Architektur in allen Maßstäben und Größenordnungen gedacht. Peter Cook hat 1963 mit der Gruppe Archigram ganze Städte in Bewegung gesehen. Auch wenn der Gedanke ultimativer Mobilität in dieser Form Utopie geblieben ist, finden sich in der Architekturgeschichte unzählige Beispiele für transportable Solitärgebäude. Meist werden diese Gebäude in die Tradition flexibler Nomadenwohnstätten gestellt, die sich durch fortwährenden Standortwechsel dem Wandel der Umwelteinflüsse anpassen. Infolge der
Strandbeest, Theo Jansen
zunehmenden bautechnischen Entwicklung spielt Bewegung heute jedoch auch für stationäre Bauten eine große Rolle. Im Extremfall ist ein Gebäude in seiner Gesamtheit beweglich und kann, beispielsweise durch eine Drehung um die eigene Schwerachse, dem Sonnenstand nachgeführt werden. Aber auch die Bewegung einzelner Räume wurde umgesetzt, sei es innerhalb der Außenhülle oder zur Vergrößerung des Innenraumes nach draußen. Geläufiger ist die Bewegung einzelner, den Raum begrenzender Flächen und Bauteile,
Rhinoceros, Theo Jansen
Stadiondach
wie sie Mies van der Rohe mit der versenkbaren Glasfassade der Villa Tugendhat meisterhaft in Szene gesetzt hat. Das weitaus häufigste Einsatzgebiet beweglicher Bauteile in der Architektur liegt in der Bewegung einzelner Bauelemente: Öffenbare Türen, Fenster und Tore gehören zum grundlegenden Repertoire der Architektur. Um die Anpassungsfähigkeit der Gebäude zu steigern, werden darüber hinaus innerhalb der Bauteile einzelne Komponenten bewegt. Lamellen und andere Manipulatoren können individuell auf lokale Klimaveränderungen reagieren.
Grundlagen von Bewegung und Konstruktion
41
A Olympisches Tennis-Zentrum, Dominique Perrault, Madrid, 2009
Schiffsluke an Deck
2
Im einfachsten Fall, am anderen Extrem der Größenordnung von Bewegung, sind es Veränderungen und Bewegungen der Werkstoffe selbst, die diese Funktion übernehmen. Systemgröße und Umsetzung Der Maßstab des beweglichen Bauteils, also seine Größenordnung in Relation zur menschlichen Dimension, hat entscheidenden Einfluss auf die Komplexität bei der technischen Umsetzung von Bewegung. Der Bauprozess ist nach wie vor über weite
Maßstab der Bewegung
Strecken an die manuelle, händische Fertigung gebunden. In Abhängigkeit von diesen Fertigungsmethoden haben sich auf der Baustelle handhabbare Größenordnungen etabliert. Konstruktionen, die den gewohnten Maßstab verlassen, sind daher in Bezug auf Kosten und Qualität schwerer umzusetzen. Dies gilt ebenso für besonders kleinmaßstäbliche Konstruktionen, bei denen erhöhte Anforderungen an die Präzision gestellt werden, wie auch für besonders großmaßstäbliche Konstruktionen mit prägendem Einfluss auf das statische Grundgerüst
der starren Gebäudeteile, die zudem erhöhte Anforderungen an die Baustellenlogistik stellen. In der Baubranche haben sich aus diesen Gründen zwei wesentliche Strategien im Umgang mit beweglichen Bauteilen etabliert: Zum einen werden kleinere Bauteile, vom Scharnier bis zum Fensterbeschlag, fast ausschließlich in Serie gefertigt und kommen als industrielles Zulieferprodukt auf den Markt. Die Möglichkeiten zur individuellen Einflussnahme sind hier deutlich geringer als bei unbeweglichen Bauprodukten. Zum anderen werden größere Bauteile
44
Theorie und Planung
2.4 Typologie der Bewegung Storefront for Art and Architecture, Steven Holl, New York, 1993
Bewegung aus starren Bauteilen Mechanische Bewegungen lassen sich immer auf die beiden Grundtypen Drehen (Rotation) und Schieben (Translation) oder eine Kombination aus beiden zurückführen. Diese Einteilung gilt zunächst unabhängig von der Lage der Gelenke und ohne Berücksichtigung der Schwerkraft. Beides beeinflusst jedoch wesentlich den Entwurf, den konstruktiven Aufbau und den zu wählenden Antrieb beweglicher Bauteile. Für die Anwendung in der Architektur ist es daher sinnvoll, eine weitere Systematisierung nach Bewegungstypen vorzunehmen. Oft unterscheidet sich die großmaßstäbliche Bewegung eines Bauteils in seiner Gesamtheit von dem sequentiellen und geometrischen Bewegungsablauf im Detail. Die auf der Makroebene einfache Drehbewegung einer Küchentür wird auf der Mikroebene durch ein komplexes Scharnier ermöglicht. Dieses Gelenk führt durch die kinetische Verkettung mehrerer Drehachsen das Türblatt erst nach vorne aus der Ebene und dann über eine Drehung zur Seite. Da es sich bei der folgenden Betrachtung um architektonische Typen handelt, bezieht sich die gewählte Typenbezeichnung immer auf die für die Nutzung maßgebliche Makroebene. Betrachtet wird entsprechend der funktionsgemäße, nicht der mechanisch oder theoretisch denkbare Ablauf der Bewegung. Drehen Bei der Drehung ändert der Körper seine Ausrichtung bei gleich bleibender Position im Raum. In der Architektur finden vorwiegend Drehungen um eine Achse, also mit einem Freiheitsgrad, der Rotation,
Verwendung. Man unterscheidet drei architektonische Typen der Drehung: Wird ein Element, beispielsweise eine Lamelle, um seine Schwerachse hin- und herbewegt, bezeichnen wir dies als einfaches Drehen. Typischerweise verhindert dabei ein Anschlag, der als Ruheposition dienen kann, ein Runddrehen der Elemente. Demgegenüber bezeichnen wir eine kontinuierliche Drehbewegung von über 360° als Rotieren. So rotiert eine Drehtür zum Beispiel fortwährend in die immer gleiche Richtung, während eine Drehung in die Gegenrichtung ausgeschlossen ist. Liegt die Drehachse außerhalb der Schwerachse des drehbaren Bauteils, bezeichnen wir diese Bewegung als Klappen. Meist sind die Gelenke eines klappbaren Bauteils an einer der Kanten positioniert. Elemente zum Klappen finden in der Architektur in Form von Türen und Fenstern zahlreiche Verwendung. Aufgrund der höheren exzentrischen Lasten sind klappbare Bauteile fast immer in ihrem Drehwinkel begrenzt, deshalb werden rotierende Klappelemente typologisch hier nicht gesondert erfasst. Schieben Bei Bewegungen dieses Typs ändert der Körper seine Position im Raum bei gleich bleibender Ausrichtung. Auch hier sind in der Architektur Bewegungen mit nur einem Freiheitsgrad, der Translation, die Regel. Bei gerichteten Körpern unterscheidet man das Schieben parallel zur Richtung des Körpers von einer Bewegung senkrecht zum Objekt. Letzere ist in der baukonstruktiven Umsetzung deutlich aufwändiger, da das Objekt durch mindestens zwei Schienen oder Scheren geführt werden muss.
Drehen und Schieben Komplexere Bewegungen lassen sich durch die Kombination von Drehen und Schieben erzeugen: Durch die gelenkige Verbindung von mindestens zwei Bauteilen entlang der Bauteilkanten entstehen faltbare Elemente. Werden diese durch je ein drehbares und ein verschiebliches Auflager gehalten, eröffnen sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Faltbare Elemente zeichnen sich durch besonders starke räumliche Veränderungen aus. So kann aus einer großen Fläche durch Faltung ein relativ kompaktes Volumen erzeugt werden. Das Prinzip der einfachen Faltung lässt sich durch die biegesteife Verlängerung der Bauteile über deren gelenkige Verbindung hinaus zur Schere erweitern. Bei gleicher Grundbewegung des verschieblichen Auflagers verdoppelt sich dann die raumgreifende Wirkung des Systems. Wirksame Richtung der Bewegung Die Bewegungsrichtung, in Relation zur Richtung der Schwerkraft gesehen, hat entscheidenden Einfluss auf die konstruktiv wirksamen Kräfte und damit auch auf das kinetische Konzept. Wesentlich ist hierbei, welches Eigengewicht über welche Höhe und mit welchem Hebelarm bewegt wird. Ein flächiges Bauteil lässt sich bei entsprechender Lagerung mit geringem technischen Aufwand und niedrigem Energieeinsatz horizontal verschieben. Die vertikale Verschiebung des gleichen Bauteils erfordert entweder ein über Rollen gegenläufig gelagertes Ausgleichsgewicht oder einen vergleichsweise hohen Energieeinsatz. Beides erhöht den Aufwand zur Umsetzung dieser Bewegung erheblich.
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Mechanischer Ăœberbegriff
Architektonischer Typus
Rotation Rotation
Wechselndes Drehen
Rotation und Translation
Rotieren
Klappen Klappen
Falten alten
Translation
Doppeltes Falten
Paralleles arallels Schieben
Senkrechtes S Senkrechtes Schieben
Grundlagen von Bewegung und Konstruktion
Bewegungen aus starren Bauteilen
A
Einfache Bewegungen von Flächen
2
Horizontal
Vertikal
Eben
Einfache Bewegungen von Volumina
Horizontal
Vertikal
Eben
63
Grundlagen von Bewegung und Konstruktion
Links: Traditioneller Beschlag für ein Holztor, Sommerhaus, Hanne Dalsgaard und Henrik Jeppesen, Ordrup Næs, Dänemark, 2005
Schienensysteme zur linearen Verschiebung von flächigen Bauteilen
A
2
wegung großer Objekte entwickelt. Schwimmende Lagerungen im Wasserbad sind ebenso denkbar wie schwebende Lagerungen durch elektromagnetische Kräfte oder durch Luftkissen- und Luftfilmsysteme. So wird beispielsweise die gesamte Rasenfläche der Fußballarena Sapporo Dome in Japan durch Luftkissen angehoben, um sie aus der Arena heraus auf einen gut besonnten Vorplatz zu bewegen. Typische Verbindungen für klappbare Bauteile Im einfachsten Fall werden Drehgelenke in der Ausprägung als Gleitlager mit einem Freiheitsgrad der Rotation verwendet, um flächige Bauteile entlang einer Bauteilkante beweglich zu verbinden. Diese Gelenke werden im Möbelbau oder für Türen, Fenster und Tore eingesetzt und müssen starken Belastungen aus dem Eigengewicht der auskragenden Klappelemente sowie aus der dauerhaften, regelmäßigen Benutzung standhalten.
Metallgelenke erfordern meist eine regelmäßige, offene Schmierung, um eine geräuscharme und leichtgängige Bewegung zu ermöglichen, es sind aber auch wartungsfreie Lager, beispielsweise aus teflonhaltigem Kunststoff, im Handel erhältlich. Man unterscheidet zwei Bauarten: Scharniere, die entlang der Drehachse untrennbar miteinander verknüpft sind, und Bänder, die sich an der Drehachse entkoppeln lassen, um beispielsweise eine Tür auszuhängen. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden diese Begriffe manchmal vertauscht. So wird das aus dem Klavierbau bekannte Stangenscharnier umgangssprachlich als Klavierband bezeichnet, obwohl die beiden gebogenen Metallteile des Scharniers über einen Stift dauerhaft verbunden sind. Klappelemente werden meist eingesetzt, um Öffnungen vollflächig zu verschließen. Dabei spielt die Tiefe des drehbaren Bauteils eine maßgebliche Rolle, denn oft übersteigt diese aus konstruktiven oder
Exemplarische Zusammenstellung von Gelenken für den Innenausbau
statischen Gründen deutlich den Durchmesser bzw. die Bautiefe der eingesetzten Gelenke. Dies führt bei Verwendung einfacher Scharniere oder Bänder mit nur einer Drehachse zwingend zu einer Positionierung dieser Achse an einer der Außenkanten des klappbaren Bauteils. In der Folge lässt sich das Element zwar in Richtung der den Gelenken zugewanden Seite mit einer maximalen Bewegungsfreiheit von 180° drehen, ein Öffnen der Klappe in entgegengesetzter Richtung bleibt jedoch geometrisch ausgeschlossen. Um ein Klappelement beidseitig zu öffnen, werden aufwändigere Gelenke benötigt. So kann beispielsweise durch eine Verschiebung der Drehachse in Richtung der Elementmitte der notwendige geometrische Spielraum geschaffen werden. Das Beispiel einer handelsüblichen Glaspendeltür mit Zapfenbändern zeigt die Einschränkungen dieser Lösung: Die Tür kann nur am Kopf- und Fußpunkt der Drehachse
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Theorie und Planung
20
Ein detailliertes Verzeichnis relevanter Normen und Richtlinien findet sich unter: www.iek.uni-hannover.de/move.html
10
0
0
10
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27
37
Die Darstellung des CE-Kennzeichens als Nachweis der Konformität des Bauteils ist nach genauen graphischen Regeln zu erstellen.
2.11 Planungsrichtlinien und rechtlicher Rahmen Kurt-Patrik Beckmann
Planerische Grundlagen Gebäude sind in der Regel immobil. Die Planungsund Bauordnungsvorschriften beziehen sich daher in ihrem Regelwerk auf statische Bauteile, außerdem auf die beweglichen Öffnungen wie Fenster und Türen/Tore sowie Förderanlagen für Personen und Güter am und im Gebäude. Die Regelung von beweglichen Strukturen und Bauteilen anderer Art ist in den allgemeinen Bauvorschriften und Regelwerken kaum dokumentiert. Bei beweglichen Strukturen und Bauteilen entstammen die Vorschriften und Regelwerke aus dem Maschinenbau, diese sind in der weiteren Planung und Ausführung etwas anders gegliedert als im Baurecht, dies schon deshalb, weil im Maschinenbau die Herstellung und der Einsatz eher seriell und ortsunabhängig erfolgen als standortbezogen wie in der Architektur. Hintergrund Zum allgemeinen Verständnis der nachfolgend aufgeführten Planungsschritte dient eine kurze Abhandlung der baurechtlichen Situation in Deutschland. Das Baurecht ergibt sich aus den Anforderungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und dem innerhalb der Europäischen Union verabschiedeten europäischen Recht. Das EU-Recht ist dabei als unabhängiges Rechtssystem zu sehen, das Vorrang vor den einzelstaatlichen Rechtssystemen hat. Grundsätzlich zielen beide Rechtssysteme darauf ab, den Einzelnen und die Gemeinschaft zu schützen. Heute ist das Bauordnungsrecht im Zusammenhang
mit dem praktizierten Föderalismusgedanken in Deutschland Ländersache. Die in der Bauministerkonferenz vom November 2002 beschlossene Musterbauordnung (Fassung von 08.11.2002) stellt nur den Standard bzw. die Mindestanforderung auf, die Länder können von diesen Standards abweichen. Die eingeführten EU-Richtlinien haben zum Ziel, dass ein Produkt innerhalb der Europäischen Union überall verwendet werden darf. Die Art der Umsetzung der Richtlinie bleibt jedem EU-Mitgliedsstaat überlassen. Die europäische Richtlinie dazu ist die „RICHTLINIE 98/37/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. Juni 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungs-Vorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen“. Sie gilt europaweit noch bis zum 28.12.2009. Ab dem 29.12.2009 ist übergangslos die neue „RICHTLINIE 2006/42/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung)“ anzuwenden. In Deutschland wurde die Umsetzung der vorgenannten EU-Maschinenrichtline im Gesetz über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte (Geräteund Produktsicherheitsgesetz – GPSG) sowie in der „Neunten Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Maschinenverordnung – 9. GPSGV) vom 12.05.1993, letztmalig geändert am 06.01.2004“ durchgeführt. Diese Verordnung zum GPSG betrifft das In-den-Verkehr-Bringen (Verkauf und Nutzen) von Maschinen, Geräten oder Bauteilen, bei denen mindestens ein Bauteil beweglich ist. Mit dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz soll einerseits
das angestrebte Ziel des Schutzes des Einzelnen und der Gemeinschaft erreicht werden. Andererseits bietet es dem Planer und dem Ersteller die erforderliche Rechtssicherheit, dass bei einem Unfall bereits im Vorhinein in der Planung und beim Bau alles im gesetzlichen Rahmen Mögliche getan wurde, damit das in den Verkehr gebrachte Produkt bzw. Bauteil nicht die Ursache für einen Schadensfall darstellt. Die Konformität des gebauten Produktes mit den technischen Vorschriften und Richtlinien wird nach EU-Recht über das am Gerät montierte CE-Kennzeichen dokumentiert. Das CE-Kennzeichen ist von dem Hersteller bzw. Errichter anzubringen und zeigt an, dass erstens das Produkt in den Anwendungsbereich der entsprechenden Richtlinien fällt und zweitens die in den Vorschriften genannten Sicherheitsanforderungen eingehalten wurden. Da das CEKennzeichen vom Ersteller selbst angebracht wird, fällt auch die Überprüfung der Planung und des fertigen Produktes auf die Sicherheitsanforderungen in seinen Bereich. Diese Überprüfung wird über eine schriftliche Konformitätserklärung festgehalten, nur diese hat rechtsverbindliche Wirkung. Generell verpflichten nicht alle Richtlinien den Hersteller zur Übergabe einer aussagekräftigen schriftlichen Erklärung. Grundsätzlich ist gegenüber Behörden und bei Produkten, die der EU-Maschinenrichtlinie unterliegen, eine Konformitätserklärung zu übergeben. Bei erstmaligem Einsatz von beweglichen Bauteilen an Gebäuden wird im Regelfall die bauaufsichtliche Genehmigungsbehörde vor dem Einbau bzw. der Nutzung eine Prüfung des Bauteils verlangen. Dies kann vorab durch zertifizierte Akkreditierungsstel-
Grundlagen von Bewegung und Konstruktion
77
A
Standard Not-Aus-Schalter
Sicherheitseinrichtungen in einer Produktionshalle
len erfolgen. Diese Stellen bescheinigen dem Planer bzw. Hersteller nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen, dass diese den Vorschriften im Einzelfall entsprechen. Ebenfalls können die Unterlagen dort auch hinsichtlich der technischen Dokumentation für die EG-Baumusterprüfung geprüft werden. Eine kurze Liste der Zertifizierungsstellen in Deutschland ist am Ende dieses Abschnittes aufgeführt.
8. Wird für diesen Entwurf auf bereits vorhandene bekannte Bauteile zurückgegriffen? 9. Oder sind für die Konstruktion noch Bauteile zu entwickeln?
Planungsschritte Für die Einordnung in die relevanten Richtlinien und Normen kann die folgende Reihenfolge der planerischen Umsetzung des Entwurfs sinnvoll sein: Da die planerischen und baurechtlichen Schritte vom Entwurf selbst abhängig sind, hängen auch die Kriterien für die Entscheidungen innerhalb des Planungsprozesses von der jeweiligen Aufgabenstellung bzw. Intention ab. Bei der Entscheidungsfindung sollten folgende Punkte geklärt werden. 1. Welche Nutzung ist vorgesehen? 2. Wer ist der Nutzerkreis? 3. Was ist der Einsatzzweck? 4. Zu welcher Kategorie gehört die bauliche Anlage, bei der die Konstruktion als Bauteil implementiert werden soll? 5. Ist die Bewegung eine rein optische Wahrnehmung oder wird die Konstruktion bzw. das Bauteil in Bewegung gesetzt? 6. Auf welche Art und Weise wird die Bewegung realisiert, per Antrieb oder Handbetätigung? 7. Erfolgt die Auslösung der Bewegung von Hand oder automatisiert?
Aus den genannten Kriterien und deren Varianten ergeben sich unterschiedliche planerische Durchführungsszenarien. Die einzelnen Richtlinien geben eine Definition der behandelten Geräte an, lassen ebenso jedoch auch Ausnahmen zu. Im Zweifel sind zuerst die Akkreditierungsstellen dazu zu Rate zu ziehen. 1. Zweck und Nutzen: Als Erstes ist zu klären, was das bewegliche Bauteil/ Produkt macht, besser ausgedrückt, welche Funktion, Zweck, Bestimmung oder Verwendung vorliegt. 2. Relevante Richtlinien: Daraus ergibt sich dann im Zusammenhang mit den verwendeten Baugruppen, welche der Richtlinien anzuwenden sind. Als vereinfachte Hilfestellung dient dazu folgende Einteilung: 2.1. Allgemeine EU-Richtlinien: Die EU-Maschinenrichtlinie zusammen mit der EULärmschutzrichtlinie 2003/10, dazu gehören weiter auch die beiden Richtlinien über: – Aufzüge, Aufzugsrichtlinie 95/16/EG und – Seilbahnen, EU-Richtlinie 2000/9/EG über Seilbahnen zur Personenbeförderung.
2
2.2. Druckbehälter: – Druckgeräterichtlinie, z. B. bei pneumatisch-hydraulischen Antrieben – Richtlinie über einfache Druckbehälter (deckt einen etwas anderen Bereich als die Druckgeräterichtlinie ab). 2.3. Explosionsschutz: Wird das Produkt/Gerät in explosionsgefährdeten Bereichen betrieben (Explosionsschutz): EU-Richtlinie 94/9/EG (siehe dazu auch den VDMA-Leitfaden zum Explosionsschutz an Maschinen, Kurzform ATEX 95). 2.5. Elektrische Geräte: Elektrische Geräte, z.B. zur Steuerung, unterliegen folgenden Richtlinien: – Elektromagnetische Verträglichkeit, hier die EMVRichtlinie: – Niederspannungsrichtlinie – RTTE für Anlagen wie Telekommunikations-Endeinrichtungen/Funkanlagen – ElektroGesetz, das ist das Gesetz über das InVerkehr-Bringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten vom 16.03.2005. Hiermit wurde die RoHS (Restriction of certain Hazardous Substances), d. h. die Richtlinie für Stoffverbote (EURichtlinie 2002/95/EG) umgesetzt. Die RoHSRichtlinie gehört nicht zur CE, ist aber seit dem 1.06.2006 in Kraft getreten. Hier werden die Grenzwerte und Restriktionen zur Verwendung von problematischen Stoffen (z. B. Blei, Quecksil-
148
Anwendungen und Funktionen
Exemplarische Darstellung verschiedener Antriebskonzepte. Stand der Technik sind Treibscheibenantriebe und hydraulische Antriebe mit seitlicher Anordnung des Stempels.
Seilwinde
Treibscheibe mit Gegengewicht
Fahrziel einer Einzelfahrt zusätzliche Zwischenstopps veranlassen, um weitere Passagiere aufzunehmen. Dies geschieht entweder richtungsunabhängig oder durch Vorauswahl der gewünschten Fahrtrichtung (auf oder ab) nur dann, wenn der Aufzug in die gleiche Richtung fährt. Durch zusätzliche Induktionsschleifen, Decken- oder Gewichtssensoren kann diese Haltefunktion bei voll belegter Aufzugskabine temporär deaktiviert werden. Soll die Förderleistung des Gesamtsystems darüber hinaus gesteigert werden, kommen an den Aufzugsportalen Bedienfelder mit Zielauswahl zum Einsatz. Die Steuerung ermittelt dann aufgrund der angemeldeten Reisewünsche die insgesamt kürzeste Reisezeit. Für den Einzelnen kann sich dadurch die Wartezeit und damit die gefühlte Reisezeit verlängern. Performance Die Performance von Personenaufzügen wird so optimiert, dass die gewünschte Personenzahl möglichst schnell ihr Ziel erreicht. Personenaufzüge werden nach den Kennwerten Förderkapazität, Wartezeit und Rundreisezeit dimensioniert. Erste Anhaltspunkte zur Mindestanzahl und Größe der benötigten Aufzüge finden sich in den deutschen Landesbauordnungen. Eine leistungsfähige Steuerung erhöht dabei signifikant die Förderkapazität. Dies ist insbesondere bei großen Gebäudehöhen und damit Personenaufzug Mercedes-Benz Museum, UN Studio, Stuttgart, 2006
Hydraulischer Stempel
Kletterantrieb
langen Förderwegen von Bedeutung. Hier werden Aufzugsanlagen als internes Verkehrssystem so organisiert, dass durch Kurz- und Langstreckenaufzüge die Gesamtreisezeiten optimiert werden. Darüber hinaus werden Aufzüge zunehmend nach energetischen Gesichtspunkten weiterentwickelt. So erlauben regenerative Antriebe in Zukunft die Rückwandlung von Lageenergie in Strom bei der Fahrt einer beladenen Kabine nach unten. Rolltreppen Auch bei der Entwicklung der Roll- oder Fahrtreppen standen anfangs Sicherheitsaspekte im Vordergrund, ehe die erste öffentliche Rolltreppe auf der Pariser Weltausstellung 1900 ihren Betrieb aufnehmen konnte. Heute haben sich eine Reihe von sicherheitstechnischen Einrichtungen als Industriestandard etabliert und in den Europanormen (DIN EN 115) niedergeschlagen: Insbesondere der Ein- und Ausstieg auf den Geschossebenen ist genau auf die ergonomischen Ansprüche des Menschen abgestimmt. Die Bewegung der Stufen beginnt in der Horizontalen und wird erst dann in die schräge Aufoder Abwärtsbewegung überführt. Ein ebenfalls beweglicher Handlauf sorgt für Halt und taktile Orientierung schon 40 cm bevor der Fuß die erste Stufe betritt. Die beweglichen Stufen selbst werden am
Personen
keine
4
8
Last
150 kg
320 kg
630 kg
Geschwindigkeit
0,3 m/s
0,6 – 2,0 m/s
0,6 – 2,0 m/s
KB (mm)
500
800
KT (mm)
1000
1000
Standardaufzüge im Vergleich
13
26
53
66
1000 kg
2000 kg
4000 kg
5000 kg
0,6 – 2,0 m/s
0,6 – 1,6 m/s
0,5 m/s
0,5 m/s
1100
1300
1500
2400
2500
1400
1700
2700
3600
5500
Interaktion: Bewegung aufnehmen, lenken und abbilden
149
B
3
Produktionsstraße des VW Touran, Wolfsburg
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Gebäude und Bauteile
Haus F Kronberg Kronberg im Taunus, D, 2009 Meixner Schlüter Wendt Architekten
Die Form dieses Einfamilienhauses mit ca. 325 m² Wohnfläche entwickelte sich zunächst aus den Vorgaben des vorliegenden Bauplans, welcher ein konventionelles Satteldach vorschrieb. Daran anschließend erweiterten die Architekten den üblichen Neigungswinkel der Dachform, verlängerten die Länge um ein Vielfaches und schufen einen markanten Baukörper in Mischbauweise aus Stahlbeton, Stahl und Holz, der auf Stützen und Riegeln aufliegt und über der Obstwiese zu schweben scheint. Als Material der Fassadenhülle wurde eine Alucobondverkleidung in farblicher Anlehnung an den regionaltypi-
Aluminiumflügel regulieren den Sonnenlichteinfall
schen Schiefer gewählt. Angepasst an die Hanglage ist das Haus in die drei Ebenen Keller-, Garten- und Obergeschoss gegliedert. Im Norden wird das Gartengeschoss als Wohn- und Aufenthaltsbereich aus topographisch erhöhter Position erschlossen und ist offen in den Hang eingebettet. Das besondere Augenmerk des Entwurfes liegt auf der Ausbildung der südlichen Spitze des Dachkeils. Hier gibt es im Balkonbereich eine bewegliche Auskragung von bis zu 4 m. Zwei in die Fassade integrierte Stahlblechflügel können per Knopfdruck in einem Drehwinkel von 60° hochgefahren werden, so
dass dann mehr Licht in den Wohnraum im Gartengeschoss fällt. Gesteuert werden die Schotten über einen Teleskopantrieb mit Elektromotor, welcher sie mittels einer im Schwerpunkt liegenden Welle hochklappen lässt. Rillenkugellager nehmen die auftretenden Axialkräfte der kinetischen Konstruktion auf. Die in den statischen Keilausbildungen des Daches befindlichen Auflagersicherungen verhindern das Durchdrehen der Flügelklappen. Die Beweglichkeit sowie das gewählte Material des Daches lassen Assoziationen eines militärischen Flugobjektes in der Idylle der Kronberger Obstwiesenhänge aufkommen.
167
0:00
0:15
Abmessungen B x H x T = 340/380 x 130 x 400 cm, Drehwinkel 60째
Anzahl 2
0:30
min:sek
Antrieb Elektromotor mit Teleskopantrieb
7
Drehen
6
C
2
5 3 4 1
1 2 3 4 5
Tragrahmen aus Flachstahlprofilen Welle und FAG-Rillenkugellager Teleskopantriebsarm Auflagersicherung, Stahlblechwinkel Elektromotor 230 V, Schubkraft 8.000 N, Geschwindigkeit bei Maximallast 6 mm/s, L채nge eingefahren 880 mm 6 Alucobondverkleidung der Stahlschotte 7 Keilspitze, Dachkonstruktion 8 Beleuchtung 8
M 1:40
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Gebäude und Bauteile
Ladeneingang Bamberg, D, 2007 Nickel und Wachter Architekten
Im Zusammenhang mit der Neugestaltung eines denkmalgeschützten und traditionsreichen Ladengeschäftes in Bamberg sollte auch eine Aufwertung der Eingangssituation vorgenommen werden, die sich harmonisch in den Bestand einfügt. Hierfür wurde zunächst ein unmittelbar am Haus anschließender Pfeiler abgebrochen, der den Zugang zum Eingang des Ladens stark beengte. Die neben dem Hauseingang liegende schmiedeeiserne Gittertür zum Hof blieb erhalten, das Gitter des Zugangsbereiches, der unmittelbar an einen Gehweg anschließt, wurde entfernt, nach hinten versetzt und trennt jetzt den Ladeneingang vom Privathof ab. Der Eingang wurde mit einem neuen, für die
Vordach und Treppe werden eingeklappt
Umgebung typischen Sandsteinpodest herausgearbeitet und der kleine Platz vor der Eingangstür dadurch besser an den öffentlichen Raum angebunden. Für den eigentlichen Zugang ins Gebäude wurde eine Metallhülse entworfen. Eine bewegliche Konstruktion erlaubt es, sowohl das Vordach als auch die Treppe der Eingangshülse am Morgen auszuklappen bzw. nach Ladenschluss einzufahren. Das schützt zum einen die Ladentür vor Vandalismus und Einbruch, zum anderen entspannt sich in geschlossenem Zustand die beengte Zugangssituation zum Hinterhaus. Die Stufen des Treppenbereiches lassen sich im Sommer mit Holz belegen, im Winter können rutschfeste Gitterroststufen eingesetzt werden.
Die beweglichen Teile der Eingangshülse werden durch eine Handkurbel bedient, die eine kugelgelagerte Stahlwelle antreibt. Die für das Ausklappen benötigte Kraft wird über einen Kettenantrieb übertragen. Bei Drehung der Handkurbel klappen die Vordachkonstruktion sowie der Treppenlauf gleichzeitig aus und werden dabei durch einen GasdruckStoßdämpfer stabilisiert. Der Antriebsmechanismus ist vollständig in den seitlichen Laibungskästen aus Stahlblech integriert. Um die Konstruktion im geöffneten Zustand zu sichern, wird das Dach mittels eines Sicherungsbolzens arretiert.
189
Abmessungen B x H x T = 1,25 x 2,50 x 0,30 m
Gewicht 350 kg
Antrieb Kettenantrieb mit Handkurbel
Klappen
4
C
2 3
1
2 6
5
Detail Antrieb M 1:20
1 2 3 4
Kettenrad auf kugelgelagerter Stahlwelle Spannrolle Antriebskette Dachkonstruktion schwenkbar; Rahmen und Oberseite Stahlblech; Unterseite Holzleisten 5 Treppenlauf schwenkbar, Trittstufen Massivholz 6 Laibungskasten Stahlblech
190
Gebäude und Bauteile
Haus No 19 Utrecht, NL, 2003 Korteknie Stuhlmacher Architecten mit Bik Van der Pol
Die Kunstorganisation „Beyond“ der Stadt Utrecht bietet mit dem mobilen Haus No 19 internationalen Künstlern die Möglichkeit kurzzeitig in Utrecht zu wohnen und zu arbeiten. Unter dem Motto „Artists in residence“ werden der Wandel und das rapide Wachstum im Großraum Utrecht durch das Entwicklungsprojekt Leidsche Rijn mit 30.000 Wohnungen thematisiert. Das Künstleratelier „Haus No 19“ ist eines von vielen Projekten, welche sich seit Beginn der Stadterweiterung mit deren Auswirkungen beschäftigen. Es dient als temporäre Herberge und Arbeitsort für Künstler und wird zeitweise auch als Basis für kulturelle Interventionen und Veranstal-
tungen eingesetzt. Das mit den Künstlern Bik Van der Pol entwickelte 18 x 4 x 3,20 m große Gebäude positioniert sich zwischen der niederländischen Naturlandschaft mit Weiden und Kanälen und der heranwachsenden Stadt. Der langgestreckte Innenraum macht diesen Kontrast mit seinen gerichteten Ausblicken erlebbar. Dieser praktische und preisgünstige Arbeits- und Lebensraum kann in mehrere innere und äußere Bereiche unterteilt werden. Eine Dachterrasse wird über eine Trittleiter erschlossen. Die Box kann auf öffentlichen Straßen durch ihre Konstruktion aus Dickholzplatten und verstärkenden
Stahlrahmen als Ganzes zu anderen Orten transportiert werden. Öffnet man die sechs Fensterläden und drei Klapptore, verändert sich der introvertierte Charakter des Hauses zu einem Präsentationsraum gegenüber der Stadt und ihren Bewohnern. Die aus Holztafeln konstruierten Klappelemente sind jeweils über ein Stahlseil am Kopfpunkt mit einer Handkurbel verbunden. Nach dem rund zweiminütigen Herablassen kann das Stahlseil gelöst und vollkommen mit der Handkurbel aufgewickelt werden. Der Mechanismus und die Konstruktion des beweglichen Bauteils aus handelsüblichen Stahlelementen sind vollkommen sichtbar.
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0:40
Abmessungen B x H = 4 x 2,90 m Tor
Anzahl 4 Klapptore
1:20
Antrieb manuell über jeweils eine Handkurbel
2:00
min:sek
Rotationswinkel 90° (max. 110°)
1
3
4
5
1 feste Umlenkrolle, Stahl, d = 160 mm, zwei bzw. drei je Klapptor 2 lose Umlenkrolle mit Kranhaken, am Kopfpunkt des Tores lösbar verbunden 3 Standfuß am Kopfpunkt unterseitig angebracht, zweifach je Klappe 4 Klapptor, Dreischichtplatten 26 mm mit verstärkendem Stahlrahmen 60 x 120 mm 5 Kurbel mit mechanischer Bremse, handbetrieben 6 Drehgelenk, zwei je Klapptor, Stahl, am Fußpunkt mit den Stahlrahmen verschweißt 7 Stahlrahmen L-Profile, als Verstärkung für den Transport
6 7
Vertikalschnitt M 1:33
5
2
3
Horizontalschnitt M 1:33
7
4
Sichtbare Seilführung im Innenraum
Klappen
2
C
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Gebäude und Bauteile
Sliding House Suffolk, East Anglia, GB, 2009 dRMM Architects
Das Sliding House in einem Dorf östlich von Cambridge liegt auf einer kleinen Anhöhe inmitten offener Landschaft. Der Baukörper mit einer Gesamtlänge von 28 m setzt sich aus drei Gebäudeteilen zusammen – dem Haupthaus (16 m), einer Garage (5 m) und einem Gästehaus (7 m). Das Gebäude ist im südwestlichen Bereich als Aluminium-Glas-Konstruktion ausgeführt, im übrigen Teil in Holzrahmenbauweise erstellt und mit einer Lärchenholzschalung versehen. Die Besonderheit des Hauses besteht in einer zweiten, verschiebbaren Hülle, die das gesamte Ensemble umhüllt. Je nach Position dieser beweglichen Wand-DachKonstruktion schützt oder öffnet sich das Haus gegenüber dem Außenraum. Mit einer Gesamtlänge
von ebenfalls 16 m kann die bewegliche Hülle das gesamte Satteldachhaus bis auf die Giebelseiten überdecken. In einer Vielzahl von weiteren Parkpositionen entstehen immer wieder neue Raumsituationen. So kann der Innenhof vor den Garagen zu einem zusätzlichen überdeckten Stellplatz werden. Im Sommer wirkt das gleitende Dach als Verschattung. Im Winter kehrt sich seine Funktion um, indem es tagsüber den solaren Eintrag der Glasfläche ermöglicht und über Nacht das Abkühlen vermindert. Die 20 t schwere fahrbare Konstruktion der zweiten Hülle besteht aus Stahlrahmen mit einer gedämmten und feuchtegeschützten Holzausfachung. Wie die Hauptbaukörper ist sie ebenso mit einer Lärchenholzschalung bekleidet. Dem Haupthaus wie
auch der zweiten Hülle liegt ein gemeinsames Konstruktionsraster von 1 x 1 m zugrunde, so dass alle Fassadenelemente wie Türen, Fenster und Dachfenster mit den Öffnungen der beweglichen Hülle trotz unterschiedlicher Parkpositionen übereinanderliegen können. Die zweite Dachhülle gleitet auf 33 m langen Schienen und 14 Stahlrollen, angetrieben von vier 24 VMotoren. Die Energie wird über Netzstrom sowie jeweils zwei 12 V-Batterien zur Verfügung gestellt, welche zukünftig über eine Photovoltaikanlage wieder aufgeladen werden. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 0,322 km/h (0,2 mph). Für die ganze Strecke benötigt das Dach 6 Minuten Fahrzeit.
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0:00
3:00
Gewicht 20 t
min:sek
Antrieb 4 Elektromotoren 24 V
Schieben
Abmessungen L x B x H = 16,0 x 5,80 x 7,20 mm
6:00
1
C
2
1 Fahrbares Dachelement 2 Pfosten-Riegel-Fassade 50 x 100 mm Aluminumprofile 3 zwei 12 V Batterien 4 Stahlrad d = 380 mm mit Kettenantrieb 5 Schiene 6 L채rchenholzverschalung 140 x 18 mm
3 4 6 5
Schnitt durch Glasfassade und bewegliche H체lle M 1:25
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Gebäude und Bauteile
Spielbudenplatz Hamburg, St. Pauli, D, 2006 ARGE Spielbude Fahrbetrieb Hamburg, Lützow 7 Garten- und Landschaftsarchitekten und Spengler Wiescholek Architekten und Stadtplaner
Der Spielbudenplatz ist ein alter historischer Markt im Herzen St. Paulis. Schon seit den 1960er Jahren wurde über die Umgestaltung des zwischenzeitlich als Parkplatz genutzten Platzes nachgedacht. Das Ziel des im Jahre 2004 ausgelobten Wettbewerbs war es den Platz zu einer multifunktionalen Veranstaltungsfläche umzugestalten. Durch den Entwurf wird der Platz durch zwei einander gegenüberliegende, bewegliche Bühnen eingefasst. Die U-förmig zueinander ausgerichteten Bühnenbaukörper lassen sich auf Schienen entlang des 300 m langen Platzes aufeinander zubewegen. Dadurch entstehen immer wieder neue Raumsituationen mit
spannungsvollen Beziehungen. Zusammengefahren ergibt sich ein geschlossener Bühnenraum. Auseinandergefahren öffnet sich je nach Distanz der Bühnen ein Platz unterschiedlicher Dimensionen. Jede Bühne hat eine Abmessung 16 x 16 m und ist 10 m hoch. Das Tragwerk besteht aus geschlossenen feuerverzinkten Stahlrechteckhohlprofilen. Das Dach der Bühne kragt 12 m aus und wirkt durch den nur 1 m hohen Aufbau des Dachtragwerks sehr filigran. Die Fassaden der Bühnen sind dreifach verkleidet. Hinter einem Metallgewebe, welches unter anderem als Vandalismusschutz dient, befindet sich Milchglas, das durch LED-Module illuminiert
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1 2
4 3
5
6 7 8
Längsschnitt M 1:150
wird. Die Licht-Module lassen sich mit Animationen bespielen; abends leuchten die Bühnen golden von innen und geben ihr Tragwerk zu erkennen. Um die Bühnen entlang des Platzes verfahren zu können, werden sie mittels vier Gleisfahrwerken auf zwei 210 m langen Schienen gelagert. Die Fahrwerke werden von vier Elektromotoren angetrieben. Bevor sich die Bühnen in Bewegung setzen, werden sie hydraulisch um ca. 15 – 20 cm angehoben. Dadurch wird das Fahrwerk im ruhenden Zustand entlastet und zugleich werden die Bühnen vor Beschädigungen während des Fahrens geschützt.
Edelstahlgewebe LED-Elemente Hohlprofile 150 x 150 x 5 mm Zwischenboden Technikzentrale Schienen Antrieb Elektromotor Fahrwerk Übersetzung
205
0:08
Abmessungen L x B x H = 16 x 16 x 10 m
Gewicht 55 t pro B端hne
0:16
Antrieb je 4 Elektromotoren
1 2
std:min
Fahrstrecke 210 m
2
Schieben
0:00
1 7
7
9
9
C 8 6
Detail Fahrwerk M 1:33
8 6
Detail Antrieb M 1:33