Informierte Architektur. Building Information Modelling für die Architekturpraxis

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Marco Hemmerling Boris Bähre

INFORMIERTE ARCHITEKTUR

Building Information Modelling für die Architekturpraxis

Birkhäuser Basel


INHALT

VORWORT

6

Vanessa Miriam Carlow

PROLOG

8

Marco Hemmerling, Boris Bähre

INFORMIERTE ARCHITEKTUR

10

BUILDING INFORMATION MODELLING

18

PRAXIS 1  MERCEDES-BENZ MUSEUM

30

Stuttgart

ORGANISATION

46

LIFECYCLE

47

BIM IM BESTAND

48

FRONTLOADING

49

BIM – BAM – BOOM

50

DIGITAL TWIN

5 1

RICHTLINIEN

52

EIR – BEP – MIDP

54

LOD – LOG – LOI

56

DIMENSIONEN

59

SIZE MATTERS?

60

PRAXIS 2

ASTOC ARCHITECTS AND PLANNERS

62

Köln

BARKOW LEIBINGER

72

Berlin

EIKE BECKER ARCHITEKTEN Berlin

82


TECHNOLOGIE MODELLIERUNG

92 93

LEVELS OF BIM

95

LITTLE – BIG – CLOSED – OPEN

96

COMMON DATA ENVIRONMENT

98

DATENAUSTAUSCH

99

BIM-SOFTWARE

101

PRAXIS 3

DELUGAN MEISSL ASSOCIATED ARCHITECTS

104

Wien

EM2N

116

Zürich

SOZIOLOGIE

128

EIN SOZIOTECHNISCHES SYSTEM

129

VERTRAUEN

130

NEUE ROLLEN

13 1

FEHLERKULTUR

134

BIM-SPRACHE UND -VOKABULAR

134

LEHRE & FORSCHUNG  MIRCO BECKER

136

Leibniz Universität Hannover

JAKOB BEETZ

146

RWTH Aachen

ULRICH BLUM, HENRIETTE STROTMANN

154

FH Münster

EPILOG

164

Peter Russel

GLOSSAR

166

LITERATURVERZEICHNIS 172 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

174

AUTOREN 175


MERCEDES-BENZ MUSEUM Mercedesstraße 100 70372 Stuttgart www.mercedes-benz.com/de/ classic/museum/architektur/ www.unstudio.com

30

Das Mercedes-Benz Museum ist eines der größten firmeneigenen Museen der Welt. Die Architektur beherbergt die wichtigsten Fahrzeuge der Marke Mercedes-Benz, die das Unternehmen seit der ­Erfindung des Automobils im Jahr 1886 produziert hat. Es werden insgesamt 1 500 Exponate ausgestellt, 160 davon sind Fahrzeuge. Das Gebäude nimmt etwa 3 500 Quadratmeter Grundfläche ein und bietet über neun Geschosse verteilt rund 17.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Der Besucherweg umfasst, je nach gewählter Route, zwischen 1,5 und 5,0 Kilometer. Das Gebäude ist 47,5 Meter hoch und hat einen umbauten Raum von 210 000 Kubikmeter bei einem Gewicht von 110 000 Tonnen. In der Fassade sind 1 800 trapezförmige Glasscheiben verbaut, von denen keine einer anderen gleicht. Vom Entwurf bis zur Planung bildete ein dreidimensionales Datenmodell die Grundlage der Planung, das im Verlauf der Bauzeit 50 relevante Überarbeitungen erfuhr und aus dem mehr als 35 000 Werkpläne automatisiert generiert wurden.


Mercedes-Benz Museum, Stuttgart

PRAXIS 1

UNStudio, Amsterdam/Stuttgart 2001 – 2006

»Objects in the rear mirror are closer than they appear.«1

Als frühes gebautes Beispiel einer konsequent digital entwickelten Architektur wurde das vom niederländischen Büro UNStudio entworfene und 2006 fertiggestellte Museum in Stuttgart als Aufbruch in die »Digitalmoderne« beschrieben. 2 Es ist ein Gebäude, das aufgrund seiner geometrischen und konstruktiven Komplexität nur durch den Einsatz neuester Computertechnologie realisiert werden konnte. Trotz oder gerade wegen des digitalen Entwicklungsprozesses erwartet den Museumsbesucher ein einzigartiges Raumerlebnis. In einer Zeitreise durch die Geschichte des Automobils bewegt er sich entlang von Rampen, Treppen und Ausstellungs­plateaus und vollzieht dabei vielfältige Perspektivwechsel, die ihn mit dem Raum und der Ausstellung verbinden. Dieses Verhältnis von geometrischer Komplexität und intensiver Raumwirkung auf der einen Seite sowie einer rationalen, nahezu wissenschaftlichen Strategie für die bauliche Umsetzung des Gebäudes auf der anderen Seite weist durchaus Parallelen zum Sydney Opera House (1957 – 1973) auf. Die Zusammenarbeit des Architekten Jørn Utzon und des Ingenieurs Ove Arup wurde damals bereits bei der Entwicklung der bekannten »spherical solution« 3 zur Definition der Gebäudegeometrie durch den Einsatz von Software unterstützt. Als Pionierleistung auf dem Feld der computergestützten Planung und industriellen Fertigung bildete die Oper von Sydney den Anfang digitaler Prozesse in der Architektur und stellt somit auch eine wichtige Referenz für das Stuttgarter Museum dar.

INTEGRALER UND KOLLABORATIVER PLANUNGSPROZESS Aus heutiger Perspektive steht das Mercedes-Benz Museum für eine informierte Architektur, die digitale Entwurfs-, Planungs- und Fertigungsmethoden in einem ganzheitlichen und kollaborativen Ansatz zusammenführt. Die Entwurfsentwicklung mittels eines digitalen 3D-Modells und der Austausch aller projektrelevanten Informationen über einen zentralen Datensatz sowie die Nutzung einer Projektkommunikationsplattform, auf die alle Projektbeteiligten zugreifen konnten, beschreibt bereits wesentliche Eigenschaften der BIM-Methode – auch wenn dieser Begriff damals nicht explizit im Projektverlauf auftauchte.

1

Die konvex geformten Autorückspiegel lassen Objekte kleiner und somit weiter entfernt erscheinen als sie in Wirklichkeit sind. Im Rückblick sind die digitalen Planungsmethoden des Mercedes-Benz Museums auch heute noch aktuell und dienen daher an dieser Stelle als Einstieg in die BIM-Praxis.

2 Hanno Rauterberg (2005): Barock aus dem Rechner. 3 The Spherical Solution. Abgerufen am 25. Juni 2020 unter: www.sydneyoperahouse.com/our-story/ sydney-opera-house-history/spherical -solution.html.

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Die Entscheidung des Bauherren, alle Planungsbeteiligten während der Bauphase in einem Gebäude nahe der Baustelle unterzubringen, war eine wichtige Voraussetzung für die gelungene Zusammenarbeit und somit für den Projekterfolg hinsichtlich der Qualität sowie der Termin- und Kostensicherheit. Trotz modernster Datentechnik ist der direkte, persönliche Austausch insbesondere bei komplexen und technologisch anspruchsvollen Aufgaben unverzichtbar, um schnelle und effiziente Lösungen bei unvorhergesehenen Problemen finden zu können. Der aufwendige architektonische Entwurf und die Neuentwicklung des Museumskonzepts wurden in nur vier Jahren geplant und realisiert. Für die Projektorganisation bedeutete dies, simultane Prozesse bei allen an Planung und Bau Beteiligten zu installieren. Bestimmte Planungsthemen wurden gezielt vertieft, Aspekte der Ausführungsplanung vorgezogen und Baufirmen zu einem sehr frühen Zeitpunkt bereits mit eingebunden. Um frühzeitig Planungssicherheit zu erhalten, wurde eine sechsmonatige Optimierungsphase im Anschluss an den Wettbewerb eingeführt, um Risiken hinsichtlich Konzeption, Kosten und Zeit zu minimieren. Im Rahmen konventioneller Planungsprozesse wird diese Klarheit oft erst im Stadium der Werkplanung erreicht.

VOM ENTWURF ZUR REALISIERUNG

4 Andreas K. Vetter (2006): UN Studio – Mercedes-Benz Museum: Design Evolution.

32

Der erfolgreiche Wettbewerbsbeitrag von UNStudio aus dem Jahr 2001 integriert die räumlichen und funktionalen Programmanforderungen, dessen Grundlage das Büro HG Merz zuvor bereits ent­ wickelt hatte, in einem ganzheitlichen Entwurfsansatz und nimmt in seiner städtebaulichen Ausprägung direkten Bezug zur Umgebung, die durch eine industrielle Nutzung und Großstrukturen wie das Gottlieb-Daimler-Stadion (heute Mercedes-Benz Arena), die Cannstatter Wasen, den Stuttgarter Gaskessel und das Mercedes-Benz Werk in Untertürkheim geprägt ist. Der Entwurf des Mercedes-Benz Museums basiert nicht auf zweidimensionalen Darstellungen, wie Grundrissen, Schnitten und Ansichten, sondern wurde von Beginn an als dreidimensionales Modell konzipiert, anhand dessen Raumwirkungen erforscht und Bewegungsstudien aus Betrachterperspektive durchgeführt wurden. Diese Arbeitsweise ermöglichte es, in der Folge auch technische und konstruktive Aspekte im Entwurf zu integrieren und deren direkte Auswirkungen auf die räumliche Komposition zu beurteilen. Untersuchungen zu mathematischen Modellen (unter anderem Knoten, Regel-, Translations- und Minimalflächen sowie Schraubflächen und Spiralgeometrien), die zuvor teilweise an anderen Projekten – wie dem Möbius Haus oder dem Bahnhof in Arnheim – durchgeführt wurden, spielten darüber hinaus eine wichtige Rolle bei der Entwurfsfindung. 4 In der Wettbewerbsphase wurden dazu bereits vielfältige Studien anhand von digitalen und physischen Arbeitsmodellen mit dem Ziel durchgeführt, möglichst viele Aspekte des Entwurfs miteinander zu verbinden und auf diese Weise Synergien von programmatischen, technischen, strukturellen, funktionalen und gestalterischen Themen zu schaffen.


PRAXIS 1

Die komplexe und dennoch geometrisch klar definierte Geometrie des Museums synthetisiert diese Themen in einer integralen Organisationsform, die einen kontinuierlichen Raumfluss erzeugt und das Gebäude zu einer organischen Struktur werden lässt. Das verwendete geometrische Modell basiert auf einem kleeblattförmigen Gefüge, das aus drei tangential miteinander verbundenen Kreisen besteht. Die in der Höhe versetzt zueinander angeordneten Bauteilkreise definieren die einzelnen Ausstellungsebenen. Diese Ebenen sind durch Rampen räumlich miteinander verbunden und schrauben sich um ein zentrales Atrium. Von dort beginnt das Museumserlebnis: In der sogenannten Pre-Show – einer Zeitreise zurück in das Jahr 1886 – gelangt der Besucher über Aufzüge auf die oberste Ebene des Gebäudes, von welcher zwei Hauptwege durch die Ausstellung nach unten führen. Die zweiteilige Ausstellung wird durch die beiden Wegeführungen in Form einer Doppelhelix erschlossen. Der eine Besucherweg führt durch die sogenannten Kollektionsräume, in denen die Automobil- und Lastwagensammlung thematisch aufbereitet ist. In den chronologisch organisierten Mythosräumen leitet der andere Weg vorbei an historischen Ausstellungsstücken. Beide Wegeführungen durchdringen die räumliche Struktur des Gebäudes spiralförmig von innen nach außen und kreuzen sich an mehreren Stellen, sodass der Besucher seine Route im Verlauf des Rundgangs mehrfach wechseln kann. Diese Organisation schafft im Inneren ein unvergessliches Raumerlebnis. Das Gebäude dreht und wendet sich vom Betrachter ab und eröffnet auf fast kaleidoskopartige Weise neue Blicke nach außen sowie in die angrenzenden Räume im Inneren und zum Atrium. Alle Ausstellungsräume des Museums sind als horizontale Plateaus versetzt im Raum angeordnet und durch verschlungene Rampen und Treppen miteinander verbunden. Diese verbindenden Bauteile – die Mythosrampe und der Sammlungstwist – sind konstruktiv am anspruchsvollsten; nicht nur aufgrund ihrer geometrischen Komplexität, sondern auch durch ihre tragenden Funktion. Da die Mythosräume doppelt so hoch sein sollten wie die Kollektionsräume, wurden die Ebenen jeweils durch die Drehung jedes Plateaus um 120 Grad und den Versatz um je ein Geschoss in der Kleeblattgeometrie organisiert. Dadurch entsteht über den Mythosräumen ein Luftraum, der zu der gewünschten doppelten Raumhöhe führt, während die Kollektionsräume eingeschossig bleiben. Die beiden Ausstellungsbereiche spiegeln sich nach außen als jeweils durchgängig geschlossene und offene Spiral­fläche wider. Die Glasflächen, die entlang der Kollektionsräume verlaufen, sind aus trapezförmigen, raumhohen Scheiben gefertigt, deren Kanten die geometrische Form der schräg gestellten Tragstützen aufgreifen. Die als hinterlüftete Fassade ausgeführte Aluminiumverkleidung der Mythosräume erzeugt ebenso wie die Glasfassade eine kontinuierliche Fläche um das Museum. Anstatt sofort einen Aufschluss über die komplexe innere Organisation des Gebäudes zu geben, schafft die Fassade vielmehr eine verbindende Maßstäblichkeit zu den benachbarten Großstrukturen.

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3D-Schnittmodell des ­Museums in der Wettbewerbs­ phase (oben) und der Entwurfs­ planung (unten). Die 3D-Daten wurden im Prozess kontinuier­ lich weiterentwickelt und mit Informationen angereichert.

Visualisierungen aus dem Wettbewerb (links) und der Geneh­ migungsplanung (rechts). Renderings wurden zwar auch zur Entwurfsentwicklung herangezogen, dienten aber haupt­ sächlich zur Kommunikation mit anderen Projektbeteiligten (Bauherr, Nutzer, Behörden).

38


PRAXIS 1 Einsatz additiver und subtraktiver Fertigungsmethoden (links: 3D-Druck, rechts: CNC-Fräse) zur Erstellung von Maßstabs­ modellen. Neben dem digitalen Gebäudemodell wurden im Ent­ wurfs-, Planungs- und Ausführungsprozess unzählige physische Modelle zur (Weiter-)Entwicklung der Architektur gebaut.

Physische Modelle im Ent­ wurfs- und Planungs­prozess: Innenraummodell der Ausstel­ lungsebene Mythos im Maßstab 1 : 24 (oben) und Entrauchungs­ modell im Maßstab 1 : 18 (unten).

39


Parametrisches 2D-Gebäuderaster, basierend auf Kreisgeometrien

Parametrisches 3D-Bauteilmodell der Mythosrampe und des Twists

Modell der Regelgeschosse mit Rohbau- und Fassadenbauteilen

40


PRAXIS 1 Entwicklung des Regel­ geschossgrundrisses vom Wettbewerb (2002) bis zum Werkplan (2004). Die 2D-Dar­ stellungen wurden seit der Parametrisierung des Gebäu­ demodells (2003) automatisiert aus dem 3D-Modell abgeleitet.

Informationsdichte des Werkplans mit Angaben zu Geometrie, Material, Konstruktion und weiteren Fachplanerinformationen

41



Von wenigen Projekten abgesehen schließt das Leistungsphasenmodell im Bauwesen klassischerweise die drei Phasen Entwurf, Planung und Ausführung ein. Logistik, Betrieb und Umbau beziehungsweise Nachnutzung bis hin zum Abriss und Recycling der verwendeten Komponenten und Materialien werden in den klassischen Leistungsphasen jedoch kaum berücksichtigt. Die offizielle Übergabe des Bauwerks an den Bauherren kann in diesem Sinne als rechtliche Bestätigung dieser Sichtweise gesehen werden. Bereits seit den 1980er Jahren haben verschiedene Industrien (zum Beispiel Luftfahrt, Automobil und Schiffsbau) den gesamten Lebensweg eines Produktes als integrales Prozessziel definiert. 1 Um die Gesamtbilanz eines Produktes in Bezug auf Nachhaltigkeitsfragen ermitteln zu können, werden zu Beginn der Produktentwicklung wichtige Ziele hinsichtlich der Gesamtbilanz bewusst gesetzt und kontinuierlich bis zum Ende des Lebensweges des Produktes weiterverfolgt und evaluiert. Lebenszyklusbetrachtung eines Baupro­ zesses in fünf Phasen, inklusive der im Vergleich mit traditioneller Planung neu integrierten Themen des BIM­Datensatzes (hervorgehoben).

Simulation & Analyse Mengenermittlung Kostenschätzung Zeitplanung Dokumentation

Raumprogramm Konzept Varianten Entwurf Visualisierung Ausschreibung

Prozesssteuerung Vorfertigung Logistik Konstruktion Montage Abrechnung

UNG SETZ UM

ENTW UR F

PLANUNG

BIM LIFECYCLE

NA

CH

NU

Renovierung Umbauten Rückbau Abriss Recycling

TZ

UN

G

BET

RI E

B Sensorik/Aktorik Datenerfassung Unterhaltung und Wartung Optimierung Reparatur

Dieser Lebenszyklusgedanke lässt sich auch gesamtheitlich auf ein Bauwerk und den Prozess der Architekturproduktion übertragen. Spätestens seit der Einführung der Lebenszyklusbetrachtung im Schiffsbau, die aufgrund der Planung von Unikaten mit der Prozessführung des Bauwesens vergleichbar ist, ist es naheliegend, ein solches Modell auch im Bauwesen zu verwenden. Das oben dargestellte Fünf-Phasen-Modell umfasst neben dem Entwurf, der Planung und der Umsetzung auch den Betrieb und die spätere Veränderung und Anpassung einer baulichen Struktur.

1

Definition Product’s lifecycle: National Institute of Standards and Technology’s Manufacturing Engineering.

47

ORGANISATION

LIFECYCLE


Im Gegensatz zu konventionellen Ansätzen, die meist nur vom Entwurf bis zur Ausführung reichen, integriert das Modell sämtliche Stadien, die für eine umfassende Darstellung des Planungs-, Bau- und (Nach-)Nutzungsprozesses erforderlich sind. Mit BIM zu planen, bedeutet daher, alle Phasen so früh wie möglich in den Prozess miteinzubeziehen und maßgebende Entscheidungen hierauf zu basieren. Blickt man zurück in die Architekturgeschichte, so stellt man fest, dass dieser Ansatz keinesfalls neu, sondern bereits bei Vitruv  2 zu finden ist und im Mittelalter im Zusammenhang mit dem Berufsbild des Werkmeisters oder (Dom-)Baumeisters 3 bekannt wurde. Wir befinden uns heute in einer Zeit zunehmender Informationsvielfalt und komplexer werdender Bauaufgaben. Die aktuellen Fragen zur Ressourceneinsparung und zum Klimaschutz fordern umso mehr eine gesamtheitliche Lebenszyklusbetrachtung der Architekturproduktion. Inmitten dieser Entwicklung ist BIM nur ein Schritt hin zu weniger Verlust, weniger Fehlern und mehr Qualität im Bauwesen.

BIM IM BESTAND

2 Vitruvius/Curt Fensterbusch (1964): Zehn Bücher über Architektur. 3 Der Baumeister als Leiter einer Bauhütte oder eines unterschiedliche Handwerker umfassenden Werkstattverbands. 4 DIW Strukturdaten zur Produktion und Beschäftigung im Baugewerbe; Berechnungen für das Jahr 2012 5 Karl Kraus (2004): Photogrammetrie. Geometrische Informationen aus Photographien und Laserscanneraufnahmen. 6 Clive Boardman, Paul Bryan (2018): 3D Laser Scanning for Heritage: Advice and Guidance on the Use of Laser Scanning in Archaeology and Architecture. 7

48

buildingSMART. Abgerufen am 25. Juni 2020 unter: www.buildingsmart.org/.

In den dicht besiedelten europäischen Ländern bezieht sich ein Großteil der Bautätigkeit auf den Gebäudebestand. Allein in Deutschland sind rund 75 Prozent der Wohnbauprojekte mit Bauen im Bestand 4 verbunden. Nutzungsänderungen und bereits in der Vergangenheit durchgeführte Umbauten führen häufig dazu, dass keine oder nur wenige verlässliche Unterlagen über ein bestehendes Objekt existieren und es somit auch keine digital verwertbaren und verlässlichen Grundlagen für das Erstellen der notwendigen oder gewünschten BIM-Objekte gibt. Um zumindest die geometrische Lücke zu schließen, entstanden neue Verfahren der Photogrammetrie 5 oder des 3D-Laser­ scanning 6, die in der Lage sind, bestehende Geometrien in gültige BIM-Objekte zu verwandeln. Derzeit ist jedoch ein hohes Maß an manueller Geometrie- und Dateneingabe erforderlich, sodass die Erstellung eines BIM-Modells in Anbetracht des Kosten- und Nutzenaufwandes zumeist kaum effizient erscheint. Mögliche Wege, um zu handhabbaren Lösungen zu kommen, sind klare Vereinbarungen zu (variablen) Übergangsbereichen zwischen Alt und Neu und die Kombination eines BIM-Modells mit herkömmlichen 2D- oder 3D-Techniken, um bestehende Strukturen in die Neubaubereiche zu integrieren. Zudem ist ein Scan von bestehenden Strukturen denkbar, der nur visuell als inhaltlicher Platzhalter oder als Grundlage für eine neue Objekterstellung verwendet wird. Die große Anzahl bestehender Gebäude und der steigende Bedarf an Renovierungsaufgaben lässt in den nächsten Jahren weitreichende Entwicklungen in Richtung automatisiert erstellter BIM-Objekte aus dem Bestand erwarten. Mit der Einführung der BIM-Methode für Neubauprojekte hat das Interesse an der Anwendung dieser Konzepte und Technologien auf denkmalgeschützte Gebäude, dem sogenannten Heritage BIM (HBIM), deutlich zugenommen. HBIM verfolgt, im Unterschied


oder in Ergänzung zu den zuvor beschriebenen BIM-Prozessen, die Modellierung von architektonischen Elementen nach künstlerischen, historischen und konstruktiven Typologien. Insofern kann HBIM als eine neue Methode angesehen werden, um das gebaute Erbe umfassend verstehen, dokumentieren und virtuell rekonstruieren zu können.

BIM verlagert durch die Fokussierung auf eine integrierte, kooperative Planung sowohl Aufwand als auch Schwerpunkt auf die frühen Phasen des Projektverlaufs. In der konventionellen Planung fließt der größte Aufwand meist in die späteren Phasen nach dem Entwurf, wenn die grundlegende Gestaltung und die wichtigsten Rahmenparameter bereits festgelegt und oft auch schon genehmigt wurden. Dies bedeutet, dass die zunehmend gewünschten Analyse-, Simulations- und Bewertungswerkzeuge erst gegen Ende des Entscheidungsprozesses eingesetzt werden – denn nur in einem fortgeschrittenen Stadium des Projekts sind alle relevanten Faktoren wie Energieverbrauch, Nutzungsszenarien oder Tageslichtstudien in der Planung berücksichtigt. Änderungswünsche, die in späteren Phasen auftreten, sind in der Umsetzung nicht nur schwieriger zu koordinieren und zeitaufwendiger, sondern auch deutlich teurer als zu Beginn des Prozesses.

Möglichkeit, Kosten zu beeinflussen

Vorverlagerung der Planungstiefe und Einflussmöglichkeiten auf die Kostenentwicklung Patrick MacLeamy

Änderungskosten

Vorverlagerung (Frontloading)

Traditionelle Arbeitsweise

Aufwand

BIM Arbeitsweise

ORGANISATION

FRONTLOADING

Ziel: Minimierung von Fehlerkosten und Zeitverlust

Vorentwurf

Entwurf

Ausführungsplanung

Konstruktion Fehlerbehebung Streitigkeiten

Betrieb

Der US-amerikanische Architekt Patrick MacLeamy, Gründungsmitglied und Vorsitzender von buildingSMART, 7 zeigt in der oben dargestellten Grafik die Beziehung zwischen den einzelnen Planungsphasen und den Handlungsspielräumen, die Planer im Prozess haben, sowie die davon abhängigen, sich kumulierenden Kosten im Projektverlauf. Je weiter der Entwurfsprozess voranschreitet, desto geringer sind die Einflussmöglichkeiten auf das Projektergebnis und desto höher sind die Ausgaben für etwaige Planungsänderungen.

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Vor diesem Hintergrund zielt BIM – wie in der oben stehenden Abbildung dargestellt – auf eine Vorverlagerung der Planungs­ ­ tiefe. Die Vorteile dieses »Nach-vorne-Schiebens« (englisch: front­ loading) liegen auf der Hand: Analysen und Simulationen unterstützen frühzeitig Entwurfsentscheidungen, Gestaltungsvarianten können einander gegenübergestellt und entsprechend beurteilt sowie die Informationen aller Planungsbeteiligten integriert werden, um so zu abgestimmten und vor allem informierten Entscheidungen zu kommen.

BIM – BAM – BOOM Während die Planungs- und Bauphase in der Regel nur einige Monate oder wenige Jahre dauert, wird ein Gebäude über viele Jahrzehnte genutzt. Daher ist die Betrachtung der in der Nutzungsphase entstehenden Kosten hinsichtlich Betrieb, Wartung, Sanierung, Modernisierung und Rückbau häufig vorrangig für den Bauherren. Darauf Bezug nehmend führte MacLeamy im Jahre 2012 das sogenannte BIM-BAM-BOOM-Modell in der Baubranche ein. Das Modell stellt in vereinfachter Art und Weise dar, wie sich Baukosten im Projektlauf über die Phasen verteilen. In der ersten Phase – Building Information Modelling (BIM) – wird im Sinne einer integralen BIM-Planung ein Bauteil modelliert, dem der fiktive Wert von einem Euro zugrunde liegt. Für den zwanzigfachen Werteinsatz ist der Ausführende anschließend in der Lage, das entsprechende Bauteil zu fertigen und zu montieren. Diese Phase wird als Building Assembly Modelling (BAM) bezeichnet. In der letzten Phase wird das Bauteil betrieben, gewartet und letztendlich ersetzt oder optimiert. Das wird mit dem Begriff Building Operation and Optimization Model (BOOM) umschrieben. Er gibt an, dass das Bauteil letztlich den sechzigfachen Kosteneinsatz gegenüber der anfänglichen Planung erfordert. Basierend auf diesem Modell ist die fokussierte Optimierung der kostengünstigsten Phase – des Moments der Planung (BIM) – der effektivste Weg, um Zeit und Geld zu sparen. Betrachtet man lediglich die reinen Zahlen, erscheint das theoretische Einsparungspotenzial enorm. Die mögliche Kostenreduzierung ist jedoch auch mit einem erhöhten Planungs- und Koordinationsaufwand in den frühen Leistungsphasen verbunden. Insofern liegt diesem Modell vielmehr die Idee zugrunde, den Mehraufwand zu Beginn des Prozesses durch Kostenoptimierungen in der Folge mehrfach kompensieren zu können. Eine maßgebliche Voraussetzung, damit dieses Modell funktioniert, besteht in der verbindlichen Absprache, dass die Protagonisten der frühen Planungsphasen an den später zu erzielenden Einsparungen beteiligt werden – selbst wenn sie das Projekt zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen haben sollten. Wahrscheinlich aus Mangel an Vertrauen oder aus Skepsis gegenüber den eher theoretischen Überlegungen gibt es hierfür noch kein standardisiertes Verfahren. Entsprechende Absprachen müssen somit im Vorfeld von den Beteiligten individuell vertraglich vereinbart werden. Die Zukunft wird zeigen, in welchem Verhältnis die Zunahme an Qualität gegenüber der wirklichen Gewinnspanne zu bewerten ist.

50


60 EUR Betrieb

1 EUR Planung

ORGANISATION

20 EUR Konstruktion

BIM – BAM – BOOM: Bauteilbezogenes ­Kostenverhältnis nach Projektphasen

DIGITAL TWIN Eine der grundlegenden Ideen der BIM-Methode besteht in der Verbesserung der Planungsqualität, um eine fehlerfreie, kosten- und zeitreduzierte Ausführung sowie einen optimierten Betrieb des ­Gebäudes zu ermöglichen. Hierzu sollte vor Baubeginn eine möglichst genaue digitale Version des späteren Bauwerkes erstellt wer­ igitalen den. Man spricht daher auch von einem digital twin, einem d Zwilling, der sämtliche für das spätere Gebäude relevanten Informationen bereithält. Anhand eines solchen Modells sollen die realen Abhängigkeiten, aufkommende Fragen und mögliche Konflikte zwischen den Gewerken frühzeitig sichtbar und so vor Baubeginn abgestimmt werden. Der eigentliche Gewinn des digitalen Zwillings reicht auch hier über die Planungs- und Bauphase hinaus, indem die Nutzungs- und Nachnutzungsphase ebenfalls anhand des Modells abgebildet werden. Hierzu können Sensoren und Aktuatoren – sowohl physikalisch im Gebäude als auch im digitalen Abbild – so gekoppelt werden, dass ein bidirektionaler Datenaustausch zwischen der physisch-realen und virtuell-digitalen Umgebung möglich ist. Das Gebäude und seine Nutzung kann demnach über diese cyberphysikalische Schnittstellen beobachtet, verwaltet, gewartet und optimiert werden. Das Nutzerverhalten und die auf das Gebäude wirkenden Umwelteinflüsse wie zum Beispiel Sonneneinstrahlung, Wind- und Lärmbelastung können registriert, gespeichert und verwertet werden. Durch den Einsatz von KI und maschinellem Lernen lässt sich auf diesen Daten aufbauend der Betrieb des Gebäudes in dynamischen Szenarien optimieren und, wenn man so will, die Architektur als adaptives System programmieren.

51


BIM

DIGTIALER ZWILLING

DIGITALE UMGEBUNG

CYBERPHYSIKALISCHE UMGEBUNG

ZUNEHMEND STRUKTURIERTE UND AUSTAUSCHBARE DATEN WIE GEPLANT

WIE GEBAUT

3D

3D

DATEN

DATEN

DOKUMENTATION

DOKUMENTATION

IM GEBRAUCH

NUTZER

VORENTWUF

ENTWURF

KONSTRUKTION

ANALYTIK UND ERFAHRUNG

ECHTZEITDATEN

WHAT/IFANALYSEN

WARTUNG/BETRIEB

MACHINE LEARNING

WISSEN

VORHERSEHBARKEIT UND KI

END OF LIFE

Vom BIM­Modell zum digitalen Zwilling

8

Martin Charlier, Alfred Lui, Claire Rowland, Elizabeth Goodman, Ann Light(2015): Designing Connected Products.

9

Richtlinienreihe VDI 2552 (2020): Building Information Modeling (BIM). Abgerufen am 25. Juni 2020 unter: www.beuth.de/de/regelwerke/vdi/ richtlinienreihe-vdi-2552.

10 Aktuelle Mitteilungen von DIN zum Thema BIM. Abgerufen am 25. Juni 2020 unter: www.din.de/de/forschung-undinnovation/themen/bim/aktuelles. 11

Austrian Standards (2015): ÖNORM A 6241-1. Abgerufen am 25. Juni 2020 unter: www.austrian-standards.at/produkte-leistungen/kostenlose-downloads/supplements-zu-normen/ oenorm-a-6241-1/.

12 Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA (2017): SIA 2051 – Building Information Modelling (BIM). Abgerufen am 25. Juni 2020 unter: www.sia.ch/de/ der-sia/kommissionen-fachraete/2051/.

52

Die Datensätze bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Gebäude, ganze Siedlungen oder gar Städte miteinander zu vernetzen und so zum Beispiel Energiebedarf und -erzeugung effizient und ressourcenschonend abdecken beziehungsweise verteilen zu können. Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) 8 steht sicher erst am Beginn einer exponentiellen Entwicklung, in der die Grenzen zwischen physischen Bauteilen und digitalen Informationen verschmelzen. Dieses cyberphysikalische System wirft allerdings auch Fragen hinsichtlich der rechtlichen Randbedingungen auf, die es zu klären gilt. Viele der IoT-fähigen Bauteile sind in der Lage, verhaltens- und standortbezogene Daten von Menschen zu erfassen und zu übermitteln. Das IoT bildet daher im Hinblick auf Sicherheitslücken und Schwachstellen keinen Unterschied zu klassischen Computersystemen. Datenschutz wird spätestens an dieser Stelle zu einem wichtigen Bestandteil des BIM-Prozesses.

RICHTLINIEN Ein wesentlicher Aspekt bei der Einführung von BIM ist die möglichst frühe Einbeziehung aller Partner im Planungsprozess. Diese integrale Art der Zusammenarbeit basiert auf neuen Arbeits-, Denkund Kommunikationsweisen. Damit die Methode Erfolg hat, müssen alle Projektbeteiligten die jeweils vereinbarten Planungsinhalte und Abläufe einhalten. Eine integrale Zusammenarbeit kann aufgrund der Diversität der Beteiligten nur auf Basis guter Absprachen


BIM-Standardisierung: Übersicht und Zuordnung der nationalen und internationalen Gremien

ISO/TC 59/SC 13 (SN)

CEN/TC 442 (SN)

NA 005-01-39 AA

VDI-Koordinierungskreis

Information about construction works

Building Information Modelling

Building Information Modelling

Building Information Modelling

ISO/TC 59/SC 13/TF 02 (BSI)

CEN/TC 442/WG 1 (BSI)

NA 005-01-39-01 AK

Business Planning and Strategy

Strategie

Strategie

ISO/TC 59/SC 13/JWG 12 (SN)

CEN/TC 442/WG 2 (DIN)

NA 005-01-39-02 AK

Development of construction related data standards (IFC)

Exchange Information

Informationsaustausch

VDI 2552 Blatt 1 Rahmenrichtlinie

VDI 2552 Blatt 3 Mengen/Controlling VDI 2552 Blatt 4 Modellinhalte VDI 2553 Blatt 6 Bauherren/FM

ISO/TC 59/SC 13/WG 13 (BSI) Collaborative working over lifecycle

ISO/TC 59/SC 13/WG 8 (NEN)

CEN/TC 442/WG 3(ASI)

NA 005-01-39-03 AK

Information Delivery Manual

Information Delivery Specification

Informationsmanagement mit BIM

ISO/TC 59/SC 13/WG 2 (DS)

CEN/TC 442/WG 4 (AFNOR)

NA 005-01-39-04 AK

Classification of construction works

Support Data Dictionaries

Kataloge

ISO/TC 59/SC 13/WG 11 (DIN)

NA 041-01-71-GA

Product Data for Building Services

Datenstrukturen für elektronische Produktkataloge in der TGA

VDI 2552 Blatt 1 Rahmenrichtlinie VDI 2552 Blatt 3 Mengen/Controlling VDI 2552 Blatt 5 Datenmanagement VDI 2552 Blatt 6 Bauherren/FM VDI 2552 Blatt 7 Prozesse

VDI 2552 Blatt 9 Klassifikation

VDI 3805 Blatt 1ff Produktdatenaustausch in der TGA

Obwohl die Entwicklung solcher Standards in Deutschland, Österreich und der Schweiz von verschiedenen Gremien und Institutionen stark vorangetrieben wird, gibt es im deutschsprachigen Raum bisher keine einheitliche rechtliche Grundlage für die Regelung der Verantwortlichkeiten und Kooperationsbedingungen in einem BIM-Prozess. Daher müssen entsprechende Vereinbarungen jeweils projektspezifisch von den Partnern getroffen und in gegenseitigem Einverständnis vertraglich festlegt werden.

53

ORGANISATION

und aufgrund der Komplexität der Aufgaben vor Projektbeginn gelingen. Dies geschieht in der Regel über die Definition von Normen und Standards und der Ausgestaltung von möglichst offen geplanten Schnittstellen zwischen den Parteien. Zukünftig soll die VDI-Richtlinienreihe 2552 »Building Information Modelling«  9 die BIM-Standards in Deutschland definieren. Zudem arbeitet der DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau) im Fachbereich BIM an entsprechenden Normierungen. 10 Der über den Normungssatz ÖN 6241-2 definierte Österreichische BIM-Standard stellte bereits 2015 ein umfangreiches Regelwerk zur Verfügung, das die Inhalte von virtuellen Gebäudemodellen nach Leistungsphasen regelte. 11 In der Schweiz wird die Normierung vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA) erarbeitet. 12



ASTOC im Interview JZ SB

Jörg Ziolkowski Stephan Becker Welche Bedeutung hat BIM in Ihrer Arbeit?

JZ

Wie wir es im Moment erleben, ist BIM eine Struktur für die ­digitale­ Zusammenarbeit. Wir koordinieren uns nicht mehr anhand von 2D-Plänen, sondern im 3D-Modell. Damit diese Koordination funktioniert, gibt es auf das Projekt und die Anwendungsfälle angepasste dokumentierte Regeln. Ist dieser Prozess intern oder vielmehr von außen motiviert?

Vor gut zehn Jahren haben wir festgestellt, dass die Werkzeuge, mit denen wir unsere Architektur entwickeln, dokumentieren und schließlich als Pläne auf die Baustelle geben, zunehmend und mit einem für uns vertretbaren Aufwand dazu in der Lage waren, dreidimensionale Modelle zu generieren. Da wir schon seit jeher viele Modelle bauen und diese auch nach wie vor einen wesentlichen Teil unserer Entwicklungsabläufe bilden, wurde das 3D-Modell im Rechner zu einer Ergänzung, die wir ganz bewusst im Büro kultiviert haben. Bald schon wurde es für uns effizienter, daraus auch traditionelle Pläne wie Grundrisse, Schnitte und Ansichten abzuleiten. Wir stellten fest, dass bei unseren Fachplaner-Kollegen ähnliche Entwicklungen stattfanden. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, Modelle gemeinsam zu betrachten und zu koordinieren. Es dauerte weitere drei Jahre bis sich aus diesen theoretischen Überlegungen eine praktische ­Option­ ergab: Ein Auftraggeber aus der Schweiz forderte die digitale Koordination seines Projekts. Da haben wir das erste Mal über BIM-Prozesse­gesprochen und erste Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt. Allmählich kamen dann auch die ersten deutschen BIM-Projekte. Im Moment bearbeiten wir fünf umfassende BIM-Prozesse.

PRAXIS 2

JZ

Fordert der Auftraggeber diese Prozesse bei Ihren derzeitigen BIM-Projekten ein oder schlagen Sie es für den Planungsprozess vor? JZ

Zunächst ist es eine Entscheidung des Planers, wie er sein Werk liefert. Er beurteilt, wie er sein Projekt am besten und effizientesten zeichnen, beantragen, genehmigen lassen und schließlich bauen kann – ob mit Tusche und Transparent oder mit BIM, ist erst einmal egal. Der Architekt kann zusammen mit den Fachplanern eine ­Bearbeitung nach der BIM-Methode beschließen. Allerdings ist diese dann nicht honorarfähig beziehungsweise können sie dadurch nicht mehr Honorar generieren, weil sie nach wie vor bloß das tun, was der Bauherr von ihnen verlangt: Ein Gebäude dicht und warm, nach den Regeln der Technik zu erstellen. Erst wenn der Bauherr oder der Generalplaner über das Werk hinaus noch andere Ansprüche haben und mit diesen die Verantwortung und der Aufwand für den Architekten steigen, betrachten wir das als honorarfähig. Der Auftraggeber des Insel­spitals in Bern erwartet zum Beispiel, dass er sein Gebäude nach Fertigstellung mit unserem Modell betreiben kann. Mit dieser Erwartungshaltung wird natürlich gleichzeitig der Aufwand für uns größer.

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Gibt es eine BIM-Strategie in Ihrem Büro? JZ

Natürlich haben wir gewisse Standards für die Arbeit in unserem Büro entwickelt. Wenn wir in größeren Teams an umfangreichen Projekten arbeiten, gewährleisten diese beispielsweise, dass ein Kollege weiterarbeiten kann, wo ein anderer gerade aufgehört hat. Das ist aber noch keine BIM-Strategie. Ich bin der Meinung, dass wir als Architekten in diesem Sinne gar keine BIM-Strategie aufsetzen können. Wir können uns nur entscheiden, digital zu arbeiten und uns dabei nach bestimmten Gesetzen und Strukturen zu richten, die mit BIM-Strukturen, zum Beispiel der DIN 2552, kompatibel sind. Arbeitet ein anderes Büro ebenfalls mit diesen BIM-Strukturen, sind wir in der Lage, uns miteinander zu vernetzen. Wie sieht dieser Schritt von »little BIM« zu »big BIM« aus?

JZ

SB

Das Problem ist, wenn BIM nicht vonseiten des Bauherren gefordert wird, dann ist keiner vertraglich dazu aufgefordert, diese Standards zu leisten. Wir als koordinierende Architekten haben keinen Zugriff auf die Leistungen der Fachplaner, weil wir keinen Zugriff auf deren vertragliche Vereinbarungen mit dem Bauherrn haben. Wir können nur die Leistungen koordinieren, zu denen sie laut Vertrag beauftragt sind. Wir haben in unseren BIM-Prozessen häufig die Erfahrung ­gemacht, dass das gesamte Projekt stockt, wenn auch nur einer von den Fachplanern die entsprechenden Standards nicht liefert oder nicht liefern kann. Deshalb gilt für den ersten Schritt, dass alle Projektbeteiligten mit den gleichen Werkzeugen arbeiten und die Ambition verfolgen, 3D zu planen. Diese gemeinsame »BIM-Fähigkeit« bildet eine gute Basis, aber es gehört auch viel Disziplin dazu, diese Fähigkeit und Belastbarkeit verkaufen zu können. Da wir alle an einem 3D-Modell planen, von dem alles abgeleitet wird, muss es entsprechend gut ausgearbeitet sein. Im Gegensatz zur früheren 2D-Arbeitsweise fallen die Schwachstellen und Probleme in einem 3D-Modell sofort auf. In diesem Wandel der Planungskultur gilt es auch diejenigen mitzunehmen, die mit einer anderen Methodik aufgewachsen sind. Wie integrieren Sie Ihre Mitarbeitenden in solche Transformationsprozesse?

JZ

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Der Kontrast zwischen dem »alten Hasen« und den Mitarbeitenden der Generationen Y und Z ist natürlich eine Herausforderung in der Implementierung dieser neuen Werkzeuge. Gleichzeitig ist es aber auch sehr spannend, denn der »alte Hase« hat eine ganz andere Spannbreite von Erfahrungen als junge Mitarbeitende; er weiß, wie es geht, aber eben nur mit dem alten Werkzeug. Daher darf er nun nicht allzu befindlich sein, wenn ein »Greenhorn« ihm sagt, wie er zum Beispiel die Attribute an der richtigen Stelle einfügen soll. Im Austausch dazu profitiert das »Greenhorn« von den Erfahrungen des »alten Hasen«. Ihre Zusammenarbeit bildet im besten Fall eine kreative Ergänzung. Allgemein versuchen wir, die Werkzeuge so zu strukturieren und aufzubereiten, dass sie leicht handhabbar und verständlich sind. Wichtig ist jedoch, dass sich die Qualität der Architektur und ihre Aussage trotz dieser neuen Prozesse und der allmählichen Abkehr von den herkömmlichen Darstellungsformen nicht verändert.


Sind Sie der Ansicht, dass die neuen digitalen Prozesse einen Einfluss auf Ihre Architektur, Ihre Architekturhaltung und Ihre formalen Ergebnisse haben? JZ

SB

Die digitalen Werkzeuge sind auf jeden Fall ein Hilfsmittel, insbesondere um die Qualität sowohl in gestalterischer Hinsicht als auch in der baulich konstruktiven Umsetzung zu verbessern. Sie sind aber kein Selbstzweck und sollten immer nur dienenden Charakter haben. In unserem Büro wird das Entwurfsergebnis nicht durch das Werkzeug bestimmt. Immer wieder kommt auch die Software an ihre Grenzen, aber wir wollen uns dadurch nicht einschränken lassen. Daher ist es uns wichtig, dass wir solchen Problemen immer nachgehen und uns ständig mit den Entwicklern der Software austauschen.

SB JZ

SB

PRAXIS 2

Gibt es einen entsprechenden Spezialisten in Ihrem Büro, der bei Bedarf spezifische Module programmiert, die im Entwurfsprozess helfen?

Nein, so jemanden haben wir nicht. Wenn mal was nicht funktioniert, wenden wir uns an den Hersteller. Nach wie vor sind wir an erster Stelle Architekten und Stadtplaner. Jeder hat seine persönlichen Expertisen und besonderen Kompetenzen und durch die Arbeit im Projekt können auch die Kollegen von den ­Fähigkeiten der anderen profitieren. Das gilt sowohl für die ­interne Arbeit im Büro als auch für die Zusammenarbeit mit Außenstehenden. ASTOC hat schon immer sehr viel in Kooperation gearbeitet, sei es mit anderen Architekten und Fachplanern oder mit speziellen Firmen und Dienstleistern. Diese Zusammenarbeit praktizieren wir auch im digitalen Bereich: Wenn wir merken, dass uns bestimmte Kompetenzen fehlen, die wir für neue Prozesse brauchen, dann suchen wir uns Partner. Als wir beispielsweise mit unseren ersten BIM-Projekten begonnen haben, haben wir uns an Dienstleister gewandt, die über das nötige Wissen verfügten und uns an die Hand nehmen konnten. Wir arbeiten gerne mit anderen zusammen, die besser sind und näher am »Puls der Technik«, um von ihnen zu lernen. Unsere Strategie ist nicht eine BIM-konforme Fachkoordinationsabteilung, die alles dominiert. Stattdessen haben wir mit allen Mitarbeitenden eine entsprechende Fortbildung gemacht, wobei Einzelne dann gegebenenfalls noch weiter fortgebildet werden. Außerdem pflegen wir regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit anderen Büros. Sie kommen mit ihren Fragen zu uns, wir gehen mit unseren zu ihnen. Welche Randbedingungen müssen sich ändern, damit wir im Sinne dieser integrativen Methoden besser arbeiten können?

JZ

Mir gefällt es, dass der Architekt durch BIM wieder die Rolle des klassischen Baumeisters erhält. Wie Meister Gerhard damals den Bau des Kölner Doms plante und koordinierte, fungieren wir nun als Baumeister und Koordinatoren des Gesamtmodells und erlangen d ­ adurch eine Kompetenz wieder, die unserem Berufsstand entspricht. Dazu müssen jedoch die Projektsteuerer einen Teil ihrer Kompetenzen an die Architekten abtreten beziehungsweise zurückgeben. Vor allem ist es wichtig, die Qualität des Gesamten, die Qualität der Architektur zu erhalten.

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War das auch Ihre Motivation, sich in Vereinigungen wie buildingSMART zu engagieren und dies als ein Sprachrohr auf institutioneller Ebene zu nutzen? JZ

Ja, natürlich. Als sich hier im Kölner Raum eine Regionalgruppe bildete, war ich der Meinung, dass auch Architekten dabei sein müssen. Einerseits, um mit anderen ein gemeinsames Forum für Kollegen zu bilden, die sich für diese neuen Prozesse und Entwicklungen interessieren und Genaueres erfahren möchten, und andererseits, um zu berichten, was international in diesen Bereichen passiert. Leider sind dort derzeit noch viel zu wenige Architekten vertreten. Kommen wir zu den zukünftigen Entwicklungen im ­Bereich der Digitalisierung. Könnten die digitalen Prozesse soweit automatisiert werden, dass eine künstliche ­Intelligenz irgendwann die Aufgabe des Architektur­schaffenden übernimmt?

SB

JZ

Nein, das glaube ich nicht. Wir haben uns solch ein System einmal vorführen lassen, welches anhand der Grundstücksgröße und den äußeren, baurechtlichen Einflüssen eine gewisse Bebauung generieren konnte. Natürlich kann sich dieser Dinge bedient werden, aber ich bin der Ansicht, dass gute Architektur noch immer einen menschlichen Urheber und Produzenten braucht. Es müssen nach wie vor gestalterische Entscheidungen getroffen werden. Und selbst wenn das vom System ­generierte Gebäude die optimale Lösung für das Grundstück ist, stellt sich noch immer die Frage, ob es denn auch die optimale Lösung für das Umfeld wäre. Die Faszination dieser Systeme liegt in der Vielfalt an Varianten, die sie erzeugen und darüber hinaus auch bewerten können. Anschließend kann ich als Architekt und Stadtplaner die gefilterten Varianten ansehen und selber bewerten, um dann gegebenenfalls eine oder zwei von ihnen aus dem System zu lösen und weiter zu verfolgen. Es ist ein Hilfsmittel, aber es ist nicht die Lösung. Wie hat BIM Ihre Projektarbeit und die Abläufe im Büro konkret verändert?

SB

JZ

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Das digitale Planen am 3D-Modell fokussiert die Gestaltung. Es ist eine gute Art der Dokumentation, denn es ermöglicht mir, meine Vorstellungen und Ideen besser zu visualisieren und dies wiederum erleichtert den Austausch und die Diskussion mit Kollegen und Fachplanern über den Entwurf. Anstatt lange zu erklären und zu beschreiben, kann ich es ihnen einfach zeigen. Das ist eine ganz andere Herangehensweise. Die Kommunikation mit dem Bauherrn und den Kollegen der Fachplanung findet in BIM-Prozessen auf einem ganz anderen Niveau statt. Die Zusammenarbeit wird grundsätzlich deutlich transparenter. Schon anhand der Modelle kann man sehen, wo die Kollegen ­gerade stehen, woran sie arbeiten – oder auch nicht arbeiten – und an welchen Stellen sie im Moment vielleicht mit Problemen kämpfen. Dadurch wird das Verständnis füreinander ein Stück weit kultiviert. Auch die gemeinsamen Arbeitstreffen mit den anderen modell­ führenden Kollegen haben eine ganz andere Qualität als die herkömmlichen Fachplaner-Besprechungen.


Ein wichtiger Aspekt sind die Auswirkungen, die diese Prozesse letzten Endes auf unsere Arbeit und die entstehende Architektur haben. Was uns auffällt und was wir bislang noch nicht lösen konnten, ist Folgendes: Nach Abschluss der Leistungsphase 3 ist die Planung im Grunde so weit fortgeschritten, dass die Pläne aus dem 3D-Modell generiert werden können und somit auch das Gebäude gebaut werden kann. Dies bedeutet allerdings, dass gewisse Leistungen der Phase 5 nach vorne geschoben werden und dass bereits sämtliche notwendige Entscheidungen, zum Beispiel in Bezug auf die Materialisierung, sowohl vom Architekten als auch vom Bauherrn getroffen sein müssen. Vieles will bereits zu diesem Zeitpunkt geklärt sein und um diese Sachen klären zu können, benötigen wir Zeit. In den aktuellen Terminplänen wird dies jedoch nie berücksichtigt. Heißt das, die Architekturqualität wird nicht automatisch ­besser, wenn ich bestimmte Leistungen nach vorne schiebe?

Ein gutes Werk braucht Zeit, egal ob auf Papier oder digital. Genau. Natürlich könnte ich aufgrund des größeren Planungs­ volumens für diese Leistungsphase mehr Zeit verlangen, aber das würde auch bedeuten, dass der Bauantrag später eingereicht wird. Durch die langen Genehmigungszeiträume ist die Abgabe des Bauantrags für den Bauherren immer der kritische Punkt, denn erst wenn die Baugenehmigung vorliegt, kann der Bau beginnen. Daher möchte der Bauherr immer möglichst schnell den Bauantrag einreichen, aber das passt eigentlich nicht zum BIM-Prozess.

PRAXIS 2

SB JZ

Zum Schluss noch die Frage, was Sie von Hochschul­ absolventen erwarten, die bei ASTOC beginnen möchten? JZ

Unsere Erfahrung mit Master-Absolventen und Praktikanten, die sich hier als Bachelor bewerben, ist, dass sie einen virtuosen Umgang mit den digitalen Grundwerkzeugen und Themen wie Visualisierung oder Modellierung haben. Durch diese Fertigkeiten verfügen sie über ein großes Verständnis für die Arbeit am Modell und deshalb können wir sie auch relativ schnell in unsere digitalen Kommunikationsprozesse miteinbeziehen. Letztlich geht es darum, dass die jungen Menschen an der Hochschule das architektonische Gestalten und die Determinanten für eine gute Architektur erlernen. Wie diese Architektur dann entsteht, ob digital oder analog, ist erst mal zweitrangig. Anders ausgedrückt: Es ist gut, wenn es den digitalen Hintergrund gibt, wichtiger sind jedoch architektonische Kenntnisse über den Entwurfsprozess und die Parameter, die zu einer guten Architekturgestaltung führen. SB Für die Arbeit am 3D-Modell, welches nachher auch BIM-fähig sein soll, sind Disziplin und das Einhalten der Modellierungsregeln wichtige Voraussetzungen. Nur so kann ein effizientes Arbeiten des gesamten Projektteams ermöglicht werden.

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INSELSPITAL BERN

Eines der derzeit größten BIM-Projekte der Schweiz ist nicht nur eine architektonische, sondern auch eine gesamtplanerische Herausforderung. Statt von monotoner Funktionalität geprägt, soll das neue Hauptgebäude BB 12 des Berner Inselspitals wie ein lebendiges Quartier mit hoher Aufenthaltsqualität erbaut und im Jahr 2023 bezogen werden. Das 1354 gegründete Spital liegt auf einer Anhöhe bei Bern und ist wie die Berliner Charité ein medizinisches Kompetenzzentrum von internationaler Bedeutung. Es wird nach einem Masterplan von HENN aus dem Jahr 2010 weiterentwickelt. Damit kann bei Bedarf die Bruttogeschossfläche bei gleicher Grundfläche im laufenden Betrieb verdoppelt werden. Neben architektonischen Fragen spielen auch die ­prozessuale­und logistische Durchdringung, Umsetzung und Durchführung eine große Rolle. 55 Programm: Krankenhaus 55 Zeit:  2023 (geplante Fertigstellung) 55 BGF: 84 000 Quadratmeter 55 Architektur:  ASTOC (Köln), GWJ Architektur (Bern), IAAG Architekten (Bern)

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PRAXIS 2


ULRICH BLUM FH MÜNSTER Leonardo-Campus 7 48149 Münster www.fh-muenster.de/fb5

HENRIETTE STROTMANN FH MÜNSTER Corrensstr.25 48149 Münster www.fh-muenster.de/bau

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Bevor Ulrich Blum 2017 als Professor an die Fachhochschule Münster berufen wurde, arbeitete er für verschiedene internationale Architekturbüros, darunter OMA Asia und Gehry Technologies in Hongkong und Zaha Hadid ­Architects ­ eking, am (ZHA) in London. Bei ZHA arbeitete er am neuen Flughafen in P ­Innovation Tower für die School of Design der Hong Kong Polytechnic University und an Büroprojekten, wie dem Frankfurt Gateway Gardens Tower, und dem Sberbank Technopark-Gebäude in Moskau. An der Münster School of Architecture lehrt Ulrich Blum Digitales Entwerfen und Konstruieren und forscht in den Bereichen Parametrisches Entwerfen, BIM, Digitale Fabrika­ tion und Digitalisierung der Arbeitswelten. Henriette Strotmann wurde 2015 als Professorin für Baubetrieb und Baumanagement an die Fachhochschule Münster berufen. 2019 wurde ihre Professur um das Fach BIM und Digitalisierung erweitert. Seitdem lehrt und forscht sie als Professorin für Baubetrieb und Digitalen Bauwerkszyklus an der Schnittstelle zwischen diesen beiden Themenfeldern. Henriette Strotmann ist ­zudem geschäftsführende Gesellschafterin der IBB West­ falen GmbH ­(Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft), das ein An-Institut der FH ­Münster­ist. Die IBB Westfalen GmbH informiert, begleitet und berät klein- und mittelständische Bauunternehmen, Handwerksbetriebe, Bauherren und Planer.


Ulrich Blum und Henriette Strotmann von der FH Münster im Interview UB HS

Ulrich Blum Henriette Strotmann Wie kamen Sie ursprünglich mit dem Thema BIM in Kontakt?

UB

In meinem Fall war die Affinität zum digitalen Arbeiten in gewisser Weise immer da – und ist es auch heute noch. Schon während meines Studiums arbeitete ich in der Darstellenden Geometrie als wissenschaftliche Hilfskraft. Als ich später Mitarbeiterin des Lehrgebiets Baubetrieb wurde, lag unser BIM-Feld sozusagen brach. Wir schrieben eine Professur für dieses Themengebiet aus, die ich 2019 schließlich selbst antrat. Bereits im Jahr 2014 begannen wir, uns mit der Frage auseinanderzusetzen, was BIM für den Baubetrieb, das Bauingenieurswesen und die Lehre an der Hochschule im Allgemeinen bedeutet. Ich empfand es immer sehr unbefriedigend, dass die neuen integralen Methoden stets als DAS Mittel der Wahl angepriesen wurden, ohne auch das Wie zu erläutern: Wie könnten diese Methoden eingesetzt werden? Erst als ich 2015 die Autodesk University besuchte, verstand ich, was BIM wirklich bedeutet, und dort fasste ich den Entschluss, dass wir dies auch den Studierenden näherbringen müssen. Bald darauf haben wir begonnen, die Methode BIM, das 3D-Modellieren mit Revit und die Ausführungsplanung und Kalkulation modellorientiert mit iTWO in unser Vertiefungsmodul Baubetriebliche EDV einzubinden. Schon während meines Studiums war ich fasziniert von Frank O. Gehry und wollte unbedingt für ihn arbeiten. Nach meinem Studium ergab sich tatsächlich die Möglichkeit, in Asien für Gehry Technology tätig zu sein und mit verschiedenen Architekten in Kooperation zu treten. Insgesamt hatte ich mit etwa sechs großen Projekten zu tun, darunter dem Galaxy Soho von Zaha Hadid in Peking und dem Pacific Place Komplex von Heatherwick Studio in Hongkong. Damals verliefen die traditionelle 2D-Planung und der neuartige BIM-Prozess noch parallel. Das bedeutete zwar eine große Investition für den Bauherren, aber sie zahlte sich aus, da viele Probleme noch während der Planung entdeckt und behoben werden konnten. BIM mit CATIA, einer Software aus der Flugzeugindustrie, war faszinierend, weil es schon vor 15 Jahren funktionierte.

LEHRE & FORSCHUNG

HS

Welchen Stellenwert nimmt BIM in Ihrer Lehre ein? UB

Ich bin als Professor im Department Entwurf tätig, das heißt, neben BIM gibt es noch einige andere Themen. Abgesehen von dem Kurs BIM Interdisziplinär wird meine BIM-Lehre vor allem über ­Bachelorund Masterthesen abgedeckt. Im Entwurf dürfen meine Erstsemesterstudierenden bereits nach zwei, drei Wochen analogen Arbeitens auch Rhino oder Grasshopper benutzen. Natürlich können sie auch weiterhin von Hand zeichnen, aber ich biete ihnen durch entsprechende Einführungskurse zumindest die Möglichkeit, digital und 3D zu arbeiten. Zudem haben wir an der MSA ein digitales Labor aufgebaut, in dem sechs Tutoren und zwei Doktoranden beschäftigt sind. Das Labor und die Inhalte entwickeln wir ständig weiter.

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