Schulen bauen Leitlinien für Planung und Entwurf / PRUE CHILES (HRSG.)
Seit langer Zeit stellen Schulbauten ein großes Aufgabengebiet für die Architektur dar und es gibt ein nachhaltiges Interesse an dieser Bauaufgabe. Die wichtigsten Themen im Schulbau erläutert diese Publikation in zehn Kapiteln und vermittelt zentrale Parameter für diesen Bautyp: die Rolle neuer pädagogischer Konzepte, Fragen der Nachhaltigkeit, das Schaffen flexibler Räume zum Lernen, Schule im städtischen Kontext, Partizipationsprozesse, Lernen außerhalb des Klassenzimmers, Außenraumgestaltung, Chancen und Anforderungen der integrativen Schule, intelligente Umbaulösungen und geeignete Ausstattung und Möblierung. Jedes Thema wird aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und mit zahlreichen internationalen Beispielen illustriert. Die vorbildlichen Lösungen für spezi fische Anforderungen geben Anregungen für die eigene Entwurfsarbeit.
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Schulen bauen Leitlinien für Planung und Entwurf / PRUE CHILES (HRSG.)
Inhalt Vorwort
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Einleitung: Perspektiven des Schulbaus
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9 Zum Buch / 11 Ausgewählte Schulbauprogramme / 20 Erfahrungen
1 Vom Lernkonzept zur architektonischen Form
2 Natur, Ökologie und Umwelt
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110 Die Vorteile partizipativen Arbeitens – Unterschiede zwischen Befragung und Partizipation – Der Beitrag von Kindern und Jugendlichen im Gestaltungsprozess / 111 Gestaltungsvorgaben entwickeln – Der gemeinschaftliche Konzeptentwurf – Stärkung der Nutzer / 114 Gestaltungsbeteiligung – Beteiligung bei kleineren Projekten – Teamwork – Mitarbeit auf der Baustelle – Lernen durch Bauen – Kommunale Projekte im Selbstbau – Gebäudeevaluation nach dem Bezug
6 Lernen außerhalb des Klassenraums
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92 Öffentliche Nutzung – Ein Bürgerzentrum für alle – Generationen zusammenführen – Schulen im sozialen Gefüge – Kultureller Zusammenhalt und die Bedeutung der Vielfalt / 100 Erneuerungen anstoßen – Motivation stärken
5 Partizipation am Entwurfs- und Bauprozess
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72 Verschiebbare Elemente – Lernbereiche umgestalten – Große Räume teilen / 76 Große multifunktionale Räume – Zentrales Atrium – Die multifunktionale Treppe / 81 Temporäre Schulbauten – Modulbauweise – Mobile Unterrichtseinheiten / 83 Langfristige Flexibilität im Entwurf anlegen – Innenräume verändern – Organisation in Lernclustern / 87 Bewegliche Schule
4 Schulen in ihrem Umfeld
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50 Lernen und Ökologie verbinden – Die Waldschulen – Schulen und die Elemente der Natur / 53 Der Genius Loci – Lebenszyklen in Schulen – Regionale Materialien und Handwerkstechniken – Ökologische und soziale Nachhaltigkeit / 59 Schulgestaltung und Umweltstandards – Das Passivhaus – Wege zur CO₂-neutralen Schule
3 Flexible Lernräume
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26 Ideen für den Wandel / 29 Schule als Arbeitsplatz / 33 Lernplattformen / 38 Eine Schule in der Schule / 42 Lernen in offenen Räumen
132 Optionen für personalisiertes Lernen – Schuleingänge – Eingänge zu Fachbereichen / 142 Farben und Materialien / 147 Erschließungsflächen, Flure und Toiletten
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7 Das Schulgelände als Lernraum
8 Förderschule und Inklusion
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194 Umgestaltung von Schulgebäuden / 203 Stärken bewahren, Neues schaffen / 207 Ein einheitliches Schulgelände schaffen / 212 Strategische Eingriffe und mehrstufige Interventionen / 214 Umnutzung bestehender Gebäude und Vorfertigung
10 Einrichtung und Möblierung
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174 Regelschule oder besondere Einrichtung? / 175 Ablesbarkeit / 179 Integration und Gleichheit / 183 Zwei Schulen an einem Ort / 184 Mit der Kommune verbunden / 190 Vorbereitung auf das Erwachsenenleben
9 Umbau und Erweiterung von Schulbauten
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158 Draußen lernen: das gestaltete Schulgelände / 160 Ein Schulhof für alle – Topografie und Vegetation – Pausen und Sport – In der Landschaft unterrichten
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222 Räume schaffen und definieren – Stühle und Schreibtische – Eingangsbereiche – Raumteilung / 226 „Wo soll das alles hin?“: Möbel als Stauraum – Feste und mobile Aufbewahrungsmöglichkeiten – Stauraum ins Gebäude integrieren / 229 Verschiedene Möblierungskonzepte – Wandelbare Lernmöbel – Integration von Möblierung und technischer Ausstattung – Möblierung als Teil der Bausubstanz
Weiterführende Literatur 236 Register der Bauten, Architekten und Orte 238 Bildnachweis 240
1 Vom Lernkonzept
zur architektonischen Form / PRUE CHILES
Planung und Bau neuer Schulen, so lautet die moderne Theorie, sollten auf den neuesten Forschungsergebnissen zum Lernverhalten von Kindern aufbauen. Doch nur wenige Schulen experimentieren mit alternativen pädagogischen Methoden oder erproben bei der Einteilung und Anordnung von Räumen oder der Ausstattung insgesamt die Grenzen des Gewohnten. In einigen Schulbauten aus jüngerer Zeit sind zwar die Einflüsse von neuen Raum- und Formkonzepten wie an der Hochschule oder dem modernen Arbeitsplatz spürbar. Aber sollen sich unsere Kinder in der Schule schon wie in einem Büro fühlen? Wollen wir das wirklich? Einige neue Schulen in Dänemark, Finnland und Norwegen bieten besonders interessante räumliche Lösungen für veränderte pädagogische Konzepte. Ziel des britischen Programms Building Schools for the Future (BSF, 2004–2012)1 war es, über die Erneuerung aller britischen Sekundarschulen einen Bildungswandel herbeizuführen. Ein wichtiger Teil des Projekts und des durch ihn angestoßenen Prozesses bestand darin, dass jede Schule ihre Bildungsvision formulieren sollte. Aus diesem Programm heraus entstand nach dem Public-Private- Partnership-Modell eine neue Schulform, die sogenannten Academies, von denen einige sehr erfolgreich waren. Sie bieten eine ganze Reihe interessanter Impulse für neue Lernformen an und sie schlagen hierfür zugleich auch architektonische Lösungen vor. Es mag der Unterstützung durch Sponsoren und Partnern aus der Wirtschaft geschuldet sein, dass diese Schulen teilweise wie die Räume von Wirtschaftsunternehmen anmuten; im Allgemeinen sind sie aber auch eher bereit, ihre Einrichtungen für eine breitere Öffentlichkeit zu öffnen. Es stellt sich allerdings die Frage, welche Innovationsimpulse sich tatsächlich dem BSF-Programm verdanken oder ob vielleicht doch nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt wurde. Das folgende Kapitel wirft einen genaueren Blick auf einige dieser Schulen und auf ihre Konzepte für eine neue Raumnutzung. Was wurde unternommen, um ein nachhaltiges Lernen zu fördern? Und welche architektonische Vision lag dem jeweils zugrunde?
GYMNASIUM ØRESTAD, IN ØRESTAD, KOPENHAGEN, DÄNEMARK [3XN Arkitekter, 2007] In runden Sitzbereichen können Schüler in geselliger und ungezwungener Atmosphäre lernen.
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HELLERUP-SCHULE IN GENTOFTE, KOPENHAGEN, DÄNEMARK [Arkitema, 2002] In dieser Schule, durch ihren offenen Grundriss gekennzeichnet, gibt es eine ganze Reihe informeller Lernbereiche wie Nischen und Sitzecken. Das zentrale Treppenhaus ist das besondere Merkmal der Schule und ist in etlichen Schulgebäuden weltweit nachempfunden worden. Es ist das Herz und der Haupttreffpunkt des Gebäudes – und der erste Raum, auf den der Schulbesucher trifft.
Ideen für den Wandel Das letzte englische Schulbauprogramm, das von der Größenordnung her mit dem BSF vergleichbar ist, datierte aus den 1960er Jahren. 1975 erschien in England ein internationaler Bericht zu einigen Schulen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre, deren Gebäude man als Musterbeispiele einer besonders fortschrittlichen Pädagogik betrachtete: „Funktionsmäßige Flexibilität, Gemeinschaft, Zugang zu Fachräumen und Nutzung neuer Technologien und Materialien“ wurden seinerzeit durch den Bericht als brandaktuelle Themen vorgestellt, die einen „Bruch mit der Vergangenheit“ darstellten und die Vision „einer neuen, dynamischen Beziehung zwischen der Schulgemeinschaft und der Gesellschaft“ abbildeten.2 Dieses Umdenken in der Pädagogik, die Schaffung neuer Räume für neue Lernformen und die Verwendung neuer Technologien und Materialien, vor allem aber auch die Rückbesinnung auf die Schule als Mittelpunkt eines jeden Gemeinwesens – all dies wird seither und bis heute gebetsmühlenartig eingefordert. Auch früher gab es schon interessante Ideen für neue Wege in der Grundschulbildung. So brachte im England der 1950er Jahre die architektonisch-pädagogische Ex-
perimentierfreude3 von David und Mary Medd das Konzept des „erweiterten Klassenzimmers“ und die Idee der „Gestaltung von innen“ hervor. Das führte insgesamt zu einem sensibleren Umgang mit Raumfragen, die am Wohle des Kindes orientiert waren. Andere Grundschulen wagten sich an Lehrmethoden heran, die auf ein Bildungsexperiment aus der italienischen Provinz Reggio Emilia zurückgingen, das seinerzeit in aller Munde war. In diesem wurde das Schulgebäude konzeptionell als „dritter Pädagoge“ bezeichnet. In den Sekundarschulen wird zwar fachspezifisch unterrichtet und die Schüler halten sich jeweils nur stundenweise in einem Klassen- oder Fachraum auf. Doch auch wenn hierbei ein Abweichen von der herkömmlichen Norm der Unterrichtsräume nicht ganz so einfach erscheint, gibt es trotzdem immer noch genug Möglichkeiten, Räume ihrem Fachzweck auf die ein oder andere Weise anzupassen. Das größte Umdenken in Bezug auf das Raumprogramm von Schulen fand in den letzten Jahren an der Hellerup-Schule in Gentofte, Dänemark [Arkitema, 2002], einem postindustriellen Vorort von Kopenhagen, statt. Bekannt ist die für 640 Schüler im Alter von 6 bis 16 Jahren konzipierte Schule vor allem für ihre Treppenanlage, die im Zentrum eines als Hauptversammlungsraum
1 VOM LERNKONZEPT ZUR ARCHITEKTONISCHEN FORM 26
HELLERUP-SCHULE / Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 1. Obergeschoss
Es gibt für die Schüler viele Räume zu entdecken: kleine, informelle Lernbereiche, in denen sie zusammen arbeiten oder sich treffen können.
des Gebäudes dienenden Atriums liegt.4 Das neuartige Raumkonzept förderte nicht nur neue Formen des Unterrichtens und des Lernens, sondern gab den Schülern auch ein neues Selbstverständnis. Offene Unterrichtsbereiche mit Sofas und Lernnischen für kleinere Arbeitsgruppen und selbstständiges Lernen schaffen eine Atmosphäre der Ungezwungenheit und fördern die Bereitschaft zu Teamwork. Der Schulleiter, der die neue Schule eröffnete, hatte sich schon in der Planungs- und Bauphase mit den Architekten ausgetauscht. Er konnte sich sicher sein, dass das Experiment mit den neuen Lehrmethoden und neuen Räumlichkeiten gelingen wür-
de, da die Schule von Grund auf neu konzipiert worden war: Nicht nur der Bau, auch das Kollegium waren neu; die Lehrkräfte wurden speziell für den Unterricht in diesem offenen Umfeld angeworben und entsprechend auch auf die neue Art des Lehrens vorbereitet. Gleichzeitig verzeichnete das zunehmend wohlhabende und aufstrebende Viertel im Einzugsgebiet Kopenhagens einen Zuzug von Familien. In der Bexley Business Academy in London, Großbritannien [Foster + Partners, 2003], einer der ersten und besonders gelobten Academies, zu deren Konzept ebenfalls offene Räume wie die sogenannte Stock Ex-
IDEEN FÜR DEN WANDEL 27
6 Lernen
außerhalb des Klassenraums
/ PRUE CHILES
Unterricht muss nicht immer in den herkömmlichen Klassen- oder Unterrichtsräumen stattfinden. Dass Kinder auch in anderen Räumen lernen können, ohne dass ihre Bildung darunter leidet, soll im Zentrum dieses Kapitels stehen. Viele Räume werden oft nicht genügend beachtet oder ganz vergessen. Sie werden zu selten genutzt oder spielten in der Planung des Raumprogramms nur eine untergeordnete Rolle. Häufig haben Schulen zudem viele unscheinbare Räume, etwa verwirrende Eingangsbereiche, die nicht selten auch noch in langen, düsteren oder langweiligen Fluren liegen, oder aber, besonders häufig, unansehnliche Toiletten. Solche Räume werden oft erst im Rahmen eines Umoder Anbaus in die Raumkonzepte von Schulen integriert und dabei dann entweder selbst zu Lernorten oder doch in Orte des Miteinanders verwandelt. Den ersten Eindruck von einem Schulgebäude vermitteln Eingangsbereiche. Sie sind die Visitenkarte und das Schaufenster einer Schule. Schon deshalb sollten sie einladend, großzügig und anregend gestaltet sein. In Fluren und anderen Erschließungsbereichen lassen sich Treffpunkte und Arbeitsbereiche für Kleingruppen einrichten. Ein Beispiel für Räumlichkeiten, die in Fallstudien kaum vorkommen, sind die Toiletten. Dabei lassen gerade sie oft deutliche Rückschlüsse darauf zu, ob ein Schulgebäude vernünftig und innovativ geplant ist. Sie können Kinder sogar zum Lernen animieren und eigenständiges Denken fördern! In diesem Kapitel soll es daher um originelle Beispiele für die Gestaltung spezieller Bereiche einer Schule gehen, die Kinder, Jugendliche und Lehrer ihre Schulgebäude anders wahrnehmen lassen. Vielleicht sind es gerade diese Bereiche, in denen sich Kinder sozialen Umgang und selbstständiges Lernen am besten aneignen.
ESCOLA SECUNDÁRIA IN CANEÇAS, PORTUGAL [ARX, 2013] Die Sekundarschule greift die Idee der „Lernstraße“ auf und schafft dynamische Räume für Kleingruppen sowie Außenflächen, die von den Schülern erkundet und in Besitz genommen werden können.
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ORDRUP SKOLE IN CHARLOTTENLUND, DÄNEMARK [Bosch and Fjord, CEBRA Architects mit Søren Robert Lund, 2006] Die Umbaumaßnahmen werteten die Bestandsbauten erheblich auf und machten die Schule zu einem vielbeachteten Beispiel: „Ruhe und Vertiefung“ war eines der Leitthemen bei der Gestaltung, die die sogenannten Leseröhren inspirierten. Hier finden die Jüngsten die Ruhe, um ungestört ein Buch zu lesen. Unten rechts: Die spielerischen Elemente sind auf die Bedürfnisse der einzelnen Altersstufen und die jeweiligen pädagogischen Anforderungen abgestimmt.
Die Ansichten zeigen die Ergänzungen zwischen den Bestandsgebäuden.
Optionen für personalisiertes Lernen Die meisten Menschen werden durch soziale Erfahrungen motiviert: Wir unterhalten uns gerne mit unseren Mitmenschen oder sehen ihnen zu. Wir fühlen uns in Gesellschaft besser und sicherer. Wer möchte nicht gerne eine Schule besuchen, in der Bewegung und Aktivität und eine gewisse Offenheit herrschen?1 Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich an modernen Lernorten zentrale Atrien, breite Treppen mit Sitzmöglichkeiten und etwas ge-
schütztere Bereiche, wie sie in diesem Kapitel besprochen werden. Diese Räume eignen sich für individuelles, sogenanntes personalisiertes Lernen oder das Lernen in Kleingruppen. Jeder Mensch lernt anders. Dieser Erkenntnis hat man zu Beginn des 21. Jahrhunderts in vielen Ländern Rechnung getragen, indem man sich dem flexiblen oder personalisierten Lernen zugewandt hat. Es sollen nicht mehr alle dasselbe Wissen zur gleichen Zeit vermittelt bekommen, sondern jeder nach seinen Fähigkeiten gefördert werden. Das erfordert völlig neue Lehrmethoden und
6 LERNEN AUSSERHALB DES KLASSENRAUMS 132
ORDRUP SKOLE / Die etwas Älteren freuen sich über die „Konzentrationsnischen“ und die verschiebbaren „Teppichinseln“, mit denen in dem Gebäude personalisierte Lern umfelder geschaffen wurden.
Ungenutzte Flächen wie Flure verwandelten die Architekten und Designer in Lernoasen, in denen Kinder sich zusammen setzen oder konzentriert lernen können.
Grundriss Erdgeschoss. Zwischen den drei Bestandsgebäuden schufen die Architekten an 15 Stellen Alternativen zum Lernen im Klassenraum.
auch neu gestaltete Umfelder, die erforscht und getestet werden müssen. Die britische Regierung unterstützte das Projekt Space for Personalised Learning,2 in dem durch Baumaßnahmen ein eigenverantwortliches Lernen von Schülern begünstigt werden sollte. In manchen Ländern gibt es bereits ganze Schulen, deren Raumprogramm speziell auf das personalisierte Lernen zugeschnitten ist.
Ein Beispiel ist die Ordrup Skole in Charlottenlund, Dänemark [Bosch and Fjord, CEBRA Architects mit Søren Robert Lund, 2006], in der Kommune Gentofte. Die Stadt hat europaweit ein besonders fortschrittliches und oft publiziertes Schulbauprogramm aufgelegt und in seiner Ausführung zwölf Schulen baulich umgestaltet, damit kindzentriertes Lernen möglich wird.3 Grundlegend ist
OPTIONEN FÜR PERSONALISIERTES LERNEN 133
7 Das Schulgelände als Lernraum
/ HOWARD EVANS
In diesem Kapitel geht es um das Außengelände einer Schule. Wie kann dessen Gestaltung dazu beitragen, dass die Schule sich einerseits besser in ihr Umfeld einfügt und dass die Schüler andererseits den Außenraum selbst als Lernraum erfahren? In der Erinnerung von vielen Menschen war der Schulhof nicht viel mehr als eine platte Asphaltwüste rund um das Schulgebäude, umgeben von einem ungepflegten Rasen. Diese freudlosen Flächen zierten vielleicht noch Torpfosten oder ein paar Turngeräte, auf dem Boden waren weiße Linien für den Sport aufgemalt. Etwas Besonderes war es dann schon, wenn diese Kargheit durch ein paar verlorene Bäumchen, mit einer farblosen Hecke oder einer Reihe bepflanzter Waschbetonkübel geschmückt war. Diese Eindrücke sind das Erste, was Besucher von einer Schule sehen. Aber es gibt auch Gegenbeispiele, und eine Reihe von Schulen aus aller Welt zeigen, dass man über die Gestaltung der Außenflächen ein positives Image und Räume schaffen kann, die sich sogar zum Unterrichten eignen. Mitunter prägt die Umgebung einer Schule sogar die Form des Gebäudes. Dennoch sind gelungene Außenflächen und Schulhöfe noch immer seltener anzutreffen als gelungene neue Schulbauten.
KINDERGARTEN EL PORVENIR IN BOGOTÁ, KOLUMBIEN [Giancarlo Mazzanti Arquitectos, 2009] Der Kindergarten bildet einen sicheren und stabilen Ort in diesem schwierigen, dicht besiedelten Quartier.
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ROMMEN SKOLE & KULTURSENTER IN OSLO, NORWEGEN [L2 Arkitektur mit Østengen og Bergo, 2010] Das Gebäude passt sich mit seinen bewegten Dachflächen in die Landschaft ein, wobei die Bepflanzung des Daches mit Teppich-Fetthenne auch für optische Angleichung sorgt. Spielgeräte für alle Altersgruppen wurden zwischen dem Gebäude und der umgebenden Landschaft installiert.
Das Schema zeigt die Beziehung zwischen begrüntem Freiraum, befestigten Flächen und Gebäude.
Der Kindergarten El Porvenir in Bogotá, Kolumbien [Giancarlo Mazzanti Arquitectos, 2009], liegt in einem Elendsvorort der kolumbianischen Hauptstadt. Hier wird den Bewohnern des Viertels in verschiedener Hinsicht eine Perspektive gegeben: Zum einen erhalten die Kinder hier ein Refugium, und das Kindergartengelände dient den Bewohnern zugleich als Sportstätte. Mit ihrem Gebäude haben Mazzanti Arquitectos ein Fanal für städtische Erneuerung gesetzt und den sozialen Wandel vor-
angetrieben. Wie sie dabei mit Begrenzungen umge gangen sind, ist programmatisch für das gesamte Projekt. Ein Großteil des Geländes ist für alle frei zugänglich und fungiert damit zusätzlich als die dringend benötigte grüne Lunge in diesem beengten urbanen Gefüge. Die Gebäude sind von einem Ring aus weißen, schräg stehenden Stützen umgeben, die eine überdachte Kolonnade bilden und dem Kindergarten ein unverwechselbares Gesicht geben. Die kunstvolle Gestaltung nimmt dieser
7 DAS SCHULGELÄNDE ALS LERNRAUM 162
GAMMEL HELLERUP GYMNASIUM IN GENTOFTE, DÄNEMARK [Bjarke Ingels Group – BIG, 2013] Die neue Sporthalle für die Schule versenkten die Architekten im Zentrum des Schulgeländes 5 m unter die Erdoberfläche. Sie ist unterirdisch von allen umliegenden Gebäuden zugänglich.
Innenansicht der Sporthalle. Tageslicht dringt über die ringsum am Rand des Daches verlaufende Verglasung und über die perforierte und verglaste Dachfläche in die Halle, sodass Innen- und Außenräume miteinander verbunden werden.
Die holzgedeckte Kuppel verleiht der Schule ein unverwechselbares Erscheinungsbild. Gleichzeitig finden sich Sport-, Unterrichts- und Begegnungsflächen in einem Element vereint.
durch die Größe der fusionierten Schule bedurfte, erforderte eine äußerst präzise Planung der Geländeaufteilung. Die Lösung ist elegant und gelungen. Das Gebäude überspannt das Gelände in Form eines stumpfen Z, an das sich an beiden Enden wie Buchstützen eingeschossige Elemente senkrecht anheften. In diese Arme eingeschlossen erstrecken sich der Straßenfront zugewandte Sport- und Mehrzweckflächen. Die erwähnte Laufbahn, die von einer Seite des Geländes bis zur anderen verläuft,
dient gleichzeitig als Hauptzugang. Aber nicht der ganze Außenbereich ist dem Sport gewidmet. Treppen folgen den Schrägen des Gebäudes und bilden Terrassen und Spielflächen auf der Dachebene. Ein kleiner Garten erstreckt sich über das südliche Eck des Geländes. Die durchdachte Planung hat das Potenzial des gesamten Grundstücks ausgeschöpft. Beim Gammel Hellerup Gymnasium in Gentofte, Dänemark [Bjarke Ingels Group – BIG, 2013], platzierten
7 DAS SCHULGELÄNDE ALS LERNRAUM 166
GAMMEL HELLERUP GYMNASIUM / Inmitten des Schulgeländes wird das Hallendach zum gemütlichen Treffpunkt. Sitzgelegenheiten fördern soziale Interaktion und Lernen in Kleingruppen.
Längs- und Querschnitt. Die Sporthalle liegt unter der Erdoberfläche, um die umstehenden Gebäude nicht zu überschatten, und gibt der Schule einen markanten Mittelpunkt.
die Architekten eine neue Sporthalle in die Mitte des Schulhofs.8 Mit dieser zentralen Positionierung wurde ein Auseinanderdriften des Schulgeländes verhindert. Gleichzeitig sollte aber der Pausenhof als Erholungs- und Begegnungsort nicht aufgegeben werden. Deshalb wurde die Halle 5 m unter die Erdoberfläche versenkt und un terirdisch mit den Bestandsbauten verbunden. Das Hallendach dient aber auch als Versammlungsort und Treffpunkt im Freien. Ein Band aus Glas umläuft die Au-
ßenkanten des Daches und schafft damit eine Verbindung zwischen Innen- und Außenflächen, lässt aber auch Tageslicht in den unterirdischen Raum dringen. Der Rand des Daches legt sich als durchgängige Sitzfläche um die gesamte Hallenfläche. Zur Dachmitte hin wölbt sie sich aus dem Boden – als ob jemand von unten die nachgebende Hallendecke anhöbe – und verändert damit die Topografie der Schulhofmitte entscheidend. Außen ist die Dachfläche mit Holz verkleidet und mit einer Reihe
EIN SCHULHOF FÜR ALLE 167
DEYANG SCHULE FÜR GEHÖRLOSE UND GEISTIG BEHINDERTE KINDER IN DEYANG, CHINA [China Southwest Architectural Design and Research Institute, 2012] Laut Schulkonzept sollen sich die Schüler wie zu Hause fühlen. 30 Kinder wohnen in der Schule, 60 besuchen sie täglich. Die weißen Wände in den Räumen reflektieren das Sonnenlicht. Die Oberlichter machen das Innere hell und lassen es offen wirken.
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6
7
1
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2 3
8
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1 Hof 2 Amphitheater 3 Eingang 4 Aula 5 Parkplatz 6 Taubstummen-Unterricht 7 Integrationsunterricht 8 Wohnheim 9 Sportstadion
3
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Lageplan. Die Anlage – zwei Arme, die einen Hof umfassen – soll den Kindern ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln.
8 FÖRDERSCHULE UND INKLUSION 178
Schulen bauen Leitlinien für Planung und Entwurf / PRUE CHILES (HRSG.)
Seit langer Zeit stellen Schulbauten ein großes Aufgabengebiet für die Architektur dar und es gibt ein nachhaltiges Interesse an dieser Bauaufgabe. Die wichtigsten Themen im Schulbau erläutert diese Publikation in zehn Kapiteln und vermittelt zentrale Parameter für diesen Bautyp: die Rolle neuer pädagogischer Konzepte, Fragen der Nachhaltigkeit, das Schaffen flexibler Räume zum Lernen, Schule im städtischen Kontext, Partizipationsprozesse, Lernen außerhalb des Klassenzimmers, Außenraumgestaltung, Chancen und Anforderungen der integrativen Schule, intelligente Umbaulösungen und geeignete Ausstattung und Möblierung. Jedes Thema wird aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und mit zahlreichen internationalen Beispielen illustriert. Die vorbildlichen Lösungen für spezi fische Anforderungen geben Anregungen für die eigene Entwurfsarbeit.
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