Umhüllen und Konstruieren

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gru ndlagen

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SEL B STTR AGENDE HÜL L EN

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NICHT SEL B STTR AGENDE HÜL L EN

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dächer

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beispiele

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anhang

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u m h 端 llen u n d ko ns t ruier en Grundlagen

k apit el 1


EINL EITUNG

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Kult ureller KOn t e x t – historie

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Ort und Verort ung

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Klima

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Hü llprinzipien

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Äst he tik , AUsdru ck und Sy mbolik

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Komp osition u nd Prop ortion

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Mat erial und Te x t ur

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T y p ologie und Nu t zung

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Hülle und Konst ruk tion

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Schu t z

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Ökonomie und Prozessqualität

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Ökologie und L ebensz y klus

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Re vitalisierung, Abfall und Recycling

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Ausblick

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16 Grundlagen

Klima

Die traditionelle Ausbildung von Fassade und Dach war und ist bis heute maßgeblich durch das lokale Klima be­ stimmt. Wand- und Dachkonstruktionen haben sich ent­ sprechend der je­weiligen handwerklichen Fähigkeiten entwickelt. Material und Konstruktion wurden dabei so eingesetzt, dass eine wirtschaftliche Errichtung und eine möglichst lange ­Lebensdauer gewährleistet waren. Die Gestalt des Bau­körpers – Volumen, Dachneigung und Dachüberstand – steht dabei in direkter Abhängigkeit zu den jeweiligen ­Außenbedingungen. Das Klima ist seit jeher Impulsgeber für die nur aus der ­tradierten Erfahrung heraus entwickelten Bauten – auch ­autochthones Bauen genannt –, das klima- und nutzungs­ gerecht mit vor Ort vorhandenen natürlichen Ressourcen auskommt. In Regionen mit hohen Belastungen durch Schneefall sind häufig flache Dachformen mit Naturstein­ deckung (zusätzliche Masse gegen die Gefahr des Abhe­ bens sowie gegen unkontrolliertes Abrutschen von Schnee, um dessen dämmende Eigenschaft zu nutzen) und großem Dachüberstand vorherrschend, während steile Dächer, de­ ren Konstruktionen bis nahe an das Gelände gezogen sind, den horizontalen Lasten aus starkem Wind und Regen trot­ zen können.  1 In niederschlagsarmen, heißen Klima­ zonen haben sich meist Pult- oder Flachdächer durchge­ setzt. Die Sonneneinstrahlung in das Gebäude wird dort durch große Vor­dächer, kleine Atrien und eine dichte Be­ bauung minimiert. Massive, dicke Wände und kleine Fens­ teröffnungen ­bilden eine Speichermasse, die phasenver­ schoben die Kühle der Nacht über den Tag hinweg abgibt.  2 Große Dachüberstände bilden klimatische Zwischen­ zonen und verhindern eine Überhitzung im Sommer. Vielfältige Anforderungen, die mit mehr oder weniger technischem und funktionalem Aufwand zu bewerkstel­ ligen sind, beeinflussen auch weiter die Entwicklung und Ausführung der Hülle. Die lokalen Witterungseinflüsse von außen sollen die Behaglichkeit und den Komfort der Innenräume nicht einschränken. Dabei geht es nicht nur um extreme Klimaschwankungen zwischen Tag und Nacht, zwischen Sommer und Winter oder in subpolaren bis tropischen Gebieten. Auch in gemäßigten Klima­ zonen, wie sie in Mitteleuropa vorherrschen, weist das Klima große regionale Unterschiede auf. Jedem Ort liegt ein spezifisches Klima zugrunde, das sich aus Topogra­ fie und Lage bestimmt. Hier sind nicht nur Berg-, Land- und Seeregionen zu unter­ scheiden, sondern auch mikroklimatische Verschiedenhei­ ten zu berücksichtigen – wie von Landschafts- zu Stadt­ raum oder auch innerhalb eines städtischen Gefüges. Die genaue Analyse regionaler Klimadaten, überschlägig ein­ sehbar in den Normen zum Wärmeschutz und abrufbar über Datenbanken der regionalen Wetterstatio­nen, ist da­ mit eine grundlegende Voraussetzung für den Entwurf der Gebäudehülle.  SCALE, Bd. 2, Wärmen und Kühlen

Während die durch die Standortwahl festgelegten Außen­ bedingungen nicht verändert werden können, ist die Art und Intensität der Nutzung von Fassade und Dach durch die Planung beeinflusst. So unterliegen Infrastrukturen und Industriebauten anderen Behaglichkeitskriterien als Wohnbauten oder Kultur- und Sportstätten.  Typologie und Nutzung, S. 28

Neben den allgemeinen Anforderungen an thermische Be­ haglichkeit für den Innenraum muss die Fassade weitere Funktionen erfüllen. Akustische Anforderungen wie Schutz vor Lärmbelästigung durch Verkehr und produ­ zierendes Gewerbe sind zu bedenken, ebenso wie hy­ gienische Anforderungen an Luftwechsel, Raumluft und ­Abschirmung von Luftverschmutzung von außen. Die Re­ duzierung von Blendung und störenden Kontrasten bei gleichzeitiger Erfüllung der Anforderung an ausreichen­ den Tageslichteinfall stellt Anforderungen an Art und Größe von Öffnungen wie an die Bauteile Verschattung  SCALE, Bd. 1, Öffnen und Schließen Die und Lichtlenkung. energieeffiziente Nutzung der Fassade bis hin zur Ener­ gieerzeugung und -regulierung führt zur komplexeren Aus­ bildung der Hülle. Je besser die thermischen Eigenschaf­ ten der Hüllbaustoffe sind, umso weniger Energiebedarf fällt im Sommer für Kühlung und im Winter für Heizung an. Durch die Globalisierung gleichen sich Materialien und Konstruktionen immer weiter an. Mit Beginn der Indust­ rialisierung wurde es möglich, durch neue Technik und Verkehrswege die lokale Abhängigkeit von Witterung und Baustoffen weitgehend aufzuheben. Erst aktuelle Nach­ haltigkeitsbetrachtungen zeigen erneut Ressourcen- und Energieeinsparungen regionaler Materialien und Typolo­ gien zum Schutz vor Wärme und Kälte auf.  3 Welche klimatischen Einflüsse herrschen vor Ort und wie ist darauf zu reagieren? Wie viel Energieeintrag ist durch das Sonnenlicht zu erwarten und wie kann Schutz vor Sonnenlicht bei gleichzeitig funktionaler Nutzung des­ sen in die Planung integriert werden? Statt mit immer größerem technischen Aufwand die wachsenden Anfor­ derungen an eine Gebäudehülle zu kompensieren, muss eine zukunftsfähige Architektur angemessen in Gestalt und Materialität auf die vorhandenen klimatischen Be­ dingungen reagieren. Erst das umfassende Abwägen ­aller Einflussgrößen und deren Abhängigkeiten untereinander kann die Basis für die Planung und Realisierung der Ge­ bäudehülle bilden. All diese orts- und kulturbedingten Faktoren zeigen, wa­ rum in der Architektur jede Planungsaufgabe wieder gänzlich neu zu betrachten ist. Auch bewährte typologi­ sche, technische oder gestalterische Lösungen sollten nicht ohne genaue Betrachtung von einem Projekt auf ein anderes übertragen werden. An unterschiedlichen ­Orten und zu unterschiedlichen Zeiten werden immer sehr spezifische, originäre Lösungen entstehen.


Klima  17

1 Traditionelles Bauernhaus im Schwarzwald Dachform und -überstand schützen vor Regen und Schnee und ermög­ lichen viel Raum zur Lagerung von Heu, das gleichzeitig im Winter die Innenräume dämmt und damit als „Wärmedämmung“ zur Behag­ lichkeit beiträgt.

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2 Traditionelle Gebäudestruktur im Wüstenklima Die vorhandene Ressource Lehm findet sich als Massivbauweise in den Gebäuden wieder. Durch die Grundrisszonierung entstehen ­geschützte (im Schatten oder der kühlen Erde) liegende Bereiche. Die Kenntnis physikalischer Phänome­ ne (kalte Luft fällt nach unten) führt zur Nutzung natürlicher Kühlres­ sourcen durch den entstehenden Luftzug, hervorgerufen durch die geringen Temperaturunterschiede von verschatteten Bauteilen, die zu einer eigenen Bauform, soge­ nannten Windtürmen, führen. 2

3 Bürogebäude 2226, Lustenau, 2013, Baumschlager Eberle: Expe­ rimentelles Bürogebäude ohne ­Heizung. Lüftung und Kühlung (durch Luft) ist vorhanden und wird aktiv gesteuert und genutzt. Das Wandmaterial Ziegel wird durch die Bauteilstärke der Außenwand von 76 cm und die Ausführung der Lochfassade als Speichermasse aktiviert. Diese ermöglicht es, die thermische Behaglichkeit im Ge­ bäude nur unter Einsatz interner Wärmequellen (Beleuchtung, Ge­ räte, Nutzer) herzustellen. Das ­tradierte Prinzip einer dicken ge­ mauerten Wand wurde mithilfe von Steuerungstechnologie (Luft) zu ­einem energiesparenden Konzept.

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18 Grundlagen

Hü llprinzipien

In der Fassade zeigt sich anschaulich die Wechsel­ wirkung von Konstruktion und Gestaltung, Funktiona­ lität und Ästhetik. Die Funktionsweise von Tragstruktur und Hülle in Abhängigkeit zu Kontext, Klima und Nutzung kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist als in­ tegratives System zu verstehen. Je mehr Funktionen – wie Tragwerk, Schutzfunktion vor Witterungsbedingun­ gen, aber auch Nutzung, Ästhetik und Ausdruck – die äußere Hülle übernehmen muss, umso komplexer ist man in der Gestaltung. Im Gegenzug öffnet sich das Spek­ trum der Gestaltungsmöglichkeiten mit dem Wegfall von statischen und funktionalen Anforderungen. Das Ver­ ständnis für die Einheit von Technik und Ästhetik ist vor diesem Hintergrund die Voraussetzung für einen guten, ganzheitlich gedachten Entwurf. Der Fokus im Entste­ hungsprozess liegt neben dem Tragsystem der Sekun­ därstruktur auf der Materialität und der gewünschten Ge­ stalt. Oberflächenstruktur (glatt bis Textur) und formale Gestaltung (Komposition, Proportion bis Fugenbild) müs­ sen dabei genauso berücksichigt werden wie die techni­ sche Umsetzbarkeit in Form von Produktionsbedingun­ gen, Vorfertigungsprozessen und Montage. Während der Planung muss geklärt werden, wie sich das Material zur  Ökologie und Lebenszyklus, S. 40 verhält, ebenso Umwelt wie die Planung sich auf die Wirtschaftlichkeit, Material­ auswahl und Konstruktion auswirkt.  Ökonomie und Prozessqualität, S. 38 Dabei sind die Anforderungen an einen Neubau andere als an einen Umbau, eine Revitalisierung (meist eine Ertüchtigung der bestehenden Substanz) oder eine Sanierung, die oftmals gekoppelt an Denkmal­ schutz komplexere Anforderungen an die Einheit von Äs­ thetik und Technik stellt. Den einzelnen Bauteilen der Ge­ bäudehülle – Sockel, Wand, Öffnungen, Dach – sind ihrer Lage nach unterschiedliche Funktionen zugeordnet. Der Sockel ist die Schnittstelle zwischen Bauwerk und Baugrund und kann entweder als eigenes Bauteil wahrge­ nommen werden (z. B. durch Materialität oder Farbigkeit) oder in die Hülle integriert werden. Neben den funktiona­ len Anforderungen – Aufnahme bzw. Verteilung der Las­ ten aus Tragwerk und Hülle, Schutz vor Wasser bzw. ­äußeren Einflüssen und Eindringlingen, Ausgleich von ­Niveauunterschieden etc. – kann der Sockel auch eine formale Aussage symbolisieren. Ein massiver, geschoss­ hoher Sockel kann abweisend wirken, während ein offe­ ner, transparenter Bereich einladend erscheint. Der So­ ckel kann auch eine typologische Mischung darstellen. Bei Gebäuden, in denen sich Nutzungen wie Handel und Wohnen überlagern, kann ein andersartig gestalteter ­Sockel die Orientierung zwischen öffentlichem Bereich und privatem Wohnen erleichtern.

Die topografischen und klimatischen Bedingungen be­ stimmen die Materialwahl des Sockels – aufliegend her­ auswachsend auf dem Baugrund oder losgelöst in einer anderen Ebene. Wenn der Kontext dies erlaubt, kann ein Gebäude ohne, d. h. mit einem nicht in Erscheinung tre­ tenden Sockel ausgeführt werden, zugunsten der Homo­ genität der Hülle. Die Fassade als thermischer Abschluss zum Innenraum ergibt durch die mögliche Trennung von Tragwerk und Hülle  SCALE, Bd. 3, Tragen und Materialisieren vielfältige Frei­heiten in der Gestaltung – von der Ablesbarkeit der Konstruktion bis zur Abstraktion, von der Darstellung der ­Materialechtheit bis zur Mystifizierung. Mit der Transfor­ mation der flächigen Wand (Massivbau) zu einer transpa­ renten Begrenzung des Raumes durch ein System aus Trägern, Stützen (Skelettbau) und Bekleidung kehrt sich das klassische Bild einer festen Wand und deren ables­ baren Funktionen zugunsten der Autonomie der Hülle um. Ordnen sich die Öffnungen im Massivbau dem Ras­ ter aus konstruktiven Gründen unter, ist die Position der Öffnungen im Skelettbau keiner festgelegten Ordnung und Form verpflichtet.  SCALE, Bd. 1, Öffnen und ­Schließen Fassade und Dach zusammen bilden die sichtbare Hülle eines Hauses. Die Hülle unterliegt daher immer wieder­ kehrenden Prinzipien. Das Verständnis der Hülle reicht von ablesbaren Bauteilen – Sockel, Wand, Dach – bis zu einer nahtlosen zeltartigen Anmutung. Eine Hülle folgt dabei der Form des Gebäudes. Ihre An­ mutung verändert sich je nach Entwurfshaltung, Kontext, Topografie und konstruktivem Aufbau. So kennen wir das Prinzip filigraner Fassaden aus der venezianischen ­Gotik genauso wie aus dem belgischen Jugendstil, im his­ torischen Holzbau wie bei modernen Betonfassaden. Die grundlegenden Prinzipien lassen sich in neben­ stehenden Zeichnungen und auf den folgenden Seiten nachvollziehen.


Hüllprinzipien  19

1 Lage der Hülle a Konstruktionselemente: Sockel, Wand, Öffnung, Dach Auflösung der Trennung der ­Bauteile, Massivbau > Skelettbau b Volumen + Kaltdach c Volumen + Warmdach (­Überstand) d Skelettstruktur + Hülle (nahtlos) oder Tragstruktur + Hülle

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2 Ablesbarkeit / Form a Volumen mit Dachüberstand b glatter / homogener Körper c Ausstülpungen und Einschnitte d verdeckte Elemente

3 Ausbildung der Hülle a massiv / geschlossen b filigran / transparent c Überlagerungen / Filter zwischen massiv und offen d Lage der Öffnungen in der Hülle

4 Kontext a frei stehend b an ein bestehendes Gebäude gebaut c in ein bestehendes Gebäude ­integriert d auf einem Gebäude aufgestockt

5 Topografie / Klima a eingegraben b Übergangszone zwischen Volumen und Hülle c Integration der Fundamente und Sockel d Integration in eine bestehende Hülle mit einer neuen thermischen Hülle – Außenhülle – Innenhülle


20 Grundlagen

ÄSTHE TIK , AUSDRU CK und Sy mbolik

Die Gebäudehülle wird häufig auch als das Gesicht des Hauses bezeichnet. Sie gibt ihm einen spezifischen ­Ausdruck. Neben den funktionalen Anforderungen – zu schützen, zu wärmen und zu kühlen, idealerweise über eigens er­ zeugte und/oder gespeicherte Energie – folgt eine Fas­ sade auch immer einem formalen Ausdruck und einer Symbolik. Die umschließende Hülle ist das Erste, was von außen wahrgenommen wird. „Jedes Bauwerk, jede Fassade ist eine öffentliche An­ gelegenheit. Die Fassade gehört allen, nur was dahinter steckt, ist Sache derer, die damit zurechtkommen müs­ sen. Und deshalb ist auch klar, dass die Fassade nicht eine Angelegenheit der Kosmetik sein darf.“ Der Archi­ tekturjournalist Manfred Sack definiert damit die Auf­ gaben der Architekten. Die Symbolkraft einer Hülle soll nicht einem reinen Dekor unterworfen und zweckent­ fremdet werden, sondern die Gestalt und Materialität nutzen und eine Aussage über Nutzung, Kontext, sozia­ les Gefüge und Haltung treffen. Dabei wird die Gestalt nicht nur als Summe von Elementen und Formen wahr­ genommen, sondern bietet durch vielschichtige Aspekte zeichenhaft Ausdruck und Orientierung. Seit jeher dienen Fassaden als Informationsträger. An Opulenz und Motivreichtum kaum zu übertreffen sind die sakralen, aber auch profanen Projektionen, die als kera­ mische Vorhänge das öffentliche Stadtbild von Porto oder Lissabon prägen  1 und den gesellschaftlichen Anspruch an Macht und Wertevermittlung abbilden. Eine Renaissance erlebte diese Form der Medienfassade durch Antoni Gaudís Interpretation der Legende des

­Heiligen Georg in Form der Fassade aus Keramikplatten  2 und zurzeit wieder als bedruckte der Casa Batlló Glasfassade wie zum Beispiel beim Neubau des Fabrik­ gebäudes von Ricola von Herzog & de ­Meuron. Diese ge­ stalteten dreidimensionalen Bilder tragen zum Ausdruck des Gebäudes bei und eröffnen zusätzliche Gedanken­ räume, das Gebäude kann als Symbol wirken und eine übergeordnete Botschaft vermitteln. Sakrale Gebäude mit ihren oft hohen, vertikalen Strukturen verweisen auf eine übergestellte Ordnung. Öffent­liche Gebäude mit monumentalen Säulenreihen sollen die Macht der Herr­ scher oder des Staates ausdrücken. Prunkvolle Paläste symbolisieren Herrschaftsanspruch und erzeugen heute zugleich mystische Fantasiewelten an vergangene Zei­ ten. 5 Form, Oberflächenstruktur, Materialität und Farbe einer Fassade prägen als gestalterische Merkmale die äußere Erscheinung eines Gebäudes und können die Zeichen­ haftigkeit noch verstärken. 4, 6 Bei gleichem Volumen lässt sich eine Fassade durch Farbe, Ornamente oder Materialwechsel gliedern und rhythmisieren, während eine glatte Fassade maßstabslos wirken kann. 7, 8 Je nach Witterung und Lichteinfall kann die Hülle ein an­ deres Gesicht zeigen und mittels dieser veränderbaren Zustände Akzente setzen. So zeigt sich das Zentrum zur Förderung von Alabaster in Teruel am Tag steinern und verschlossen, während sich in der Dämmerung der Aus­ druck durch die hauchdünne Steinhülle in eine fast stoff­ liche, textile Anmutung wandelt.

1 Azulejo an der Außenfassade ­einer Kirche, Porto, ab dem 16. Jahrhundert: Mosaik aus zu­ meist quadratischen, bunt bemal­ ten und gebrannten Keramikfliesen. Ein fester Bestandteil des Stadt­ bildes an öffentlichen Monumenten und Gebäuden, Hausfassaden und Kirchen, aber auch an Innenwänden und zur Dekoration, oftmals zu künstlerischen Wandbildern zu­ sammengefügt. 2 Casa Batlló, Barcelona, 1877, Antoni Gaudí: Die farbenreiche ­Fassade gibt die Legende des ­Heiligen Georg wieder, des Schutz­ patrons Kataloniens (hier Sant ­Jordi genannt): Das Dach stellt die Schuppen des Drachen dar, gegen den der Heilige Georg gekämpft hat, das Kreuz auf dem Dach ist seine Lanze. Die schmiedeeisernen Balkone stehen für Totenköpfe und die Galerie im ersten Stock für das Maul des Drachen. 1

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ÄSTHETIK, AUSDRUCK und Symbolik  21

3 Notre-Dame, Paris, ­1163–1345: Die Kathedrale ist eines der frühes­ ten gotischen Bauwerke in Frank­ reich. Die ausgewogene Vertikalund Horizontalgliederung der Westfassade diente ­ebenso wie die mittig sitzenden Rosettenfenster für viele gotische Kathedralen als Vorbild. 4 Haus Schröder, Utrecht, 1924, Gerrit Rietveld: Das Haus zählt zu den wichtigsten Bauwerken der ­De-Stijl-Bewegung. Die kubische Form und die Verwendung der Far­ ben Rot, Blau und Gelb in Kombina­ tion mit flächig eingesetztem Weiß, Schwarz und Grau ist charakteris­ tisch für die abstrakte Formen­ sprache des Gebäudes. 3

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5 Hawa Mahal, Jaipur, 1799: Der Palast der Winde als Teil einer re­ präsentativen Palastanlage der ­Maharadschas von Jaipur besteht aus einer Fassade mit 953 kunst­ voll gestalteten Öffnungen, die zum einen mit einem ausgeklügel­ ten System für die notwendige Ven­ tilation sorgen und zum anderen den Hofdamen des Maharadschas Aussicht gewähren, ohne dass sie selbst gesehen werden. 6 Millard House, Pasadena, 1923 Frank Lloyd Wright: Das Haus ist ein Experiment mit günstigen ­Betonblocksteinen, die durch das ­Hinzufügen von Ornamenten die gestalterische Vielfalt und Schön­ heit des Materials Beton zum Aus­ druck bringen. Dekoration und Funktion, Exterieur und Interieur zeigen eine eigene Stofflichkeit und verleihen dem Gebäude damit ­einen für seine Zeit modernen ­Ausdruck. 7 Shirokane House, Tokio, 2013, Kiyotoshi Mori & Natsuko Kawamura, MDS: Das fensterlose Wohnhaus reagiert auf die für Tokio typischen beengten Platzverhält­ nisse und dadurch sehr dichte Be­ bauung. Die Hülle ist zur Umgebung verschlossen, das Tageslicht wird über Oberlichter und eine Dachter­ rasse ins Innere gelenkt. 8 Zentrum zur Förderung von ­Alabaster, Teruel, 2011, Magén ­Arquitectos: Das Zentrum widmet sich dem Export und der Förderung von Alabaster, der in der Region ­abgebaut wird. Die opaken und transluzenten Oberflächen und die vielfältigen Erscheinungsformen des Materials funktionieren dabei selbst als Exponate. Die dünn ­geschnittenen Fassadenelemente lassen die Hülle bei Nacht trans­ luzent erscheinen.


u m h 端 llen u n d ko ns t ruier en nicht selbst tr agende H端llen

k apit el 3


Einleit u ng

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pfost en-riegel-Fassade

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Glaselemen t e und Verglasung

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Elemen t fassade

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D oppelfassade

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Elemen t fassade – be ton

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Elemen t fassade – Hol z

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Sandwichsyst emE

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Vorgehängt e Fassade – verblendmauerwerk

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Vorgehängt e Fassade – ziegelplat t enfassade

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Vorgehängt e Fassade – nat urst ein

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Vorgehängt e Fassade – me tall

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Vorgehängt e Fassade – faser zemen t tafel n

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hol zFassade

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Profilbau glas und p olycarbonat plat t en

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Memb r anfassade

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Wärmedämmverb u ndsyst em

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62  nicht selbsttragende Hüllen

Einleit u ng

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Der Wunsch nach größeren Öffnungen zugunsten von Tageslichteinfall und Belüftung und der gleichzeitige Schutz vor Witterung und klimatischen Veränderungen treibt die Suche nach neuen Materialien an. Auch das Be­ dürfnis nach größeren Spannweiten und wirtschaftlichen Tragwerken aufgrund der neuen Aufgaben im Industrie­ zeitalter führt zu modernen Konstruktionen. Die indus­ triellen Be- und Verarbeitungsweisen von Stahl, Glas, ­Metall und Stahlbeton verändern die formalen und tech­ nischen Möglichkeiten der Architektur. Mit der Industri­ alisierung gelingt es, die materielle Schwere dieser ­Konstruktion zu überwinden. Vergleichsweise schlanke Guss- und Eisentragwerke – zuerst für kleinere Brücken, später für gewagte Ingenieurskonstruktionen – ermögli­ chen große Spannweiten. Rahmen mit biegesteifen Kno­ ten und Fachwerke stellen ein die massiven Bauteile ­ergänzendes Sekundärtragwerk dar und erlauben offene, flexibel nutzbare Grundrisse – unabhängig von der ­Fassade und deren Öffnungen. Als Meilenstein der Auf­ lösung der Schwere der Gebäudehülle gilt der Kristall­ palast von Sir Joseph Paxton anlässlich der Weltaus­ stellung in ­London von 1851. Modular aus vorgefertigten Eisen­teilen und Glassegmenten hergestellt und in kur­ zer Bauzeit ­errichtet, steht dieser Bau stellvertretend für den Beginn der Glas-Stahl-Architektur moderner Hochhaus­konstruktionen.  1 Die ersten in Glas aufge­ lösten Fassaden entstehen für Industriebauten. Um die Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten zu ver­ bessern und dadurch auch die Arbeitsleistung zu erhö­ hen, kommt es zur Entwicklung gläserner Gebäude­hüllen mit mehr Tageslicht, Sonne und Luftwechsel als Schnitt­

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stelle ­zwischen Innen- und Außenraum, die in der Konse­ quenz nicht mehr tragend sind.  2   Ludwig Mies van der Rohe, ein wichtiger Vertreter der Moderne, propagiert die Auflösung der Architektur in ihre Elemente, entsprechend ihren Aufgaben, in tragende und nichttragene Elemente aus verschiedenen Materialien und Strukturen. Mit seinem Wettbewerbsbeitrag für ein Hochhaus in Berlin von 1921 entwirft er seine Vision ­einer „Glas-und-Knochen-Architektur“, deren transpa­ rente Glashaut die tragende Konstruktion überzieht, die nur aus Stützen und Deckenscheiben besteht. Das später entstandene Farnsworth House gilt als Pro­ totyp aller modernen verglasten Bauten. Eine filigrane Stahlskelettkonstruktion bildet das Tragwerk, während die Rahmen der Fassade aus großflächigen Glasschei­ ben mit Winkeln an den Stahlstützen befestigt werden. Dieses Prinzip der Gebäudehülle, welches wie ein Vor­ hang das Primärtragwerk umschließt (daher auch der Name Vorhangfassade oder Curtain Wall), ermöglicht die flexible Nutzung der Grundrisse, die unabhängig von der Fassade frei zoniert werden können. Mit der Möglichkeit der industriellen Produktion vorgefertigter Elemente wer­ den die filigranen, leichten Fassadenelemente schnell zu einer Alternative gegenüber massiven Hüllen. Heute sind Vorhangfassaden von großer Bedeutung für eine wirt­ schaftliche Errichtung von Gebäuden, vor allem im Büround Verwaltungsbau.  3, 4 Der sinnbildlich genutzte Begriff Vorhangfassade ist technisch differenziert definiert und gegliedert. So be­ steht der prinzipielle Unterschied zwischen Vorhang­­ fassade und vorgehängter hinterlüfteter Fassade in

1 Kristallpalast Weltausstellung London, 1851, Sir Joseph Paxton: Die trotz ornamentalem Zierrat kühne Glas-Eisen-Konstruktion mit dem klaren reduzierten Tragwerk und dem entstehenden offenen Raum bildet den Übergang zur ­modernen Architektur. 2 Steiff Fabrikhalle, Giengen, 1893: Die zweischalige Fassade aus transluzenten Glasscheiben gilt als erste Curtain Wall im Industrie­ bau. Die äußere Fassade ist vor die Konstruktion gehängt, die innere steht zwischen den Stützen. 3 Bauhaus Dessau, 1926, Walter Gropius: Die vor das tragen­ de ­Skelett gehängte Glasfassade ­bestimmt das Äußere des Werk­ stattflügels und zeigt offen die ­konstruktiven Elemente. Die ­Ver­glasung der Gebäudeecken ­verstärkt den Eindruck von ­Leichtigkeit. 4 Farnsworth House, 1951, ­Ludwig Mies van der Rohe: Die ­Außenwände bestehen aus groß­ formatigen Glasscheiben, wodurch der kubische gebaute Raum sich mit dem Außenraum verbindet.


Einleitung  63

i­hrem Aufbau. Eine Vorhangfassade wirkt als sogenannte Warmfassade ohne Hinterlüftung – entweder einschalig als Pfosten-Riegel- oder Elementfassade sowie mehr­ schalig als Doppelfassade. Die leichte, nichttragende Außenwand ist als kompaktes Paket entweder geschossweise oder über mehrere Ebe­ nen an der Tragstruktur vor- oder abgehängt.  S. 66ff Eine vorgehängte hinterlüftete Fassade ist dagegen als Kaltfassade mit „Luftraum“ ausgebildet, bei der die ­geschlossene, geschützte Dämmebene von der wasser­ führenden Schicht der Wetterhaut über eine Luftschicht getrennt ist. Die Bekleidung der Außenhaut erfolgt un­ abhängig von der Tragstruktur und ist über eine Unter­ konstruktion kraftschlüssig befestigt.  S. 82ff Bei beiden Systemen müssen viele Anforderungen durch filigrane Bauteile auf kleinem Raum erfüllt werden. Sie sind hinsichtlich Konstruktion, Anlieferung und Montage komplex. Es ist daher sinnvoll, frühzeitig Fachplaner, Sys­ temhersteller oder Ausführende in Entwurf und Planung einzubeziehen. Vorhangfassaden Eine Vorhangfassade ist eine leichte, nicht selbst­ tragende Hülle, die mit einer Unterkonstruktion an der Tragstruktur des Gebäudes – Geschossdecke oder ­Stützen – befestigt wird. Pfosten-Riegel-Bauweise, Ele­ mentfassade und Doppelfassade werden als Vorhang­ fassaden bezeichnet. Die Unterscheidung erfolgt in Stab- und Elementsysteme, die vorrangig an eine Ske­ lettbaukonstruktion montiert werden. Die Systeme be­ stehen aus ­einer Rahmenkonstruktion aus geschoss­ hohen Pfosten und eingesetzten horizontalen Riegeln, die vor Ort oder im Werk zu schubsteifen Elementen montiert werden. Die ­Füllelemente der entstehenden aussteifenden Flächen sind mit verschiedenen Materia­ lien – transparenten, ­verglasten Elementen oder opaken geschlossenen Panee­len – und Funktionen – öffenbaren

Fenstern oder Türen, Lüftungselementen oder Blend- und Sonnenschutz – belegt. Als Rahmen werden vorwiegend Stahl- und Aluminium­ profile, aber auch Holzunterkonstruktionen eingesetzt. Sandwichelemente bestehen aus Dämmstoffkernen und Decklagen aus Kunststoff, Glas, Metall oder Stahlbeton. Die Gliederung der Fassade ist in ihrer Gestaltung re­lativ frei wählbar, da die Lastabtragung hängend oder stehend separat vom Haupttragwerk funktioniert. Die ­Anbindung der Fassade an das Primärsystem muss Gleit- und Fix­ punkte aufweisen, um Bewegungen aus dem Tragwerk aufnehmen zu können, und zur Aufnahme von Bautole­ ranzen dreidimensional verstellbar sein. Der Unterschied zwischen einer Pfosten-Riegel-Konst­ ruktion und einer Elementfassade besteht im Grad der Vorfertigung. Dies nimmt Einfluss auf die Fügung der Ele­ mente, der Ansichtskanten und der Dichtungsebenen. Der Verbindungsstelle zwischen den Elementen ist beson­ dere Aufmerksamkeit zu schenken. Während bei der Pfos­ ten-Riegel-Fassade vor Ort noch ein gewisser Spielraum in der Montage und im Anpassen des Dichtsystems sowie in der abschließenden Pressleiste vorliegt, muss die Fügung der Einzelteile der Elementfassade an exakt ausgerichte­ ten Rohbaubefestigungen erfolgen. Die Elemente werden auf Konsolen bzw. ein unteres Element aufgesetzt und seitlich ineinandergeschoben. Dadurch fixiert ein mon­ tiertes Element das nächste, das dann an den freien En­ den am Primärsystem verankert wird. Durch die Doppe­ lungen an den Stößen vergrößert sich die Ansichtsbreite der Profile. Aufgrund von Vorfertigung und Vormontage der Verglasung sowie der Integration der Gebäudetech­ nik, der kurzen Ausführungszeit und dem möglichen Ver­ zicht auf ein Gerüst ist dieses System insbesondere für große Baustellen und hohe Häuser attraktiv. Einschrän­ kend ist die geringere gestalterische Freiheit, da das ­System als Serienprodukt nur bedingt auf individuelle An­ forderungen reagieren kann.

5 Vorhangfassade hängend 6 Pfosten-Riegel-Fassade stehend oder hängend Montage von Halbzeugen vor Ort 7 Elementfassade als vorgefertigtes System 8 Doppelfassade Integration von Haustechnik in das jeweilige Fassadensystem

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98  nicht selbsttragende Hüllen

Memb r anfassade

Auch Membranbauten haben eine lange Tradition. Die frühen Zeltbauten mit dünnen, flächigen Elementen für die Umhüllung und mit einem System von druck­ beanspruchten Stäben sind die Vorläufer der heutigen Membranhüllen. Mit der Entwicklung neuer hochfester Werkstoffe ergaben sich eine Vielzahl von Konstruktions­ formen und Nutzungsmöglichkeiten sowohl für ­Fassadenals auch für Dachflächen. Mit diesen Materialien lassen sich weit gespannte, transparente Konstruktionen bei gleichzeitig minimalem Flächengewicht realisieren, ­deren Wirtschaftlichkeit z. B. bei Stadionüberdachungen ge­ geben ist. Aufgrund der individuellen Formfindung sind Membranfassaden Sonderfälle, die im Einzelfall eine Zu­ lassung benötigen.

Das Material muss gegen mechanische Belastungen z. B. durch Vögel geschützt sein. Als Folie kommt Ethylen-­ Tetrafluorethylen, kurz ETFE genannt, zum Einsatz. ETFE-Folien werden in der Architektur in Stärken von 100 bis 300 µm verwendet und kommen als mehrlagige, pneumatisch vorgespannte sowie einlagige, mechanisch ­vorgespannte Konstruktionen zum Einsatz. Sie werden hochtransparent oder farbig hergestellt, sind bedingt ­bedruckbar und weisen ein sehr geringes Eigengewicht sowie eine hohe Licht- und UV-Durchlässigkeit auf. ETFE-Folienkissen bestehen aus mehrlagigen, pneu­ matisch vorgespannten ETFE-Folien. Pneumatisch ge­ stützte Membranen haben eine synklastische Geo­metrie und erfordern einen ständigen lufterzeugten Innendruck, um die zur Lastabtragung erforderliche Vorspannung zu erreichen. Mittels zusätzlicher innen liegender ETFE-­ Folienlagen können mehrere dämmende Luftschichten erzeugt werden.   Beispiele, S. 146 Für hinterlüftete Konstruktionen sind überwiegend zug­ verspannte Systeme in Verwendung. Die einfachste ­Konstruktion sind in Stahl- oder Aluminiumrahmen einge­ spannte Gitter oder Gewebe. Eben gespannte Membra­ nen werden in eine Richtung gespannt. Kederstangen werden mit Federn oder nachspannbaren Bügeln in eine Sekundärkonstruktion gehängt. Diese muss die Vor­ spannkräfte und Windkräfte aufnehmen und ins Primär­ system ableiten. Vorspann- wie Windkräfte hängen vom Strömungswiderstand des Gewebes und der Element­ größe sowie von der Membranfestigkeit ab. Räumlich ge­ krümmte Membranen erfordern Vorspannung und Form­ gebung. Die Vorspannung kann je nach Form auch in mehrere Richtungen nötig sein. Die Formgebung erfolgt durch druckbeanspruchte Bügel oder Rahmen punkt­ förmig oder entlang von Linien oder Raumkurven. Bei räumlich verformten Fassaden führt die mehraxiale Be­ anspruchung zu komplexem Kraftverlauf, überlagerten Spannungen und schwierigem Zuschnitt unter Berück­ sichtigung der Membrandehnung im Einbau.

Material und Konstruktion Man unterscheidet im Membranbau zwischen Geweben und Folien.  1 Zur Gruppe der Gewebe zählt man Poly­ estergewebe mit PVC-Beschichtung, PTFE-beschichte­ tes Glasfasergewebe (kurz: Glasfaser-Teflon) und silikon­ beschichtetes Glasgewebe. Alle Gewebe weisen neben der Langlebigkeit, Licht- und UV-Durchlässigkeit, UV-Be­ ständigkeit und Brandklasse B1 (schwer entflammbar) ­weitere Gemeinsamkeiten auf. Die Flächenstabilisierung erfolgt mithilfe einer auf Zug ausgelegten Vorspannung. Durch die Vorspannung wird sowohl eine faltenfreie Kon­ struktion als auch die Aussteifung der Membranhaut mög­ lich. Da die Wärmedehnung groß ist, muss dies bei dem Verfahren der Vorspannung und bei der Montagetempe­ ratur berücksichtigt werden. Bei mehrlagiger Verwendung ergibt sich ein Moiré-Effekt, der durch Abstand und Webart steuerbar ist und über Verschiebemechanismen von Schichten als Sonnenschutz dienen kann. ­Einige Ge­ webe eignen sich auch für verfahrbare Systeme, da das Material knickunempfindlich ist. Die Verarbeitung nach der Konfektionierung erfolgt über ein Thermoschweiß­ verfahren oder Vulkanisierung bzw. Verklebung. Durch die geringe Masse leisten Folien wenig Schallschutz.

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c

d

1 1 Aufbau einer Gewebemembran (PVC-beschichtete Polyesterbahn) gegenüber einer einfachen Folie a Oberflächenversiegelung b Beschichtung (Grund- und ­Deckschicht) c Gewebe d Folie

2 Unilever-Zentrale, Hamburg, 2010, Behnisch Architekten: An ­einer exponierten Stelle im Hafen, die hohen Windlasten ausgesetzt ist, fungiert die Fassade aus ETFE-­ Folie als Windschutz vor der eigent­ lichen Isolierverglasung. Um die Durchsicht zu erhalten, wurde statt mit den gebräuchlichen Luftkissen mit einer einlagigen Folienkonstruk­ tion gearbeitet, die in einzelne Rah­ men eingespannt sind. Mit einer Seilnetzkonstruktion in den Rah­ menfelder kann die notwendige Spannung bei maximaler Transpa­ renz erreicht werden. 3 Zur Formstabilität und Form­ gebung müssen die Bespannungen am Rand eine kontinuierliche Ein­ leitung der Vorspannkräfte ermögli­ chen. Prinzipielle Darstellung der Verbindungen untereinander: a HF- Schweißnaht PVCPolyester­gewebe – irreversible Teilflächen­verbindung b Seil in Membrantasche c Seil und ein genähter Gurt in Membrantasche d Strangpressprofil mit Keder­ nuten


Membranfassade  99

4

4 Schießsportstätten, Olympische Sommerspiele, London 2012, ­magma architecture: Die temporäre Anlage besteht aus drei Hallen, ­deren Gebäudekonstruktion kom­ plett in weiße PVC-Membranen ­gehüllt wurde. Die Hoch- und Tief­ punkte der Konstruktion, die der Fassade ihre wellenförmige Ober­ fläche verleihen, werden von farbi­ gen Ausstülpungen akzentuiert. Diese Punkte dienen der erforder­ lichen Spannung der Membran und sorgen zudem für die natürli­ chen Belüftung und Struktur der Gebäude­hülle. 5 Stanserhorn Bahn, Stans, 2012, WaserAchermann Architekten: Die Leichtigkeit und Transparenz der architektonischen Hülle inmitten des Bergpanoramas wird durch die Fassade aus einlagigen, seilge­ stützten und bedruckten ETFEElementen erlebbar gemacht. Trotz der extremen klimatischen Bedin­ gungen auf 1900 m über NN kann das Material ETFE aufgrund ausge­ reifter Detaillierung und Ausführung verwendet werden. 6 Allianz Arena, München, 2006, Herzog & de Meuron: Die Fassade der Allianz Arena besteht aus selbstreinigenden ETFE-FolienKissen, die von innen beleuchtet werden können. 2760 rauten­ förmige Kissen aus transparenten ­ETFE-Folien bilden 66 500 m² ­Bedachung und Fassade. Ventila­ toren blasen die Kissen mit einem dauerhaften Druck von 350 Pascal auf. Jedes dieser speziellen ­Hydraulik-Kissen trägt eine Maxi­ mallast von 8 t und hält einem Wind­sog von 22 t stand.

5

6


u m h 체 llen u n d ko ns t ruier en D채cher

k apit el 4


VOM L AUB DACH ZUR DACHHÜL L E

104

TR AGWERK und L ast en

106

B elüf t e t, UnB ELÜF T E T, st eil , flach

108

Mat erial , Konst ruk tion , Gestalt, Dachform

110

Geneigt e Dächer

112

Sparrendach

114

PFE TT ENDACH

116

WEIT ERE TR AGwerke

118

First, Ortgang, T r aufe

119

DACHDECKUNGSARTEN

120

FL ACHDACH

122

DACHAB DICHTUNGEN

124

GRÜNDACH

126


120 Dächer

dachdecku ngsarten


dachdeckungsarten  121

REET / STROH Dächer aus Reet oder Ried und Stroh gelten aufgrund ihrer ­Feuergefährdung schon bei Funkenflug als sogenanntes Weichdach, bei dem heute bauaufsichtliche Mindestabstände zwischen den Häusern einzuhalten sind. Die Mindestdachneigung für Strohund Reetdächer beträgt 45°. Je nach Deckmaterial und Region sind verschie­ dene Eindecktechniken verbreitet. Man unterscheidet das genähte und das ge­ bundene Dach. Das Material hat gute Wärmedämmeigenschaften und ist bei sorgfältiger Pflege langlebig. Der First­

bereich ist der Schwachpunkt des reet­ gedeckten Daches, denn hier stoßen von beiden Seiten die Reetbündel zusammen und die Gefahr der Beschädigung ist sehr groß. Aufgrund der Spröde des Materials ist ein Knicken des Rohrs auf die andere Seite des Daches nicht möglich. Der First wird mit Gras- oder Heidelagen ab­ gedeckt. Diese werden wiederum von kreuzweise verflochtenen, über den First gespreizten Knüppeln festgehalten. Eine andere Variante besteht in der Anord­ nung von gedrehten, dicht an dicht ge­ bundenen Strohseilen.

HOLZ Holz als Bedachungsmaterial hat eine lange Tradition, es wird in Form von Schindeln verwendet. Diese werden meist aus Holzarten der jeweiligen Um­ gebung, z. B. aus Tannen-, Kiefern-, Lär­ chen- oder Eichenholz in den Alpen, in Nordamerika aus Zedernholz, hergestellt. Man unterscheidet gespaltene und ge­ sägte Schindeln. Während die Oberfläche des Holzes beim Sägen aufreißt und das Material wasserempfindlicher wird, bleibt die Faser beim Spalten erhalten. Schin­ deln werden schuppenförmig verlegt.

­ eine Dichtigkeit erhält das Dach ab ei­ S ner Neigung von 22° durch die material­ intensive Überlappung. Nach Verlegeart unterscheidet man Leg- und Scharschin­ deln. Legschindeln sind 15 mm stark, bis zu 350 mm breit und bis zu 1200 mm lang. Scharschindeln sind 7 mm stark, bis zu 350 mm breit und bis zu 800 mm lang und werden auf eine Lattung oder Scha­ lung genagelt. Nagellöcher sind vorge­ bohrt. Das Wenden der Schindeln (mit der abgewetterten Seite nach oben) verdop­ pelt die Lebenszeit des Daches.

ZIEGEL UND DACHSTEINE  Aus Ton werden Dachziegeln gebrannt, die was­ serundurchlässig und beständig gegen Frost, chemische Einflüsse und UVStrahlung sind. Tonziegel gibt es in einer großen Vielfalt an regionalen Formen, Formaten und Färbungen. Nach Art der Herstellung unterschieden werden: Strangdachziegel (Hohlpfannen, Strang­ falz-, Flach- und Biberschwanzziegel) und Pressdachziegel (u. a. Krempziegel, Falzund Flachdachpfannen sowie der Falz­

ziegel oder die Reformpfannen). Das geschuppte und vermörtelte Prinzip der Antike wurde zum Großteil durch den Falzziegel abgelöst, der eine höhere Dichtigkeit und flachere Dachneigungen (bis zu 10° bei entsprechendem Schicht­ aufbau und Unterdach) ermöglicht. Wei­ tere Vorteile liegen in der Feuerfestigkeit und Kleinteiligkeit, die die Instandhaltung und Montage erleichtert. Dachsteine, aus Beton hergestellt, übernehmen größ­ tenteils die Prinzipien der Tonziegel.

NATURSTEIN UND SCHIEFER Natur­ stein ist ein traditionelles, regionaltypi­ sches Deckungsmaterial. Zu Recht­ eckplatten gehauener, gespaltener und gesägter Schiefer, Kalkstein oder Sand­ stein werden je nach Ressourcenvor­ kommen eingesetzt. Naturstein ist ein aufwendiges, dafür aber langlebiges Dachmaterial. Bei einer Schieferdeckung werden mehrere Typen von Schieferfor­ men, die Schuppe, das Rechteckformat, die Spitzwinkelplatte oder die Bogen­ schnittplatte verwendet. Die Deckung ist

in der EN 12326 sowie über die Fach­ regeln definiert. Je nach Schieferform und Verwendung ergeben sich ­daraus ­verschiedene Deckungen, so die Alt­ deutsche Deckung oder Rechteckschab­ lonendeckung, einfach oder doppelt. Die Befestigung der Platten erfolgt in der ­Regel mit Schiefernägeln, Schieferstiften oder mit Haken. Die Dachflächen müssen eine ausreichende Neigung, mind. 22°, aufweisen. Bei allen Steindeckungen müssen die tragenden Dachlatten eine ausreichende Stärke besitzen.

METALL Metalldeckungen bestehen aus Blechbahnen oder -tafeln (Schare), die senkrecht zur Traufe verlegt werden. ­Materialien sind heute Zink, Kupfer und Aluminium. Aufgrund der absoluten Dampfdichtheit des Materials empfiehlt sich eine zweischalige, hinterlüftete Kon­ struktion. Ebenso sollte diese in sich be­ weglich sein, um temperaturbedingte Längenänderungen aufzunehmen. Das Material besitzt eine hohe Wärmeleit­ fähigkeit, ist elektrolytisch leitend und als nicht brennbar klassifiziert. Die Mindest­

dachneigung für Metalldeckungen be­ trägt 3°. Als Unterkonstruktion ist eine vollflächige, ebene Holzschalung notwen­ dig. Bei der Ausformung der Längsfalze werden verschiedene Ausführungsarten unterschieden, u. a. Einzelstehfalz, Dop­ pelstehfalz, Winkelstehfalz und Leisten­ technik. Die Leistentechnik hat gegen­ über den Stehfalztechniken den Vorteil, dass die einzelnen Schare sich besser unabhängig voneinander ausdehnen und bewegen können, da diese durch Holz­ leisten getrennt sind.


122 Dächer

flachdach

Je flacher das Dach ausgeführt ist, umso dichter muss die Dachhaut ausgebildet sein. Daher werden die Dach­ materialien folgerichtig auch als Abdichtungen und nicht wie beim geneigten Dach als Dachdeckungen bezeich­ net. Die Regeln für Dachabdichtungen sind umfangreich und müssen je nach Dachausführung sorgfältig und in­ dividuell berücksichtigt werden. Als Stand der Technik ­gelten u. a. die sogenannten Flachdachrichtlinien, die im ­Einzelfall zurate gezogen werden müssen. Zu einer Dachabdichtung, die flächig und wasserundurchlässig ist, ­gehören Anschlüsse, Durchdringungen und Fugenausbil­ dungen. Um stehendes Wasser und die Durchfeuchtung der Nähte und Fugen zu vermeiden, werden Flachdächer leicht geneigt. Nach den Flachdachrichtlinien muss die­ ses mind. 2 % oder ca. 1,1° sein, sicherer sind ca. 5 %. Daher gilt es, frühzeitig eine Gefälleplanung zu erstellen, um daraus resultierende hohe Dachaufbauten zu vermei­ den. Die Gefälleausbildung erfolgt durch ein geneigtes Tragsystem, eine Gefälledämmung oder einen Gefälle­ estrich. Das Erscheinungsbild entsteht aus der darunter­ liegenden Konstruktion, die für Lasten und Beanspru­ chungen, Standsicherheit und Wartung geeignet sein muss. Die Trag- und Dämmschichten müssen eben und druckfest sein, Schutzschichten müssen die mechani­ sche Belastung von der Abdichtung fernhalten. Aus­ reichend schwere Nutzschichtaufbauten dienen zusätz­ lich zur Windsogsicherung und können den Brandschutz (Flugfeuer), die Beständigkeit gegen Umwelteinflüsse (Ozon, UV-Strahlung, Mineralöle, Lösungsmittel) und die thermische Belastung der Dachkonstruktion insbeson­ dere der Abdichtung maßgeblich reduzieren oder verhin­ dern. Hauptsächlich gegen Windsog und Verrutschen so­ wie zur Begrenzung der Wärmedehnung (Faltenbildung) wird die Dachhaut linear oder punktweise geklebt oder mit Schienen bzw. Haltetellern mechanisch gesichert. Chemisch unverträgliche Schichten erfordern Trenn­lagen (Folien), Scherspannungen auf Dachabdichtungen Gleit­ schichten (Vliese, mehrlagige Folien, Kiesschichten).

Um eine dichte Wanne bilden zu können, werden die Ab­ dichtungsbahnen seitlich an den aufgehenden Wänden über die Spritzwasser-, Schnee- und Aufstauhöhe mind. 15 cm hochgeführt und mit einer Leiste mechanisch be­ festigt. Die Stauwasserebene muss auch bei Türanschlüs­ sen u. ä. beachtet werden, allerdings darf sie, bei Vorhan­ densein einer vorliegenden, gedeckten Rinne (Gitterrost) und eines Dachüberstandes reduziert werden, um z. B. eine leichtere Zugänglchikeit zu erreichen. Jede Entwäs­ serungsfläche (Wanne) muss mindestens einen Dachab­ lauf (Speier, Gully) im Gefälletiefpunkt und einen Not­ablauf aufweisen. Schmelzwasser soll ohne erneutes Frieren ab­ laufen können, daher ist auf eine ausreichende Besonnung des Gullys oder eine entsprechende Rohrheizung zu ach­ ten. In der Regel werden Flachdächer heute als nicht be­ lüftetes, gedämmtes Dach ausgeführt  2, dabei ist bei dem Schichtenaufbau die spätere Nutzung zu beachten. Im Gegensatz zu den nicht genutzten Flachdächern be­ nötigen genutzte Flachdächer eine druckfeste Dämmung, und z. B. bei Parkdecks auch eine verschleißfeste Nutz­ schicht über der Abdichtung, die zu komplexen und auf­ wendigen Sonderkonstruktionen führen. Begrünte Dächer  S. 126 müssen ebenfalls als Einzellösung entwickelt werden. Neben dem Standardaufbau für ein ­belüftetes Dach  1, – meist als nicht genutztes Dach – hat sich auch ein sogenanntes Umkehrdach als weitere ­Lösung etabliert. Dabei wird die Abdichtung, mit einer Dampf­ druckausgleichsschicht getrennt, direkt auf die Trag­ schicht und die Wärmedämmung als Schutzschicht ober­ halb der wasserführenden Schicht aufgebracht. Dem Schutz der Abdichtung steht eine Wärmedämmung ge­ genüber, die nicht nur wasserfest sondern auch ver­ rottungsfest und UV-beständig sein muß. Nicht nur die ­verschiedenen Dachaufbauten, auch die verwendeten Dachabdichtungen sind heute robust und vielfältig. ­Neben den bewährten bituminösen Abdichtungen sind es jetzt auch Kunststofffolien und flüssige Kunststoffe, die hö­ here Sicherheiten beim flachen Dach ermöglichen.

a

b

a b

c c

d

4

d e

5

f e d c b a

1

f e d c b a

2

f e d c b a

3

4 Zweiteiliger Dachablauf für Flachdächer mit senkrechtem ­Auslauf, eingebaut in eine größere Aussparung, um Toleranzen der ­Leitungsführungen auszugleichen. Die Aussparung wird später brand­ schutzkonform verschlossen. a Laubsieb b Anschlussmanschette und ­Dichtung c Etageneinsatz d Anschlussmanschette und ­Dichtung e Ablauftopf 5 Attikaablauf mit Klebeflansch für Bitumen-Abdichtungsbahn a Attikaablauf b Sammeltopf c Schiebeflansch d Regenfallrohr


flachdach  123

1 Massives Flachdach, belüftet a Tragschicht b Dampfdruckausgleichschicht c Wärmedämmung d Luftschicht e Holzschalung auf Unter­ konstruktion f Abdichtung

a

2 Massives Flachdach, nicht ­belüftet a Tragschicht b Voranstrich, Dampfdruck­ ausgleichsschicht bzw. ­Notabdichtung c Wärmedämmung im Gefälle d Trennlage e zweilagige Abdichtung f Auflast

b

c

3 Umkehrdach a Tragschicht b Dampfdruckausgleichsschicht c Abdichtung d Drainschicht e Wärmedämmung, druckfest, wasserfest e Trennlage f Auflast

6 Darstellung beispielhafter ­Abdichtungslösungen analog zu den Flachdachrichtlinien a Abdichtung der Attika b Abdichtung am aufgehenden Mauerwerk, mind. 15 cm über der wasserführenden Schicht c Abdichtung von Durchdringun­ gen, mind. 15 cm über der wasser­ führenden Schicht d Sonderkonstruktion, z. B. mit Rinne bei barrierefreien Über­ gängen

d

6

7 Ausbildung des Randabschlus­ ses einer Dachkonstruktion für ein belüftetes Flachdach in zwei gegensätzlichen gestalterischen ­Ausführungen a auskragendes Dach mit schma­ lem, schirmartigem Abschluss b auskragendes Dach mit einem breiten, plattenartigen Attikaprofil Der äußere senkrechte Schenkel von Attikablechen soll den oberen Rand von Putz oder Bekleidungen überlappen, bei einer Gebäudehöhe bis 8 m > 5 cm bis 20 m > 8 cm über 20 m > 10 cm 7a

b


u m h 端 llen u n d ko ns t ruier en Beispiele

k apit el 5


Gemeinde zen t rum st. anne in colchest er , grossb ritannien DsDhA , lond on

130

L andesarchiv Nordrhein-West falen in D uisb urg, Deu tschland Ort ner & Ort ner Bau kunst, Wien / Köl n

134

svalbard science cen t re in longy earby en , norwegen jarm und / vigsn ÆS AS ARKIT EKT ER , oslo

138

mensa der k an tonsschule in we t tingen , schweiz :Ml zd, biel

142

FR AC Nord -Pas de Calais in D ünkirchen , Fr ankreich L acaton Vassal , Paris

146

wohnhaus in minamit uru - gunn , japan takeshi hosak a , Yokohama

150


150  Beispiele

wohnhaus in minamituru-gunn, japan takeshi hosaka, yokohama

Der Wunsch, sich einerseits von der Umgebung zu dis­ tanzieren, andererseits diese dennoch erlebbar zu ma­ chen, führt zu einem spannungsvollen Umgang mit ge­ schlossenen und geöffneten Fassadenelementen. Die drei scheinbar schwebenden weißen Bänder, die wie ge­ stapelte Blöcke eine aus der Landschaft aufragende ab­ strakte Pyramide formen, stehen im Kontrast zur hete­ rogenen Nachbarbebauung. Die unterschiedlich großen Volumina sind ineinandergeschachtelt und definieren Räume mit spezifischem Charakter. Vom geschlossenen Hof über den transparenten Wohnraum bis zum ablesba­ ren Gebäudekern mit Treppe, Küche, Bad und Eltern­ schlafzimmer steigert sich die Privatheit. Dieses Prinzip findet in dem drei Kindern vorbehaltenen Obergeschoss in modifizierter Form seine Fortsetzung.

Eine umfriedende Mauer im Erdgeschoss sowie eine hohe Brüstung im Obergeschoss schützen vor uner­ wünschten Einblicken. Die umlaufende Panoramavergla­ sung öffnet die Räume zum Ausblick in die landschaft­ lich reizvolle, von Bergen und Reisfeldern geprägte Umgebung. Weder horizontale noch vertikale Rahmen­ elemente stören im Erdgeschoss das Verschmelzen von Innen- und Außenraum. Das verwendete 20 mm starke Acrylglas, ab Werk vorgefertigt und in kompletten Ele­ menten auf die Baustelle geliefert, bietet absolute Trans­ parenz ohne Reflektionen und Spiegelungen. Vier glä­ serne Schiebetüren pro Geschoss erschließen Hof und Terrasse. Die innen gedämmte Hülle ist eine über die De­ cken am Gebäudekern verankerte, vorgehängte Stahl­ konstruktion. Die geschlossenen Teile sind mit Sperr­ holzplatten verkleidet, auf die eine glasfaserverstärkte Kunststoffabdichtung aufgebracht ist. Zwei bestehende große Bäume auf dem Grundstück werden Teil der Archi­ tektur, indem sie im wechselnden Sonnenlicht Schatten­ bilder auf die puristisch weißen Wände werfen.

Die abstrakten, scheinbar schwe­ benden gestapelten weißen ­Blöcke konstrastieren die ländliche Um­ gebung.


BEISPIELE  151

e

d f

a c

d b

Querschnitt Ansicht Süd Grundriss Obergeschoss Grundriss Erdgeschoss alle M 1:500 a Garten b Wohnraum c Küche d Schlafraum e Terrasse f Kinderbereich


u m h 端 llen u n d ko ns t ruier en Anhang

k apit el 6


Tabellen und Informationen

156

Normen und Rich t linien ( auswahl )

164

Verbände ( auswahl )

166

Herst eller ( auswahl )

167

Lit er at urver zeichniS / Bil dnachweis

173

inde x

174


158  Anhang

Geschwindigkeitsdruck q in kN/m2 bei einer Gebäudehöhe h in ­Grenzen von

Windlastzone

h≤ 10 m

10 m <h≤ 18 m

18 m <h≤ 25 m

0,50

0,65

0,75

Binnenland

0,65

0,80

0,90

Küsten und Inseln der ­Ostsee

0,85

1,00

1,10

Binnenland

0,80

0,95

1,10

Küsten und Inseln der ­Ostsee

1,05

1,15

1,30

Binnenland

0,95

1,15

1,30

Küsten und Inseln der ­ Nord- und Ostsee

1,25

1,40

1,55

Gültig sind die Werte bis zu einer Höhe von 800 m über NN; darüber hinaus werden sie mit einem Erhöhungsfaktor beaufschlagt. Für Gebäude auf den Inseln der Nordsee ist das vereinfachte ­Verfahren nur bis zu einer Gebäudehöhe von 10 m zugelassen.

Binnenland Windlastzone 1: 22 m /s

Windlastzone 2: 25 m /s

Windlastzone 3: 27,5 m /s

Windlastzone 4: 30 m /s

Winddruck

2 Einwirkung auf Tragwerke Die auf ein Bauwerk wirkende Windlast ist von dessen Form abhängig. Sie setzt sich aus Druck-, Sog- und ­Reibungswirkungen zusammen. Auf das Gesamtbau­ werk wirkt als resultierende Windlast:

Windsog

Schneelast

Geländekategorie II Landwirtschaftlich genutztes ­Gelände mit Begrenzungshecken, einzelnen Gehöften, Häusern oder Bäumen

h

Windsog

W = [cpe + cpi] * q * A

Geländekategorie III Vororte von Städten oder Industrieund Gewerbe­flächen; Wälder

c aerodynamischer Kraftbeiwert; abhängig von der Form des Baukörpers und der Anströmrichtung cpe = aerodynamischer Beiwert für Außendruck cpi = aerodynamischer Beiwert für Innendruck

Geländekategorie IV Stadtgebiete, deren Fläche zu ­mind. 15% mit ­Gebäuden bebaut ist, deren mittlere Traufhöhe 15 m überschreitet

q Geschwindigkeitsdruck des Windes in kN/m2 (Windgeschwindigkeit v und Luftdichte ρ) qh Verlauf des Geschwindigkeitsdrucks ze Bezugshöhe in Abhängigkeit von der Form und Schlankheit A Größe der Lasteinzugsfläche in m2 h Höhe b Breite des Bauwerks rechtwinklig zur ­Windanströmung d Gebäudebreite W Windlast

d

b

Die Ermittlung der Windlasten als nicht ständige Last auf die Flächen der Gebäudehülle ist für ausrei­ chend steife, nicht schwingungs­ anfällige Bauwerke bzw. Bauteile anwendbar. Die Entwicklung neuer, leichterer Konstruktionsmateria­ lien, Bauweisen und Bauformen führte zu einer Überarbeitung der bestehenden Normen. Die Einführung von Windlastzonen stellt die allgemein geforderte, ­operative Zuverlässigkeit in allen Baubereichen sicher. Die Einord­ nung in Geländekategorien erfolgt je nach Einzelfall oder genormt. Geländekategorie I Offene Gewässer; Seen mit mind. 5 km freier ­Fläche in Windrichtung; glattes, flaches Land ohne Hinder­ nisse

1 Karte Windzonen

Winddruck

1 Windlast Belastung des Gebäudestand­ortes, klassifiziert in Windzonen nach DIN EN 1991-1-4, Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1-4: Allgemeine Einwirkungen – Windlasten

d

d

2 Einwirkungen von Windlasten ze = h

3 Berechnungsgrundlagen ­Winddruck Bezugshöhe h in Abhängigkeit der Schlankheit; b ist die Gebäude­ breite quer zur Windrichtung

d

ze = h d h

h ze = h

3a

qh

ze = b

b

qh

ze = b

c

qh

a Ansatz Geschwindigkeitsdruck für Gebäude h ≤ b und h ≤ 25 m b Ansatz Geschwindigkeitsdruck für Gebäude b < h ≤ 2 × b c Ansatz Geschwindigkeitsdruck für Gebäude h > 2 × b


tabellen und informationen  159

4 Schneelast Der charakteristische Wert für Schneelasten (sk) auf dem Boden wird für regionale Zonen (Schnee­ lastzonen) mit unterschiedlichen ­Intensitäten der Schneelast ermit­ telt. Er ist abhängig von der geo­ grafischen Lage und der Gelände­ höhe über dem Meeresspiegel. Für Orte mit einer Höhenlage > 1500 m üNN und für bestimmte Lagen der Schneelastzone 3 kön­ nen sich höhere Werte als nach der Berechnung ergeben. Informatio­ nen über die Schneelast in diesen Lagen sind von den zuständigen örtlichen Stellen einzuholen. Der charakteristische Wert für Schneelast auf dem Dach ist ­abhängig von der Dachform und dem charakteristischen Wert der Schneelast auf dem Boden. si = sk * μ si die am Bauwerk anzusetzende Schneelast sk lokale charakteristische ­Schneelast am Boden μ Formbeiwert

5 Schlagregen DIN 4108-3 – Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden Teil 3: Klimabedingter Feuchte­ schutz, Beanspruchungsgruppen Schlagregen: Beanspruchungsgruppe I: Gebiete mit Jahresniederschlags­ mengen unter 600 mm sowie ­besonders windgeschützte Lagen auch in Gebieten mit größeren ­Niederschlagsmengen. Beanspruchungsgruppe II: Gebiete mit Jahresniederschlags­ mengen von 600 bis 800 mm ­sowie windgeschützte Lagen auch in Gebieten mit größeren Nieder­ schlagsmengen. Hochhäuser und Häuser in exponierter Lage in Ge­ bieten, die aufgrund der regionalen Regen- und Windverhältnisse einer geringen Schlagregenbeanspru­ chung zuzuordnen wären. Beanspruchungsgruppe III: Gebiete mit Jahresniederschlags­ mengen über 800 mm sowie wind­ reiche Gebiete auch mit geringeren Niederschlagsmengen. Hochhäuser und Häuser in exponierter Lage in Gebieten, die aufgrund der regiona­ len Regen- und Windverhältnisse ­einer mittleren Schlagregenbean­ spruchung zuzuordnen wären.

In jeder Zone ist ein Mindestwert der Schneelast (Sockelbetrag) anzusetzen. Ansonsten gelten für die Berechnung die folgenden Formeln.

Zone 1

Zone 1a

Zone 2

Zone 2a

Zone 3

z. B.: Rheintal, Rheinische Tiefebene

Zone 1 Zone 1 z. B.: Region1a Zone Zone 1um München und Augsburg Zone 1 Zone 1a 2 Zone 1a Zone z. B.: große1a Teile Zone 2 ­Norddeutschlands Zone 2 2a Zone Zone 2 2a z. B.: Hochschwarzwald, Zone 2a Zone 3 Zone Sauerland,2a Rhön Zone 3 Zone 3 z. B.: Alpenregion, Thüringer Zone 3 Wald, Erzgebirge

Berechnungsformel

Schneelast in kN/m²

A = Geländehöhe in m über ­Meeresniveau in m sk = 0,19 + 0,91 * ((A+140)/760)²

> 0,65

wie Zone 1, multipliziert mit 1,25

> 0,81

sk = 0,25 + 1,91 * ((A+140)/760)²

> 0,85

wie Zone 2, multipliziert mit 1,25

> 1,06

sk = 0,31 + 2,91 * ((A+140)/760)²

> 1,10

Dachneigung α

0° ≤ α ≤ 30°

30° ≤ α ≤ 60°

α > 60°

μ1

0,8

0,8 * (60–α) / 30

0

μ2

0,8 + 0,8 * α / 30

1,6

1,6

Beanspruchungs­ gruppe I Geringe Schlagregen­ beanspruchung:

Beanspruchungs­ gruppe II Mittlere Schlagregen­ beanspruchung:

Beanspruchungs­ gruppe III Starke Schlagregen­ beanspruchung:

Außenputz ohne ­besondere Anforde­ rungen an den ­Schlagregenschutz

Wasserhemmender Außenputz

Wasserhemmender Außenputz oder Kunstharzputz

Putz

4 Karte Schneezonen

Auf Außenwänden aus Mauerwerk, Wandbauplatten, Beton etc., Holzwolle-Leichtbauplatten und Mehrschicht-Leichtbauplatten Einschaliges Sicht­ mauerwerk mit einer Dicke von 37,5 cm

Zweischaliges Ver­ blendmauerwerk mit Luftschicht und ­Wärmedämmung oder mit Kerndämmung

Sichtmauer­ werk

Einschaliges Sicht­ mauerwerk mit einer Dicke von 31 cm

Fliesen / ­ Platten

Außenwände mit im Dickbett oder Dünnbett ­angemörtelten Fliesen oder Platten

Beton

Außenwände mit gefügedichter Betonaußenschicht

hinterlüftete Bekleidung

Wände mit hinterlüfteten Außenwandbekleidungen

Wärmedämm­ verbundsys­ tem WDVS

Wände mit Außendämmung durch ein Wärmedämmputzsystem oder durch ein zugelassenes Wärmedämmverbundsystem

Holz

Außenwände in Holzbauart mit Wetterschutz

Außenwände mit im Dickbett oder Dünn­ bett angemörtelten Fliesen oder Platten mit wasserabweisen­ dem Ansetzmörtel

Jahresniederschlag unter 600 mm Jahresniederschlag zwischen 600 und 800 mm

Jahresniederschlag über 800 mm, in windreichen Gebieten über 700 mm

5 Karte Schlagregenschutz



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