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Die Kniebeuge
ie Kniebeuge ist die „Mutter aller Übungen“ und aus keinem Krafttraining wegzudenken. Dieses Buch hilft dir dabei, die Kniebeuge strukturiert und beschwerdefrei aufzubauen und deine Leistung oder die Leistung deiner Klienten zu verbessern. Die Inhalte beschäftigen sich nicht nur mit der Ausführung der Kniebeuge, sondern auch mit biomechanischen Aspekten und der langfristigen Programmplanung im Kontext von zusätzlichen Assistenzübungen. Hier lernst du den Zugang zur Kniebeuge auch dann, wenn Einschränkungen in der Beweglichkeit und technische Defizite im Weg stehen.
Patrick Meinart, Sportwissenschaftler und Trainingsexperte, erklärt detailliert mit einer Vielzahl von Beispielen die Welt der Squats. Er beschreibt, wie das Zusammenspiel von Biomechanik und individueller Anatomie die Kniebeuge in ihren vielfältigen Variationen beeinflussen kann. Dabei legt er nicht nur Wert auf die technischen Komponenten, sondern räumt auch mit Mythen auf, wonach tiefe Kniebeugen schlecht für die Knie wären und zu Rückenschmerzen führen können.
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KÖNIGIN KNIEBEUGE
Patrick Meinart KRAFTTRAINING MIT DER MUTTER ALLER ÜBUNGEN
MUSKELAUFBAU • MOBILITY • METHODIK MUSKELAUFBAU • MOBILITY • METHODIK
BUCHTIPP
Patrick Meinart: Königin Kniebeuge. 19,99 Euro. Erhältlich ab 18. Mai.
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Jeder Athlet sollte in der Lage sein, das Gewicht der Langhantel in der Bewegung kontrollieren zu können. Dies beinhaltet eine saubere konzentrische Phase, eine kräftige Kontraktion am Ende der Bewegung und ein sauberes und kontrolliertes Herablassen des Gewichts. Das Tempotraining spielt mit diesen Variablen für optimale Ergebnisse. Ob nun langsam oder schnell bewegt wird, ist unter anderem abhängig von der Zielsetzung des Athleten.
Einer der ersten Vorreiter beim Tempotraining war der australische Strength Coach Ian King, später wurde das Konzept aufgenommen vom kanadischen Strength Coach Charles Poliquin. Ursprünglich wurde das Tempo in drei Ziffern angegeben, zum Beispiel 301. Die erste Ziffer steht für die Dauer der exzentrischen Phase, die zweite für die Dauer der Pause (isometrisch) und die dritte für die positive Phase der Bewegung (konzentrisch). In den letzten Jahren wurde das Tempo um eine weitere Ziffer ergänzt, nämlich um die isometrische Phase am Ende der konzentrischen.
DIE VIER PHASEN DER KNIEBEUGE-AUSFÜHRUNG
Ich habe die heutige 4-Phasen-Darstellung beim Tempo bereits an früherer Stelle in diesem Buch erläutert, aber eine kurze Wiederholung und weitere Ausführungen zum Tempoaspekt schaden sicher nicht. Ein typisches Tempo ist zum Beispiel 4010, also eine langsame, kontrollierte exzentrische Phase vier Sekunden lang, null Sekunden am Umkehrpunkt zwischen Exzentrik und Konzentrik und eine zügige konzentrische Phase eine Sekunde lang mit null Sekunden im Umkehrpunkt zwischen Konzentrik und Exzentrik. Für maximale Kraft sind ein schnelles Tempo in der Exzentrik und ein schnelles Tempo in der Konzentrik sinnvoll. Dabei wird das elastische Federn am untersten Punkt ausgenutzt, um mehr Energie aus den elastischen Elementen der Muskulatur zu nutzen (Myofaszie und Sehne). Dadurch lassen sich höhere Kraftwerte erzeugen als ausschließlich aus den kontraktilen Elementen der Muskeln (den Molekülen Aktin und Myosin).
Im Gegensatz zur Kraftmaximierung ist ein kurzes Abstoppen in der Tiefkniebeuge optimal, um die Krafterzeugung aus den elastischen Elementen zu reduzieren und dadurch mehr Fokus auf die Vergrößerung des Muskelquerschnitts zu legen. Eine Sekunde reduziert die elastische Energie um ca. 90 Prozent, zwei Sekunden um ca. 95 Prozent und drei Sekunden nehmen die elastische Energie komplett aus der Bewegung. Ein geeignetes Tempo zur Maximierung der Hypertrophie wäre zum Beispiel 43X0 – eine kontrollierte, langsame exzentrische Phase, ein Stopp von drei Sekunden Länge zur Reduktion der elastischen Komponenten in der Bewegung und eine explosive Aufwärtsbewegung (gekennzeichnet als „X“). Durch diese Explosivität erhöht sich die Muskelfaserrekrutierung, was zu einem erhöhten Muskelwachstum führt.
EXZENTRISCHE BEWEGUNGSAUSFÜHRUNG
In Bezug auf die Exzentrik eignet sich am besten eine Abwärtsbewegung über drei bis vier Sekunden, vor allem mit Blick auf Hypertrophie. Untersuchungen zeigen, dass ein langsameres oder schnelleres Absinken als etwa drei Sekunden nicht zu besseren Ergebnissen führt. Ein langsameres Tempo in der exzentrischen Phase eignet sich jedoch sehr gut zur verbesserten muskulären Koordination. Bei langsamer Bewegungsausführung werden Bewegungsdefizite schneller deutlich und entlarven somit Schwachstellen in der Bewegung. Daraus resultiert eine Verbesserung der Motorik. Gleichzeitig bewirkt exzentrisches Training im Vergleich zum konzentrischen Training allein auch einen höheren Muskelwachstumsreiz. Die möglichen Kraftzuwächse von rein exzentrischem Training im Verhältnis zu konzentrischem Training können bis zu zehn Prozent mehr betragen. Daher eignet sich exzentrisches Training beziehungsweise der Fokus auf die exzentrische Bewegungskomponente hervorragend, um Muskelmasse aufzubauen. Rein exzentrisches Training belastet jedoch auch die Muskulatur mehr, was zu einer notwendigen höheren Regenerationszeit führt. Je höher die exzentrische Belastung, desto stärker der Muskelschaden, was bei der Trainingsplangestaltung und Übungsauswahl beachtet werden sollte.
Exzentrisches Training führt zu einer höheren Rekrutierung der schnell zuckenden Muskelfasern. Vor allem für den Transfer zu schnellkräfti-
gen und explosiven Bewegungen ist es sinnvoll, sich auf die exzentrische Komponente zu konzentrieren. Da erfahrene Athleten in der exzentrischen Phase ca. 30 bis 50 Prozent kräftiger sind als in der konzentrischen, sollte die Beugetechnik dementsprechend angepasst werden. Als idealer Fokus auf die exzentrische Phase während des Beugens eignen sich sogenannte Weight Releaser. Weight Releaser sind Haken, die mit Gewichtsscheiben bestückt werden und an beiden Seiten an die Langhantel gehängt werden. Sie fügen somit in der exzentrischen Phase der Bewegung mehr Gewicht zu. Am tiefsten Punkt der Beuge angekommen, werden die Haken bei Bodenkontakt automatisch abgelegt, was das Gewicht in der konzentrischen Phase wieder reduziert. Somit kann mehr Gewicht in der Abwärtsphase bewältigt werden, was neben der Tempovariation zu einer erhöhten exzentrischen Belastung führt.
Bei der Verwendung von Weight Releasers (auch „exzentrische Haken“ genannt) eignet sich neben dem bereits erwähnten Absinken über drei bis vier Sekunden auch ein langsameres Absinken, wie dies zum Beispiel beim Medvedev Squat der Fall ist, bei dem zehn Sekunden lang abgesenkt wird. Weil hierbei der Fokus auf die exzentrische Phase gelegt und Gewicht aufgenommen wird, was konzentrisch nicht bewältigt werden kann, werden in dieser Konstellation nur „Singles“ (Einzelwiederholungen) ausgeführt.
PRAXISANWENDUNG
Folgendes Schema eignet sich als Medvedev-Kniebeuge mit gleichzeitiger Verwendung der exzentrischen Haken: Langhantel-Kniebeuge 10 × 1, 10-0-X-0, 150–180 Sekunden Pause. Folgende Kombination ist sinnvoll, wenn man Wert auf ein variables Tempo während des Trainings legt: • A1: Kniebeuge, Fersen erhöht, 5 × 6–8, Tempo 4-3-X-0, 15 Sek. Pause • A2: Liegender Beinbeuger 1¼, 5 × 8–10, Tempo 5-0-X-1, 15 Sek. Pause • A3: Stehendes Wadenheben, 3 × 12–15, Tempo 2-2-X-3, 180 Sek. Pause Bei der ersten Übung A1, der Kniebeuge, wird aufgrund des langen Arbeitswegs (exzentrische Phase) eine vier Sekunden lange Abwärtsbewegung eingefügt. Die Bewegung bleibt kontrolliert. Die statische Phase am tiefsten Punkt bewirkt, wie bereits erwähnt, eine Reduktion der elastischen Komponenten. Die Aufwärtsphase wird für die maximale Muskelfaserrekrutierung explosiv ausgeführt. Im Stand wird keine Pause gemacht, um die Belastungsdauer hochzuhalten. Übung A2 dient, mit Fokus auf die hintere Kette, als Ergänzung zur Kniebeuge. Während das Erhöhen der Fersen den Fokus mehr auf den Quadriceps legt, hilft der liegende Beinbeuger zur Förderung der Hypertrophie in der hinteren Kette. Die 1¼-Bewegung stellt eine Intensivierungstechnik dar, die eine Überladung in der verlängerten Position des Beinbeugers bewirkt. Die erwähnte Teilwiederholung wird nach der Streckung der Kniegelenke in Form einer leichten Beugung ausgeführt, bevor die Knie wieder gestreckt werden, um eine vollständige Wiederholung ausführen zu können. Die Wiederholungszahl ist zwar höher als bei A1, durch das Fehlen der Pause am Ende der Exzentrik ist die Satzdauer aber relativ gleich. Die dritte Übung, A3, dient als Assistenzübung zur Förderung des Wadenwachstums. Da der Wadenmuskel eher statisch arbeitet und ein ausdauernder Muskel ist, ist hier ein hoher Wiederholungsbereich sinnvoll. Das Halten in der tiefen Position erhöht den exzentrischen Stress (Dehnung). Das Stretching innerhalb des Satzes erhöht ebenfalls den Trainingsreiz und dient als Intensivierungstechnik.
Prinzipiell ist es sinnvoll, das Bewegungstempo an das Tempo der sportartspezifischen Bewegung anzupassen. Für Verbesserungen beim Olympischen Gewichtheben sind schnelle Bewegungen genauso sinnvoll wie für andere explosive Bewegungen, wie zum Beispiel beim Sprinten. Ein schweres Gewicht zu bewegen führt automatisch zu einem langsameren Tempo (Kraft-Geschwindigkeits-Relation). Dennoch ist es sinnvoll, die Bewegungsgeschwindigkeit so weit wie möglich zu maximieren. Schon der Versuch, das Bewegungstempo zu erhöhen, bewirkt eine stärkere Muskelfaserrekrutierung. W
PATRICK MEINART
ist Sporttherapeut, Psychologe sowie Gründer der Release Fitness Academy. Außerdem ist er Ausbilder im Bereich des neurozentrierten Trainings und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Krafttraining, Therapie und Sport auf Grundlage neurowissenschaftlicher Erkenntnisse. www.release-fitness.com