

Urheberrechtlich geschütztes Material
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Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Huber
HAUPT VERLAG
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Einführung 7
1 Naturgeschichte 11
2 Wind in der ältesten Literatur der Welt 45
3 Mythen, Folklore und Religion 65
4 Zerstörerische Winde 85
5 Handel und Technologie 114
6 Kunst, Literatur und Populärkultur 143
7 Wind, die Umwelt und die Zukun� 183
ZEITTAFEL 207
ENDNOTEN 209
ORGANISATIONEN UND WEBSEITEN 222
AUSGEWÄHLTE LITERATUR 224
DANKSAGUNG 224
BILDQUELLEN 226
REGISTER 228
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Wind ist ein faszinierendes Naturphänomen, dessen Flüchtigkeit nur von seiner ungeheuren Kra� übertroffen wird. Im Gegensatz zu anderen Phänomenen wie Niederschlägen und Feuer kann Wind nicht mit dem bloßen Auge beobachtet werden. Stattdessen muss man ihn fühlen oder hören oder an seinen Auswirkungen auf die Umgebung erkennen. Wind, der Lu�strom aus Gebieten mit höherem Lu�druck in solche mit geringerem Druck, ist per definitionem eine immerwährende Bewegung: Er ist so alt wie wechselha�, so allgegenwärtig wie unfassbar.
Von den frühesten Anfängen der Erde an hat Wind unseren Planeten geformt – er hat die Umwelt verändert und den Kurs der menschlichen Zivilisationen bestimmt. Wind hat die Entstehung unserer heutigen Lebenswelt und der Atmosphäre der Erde entscheidend geprägt. Neuere Studien haben sogar Auswirkungen einer durch den Wind verstärkten Tektonik auf die Bewegungen der Erdplatten gezeigt.
In der Menschheitsgeschichte haben die wechselnden Windverhältnisse Evolution und Kultur beeinflusst. Vielleicht wird aus diesem Grund Wind im menschlichen Denken stark mit Veränderung assoziiert, mit wechselnden Schicksalen, die in unzähligen Werken der Poesie, Musik, Literatur und Mythologie mit der Bewegung der Lu� verbunden sind. Die Rolle des Windes in der Geschichte der Menschheit ist heute selbst im Wandel begriffen. Die Nutzung von Wind für die Erzeugung sauberer Energie und den Kampf gegen den Klimawandel ist zu einem dominierenden, zeitweise polarisierenden Thema geworden.
Mal schöpferisch, mal destruktiv breitet Wind Samen aus, füllt Segel und verteilt die Energie der Sonne, sodass eine bewohnbare Biosphäre entsteht. Sein prägender Einfluss auf die Umwelt unseres Planeten spiegelt sich in der herausragenden Rolle wider, die dieses Phänomen in den Mythen und Religionen
LINKS Utagawa Hiroshige, Glänzendes Tanabata-Fest in der Stadt, Nr. 73 aus der Serie «100 berühmte Ansichten von Edo», 1857, Farbholzschnitt 7
OBEN Thomas Birch, Verlust des Schoners «John S. Spence» in Norfolk, Virginia, USA (Rettung der Überlebenden), 1833, Öl auf Leinwand
LINKS Claude Monet, Steigende Flut bei Pourville, 1882, Öl auf Leinwand
OBEN Frühjahrsstürme über einer Windenergieanlage in Indiana, USA
der Antike spielt. Die Kra� des Windes hat in verschiedenen kulturellen und historischen Umgebungen vielfältige menschliche Reaktionen hervorgebracht. Ein gemeinsames Thema in Kultur und Religion war das Potenzial des Windes, Leben auf der Erde zu unterstützen und zu verbreiten – und bisweilen auch zu zerstören. Wind hat bahnbrechende wissenscha�liche Neuerungen inspiriert und tauchte in so unterschiedlichen Werken wie dem Tanach, der Poesie von John Keats und dem Katastrophenfilm Twister auf.
Im 21. Jahrhundert ist deutlich geworden, wie wichtig es ist, die Natur zu verstehen und wertzuschätzen. Dies lädt auch zur Erkundung der Verbindung zwischen Natur und Kultur ein. Wer in die Welt des Windes eintaucht, begegnet einem flüchtigen Spiegelbild der Komplexität der Natur.
Dieses Buch erkundet das Thema Wind und gibt einen Einblick in seinen ungeahnt mannigfaltigen Einfluss auf Natur und Kultur. Sein Ziel ist es, ein größeres Bewusstsein für dieses unsichtbare und dennoch so kra�volle Naturphänomen zu schaffen.
Naturgeschichte
Um wieder in heimischere Gefilde zu kommen: Der Einfluss des Windes zeigt sich auch in der Bewegung der Wasserströme auf der Erde. Der antarktische Zirkumpolarstrom ist die stärkste Meeresströmung der Welt. Er erstreckt sich vom Meeresboden bis zur Meeresoberfläche und umspült Antarktika. Angetrieben wird er durch starke westliche Winde, die über das Südpolarmeer wehen, und durch die wechselnden Oberflächentemperaturen zwischen dem Äquator und den Polen. Indem er dafür sorgt, dass die Antarktis kalt und eisbedeckt bleibt, spielt der windinduzierte antarktische Zirkumpolarstrom eine entscheidende Rolle für den globalen Wasserkreislauf und die Gesundheit des Planeten.27
In den letzten Jahren ist der enorme Einfluss des Windes auf die Meere immer mehr ins Bewusstsein gerückt. Wind beeinflusst nicht nur die Wasseroberfläche in Form von Gezeiten und Wellen, sondern ist auch unter der Ober-
UNTEN Antarktis
OBEN Satellitenbild der Erde mit Winden, Gezeiten und Dichteunterschieden, die die Meere aufwühlen. Der tropische Wirbelsturm Joulane, der sich im April 2015 entwickelte, ist über dem Indischen Ozean zu erkennen.
fläche wirksam. Er übt einen starken Einfluss auf die Strömungen im Wasser und auf die Zusammensetzung der globalen Atmosphäre aus. Die Untersuchung fossiler Korallen hat kürzlich gezeigt, dass die Meereszirkulation selbst in großen Tiefen bemerkenswert sensibel auf Windveränderungen reagiert. Es wurde festgestellt, dass der Kohlenstoffgehalt von Tiefwasserfossilien aus dem Südpolarmeer in der Nähe von Antarktika dem ihrer Gegenstücke aus dem Pazifik ähnlich ist. Den Unterschied zwischen den Bewegungen der Wassermassen und
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den erwarteten Zirkulationsmustern führten die Forscher:innen auf den Einfluss von Winden an der Oberfläche zurück.28 Zur dynamischen Wirkung von Wind auf Meeresströmungen gehört auch, dass er sich auf die Freisetzung von Kohlendioxid, das in tiefen Meeresschichten gespeichert ist, in die Atmosphäre auswirkt. Kün�ige Studien werden sich der Frage widmen, wie sich die Auswirkungen von Wind auf Meeresströmungen auf die Prognosen zum Klimawandel auswirken.
Äolische Prozesse sind Vorgänge, bei denen Wind die Oberfläche des Planeten formt. «Äolisch» leitet sich von dem griechischen Gott Äolus ab, dem Herrscher über die Winde, der in Homers Epos Odyssee vorkommt. Oberflächenformende Krä�e des Windes werden meistens mit Erosion in Verbindung gebracht, zu den äolischen Prozessen gehören aber auch Transport und Ablagerung von Material: Wind trägt die Erdoberfläche nicht nur ab, sondern er baut sie auch auf. Winderosion erfolgt durch Deflation, bei der loses Material vom Wind weggetragen wird, durch Abrasion, bei der Oberflächen durch Windeinwirkung abgeschliffen werden, und durch die sandstrahlende Wirkung vom Wind verfrachteter Partikel. Die Bewegungen von Gletschern und Wasser gelten traditionell als die wirkmächtigsten landformenden Krä�e auf der Erde, aber neuere Forschungen haben gezeigt, dass der Wind einen ebenso großen Einfluss auf die physische Form der Erde hat. Wissenscha�ler der University of Arizona untersuchten gigantische, windgeformte Gesteinsrücken, die Yardangs oder Windhöcker genannt werden, und entdeckten, dass die erodierende Wirkung von Wind ausreicht, um Berge am Wachsen zu hindern.29
Winderosion ist nicht nur an der Erdoberfläche wirksam, sondern auch an der Tektonik beteiligt – den Krä�en, die die Bewegung und die Faltung der Erdplatten verursachen. Durch den Transport von Sedimenten durch den Wind kann sich die Geschwindigkeit, mit der sich das Gestein ablagert, verändern, was sich letztlich auf die Entwicklung der tektonischen Platten auswirkt.30 Das Zusammenspiel zwischen Windbewegung und tektonischen Krä�en wurde auch von Forscher:innen beobachtet, die sich mit der Entstehung der Anden in Argentinien beschä�igten.31 Es wird vermutet, dass ähnliche Zusammenhänge zwischen Winderosion und Tektonik auch auf unserem windigen Nachbarplaneten Mars zu finden sind.
Auf der Erde hängen viele der Winderosionsmuster mit saisonalen Wetterschwankungen zusammen, sie wandern von einer Seite des Globus zur anderen.
Ein Beispiel ist Staub aus der Sahara, der bis ins Amazonasbecken und zu den Inseln der Karibik getragen wird. Wissenscha�ler:innen der NASA haben nachgewiesen, dass der Phosphor aus dem Saharastaub Nährstoffe für die Pflanzen im Amazonas-Regenwald liefert.32 Es hat sich gezeigt, dass die Staubmenge, die mit dem Wind transportiert wird, sehr unterschiedlich ist und die Schwankungen mit Klimafaktoren wie den Niederschlägen in der Wüste zusammenhängen. Äolische Prozesse wurden in jüngerer Zeit auch auf dem Titan, dem größten Saturnmond, und dem Mars beobachtet. Dort wurden Yardangs gefunden, die denen in den Wüsten von Arizona ähneln.
Winderosion formt nach und nach neue Landscha�en. So entstehen aus felsigem Gelände Naturwunder, die Teil der unverwechselbaren Identität eines Orts werden. Ein berühmtes Beispiel ist «The Wave» in den Navajo-Sandsteinformationen des Vermilion Cliffs National Monument in Arizona, USA. Die wirbelnden Streifenmuster und die wellenförmige Form sind das Resultat von 190 Millionen Jahren Winderosion und haben das Gebiet zu einem beliebten Ziel für den Ökotourismus gemacht. Obwohl Winderosion normalerweise Hunderte Millionen Jahre benötigt, um neue und bisweilen wundersame Landformen zu schaffen, kann der Prozess manchmal bemerkenswert schnell verlaufen. Mehrere berühmte Felsen, die aus dem Meer rund um die Isle of Wight im Ärmelkanal ragen, wurden in den letzten Jahren durch kra�volle Winde abgebrochen, was die Landscha� dramatisch veränderte. Der Transport von Nährstoffen durch Wind über riesige Entfernungen versorgt die Ökosysteme in den Gebieten, in denen diese Ressourcen abgelagert werden – aber dieser Prozess kann gleichzeitig die Gebiete, aus denen die Nährstoffe stammen, schädigen und deren Nährstoffvorrat erschöpfen. Winderosion wird im Allgemeinen in drei Kategorien eingeteilt: Reptation (Rollen und Kriechen), Saltation (Springen) und Suspension (Schweben). Die Kategorien unterscheiden sich durch die Größe der Partikel, die transportiert werden, und den Bewegungstyp. Durch Reptation werden besonders große Partikel an der Oberfläche «kriechend» transportiert. Der Begriff Saltation beschreibt den springenden Transport bis in Höhen von 50 cm. Kleine Bodenteilchen werden durch die Suspension zum Teil über weite Strecken von mehreren Hundert Kilometer transportiert. Menschliche Aktivitäten können die schädlichen Auswirkungen von Winderosion verschlimmern oder abschwächen. Das Pflanzen von Bäumen und Sträuchern und der Schutz des Oberbodens behindern den Abtrag von Nährstoffen durch Wind. Im Gegensatz dazu können beispielsweise Entwaldung und Überweidung die Auswirkungen der Erosion verstärken.
und den Verlust von mehr als 1800 Menschenleben. Der Sachschaden soll über 125 Milliarden US-Dollar betragen haben, wobei es einige Schätzungen gibt, die die Schadenssumme deutlich höher ansetzen. Es verloren besonders viele ältere Menschen ihr Leben, die weniger leicht fliehen konnten. Außerdem wurden 600 000 Haustiere getötet oder vertrieben.
Manche Auswirkungen extremer Wetterereignisse lassen sich kaum quantifizieren, sind aber dennoch bedeutsam. Die große Medienpräsenz des Hurrikans Katrina löste einen medialen Sturm zum Thema Klimawandel aus. Die Folgen von Katrina veranlassten Klimawissenscha�ler:innen und Atmosphärenforscher:innen zu neuen Anstrengungen, um herauszufinden, wie sich das Klima auf die Häufigkeit und Intensität von Wirbelstürmen auswirkt und wie ein sich wandelndes Klima zukün�ige Stürme beeinflussen könnte.28
Die Drehbewegung der Lu� ist nirgends so gut sichtbar wie bei Tornados. Ein Tornado ist eine schnell rotierende Lu�säule, die an ihrem unteren Ende mit dem Boden und an ihrem oberen Ende mit einer Wolke in Kontakt steht. Weitere Bezeichnungen sind «Windhose», «Großtrombe» und «Wirbelsturm», bei einem Tornado über Wasser spricht man auch von einer «Wasserhose». Während Wind in der Regel mit bloßem Auge nicht sichtbar ist, kann man die Bewegungen eines Tornados an der Trichterwolke erkennen, die durch Kondensation entsteht und wie ein Rüssel aus einer Wolke entspringt.
Tornados kommen auf allen Kontinenten außer der Antarktis vor. In den Vereinigten Staaten ereignen sich im Durchschnitt mehr als 1200 Tornados jährlich;
UNTEN Künstlerische Darstellung eines Tornados, der Infrastruktur zerstört
sie sind damit noch vor Kanada das Land mit der höchsten Zahl der pro Jahr registrierten Tornados weltweit. Die Tornados treten häufig in einer zentralen Region des Landes auf, die als «Tornado Alley» bekannt ist. Über die genauen Grenzen der Tornado Alley herrscht zwar wenig Einigkeit, aber man kann davon ausgehen, dass sie ganz allgemein Gebiete in Texas, Oklahoma, Kansas, Louisiana, South Dakota, Iowa und Nebraska umfasst. In den 1920er-Jahren kamen in den Vereinigten Staaten jährlich mehr als 300 Menschen durch Tornados ums Leben; dank verbesserter Warnsysteme ist diese Zahl jedoch auf etwa 50 Tote pro Jahr gesunken.
Tornados werden mit extrem hohen Windgeschwindigkeiten in Verbindung gebracht, aber eine genaue Messung ist schwierig. Weil ihre Bewegungen unvorhersehbar sind und sie häufig Wetterinstrumente vollständig zerstören, werden die Windgeschwindigkeiten von Tornados (auch als «Twister» bekannt) selten quantifiziert.
Seit den 1970er-Jahren wird die Stärke von Tornados anhand der Fujita-Skala ermittelt. Sie teilt die Wirbel je nach Windgeschwindigkeit und damit verbundener Schadenswirkung in sechs Klassen ein. Entwickelt wurde das System 1971 von Ted Fujita, einem Sturmforscher an der Universität von Chicago. Der 1920 in Kitakyushu, Japan, geborene Fujita unterrichtete im August 1945 Physik in Tobata im Südwesten Japans, als die Atombombe auf Nagasaki abgeworfen wurde. Ursprünglich sollte die Stadt Tobata selbst das Ziel dieses zweiten Atombombenabwurfs sein, doch da sich am 9. August 1945 Wolken über der Stadt befanden, wich der Pilot auf das Ausweichziel Nagasaki aus.
Im September desselben Jahres reiste Fujita mit einer Gruppe von Studierenden nach Hiroshima und Nagasaki, um die durch die Atomschläge verursachten Verwüstungen zu besichtigen. Was er auf dieser Reise sah, begründete seine lebenslange Beschä�igung mit zerstörerischen Ereignissen und Katastrophen. Am Ort des Bombenabwurfs fielen Fujita die «Starburst-Muster» der durch die Explosion entwurzelten Bäume auf. Später verwendete er die von Wirbelstürmen hinterlassenen Muster der Verwüstung, um sie zu messen und in die Fujita-Skala einzuordnen. Da die Intensität von Tornados während ihrer Entste-
RECHTS Tornado über einem Feld, Wyoming, USA
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