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Wie oft am Tag
from Brav_a #12
by Brav_a
8 Offener Brief zum 8. März in Marburg Wie oft am Tag entschuldigst du dich (insgeheim) dafür, es nicht allen recht zu machen? Wie oft hast du ein schlechtes Gewissen, weil du die Bedürfnisse und Wünsche nur fast aller erraten und erfüllt hast? Wie oft fühlst du dich schuldig dafür, jemandem nicht (genug) zu helfen? Wie oft sind alle To-dos, für die du dich zuständig fühlst, überhaupt schafbar? Wie oft fühlst du dich schlecht, weil du das Gefühl hast, für ein Trefen nicht ausreichend vorbereitet zu sein oder wenn du mal zu spät kommst oder absagst? Wie oft sagst du Termine nur ab, um dich um jemanden oder etwas anderes zu kümmern – oder höchstens noch weil du sehr krank bist? Wie oft übernimmst du ganz selbstverständlich die Verantwortung dafür, dass sich Besuch wohlfühlt, bei Gesprächen alle eingebunden werden oder initiierst klärende (Beziehungs-)Gespräche, wenn zwischenmenschlich etwas nicht stimmt? Wie oft verschiebst du deine eigenen Pläne, Projekte, Leidenschaften, weil gerade andere Dinge wichtiger sind? … Wie viele der Dinge, die du tust, sind eigentlich einfach für dich selbst? Wie entspannt bist du damit, Zeit mit etwas zu verbringen, das nicht für andere ist (also nicht zum Beispiel zur Arbeit gehen, dich um Freund_innen oder Familie kümmern oder politische Aktivitäten)? Wie viel von deinem Selbstbild machen diese Dinge aus? Würdest du anderen genauso viel aufbürden wie dir selbst? Die Fähigkeiten des Quasi-Gedankenlesens, des Atmosphäre-Schafens und des Aufbaus guter Beziehungen wird vor allem Mädchen* beigebracht und von Frauen* erwartet. Und das sind auch krasse Skills – viele von uns Frauen* oder auch Transmännern sind geschult, die kleinsten Regungen zu erkennen und zu deuten, um zielsicher abschätzen zu können, wer im Raum sich vielleicht unwohl fühlt und wie wir dem entgegenwirken können. Das und vieles mehr läuft ganz nebenbei – während wir arbeiten, abspülen, politisch diskutieren oder Bier trinken. Krasse Skills, wie gesagt. Wie diese Skills und Erwartungen an uns aussehen, kann sich unterscheiden, je nachdem ob wir zum Beispiel negativ von Rassismus betrofen sind oder nicht, wie alt wir sind, wo in der Gesellschaft wir uns bewegen oder ob unsere Körper als gesund gelten. Aber Geschlecht spielt dabei immer eine Rolle. Diese dauerhafte Zuständigkeit, die unseren Brüdern, Freunden, Kollegen oder Mitbewohnern meist weniger beigebracht wurde und sehr viel weniger von ihnen erwartet wird, hat auch Schattenseiten: Wir haben das Gefühl, all das alleine leisten zu müssen (und müssen das auch meist) – und scheitern daher täglich daran oder brennen uns damit aus. Es schleicht sich als energiezehrender Dauerzustand ein: Wir leisten mehr und fühlen uns doch schlechter.
Das ist nicht fair. Darauf haben wir keinen Bock mehr.
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Das Umeinanderkümmern muss umverteilt werden.
Wir wollen uns nicht durch diese selbstverständliche Dauerarbeit selbst ausbeuten. Darum streiken wir am Internationalen Frauenkampftag, dem 8. März, in jeder Hinsicht – und kümmern uns nur um uns selbst und um das, was wir gemeinsam verändert sehen wollen! D a s i s t e i n e K a m p f a n s a g e - 8 . M ä r z i s t a l l e T a g e !