Mozart
Ein großes Geschenk an die Menschheit
Constantin Floros Constantin Floros • Wolfgang Amadé MozartWolfgang Amadé
Mozart
Ein großes Geschenk an die Menschheit
Constantin FlorosBV 487
ISBN 978-3-7651-0487-9
© 2023 by Breitkopf & Härtel, Wiesbaden
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: Johann Adolf Rossmäßler, Allegorie auf den Genius von Wolfgang Amadeus Mozart. Titelkupfer zum Klavierauszug der Oper Così fan tutte, Breitkopf & Härtel 1794
Druck: docupoint, Barleben
Printed in Germany
Vorwort
Meine intensive Beschäftigung mit dem großen Salzburger Komponisten durchzieht mein Leben. Sie begann in meinen Wiener Studienjahren (1951–1955) und endete vor meinem 90. Geburtstag.
Das vorliegende Buch stützt sich zunächst auf meine Mozart-Studien, erschienen 1979 im Verlag Breitkopf & Härtel in Wiesbaden. Das Buch fand überaus freundliche Aufnahmen in der internationalen Mozart-Forschung. Rudolph Angermüller veröffentlichte 1980 in den Mitteilungen der Internationen Stiftung Mozarteum eine ausführliche Rezension, in der er auf die Bedeutung der Studien für die Forschung hinwies und vor allem die frappierenden Ergebnisse in den Kapiteln „Das ‚Programm‘ in den Meisterouvertüren“, „Stilebenen und Stilsynthese in den Opern“ und „Österreichische Tradition in der Kirchenmusik“ unterstrich.
Die Studie „Das ‚Programm‘ in Mozarts Meisterouvertüren“, zuerst 1964 publiziert, eröffnet die Reihe jener Arbeiten, die sich der von mir ausgearbeiteten „semantischen Analyse“ bedienen. Vor allem in den englischsprechenden Ländern regte das Buch mehrere Forscher zu weiteren Untersuchungen an. Erwähnt seien Daniel Heartz, Julian Rushton, Richard Will und Christoph Wolff (siehe Bibliographie).
Das Buch stützt sich sodann auf weitere Studien des Verfassers, die zentrale Fragen der Mozart-Forschung betreffen wie Mozarts Universalismus, die Beziehungen zwischen Werk und Biographie, zwischen Heiterkeit und Melancholie, zwischen Struktur und Semantik, das Verhältnis zwischen Tragik und Komik, die Musiksprache und die Bühnenästhetik Mozarts. Außerdem werden manche wichtige Rezeptionsfragen behandelt.
Das Buch wurde von Thomas Frenzel (Breitkopf & Härtel) lektoriert und von Michael Bock (Hamburg) digitalisiert. Beiden Herren gilt mein sehr herzlicher Dank. Gemessen an der bei Peter Lang erschienenen englischen Ausgabe dieses Buches ist die vorliegende deutsche Edition an einigen Stellen erweitert.
I Grundthesen
Unbeschreiblich ist die Faszination, die Wolfgang Amadé Mozart bereits einige Jahrzehnte nach seinem frühen Tod auf die Welt der Gebildeten ausübte. Viele gebrauchten ungewöhnliche Formulierungen, wenn es darum ging, seinen außerordentlichen künstlerischen Rang zu fixieren. Dabei berief man sich immer wieder auf seine einmalige Genialität und Originalität, auf seine unvorstellbare Kreativität und Universalität. Vieles an ihm ist in der Tat ganz ungewöhnlich: seine beispiellose Frühreife (wenn dieses Wort auf einen genialen Menschen gemünzt werden darf); sein umfassender Ausbildungsgang unter der Anleitung des erfahrenen, aufgeklärten und stets strategisch vorgehenden Vaters; der glanzvolle, aber auch mühsame Lebensweg des Wunderknaben, pubertierenden Jünglings und jungen Mannes durch die renommiertesten Musikmetropolen Europas; schließlich seine letzten Lebensjahre zeitweise in großer Not. Einmalig waren seine phänomenale musikalische Begabung und sein Gedächtnis, erstaunlich waren der Reichtum der Einfälle, seine Kunst des Improvisierens und seine Fähigkeit, eine Komposition im Kopf nahezu vollständig zu entwerfen, bevor er sie niederschrieb. Er beherrschte ausnahmslos alle musikalischen Gattungen, war ein profunder Kenner nicht nur der deutschen und der italienischen, sondern auch der französischen Musik, er fand schnell seinen unverwechselbaren Stil und die ihm eigene Musiksprache und verfügte nach dem Zeugnis Joseph Haydns über Geschmack und darüber hinaus über die größte Compositionswissenschaft. Einzigartig ist auch die Beliebtheit, die seine Musik heute weltweit genießt. Nach verschiedenen Statistiken rangiert er unter den zehn am häufigsten aufgeführten Komponisten an erster Stelle. Erst nach ihm werden Beethoven und Brahms genannt. Treffend bezeichnete ihn Wolfgang Hildesheimer als einen unfassbar großen Geist und als ein unverdientes Geschenk an die Menschheit, in dem die Natur ein einmaliges, wahrscheinlich unwiederholbares – jedenfalls niemals wiederholtes – Kunstwerk hervorgebracht hat. 1
1. Persönlichkeit und Werk
Wenngleich es an Versuchen, Mozarts Persönlichkeit zu beleuchten, nicht mangelt, so ist unleugbar, dass sie in vielerlei Hinsicht rätselhaft bleibt. In der Absicht, authentisches biographisches Material über ihr Idol Mozart zu sammeln, unternahmen im Jahr 1829 die Eheleute Vincent und Mary Novello aus London eine „Pilgerfahrt“ nach Österreich.2 In Salzburg besuchten sie Mozarts Schwester Maria Anna (Nannerl), die mittlerweile bettlägerig und achtundsiebzig Jahre alt war, und überreichten ihr ein Geldgeschenk. Ergiebiger war das in französischer Sprache geführte Gespräch mit Constanze Nissen, der Witwe Mozarts, die damals siebenundsechzig Jahre alt war. Die erste Frage, die Novello an Constanze richtete, lautete: War seine Grundstimmung lebhaft oder melancholisch? Sie antwortete: Il était toujours si gai („Er war immer so fröhlich“), und fügte hinzu, dass Mozart tatsächlich nur wenige Minuten vor seinem Tod, der ganz unerwartet kam, noch gescherzt hatte – eine Mitteilung, die nicht so unglaubwürdig ist,
wenn man bedenkt, dass er – dies geht aus seinen Briefen hervor – seit seiner Jugend zu Scherzen aufgelegt war und ausgelassen, witzig, ironisch, selbstironisch, ja sarkastisch sein konnte. Anscheinend war dies die eine Seite seiner Persönlichkeit. Aus späterer Zeit sind jedenfalls auch nachdenkliche Äußerungen überliefert, aus denen tiefster Ernst spricht. Man denke etwa an seinen letzten Brief an den schwer erkrankten Vater (vom 4. April 1787), in dem vom Tod als dem wahren Endzweck unsers Lebens die Rede ist, 3 oder an jene Briefpassage vom 7. Juli 1791 an Constanze, in der er eine gewisse Leere, die mir halt wehe thut, beklagt und ein gewisses Sehnen, welches nie befriediget wird. 4 Und wenn es legitim ist, aus zeitgenössischen Porträts auf die Grundstimmung eines großen Künstlers zu schließen, so vermittelt das von Mozarts Schwager Joseph Lange vermutlich 1789 in Wien gemalte berühmte Ölgemälde, das nach Constanzes Worten ihren Mann am besten wiedergäbe, einen eher melancholischen Eindruck. Es drängt sich die Frage auf, ob und wieweit sich aus Mozarts Musik Aufschlüsse über seine Persönlichkeit gewinnen lassen – zugegebenermaßen für viele eine heikle Frage. Dass in seinem enorm umfänglichen Œuvre das Dur-Geschlecht dominiert, entspricht durchaus dem Usus der Zeit. Umso mehr interessieren uns seine Kompositionen in Moll. Sprechen wir von Empfindsamkeit im 18. Jahrhundert, so denken wir gemeinhin an gefühlsbetonte, „rührende“ Musik – wie sie etwa Carl Philipp Emanuel Bach geschrieben hat – als einen Gegenpol zum „Galanten“. Im Schaffen Mozarts finden wir beides: sowohl das Empfindsame, das bis zur Leidenschaftlichkeit gesteigert werden kann, als auch das Galante, das Zärtliche und das Tändelnde.
G-Moll ist in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts die Tonart der Klage, der Trauer, der Melancholie. In g-Moll verleiht Pamina im zweiten Akt der Zauberflöte ihrer Todessehnsucht Ausdruck und in dieser Tonart stehen auch zwei seiner bekanntesten Sinfonien. Von der frühen g-Moll-Sinfonie KV 183, in der Georges de Saint-Foix das Symptom einer „romantischen Krise“ beim jungen Mozart erblickte, 5 führt eine unsichtbare Linie zu ihrer berühmteren Schwester KV 550, die – in einer Zeit schwerer existenzieller Not entstanden – zu seinen „ernstesten“ und leidenschaftlichsten Werken zählt. Sie ist noch dunkler getönt als etwa das Klavierquartett in g-Moll KV 478 aus dem Jahr 1785 oder selbst das Streichquintett in g-Moll KV 516 vom Mai 1787. Ihre Ecksätze beeindrucken sowohl durch Elegie als auch durch Dramatik und die so expressiven Seufzerbildungen anfangs prägen als Wahrzeichen der Empfindsamkeit das Profil des Kopfsatzes, dessen modulatorische Kühnheit in der Durchführung außergewöhnlich ist. Und das Finale steht nicht in G-Dur (wie in KV 478 und KV 516), sondern in g-Moll. Für einen heiteren „Kehraus“ ist hier kein Platz.
In mancher Hinsicht lässt sich d-Moll als Mozarts „tragische“ Tonart ansprechen. Sie begegnet vorzugsweise in Hass-Arien, in denen eine Seele durch Rasen und Toben ganz aus den
3 Wolfgang Amadeus Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Gesamtausgabe, hg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch, 4 Bde., Kassel 1962–1963, hier Bd. IV, S. 41. Das Original dieses Briefes ist jüngst entdeckt worden. Volkmar Braunbehrens (Mozart in Wien, München, 3. Aufl. 1988, S. 243) interpretiert den Brief vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die Mozart als Freimaurer machte.
4 Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Bd. IV, S. 150.
5 Theodore Wyzewa und Georges de Saint-Foix, Wolfgang Amadé Mozart Sa vie musicale et son œuvre Essai de biografie critique, 5 Bde., Paris 1936–1946, hier: Bd. II, S. 120f.
Fugen gerät (so Elektra im Idomeneo, Osmin in der Entführung aus dem Serail und die Königin der Nacht in der Zauberflöte) . Und d-Moll ist die Grundtonart des passionierten Klavierkonzerts KV 466, des Don Giovanni und des Requiems mit dem apokalyptischen Dies Irae. In dieser Tonart stehen übrigens auch die beiden Streichquartette KV 173 und KV 421. Zum Letzteren soll es Constanze Mozart zufolge einen biographischen Bezug geben (Mozarts Betroffenheit wegen der Geburtswehen seiner Frau), der von entschiedenen Vertretern der „autonomen“ Musik allerdings heftig bestritten wird.
Mozart war – so viel ist sicher – kein naiv schaffender, sondern ein reflexiver Künstler, stolz auf seine umfassende Kompositionswissenschaft. Zugleich setzte er auf die Empfindung und hasste das „Mechanische“, modern gesprochen: die gehaltlose Musik.6 Seinem Vater schrieb er aus Mannheim, dass er so ziemlich alle art und styl von Compositions annehmen und nachahmen könne.7 In einem anderen Brief gab er an, er sei kein Dichter, kein Maler, kein Deuter, kein Pantomime und kein Tänzer. Dafür sei er „Musikus“ und als solcher durchaus in der Lage, Gesinnungen und Gedancken durch Töne auszudrücken.8 Auf diese Äußerungen und auf weitere Briefstellen gestützt, vertrat Georg Knepler die These, wonach Mozarts Engagement für Aufklärung und Freimaurerei nicht „wegzudisputieren“ sei.9
2. Ein universaler Opernkomponist
Die Kulturgeschichte liefert unzählige Beispiele für die Wahrheit jenes griechischen Mythos, wonach der Gott Kronos (die Vokabel Chronos bedeutet im Griechischen die Zeit) seine eigenen Kinder verschlingt. Im 18. Jahrhundert sind hunderte, ja, tausende Opern entstanden –eine überquellende Produktion, von der jedoch nur ein minimaler Teil lebendig erhalten ist. Unsterblich geworden sind eigentlich nur Mozarts Meisteropern Die Entführung aus dem Serail, Figaros Hochzeit, Don Giovanni, Così fan tutte und Die Zauberflöte . Selbst die revolutionären Werke des großartigen Opernreformators Christoph Willibald Gluck werden heute kaum mehr aufgeführt. Die Erklärung dafür sucht man normalerweise in der Schönheit, Anmut und Kraft der Mozartschen Musik. Man sollte jedoch auch die Libretti seiner Opern nicht vergessen, die im Gegensatz zu den mythologischen Sujets der Opera seria lebens- und gegenwartsnah sind und „menschliche“ Probleme behandeln, die immer noch aktuell sind.10 Hinzu kommt etwas anderes: Mozart war es gegeben, die Typisierung der traditionellen italienischen Oper zu überwinden und Opernfiguren aus Fleisch und Blut zu schaffen. Als einziger unter seinen komponierenden Zeitgenossen vermochte er es, in die Tiefen und Abgründe des Seins zu steigen. Auch deshalb ist der beliebte und oft bemühte Vergleich mit Raffaels Anmut nicht ganz angemessen. Dem Theaterwissenschaftler Ernst Lert verdanken wir die Einsicht: Die ewig
6 Mozart an seinen Vater am 12. Januar 1782 über Muzio Clementi, in: Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Bd. III, S. 191.
7 7. Februar 1778, in: Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Bd. II, S. 265.
8 Mozart an seinen Vater am 8. November 1777, ebd., S. 110f.
9 Georg Knepler, Wolfgang Amadé Mozart Annäherungen, Berlin 1991, S. 205–214.
10 Zu Così fan tutte siehe neuerdings die umfassende interdisziplinäre Studie von Ute Jung-Kaiser, Wolfgang Amadeus Mozart: Così fan tutte Die Treueprobe im Spiegel der Musik (Musiktheater Beiträge zur Didaktik und Methodik , hg. v. Matthias Kruse, Bd. 2), Augsburg 2004.
lächelnde Heiterkeit ist nicht Mozarts Teil 11 Viel eher bietet sich die Parallele zu Shakespeare, mit dessen Werken in deutscher Übersetzung Mozart nach dem Zeugnis Constanzes wohlvertraut war.
Für Mozarts Universalität lassen sich aus der zeitgenössischen Produktion kaum Parallelen anführen. Auch als Dramatiker war er universal. Er ist sowohl mit Opere serie und Opere buffe als auch mit Opere semiserie und mit deutschen Singspielen hervorgetreten. Auffällig ist dabei, dass in seinem frühen und mittleren Œuvre der Opera seria der Löwenanteil zufällt. Diesem Genre gehören die Schuloper Apollo et Hyacinthus, die für Mailand geschaffenen Werke Mitridate und Lucio Silla , die für Salzburg komponierten Huldigungsopern Il sogno di Scipione und Il rè pastore und schließlich Idomeneo – zweifellos seine bedeutendste Opera seria –an. Das musikalische Idiom all dieser Werke ist der Seria verpflichtet. Komische Situationen und Szenen kommen nirgends vor. Mozart trat entschieden für die Ansicht ein, dass komische Musik in der Seria fehl am Platze sei.
Seit seiner Niederlassung in Wien im Jahr 1781 wandte sich Mozart von der Seria ab. Dafür gab es mehrere Gründe. Zum einen galt die Seria nach 1780 vielerorts als ein überholtes Genre. Zum anderen hatte sie in Wien keine Pflegestätte. Mozart schrieb seine Bühnenwerke in Wien hauptsächlich für das Wiener Nationaltheater und für die italienische Opera buffa, die enormen Zulauf hatte.
In einem Brief an seinen Freund Friedrich Schiller vertrat Theodor Körner die Ansicht, dass die deutsche Nation in der Musik größere Männer als in der bildenden Kunst hervorgebracht habe. Indessen ist, fügte er hinzu, der Charakter der deutschen Musik mehr Würde, als Anmuth . Mozart war vielleicht der einzige, der ebenso groß im Komischen, als im Tragischen sein konnte . 12 In seinen drei Da-Ponte-Opern gelang Mozart tatsächlich eine einmalige Synthese zwischen den Stilen der Opera seria und der Opera buffa.13 Dabei trug er auch der Klassenzugehörigkeit der einzelnen Personen Rechnung. In seinem „dramma giocoso“ Don Giovanni beispielsweise werden die vornehmen Personen – der Commendatore, Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio – als „parti serie“ behandelt (ihre Partien sind also im Idiom der Seria vertont), während Leporello, Masetto und Zerlina die „parti buffe“ darstellen. Ambivalent ist einzig und allein die Partie des Protagonisten, eine Partie „mezzo carattere“. Don Giovanni, der die Kunst der Verstellung und Maskierung meisterhaft beherrscht, singt je nach Situation teils im seriösen und teils im buffonesken Idiom. Im Umgang mit den vornehmen Personen bedient er sich der gehobenen Tonsprache, im Umgang mit seinem Diener Leporello, mit Masetto und mit den Bauern gibt er sich hingegen buffonesk.
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Wesentlich für die Dramaturgie der Da-Ponte-Opern ist, dass ernste und lustige Situationen sich oft ablösen. Daraus folgt der ständige Wechsel der musikalischen Stilebenen. Ein aufschlussreiches Beispiel für das Nebeneinander von Tragik und Ironie bietet Donna Elviras EsDur-Arie Nr. 3. Donna Elvira, die den Typus der „donna abbandonata“, der verlassenen Geliebten, repräsentiert, ist auf der Suche nach ihrem untreuen Liebhaber. Ihre einstige grenzenlose
Liebe für ihn hat sich in eine Art Hassliebe verwandelt. Sie ist so aufgewühlt, dass sie meint, ihm das Herz herausreißen zu wollen, falls er nicht zu ihr zurückkehrt. Don Giovanni und Leporello vernehmen ihren nächtlichen Monolog, ohne ihre Stimme zu erkennen. Don Giovanni freilich erfasst sofort die Situation, begreift, dass es sich um eine verlassene Frau handelt, bedauert auch noch ihr herbes Schicksal und erklärt sich sofort bereit, sie in ihren Qualen zu trösten, worauf Leporello ironisch kommentiert: So zu trösten wie zuvor 1800 andere auch . Für die Musik dieses Terzetts ist ein mehrfacher Wechsel zwischen zwei konträren Stilebenen charakteristisch. Während die Partien Donna Elviras durchweg im Seria-Stil gehalten sind, konstituieren die ironischen Zwischenbemerkungen Don Giovannis und Leporellos eine wesentlich einfacher strukturierte Stilebene.14
In der Entführung aus dem Serail und in der Zauberflöte existiert neben dem Seria- und dem Buffa-Bereich noch die Ebene des liedhaften Singspielstils. Kein Geringerer als Ludwig van Beethoven hatte erkannt, dass die Zauberflöte eine universale Stil- und Ausdruckswelt repräsentiert, weshalb er sie für die allergrößte deutsche Oper hielt. Er fand es bewundernswert, dass in dieser Oper alle Genres, vom Liede bis zur Fuge, in höchster Vollendung ausgeprägt erscheinen. 15
Vokabeln der empfindsamen Liebe bei Mozart: Chromatik und chromatische Durchgangstöne
Le nozze di Figaro (1786), Arie Cherubinos (Nr. 6)
Le nozze di Figaro, Ariette Cherubinos (Nr. 12)
Le nozze di Figaro, Cavatina der Gräfin (Nr. 11), T. 18–21
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In den meisten Opern Mozarts bestimmt die Liebe als treibende Kraft weitgehend die Dramaturgie. Um zärtliche Empfindungen – das Erotische im weitesten Sinne des Wortes – zum Ausdruck bringen zu können, erfand Mozart eine eigene Klangsprache, die sich durch einen sorgfältigen Vergleich der fraglichen Kompositionen dechiffrieren lässt.16 Dabei knüpfte er an die geläufige Arientypologie der Zeit an, der nicht nur gesangstechnische, sondern auch emotive und stilistische Kriterien zugrunde liegen. Der Ausdruck der Zärtlichkeit eignete vor allem der sogenannten Aria cantabile, einer Spezies, die vor allem Belcanto, gemäßigtes Tempo und viele „empfindsame“ Züge charakterisieren. Viele Arien Mozarts, die zärtliche Liebesempfindungen exprimieren, die die „seelische“ Liebe besingen, tragen die Charakteristika dieser Spezies. Das gilt – um nur wenige Beispiele zu nennen – ebenso für die Cavatina der Gräfin „Porgi amor“ (Figaro, Nr. 11), für Belmontes „O wie ängstlich, o wie feurig“ (Entführung, Nr. 4) wie für Ferrandos „Un’ aura amorosa” (Così fan tutte, Nr. 17) und für Taminos berühmte Bildnisarie. Sie alle zeichnen sich durch chromatische Züge aus, sei es in Form chromatischer Linien oder chromatischer Durchgangstöne, sei es in Form chromatischer Vorhaltsbildungen.
Arie Belmontes (Nr. 15)
Così fan tutte, Arie Ferrandos (Nr. 17)
Don Giovanni, erstes Finale (Nr. 13), Scena XVIII
Die Zauberflöte, Bildnisarie Taminos (Nr. 3)
Die Zauberflöte, Finale (Nr. 21)
Instrumentalsätze als imaginäre Liebesszenen
3. Instrumentalsätze als imaginäre Liebesszenen
Haben manche Instrumentalwerke Mozarts eine außermusikalische Semantik? Dieser wichtigen Frage wurde bislang nicht intensiv genug nachgegangen. Aus einer umfassenden Untersuchung wären überraschende Entdeckungen zu erwarten. Sicher ist jedenfalls, dass es zu Mozarts Zeit und davor musikalisch-semantische Konnotationen gab, die den Kennern geläufig waren – Hörkonventionen, deren Bedeutung später ganz verloren ging. So diente der Terminus
„Allegro“ ursprünglich weder als Tempo- noch als Vortragsbezeichnung, sondern bedeutete schlichtweg heiter. Italienische Theoretiker des 16. Jahrhunderts unterschieden konsequent zwischen der „Musica allegra“ und der „Musica mesta“, zwischen „heiterer“ und „trauriger“
Musik. Auch die Termini „con sordino“ oder „sotto voce“ symbolisierten ursprünglich etwas Außermusikalisches. Gedämpfte Streichmusik wurde im 17. und im 18. Jahrhundert – wie zahlreiche Beispiele aus Werken Lullys, Händels, Joseph Haydns und Beethovens dokumentie-
ren – vielfach mit Schlaf und Nacht, aber auch allgemeiner mit Dunkelheit und Finsternis assoziiert. Mozart verwendet den Vermerk „con sordino“ als Chiffre für Musik aus der Ferne, aber auch als Chiffre für Intimität, Dunkelheit und Nacht. Hervorgehoben zu werden verdient in diesem Zusammenhang, dass er die Klangsprache der Liebe, die er in seiner Vokalmusik entwickelte, mutatis mutandis auf seine Instrumentalmusik übertrug.
Viele der Sprachformeln und Wendungen, deren er sich in seinen Arie cantabili bedient, kehren – teilweise in anderen Stilisierungen – in mehreren langsamen Sätzen seiner Konzerten und Sinfonien wieder. Wesentlich für ihren Klangcharakter ist dabei die Dämpfung der Violinen und der Bratschen und die Schreibweise „pizzicato“ für die Celli und die Kontrabässe. An manchen dieser Sätze fallen noch hochexpressive Züge und dialogartige Strukturen auf – alles Besonderheiten, die darauf schließen lassen, dass Mozart sie als imaginäre Liebesszenen konzipierte.17 Nach diesem Grundmuster sind beispielsweise das Andante aus dem Klavierkonzert in C-Dur KV 467 (Notenbeispiel oben), ein Satz, von dem ein besonderer Klangzauber ausgeht, und das Andante cantabile der sogenannten Jupiter-Sinfonie KV 551 modelliert. Beide Sätze können als hervorragende Beispiele „zärtlicher“ Instrumentalmusik angeführt werden – einer Kategorie, der im 18. und noch im beginnenden 19. Jahrhundert besondere Bedeutung zukam.
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II Heiterkeit und Melancholie
Die neue Musik ist „höchst unnatürlich“, da es in ihr „erst lustig, denn mit einmahl traurig und straks wieder lustig hergeht“.
Johann Friedrich Reichardt1 Um keinen anderen Komponisten ranken sich so viele Legenden wie um Wolfgang Amadé Mozart. Ihren Ursprung wird man in seiner verblüffenden Frühreife suchen müssen: Die phänomenalen musikalischen Fähigkeiten des Knaben versetzten seine Zeitgenossen in Staunen, und Leopold Mozart – tief bewegt über die außergewöhnliche Begabung seiner Kinder – hielt es für seine Pflicht und Schuldigkeit, der Welt ein Wunder [zu] verkündigen, welches Gott in Salzburg hat lassen gebohren werden. 2 Dies alles trug wesentlich zur Entstehung des Mythos vom „ewigen Kind“ Mozart bei. 3 Tatsache bleibt jedoch, dass wir über Mozarts komplexe Persönlichkeit und ihre Widersprüche noch immer nicht genug wissen und vieles an ihr nach wie vor rätselhaft anmutet.
Tatsächlich unterlag Mozarts Seelenleben des Öfteren extremen Stimmungsschwankungen: So ausgelassen er häufig war, so leicht konnte er zu Tränen gerührt sein. Auch seinem Vater blieb diese enorme „Empfindlichkeit“ nicht verborgen. So plagte Mozart mitunter das Heimweh, er selbst berichtete von melancholischen Anfällen, und während seiner Hochzeitszeremonie brach er in Tränen aus. Dabei war sich stets dessen bewusst, dass eine traurige Stimmung seine kreative Arbeit nicht gerade begünstigte.4
Im 19. Jahrhundert war es allgemein üblich, Mozart mit Raffael zu vergleichen: An beiden Künstlern bewunderte man vor allem die Anmut. Der Vergleich ist indessen einseitig: Denn die ewig lächelnde Heiterkeit ist – wie Ernst Lert bemerkte – nicht Mozarts Teil. Tatsächlich vermochte Mozart als Einziger unter seinen komponierenden Zeitgenossen, in die Tiefen und Abgründe des Seins hinabzusteigen.5 Wie also sollte man seine Musik erleben? Ist neben strukturellem Hören auch emotionales Hören angemessen? Anders formuliert: Ist Mozarts anrührende Musik ein Gegenstand nicht bloß der ästhetischen, sondern auch der emotionalen Erfahrung? Wer auf diese Fragen eine Antwort sucht, der kommt unweigerlich auf die Gretchenfrage: Gibt Mozarts Musik auch über seine Persönlichkeit Aufschluss? Dies ist zugegebenermaßen eine heikle Frage. Denn wer bei Mozart an vollkommen ausgelassene Musik denkt, der wird diese Idee beispielsweise im Rondo des Konzerts für zwei Klaviere Es-Dur KV 365 verwirklicht sehen; dass in Mozarts erstaunlich umfangreichem Œuvre das Dur-Geschlecht dominiert, entspricht allerdings durchaus dem Usus der Zeit. Wer an Mozarts Musik wiederum die apollinische Schönheit schätzt, der könnte sich auf den Kopfsatz der Klaviersonate B-Dur KV 333 be-
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1 Zitiert nach Gernot Gruber, Einige Gedanken zur Wirkungsgeschichte Mozarts, in: Österreichische Musikzeitschrift, Jahrgang 61, Heft 1/2 (Januar/Februar 2006), S. 9–16, hier S. 13.
2 Zitiert nach Erich Schenk, Mozart Eine Biographie, Mainz etc. 1989, S. 56.
3 Dazu Maynard Solomon, Mozart Ein Leben, Kassel/Stuttgart/Weimar 2005, S. 3–18.
4 Dazu Harald Haslmayr, Art. „Persönlichkeit“, in: Das Mozart-Lexikon, hg. von Gernot Gruber, Joachim Brügge, Laaber 2005, S. 569–580.
5 Ernst Lert, Mozart auf dem Theater, Berlin 1921, S. 234.
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rufen. Wer jedoch bemerkt hat, wie oft einem passionierte Stücke in Mozarts Schaffen begegnen, der wird aus dem Staunen nicht herauskommen: In so bedeutenden Werken wie dem Klavierkonzert d-Moll KV 466 und der berühmten Sinfonie g-Moll KV 550 schlagen Melancholie und Elegie mitunter in Dramatik um. Überhaupt ist die Ambivalenz der Stimmungen charakteristisch für Mozarts Instrumentalmusik: In zahlreichen Kompositionen kontrastieren die einzelnen Sätze, mitunter sogar die Abschnitte ein und desselben Satzes, denkbar scharf miteinander. So trägt im Klavierkonzert A-Dur KV 488 jeder der drei Sätze seine eigene Physiognomie: Zeichnet sich der Kopfsatz vor allem durch Glückseligkeit aus, so ist das fis-Moll-Adagio ein schwermütiges Siciliano, während das Finale einen munteren Ton anschlägt. Die Variationenform gehört zu den Formen, die sich in zyklischen Instrumentalwerken der Vorklassik und der Klassik fest etablierten. In Variationensätzen Carl Philipp Emanuel Bachs, Joseph Haydns und Wolfgang Amadé Mozarts wird das Thema dabei sowohl in Figural- als auch in Charaktervariationen verarbeitet, und in der Regel findet sich in Dur-Zyklen eine Variation in Moll („Minore“), in Moll-Sätzen eine in Dur („Maggiore“). Besonders charakteristisch für Mozarts Instrumentalmusik scheint zu sein, dass der Kontrast zwischen „Maggiore“ und „Minore” oft überaus stark ausgeprägt ist – eine Beobachtung, die sich an Dutzenden von Beispielen erhärten ließe. So überrascht im finalen Variationensatz des Klavierkonzerts C-Dur KV 415 der plötzliche Stimmungswechsel, der durch den Ernst und die Melancholie des Minore entsteht. Ähnlich scharf ist der Kontrast in den Mittelsätzen der Klaviersonaten C-Dur KV 330 und B-Dur KV 333, die jeweils als Andante cantabile gestaltet sind: Hier prallen Dur und Moll so unvermittelt aufeinander, dass der Hörer den Eindruck gewinnt, Mozart zeige hier zwei Gesichter: ein seliges und ein düsteres, von Schmerz gezeichnetes. In diesem Zusammenhang schlägt auch die Erfahrung zu Buche, dass in zahlreichen seiner Dur-Sätze, die nach dem Muster der Sonatenform angelegt sind, in der Durchführung oft oder sogar durchweg MollTonarten aufgesucht werden. Dies ist – um nur ein Beispiel zu nennen – im Kopfsatz der Klaviersonate B-Dur KV 333 der Fall: Während sich in der Exposition eine teils glücksselige, teils spielerische und teils frische Stimmung ausbreitet, steigert sich die Durchführung bis zur Dramatik.
Mozart, den viele für einen lichtgeborenen Genius halten, hinterließ mehrere tragische, dramatische, düstere Werke, die eindrucksvoll belegen, dass er mit der Schattenseite des Daseins durchaus vertraut war. Die bekanntesten unter ihnen sind die beiden Sinfonien g-Moll KV 183 und 550, die Streichquartette d-Moll KV 173 und 421, das Klavierquartett g-Moll KV 478, das Streichquintett g-Moll KV 516, das passionierte Klavierkonzert d-Moll KV 466, die Komturszene in Don Giovanni und das unvollendete Requiem mit dem apokalyptischen Dies irae Einen exzeptionellen Rang innerhalb seiner Klaviermusik nehmen die Fantasie c-Moll KV 475 und die Sonate c-Moll KV 457 ein. Die Sonate trug Mozart am 14. Oktober 1784 in sein eigenhändiges Werkverzeichnis ein, die Fantasie am 20. Mai 1785. Zusammen erschienen beide Werke im Dezember 1785 beim Wiener Verleger Artaria und wurden Therese von Trattner, einer Klavierschülerin Mozarts und Gattin seines schwerreichen Wiener Hausherrn, gewidmet. Hört man Fantasie und Sonate zum ersten Mal, so verblüffen beide durch ihren Ernst und ihre Kühnheit: Sie nehmen den Stil des frühen Beethoven vorweg und weisen auf diese Weise in die Zukunft. Bezeichnenderweise komponierte Mozart beide Werke – dies geht aus dem Titelblatt
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des Erstdrucks hervor – nicht für das Cembalo, sondern für das Fortepiano. Constanze Mozart zufolge soll er zudem interessante Briefe an seine Schülerin geschrieben haben, die möglicherweise Interpretationshinweise enthielten – leider sind sie verlorengegangen. Alfred Einstein hat nicht zu Unrecht vermutet, dass diese Hinweise persönlichere Dinge enthüllt haben könnten, die der Nachwelt vorenthalten werden mussten; bedauerlicherweise können wir das „biographische Geheimnis“ der Sonate nicht mehr lüften.6
Die c-Moll-Fantasie , die zu Mozarts ernstesten Klavierwerken gehört, vermittelt einen tiefen Einblick in seine kühne Improvisationskunst und ist in ihrem Kontrastreichtum und der Ambivalenz der Stimmungen mit einem knapp gefassten Drama vergleichbar: Sie gliedert sich in fünf stark gegensätzlich disponierte Teile, von denen der erste, der zweite und der vierte wiederum in sich kontrastierend angelegt sind. Überaus eindrucksvoll ist, wie das eröffnende, im Unisono intonierte düstere Hauptmotiv durch verschiedene Tonarten kühn moduliert und dann von einem heller gestimmten Abschnitt in D-Dur abgelöst wird. Das folgende Allegro überrascht durch den starken Kontrast zwischen dem dramatisch bewegten ersten und dem lyrisch gehaltenen zweiten Abschnitt. Das anschließende Andantino bildet eine Art Ruhepol in B-Dur. Von dem Più allegro bemerkte Hermann Abert zu Recht, dass es nichts anderes sei als die Entladung der im Vorhergehenden enthaltenen Momente der Erregung 7: Die Bewegung verdichtet sich anfangs zu Zweiunddreißigsteln, durchmisst mehrere Stufen des Quintenzirkels (g-C-f-B-es-As-Des) und mäßigt sich dann zu Ketten gebrochener Akkorde in Sechzehnteln, die immer wieder in ein mächtiges, scharf rhythmisiertes Viertonmotiv münden. Der fünfte Teil schließlich (Primo tempo) gibt sich als knappe Variation des ersten zu erkennen und kehrt nach c-Moll zurück. Auf diese Weise schließt sich der Kreis, den die Fantasie beschreibt. (Übrigens kehrt das eröffnende Motiv der Fantasie in den letzten Takten der Sonate in augmentierter Form wieder; Mozart fügte die entsprechende Passage nachträglich ein, ganz offensichtlich wollte er zyklische Geschlossenheit erreichen und so noch einen größeren Bogen schlagen.) Die c-Moll-Sonate zeigt von allen Klaviersonaten Mozarts dann eine Physiognomie, die wir nur aus Beethovens früher Musik kennen. In vielfacher Hinsicht erscheint sie als eine Vorläuferin von Beethovens Klaviersonaten c-Moll op. 10, Nr. 1 und op. 13, der sogenannten „Pathétique“: Fast alles, was die Ecksätze dieser Werke auszeichnet, nämlich der pathetische Gestus, die aufrührende Tragik, dramatische Ballungen, die ungeheure rhythmische Energie, der starke Kontrastdualismus der Themen, ist in Mozarts Sonate vorgeprägt.
Trifft das Bild, das wir vom Menschen Mozart haben, auch auf seine Musik zu? Dass sein vielfältiges Werk zumindest teilweise seine Persönlichkeit widerspiegelt, erscheint plausibel. Wie aber steht es mit einer anderen Frage: Besteht zu manchen seiner Werke auch ein biographischer Bezug? Diese Frage ist außerordentlich strittig. Während für die meisten Forscher das Schaffen auf einer ganz anderen Ebene als das Leben angesiedelt ist, scheint zumindest in einigen Fällen auch das Gegenteil zuzutreffen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem die Aussage Constanzes, dass ihr Ehemann – während sie mit ihrem ersten Kind in den Wehen lag – bei ihr war, in demselben Zimmer arbeitete und sie bei jeder Wehe tröstete. Das
Menuett und das Trio des Streichquartetts d-Moll KV 421 sollen sogar just bei der Entbindung komponiert worden sein.8 Dass dieser vielfach angezweifelte Bericht der Wahrheit entspricht, leuchtet ein, wenn man sich bewusst macht, dass in den ersten zehn Takten des in d-Moll stehenden Menuetts das Cello die schmerzvolle musikalisch-rhetorische Figur des „passus duriusculus“ intoniert, zu dem das unübertrefflich heile und gelöste Trio in D-Dur einen denkbar scharfen Kontrast bildet. Es sind Werke wie diese, die den Verdacht nahelegen, dass Alfred Einstein recht hatte, als er meinte, Mozarts Musik spreche von Geheimnissen des Herzens, deren sich auch der Mensch bewusst war. 9
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III Tragik und Komik in den Meisteropern
1. Grundsätzliche Überlegungen
Von der Oper und auch von dem Musikdrama des 19. Jahrhunderts lässt sich verallgemeinernd sagen, dass sie für die Mischung der Genres nicht viel übrighatten. Sowohl Richard Wagner als auch Giuseppe Verdi – die beiden führenden Musikdramatiker des Jahrhunderts – fühlten sich von dem Pathetischen und dem Erhabenen angesprochen; bezeichnenderweise ist das Heitere in ihrem Schaffen unterrepräsentiert, und zu der Tragikomödie hatten sie beide keine Affinität. Ein ganz anderes Bild zeigt uns das spätere Musiktheater Wolfgang Amadé Mozarts. Sehen wir von der Festoper La clemenza di Tito ab, so finden wir in den fünf anderen großen Werken, die er in Wien für die Bühne schrieb, ernste und heitere Situationen nebeneinander. Tragik und Komik reichen sich die Hand; das Erhabene schließt das Burleske nicht aus. Einige Beispiele mögen das Gesagte verdeutlichen.
Mozart komponierte die Musik zu seinem Singspiel Die Entführung aus dem Serail für das von Joseph II. geförderte Wiener Nationaltheater. Der Großmut des türkischen Herrschers Bassa Selim, der auf die geliebte Constanze verzichtet und sogar dem Sohn seines Erzfeindes die Freiheit schenkt, ist Grundidee des Werkes. Denkbar scharf kontrastiert zum Edelmut Bassa Selims der Charakter des dummen, boshaften und grausamen Osmin, der extrem negativ porträtiert ist und für unfreiwillige Komik sorgt. Lustig ist, wie der argwöhnische Palastaufseher von den klügeren Europäern überlistet wird.
Le nozze di Figaro ist ein musikalisches Lustspiel mit sozialkritischer Intention, eine musikalische Komödie voller lustiger Szenen und feiner Ironie. Das Stück erzählt die witzige Geschichte, wie die Untergebenen des Grafen ihn um sein angestammtes Recht, das „Jus primae noctis“, prellen. Da Ponte und Mozart zeichnen jedoch den Grafen nicht als eine komische, sondern als eine tragikomische Figur, Und die Arien der Gräfin sind durch einen Ernst gekennzeichnet, der in der italienischen Opera buffa normalerweise keinen Platz hat. Wohl deshalb meinte Gioacchino Rossini, Mozarts Figaro sei ein wahres „dramma giocoso“, während er selbst wie die anderen italienischen Komponisten nur „opere buffe“ gemacht hätte.
Don Giovanni dann ist eine regelrechte Tragikomödie. Der Atheismus – die Leugnung des Jenseits – macht die Ungeheuerlichkeit des Vorwurfs aus. Don Giovanni – der junge Held, dem Diesseits, den Frauen und den Tafelfreuden zugetan – glaubt nicht an eine „andere Welt”. Er tötet den Komtur im Duell und begeht dann das Sakrileg, dessen Statue zum Festessen einzuladen. Für diesen Frevel wird er mit der Höllenfahrt bestraft. Wichtig ist freilich, dass die tragische Handlung von zahlreichen lustigen, ja possenhaften Szenen und Episoden umrankt wird, in deren Mittelpunkt normalerweise Leporello steht.
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Sujet der Oper Così fan tutte ist der Wankelmut der Frauen, die Überzeugung, dass Frauen nicht ganz treu sein können. Diese Komödie gipfelt in Ironie. Die Treue der Schwestern Dorabella und Fiordiligi, die angeben, zwei junge Offiziere (Guglielmo und Ferrando) unendlich zu lieben, wird auf die Probe gestellt. Angeblich auf Geheiß des Königs werden beide Offiziere in den Krieg geschickt, worauf die beiden Damen in tiefe Trauer verfallen. Wenig später kehren
die Offiziere, verkleidet als fremdländische Adelige, zurück und beginnen, für die Braut des jeweils anderen zu schwärmen. Empört weisen die Damen zunächst die Werbungen ab, danach werden die Adeligen aber erhört. Der Schwindel wird aufgedeckt, und die Komödie schließt mit der Erkenntnis: Glücklich sei der Mensch, der alles nur von der besten Seite nimmt und trotz der Wechselfälle des Lebens, über die er lacht, die Ruhe bewahrt.
Die Zauberflöte schließlich ist Zauber- und Freimaureroper in einem, ein Werk, das die höchsten Humanitätsideale verkündet, und zugleich eines, das Erhabenes mit Komischem paart. Die Priesterchöre, die feierlichen Szenen mit Sarastro, die Wasser- und die Feuerprobe Taminos und Paminas sind in einer erhabenen Sphäre angesiedelt. Die Pantomime Papagenos und Papagenas repräsentiert dagegen extreme Komik, ist geradezu der Hanswurstiade entlehnt. Hatte Mozart 1781 in einem Brief an seinen Vater beklagt, dass der Hanswurst in der Oper noch nicht ausgerottet sei,1 so gab er zehn Jahre später dem Drängen Emanuel Schikaneders nach, eben auch den Hanswurst in seine ambitionierteste Oper aufzunehmen.
Das Nebeneinander von Erhabenem und Lustigem, die Synthese von Tragik und Komik ist eine Erscheinung, die in besonderem Maße das späte Musiktheater Mozarts charakterisiert. Das wurde von einigen seiner Zeitgenossen richtig erkannt. So schrieb Theodor Körner an Friedrich Schiller im Jahre 1794, dass Mozart vielleicht der einzige deutsche Künstler gewesen sei, der ebenso groß im Komischen wie im Tragischen sein konnte.2 Viele fühlten sich an Shakespeare erinnert. Kein Geringerer als Ernst Lert, der ein bedeutendes Buch über Mozarts Musiktheater verfasst hat, vertrat die Meinung, dass sein musikdramatisches Œeuvre Shakespeare-Nachfolge sei. 3
Will man die Erscheinung der Stilsynthese bei Mozart begreifen, so muss man sich vergegenwärtigen, wie die musikdramatische Situation vor ihm und zu seiner Zeit gewesen ist. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stellten die Opera seria und die Opera buffa zwei grundverschiedene Gattungen dar, die in jeder Hinsicht miteinander kontrastierten. Stoffwahl, Handlung, Dramaturgie, Stil und Musiksprache waren gegensätzlich. Die Opera seria entlehnte ihre Stoffe der antiken Geschichte und Mythologie; die antike Tragödie war ihr Vorbild. Die Opera buffa wurzelte dagegen in der Commedia dell’ arte, sie entnahm ihre Stoffe der Gegenwart und liebte die extreme Komik. Die Vermischung des Komischen mit dem Tragischen war verpönt.4
Einen Markstein in der Operngeschichte des 18. Jahrhunderts bildet das Wirken Carlo Goldonis, der die Opera buffa vertiefte und reformierte. Das erreichte er einmal durch wirkliche Charakterzeichnung und zum anderen durch die Einführung seriöser Figuren. In nicht weniger als in dreizehn seiner Operntexte sind die Rollen konsequent in „parti serie“ und in „parti buffe“ geteilt, das heißt, neben den buffonesken Personen treten auch seriöse auf.5
Goldonis Libretti erfreuten sich großer Beliebtheit; sein Beispiel machte Schule. So lässt sich erklären, dass in vielen Werken Baldassare Galuppis, Domenico Fischiettis, Giovanni Paisiellos,
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1 Wolfgang Amadeus Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Bd. III, S. 132, Zeile 80f.
2 Schillers Briefwechsel mit Körner, Zweiter Theil, S. 97.
3 Ernst Lert, Mozart auf dem Theater, S. 45–47.
4 Otto Jahn, W A Mozart, 3. Aufl., bearbeitet von Hermann Deiters, 2 Bde., Leipzig 1889/1891, I. Band, S. 171–191.
5 Zum Folgenden siehe Kapitel VIII.
„Weil aber die Leidenschaften, heftig oder nicht, niemals bis zum Ekel ausgedrückt sein müssen“
Florian Leopold Gaßmanns und Joseph Haydns die Rollen in „parti serie“ und „parti buffe“ geteilt sind und auch musikalisch entsprechend behandelt werden. Beachtenswert ist dabei, dass die seriösen Personen in vielen Opere buffe zwischen 1750 und 1770 paarweise auftreten und normalerweise den Adel repräsentieren im Gegensatz zu den buffonesken Personen, die meist dem Bürgertum oder der ländlichen Bevölkerung angehören. Um diese Vorgänge besser zu verstehen, muss man noch berücksichtigen, dass die Opera seria und die Opera buffa um 1750 sozusagen zwei grundverschiedene Welten der Musik, zwei konträre musikalische Idiome repräsentierten. Durch die erwähnte Reformierung der BuffaLibrettistik und durch die Einführung seriöser Personen kam es nun zu einer Symbiose der Idiome – einer Erscheinung, die auch für Mozart fundamentale Bedeutung besitzt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang noch, dass die Sänger der Opera seria – die gefeierten „prime donne“ und die „primi uomini“ – ganz anders geschult waren und ganz andere Partien zu singen hatten als die Sänger der Opera buffa, in der es vor allem auf den prononcierten Vortrag, die Komik und die Kunst der Karikierung ankam. Daneben gab es allerdings auch das Fach „mezzo carattere“ – Sänger also, die gleichsam zwischen den seriösen und den rein buffonesken Partien standen.
Symptomatisch für die geänderte Situation sind nicht zuletzt die Ausführungen eines Theoretikers vom Range Stefano Arteagas, der 1785 in seinem epochemachenden dreibändigen Buch Le rivoluzioni del teatro musicale italiano für die Vermischung des Komischen mit dem Pathetischen eintrat. Er propagierte das „dramma di mezzo carattere“, das heißt: ein Drama, das zur gleichen Zeit lachen und weinen macht.
Mozarts kompositorisches Œuvre zeichnet sich bekanntlich durch einzigartige Universalität aus: Es umfasst Werke aller Gattungen. Auch als Dramatiker war Mozart universal. Er pflegte sowohl die Opera seria und die Opera buffa als auch die Opera semiseria und das deutsche Singspiel. Das musikalische Idiom der meisten seiner frühen Opern ist der Seria verpflichtet. Komische Situationen und Szenen kommen nirgends vor. Mozart trat entschieden für die Ansicht, dass komische Musik in der Seria fehl am Platze sei.6
Seit seiner Niederlassung in Wien im Jahre 1781 wandte sich Mozart von der Seria ab. Dafür gab es mehrere Gründe. Einmal galt die Seria in den 1780er Jahren vielerorts als ein überholtes Genre, zum anderen hatte sie in Wien keine Pflegestätte. Mozart schrieb seine Bühnenwerke in Wien hauptsächlich für das Wiener Nationaltheater und für die italienische Opera buffa, die enormen Zulauf hatte. Dabei huldigte er dem Ideal der Stilsynthese. Die musikdramatischen Vorstellungen, die er hier entwickelte, kommen den theoretischen Ansichten Stefano Arteagas recht nahe.
2. „Weil aber die Leidenschaften, heftig oder nicht, niemals bis zum Ekel ausgedrückt sein müssen“
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Zu Mozarts Ästhetik der Bühne
Im Herbst 1781 arbeitete Mozart in Wien intensiv an der Entführung aus dem Serail. Die Briefe, die er zu dieser Zeit an seinen Vater schrieb, geben uns reichen Aufschluss über seine Ästhe-
6 Brief vom 16. Juni 1781 an seinen Vater.
tik der dramatischen Musik. Sie formulieren kunsttheoretische Maximen, denen er treu blieb. In der vielfach diskutierten und heftig umstrittenen Kardinalfrage nach dem Verhältnis von Musik und Poesie in der Oper nimmt Mozart entschieden Partei für den Primat der Musik. Bey einer opera muß schlechterdings, so schreibt er,7 die Poesie der Musick gehorsame Tochter seyn . Mit diesem Bekenntnis bezieht er eine Position, die jener Christoph Willibald Glucks diametral entgegengesetzt ist.
Mozart – zumal der späte Mozart – hatte einen ausgeprägten Sinn für dramatische Wirkung und einen sicheren Instinkt für die Vorzüge und die Schwächen eines Librettos. Seine Korrespondenz mit dem Vater anlässlich der Arbeit am Idomeneo, die Kritik, die er an dem Libretto des Abbate Varesco übte, dokumentieren, dass er ein erfahrener Theaterpraktiker war. Schwülstige Libretti mochte er nicht und ebensowenig solche, die geschrieben wurden, um dem Librettisten die Gelegenheit zu geben, als Dichter zu glänzen. Seine Kritik an der Selbstherrlichkeit mancher Librettisten kleidete er in den Satz:8 Verse sind wohl für die Musick das unentbehrlichste – aber Reime – des reimens wegen das schädlichste .
Mozart war ein guter Psychologe. Er machte sich viele Gedanken über die psychologische Charakteristik der Personen in seinen Opern. Er wusste um die menschlichen Leidenschaften und auch um die Abgründe der Seele, doch mochte er das Extreme, Maßlose, Übertriebene nicht.
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Interessant in dieser Hinsicht sind seine Äußerungen über Osmin, den er als dumm, grob und boshaft bezeichnete.9 Die sogenannte Laffenarie Osmins (Nr. 3) veranlasste ihn zu höchst aufschlussreichen Betrachtungen. Zunächst zwei Worte zur dramatischen Situation: Osmin ist wütend über die Eindringlinge, die „nach den Weibern gaffen“, hält sich aber für gescheit genug, ihre „Tücken und Ränke zu durchschauen“. Sein Zorn über die Fremden steigert sich nach und nach gewaltig bis zur Raserei. Gegen Ende der Arie warnt er ausdrücklich Pedrillo, gibt ihm den Rat, sich in Acht zu nehmen, und er schließt mit wilden Ausrufen, die seiner Grausamkeit und seiner sadistischen Freude freien Lauf lassen: Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen, dann verbrannt, dann gebunden und getaucht, zuletzt geschunden . Mozart verlieh der Arie eine zweiteilige Reprisenform mit zwei angehängten Kodasätzen, die der wachsenden Erregung Osmins auch musikalisch angemessenen Ausdruck geben sollen. An der ersten Koda Drum beim Barte des Propheten fallen metrische Verschiebungen und die Beschleunigung des Sprechens auf. Die zweite Koda, das Erst geköpft, hebt sich noch stärker von dem Vorausgegangenen ab. Während die Arie in F-Dur und im 4/4-Takt steht, ist a-Moll die Tonart des abschließenden Allegro assai, für das der 3/4-Takt vorgeschrieben ist und in dem die türkische Musik (Triangel, Becken und große Trommel) einfällt. In einem Brief vom 26. September 1781 kommentierte Mozart ausführlich die Laffenarie und gab dabei deutlich zu verstehen, dass er planvoll komponierte und nichts dem Zufall überließ. Hier stehen die Sätze:10 […] denn, ein Mensch der sich in einem so heftigen zorn befindet, überschreitet alle ordnung, Maas und Ziel, er kennt sich nicht – so muß sich auch die Musick nicht mehr
7 Brief vom 13. Oktober 1781 an seinen Vater, in: Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Bd. III, S. 167, Zeile 26f.
8 Ebd., S. 167, Zeile 36f.
9 Ebd., S. 167, Zeile 15f.
10 Ebd., S. 162, Zeile 28–36.
„Weil aber die Leidenschaften, heftig oder nicht, niemals bis zum Ekel ausgedrückt sein müssen“
kennen – weil aber die leidenschaften, heftig oder nicht, niemal bis zum Eckel ausgedrückt seyn müssen, und die Musick, auch in der schaudervollsten lage, das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch dabey vergnügen muß, folglich allzeit Musick bleiben Muß, so habe ich keinen fremden ton zum f (zum ton der aria) sondern einen befreundten dazu, aber nicht den Nächsten, D minor, sondern den weitern, A minor, gewählt.
Diese Aussage enthält einen weiteren Kernsatz der Mozartschen Ästhetik, nämlich die Auffassung, dass die Leidenschaften, und selbst die heftigen, in der Musik niemals bis zum Paroxysmus ausgedrückt werden dürfen – ein Plädoyer für das Maßvolle.
Sehr aufschlussreich für das Wort-Ton-Verhältnis bei Mozart sind sodann seine Äußerungen über Belmontes A-Dur-Arie „O wie ängstlich, o wie feurig klopft mein liebevolles Herz“ (Nr. 4). Der Text dieser Arie bringt zärtliche Empfindungen, die Erwartung und Ungeduld des Liebenden, zum Ausdruck. Die gute Nachricht, die Pedrillo Belmonte überbringt, dass nämlich dieser seine über alles geliebte Constanze bald wiedersehen werde, versetzt Belmonte in große Erregung. Der Text der Arie benennt und beschreibt die psychosomatischen Symptome dieser Erregung: das Herzklopfen, das Zittern, Wanken und Schwanken, das Schwellen der Brust. Damit aber nicht genug. Belmonte wird auch von Halluzinationen heimgesucht: Er meint das Lispeln und das Seufzen Constanzens zu vernehmen, und er fragt: Täuscht mich die Liebe, war es ein Traum?
Mozart setzte alle diese poetischen Bilder tonmalerisch in Musik um. Am 26. September 1781 schrieb er seinem Vater anschaulich über die Arie:11
Nun die aria von Bellmont in ADur. O wie ängstlich, o wie feurig, wissen sie wie es ausgedrückt ist – auch ist das klopfende liebevolle herz schon angezeigt – die 2 violinen in oktaven. – dies ist die favorit aria von allen die sie gehört haben – auch von mir. – und ist ganz für die stimme des Adamberger geschrieben. man sieht das zittern – wanken – man sieht wie sich die schwellende brust hebt – welches durch ein crescendo exprimirt ist – man hört das lispeln und seufzen – welches durch die ersten violinen mit Sordinen und einer flaute mit in unisono ausgedrückt ist. –
Mozart machte auch während der Arbeit am Idomeneo wichtige Äußerungen über das WortTon-Verhältnis in seiner Opernmusik. So äußerte er über die Seesturmarie des Idomeneo –eine Gleichnisarie –, dass die Koloraturen darin absichtlich auf das Wort „minacciar“ angebracht seien, welches das Drohen ausdrücke.12 Immer wieder bestätigt die Analyse seiner Vokalmusik, dass er vielfach den lautmalerischen Anregungen des Textes nachging. Die Meinung, wonach er seine Vokalmusik autonom, will heißen ohne sonderliche Berücksichtigung des Textes, komponierte, ist ganz abwegig. Die Musik, die er für seine Arien schrieb, verleiht den Leidenschaften und den wechselnden Empfindungen der Personen angemessenen Ausdruck, sie ist sozusagen Affektmalerei13 und Sprache der Empfindung.
Mozart war schon als Kind mit dem Stil der italienischen Oper und auch mit der barocken Affektenlehre bestens vertraut. Das bezeugt unter anderen Daines Barrington, ein englischer
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11 Ebd., S. 162/163, Zeile 36–43.
12 Brief vom 27. Dezember 1780 an seinen Vater, in: Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Bd. III, S. 72, Zeile 33f.
13 Vgl. Lert, Mozart, S. 243.
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Polyhistor, der den Wunderknaben im Juni 1765 in London examinierte.14 Nach Barrington war der kleine Wolfgang durchaus in der Lage, am Klavier Liebes- und Wutgesänge zu improvisieren. Einem Liebesgesang legte er das Wort „affetto“ zugrunde, und auf das Wort „perfido“ (Treuloser) komponierte er einen Wutgesang. Dabei geriet er in solche Begeisterung, dass er das Klavier wie ein Besessener schlug und einigemal in seinem Stuhl sich emporhob. Auch Georg Nikolaus Nissen, der zweite Mann der Constanze, berichtet von dem späteren Mozart, dass er sich gerne über manche seiner italienischen Komponistenkollegen lustig machte und dabei vor seinem Claviere ganz große Opernscenen aus dem Stegreife aufführte.15
Liebe und Haß – die stärksten Affekte – motivieren die Handlung in vielen Opern Mozarts. Die Liebe bildet gleichsam den positiven Pol, der Hass stellt dagegen den negativen Pol dar. Besonders instruktive Beispiele dafür finden sich im Idomeneo . Sehr aufschlussreich ist die Art, wie Mozart hier Ilia und Elektra – die beiden Protagonistinnen und Rivalinnen – musikalisch charakterisiert.
Ilia, der das Glück der Liebe beschieden ist, ist weich und gefühlvoll gezeichnet. Ihre EsDur-Arie „Se il padre perdei“ (Nr. 11) ist ein ausgesprochener Liebesgesang. Ilia wendet sich an den König und sagt ihm sinngemäß: „Wenn ich auch den Vater, die Heimat und die Ruhe verlor, so bist Du doch mir Vater, und Kreta ist mir liebevoller Aufenthalt.“ – „Soggiorno amoroso“ (liebevoller Aufenthalt): Mit diesem Schlüsselwort deutet Ilia leise an, dass sie in Idamante verliebt ist. Mozart vertonte den Text im Stile der „aria cantabile“ – einer Arienspezies, deren Sujet nach John Brown16 zärtliche Empfindungen sind. Die Vertonung trägt alle Kennzeichen der „aria cantabile“: sie zeichnet sich durch Belcanto, gemäßigtes Tempo und viele empfindsame Züge wie Vorhaltsbildungen und chromatische Wechselnoten aus. Arie cantabili begegnen übrigens in allen Opern Mozarts – verständlicherweise, denn die Liebe ist in allen die treibende Kraft.
Ganz anders ist die unglücklich liebende stolze Königstochter Elektra charakterisiert. Ihre erste Arie in d-Moll Nr. 4 ist eine „aria infuriata“, eine Racharie. Elektra ruft die Furien, die unterirdischen Rachegöttinnen, an, damit sie sie an Ilia rächen und auch an Idamante, der ihre Liebe verschmäht hat. Zur musikalischen Charakterisierung des Tobens setzt Mozart außergewöhnliche Mittel ein: deklamatorisches Pathos, große Intervallsprünge, Emphase, wechselnde Erregungsmotive im Orchester, Sforzati und dynamische Kontraste zwischen Forte und Piano.
Von dieser Arie Elektras führt eine direkte Linie zu der Rachearie der Donna Anna, zu der Aria infuriata Dorabellas und zur Rachearie der Königin der Nacht. Das Sujet ist stets das gleiche: das Rasen und Toben, der Zustand einer Seele, die aus dem Gleichgewicht geraten ist. Und doch: Wie mannigfaltig behandelt Mozart das Thema, er wandelt es immer von neuem ab und geht dabei allen Einzelheiten des Textes nach. Dennoch sprengen die Leidenschaften den formalen Rahmen nicht. Das Ohr wird eben auch in der schaudervollsten Lage nicht „beleidigt“.
Zur Stilsynthese in der Entführung aus dem Serail, im Don Giovanni und in der Zauberflöte
3. Zur Stilsynthese in der Entführung aus dem Serail, im Don Giovanni und in der Zauberflöte
In seinen letzten zehn Lebensjahren vollendete Mozart in Wien sechs große Opern: die beiden Singspiele Die Entführung aus dem Serail und Die Zauberflöte, die drei italienischen Opern auf Libretti da Pontes und die Festoper La clemenza di Tito. Sieht man von dieser Festoper ab, so gelang ihm in den übrigen Werken eine einzigartige Synthese des Ernsten mit dem Heiteren. Seine unverwechselbare Musiksprache vereinigt das Seriöse mit dem Buffonesken und bezieht noch das Idiom des Singspielstils ein. Bewundernswert ist dabei, dass beim Hörer nirgends der Eindruck eines Stilbruches entsteht. Alles fügt sich organisch zusammen.
Kannte Mozart die Sänger, die in einer neuen Oper von ihm mitwirken sollten, im voraus, so pflegte er die Arien für sie im Hinblick auf ihre Stimme und ihr Können zu komponieren. Ein brillantes Beispiel dafür bietet die Arie der Constanze „Ach ich liebte, war so glücklich”. Von dieser Arie schrieb er an seinen Vater nicht ohne Selbstironie, dass er sie ein wenig der geläufigen Gurgel der Medemoiselle Cavallieri aufgeopfert habe.17 Trennung war mein banges loos, und nun schwimmt mein aug in Thränen – habe ich, so fügte er hinzu, so viel es eine wälsche Bravour aria zulässt, auszudrücken gesucht
Das heißt mit anderen Worten: Mozart machte Mademoiselle Cavalieri den Gefallen und komponierte für sie eine Bravourarie mit Koloraturen, obwohl der Text sich dafür nicht ganz eignete. Dabei legte er die Koloraturen auf die Worte „Kummer ruht in meinem Schoß“. Der Text eignet sich übrigens deshalb für eine bravouröse Koloraturarie wenig, weil Constanze Betrachtungen über ihr Schicksal anstellt, über das einstige Liebesglück und die schmerzvolle Trennung von dem Geliebten.
Liefert diese Arie eine Probe seriösen Stils, so vermittelt die besprochene Laffenarie des Osmin einen anschaulichen Eindruck von einer Buffa-Arie. Zu deren Charakteristika gehören das Parlando, die prononcierte Deklamation, der karikierte Vortrag und eine auffällige Vorliebe für Motivwiederholungen (Rediktentechnik). Der spezifische Effekt, den Mozart hier erzielen möchte, ist jedoch Komik durch Wichtigtuerei. Zu diesem Zweck setzt er pseudoemphatische Mittel wie große Intervallsprünge und stellenweise polyphone Stimmführung (Sequenzen) ein.
Eine ganz andere Physiognomie zeigt die A-Dur-Arie Belmontes „O wie ängstlich, o wie feurig“ (Nr. 4). Sie ist fest im Bereich des Seria-Stils angesiedelt, weist zahlreiche Tonmalereien auf und trägt alle Züge einer „aria cantabile“: weiches Melos, daneben Verzierungen, Vorhaltsbildungen und chromatische Durchgangs- und Wechselnoten.
Den Singspielstil in der Entführung repräsentiert schließlich etwa Blondchens übermütige G-Dur-Arie Nr. 12. Sie ist Ausdruck der übergroßen Freude über die gute Nachricht, dass Belmonte und Pedrillo die beiden Damen um Mitternacht entführen werden. Hier der Wortlaut des Textes:
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Welche Wonne, welche Lust regt sich nun in meiner Brust.
Voller Freuden will ich springen, ihr [Constanze] die frohe Nachricht bringen, und mit Lachen und mit Scherzen ihrem schwachen, kranken Herzen Trost und Rettung prophezeih’n.
Wie in vielen Stücken singspielartigen Stils bei Mozart, so ist auch hier die Melodik volksliedhaft und die Rhythmik schlicht, und die Harmonik beschränkt sich auf die Hauptfunktionen.
Don Giovanni ist Mozarts berühmteste Tragikomödie und zugleich ein Werk, an dem man die Vereinigung des Seriösen mit dem Buffonesken besonders gut studieren kann. Analysiert man eingehend die Stilistik der Musik, so wird deutlich, dass die vornehmen Personen der Handlung – der Commendatore, Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio – als „parti serie“ behandelt sind, während Leporello, Masetto und Zerlina die „parti buffe“ darstellen. Don Giovanni selbst ist eine Partie „mezzo carattere“; je nach Situation singt er teils im seriösen und teils im buffonesken Idiom. Im Umgang mit den vornehmen Personen bedient er sich der gehobenen Tonsprache, im Umgang mit Leporello, mit Masetto und mit den Bauern gibt er sich hingegen buffonesk.
Einige Beispiele mögen die stilistischen Facetten verdeutlichen: Im Seria-Stil ist zunächst die D-Dur-Arie Donna Elviras „Oh, fuggi il traditor“ (Nr. 8) vertont – eine Arie, in der Donna Elvira eindringlich Zerlina warnt, dem Verführer zu entfliehen. Der Eindruck des Beschwörens, Insistierens und Drängens, den die Musik dieser Arie beim Hörer hinterlässt, resultiert aus dem schnellen Tempo (Allegro), der gleichmäßigen Rhythmik (punktierte Rhythmen überwiegen) und vor allem aus den kurzen Phrasen Donna Elviras, die hastig intoniert werden. In fast allen Details weist die Vertonung Züge der „aria parlante“ auf – einer Arienspezies, die nach John Brown für den Ausdruck extremer Gefühlsregungen besonders geeignet war.18
Im Seria-Stil ist ferner die Rache-Arie Donna Annas (Nr. 10) gehalten – eine Komposition, die nicht nur durch emphatisches Melos in der Singstimme, sondern auch durch Schleiferfiguren, Tremoli und Forte-piano-Kontraste im Orchesterpart auffällt. Donna Anna fordert ihren Verlobten Don Ottavio auf, sie und ihren Vater an dem Frevler zu rächen. Dabei sucht sie Don Ottavio einzureden, dass die Rache, die sie von ihm fordert, eigentlich die Rache ist, die sein eigenes Herz begehrt.
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Zu den Stücken, die im echten buffonesken Stil gehalten sind, gehört das Duett zwischen Don Giovanni und Leporello Nr. 14 am Anfang des zweiten Aktes. Die Komik des Stückes resultiert aus der Beharrlichkeit, mit der die beiden ihre extrem gegensätzlichen Wünsche artikulieren: Leporello ist entschlossen, seinen Padrone wegen zu schlechter Behandlung zu verlassen, während Don Giovanni ihn mit allen Mitteln zum Bleiben zu überreden sucht. Ausgesprochen buffonesk wirken hier die häufigen Wortwiederholungen, das Parlando und die Redikte: Am Anfang des Stückes werden die Phrasen Don Giovannis musikalisch von Leporello mit anderem Text repetiert.
Zur Stilsynthese in der Entführung aus dem Serail, im Don Giovanni und in der Zauberflöte
Das Duett zwischen Don Giovanni und Leporello in der Kirchhofszene (Nr. 22) dann ist hauptsächlich in der Buffa-Ebene angesiedelt. An zwei Stellen wechselt aber die Musik zur Seria-Ebene über: als die Statue des Commendatore zum ersten Mal das Haupt neigt und als Don Giovanni selbst die hybride Einladung an den Commendatore ausspricht.
Wenden wir uns schließlich der Zauberflöte zu, so müssen wir vorab hervorheben, dass sie von allen Opern Mozarts das breiteste Stilspektrum aufweist. In ihrem Gefüge sind der Seriastil, der Buffastil, der spezifische Singspielstil und auch der gelehrte, kontrapunktische Stil vertreten. Die Vereinigung des Erhabenen mit dem Heiteren ist hier wohl am weitesten gediehen. Einige Beispiele zur Verdeutlichung.
Im zweiten Akt des Singspiels tritt die sternflammende Königin als eine Frau auf, deren Seele bis zum Äußersten gespannt ist. Sie ist empört darüber, dass Pamina Partei für Sarastro, ihren Todfeind, ergreift und befiehlt dieser, ihn zu töten. Der Text ihrer Rachearie „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ (Nr. 14) artikuliert etwas Ungeheuerliches: Die Königin der Nacht ist entschlossen, ihre eigene Tochter zu verstoßen, „alle Bande der Natur zu zertrümmern“, wenn Pamina ihren Befehl nicht ausführen sollte. Mozart vertonte den Text im Seriastil, und zwar teils als „aria agitata“ und teils als „aria di bravura“. Er greift zu allen Stilmitteln, mit denen äußerste Erregung und Brillanz musikalisch ausgedrückt werden können. Durchaus im Seriastil gehalten ist auch die Bildnisarie Taminos. Doch handelt es sich um eine typische „aria cantabile“, geradezu um ein Musterbeispiel dieser Arienspezies. Mozart vertont den Text durchaus in Übereinstimmung mit den ästhetischen Postulaten der Zeit, nach denen zarte Liebesempfindungen eben in einer solchen Aria exprimiert werden können.
Die Ebene des singspielartigen Stiles in reiner Ausprägung repräsentieren in der Zauberflöte mehrere Lieder Papagenos, in erster Linie das Lied, mit dem er im zweiten Finale sein Weibchen herbeiruft. Die sich anschließende Pantomime zwischen Papageno und Papagena bietet aber ein schönes Beispiel für die Synthese von Komik und Glückseligkeit. Das Buffoneske ist hier mit dem Volksliedartigen aufs glücklichste vereinigt.
Eine Ebene sui generis konstituiert schließlich der kontrapunktische Stil. Ein eindrucksvolles Beispiel für ihn bietet der Gesang der geharnischten Männer aus dem zweiten Finale. Sie singen beide im Unisono den Choral „Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerden”, einen evangelischen Choral, dessen Melodie Mozart dem bekannten Buch Kunst des reinen Satzes von Kirnberger entlehnte. Überaus kunstvoll ist die Art, wie dieser Chloral mit einem kontrapunktischen Satz der Streicher verflochten wird, einem Satz, dem im wesentlichen zwei Motive zugrunde liegen: das eine (ein prägnantes Achtelmotiv) fungiert – wie Reinhold Hammerstein19 gezeigt hat – als Symbol des Wanderns, das andere (ein chromatisches Seufzermotiv) kann als Sinnbild der Leiden des Wanderers gedeutet werden. Diese Choralbearbeitung dokumentiert neben der c-Moll-Messe KV 427, neben der Maurerischen Trauermusik KV 477 und neben dem Finale der Jupiter-Symphonie, wie intensiv das Bach-Erlebnis für Mozart gewesen ist.
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Seine Musik ist human zu nennen – human im wahrsten Sinn des Wortes ... Sie spricht noch heute ungezählte Menschen unmittelbar an, auch weil sie ihnen hilft, ihr seelisches Gleichgewicht zu halten, ihre „Mitte“ zu finden, die Mitte zwischen Geist und Sinnen.
Constantin Floros
Aus dem Inhalt:
Tragik und Komik in den Meisteropern
Mozarts Musiksprache – das Phänomen der Kantabilität
Die letzten Sinfonien
Mozart und die Violine Das „Programm“ in den Meisterouvertüren
Stilebenen und Stilsynthese in den Opern Mozarts
Don Juan in Kierkegaards Deutung
Mozart und die Kirchenmusik
Alban Berg und Mozart www.breitkopf.com