EB 8846 – Naumann, Spielräume – Spielregeln

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Spielräume – Spielregeln

Entdecken Erforschen Erspielen Sigrid Naumann

Sigrid Naumann

Spielräume – Spielregeln

Leichte Klavierstücke aus vier Jahrhunderten Entdecken – Erforschen – Erspielen

BREITKOPF & HÄRTEL

Edition Breitkopf 8846

Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

2 Dudelsack

(1881–1945):

frühes Beispiel für die Dudelsackbegleitung

Wechsel zwischen der Dudelsack-Quinte und einem weiteren Klang

4

Zweistimmiger Satz

Jean-Philippe Rameau (1683–1764): Menuet en Rondeau

Ein Stück entsteht

B.

8 Akkorde

(Die

Ludvig Schytte (1848–1909): Andantino (25 leichte Etüden op. 198)

Johann Kaspar Ferdinand Fischer (ca. 1665–ca. 1746): Präludium harpeggiato

Cornelius Gurlitt (1820–1901): Thema mit Variation (aus op. 228)

9 Kadenzharmonik

Tonika und Dominante in Dur

S. Naumann: Walzermelodie

Der Dominantseptakkord

(1817–1905):

10 Moderne Tonsprachen

Barbara Heller (*1936): Die Sekunde taucht auf und versinkt … (Intervallbuch)

B. Bartók: Melodie im Nebel (Mikrokosmos, Band 4)

Zahlen-Melodie

György Kurtág (*1926): Hommage à Jenny (Rufnummern unserer Liebsten aus: Jatékok, Band 2 )

Vorwort

Es gibt viele Gründe dafür, der Improvisation im Klavierunterricht ihren festen Platz einzuräumen. Das freie Musizieren öffnet die Ohren. Wie von selbst entsteht dabei eine offene, experimentierfreudige Atmosphäre. Bei einer sinnvoll gestellten Improvisationsaufgabe eröffnen sich für den Lernenden Spielräume, die zu immer neuer Gestaltung einladen. Ohne Angst vor Fehlern können die Spieler vielfältige musikalische Erfahrungen sammeln und sich dabei als Urheber ihrer eigenen Musik erleben. Dazu kommt noch etwas anderes: Das Klavier mit der übersichtlichen Anordnung seiner 88 Tasten ist von allen Instrumenten am besten geeignet, musiktheoretische Inhalte praxisnah zu vermitteln. Alles liegt in völliger Offenheit vor uns. Wir müssen nur zugreifen, hinhören, mit Phantasie und Verstand die Möglichkeiten des Instruments erkunden – und sind zugleich mittendrin in einer praktischen Musiklehre.

Nimmt man dazu, dass das Klavier unter allen Instrumenten über die beste und vielseitigste Anfängerliteratur verfügt, so liegt es nahe, die Lernbereiche Literaturspiel, Improvisation und Musiklehre eng miteinander zu verzahnen. Zwei Wege sind dabei möglich: man kann durch improvisatorische Vorübungen zum Stück hinführen oder vom Stück ausgehend Anregungen zur Improvisation geben. Im vorliegenden Heft wird beides miteinander kombiniert. Die den Stücken vorangestellten improvisatorischen Übungen ermöglichen erste Erfahrungen mit der jeweils zugrundeliegenden Spielregel. Nach dieser Vorbereitung fällt es meistens leicht, das Stück zu lernen. Dies wiederum ist die Grundlage für weiterführende, differenziertere Anregungen zur freien Gestaltung. Die zu einem Stück gegebenen Spielanregungen bauen aufeinander auf, sind aber so angelegt, dass jede für sich zu einem gut klingenden Ergebnis führt. Man kann daher eine Lernsequenz auch unterbrechen und bei Interesse später wieder daran anknüpfen.

Die Stücke stammen aus allen musikgeschichtlichen Epochen von der Barockzeit bis zur Gegenwart. Entsprechend vielfältig sind die daraus abgeleiteten improvisatorischen Modelle.

Die leichtesten Beispiele finden sich in den Kapiteln 1 (Glockenmusik), 2 (Dudelsack), 4 (Schwarze Tasten) und 5 (Parallelbewegung). Die Kapitel 3 (Vom Dudelsack zur freien Begleitung) und 6 (Parallelbewegung mit Mittelstimme) setzen die Thematik des jeweils vorhergehenden Kapitels auf etwas höherer Stufe fort.

Die Kapitel 7 (Zweistimmiger Satz) und 10 (Moderne Tonsprachen) bringen weitere, vom übrigen Inhalt unabhängige musikalische Modelle und können je nach Interesse zu einem beliebigen Zeitpunkt studiert werden.

Dagegen empfiehlt es sich, die Kapitel 8 (Akkorde) und 9 (Kadenzharmonik) im Zusammenhang durchzuarbeiten. In ihnen wird das Spiel mit Dreiklängen und Vierklängen von zwei Seiten her erschlossen. Die Stücke und Spielvorschläge im Kapitel 8 ermöglichen einen intuitiven Umgang mit den Klängen. Der Spieler übernimmt zunächst die vorgegebenen Umkehrungen und Lagen der Akkorde und findet rhythmische und melodische Varianten. So baut sich eine Hör- und Spielerfahrung auf, bevor es im Kapitel 9 um den bewussten Umgang mit Akkordumkehrungen und um das Verstehen harmonischer Zusammenhänge geht.

Das Heft ist aus der Praxis heraus entstanden. Alle Vorschläge wurden vielfach im Unterricht erprobt. Ich danke meinen Schülerinnen und Schülern für ihre Offenheit und das Interesse, mit dem sie sich auf die Ideen eingelassen haben. Mein besonderer Dank gilt dem Verlagslektor, Herrn Friedhelm Pramschüfer, für seine akribische Durchsicht des Manuskripts und die anregende Zusammenarbeit.

Fulda, im Frühjahr 2015 Sigrid Naumann

1 Glockenmusik

Improvisation zu einer Glockenbegleitung

• Spiele auf drei C-Tasten mit der linken Hand die folgende Glockenmusik und achte dabei auf eine ruhige, gleichmäßige Armbewegung:

Zu dieser Begleitung soll nun eine Melodie mit gleichbleibendem Rhythmus kommen. Die folgende Aufgabe bereitet den Rhythmus vor:

• Spiele die Glockentöne, während dein Gruppenpartner oder dein Lehrer rhythmisch spricht (oft wiederholen):

Anschließend werden die Rollen getauscht.

• Spiele mit der rechten Hand kleine Melodien im Rhythmus des Glockentextes und benutze dafür diese vier Töne:

Dein Gruppenpartner oder Lehrer kann dazu die Glockentöne als Begleitung spielen.

• Spiele nun selbst die Glockenbegleitung zu deinen improvisierten Melodien.

• Übertrage das Spiel auf die schwarzen Tasten. Diese Töne kommen vor:

Weihnachtsglocken

Elias Davidsson (*1941) aus: Der fröhliche Dudelsack

© by Elias Davidsson

Lerne dieses Stück. Die wesentlichen Elemente kennst du schon. Neu ist das lang gehaltene b in den Takten 9–12 und 13–14.

Spielanregungen

• Baue diese neue Idee in deine Improvisation ein. Nach jeweils vier Melodiephrasen folgt zweimal das lang gehaltene b –wie in den Takten 9–12 des Davidsson-Stückes.

• Probiere auch diese Version auf den schwarzen Tasten. Für den langen Ton brauchst du jetzt eine weiße Taste – welche?

Tipp: Bei Davidsson kreuzen sich in den Takten 10, 12 und 14 die Hände. Hier kannst du den Abstand des gesuchten Tones zum Grundton leicht erkennen.

Ein Spiel für zwei Spieler an zwei Klavieren

Zu zweit könnt ihr die Improvisationen auf weißen und schwarzen Tasten zu einem längeren Stück verbinden. Spieler A improvisiert auf den weißen, Spieler B auf den schwarzen Tasten. Der Wechsel erfolgt jeweils bei den langen Melodietönen.

1 Wechsel von den weißen zu den schwarzen Tasten (Spieler A)

2 Wechsel von den schwarzen zu den weißen Tasten (Spieler B)

Und so sieht das ganze Stück aus:

Leseprobe Sample page

• Spielt in dieser Weise mehrere Durchgänge im Wechsel zwischen den weißen und schwarzen Tasten. Spieler A beendet das Stück, indem er am Ende seines Durchgangs mit der linken Hand beim C bleibt.

• Wiederholt das Spiel mit vertauschten Rollen.

• Man kann das Ganze auch alleine spielen.

2 Dudelsack

Einführung

Béla Bartók war fasziniert von der reichen Volksmusik-Tradition in Ungarn und den angrenzenden Ländern. Ein wichtiges Instrument in dieser Tradition ist der Dudelsack, der eine sehr einfache Art des mehrstimmigen Spielens erlaubt. Er besitzt neben der Spielpfeife eine oder mehrere Bordunpfeifen (vgl. die Abbildung1), deren Töne immer mitklingen. Bei zwei Bordunpfeifen ist die tiefere auf den Grundton des Instruments gestimmt, die höhere auf die Quinte.

• Improvisiere eine Melodie zur Bordunquinte A-e und verwende diese Töne:

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1 Abbildung aus Helmut Zeraschi: Die Musikinstrumente unserer Zeit. Ein Lese- und Nachschlagebuch. Zeichnungen von Albrecht Ehnert. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik 1978, S. 52.

Auf südslawische Art

Béla Bartók (1881–1945) Nr. 40 aus: Mikrokosmos, Band 2

Leseprobe Sample page

In diesem Stück wechselt die linke Hand beständig zwischen den beiden Tönen der Bordunquinte e-h. Für die Melodie verwendet Bartók im A-Teil und im B-Teil je fünf Töne.

• Ein solches Stück kannst du selbst erfinden. Damit es leichter geht, baut die folgende Improvisationsaufgabe auf dem G-Dudelsack auf. Dann brauchst du für die Melodie nur weiße Tasten.

Halte dich beim verwendeten Tonmaterial an die Abfolge des Bartók-Beispiels: A–B–A.

Die Töne, die du eben verwendet hast, ergeben eine Tonleiter, die typisch für die Volksmusik des Balkans ist. Deren Tradition beruht, ebenso wie unsere Dur- und (natürlichen) Molltonarten, auf sieben Tonstufen, die in der Abfolge von Ganzton- und Halbtonschritten den weißen Klavier tasten entsprechen. Unterschiedliche Tonarten – die sogenannten modalen Tonarten –entstehen dadurch, dass jeder Ton (mit Ausnahme des h) Grundton einer Skala sein kann. Die Halbtonschritte e-f und h-c geraten dabei natürlich auf unterschiedliche Stufen der Tonleiter, wodurch sich der besondere Klangcharakter jeder modalen Tonart ergibt.

Hier eine Übersicht über die modalen Tonarten:

Leseprobe Sample page

• Spiele alle diese Tonleitern, höre auf ihren Klang und zeichne in den Noten die Halbtonschritte ein. Im ersten Beispiel (ionisch) sind sie bereits eingetragen.

Mit den entsprechenden Vorzeichen kann man jede modale Tonleiter auf jedem Ton aufbauen. Entscheidend ist – ebenso wie bei einer Dur- oder Molltonleiter – die richtige Position der Halbtonschritte.

• Schreibe die Noten der rechten Hand aus Bartóks Komposition als Tonleiter auf, zeichne die Halbtonschritte ein und finde heraus, um welche Tonart es sich handelt.

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• Improvisiere nun eine Melodie in der dorischen Tonart, begleite wieder mit dem Bordun und höre auf den veränderten Klangcharakter. Halte dich auch hier an die Abfolge A–B–A.

• Vielleicht bist du an manchen Tagen eher in einer dorischen und an anderen in einer mixolydischen Stimmung? Dann wähle die entsprechende Tonart für deine Improvisation.

• Probiere die Improvisation auch in anderen modalen Tonarten aus, z. B. in phrygisch oder äolisch.

Ein frühes Beispiel für die Dudelsackbegleitung

Im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts war der Dudelsack ein beliebtes Instrument der höfischen Musik. Für dessen französische Form, die Musette, entstanden zahlreiche Kompositionen. Der typische Klang der Bordunquinte wurde jedoch auch auf Kompositionen für andere Instrumente übertragen, z. B. für Tasteninstrumente, kammermusikalische Besetzungen oder Orchester. Die entsprechenden Stücke tragen meist die Überschrift Musette, manchmal auch Tambourin oder Hornpipe.

Hier die Bassstimme einer Musette von Louis Daquin (1694–1772):

• Improvisiere zu dieser Begleitung eine Melodie. Benutze vorerst nur Viertel und halbe Noten und verwende diese Töne:

Leseprobe Sample page

• Mit Achtelnoten wird deine Melodie lebhafter. Die rechte Hand bleibt in der Quintlage auf g1.

So könnte dein Stück beginnen:

• Nun kannst du für die rechte Hand alle Töne der G-Dur-Tonleiter verwenden.

• Wenn dir eine deiner Melodien besonders gut gefällt, kannst du sie hier aufschreiben.

Leseprobe Sample

Hier ist das Originalstück von Louis Daquin, dessen Begleitung du bereits kennengelernt hast. Es besteht aus zwei Teilen, die einander nach dem Schema A–B–A abwechseln.

Musette

• Wenn du das Stück gelernt hast, kannst du es durch eigene Ideen zu einem Rondo erweitern. Ende mit einem A-Teil: A–B–A–C–A–D–…–A.

Louis Daquin (1694–1772)

Leseprobe Sample page

3 Vom Dudelsack zur freien Begleitung

In den beiden vorhergehenden Stücken blieb die linke Hand durchgehend bei der Dudelsack-Quinte. Nun folgen einige Beispiele für einen freieren Umgang mit dieser Begleitform.

Wechsel zwischen der Dudelsack-Quinte und einem weiteren Klang

• Improvisiere zu dieser Begleitung Melodien mit den gegebenen Tönen, z. B.:

Leseprobe Sample page

In der vierbändigen Sammlung Für Kinder hat Béla Bartók traditionelle Kinderlieder aus Ungarn und Bulgarien mit einfachen, charakteristischen Klavierbegleitungen versehen. Die meisten Stücke der Sammlung bestehen aus zwei Liedstrophen mit unterschiedlicher Begleitung. Im folgenden Quasi adagio, einem Liedsatz aus dem ersten Heft, verwendet Bartók über weite Strecken die Begleitung, die du gerade kennengelernt hast. Auch der Tonumfang der Melodie ist derselbe wie in der Improvisationsaufgabe.

Quasi

adagio

B. Bartók Nr. 3 aus: Für Kinder, Heft 1

Leseprobe Sample page

• Füge deine Improvisation und Bartóks Liedbearbeitung zu einer musikalischen Form zusammen. Die Improvisation kann Einleitung oder Ausklang des Liedes sein – oder auch beides: (Improvisation) – Lied – (Improvisation). Eine dritte Harmonie kommt hinzu

Im nächsten Beispiel wird die Begleitung durch eine dritte Harmonie noch farbiger:

• Improvisiere zu dieser neuen Begleitung Melodien mit den gegebenen Tönen.

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Klavierstücke improvisierend erforschen

Spielräume – Spielregeln

– Leichte Klavierstücke vom Barock bis zur Moderne

– Kompositionen von Rameau, Daquin, Beethoven, Schumann, Kabalewski, Bartók, Kurtág u. a.

– Gesetzmäßigkeiten entdecken – Spielräume nutzen

– Einblicke in die Werkstatt der Komponisten

– Verknüpfen von Improvisation mit Literaturspiel

– Vielgestaltige improvisatorische Modelle erproben

– Erste Schritte zu eigenem Komponieren

– Grundlagen der Harmonielehre kennenlernen

Sigrid Naumann studierte in Stuttgart Schulmusik und Germanistik.

Ihre Klavierausbildung erhielt sie bei Prof. Renate Werner. Von 1981 bis 1986 war sie Klavierlehrerin an der Musikschule Bad Vilbel, seit 1986 unterrichtet sie an der Musikschule der Stadt Fulda. Sie ist Vorstandsmitglied der EPTA Deutschland und Fachberaterin für Klavier beim VdM. 2006 erschien bei Breitkopf & Härtel das Intervallbuch von Barbara Heller (EB 8665), zu dem sie die pädagogischen Kommentare schrieb.

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