20
vinum januar / februar 2011
Von der Salzigkeit im Riesling
Le goût, c’est moi „Salzig“ ist die neue Lieblingsvokabel vieler Riesling-Verkoster. Kollektive Einbildung, rhetorischer Hype oder doch sensorische Realität? Unser Autor hat die Körnchen der Wahrheit gesucht. Sein Fazit: Jeder schmeckt und fühlt Salzigkeit anders – oder auch gar nicht.
E
va Fricke vom Weingut Josef Leitz im Rheingau schenkt mir einen Schluck 2009er Riesling Spätlese aus dem Rüdesheimer Magdalenenkreuz ins Glas. Die Lage gehört nicht zu den edelsten im Rheingau, dennoch bietet ihr Boden aus fruchtbarem Löss besten Untergrund, um vollsaftige Rieslinge entstehen zu lassen. Ein Musterbeispiel fliesst mir gerade die Kehle herunter. Dieser Riesling kommt mit seiner unnachahmlichen Komposition aus Frucht, Süsse und Säure schnell
Bis vor kurzem war ich noch überzeugter Skeptiker, ging es um die Geschmacksqualität „salzig“ im Wein. Wie eine adverbiale Plage schien sie mir plötzlich über das Land zu jagen. auf den Punkt. Archetypisch für einen Wein, der auf Löss gewachsen ist. Deutschlands Paradesorte ist ein Alleskönner. Derart charmant mit natürlicher Fruchtsüsse umzugehen, macht ihr keine andere nach. Doch das ist nur der Anfang. Bis vor kurzem war ich noch überzeugter Skeptiker, wenn es um die Geschmacksqualität «salzig» im Wein ging. Wie eine
adverbiale Plage schien sie mir plötzlich und unvermittelt über das Land zu jagen und keinen Wein zu verschonen, dessen Rebstöcke auch nur eine Ahnung von einem steinreichen Untergrund hatten. Doch je länger und intensiver ich mich mit diesem Phänomen beschäftigte, desto häufiger kam es nun vor, dass mir Weine tatsächlich auch salzig schmeckten. Wenn auch nur ein bisserl salzig, aber immerhin wahrnehmbar – und eben keine schmissighippe Geschmacksbeschreibung, wie ich vormals noch annahm. Eine selbsterfüllende Prophezeiung? Könnte sein, doch dazu später. Mineralschwamm Riesling
Jedenfalls probiere ich jetzt die 2009er Riesling Spätlese aus dem Berg Roseneck (ebenfalls Weingut Leitz) und erschrecke fast über ihren feinsalzigen Goût. Umso mehr, da auch dieser Wein reich an Fructose ist, die sämtliche salzig-mineralischen Nuancen zu überdecken imstande sein sollte. Doch in diesem Fall gelingt das nicht. Denn es ist die grandiose Eigenschaft des Rieslings, sein Terroir scharf und unverwechselbar in seinen Wein zu schreiben, auch wenn dieser eine ordentliche Portion Fruchtzucker mit auf seinen Lebensweg bekommen hat.
Die Sorte ist ein Faszinosum. Und Salz seine wertvolle Würze? Mineralien sind Salze. Sie liegen in gelöster Form im Wein vor und werden neben Zucker, Säuren, Phenolen und einigen anderen mehr dem Extrakt zugerechnet. Hohe Extraktwerte müssen jedoch nicht zwangsläufig dazu führen, dass ein Wein am Ende auch eine gewisse Salzigkeit im Geschmack aufweist. Riesling indes ist darin talentiert, selbst feinste Aromen in sein Geschmacksbild aufzunehmen. Ein Mineralschwamm sondergleichen ist dieser Riesling. Sofern er denn auf mineralreichen Böden gewachsen ist, sein Winzer mit massvollen Erträgen arbeitet – und mit Reben, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, damit ihre Wurzeln der Mineralien auch habhaft werden können. Der Berg Roseneck bei Rüdesheim führt hinauf bis auf 200 Meter und ist mit seinen Böden aus Schiefer und Quarzit ein Garant für mineralische Weine. Dabei sei der grossartige Jahrgang 2009 noch eher harmlos, sagt Fricke. 2010 hätten die massiven Niederschläge zu einer enormen Auswaschung von Mineralien im Weinberg geführt. Geradewegs schockiert sei sie jüngst bei der Probe ihrer noch unfertigen Rieslinge gewesen.
Foto: Wolfgang Kriegbaum
Text: Axel Biesler