Tourette Syndrom

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TOURETTE


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INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

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2. PERSONALIEN

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3. WIE ALLES BEGANN…

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4. TOURETTE-SYNDROM

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4.1 Was ist das Tourette-Syndrom

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4.2 Wo liegt der Ursprung des Tourette-Syndroms?

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5. WAS KAM DANACH? 6. SCHULE 6.1 Primarschule 6.2 Von der Primarschule zur Sekundarschule

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7. FREIZEIT 7.1 Triple Death – Die Gründung einer neuen Metal-Band

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8. EINSTIEG IN DIE ARBEITSWELT 11 8.1 Berufswahl 11 8.2 Brüggli 12 (Werkstatt für Menschen mit Behinderung) 8.3 Lehrstelle 13 8.4 Mitarbeiter 13 8.5 Berufsschule 13 9. ZUKUNFT 10. WANN KOMMEN DIE TICS BEI ANDRÉ

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ZUM VORSCHEIN? 11. WIE GEHT ANDRÉ MIT SEINER KRANKHEIT UM? 12. WAS ANDRÉ NOCH SAGEN MÖCHTE 12.1 Tipps an Eltern von Kindern und Jugendlichen, die an dem TouretteSyndrom leiden 13. SCHLUSSWORT VON MIR 14. MEINE FRAGEN/STICHWÖRTER AN ANDRÉ 15. QUELLENVERZEICHNIS

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1. EINLEITUNG

Menschen, die erhebliche Leistungen vollbringen müssen, z.B. durch ein Handicap, und dabei voller Lebensfreude sind, interessierten mich schon immer. Im Schulalter durfte ich im Brüggli Romanshorn (Werkstatt für Menschen mit einer Behinderung) mein Taschengeld aufbessern. So wurde ich vertraut mit diesen Menschen und ihren Reaktionen und Eigenarten. Ich weiss, dass es für viele Behinderte besonders schwierig ist, sich im Alltag sowie in der Arbeitswelt zurecht zu finden. Auch werden sie oft von den sogenannten «Normalen» nicht verstanden oder ausgeschlossen. Ich will nun dieses Thema ausführlicher behandeln und wählte einen ganz besonderen jungen Menschen, um über sein Leben, seine Schwierigkeiten, Freud und Leid mit seiner Krankheit zu berichten. Dies setzte ein mehrstündiges, persönliches Interview voraus, von dem ich sicher bin, dass es von allgemeinem Interesse ist.

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2. PERSONALIEN

Vorname

André

Wohnort

Sargans/Romanshorn

Geburtstag

27.07.1985

Zivilstand

ledig

Beruf des Vaters

Betonbohrer-Fräser

Beruf der Mutter

Hausfrau, kaufm. Angestellte

Geschwister

eine Schwester und zwei Brüder

Besuchte Schulen

Primarschule, Sekundarschule

Sprachen

Deutsch, Englisch und Französisch

Besondere Kenntnisse Aufnahme/CD-Produktion Gitarre/Bass und Gesang Bühnentechnik PC und Beruf Hobbies

Lieblingbands

Megadeth, Marduk

Band (Bleeding Hate und

Darkthrone, The Haunted…

Triple Death), Metal hören, FreundInnen, Ausgang,

Disbelief, Metallica (the old),

Was ich nicht mag

zu egoistische Menschen,

Entspannen, Horror- und

Kirche, Krämpfe, Tics,

Splatterfilme, Schreiben…

PC-Abstürze, Skaterpest, harte Drogen

Lieblingsfilme

Stephen Kings «The Stand» Das letzte Gefecht Stephen Kings «Shining»

Kennzeichen

Tourette-Syndrom und Bierbauch

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3. WIE ALLES BEGANN…

Sieben kurze Jahre durfte André als normales Kind aufwachsen, bis erste Anzeichen von unerklärlichen Drängen zum Vorschein kamen. Kein bestimmter Vorfall in der Familie oder andere Zwischenfälle waren geschehen. Was war das? André musste mit seinem kleinen Finger ständig nach etwas greifen, obwohl er nicht wollte. Als weiteres Merkmal kamen Schreie dazu. Seine Mutter befürchtete etwas Schlimmes und auch klein André bekam Angst. Zuerst suchten sie den Hausarzt auf, doch der empfahl sie weiter zu einem Psychiater. «Zu viel Fleisch», meinte er. Kann das sein? Viele Ärzte und Psychiater hatten sie besucht, doch niemand konnte seine Krankheit einordnen. Zufälligerweise sah Andrés Mutter eine Sendung über das Tourette-Syndrom auf SF DRS. Ein geladener Gast in dieser Sendung zeigte verblüffend ähnliche Auffälligkeiten wie André. Und so erkannte man mit Schrecken, dass er auch an diesem Syndrom leidet. Man informierte sofort seine Ärzte, denen diese Krankheit zu wenig oder gar nicht bekannt war. Sie interessierten sich danach um so mehr für das sogenannte Tourette-Syndrom.

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4. TOURETTE-SYNDROM

4.1 Was ist das Tourette-Syndrom

4.2 Wo liegt der Ursprung des Tourette-Syndroms?

Das Tourette-Syndrom (TS) ist eine neuropsychiatri-

Den wirklichen Ursprung des TS kennt man nicht wirk-

sche Erkrankung, die durch Tics charakterisiert ist. Bei

lich. Manche sagen, wie auch Andrés Arzt, es komme

den Tics handelt es sich um unwillkürliche, rasche,

vom vielen Fleischessen (totaler Schwachsinn), andere

meistens plötzlich eintreffende Bewegungen, die

denken, der Grund liege an fehlenden Beziehungen.

immer wieder in gleicher Weise auftreten können.

Spezialisten vermuten, dass das Gehirn zuviel von einer gewissen Substanz aufnimmt, welche für unsere

Sowohl motorische (Muskelzuckungen) als auch mit

Bewegungen und Bedürfnisse zuständig ist, so dass die

Lautäusserungen (ein oder mehrere Vokale) ver-

Betroffenen kurz- oder langfristig keine Kontrolle über

bundene Tics stellen sich bei dieser Erkrankung ein.

ihr Verhalten besitzen.

Sie müssen jedoch nicht gleichzeitig vorkommen.

Etwas weiter denkende Menschen sagen, es komme

Die Symptome können manchmal für Wochen oder

vom Teufel selbst. André schliesst sich dieser Erklärung

Monate verschwinden, aber unvermutet wieder auf-

an, weil er sich sonst nichts anderes vorstellen kann.

treten. Tourette-Syndrome beginnen meist vor dem

Er denkt, dass alles übernatürlich gesteuert wird.

21. Lebensjahr.

Das Böse will mit dieser Krankheit guten und besonderen Menschen Leid zufügen. In manchen Fällen kommt es vor, dass der Patient völlig geheilt ist. André ist überzeugt, dass bei diesen Fällen das Gute gesiegt hat. Nicht ausschliessen kann man, dass diese Krankheit vererbbar ist. Bei Andrés Mutter traten früher auch wenige kleine Symptome auf.

Weitere Informationen zum Tourette-Syndrom finden Sie unter: www.tourette.ch 5


5. WAS KAM DANACH?

Man dachte, es bleibe bei André nur beim Schreien, doch es wurde schlimmer. Die Schreie wurden lauter und die Tics wurden mit der Zeit immer mehr. Mit 11 Jahren bekam André sehr starke Medikamente verschrieben. Drei Monate lang traten keine Symptome auf. Dafür konnte er kaum noch schlafen. Nach diesen Monaten verstärkte sich die Krankheit, die Tics wurden schlimmer. Seine drei jüngeren Geschwister empfanden seine Dränge als normal. Sie kannten ihren Bruder nur so. Auch seine Eltern standen stets zu ihm und seiner Krankheit. Die Äusserungen, er soll still und nicht so nervös sein, waren das Einzige, was ihn sehr verletzte.

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6. SCHULE

6.1 Primarschule

6.2 Von der Primarschule zur Sekundarschule Der Umstieg von der Primarschule in die Sekundarschule war für ihn besonders schwer, da er in eine neue Klasse kam, d.h. sich in einem neuen Umfeld bewegen musste. Mit einem Schulpsychologen trat André im Sommer 1998 in seine neue Klasse. Zusammen schauten sie einen Video über das Tourette-Syndrom; und die Mitschüler begannen zu verstehen. Dadurch wurde die Akzeptanz ihm und seiner Krankheit gegenüber sehr gross. Dies bedeutete ihm jede Menge. Andrés Selbstbewusstsein stieg in dieser Zeit unglaublich. Er wurde sehr aufgeschlossen, ging auf Leute zu und klärte sie von Anfang an über seine Krankheit auf. André baute so das Vertrauen zu seinen Mitmenschen auf.

Als André zur Schule musste, fürchtete er sich, wie die Mitschüler auf seine Tics reagieren würden. Darum begleitete ihn seine Mutter am ersten Tag in die Schule und klärte die Lehrer über die Krankheit auf. Anfangs wurde André von seinen Mitschülern gehänselt, was ihn bedrückte, da er ein sehr empfindlicher Mensch war. Dies hat sich bis heute stark verändert. Das zeigt sich auch daran, dass viele dieser Schüler heute seine besten Freunde sind. André sah das TS nicht als einen Grund, die Schule nicht zu besuchen. Die meisten Lehrer unterstützten ihn, indem sie den Schülern seine Krankheit näher brachten, was auch ein Mindern des Hänselns verursachte. Das Wichtigste für ihn war, dass sein Umfeld seine Tics nach ca. drei Monaten nicht mehr wahrnahm, da es Gewohnheit wurde. Auch heute erlebt er das immer wieder. 7


7. FREIZEIT

7.1 Triple Death – Die Gründung einer neuen Metal-Band Neben der Schule hatte André eine Leidenschaft, die

In einem kleinen Raum, welcher neben der großen

für ihn heute eine wichtige Rolle spielt: Die Musik.

Seifenfabrik von seinem Vater angemauert ist, stellte

Trance und Keyboard, das er zwei Jahre lang spielte,

Roger Blechdosen jeglicher Art auf und André richtete

passten für ihn perfekt zusammen. Er blieb diesem

seine erste Gitarre sowie seinen kleinen 20-Watt-

Musikstil nicht treu und fing an, sich mit Metal zu

Verstärker ein. Aller Anfang ist schwer!

beschäftigen. Eine Gitarre zu besitzen war nun sein

Beide hatten wenig Ahnung, so haben sie einfach ein

grösster Wunsch, der sich bald darauf erfüllte. Ihm

wenig «herumgehämmert» und in die Saiten gehackt.

fiel es nicht schwer, sich dieses Instrument selber bei-

Später kam Philipp, ein Freund von Roger, in die Band.

zubringen. Mit 15 Jahren gründete er mit seinem

Er begleitete sie mit einer akustischen Gitarre. So ent-

Freund Roger eine Band Namens Triple Death, was

stand der Song «Change your Life» im August 98.

sein grösstes Hobby wurde und ist.

Die Mischung von Death-Metal und Psycho wurde ihnen zu hart und schliesslich änderten sie ihren Stil. Speed-Metal und Hardrock traf den Geschmack aller Bandmitglieder. Philipp konnte nicht länger mit seiner halb zerfressenen, akustischen Gitarre mithalten, da ihre Musik immer lauter wurde. Da ihnen ohnehin eine E-Bass-Gitarre fehlte, konnten sie mit grossem Aufwand einen E-Bass und ein Schlagzeug erwerben. In einer gemeinsamen Runde überlegten sie sich einen Band-Namen. Andrés Vorschlag «Nemesis» wurde abgelehnt. Schlussendlich entschieden sie sich für den Namen «Triple Death».

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Zwei Jahre nach der Bandgründung, am 1. August 2000, hatten sie ihr erstes Konzert in einem neuen, grösseren Proberaum. Kurz danach drehten sie ihr erstes Video, auf welchem sie acht Songs spielten. Darunter waren selbstgeschriebene wie auch ein paar Cover-Songs. Auch Interviews von der Band waren darauf zu sehen. Wegen zu viel Ruhestörungen mussten sie den Proberaum verlegen. In einem kleinem Raum bei Roger zu Hause fanden sie einen geeigneten Platz. Die Texte der Band sind einerseits sehr persönlich, wenn sie vom Schicksal der Bandmitglieder und dem, was sie daraus gelernt haben, handeln. Anderseits schreiben sie Texte, die vom allgemeinen, alltäglichen Leben handeln. Ab und zu gibt es Songs, die kleine Geschichten erzählen. Inzwischen veränderte sich der Musikstil der Band von

Am 7. Juni 2002 verliess Philipp aus persönlichen

Death-Metal zu Grunge-Metal. (Wem das nichts sagt,

und gesundheitlichen Gründen die Band. Dieser

der soll es mit Punk und Trash-Metal vergleichen.)

Ausstieg war ein grosser Schock für Triple Death. Als Ersatz kam am 29. Oktober 2002 Simon als neuer Bassist in die Band.

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Am 25. Juli 2003 war es dann soweit. Ein erstes Konzert in der Öffentlichkeit, an einem Open-Air im Sarganserland. Der Auftritt verlief gut und es war für sie die erste Möglichkeit, sich vor Publikum zu präsentieren. Nicht viel später, am 1. Oktober 2003 hatten Triple Death die Chance im Löwensaal in Mels mit den Sarganser-Bands «The Main» und «Problem Child» aufzutreten. Das Feedback der Fans war enorm. Sie konnten sogar Autogramme verteilen. Triple Death haben mittlerweile einen geeigneten Proberaum gefunden, in dem sie auch heute noch regelmässig an ihren Songs feilen.

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8. EINSTIEG IN DIE ARBEITSWELT

8.1 Berufswahl Stundenlange Gespräche beim Berufsberater führten

Er spielte mit dem Gedanken, auf dem Bau zu

zum Ergebnis: Lehrer. Schön und gut, aber da war

arbeiten, obwohl das nicht sein Wunsch war.

ja noch sein Tourette-Syndrom. Er hatte Zweifel,

Dort würde seine Tics niemanden stören.

ob das funktionieren würde, und liess diese Vorstellung beiseite.

Seine Mutter erfuhr vom Brüggli in Romanshorn.

Seine Mutter bestürmte ihn, eine solide KVAusbildung zu machen. Für ihn war dieser Gedanke nicht abwegig, doch in seinem Hinterkopf strebte er den Beruf Mediamatiker an. Trotz raren Mediamatiker-Stellen durfte er zu einem Eignungstest bei der Swisscom in Chur antreten, bei dem ca. 60 Stellenbewerber beteiligt waren. Mit Bravur bestand er den Test und wurde zwei Tage später zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Als negativen Punkt erwähnten sie seine Krankheit; sie befürchteten, dass André die Mitarbeiter zu sehr ablenken könnte. In seinem Inneren kämpfte er mit dem Gedanken, ob er sich über seine Krankheit noch äussern sollte. Aber ihm fehlte es an Motivation. Darauf bewarb sich André als Verkäufer. Wieder scheiterte es an seiner Krankheit. Kundenkontakt sei das Wichtigste. Sein Selbstbewusstsein litt stark darunter. Ihm wurde bewusst, dass er durch das TS eine grosse Einschränkung bei der Lehrstellensuche hat. Er gab nicht auf. Er befasste sich wiederum mit dem Gedanken, eine KV-Ausbildung zu absolvieren. Es folgten viele Bewerbungen in diesem Bereich, in denen er seine Krankheit erwähnte. Doch nichts als Absagen. Ihm war klar, dass es an dem TouretteSyndrom lag. 11


8.2 Brüggli (Werkstatt für Menschen mit einer Behinderung) Philosophie Mit dem Produktions- und Dienstleistungsunternehmen engagiert sich Brüggli vor allem für Menschen mit einer psychischen und/oder physischen Behinderung und/oder sozialbedürftige Menschen, die dem Schulalter entwachsen sind. Das Ziel heisst «berufliche und gesellschaftliche Integration und Rehabilitation». Durch individuelle Förderung werden vorhandene Fähigkeiten mit dem Ziel aktiviert, qualifizierte Arbeit zu leisten, gleich an welchem Ort. Mit dem Angebot im Wohn- und Freizeitbereich wird die Eigenständigkeit und die Eigenverantwortung der BewohnerInnen und BenutzerInnen trainiert. Angebot für die Wirtschaft Die Wirtschaft soll Brüggli an unternehmerischer Kompetenz und entsprechend hochwertigen und vielseitigen Produkten und Dienstleistungen erkennen. Die wichtigsten Merkmale sind Innovation, Qualität und Kundenorientierung. Mit eigenen Produkten ist Brüggli auch im internationalen Markt aktiv. Brüggli ist ein modern geführtes Unternehmen mit den Geschäftsbereichen Industrie (Mechanik, Montage und Textil), Multimedia (Informatik, Druckerei und Buchbinderei), Gastronomie und Wohnen – basierend auf einem kundenorientierten Führungs- und Mitarbeiterteam, einer leistungsfähigen Infrastruktur, virtuellen Netzwerken und kompetenten Partnern. Brüggli kann auch über die angestammten Geschäftsbereiche hinaus aktiv werden.

Mehr Informationen erhalten Sie unter www.brueggli.ch

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8.3 Lehrstelle

8.5 Berufsschule

Erstmals bekam André die Chance vom Brüggli, eine

André besucht die öffentliche Berufsschule in

Schnupperwoche zu absolvieren. Berufe wie Polygraf,

Weinfelden. Auch hier lernten seine Mitschüler schnell

Electronic Publisher und kaufmännisch Angestellter

mit seiner Krankheit umzugehen.

wurden ihm vorgestellt. Alle Berufe sprachen ihn an.

Sich zu konzentrieren bereitet ihm bei längerem Lesen

Kurz darauf erhielt er die Stelle im Bereich KV, wo-

(vor allem Rechtskunde) grosse Mühe. Durch seine

rüber er überglücklich war und wodurch er nun

Tics wird er ständig unterbrochen und muss so ganze

Chancen für seine berufliche Zukunft sah.

Texte nochmals von vorne beginnen. Wie viele ist

Der Umzug von Sargans nach Romanshorn war der

auch André sehr nervös bei Prüfungen. Das zeigt sich

einzige negative Punkt. Darum fährt André praktisch

bei ihm durch viele kleine Striche auf seinen

jedes Wochenende zu seiner Familie und seinen

Prüfungsblättern.

Bandkollegen.

André befasst sich mit den Gedanken, wie er seine Krankheit und die Lehrabschlussprüfung, die er diesen

8.4 Mitarbeiter

Frühling antritt, unter einen Hut bringt. Er denkt, dass seine Mitschüler durch ihn zu sehr abgelenkt werden,

Im Grunde genommen hat André wenig Probleme bei

darum ist es Andrés Wunsch, separat in einem

der Arbeit und mit den Mitarbeitern. Ausgenommen

Zimmer die LAP durchzuführen.

in ruhigen Zeiten verstärken sich seine Tics. Daher kann er sehr laut werden. Probleme von ein paar Mitarbeitern gegenüber seiner Krankheit traten nur im ersten Lehrjahr auf. Sie lachten über ihn und empfanden seine Tics als störend. Daraufhin fragte er sie: « Wieso seid denn ihr hier im Brüggli?» (Da das Brüggli nur Arbeiter einstellt, die psychische, physische oder soziale Probleme haben.) Sie erzählten ihm ihre Geschichte, worauf er als Antwort nur lachte. Seit dieser Situation liessen sie ihn in Ruhe, da ihnen klar wurde, dass sie genau so an einer Krankheit leiden wie er. Heute ist es so: wenn neue Leute eingestellt werden, begegnen sie ihm mit Respekt und fragen direkt nach. André ist gegenüber seines Tourette-Syndroms sehr offen und klärt sie bereitwillig auf. 13


9. ZUKUNFT

«Hinaus in die ‹normale› Arbeitswelt...», stellt sich André vor. Er weiss jedoch, dass es für ihn besonders schwer sein wird. Optimistisch eingestellt, macht er sich keine grossen Gedanken darüber. Seine Devise heisst: «ÜBERZEUGEN, SICH DURCHSETZEN und SELBSTBEWUSST an die Sache gehen.» Chancen errechnet er sich bei zwei Firmen (Firmengründung) in Lichtenstein und Sargans, die auf den Sommer KV-Stellen anbieten. Dort könnte er Erfahrungen sammeln und in seinem erlernten Beruf weiter kommen. IV beziehen will André auf keinen Fall mehr. Er würde daher auch einen Job annehmen, der ihn nicht wirklich anspricht. Natürlich hat auch André grosse Träume in seinem Berufsleben. Am liebsten würde er mit seiner Band Tag und Nacht auf der Bühne stehen und «live on Tour» gehen. Dieser Traum könnte als Kaufmann bei einer Musikfirma seinen Anfang finden. In seiner Vorstel-lung würde er dort verschiedene Bands managen. So könnte er seine privaten Kenntnisse mit seinem Beruf kombinieren. Wie alle Tourettis wünscht sich André für seine private Zukunft, einmal zu erfahren, wie es ist, ohne das Tourette-Syndrom zu leben.

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10. WANN KOMMEN DIE TICS BEI ANDRÉ ZUM VORSCHEIN?

11. WIE GEHT ANDRÉ MIT SEINER KRANKHEIT UM?

Es gibt unterschiedliche Situationen, wann das TS

Das Tourette-Syndrom zwingt den Betroffenen etwas

stärker oder schwächer auftritt. Eine Verstärkung zeigt

zu tun (z.B. schreien, bewegen...usw.). André hat sich

sich in Trauersituationen, Depressionen, Kummer

selber beigebracht, die Krankheit zu unterdrücken.

(Liebeskummer) oder beim Empfinden von Freude und

Was, wie er sagt, nicht empfehlenswert ist. Wenn ein

Überraschung. André hat festgestellt, dass es

Tic unterbrochen wird, folgt er später um so stärker.

zunimmt, wenn zum Beispiel die Ferien beginnen.

Deshalb unterdrückt André seine Tics nur in Notfällen.

Üblicherweise gehen die Tics bei zunehmender

Bei einem Gespräch, wie in diesem Interview, hat er

Konzentration zurück. Bei ihm ist es genau gegen-

gelernt, automatisch das Schreien zum Beispiel in ein

sätzlich. Er kann zum Beispiel keine längeren Bücher

Augenzwinkern umzuwandeln. Den Bewegungs-

lesen. Da er sich dabei sehr konzentrieren muss,

drang kann er nicht unterdrücken, daher fällt ihm

verstärken sich seine Tics. Der Drang etwas anderes

ruhiges Sitzen sehr schwer. Es gibt jedoch Situationen,

zu machen wird grösser.

in denen seine Tics sehr stark werden. Er wandelt sie vom Schrei zum Biss in die Zunge oder Backe um, um weniger störend auf seine Mitmenschen zu wirken. Es gibt auch Zeiten, in denen er nicht auf die Reaktionen der Leute Rücksicht nehmen kann oder will, was durchaus sehr verständlich ist. André nimmt seine Krankheit bemerkenswert locker auf. Er ist sich bewusst, mit dieser Krankheit leben zu müssen. Im ersten Augenblick reagieren Menschen auf ihn sehr skeptisch, da sie nicht wissen, dass es sich um eine Krankheit handelt und keine Provokation ist. Die einzige Möglichkeit sieht André darin, diese Menschen über seine Zwänge aufzuklären. Ein extremes Beispiel auf seine Krankheit aufmerksam zu machen ist:

Zitat Vor etwa 2 Jahren ging ich auf die Strasse und habe extra meine Laute von mir gegeben – extrem laut – um mal ein wenig Aufsehen zu erregen. Die Menschen blickten mich mit grossen Augen und offenem Munde an und ich ging zu fast jedem hin und sagte: «Hey man, ich leide am Tourette-Syndrom! Merkt euch das!» Ja, eine verrückte Sache war die Aktion...aber eine gute Idee, nicht? 15


12. WAS ANDRÉ NOCH SAGEN MÖCHTE

Text von André Wichtig ist es vor allem, dass man die Menschen mit dem TS akzeptieren muss. Alles andere bringt nichts! Und man darf die Krankheit nicht unterdrücken, ausser in wirklichen Notfällen; diese kennen die Betroffenen sicher. Dies sind ein paar Tipps von mir, welche ich alle aus Erfahrung gelernt habe. Tipps für Tourettis: Versuche nie, deine Tics zu unterbrechen, weil du dich schämst oder Angst hast, denn wenn die Tics unterbrochen werden (also von dir gesteuert), dann kommen sie später doppelt und dreifach so stark oder noch stärker zum Vorschein. Wenn es sein muss, ja, aber versuche dies möglichst wenig zu tun! Du kennst ja deine Notfälle! Wenn du jemanden kennen gelernt hast, so sage es ihm/ihr nicht zu spät, dass du unter dem TS leidest. Sage es demjenigen/derjenigen früh und erkläre es kurz! Ansonsten kann es sein, dass sich diese Person aufregt, dass du es ihm/ihr nicht früher gesagt hast. Wenn du noch in der Schule bist, sage es auch der ganzen Klasse von Anfang an, damit sie darüber Bescheid weiss, mit was für einer besonderen Person sie es zu tun hat. Schämst du dich zu fest, so arrangiere einen Psychiater, der das mit dir zusammen und mit der Klasse bespricht! Ignoriere andere Personen, die dich hänseln, und rege dich nicht darüber auf. Lache zurück oder erkläre diesen Personen, woran du leidest! Du solltest es nicht bereuen, dass du mit dieser Krankheit leben musst, denn du kannst nichts dafür! Rein gar nichts! Lebe dein Leben so, dass es dir Spass macht und dass du dich nie zurückziehen musst. Man lernt mit dem TS umzugehen. Vergiss nicht, dass Tourettis etwas Besonderes sind, weil sie oft ein extremes Schicksal zu bestehen haben und sie dies zu besonderen Persönlichkeiten formt.

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12.1 Tipps an Eltern von Kindern und Jugendlichen, die an dem Tourette-Syndrom leiden Sie sollten ihrem Kind nie sagen, dass es ruhig oder nicht so nervĂśs sein soll, denn das kann fĂźr ihr Kind depressive Folgen haben! Helfen Sie ihrem Kind so lange, bis es ihm selbst bewusst wird, mit was es leben muss. Auch in schwierigen Situationen wie zum Beispiel bei Schul- oder Klassenwechsel, am Anfang einer Berufslehre usw. Denn es braucht Sie! Machen Sie ihrem Kind Mut, wenn es sich depressiv fĂźhlt, denn diese an Tourette erkrankten Kinder sind etwas ganz Besonderes!

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13. SCHLUSSWORT VON MIR

Meinen grössten Dank möchte ich André aussprechen, dass er sich bereit erklärt hat, mich in sein Leben mit dem Tourette-Syndrom einzuweihen. Es wird stets eine Herausforderung sein – privat wie auch in der Arbeitswelt, auf jedem Schritt seines Weges. Durch meine Arbeit über André wurde mir bewusst, dass dieses Tourette-Syndrom in unserer Umwelt viel zu wenig bekannt ist. Es wird zu wenig über diese Krankheit informiert. Auch ich konnte anfangs diese Tics nicht wirklich einordnen, doch wurde ich durch André bestens aufgeklärt. Ich habe gelernt, den sogenannten Tourettis natürlich zu begegnen, und hoffe, dass ich mit meinem Bericht der Gesellschaft die Akzeptanz gegenüber den Betroffenen weitergeben und steigern kann. Auch wenn nur ein kleines Stück.

André, vielen Dank!

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14. MEINE FRAGEN/STICHWÖRTER AN ANDRÉ

1. Kindheit Wie verlief deine Kindheit? Verhältnis zu den Eltern/Geschwistern? Familienverhältnis? Erziehung streng? Erzähle… 2. Jugend Welche Schulen hast du besucht? Verhältnis zu den Lehrern/Schülern? Was für ein Kollegenkreis? Beliebt oder eher ein Aussenseiter? Was beschäftigte dich am meisten? Hobbies/Interessen? Ausgang? Erzähle... 3. Krankheit Was hast du genau? Wann hat es angefangen? Was lief in dir ab? Hast du es wahrgenommen? Wie kam es dazu? Was passierte genau? Umgang früher damit? Umgang heute? Wie reagiert die Gesellschaft? Was hat sich am meisten verändert seit dem Vorfall? 4. Berufswahl Wie verlief deine Berufswahl? Brauchtest du Hilfe? Hatte die Krankheit grosse Folgen für deine Berufswahl? Was lernst du genau? Wolltest du das schon immer werden? Konntest du frei entscheiden? War es besonders schwierig für dich eine Stelle zu finden? Wie kamst du auf den Betrieb Brüggli? Wie lief das alles ab? Erzähle...

5. Arbeit Freude am Beruf? Fehlt dir etwas? Wie fühlst du dich bei der Arbeit? Wo liegen die grössten Probleme? Wie ist die Zusammenarbeit mit deinen Mitarbeitern? Gibt es Gefahren? Wie ist die Akzeptanz? Wo gehst du in die Berufsschule? Öffentlich oder intern? Reaktionen von Mitschülern? Wann hast du den Abschluss? Wie fühlst du dich in der Arbeiter-Gesellschaft? Im Vergleich zu andern? Chancen berufliche Karriere zu machen? Willst du das? Wünscht du dir, nach der Lehre in einem «normalen» Betrieb zu arbeiten? Erzähle... 6. Zukunft Wie sieht deine berufliche Zukunft aus? Hast du besondere Ziele in deinem Leben? Was ist dir besonders wichtig? Wie geht es weiter – auch im Hinblick auf deine Krankheit? Erzähle...

Kommentar zu den Fragen und Stichwörtern: Ich wollte André nicht einfach tausende von Fragen stellen, die er vielleicht mit Nein oder Ja beantworten kann. Mir war wichtig, dass es zu einem persönlichem Gespräch kommen konnte und der Verlauf des Interviews nicht oberflächlich wirkte .

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15. QUELLENVERZEICHNIS

Anfrage wegen André: Brüggli Produktion und Dienstleistung Hofstrasse 5, 8590 Romanshorn 071 466 94 94 Kontaktperson: Herr Berini Projektarbeit von Carmen Fischer, Güttingen Gespräch mit André auf Ton-Kassette www.tourette.ch www.brueggli.ch www.google.ch: tourette-syndrom www.tripledeath.com Bericht: Das Tourette-Syndrom von André 2002 Brüggli Konzept, freigegeben am 04.02.2004 Basis-Informationen zu Ticstörungen von Prof. Dr. Dr. med. Steinhausen http://www.tourette.ch Das Tourette-Syndrom von Hermann Krämer – Speyer am Rhein http://www.tourette.ch Tourette Gesellschaft Schweiz Sekretariat Frau Lilo Finschi Postfach 533 CH-6343 Rotkreuz Fotoalbum von klein André: Andrés Mutter

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TOURETTE


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