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Vorwort Liebe Leserinnen und Leser von Bibel für heute, als der Reformator Martin Luther im Februar 1546 starb, fand man neben seinem Bett einen Zettel, auf dem stand: „Die Heilige Schrift meine niemand genügsam geschmeckt zu haben, er habe denn hundert Jahre lang mit Propheten wie Elias und Elisa, Johannes dem Täufer, Christus und den Aposteln die Gemeinden regiert. Versuche nicht diese göttliche Aeneis, sondern neige dich tief anbetend vor ihren Spuren! Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Diese Worte sind so etwas wie ein Vermächtnis des großen Reformators, das einerseits von seiner großen Ehrfurcht gegenüber der Heiligen Schrift zeugt und andererseits den unerschöpflichen Reichtum der Bibel zum Ausdruck bringt. Selbst wenn wir ein Leben lang Tag für Tag in der Bibel lesen, bleiben wir Bettler, die darauf angewiesen sind, dass Gottes Wort den Geist erfrischt und die Seele satt macht. Stets werden wir neu überrascht werden, welche nahrhafte Speise die Bibel für uns bereithält: mal Honig oder Milch, die uns leicht runtergehen, und ein andermal Schwarzbrot, an dem wir kräftig zu kauen haben. Auch 2016 möchte Bibel für heute Ihnen wieder helfen, sich von der Bibel wie Bettler beschenken zu lassen und satt zu werden. Mehr als 50 Autorinnen und Autoren aus Kirche, Freikirchen, Werken und Verbänden haben dabei mit ihren Auslegungen, Impulsen und Fragen Gottes Wort als Speise so zubereitet, dass es für Sie bekömmlich ist und Sie sich nicht daran verschlucken müssen. Wir wünschen Ihnen jeden Tag neu einen gesunden Hunger nach Gottes Wort und dass Sie im Meditieren des jeweiligen Bibeltextes rundherum satt und gestärkt werden. Uwe Bertelmann (Redaktion der Auslegungen des AT) Klaus Jürgen Diehl (Redaktion der Auslegungen des NT)
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Paulus, der Verfasser des Briefes, war insgesamt dreimal persönlich in Korinth. Er hat durch seine Predigttätigkeit die dortige Gemeinde begründet und sich bei seinem ersten Besuch im Jahr 51 18 Monate lang in der Stadt aufgehalten (Apg 18,117). Mindestens vier Briefe hat Paulus in der Folgezeit an die Gemeinde geschrieben, es sind aber nur zwei erhalten geblieben. Vor dem 1Kor hat die dortige Gemeinde bereits ein Schreiben des Apostels erreicht, wie wir aus Kap. 5,9 wissen. Zwischen dem 1Kor und dem 2Kor muss ein weiteres Schreiben verfasst worden sein, wie man aus 2Kor 2,4 erkennen kann. Korinth war eine der bedeutendsten Handelsstädte des Römischen Reiches. Der 1Kor gibt anschaulich Einblick in die sozialen Verhältnisse der Einwohner und der christlichen Gemeinde (1,26-31). Die Gemeinde bestand vornehmlich aus „kleinen Leuten“. Die Stadt genoss einen zweifelhaften Ruf. So bunt, wie sich die Stadt darstellt, war auch die Gemeinde. Einerseits ist sie mit vielen geistlichen Gaben (Charismen) beschenkt, andererseits krankt sie unter vielen sittlichen Verfehlungen, fehlender Einmütigkeit und mangelnder Bruderliebe.
A pri l
Der erste Korintherbrief
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Wer vom Ideal der perfekten urchristlichen Gemeinde träumt, wird durch die Korintherbriefe eines Besseren belehrt. Paulus erweist sich gerade in der Art, wie er die verschiedenen Nöte angeht, als ein begnadeter Seelsorger und geistlicher Steuermann. Acht Problemfelder spricht er in seinem Schreiben an: 1. Die Gemeinde ist von Spaltungen bedroht, weil sie sich an die Boten des Evangeliums hängt und nicht an deren Botschaft (Kap. 1–4). 2. Die laxe Haltung gegenüber sittlichen Verfehlungen breitet sich aus wie ein Geschwür (Kap. 5 und 6,12-20). 3. Man schämt sich nicht, vor heidnischen Richtern Rechtsstreitigkeiten mit Gemeindegliedern auszutragen (6,1-8). 4. Die christliche Freiheit steht zur Diskussion, als Gemeindeglieder Götzenopferfleisch als billige Mahlzeit einkaufen (Kap. 8–10).
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5. Die Gottesdienstordnung (11,1-16). 6. Die Bedeutung des Abendmahls (11,17-34). 7. Eine Bewertung und der Gebrauch der Geistesgaben (Charismen), (Kap. 12–14). 8. Die von Einzelnen bezweifelte Auferstehung von den Toten (Kap. 15).
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Freitag, 3. Juni
1. Korinther 15,1-11
In diesem Kapitel geht es Paulus um die zentrale Frage der Auferstehung. In Korinth gab es ernst zu nehmende Stimmen, welche eine Auferstehung der Toten grundsätzlich infrage stellten. Paulus antwortet darauf sehr fundamental, indem er die Gemeinde an ihren Glaubensweg erinnert. Verkündigen – annehmen – fest stehen (V 1) – diesen Dreierschritt stellt Paulus voran. Aber zur Rettung gehört auch, das Evangelium nun als Viertes wirklich festzuhalten (V 2), und zwar mit dem Inhalt, der ihnen von Anfang an vermittelt wurde. ●●Ein Inhalt, den Paulus nicht selbst erfunden hat. Er selbst war Empfänger, um an andere weiterzugeben. Die hier verwendeten Verben sind Fachausdrücke (V 3) für den gewissenhaften Umgang mit vorgeprägten Texten. Paulus zitiert aus einem Bekenntnis der urchristlichen Gemeinde. Er will keinen Zweifel daran lassen, auf welch gutem Fundament der Glaube der Korinther ruht.
✎✎An anderer Stelle wird deutlich, von wem Paulus seine Verkündigung empfangen hat: Gal 1,11f erklärt, dass dies aufgrund einer direkten Offenbarung Jesu Christi geschah. Ein guter Moment, um einmal dankbar darüber nachzudenken, wer Ihnen das Evangelium weitergegeben hat. ●●Gestorben für unsere Sünden – begraben – auferstanden, das kann und darf nicht voneinander getrennt werden. Ohne die Auferstehung wäre unsere Erlösung auf halbem Wege steckengeblieben. ●●Auch wenn niemand das Ereignis der Auferstehung Jesu miterlebte, so wird der Auferstandene realiter durch Augenzeugen bestätigt. Aufgrund des jüdischen Zeugenrechtes führen ja auch die Evangelien jeweils mehrere Auferstehungsberichte an. Der zu Jesu Lebzeiten eher ungläubige Jesusbruder Jakobus (Mk 3,21.31) wird nur hier als Zeuge des Auferstandenen benannt. Apostel ist hier wahrscheinlich weitgefasst als „Augenzeuge Jesu“ zu verstehen. Schließlich fügt Paulus sich selbst – demütig aufgrund seiner Geschichte – und doch auch sehr „gnadenbewusst“ in diese Zeugenkette ein.
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Samstag, 4. Juni
1. Korinther 15,12-19
mit der Paulus nun argumentiert: Wenn aber … kommt insgesamt sechsmal vor (V 12.13.14.16.17.19), auch wenn Luther das in seiner Übersetzung nicht jedes Mal so wörtlich wiedergibt. Alles baut aufeinander auf. Dabei ist nicht ganz eindeutig, welche Auffassung die Gegner des Paulus nun wirklich vertreten: Leugnen sie die Auferstehung des Leibes und hängen einer platonischen Seelenlehre an? Glauben sie enthusiastisch schon im „Endzustand“ eines ewigen Lebens angekommen zu sein? Lehnen sie eine Auferstehung der bisher Verstorbenen ab? Und merken dabei gar nicht, was das in Bezug auf Jesus bedeuten würde? ●●Paulus stellt diesen Zusammenhang sofort her. Wer die Auferstehung der Toten leugnet, muss auch Jesu Auferstehung leugnen (V 13). Und das hat schlimmste Konsequenzen: Die Verkündiger der Auferstehung ständen als Lügner und Betrüger da (V 15); die christliche Kirche wäre das größte Schwindelunternehmen der Weltgeschichte. Vor allem würde der christliche Glaube dann jeglichen Sinn verlieren (V 14.17). Die Macht der Sünde wäre nicht durchbrochen (V 17) und nichts hätte die Verlorenheit (V 18), die Trennung aller Menschen von Gott, aufgehoben.
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●●Schon die Wortwahl zeigt die durchgängige Beweiskette,
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✎✎Deshalb taugt der christliche Glaube auch nicht als diesseitige „heile Welt Ethik“. Es gab immer den Versuch, Glaube auf barmherzige, gute Taten in dieser Welt zu reduzieren. Aber die Botschaft des Evangeliums ist mehrdimensional. Sie bezieht sich auf das Leben hier, aber sie tut dies aus der Dimension der Ewigkeit. Christen sind noch nicht am Ziel. Die biblische Zukunftshoffnung tröstet angesichts des Leids und der offenen Fragen unserer Welt und sie ist der Rückenwind, mit dem wir uns als Christen in dieser Welt einsetzen. Wer eine dieser beiden Perspektiven vernachlässigt, beginnt, glaubensmäßig zu schielen. Reduktion auf das Diesseits und Verliebtheit ins Jenseits sind gleichermaßen beliebte christliche Sehstörungen. Wie ist das bei Ihnen?
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Sonntag, 5. Juni
Psalm 36
●●Der Ehrentitel Knecht des HERRN findet sich nur noch in Ps 18 in einer Überschrift. Ps 18 beschreibt viele Aspekte von David. Sollen wir das bei unserem Psalm im Blick behalten? ●●Der Psalm beginnt in V 2 recht ungewöhnlich: Das erste Wort wird sonst im AT fast nur mit Gottesnamen gebraucht (Ausspruch des HERRN oder der HERR spricht). Damit werden in unserem Psalm wohl die prägende Macht und der weichenstellende Einfluss der Auflehnung gegen Gott unterstrichen. ●●Ausgemalt wird dies in V 2-4 entlang bestimmender „Körperteile“ wie Herz, Mund und Augen – vgl. ELB: Es ist keine Furcht Gottes vor seinen Augen … (V 2). Lüge und Betrug sind die Worte seines Mundes … (V 4) –, was dann auch in der Bitte in V 12 (Hand und Fuß der Gottlosen) zu finden ist. ●●Das Leben dieser Menschen (die verallgemeinernden Formulierungen in V 4-5 legen nahe, dass diese Beschreibung nicht auf einen einzelnen Menschen zu beschränken ist) ist geprägt von der Auflehnung gegen Gott: Sie fürchten Gott nicht, das heißt sie erkennen Gott nicht als Gott an und bringen ihm weder Ehre noch Respekt entgegen. ●●Dem stellt David die Treue Gottes entgegen (V 6.8), seine Gerechtigkeit (V 7), seine Fürsorge (V 8-9) und nicht zuletzt die Einsicht bzw. das Bekenntnis: Die Quelle des Lebens ist bei Gott zu finden (V 10). Geprägt von ihm erkennen wir, was sein Wille ist und was dem Leben nach Gottes Willen dient (vgl. Ps 43,3). Das ist ein kaum zu überbietender Kontrast zu den ersten Versen des Psalms.
✎✎Wovon lassen wir uns prägen? Suchen wir das Licht Gottes, um seinen Durchblick geschenkt zu bekommen? ●●Der Kontrast der beiden Abschnitte mündet in der Bitte um Gottes Treue und Gerechtigkeit (V 11), weil der Beter darauf angewiesen ist. Er kennt Gott und sucht mit ganzem Herzen nach dem Willen Gottes zu leben, auch wenn es nicht sündoder fehlerlos gelingt.
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Montag, 6. Juni
1. Korinther 15,20-28
●●Jetzt aber! Nach dieser Gedankenführung ist es für Paulus
✎✎„Mit dem Tod ist alles aus.“ „Es ist noch keiner zurückgekommen!“ So lauten die „Glaubensbekenntnisse“ vieler Menschen heute. Wie können wir, vom Evangelium her, gewinnend und achtsam auf derartige Aussagen reagieren? Achtung: „Die Bibel sagt aber“ … genügt als Antwort dabei nicht! ●●Die Verse ab V 23 mögen uns eher weniger wichtig erschei-
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mit dem wenn aber vorbei. Christus ist auferstanden und diese Auferstehung ist nichts Singuläres, sondern eine „Erstlingstat“, der weitere folgen werden (V 23f). Darauf kommt es Paulus hier an. Er spricht von zwei universalen Ereignisketten, die alle Menschen betreffen. Durch Adam (V 21f) kam der Tod als Lohn der Sünde (Röm 6,23) und nun kommt ebenso durch Christus das Leben als Folge seiner Auferstehung. Paulus spricht hier nicht nur von der Auferstehung der Christen, sondern von der Auferstehung aller Menschen.
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nen. Aber Paulus ist wesentlich, dass das Planvolle des göttlichen Handelns erkennbar wird. Für Ordnung steht im griechischen Text das Wort tagma; ein Begriff aus der Militärsprache, der eine Abteilung bzw. ein Truppenteil bezeichnet. Gemeint ist: Die Auferstehung vollzieht sich abteilungsweise. Am Ende wird Gott alles in allem sein (V 28). Er ist der Urheber der Auferstehung; er hat Christus auferweckt; er ist das ewige Ziel. Und bis dahin, bis Christus sich dem Vater selbst unterordnet bzw. ihm untertan ist, – (so Luther; man beachte die Bedeutung dieser Aussagen für unser Verständnis der Trinität!) – geschieht Geschichte nicht zufällig. ●●Bei Christi Wiederkunft werden zuerst die lebendig, die zu ihm gehören. Karl Heim übersetzt zu Beginn von V 24 nicht: danach das Ende, sondern: danach der Rest als schwach bezeugte, aber immerhin mögliche Variante des griech. telos. Bei dieser Lesart würden die nicht zu Christus Gehörenden erst am Ende des messianischen Zwischenreiches auferweckt, wenn Christus dieses Reich seinem Vater übergibt und den Tod endgültig vernichtet hat (Offb 20,11ff).
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Dienstag, 7. Juni
1. Korinther 15,29-34
Von der himmlischen Perspektive wendet Paulus sich jetzt wieder sehr irdischen Dingen, genauer: der Situation in Korinth zu und fügt einige weitere Argumente an. ●●Sich für die Toten taufen lassen (V 29) ist schwer verständlich. Am sinnvollsten erscheint die Auslegung, dass damit der Märtyrertod gemeint ist, denn schon Jesus sprach von seinem Tod als Taufe (Lk 12,50). Was hat der Märtyrertod für einen Sinn, wenn es kein Leben nach dem Tod gibt? Welchen Sinn hat es dann, dass Paulus sich unter Lebensgefahr für die Verkündigung des Evangeliums einsetzt? 2Kor 11,23ff nennt ja einige der Gefahren, denen Paulus als Zeuge Christi ausgesetzt war, ohne sich deshalb besonders hervorheben zu wollen (V 31). ●●Das Kämpfen mit wilden Tieren (V 32) ist wohl eher übertragen zu verstehen. Als römischer Bürger durfte Paulus nicht zum Kampf in der Arena verurteilt und den Löwen vorgeworfen werden. – Ohne Auferstehung der Toten macht die Parole des ungehorsamen Israel Sinn (Jes 22,13): Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot! ●●Die beiden Schlussverse unseres Abschnitts bieten konkrete Ratschläge: Achtet auf euren Umgang, rät er den Korinthern, indem er aus der Komödie „Thais“ des griechischen Komödiendichters Menander zitiert, und gebt euch nicht mit Auferstehungsleugnern ab (V 33). Und ebenso ist Paulus Nüchternheit ganz wesentlich. Am Evangelium bleiben und eigene Erkenntnis (1Kor 3,18) nicht mit Gotteserkenntnis verwechseln.
✎✎Es ist sehr bewegend, wie Paulus die Botschaft vom Leben mit der Signatur des Leidens verbindet. In der Tat ist es ein Anzeichen von Schwärmerei, wenn wir nicht wahrhaben wollen, dass dieses irdische Leben, bei aller Schönheit, auch leidvoll und schmerzhaft ist. Gerade in der Nachfolge. Diese Sicht gilt es festzuhalten – sie verbindet sich geistlich reifend mit der Auferstehungshoffnung und bewahrt davor „abzuheben“. Sind Sie noch mit diesem Doppelklang unterwegs?
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Mittwoch, 8. Juni
1. Korinther 15,35-49
●●Nun setzt sich Paulus mit dem gängigsten Widerspruch aus-
✎✎Ist das nicht wunderbar, wie Paulus hier die Vergänglichkeit, die Befleckung und die Schwachheit des Leibes nicht leugnet, sich aber zugleich nicht alleine davon bestimmen lässt? (V 42-44). Es lohnt sich neu, darüber nachzudenken, wie realistisch wir uns selbst sehen und was uns Mut macht, auch unsere Unzulänglichkeiten anzunehmen!
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einander: Jeder weiß, wie schnell ein Leib verfällt und allenfalls ein Häuflein Staub von ihm übrig bleibt. Mit welchem Leib sollten dann die Verstorbenen auferstehen? Diesen ernsthaften Einwand der Korinther beantwortet Paulus mit einem Hinweis auf die Botanik (V 36-38): Der Tod des Leibes ist kein Einwand gegen die Auferstehung, denn aus dem wunderbaren Vorgang in der Natur sieht man, dass Gott das sterbende Samenkorn neu zum Leben erweckt und etwas ganz Neues daraus schafft. Und Gott hat viele Möglichkeiten, wie man in der Natur und im Kosmos sehen kann (V 39-42). Erstmals spricht Paulus in V 44 von einem psychischen (Luther: natürlichen) Leib und einem geistlichen Leib.
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●●Mit Bezug auf 1Mo 1,27 und 2,7 bestimmt Paulus die Beschaffenheit des ersten Menschen als psychisch. Dieser ist ebenso eine Schöpfung Gottes wie der geistliche Leib. Wahrscheinlich setzt sich Paulus in der Betonung dieser Reihenfolge (V 46) mit einer Allegorie des jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien auseinander, der den seelischen Leib nach einem geistlichen Urbild geschaffen sehen wollte. Der erste Leib beruht auf der Nachkommenschaft Adams, der zweite auf der Nachkommenschaft Christi (Phil 3,21) und so gewiss Menschen den ersten Leib erhalten, so werden sie durch die Schöpferkraft Gottes auch den himmlischen Leib erhalten (V 47-49). Paulus argumentiert immer wieder so, dass aus der Existenz von etwas Vorfindlichem auch auf die Existenz von etwas anderem/ Höheren geschlossen werden kann. Für uns ist das gewöhnungsbedürftig, aber durch die botanischen Beispiele hier ist es gut belegt.
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Donnerstag, 9. Juni
1. Korinther 15,50-58
●●Gegenüber der im Jüdischen vertretenen Auffassung, dass der Mensch nach seiner Auferstehung genauso wiederhergestellt wird, betont Paulus noch einmal: Diese beiden Welten und Seinsweisen haben nichts miteinander gemein. Gott schafft etwas völlig Neues (V 50). Paulus verbindet diese Erkenntnis mit seiner Erwartung, dass das endzeitliche Geschehen unmittelbar bevorsteht. Eine der apokalyptischen Posaunen wird erschallen und dann wird sich dieser Prozess der Neuschöpfung vollziehen.
✎✎Jede Generation der Christenheit erwartet diesen Posaunenklang zu ihrer Zeit. Das ist ein Wesensmerkmal lebendigen Glaubens. Es ist wichtig, in dieser Erwartung zu leben und zugleich „bei der Arbeit“ zu sein (lesen Sie dazu Mt 25,1-30). Jesuserwartung macht nicht weltflüchtig, sondern welttüchtig. ●●Die Neuschöpfung lässt die biblischen Worte aus Jes 25,8 und Hos 13,14 in Erfüllung gehen (V 54). Der Stachel ist entweder das giftige Werkzeug eines Skorpions oder der Stab eines Viehhirten mit dem er die Herde antreibt. Die Sünde drängte unaufhaltsam in Richtung Tod und das Gesetz macht dieses Treiben (!) offensichtlich. Paulus kann nur voller Dankbarkeit ausrufen, dass Jesus Christus den Sieg über den Tod errungen hat (V 57), der nun für alle gilt, die zu ihm gehören (Röm 8,2). Am Ende steht wieder die Ermutigung, dieses wunderbare Fundament nicht zu verlassen und standhaft und treu der eigenen Berufung zu folgen. Für vergeblich steht in der lat. Vulgata-Übersetzung das Wort frustra: Christen haben also in allem Tun keinen Grund, frustriert zu sein.
✎✎Paulus hat mit diesem Kapitel einen unvergleichlichen Bogen geschlagen. Kein „mit dem Tod ist alles aus“, kein „die Seele ist unsterblich“, sondern eine Ewigkeit in Leiblichkeit, die in einem zweiten Schöpfungsakt durch das Erlösungsgeschehen Jesu Christi an allen, die an ihn glauben, vollzogen wird. Welch ein Ausblick – welch eine Theologie. Es ist kostbar, dem nachzudenken und es immer wieder ins eigene Leben zu übersetzen. 172
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