Schur, Brigitte: Die Welt ist nicht genug. Olav Hanssen – ein Pilgerleben

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Den Weggefährten

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a i l r e e as Mat B n tes e n z n t u ü r B ch s – e is ht-g t n Fo yrig p Co


Brigitte Theophila Schur mit Olav Hanssen jun.

Die Welt ist nicht genug Olav Hanssen – ein Pilgerleben l a i l r e e s t a a B sM n e te n z n t ru chü mit der B Eine Co-Produktion – ges s i Koinonia Gethsemane/Gethsemanebruderschaft t tn h o g i F r y p Co


l a i l r e e s t a a B sM n e te n z n t Bibliografische Information ü Nationalbibliothek ru derchDeutschen B s in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte biblioDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet – diesegPublikation e s i t Datenhsindt- im Internet über www.dnb.de abrufbar. grafische n o ig F r y p Co Die Bibelstellen wurden folgender Übersetzung entnommen: Lutherbibel © 1984 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

© 2015 by Fontis – Brunnen Basel Umschlag: Georg & Renate Lehmacher Foto Umschlag: Brigitte Theophila Schur/Barbara Hanssen Buchgestaltung und Satz: Atelier Georg Lehmacher, Friedberg, Bayern Gesamtkonzept: Brigitte Theophila Schur / Koinonia Gethsemane Druck: Finidr Gedruckt in der Tschechischen Republik ISBN 978-3-03848-069-3


Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Kapitel 1 – Welt der Kinderjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Kapitel II – Aufbruch zur Pilgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Kapitel III – Jugendführer auf schmalem Pfad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Kapitel IV – Im Dunkel das Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Kapitel V – Zwischen Wissenschaft und Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Kapitel VI – Ein Lehrer des Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Kapitel VII – Die Einheit von Wort und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Kapitel VIII – Der Ruf nach innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Kapitel IX – Im Garten Gethsemane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

l a i l r e e s t 111 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a a B M n tes e n z n t u ü r B ch s – e is ht-g t n Fo yrig p Co Kapitel X – Die Welt ist nicht genug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106


«Wenn Gott einen Menschen ruft, dann ist es immer so, dass er im Irdischen nicht mehr ganz zu Hause ist.»

Olav Hanssen

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ie Welt ist nicht genug: Viele Menschen spüren das. Sie machen sich auf den Weg. Pilgern ist wieder angesagt. Doch wer nur mit den Füßen läuft, bleibt innerlich zu Hause. Pilgern ist vor allem eine geistige Haltung dem Leben gegenüber, eine «Kunst zu leben» (Olav Hanssen). Der Pilger ist ein Sehnsuchtsmensch – auf der Suche nach Schönheit, Wahrheit, Einheit und Ewigkeit. Und deswegen findet er in nichts Irdischem volle Genüge. Denn alles Schöne ist vergänglich und alle Erkenntnis relativ. Was die Welt ihm bieten kann, ist nie genug. Seine Sehnsucht kommt erst zur Ruhe, wenn er in Gott alles findet. Olav Hanssen war ein solcher Sehnsuchtsmensch. Sein Leben, das nahezu das ganze 20. Jahrhundert umfasst, ist gekennzeichnet durch spannende Wegabschnitte, vom Jugendführer im inneren Widerstand bis hin zum Gründer einer evangelischen Bruderschaft und Mönch – seiner Zeit immer ein paar Schritte voraus. Eine Inspiration für uns alle.


«Wenn Gott einen Menschen ruft, dann ist es immer so, dass erist nicht genug: Die Welt Menschen spüren das. im Irdischen nichtViele mehr ganz Sie machen sich auf den Weg. Pilgern ist wieder angesagt. zu Hause ist.» Doch wer nur mit den Füßen läuft, bleibt innerlich zu Hause. Olav Hanssen Pilgern ist vor allem eine geistige Haltung dem Leben gegenüber, eine «Kunst zu leben» (Olav Hanssen). Der Pilger ist ein Sehnsuchtsmensch – auf der Suche nach Schönheit, Wahrheit, Einheit und Ewigkeit. Und l er in nichts a deswegen fi ndet i l r e e volle Genüge. Denn s Irdischem t a a B sM n e tealles Schöne ist vergänglich und n z n t ru chü alle Erkenntnis relativ. Was die B – ges s Welt ihm bieten kann, ist nie i t t n h o ig genug. Seine Sehnsucht kommt F r y p erst zur Ruhe, wenn er in Gott Co alles findet. Olav Hanssen war ein solcher Sehnsuchtsmensch. Sein Leben, das nahezu das ganze 20. Jahrhundert umfasst, ist gekennzeichnet durch spannende Wegabschnitte, vom Jugendführer im inneren Widerstand bis hin zum Gründer einer evangelischen Bruderschaft und Mönch – seiner Zeit immer ein paar Schritte voraus. Eine Inspiration für uns alle.


Einleitung Wenn Gott einen Menschen ruft, dann ist es immer so, dass er im Irdischen nicht mehr ganz zu Hause ist. Wer von der Ewigkeit angerührt wird, der wird auf der Erde zunehmend heimatlos.¹ Diese Erfahrung bewirkt zunächst eine Verunsicherung und innere Krise. Denn das normale Leben und diese Welt sind auf einmal fragwürdig geworden, ohne dass die Antwort schon klar zu vernehmen ist. Sie wird erahnt, aber das Ziel steht noch nicht deutlich vor Augen. Dieser Zwischenzustand ist der Ruf in die Pilgerschaft. Die Welt ist dem Pilger nicht mehr genug. Er hat seine irdische Heimat verloren, aber seine himmlische noch nicht gewonnen. Immer wieder haben sich Menschen auf Pilgerschaft begeben, indem sie zu heiligen Orten unterwegs waren in dem Wunsch, dadurch offener zu sein für die Stimme des Heiligen und die heilende, rettende, sinnstiftende Begegnung mit Gott. Auch in unserer Zeit werden die alten Pilgerwege quer durch Europa nach Rom, nach Santiago de Compostela begangen oder die kleinen Pilgerstätten in der Nähe neu entdeckt. Andere Menschen haben ihre Berufung darin gefunden, nicht nur auf Zeit, sondern für den Rest ihres Lebens Pilger zu sein, weil sie erkannten, dass der Mensch seinem Wesen nach in der Welt heimatlos ist. Sie pilgern zeitlebens von Ort zu Ort. Diese Pilger gab es zu allen Zeiten. «Die aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers» zeichnen uns ein anschauliches und eindrückliches Bild einer solchen Pilgerexistenz. Und schließlich gibt es Menschen, die mehr noch als die äußere Pilgerschaft die innere Pilgerschaft erleben, das innere Unterwegssein auf der Suche nach Wahrheit, Sinn, Beständigkeit, Schönheit und Einheit. Ihnen wird alles, was sie in ihrem Leben beginnen, in seiner Vorläufigkeit und Unzulänglichkeit durchsichtig, so dass sie an nichts und niemandem Genüge finden. Sie sind große Liebende, aber in ihrer Liebe maßlos, weil das, was sie suchen, in dieser Welt nicht völlig zu finden und zu realisieren ist. Der große Kirchenvater und Bischof Augustinus hat das treffend ausgedrückt: «Ruhelos ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir.» So gibt es auch Menschen, die im

Alltag in vielfältigen Aufgaben und Verpflichtungen stehen und doch einen inneren Pilgerweg gehen. Diese Biografie zeichnet das Lebensbild von Olav Hanssen, der sich selbst als Pilger verstand. In seinem langen Leben war er viel draußen und zu Fuß unterwegs: in der Jugend beim Wandern, als junger Mann notgedrungen im Krieg in den endlosen Weiten Russlands, später auf Wanderungen mit Rucksack und Zelt quer durch Deutschland allein oder auch zusammen mit seiner Frau oder einem Gefährten, und schließlich im Alter auf den täglichen stundenlangen Spazierwegen in der Nähe des Klosters, in dem er nunmehr lebte. Zur Pilgerschaft wurde dieses Draußensein aber vor allem durch den inneren, geistigen Pilgerweg, durch seine radikale Suche nach Gott. Das Gebet war Ausdruck dieser Pilgerschaft und seine Berufung. Nur so konnte er sich des Ziels in seinem Leben immer wieder vergewissern: Wer ist denn nun in besonderer Weise zu einem Leben des Gebetes berufen? Es ist der Mensch, den seine Sehnsucht und Leidenschaft weit über das hinaustreibt, was Heimat und Besitz, Freundschaft und Ehe, Wissen und Reisen, ja selbst christliche Aktivitäten ihm zu bieten vermögen. Es ist der Mensch, der von einer geradezu metaphysischen Unzufriedenheit ergriffen ist, die nur in der Ewigkeit, in der Gegenwart Gottes zur Ruhe kommt. Er muss beten, oder er verliert den Boden unter den Füßen; er muss beten, oder er ist zum Leerlauf und zur Unfruchtbarkeit verurteilt. Er ist der Mensch, der sich schon in seiner Jugend nicht mit diesem oder jenem abspeisen lässt, sondern der beharrlich alles haben will oder gar nichts, der dementsprechend vom Leben nicht dies oder das, sondern alles erwartet. Es ist der Mensch, der auf der Suche nach der Ewigkeit alles zu bezahlen bereit ist, wenn er nur das Ziel erreicht. Einem solchen Menschen steht es nicht frei, auf ein Leben des Gebetes zu verzichten, denn er hat keine andere Möglichkeit, seine tiefste Sehnsucht zu stillen.² «Heimat und Besitz, Freundschaft und Ehe, Wissen und Reisen, ja selbst christliche Aktivitäten» – all das hat Olav Hanssen in seinem Leben erfahren: eine glückliche Kinder- und Jugendzeit, ein erfolgreiches Ingenieurstudium, die verschworene Jungengemeinschaft in der christlichen Jugendarbeit, die tiefe Geborgenheit in Gottes Liebe trotz Krieg und Gefangenschaft, Freude am wissenschaftlichen Arbeiten während des Theologiestudiums in der Nachkriegszeit, als anerkannter Theologischer Lehrer an einer Evangelistenschule und später an einem Missionsseminar, geliebter und liebender Ehemann und Vater, Gründer einer evangelischen Bruderschaft und nach dem frühen Tod seiner Frau auch Begründer eines Klosters – das sind Stationen auf einem ungewöhnlichen Lebensweg. Doch konnte das alles seine tiefste Sehnsucht nicht stillen. Im Wort Jesu vom Ernst der Nachfolge hat er sich darum unmittelbar wiedergefunden: Jesus hat keinen Talar an und auch

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keine goldene Kette um den Hals, er hat überhaupt «nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann» (Matthäus 8,20). Er ist das Urbild des Pilgers. Er ist nicht Bischof und nicht Professor, er ist auch kein Politiker, er ist «nur» Gottes Sohn.³ «Nur» Kind Gottes sein, nichts sonst, und als Kind Gottes über die Höhen und durch die Tiefen des Lebens ziehen, darin sah er die Berufung des Pilgers. Eine so verstandene Nachfolge und Pilgerschaft führt zu großer Freiheit gegenüber allen Rollen und Identifikationsangeboten, von denen oft genug die Erfüllung des Lebenstraumes erwartet wird und die dann erst recht in abgrundtiefen Enttäuschungen enden. Darum bekam die Geschichte von Gethsemane für Olav Hanssen zentrale Bedeutung. Denn dort im Garten Gethsemane ereignete sich der Gebetskampf Jesu, bei dem alle Lebensenttäuschungen in grenzenloses Gottvertrauen verwandelt wurden: «Mein Vater, nicht wie ich will, sondern wie Du willst!» (Matthäus 26,39). Olav Hanssen erkannte, dass Jesus dieses Gebet auch heute noch betet – nämlich im menschlichen Herzen als seinem Garten Gethsemane. Pilgerschaft bedeutet, dass man sich mit keiner Situation völlig identifiziert. Wer erlebt hat, dass der Garten Gethsemane in ihm selber ist und dass Jesus in ihm betet, der weiß, dass alles, was außerhalb des Gartens liegt, nicht wirklich zu ihm gehört. Deswegen zieh getrost los! Aber identifiziere dich mit nichts Irdischem, wenn du ein Pilger sein willst. Verliere dich nicht in alle möglichen Freuden und verstricke dich nicht in alle möglichen Aufregungen und jeden Ärger. Es ist ja nur ein Weg! Wenn wir das begreifen würden, dann hätten wir die Kunst des Lebens gelernt.⁴ Was bedeutet es, ein Pilgerleben zu führen, wenn der Garten Gethsemane in uns ist und Gott im Herzen schon bei uns? Man kann als Pilger den Glauben verinnerlichen und braucht kein Wanderprediger wie Jesus zu sein, der draußen von Ort zu Ort zieht. Aber man muss, wenn man innerlich ein rechter Pilger ist, wie Jesus frei und unbeschwert und sorglos sein.⁵ Freilich war sich Olav Hanssen auch bewusst, dass die Sorglosigkeit des Pilgers ihre Voraussetzungen im leiblichen Leben und Erleben hat. Er wurde darum als Seelsorger und Lehrer des inneren Gebetes nicht müde, darauf hinzuweisen, wie sehr innere Freiheit und Beweglichkeit

davon abhängen, dass der Mensch auch äußerlich in Bewegung ist. Das Wandern und Draußensein in der Natur hatte deswegen für ihn immer auch eine geistliche Bedeutung. Leben ist Bewegung, Stillstand ist Tod! Das gilt im leiblichen Leben, aber auch im geistigen Leben: Mir ist es beim Lesen des Evangeliums immer wichtig, dass das Evangelium sich draußen abgespielt hat, weder im Haus noch im Gemeindesaal noch in der Kirche, sondern unter freiem Himmel. Das scheint mir nicht nebensächlich zu sein. Ich möchte behaupten, dass echte Frömmigkeit nur draußen wachsen kann. Man geht konkrete Wege und erlebt konkrete Landschaften, ist aber für jede Überraschung offen, die einem unterwegs begegnet. Natürlich ist Pilgerschaft ein geistiger Vorgang, ein inneres Offensein für Überraschungen, ist ein Wissen darum, dass unser Leben ein Weg ist, dass wir unterwegs sind. Wir sollten aber ein geistiges und leibliches Unterwegssein nicht trennen, sondern urtümlich etwas davon spüren, dass ein geistiges Unterwegssein auch ein leibliches Unterwegssein fordert.⁶ Zur Pilgerschaft wird dieses Unterwegssein durch das Gebet, durch die Sehnsucht nach Gott im Herzen. Der Pilgerweg will durchbetet sein, unablässig. Dann hat er auch eine große Verheißung. Denn jemand, der ein Pilger ist und Gott im Herzen trägt, ist niemals einsam. Und überall, wo sein Weg ihn hinführt, wo er lebt und wirkt, bringt er den Segen Gottes mit.

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¹ Olav Hanssen: Ostereinkehr 1989, S. 71f. ² Olav Hanssen: Regel der Koinonia, S. 16f. ³ Olav Hanssen: Das Schönste liegt noch vor uns, S. 58 ⁴ Olav Hanssen: Ostereinkehr 1985, S. 81f. ⁵ Olav Hanssen: Ostereinkehr 1985, S. 59 ⁶ Olav Hanssen: Weihnachtseinkehr 1990, S. 69 und 79

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Kapitel I

Welt der

Kinderjahre Hab herzlichen Dank für Deinen lieben Weihnachtsgruß. Du kannst l schreiben: In so schöneiBriefe a l r e ealltäglichen Dingen, s all den t a a B sM n von denen Du schreibst, e e t n z run chüt taucht im Hintergrund immer B – ges wieder der Zauber unserer s i t t glücklichen Kinderzeit Fon yrigh p auf. Was uns beide so Co innig verbindet, ist wohl, dass wir sie miteinander gleichsam „gedichtet“ haben. Und diese Dichtung war ausschlaggebend für unser weiteres Leben. Im Grunde genommen haben wir dann unser Leben lang an diesem Leben weitergedichtet, ein jeder auf eigene Weise. Und so war das Leben eigentlich schön. Olav Hanssen im Alter von 73 Jahren an seine Schwester Ingrid in einem Brief vom 21.12.1988

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Welt der Kinderjahre

l a i l r e e s t a a B sM n e te n z n t ru chü B – ges s i t tn h o g i F r y p Unsere Eltern heirateten am 23.12.1914, wenige Monate nach Co Ausbruch des 1. Weltkrieges. Olav war ihr erstes Kind und wur-

v Links das Geburtshaus von Olav Hanssen, Borriesstraße 47

in Geestemünde, dem heutigen Bremerhaven. Die junge Familie Hanssen wohnte im 3. Stockwerk.

v Auf der rechten Straßenseite das sogenannte Riedemann’sche

Palais, in dem die Großeltern Lange wohnten und Olavs Mutter Minna aufwuchs.

de am 1.10.1915 geboren. Entbindungsstationen in den Krankenhäusern gab es damals kaum, und durch den Krieg hatten ohnehin die Verwundeten Vorrang. So wurde es eine Hausgeburt. Es war eine schwere Entbindung, ja, es ging wohl fast um Leben und Tod. Am 24.10.1915, also bereits wenige Tage nach der Geburt, wurde Olav in der elterlichen Wohnung getauft. Ingrid Müller-Hanssen im Gespräch

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v Olaf Engelbret Hanssen

v Minna Hanssen, geb. Lange

Zum Haushalt gehörte noch Terese, ein Mädchen vom Lande, das der jungen Mutter behilflich sein sollte. In ihrer warmherzigen Art fand sie gleich Zugang zum kleinen Olav und war in den ersten Lebensjahren für ihn eine weitere wichtige Bezugsperson.

Am 23.6.1919 bekamen Olaf E. und Minna Hanssen ein zweites Kind, ihre Tochter Ingrid. Olav muss sich sehr darüber gefreut haben, denn sie war ihm eine liebe Spielgefährtin. Bis ins hohe Alter hinein verband sie eine vertrauensvolle, geschwisterliche Zuneigung.


v Kate der Familie Seegers in Oldendorf

v Marie Lange

Von großer Bedeutung für Olavs spätere Entwicklung waren die Großeltern. Die mütterliche deutsche Seite wurde ihm Vorbild durch eine lebendige, tiefe Frömmigkeit. Von der väterlichen norwegischen Seite kam eine introvertierte und freie Geisteshaltung auf ihn, wie sie in Skandinavien verbreitet ist. Gänzlich gegenläufig entwickelten sich die sozialen Verhältnisse der Großeltern. Während sich die deutsche Linie aus ärmlichen Verhältnissen zu großem Wohlstand emporarbeitete, verlor die norwegische Linie durch eine landesweite Wirtschaftskrise Grundbesitz und Vermögen. Olavs Großeltern mütterlicherseits, Marie Luise Dorothee Seegers und Peter Heinrich Lange, stammten aus Oldendorf bei Hermannsburg in der Lüneburger Heide und gehörten zur Hermannsburger Erweckungsbewegung um den pietistischen Prediger Louis Harms. Ihre beiden Familien wohnten unter beengten und ärmlichen Verhältnissen in derselben Kate. Die äußere Not trieb Peter Heinrich Lange in die Hafenstadt BremerhavenGeestemünde, wo er Arbeit suchte. Es waren die Gründerjahre im Kaiserreich, und überall herrschte rege Bautätigkeit. Durch Fleiß, Mut und Geschick gelang es ihm, sich vom mittellosen Maurer zum wohlhabenden Bauunternehmer emporzuarbeiten. Schließlich konnte er sich sogar das repräsentabelste Haus in Geestemünde leisten.

v Hof Fosnæs der Großeltern in Norwegen

Die Großeltern väterlicherseits, Hans Christian und Karen Amalie Hanssen, waren Norweger. Der Großvater war begütert und ein anerkannter Abgeordneter des Storting (norwegisches Parlament) in Kristiania, dem heutigen Oslo. Er bewirtschaftete in Arendal am Oslofjord das stattliche Gehöft Fosnæs, wo es sogar eine kleine Kirche gab, so dass der Pastor sonntags regelmäßig kam. Doch infolge des wirtschaftlichen Niedergangs in Norwegen Ende des 19. Jahrhunderts scheiterte Hans Christian und wurde in den völligen Ruin getrieben. Ebenso verheerend wirkte sich die damals in Norwegen grassierende v Karen Amalie und Tuberkulose aus. Etliche der zwölf Hans Christian Hanssen Kinder starben. Olaf E. Hanssen, der spätere Vater von Olav Hanssen, war das jüngste Kind. Sein Vater starb, als er sechs Jahre alt war, und die Mutter, als er gerade das elfte Lebensjahr erreicht hatte.

l a i l r e e s t a a B sM n e te n z n t ru chü B – ges s i t tn h o g i Die Vollwaise wurde abwechselnd F r y bei älteren Geschwistern untergep bracht. Dennoch gelang es Olaf, Co einen höheren Schulabschluss zu

v Peter Heinrich Lange und seine Tochter Minna Lange

Der Familie blieben Schicksalsschläge aber nicht erspart. Von ihren acht Kindern starben zwei im Kindesalter, der jüngste Sohn beging auf tragische Weise Selbstmord. Zudem verlor der Großvater im 1. Weltkrieg den Großteil seines Vermögens durch einen Bankencrash. In allem gab die Frömmigkeit den Eheleuten Halt:

Das Leben der Großeltern war von einer tiefen und echten Religiosität bestimmt. Dazu gehörten getreu der Hermannsburger Tradition tägliche Morgen- und Abendandachten im Familienkreis und der obligatorische Sonntagsgottesdienst sowie ein tatkräftiger Einsatz als Kirchenvorsteher.

Ingrid Müller-Hanssen: Erinnerungen an unsere Mutter Minna Hanssen

Minna Lange, die spätere Mutter von Olav Hanssen, war das zweitjüngste Kind und verlebte unbeschwerte Jugendjahre in dem herrschaftlichen Haus in der Borriesstraße. Als erste der Töchter konnte sie auf eine höhere Schule gehen. Ihr Interesse galt vor allem der Literatur und dem Theater, das sie eifrigst besuchte. Mit der Hermannsburger Frömmigkeit ihrer Eltern hingegen hatte sie nichts mehr im Sinn und entzog sich dem entschieden, sobald sie konnte.

machen. Wegen der Lungenschwäche in der Familie sollte er einen «Freiluftberuf» erlernen und wurde Maurer. Da er in Norwegen wirtschaftlich kein Auskommen v Olaf E. Hanssen fand, wanderte er mit zehn Kronen in der Tasche und einer kleinen Blechtruhe nach Deutschland aus. Im Alter von achtzehn Jahren stand er allein und mittellos in einem fremden Land. Die Not hatte ihn hergetrieben. Trotz der Schwierigkeiten mit der fremden Sprache kämpfte sich Olaf E. Hanssen durch, arbeitete tagsüber als Maurer auf dem Bau und ging nach Feierabend noch auf die Baugewerkschule. Schließlich kam er als Bautechniker nach Geestemünde. Dort fiel er seinem späteren Schwiegervater Peter Heinrich Lange durch fachliche Kompetenz und Zuverlässigkeit auf, so dass dieser ihn in sein Baugeschäft holte.

v Minna Lange und Olaf E. Hanssen, die späteren Eltern von Olav und Ingrid, zur Zeit ihrer Verlobung um 1912 v

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Mein Vater war Norweger, meine Mutter Deutsche. Der Ein sogenanntes gesellschaftliches Leben gab es bei uns kaum. Vater steckte immer tief Lebensstil in unserem Baugeschäftshaushalt war liberal und weitherzig – schon bedingt durch die Begegnung zweier Kulturbereiche. Ich erinnere mich nicht an die geringste Zwanghaftigkeit. Das Familienleben war ungetrübt glücklich, liebevoll, harmonisch und schuf ein Gefühl völliger Geborgenheit.

in der Arbeit und freute sich, wenn er abends seine Ruhe hatte. Und auch Mutti hatte wohl wenig Sinn dafür. Aber dafür hatten wir alle paar Jahre wochen- oder gar monatelang Hausbesuch aus Norwegen, vor allem die von uns allen sehr geliebte Tante Aagot, mit der wir korrespondierten, seit wir schreiben konnten. Dann hörten wir unseren Vater bei Tisch auch mal in seiner Muttersprache reden.

Ingrid Müller-Hanssen: Erinnerungen an unseren Vater, 1993

Olav Hanssen: Kontemplative Berufung, 1984

v Esszimmer der Familie Hanssen b Ingrid Hanssen, Weihnachten 1929

v Minna Hanssen

v Vater Olaf E. und Sohn Olav

Minna Hanssen war eine selbständige und emanzipierte Frau. Der Abschluss der höheren Mädchenschule hätte ihr ein Studium ermöglicht, aber sie sah ihre Aufgabe in der Familie und der Führung des Geschäftshaushaltes. Olav und Ingrid genossen die Erzählkunst der Mutter und wurden von ihr mit ausgesucht guter Kinder- und Jugendliteratur versorgt. Bewusst förderte sie das literarische Interesse der Kinder und schenkte ihnen später auch Gesamtausgaben großer Dichter. Auf diese Weise hatte sie wesentlich Anteil an der geistigen Welt, die sich den Geschwistern auftat. Olav Hanssen sprach immer mit liebevoller Achtung von seiner Mutter.

Das häusliche Leben der Familie Hanssen verlief ruhig und friedlich, der Tagesablauf war geregelt. Die Arbeit im Baugeschäft begann für den Vater früh am Morgen und endete oft erst spätabends, so dass er nach heutigen Maßstäben wenig Zeit für Olav und Ingrid hatte. Die Mutter war im Alltag für beide die erste Bezugsperson. Aber auf gemeinsame Mahlzeiten der Familie wurde geachtet. Und auch die Eltern hatten täglich ihre Kaffeestunde, während die Kinder Schularbeiten machten oder Freunde zu Besuch kamen. Dieses unspektakuläre, aber doch verlässliche Familienleben hat Olav Hanssen sehr geschätzt.

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Weihnachten hatte Vater immer Zeit

für uns. Er schmückte den Baum mit den lustigen Ketten der kleinen norwegischen Papierfähnchen, ohne die ich mir bis heute keinen Christbaum vorstellen kann, und platzierte die sorgsam verpackten Geschenke darunter, auf denen Adressat und Absender deutlich zu lesen sein mussten. Großeltern und Tante kamen am Heiligen Abend regelmäßig zu uns. Der Gesang der Weihnachtslieder war im wahrsten Sinn des Wortes «gemischt»: Vater sang auf Norwegisch, Tante sang etwas falsch und Olav überhaupt nicht (er hielt sich für unmusikalisch, denn wir wussten damals noch nicht, dass sein Gehör stark geschädigt war).

Ingrid Müller-Hanssen: Erinnerungen an unseren Vater, 1993

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v Vater Olaf E. Hanssen im Bauhof, 1929


v Olav, um 1921

v Geestemünde; Zeichnung von Ingrid Hanssen

Gemeinsam entdeckten Olav und Ingrid die Welt um sich herum: zunächst das elterliche Baugeschäft und den Holzhafen davor, wo das Bauholz aus Skandinavien, der Heimat des Vaters, anlandete, dann die Kaimauern und Schuppen an den Hafenbecken mit den Fischkuttern, den Badestrand bei der Strandhalle und den Columbuspier am Überseehafen. Nicht immer war das ganz gefahrlos. So berichtete Olav Hanssen, dass Passanten sie einmal gerettet hätten, als beide im zarten Alter von drei und sieben Jahren bäuchlings und kopfüber auf einer Kaimauer lagen und fasziniert ins Wasser schauten. Als dann der erschrockene Vater herbeieilte, sei es das einzige Mal gewesen, wo er dessen strafende Hand zu spüren bekommen habe. Umso eindrücklicher war ihm diese in seiner Familie außergewöhnliche Erziehungsmaßnahme.

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a i l r e e as Mat B n tes e n z n t u ü r B ch s – e Schon sich bei Olav HansgGeschichten is früh hzeigten t t sen seine Liebe zu und seine n g i Fo bildhafte Fantasie. Ingrid und Olav hatten r y Kinderjahren ein gemeinsames in frühen p o und ein Spielzimmer. C Schlafzimmer Abends erzählten sich die Geschwisv Olav und Ingrid

ter im Bett immer noch Gutenachtgeschichten, die sie sich selber ausdachten. Ihr Held war Johnny de Hare, ein Schlachtermeister aus Geestemünde, den es zwar tatsächlich gab, der aber vor allem durch seinen Namen ihre Fantasie beflügelte. Dabei konnte es geschehen, dass die kleine Schwester selbst bei spannenden Geschichten vor Müdigkeit einschlief. Wie Ingrid berichtete, kannte Olav dann kein Pardon. Er weckte sie kurzerhand auf, und sie musste weitererzählen. Das v Olav und Ingrid 1933 im Bürgerpark ist recht bezeichnend. Denn noch als Erwachsener konnte Olav Hanssen nicht wirklich nachvollziehen, wenn jemand zum Beispiel biblische Geschichten langweilig fand und Schwierigkeiten hatte, sich in sie hineinzudenken oder darüber in der Stillen Zeit gar einschlief.

Die Kinder- und Jugendzeit hindurch waren Ingrid und Olav einander enge Vertraute, und selbst als Erwachsene fragten sie einander in wichtigen Lebensentscheidungen immer noch um Rat. Auch wenn Olav der Ältere war und von seiner Persönlichkeitsstruktur her schon früh eine Führungsperson, so schätzte er doch das besonnene und einfühlsame Urteil seiner Schwester.

v Olav und Ingrid 1933

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Kapitel II

Aufbruch zur

Pilgerschaft

Als Jugendlicher überfiel mich unerwartet die Frage l a i l er Tod. Es war eine se nachadem t a B sÜberraschung, M als mir n e e t n z bewusst wurde, dass das n t u ü r B ch Leben, das vor mir lag, mit s – e s g i t tdem Tod endet und also im n h o g i F r Letzten sinnlos ist. Wozu alle py o C Anstrengungen im Leben, wenn der Tod das letzte Wort hat? Wozu lebe ich – bloß um zu sterben? Solche Fragen stellen sich junge Menschen. Wenn es aber so wäre, wie die Christen sagen, dass es nach dem Tod ein ewiges Leben gibt, dann wäre dieses Leben eine Vorbereitung auf die Ewigkeit. Dann hätten dieses Leben und der Tod einen Sinn. Olav Hanssen: Koinonia-Tagung zur Regel, 1988

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Aufbruch zur Pilgerschaft

Der Beginn der Pubertät meldete sich so an, dass mir plötzlich die Vergänglichkeit des Lebens beinahe hellsichtig bewusst wurde. Es war kein dunkles, unbewusstes Gefühl, sondern eine geistig völlig klare und bewusste Einsicht, aber von so elementarer und existenzieller Wucht, dass alle anderen Fragen – wie Sexualität, Ehe oder Beruf – dagegen völlig in den Hintergrund traten.

Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben. Konfirmationsspruch von Olav Hanssen, Römer 1,16

Dahinter steckte keine Angst vor dem Sterben, auch keine Leiderfahrung bei anderen Menschen, sondern ein elementares Gefühl absoluter Sinnlosigkeit. Was soll das Leben, wenn nicht nur ich, sondern auch die Menschheit, ja auch die Erde und Sonne, ja überhaupt alles vergehen würde? Das war sicher eine der allgemeinsten Feststellungen über das Leben und das Sein. Und doch eine ganz existenzielle, mein Leben völlig verwandelnde Einsicht. Olav Hanssen: Kontemplative Berufung, 1984

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a i l r e e as Mat B n tes e n z n t u ü r B ch s – e is ht-g t n Fo yrig p Co v Blick vom elterlichen Haus über den Holzhafen zur

Christuskirche.

b Olav Hanssen wurde am 29.3.1931 in der

Christuskirche konfirmiert.

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as Eingreifen Gottes in mein Leben. Ich denke an jenen unvergesslichen 15.4.1930 zurück, als Mutter mir ein in Leder gebundenes Neues Testament schenkte und ich darin zu lesen begann. Eine neue Welt tat sich da für mich auf. Viele Zweifel bewegten mich. Warum habe ich das Buch nicht weggelegt? Letztlich wohl, weil ich mich ganz, ganz tief über das Zeitliche hinaus nach dem Ewigen sehnte. Wo sollte ich sonst Frieden finden? Es ist Gottes Führung, dass ich in dieser Zeit durch die Großeltern unter den Einfluss der gedruckten Predigten von Louis Harms kam; ein Einfluss, der bis heute anhält: Bekehrung, kirchliches Leben, Verbalinspiration, Mission, Heiligung, das habe ich alles bei ihm gelernt. Es ist Gottes Führung, dass ich all die bedrängenden Glaubensfragen in den stillen Jahren von 1930–35 ganz allein ohne jede Hilfe durchkämpfen musste. Der Konfirmandenunterricht hat mich dabei kaum berührt. Ich habe damals selbständig eine Morgenandacht für mich eingerichtet mit Liedern aus dem Gesangbuch, Lesungen aus Starks Andachtsbuch und jeden Morgen und Abend einem Kapitel aus dem Neuen Testament. Tagebuch Olav Hanssen am 20.9.1955

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Wo sollte ich eine Lösung meiner Existenzfrage suchen und finden? Mir fielen da nur der

christliche Glaube und die Bibel ein. Nun war mir die Bibel schon im Schulunterricht begegnet. Wir lasen bereits in der Unterstufe die Bergpredigt, und zwar von Mahatma Gandhi her im Licht des Hinduismus. Später wurden wir in das synoptische Problem der Evangelien eingeführt und dazu angeleitet, die Symbole und Bildersprache der Bibel zu verstehen und den legendären und sagenhaften Charakter der Tradition zu beachten. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Geschichten der Bibel und den Göttermythen Homers schien nicht zu bestehen. Wie konnte die Bibel da eine verlässliche Antwort auf meine Frage geben? Gegenüber diesem Historismus und Relativismus verkörperten meine gläubigen Hermannsburger Großeltern die andere Seite. Sie lebten mit den Schriften der Erweckungsbewegung von Louis und Theodor Harms. In diese Schriften vertiefte ich mich. Das Zentralstück von Louis Harms schien mir seine Lehre von der Verbalinspiration zu sein, jedenfalls hat sie mich am meisten gepackt und beschäftigt. Der Gedankengang war für mich folgender: Das Problem der Vergänglichkeit ist in dem Augenblick gelöst, wo es ein ewiges Leben nach dem Tod gibt, wie es die Bibel behauptet. Diese Botschaft hilft aber nur weiter, wenn sie auch stimmt, wenn es also wirklich ein Leben nach dem Tod gibt. Ob das der Fall ist, darüber kann ich in diesem Leben nur Gewissheit haben, wenn die Aussagen der Bibel auch gewiss und wahr sind. Deshalb ist die Wahrheit der Schrift unabdingbare Voraussetzung für jede Antwort auf die Todesfrage und jede Lebensgewissheit.

v Louis Harms als Prediger

Olav Hanssen: Kontemplative Berufung, 1984

D ie Aussagen der Bibel als wahr und verbindlich anzuerkennen, setzt Verbalinspiration voraus,

d.h. dass dieses Wort direkt von Gott kommt und somit göttliche Verbindlichkeit in sich trägt. Die typische Haltung, die dem entspricht, ist, um es mit einem Lieblingswort von Louis Harms zu sagen, von nun an «alle Vernunft unter den Gehorsam Christi gefangen zu nehmen» (2. Kor 10,5). So habe ich zunächst dieses Problem der Verbindlichkeit zu lösen versucht, und es hat mich eine Zeitlang durchgetragen. Die Frage nach dem Schriftprinzip, wie es in der Hermannsburger Freikirche vertreten worden ist, zieht allerdings konsequenterweise das Problem nach sich, dass ein irrtumsloses Wort Gottes ins Leere stößt, wenn nicht auch die Auslegung dieses Wortes irrtumslos ist. Das führte also zur lutherischen Orthodoxie: «Gottes Wort und Luthers Lehr’ vergehen nun und nimmermehr!» Damit war ein gewisser Dogmatismus gegeben. Erst später habe ich erkannt, dass das eine Art philosophischer Positivismus ist. Aber in jungen Jahren hat es mir zunächst geholfen.

l a i l r e e s t a a B sM n e te n z n t ru chü B – ges Die Wahrheit der Lehre s i t t n Jesu kann nicht in einem Fo yrigh theologischen Lehrbetrieb p o mit den Mitteln eines C

Olav Hanssen: Koinonia-Tagung zur Regel, 1988

v Olav in seinem Zimmer, 1931

skeptischen Rationalismus erwiesen werden, sie kann nur gelebt und damit auch erlebt werden. Olav Hanssen: Regel der Koinonia, S. 9

v Großeltern Maria und Heinrich Lange und

Tante Dora Lange

Die Großeltern Maria und Peter Heinrich Lange waren zeit ihres Lebens der Hermannsburger Erweckungsbewegung verbunden und lebten diese Frömmigkeit in ihrem Alltag. An dem Tag, als der Großvater starb, bekamen Olav und Ingrid je ein Exemplar des lutherischen Kleinen Katechismus mit schönen Holzschnitten von Rudolf Schäfer und einer Widmung des Großvaters geschenkt, gleichsam als Vermächtnis.

Olav und Ingrid gingen nun regelmäßig samstags zur Großmutter, um ihr aus den Predigten von Louis Harms vorzulesen oder aus der erwecklichen Wochenzeitschrift «Pilger zur Heimath», die der Hermannsburger Theologie nahestand. All das übte eine tiefe Wirkung auf die Geschwister aus. Sonntags besuchten sie gemeinsam den Gottesdienst, und täglich hielten sie zu Hause ihre Andachten, sehr zum Befremden der Eltern, die auf einmal fromme Gesänge in den Kinderzimmern hörten. Mit Tante Dora, der Schwester des Großvaters, fuhr Olav das erste Mal nach Hermannsburg, nicht ahnend, dass dort später seine Wirkungsstätte sein würde.

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Anhang Bildnachweise: Olav Hanssen war ein begeisterter Fotograf. Viele der in diesem Buch verwendeten Fotos stammen von ihm, ein anderer großer Teil aus seinen Fotoalben und dem Nachlass. Wir haben uns bemüht, die Urheberschaft der Fotos zu klären, was bei dem weitgehend historischen Bildmaterial aber nur begrenzt möglich war. Besonders freut es uns, dass wir von Ingrid Müller-Hanssen, der Schwester von Olav Hanssen, drei Aquarelle beziehungsweise Zeichnungen in diese Biografie aufnehmen konnten, und von seinem Neffen, Martin-Olaf Müller-Hanssen, das Porträt Olav Hanssens am Schluss des Buches. Bartholomae, Christine.............................................................................S. 42 Bartholomae, Gesa....................................................................................S. 42 Bpk / Kupferstichkabinett SMB / Jörg P. Anders (Rembrandt KdZ 2700)......S. 81 Brennecke, Werner...................................................................................S. 32, 34, 35, 46, 50, 51, 64, 102 CVJM-Göttingen.......................................................................................S. 53 Dedekind, Helmut....................................................................................S. 115 ELM Hermannsburg.................................................................................S. 69, 71, 72, 85 Fotolia......................................................................................................S. 20 Gethsemanekloster ..................................................................................S. 99, 101, 104, 107, 113, 114 Hanssen, Olav.......................................................................................... S. 6, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 20, 21, 22, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 44, 49, 50, 51, 52, 53, 56, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 68, 69, 70, 71, 74, 75, 76, 78, 79, 80, 82, 84, 88, 92 Heine, Heiner...........................................................................................S. 71, 72 Hildebrandt, Ingeborg..............................................................................S. 88, 89 Köppen, Karsten.......................................................................................S. 108 Kröger, Joy E............................................................................................S. 101 Lüdemann, Ernst-August..........................................................................S. 71, 74 Ludewig, Hansgünter................................................................................S. 71 Lund University Library............................................................................S. 55 Müller, Franz............................................................................................S. 90, 94 Müller-Hanssen, Ingrid.............................................................................S. 15, 25, 45, 108 Müller-Hanssen, Martin-Olaf....................................................................S. 83, 116 Pannenborg-Thomas, Luise.......................................................................S. 108 Richter-Simmet, Eusebia Heidrun.............................................................S. 105 Röhm, Günther........................................................................................S. 88 Ruckszio, Manfred....................................................................................S. 114 Ruprecht, Arndt.......................................................................................S. 54 Schultheis, Michael...................................................................................S. 72 Schur, Herbert und Brigitte Theophila...................................................... S. 18, 19, 27, 31, 37, 39, 46, 69, 83, 86, 89, 91, 93, 94, 95, 96, 98, 99, 100, 102, 103, 105, 106, 107, 109, 110, 112, 113, 115, 116 Bürgerverein Geestemünde.......................................................................S. 21 Stadtarchiv Göttingen...............................................................................S. 48 Stegelmann, Uwe......................................................................................S. 71, 72 Werner, Reinhard......................................................................................S. 62 Woelfle, Klaus...........................................................................................S. 85 Wolff, Jacques...........................................................................................S. 85

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a i l r e e as Mat B n tes e n z n t u ü r B ch s – e is ht-g t n Fo yrig p Co

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Textnachweise: Die zitierten Texte stammen vielfach aus Quellen im Privatbesitz oder aus internen Veröffentlichungen der Koinonia / Gethsemanebruderschaft. Bei Interesse sind sie beim Gethsemanekloster einzusehen oder bei den Autoren zu erfragen. Aus diesem Grund führen wir hier nur die im Buchhandel vertriebenen Titel auf. Olav Hanssen und Reinhard Deichgräber: Leben heißt Sehen, Göttingen 1968 Olav Hanssen: Das Betrachtende Gebet, Gnadenthal 1974 Olav Hanssen: Die Regel der Koinonia, Hermannsburg 1977 Olav Hanssen: Das Schönste liegt noch vor uns, Göttingen 1995 Olav Hanssen: Das Betrachtende Gebet, Göttingen 1997 Georg Gremels (Hrsg.): Unterwegs zur Mitte. Olav Hanssen – Bausteine einer Biographie, Marburg 2005 Olav Hanssen: Dein Wille geschehe, Münsterschwarzach 2006

Autorenporträts: Brigitte Theophila Schur:

Olav Hanssen jun.:

Geboren am 2.7.1955. Über die Jugendarbeit kam ich in Kontakt mit der von Olav Hanssen gegründeten evangelischen Bruderschaft Koinonia. 1975 trat ich in die Koinonia ein. Nach dem Abitur studierte ich Deutsch, Biologie und Pädagogik für das Lehramt an Gymnasien in Hannover und Göttingen. Nach dem Referendariat arbeitete ich im Domkloster Ratzeburg und im Gethsemanekloster Riechenberg/Goslar mit und leite dort Einkehrfreizeiten der Bruderschaft. Parallel dazu studierte ich Theologie und Philosophie in Göttingen, Bochum und Bonn, wo ich mit einer Arbeit über den Philosophiebegriff bei Platon promovierte. Ich lebe mit meinem Mann in Göttingen und leite dort die Fraternität Koinonia Gethsemane.

Am 7.3.1952 in Wuppertal geboren, Schulzeit in Hermannsburg, Studium: Germanistik und Theologie in Hamburg und Heidelberg. Im Freundeskreis der Koinonia bin ich mit der Bruderschaft verbunden durch die Gestaltung von Einkehrzeiten im Domkloster Ratzeburg (wo ich während der Ausarbeitung meiner Dissertation gelebt habe) und im Gethsemanekloster Riechenberg. Meditationsgruppen sind einer der Schwerpunkte meiner Tätigkeit als Pastor, 1983–2001 in Hamburg-Marmstorf, seit 2001 in Hamburg-Fuhlsbüttel. Weitere Schwerpunkte: liturgische Gestaltung, Jugendarbeit, Gemeindeseminare. Mit meiner Frau, die als Musiktherapeutin tätig ist, habe ich drei bereits erwachsene Kinder. Ich habe an der Biografie mitgewirkt bei der Erschließung von Quellen und durch viele Gespräche über die Inhalte.

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a i l r e e as Mat B n tes e n z n t u ü r B ch s – e is ht-g t n Fo yrig p Co

Kontakt: Evangelisches Gethsemanekloster Gut Riechenberg 1 38644 Goslar Telefon: 05321/21712 E-Mail: buero@gethsemanekloster.de www.gethsemanekloster.de

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