Gastl

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Magazin | Buchhandel

Eine eigene Welt Die Buchhandlung Gastl in Tübingen war mehr als nur eine Buchhandlung – sie war eine eigene Welt. Heinz Rademacher wirft in seinem Buch GastlWelt einen Blick zurück auf vergangene Buchhandelszeiten

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edem, der diese Buchhandlung offenen Auges durchschritt, war bald klar, sie war viel mehr als nur ein Geschäft, etwas ganz Besonderes, Wunderbares – sie war eine Welt“, schreibt Heinz Rademacher, selbst Buchhändler in Soest, in seinem Buch „GastlWelt“ (erschienen bei Klöpfer&Meyer) über die alte Buchhandlung Gastl in Tübingen und lässt den Geist dieser Buchhandlung noch einmal aufleben. Als Leser wünscht man sich, die Zeit zurückdrehen und wenigstens einen kurzen Blick in die literarische und lebendige Welt der alten Buchhandlung Gastl werfen zu können. Denn nach einer solchen Buchhandlung sucht man heute oftmals vergebens – sie ist Teil einer verschwundenen Buchhandelskultur. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg gründete Julie Gastl zusammen mit Dr. Gudrun Saal 1949 die Buchhandlung Gastl, die schnell 72

zu einer Institution in Tübingen – eines der wichtigsten geistigen Zentren jener Zeit – wurde. Julie Gastl wünschte sich eine kleine Buchhandlung, in der sich die Menschen, wie in einer guten Bibliothek, „zu Hause“ fühlen. Die beiden vielbelesenen Damen, deren Herz allein den Büchern gehörte, führten die Buchhandlung bis 1979 und zogen sich Anfang der 80er Jahre nach und nach altersbedingt aus dem Buchhändlerleben zurück. „Als entschiedene Gegnerinnen des Nationalsozialismus stand die Buchhandlung Gastl für eine bestimmte offene Geisteshaltung“, erzählt Rademacher. Viele junge Menschen in der Studentenstadt kauften aus Überzeugung bei Gastl und nicht bei der großen Buchhandlung in der Nähe.

höchstem Niveau und verwandelten ihre Buchhandlung in einen Ort, an dem deutsche Literatur, Theologie und Philosophie unter den Bürgern Tübingens verbreitet wurde. Im Herzstück der Buchhandlung, in der sogenannten „Theologie“ – einem Raum im ersten Stock mit großem Tisch und drei alten Ledersesseln – traf man sich zum Gespräch über Gott und die Welt, über Politik und Literatur. „Es herrschte eine geistige, lebendige und kritische Atmosphäre“, erzählt Heinz Rademacher, der in der Buchhandlung Gastl seine buchhändlerische Ausbildung absolvierte. Hier erlernte er das erste und wichtigste Ziel eines Buchhändlers: Das richtige Buch an den richtigen Leser zu bringen. „Freundliche Höflichkeit und kompetente Julie Gastl und Gudrun Saal spezialisier- Auskunft lauteten die Zauberworte. Kein Kunde durfte die Buchhandlung unzufrieten sich auf ein belletristisches, geistes- und den verlassen“, erklärt Rademacher. Autohumanwissenschaftliches Sortiment auf

BuchMarkt Juni 2013


Eine eigene Welt (v.l.): Vom Erdgeschoss der legendären Buchhandlung Gastl führte eine alte Holztreppe die Besucher direkt in die erste Etage und in die „Theologie“ – das Herzstück der Buchhandlung: „Hier streckte der Weltgeist mitunter die Beine unter das Teetischchen und machte sich’s bequem“ (wie Klaus Harprecht in Rademachers Buch treffend zitiert wird)

Eine typische Situation: Julie Gastl beim „geistigen Aufbau“ – so nannte sie das Dekorieren des Schaufensters

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ren wie Ernst Bloch, Inge und Walter Jend, Eberhard Jüngel und Hans Küng gingen hier ein und aus, Lesungen mit Hannah Arendt, Günther Anders, Erich Kahler, Martin Buber, Günther Grass, Peter Huchel und Paul Celan zogen das Publikum an. In seinem Buch versammelt Rademacher eigene, unverwechselbare Eindrücke, Schwarz-Weiß-Fotografien und Erinnerungen von Weggefährten, wie Ernst und Karola Bloch oder Friedrich Pfäfflin. Er macht eine Atmosphäre erfahrbar, in der es nicht um Umsätze oder Rendite ging, sondern einzig und allein um den Menschen und das Buch. „Die beiden Damen lebten Buchhandel“, schreibt Friedrich Pfäfflin in seinem Beitrag für Rademachers Buch, das eine Hommage an diese zwei „außergewöhnlichen, emanzipierten Frauen mit beeindruckender Persönlichkeit“ ist, die vor mehr als einem halben Jahrhundert genau das umsetzten, was für die Buchhandlungen von heute wieder eine ganz neue Bedeutung gewinnt: Den Menschen einen lebendigen Raum für Kommunikation, Debatten und Diskussionen bieten. Einen Raum für Gespräche über Politik, Geschichte und Philosophie – vor allem aber über Literatur. Denn Bücher kaufen kann man mittlerweile auch woanders … Maria Altepost

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