BUNDmagazin 3/22

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TITELTHEMA 17

INTERVIEW

WETTRÜSTEN IM WALD In naturnahen Wäldern bilden Pilze einen Großteil der b ­ iologischen Vielfalt. Zudem schaffen die Holzbewohner unter ihnen Lebensräume für eine Fülle weiterer Arten. Kaum jemand weiß mehr darüber als der Biologe Georg Möller.

Können Sie das Wirken der Holzpilze an einem Beispiel verdeutlichen? Besonders eindrucksvoll ist der Schiefe Schillerporling. An sterbenden Buchen bildet er zuweilen quadratmeter-große, etwa 5 Millimeter dicke braunrote Frucht-

körper. Um ein Abdriften der Sporen zu ermöglichen, sprengt er das Splintholz mit Hilfe spezieller Stemmleisten in großen Platten ab. Dabei entstehen manchmal wahre Kunstwerke. In Wirtschaftswäldern ist dieser Schillerporling außerordentlich selten. Stämme, die Anzeichen von Befall zeigen, werden bei der Durchforstung systematisch entnommen.

G. Möller

Herr Möller, von Holz lebende Pilze sind für die Tierwelt in Naturwäldern von größter Bedeutung. Warum? Pilze, die Holz zersetzen, sind biochemische Multitalente. Um die Zellulose oder das Lignin aufzuschließen, mussten sie ausgeklügelte Enzymsysteme erfinden. Über die Jahrmillionen der Evolution haben die Gehölzpflanzen in einer Art Wettrüsten gelernt sich zu wehren. So lagern Eichen Gerbstoffe in ihr Kernholz ein, um Pilze aufzuhalten. Pilzarten wie der Leberreischling und Schwefelporling waren ihrerseits nicht faul und spezialisierten sich auf den Abbau eben dieser Gerbstoffe. Den meisten Insekten fehlen die für den Holzaufschluss nötigen Enzyme. Auch was bestimmte Aminosäuren, Spurenelemente oder Vitamine betrifft, sind viele auf Pilze angewiesen. Last but not least ist es viel effizienter, nahrhafte Pilze zu fressen, als sich selbst mit dem widerspenstigen Holz herumzuschlagen. Die Mehrheit der Holzinsekten ist also strenggenommen den Pilzkonsumenten zuzurechnen.

Der Zahnhalsige Baumschwammkäfer lebt in Mulm­höhlen, die der Schiefe Schiller­porling in Buchen verursacht.

Welche Tiere profitieren von den Pilzen im Holz besonders? Etwa die Hälfte der rund 1500 holzbewohnenden Käfer Deutschlands ist von ihnen direkt abhängig. Hinzu kommt eine unbestimmte Zahl von Rindenwanzen und Pilzmücken, räuberischen Schlupfwespen und Erzwespen etc.

Georg Möller hat über die »Struktur- und Substrat­ bindung holzbewohnender Insekten« promoviert und war u. a. im Arbeitskreis Wald des BUND aktiv.

Etliche dieser Insekten sind heute sehr selten. Woran liegt das? An unserer Forstwirtschaft, die noch immer viel zu einseitig an der Holzernte ausgerichtet ist. Rund die Hälfte des in Deutschland geschlagenen Waldholzes wird übrigens nicht einmal stofflich verwertet, sondern sofort verbrannt. Welch unglaubliche Verschwendung! Wie müssen Politik und Forstwirtschaft dafür sorgen, dass unsere Wälder wieder pilzreicher werden, und somit vielfältiger und stabiler? Aus wissenschaftlicher Sicht gilt die folgende Faustregel: Um die waldtypische Biodiversität mit einem stabilen Bestand an Urwaldreliktarten zu sichern, sind pro Hektar etwa zehn lebende, dicke Biotopbäume erforderlich, mit Höhlen, Mulmkörpern, verpilzten Stammarealen oder Astabbrüchen. Und dazu mindestens 40 Festmeter dickes Totholz, stehend und liegend. Von diesen Vorgaben sind die meisten Waldflächen in Deutschland weit entfernt. Über welchen Fund haben Sie sich zuletzt besonders gefreut? Über den Zahnhalsigen Baumschwammkäfer in einem Wald bei Templin. Dieses Urwaldrelikt ist eng an den erwähnten Schiefen Schillerporling gebunden. sz


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