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Ins Spiel gebracht

‚Ins Spiel gebracht‘

von Susanne Kleine

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„Das Spiel (mittel- und althochdeutsch: spil für Tanz(-bewegung)) ist eine Tätigkeitsform; Spielen eine Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, aus Freude an ihr selbst und an ihrem Resultat ausgeübt wird. Es ist eine Beschäftigung, die oft in Gemeinschaft mit anderen vorgenommen wird. Ein Großteil der kognitiven Entwicklung und der Entwicklung von motorischen Fähigkeiten sowie soziale Kompetenz findet durch Spielen statt. Einem Spiel liegen oft ganz bestimmte Handlungsabläufe zugrunde, aus denen, besonders in Gemeinschaft, verbindliche Regeln hervorgehen können. Die konkreten Handlungsabläufe können sich sowohl aus der Art des Spiels selbst, den Spielregeln oder aber aus dem Wunsch verschiedener Individuen ergeben, gemeinschaftlich zu handeln.“

(wikipedia.org/wiki/spiel)

Carsten Höller * 1961 in Brüssel, Belgien/Belgium Lebt und arbeitet in Stockholm, Schweden/ Lives and works in Stockholm, Sweden

Bonner Rutschbahn/ Bonn Slide, 2018

Der Mensch benötigt das ‚Spiel‘

Im Zusammenhang mit unserer Indoor-Ausstellung The Playground Project haben wir für das Dach und den Vorplatz – Outdoor – eine Ausstellung zum Thema ‚Spiel‘ konzipiert, die zeitgenössischen Künstlern eine Fläche bietet, künstlerische Entwürfe von Spielangeboten / -formen / -utensilien bzw. interaktive Installationen zu realisieren. Mit den beiden Ausstellungen soll die komplexe Ideenvielfalt, die in der Vergangenheit zur Entstehung von Spielplätzen in der industrialisierten Stadt des 20. Jahrhunderts geführt hat, ebenso dargestellt werden wie die zentrale Bedeutung des Spielens für die menschliche Natur, die Gesellschaft und die Kultur.

Den Besucher(inne)n wird damit die Möglichkeit gegeben, Kunst ‚spielend‘, partizipativ und performativ zu erleben. Nach der philosophischen Definition des ‚spielenden Menschen‘, des Homo ludens, von Johan Huizinga (1938) benötigt der Mensch das ‚Spiel‘ (auch im Sinne von Kommunikations- und Interaktionsprozessen) als elementare Form und als ordnendes Prinzip, da er im Gegensatz zum Homo faber seine Fähigkeiten vor allem über das Spiel – auch als generell kulturbildenden Faktor – entwickelt: Er entdeckt dort seine individuellen Eigenschaften und wird über die dabei gemachten Erfahrungen zu der in ihm angelegten Persönlichkeit; spielen wird dabei mit Handlungsfreiheit gleichgesetzt und eigenes Denken vorausgesetzt. Heutige Spielwissenschaftler sehen im Homo ludens und im Homo faber zwei unterschiedliche Arten der (Welt-)Aneignung durch das Spiel. „Den Homo ludens beschreiben sie als einen Typus, der im selbstgenügsamen, zweckfreien Spiel über Zufälle und Möglichkeiten Sinn findet und dabei nebenbei Weltkenntnis erwirbt, während der Homo faber das zweckgerichtete, in systematischen Spielfolgen aufgebaute Lernen für den Erfahrungsgewinn nutzt.“ Der Medientheoretiker Knut Ebeling erweiterte die unterschiedlichen Homo ludens- Definitionen von Huizinga, Georges Bataille, Roger Caillois und Eric Voegelins noch um sein Verständnis des Homo ludens als ‚play in progress‘. Spiel in allen Facetten ist also eine konstante, grundlegende, prägende und auch unverzichtbare menschliche Aktivität, die gesellschaftlich notwendiges ‚Lernen‘ ermöglicht, festgelegte Strukturen durchdenken lässt und innovative Ansätze / Lösungen hervorbringen kann. Diese spielerischen Erfahrungen ermöglichen Künstler(inne)n wie Nevin Aladağ, Kristina Buch, Ólafur Elíasson, Jeppe Hein, Christian Jankowski, Llobet & Pons, Michel Majerus, Andreas Schmitten, Superflex, Thomas Schütte, Rirkrit Tiravanija, Alvaro Urbano und Ina Weber. Der in Stockholm lebende Künstler Carsten Höller hat eine spezielle, ortsbezogene Bonner Rutschbahn / Bonn Slide entwickelt, die das Dach und den Vorplatz verbindet. Die Arbeit wird mit der Ausstellung eröffnet, bleibt aber für mehrere Jahre installiert und ist saisonal nutzbar.

Ólafur Elíasson * 1967 in Kopenhagen, Dänemark/Copenhagen, Denmark Lebt und arbeitet in Berlin und Kopenhagen, Dänemark/ Lives and works in Berlin and Copenhagen, Denmark

The collectivity project, New York 2015

Teamplayer

Die insgesamt 18 Künstler loten das Thema ,Spiel‘ mit interaktiven und räumlichen Installationen aus. Sie alle sind an sozialer (Kunst-)Praxis interessiert, die Erfahrungen anbieten und teilen möchte, die die mögliche Distanz zur Kunst bzw. deren Erleben abbauen und die über das visuelle und / oder das akustische Erlebnis hinaus weitere, auch haptische Sinneserfahrungen ermöglichen will. Die (kindliche) Erinnerung wird ganz bewusst mit einbezogen, Erlerntes ab- oder unbewusst Erlerntes wieder hervorgerufen. Soziale und kognitive Intelligenz und Kompetenz, die jemand als Kind spielerisch entwickelt hat, werden durch die gesellschaftlichen Anforderungen häufig unterdrückt oder umgeformt, aber im Spiel können sie wieder ausgelebt werden, gerade auch im Rahmen des ‚seriösen‘ Feldes der Kunst. Spiel bedeutet Freiraum und Experiment, das Ausloten der individuellen Grenzen und Kompetenzen. Es birgt ein unbegrenztes Feld der Möglichkeiten im freien Spiel und ‚geordnete‘ Strategien bei Spielen mit (festen) Regeln, wie z.B. auch im Wettkampf. „Spiele sind Übungen der Mustererkennung“, schreibt der Philosoph Markus Gabriel, und diese sind wiederum notwendig für die individuelle Positionierung innerhalb unserer Gesellschaft. Auch auf Friedrich Schiller ist hier zu verweisen, der in seiner Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen (11.–16. Brief, 1795) die Bedeutung des „Spieltriebs“ hervorhebt. Er ist als verbindendes Element zwischen der Empfindung und dem Leiden des „sinnlichen Triebs“ und zwischen der Selbsttätigkeit und der Freiheit des „Formtriebs“ notwendig zur ganzheitlichen Wesensbildung des Menschen: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Kristina Buch * 1983, Meerbusch Lebt und arbeitet in Düsseldorf/ Lives and works in Düsseldorf

Playing above the snake line, 2018

Und da laut Schiller die Kunst „eine Tochter der Freiheit“ ist, macht es in diesem Zusammenhang Sinn, sich Künstlern zu widmen, die das (teilweise) freiheitliche Prinzip des Spiels im öffentlichen Raum als Methode oder Strategie in ihr Werk integrieren. Kunst wird hier als dezidiert offenes Konzept verstanden, dass den konzeptuellen und formalen Freiraum nutzt, Narrationen, Imaginationen oder Utopien zu entwerfen, die sich dem Alltag entziehen und dennoch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sein können – so kann auch das Spiel verstanden werden. Kunst ist ein essenzieller Teil unseres Lebens, dies zu empfinden und zu denken gehört zu den demokratischen Möglichkeiten einer Gemeinschaft.

Der Betrachter – eigentlich ein inzwischen nicht mehr wirklich zutreffender Begriff –, also der Spieler, Teilnehmer, der Kommunizierende, der interaktiv Partizipierende oder auch der ,Kollaborateur‘, wird im Spiel (mehr oder weniger unbewusst) aufmerksam und erweitert seine Sinneserfahrungen, die im geschäftigen Alltag oft untergehen. Rollen- und Identifikationshinterfragung, Achtsamkeit, Sensibilität und damit soziale Offenheit und Toleranz werden spielerisch gefördert, es wird eine kritische, aber auch kreative Haltung angeregt, und sowohl das individuelle Erleben als auch das kollektive Teamplay lassen (wieder) erlernen, wie das Miteinander in der Gesellschaft positiv funktionieren kann – und zusätzlich erlebt der Spielende Momente des Glücks und der Freude. Hier muss kurz erwähnt werden, dass sich die Ausstellung auf das rein ‚analoge‘ Spiel konzentriert, da aufgrund der Gegebenheiten im Außenraum digitale oder virtuelle Spiele / „Gamings“, Untersuchungen von „Urban Games“ oder „Gamifications“ kaum realisierbar gewesen wären und auch den Rahmen gesprengt hätten.

Nevin Aladağ * 1972 in Van, Türkei/Turkey Lebt und arbeitet in Berlin/ Lives and works in Berlin

Bowling Cannonballs, 2014 / 2018

Die Kunstwerke / Spiele der Ausstellung folgen unterschiedlichsten Anliegen: Mal scheinen sie reine Spielstätten zu sein, wie z.B. die Tischtennisplatten von Rirkrit Tiravanija, auch wenn sie ein gesellschaftliches Anliegen andeuten, oder die Tischkicker von Ina Weber; mal handelt es sich um teilweise transformative Kunstwerke, deren Erscheinungsbild sich permanent verändert, etwa bei Ólafur Elíassons Angebot eines Bauens mit LEGO®-Steinen (Stillstand bedeutet hier die Unmöglichkeit von Kunst und Gesellschaft). Sie erzählen, wie bei Andreas Schmitten, von einer realen (?) Begebenheit in der Vergangenheit, deren Geheimnis und morbides Narrativ der Besucher entschlüsseln kann, sie implizieren Geschichte(n), Mythen, wie bei Nevin Aladağ, oder sie schaffen – wie bei Alvaro Urbano – eine Vision von Landschaft, die zum Innehalten einlädt. Andere Werke, wie das von Kristina Buch, deuten Spielsituationen nur an – was letztendlich auch die Gartenzwerge von Thomas Schütte tun – und animieren den Besucher, das Spiel selbst zu gestalten und vielleicht (fiktive) Regeln zu entwickeln. Beiträge wie die Basketballkörbe von Llobet & Pons basieren auf einer sehr konkreten politischen und damit gesellschaftlich relevanten Untersuchung. Carsten Höller, das Künstlerkollektiv Superflex und der viel zu früh verstorbene Michel Majerus bieten Spielgeräte und -möglichkeiten an – Schaukeln, eine riesige Rutsche und eine überdimensionale Skaterrampe, die den Besucher mental und körperlich herausfordern, aber auch Glücksmomente hervorzaubern. Wie auch die Arbeiten von Jeppe Hein – ein großer Wasserpavillon auf dem Vorplatz, Ballons im Foyer und formal ungewöhnliche Sitzbänke auf dem Dach – oder die Karaoke Bar von Christian Jankowski, in der jeder, als vermeintlicher Superstar, herzzerreißend mitsingen kann.

Alle Werke verbindet jedoch das grundsätzliche Anliegen der Künstler, durch das Spiel individuelle und soziale Kompetenzen zu entwickeln und zu festigen.

Die Bundeskunsthalle hat diese Ausstellung ins Spiel gebracht, die Künstler die verschiedenen Konzepte und die Besucher bringen nun die Werke ins Spiel(en).

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