StiftungsReport 2008/09

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Wie steht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland? ­Dieser Frage widmet sich der aktuelle StiftungsReport. Das Themenspektrum reicht von Menschen mit Zuwanderergeschichte über sozialräumliche Integration bis Diversity Management. Es werden zahlreiche von Stiftungen initiierte oder finanzierte Integrationsprojekte vorgestellt, die Vorbildcharakter haben. In Hintergrundtexten, Interviews, Portraits und Reportagen kommen Wissenschaftler, Politiker, Leiter von Integrationsprojekten und Geförderte zu Wort. Eine repräsentative Umfrage zeigt, wie die Bevölkerung über kulturelle ­Vielfalt und Integration sowie in diesem Bereich aktive Stiftungen denkt. Außerdem: • Aktualisierte Zahlen, Daten und Fakten zur deutschen Stiftungslandschaft anschaulich aufbereitet • Stiftungsumfrage: Wie zufrieden sind Stiftungen mit ihren Banken? • Serviceteil: unter anderem mit den wichtigsten Änderungen im Spenden und Gemeinnützigkeitsrecht Der jährlich erscheinende StiftungsReport ist ein unverzichtbares Werk für Fach- und Führungskräfte im gemeinnützigen Sektor, in Politik und Wirtschaft, für Medienschaffende und Verbände. Neben aktuellen Zahlen, Daten und Trends im Stiftungswesen widmet er sich schwerpunktmäßig gesellschaftspolitischen Herausforderungen und zeigt auf, welchen Beitrag Stiftungen zu deren Lösung beitragen.   Herausgegeben vom in Kooperation mit

Das Projekt wurde gefördert von:

Originalausgabe StiftungsVerlag www.Stiftungen.org

StiftungsReport 2008/ 09

Die Stiftungslandschaft 2008/09

Wie Vielfalt zusammenhält

Aktualisiert: Zahlen zum deutschen Stiftungswesen

Integriert: Wie Stiftungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen

Engagiert: Fördernde und Geförderte berichten aus der Praxis

Report 2008/09 Wie Vielfalt zusammenhält – Projekte, Initiativen und Menschen

in Kooperation mit ISBN 3-927645-84-2



Wie steht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland? ­Dieser Frage widmet sich der aktuelle StiftungsReport. Das Themenspektrum reicht von Menschen mit Zuwanderergeschichte über sozialräumliche Integration bis Diversity Management. Es werden zahlreiche von Stiftungen initiierte oder finanzierte Integrationsprojekte vorgestellt, die Vorbildcharakter haben. In Hintergrundtexten, Interviews, Portraits und Reportagen kommen Wissenschaftler, Politiker, Leiter von Integrationsprojekten und Geförderte zu Wort. Eine repräsentative Umfrage zeigt, wie die Bevölkerung über kulturelle ­Vielfalt und Integration sowie in diesem Bereich aktive Stiftungen denkt. Außerdem: • Aktualisierte Zahlen, Daten und Fakten zur deutschen Stiftungslandschaft anschaulich aufbereitet • Stiftungsumfrage: Wie zufrieden sind Stiftungen mit ihren Banken? • Serviceteil: unter anderem mit den wichtigsten Änderungen im Spenden und Gemeinnützigkeitsrecht


StiftungsReport 2008/09 Wie Vielfalt zusammenhält – Projekte, Initiativen und Menschen

Herausgegeben vom Bundesverband Deutscher Stiftungen


Impressum

Herausgeber: Bundesverband Deutscher Stiftungen Mauerstraße 93 | 10117 Berlin Telefon (030) 89 79 47-0 | Fax -10 www.Stiftungen.org Verlag@Stiftungen.org Verantwortlich: Dr. Hans Fleisch, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen In Kooperation mit: BMW Stiftung Herbert Quandt Reinhardtstraße 58 | 10117 Berlin Telefon (030) 3396-3500 | Fax -3530 Autorinnen und Autoren: Dr. Antje Bischoff (Projektleitung), Elisabeth Beckmann, Jörn Breiholz, Barbara Bückmann, Daniela Deuber, Karolina Merai, Michael Netzhammer ISBN 3-927645-84-2 Berlin, Juni 2008 Gestaltung: Jörg Scholz, Köln (www.traktorimnetz.de) Titelbild: Rütli Wear Berlin Druck: Gebrüder Kopp GmbH & Co. KG, Köln Der Innenteil dieser Publikation wurde gedruckt auf Bioart Top, hergestellt aus 100 % wiederaufbereiteten Fasern (ausgezeichnet mit dem Siegel „Nordischer Schwan“ für Umweltverträglichkeit).


Vorwort Aus dem Zusammenwirken von demo­grafischem Wandel, Globalisierung und der Dynamisierung vielfältiger Veränderungsprozesse ergeben sich für die Gesellschaft Fliehkräfte, die das soziale Kapital des Gemeinwesens auszuhöhlen drohen. Es gibt allerdings zahlreiche Potentiale, deren verstärkte Nutzung zur Bewältigung aktueller Herausforderungen beitragen kann. Stifterisches und bürgerschaftliches Engagement gehören zu solchen Potentialen. Stiftungen sind als Innovationsmotoren Gestalterinnen einer aufkeimenden Bürgergesellschaft. Zudem tragen sie mit der ihnen eigenen Nachhaltigkeit zur Stabilisierung des bürgerschaftlichen Engagements bei. Wie starke Kräne können Stiftungen die Schätze heben, die die wachsende Diversität in der Gesellschaft und die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zum Engagement für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft darstellen. Dass der demokratische Staat die Voraussetzung seiner Existenz und Vitalität nicht selbst schaffen kann, wird wieder mehr anerkannt – und dies hat nicht in erster Linie finanzielle Gründe. Stiftungen können den Staat jedoch keinesfalls ersetzen. Aber ihre Verantwortung für das Gemeinwohl wächst, und es ist eine insofern nicht nur gute, sondern auch notwendige Entwicklung, dass die Stiftungslandschaft in Deutschland blüht und durch hohe Zuwachsraten gekennzeichnet ist. Der jährlich erscheinende StiftungsReport gibt einen aktuellen Überblick über diese Landschaft und beleuchtet dabei jährlich mit wechselnden Schwerpunktthemen einzelne Biotope etwas detaillierter. In diesem Jahr ist es das

Thema Integration im weiteren Sinne, das über die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund hinausreicht. Wir sind dankbar, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in diesem Jahr den StiftungsReport abermals gefördert hat. Zu Dank verpflichtet sind wir insbesondere dem Projektteam, das diesen Report hergestellt hat: Dr. Antje Bischoff (Leitung), ­Karolina Merai sowie von der BMW Stiftung Herbert Quandt Frau Daniela Deuber und Elisabeth Beckmann. Den journalistischen Teil haben Jörn Breiholz, Michael Netzhammer und Barbara Bückmann übernommen. Die grafische Gestaltung stammt wie bereits im letzten Jahr von Jörg Scholz. Wir freuen uns auch, dass die Zusammenarbeit zwischen der BMW Stiftung Herbert Quandt und dem Bundesverband mit guter Begleitung durch das Bundesfamilienministerium ausgesprochen partnerschaftlich und produktiv war. Aus Gründen der Lesbarkeit wird an wenigen Stellen auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet. In diesen Fällen sind stets beide Geschlechter gemeint. Wir freuen uns, wenn dieser Report auch dazu beiträgt, erfolgreich Erprobtes „einfach“ auf die eigene Situation hin anzupassen und nachzuahmen. Denn manchmal kann es innovativer sein, Gutes einfach nur zu adaptieren, zu multiplizieren und klug weiter zu entwickeln anstatt schon bestehenden Modellprojekten ein Weiteres hinzuzufügen. Mit Blick auf all das, was Sie in diesem Report an bester Praxis finden, sollte die Devise zunächst vor allem lauten: „Mit vereinten Kräften in die Breite!“ In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre.

Berlin, im Juni 2008 Dr. Hans Fleisch Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen

Markus Hipp Geschäftsführender Vorstand der BMW Stiftung Herbert Quandt


Inhalt

Vorwort von Bundesministerin Ursula von der Leyen.............................. 8 1 Engagement in Zahlen....................................................................... 10 2 Stiftungen und ihre Banken: Eine Umfrage..................................... 22 3

Lust auf Vielfalt..................................................................................34 Editorial.............................................................................................. 35 Geschichte sind Bilder........................................................................ 39 Interview mit Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel............................. 42

4 Umfrage: Wie denken die Deutschen über kulturelle Vielfalt, Integration und Stiftungen?..............................................................48

6

5

Eine junge Disziplin – Stiftungen, Migration und Wissenschaft... 58 Hintergrund: Von Diabetes bis Diaspora-Forschung......................... 59 Interview mit Professor Klaus J. Bade................................................ 65 Reportage: 10.000 türkische Vornamen, 15.000 türkische Nachnamen............................................................ 70 Portrait: Zeynep Sezgin...................................................................... 74 Kurzportraits: Stiftungen zum Thema............................................... 76

6

Eine vielschichtige Welt – Menschen mit Zuwanderergeschichte...............................................................77 Hintergrund: Mehr Licht..................................................................... 78 Interview mit Hamideh Mohagheghi..................................................86 Reportage: Elisa will weitererzählen.................................................. 91 Portrait: Halima Alaiyan..................................................................... 95 Kurzportraits: Stiftungen zum Thema...............................................98

7

Gesellschaftliche ­Vielfalt fördern und ­gestalten...........................99 Hintergrund: Für das Gemeinsame im Verschiedenen....................100 Interview mit Sebastian Reißig........................................................ 108 Reportage: Rolltreppe aufwärts...................................................... 111 Portrait: Sami................................................................................... 115 Kurzportraits: Stiftungen zum Thema............................................. 118

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Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird........................... 119 Hintergrund: Urbanität und gesellschaftlicher Zusammenhalt....... 120 Interview mit Christoph Bex............................................................. 127 Reportage: Zu große Schuhe?..........................................................130 Portrait: Gilles Duhem......................................................................134 Kurzportraits: Stiftungen zum Thema............................................. 137

9 Handicap als Chance........................................................................138 Hintergrund: Behindert ist man nicht, behindert wird man............ 139 Interview mit Wera Tavra..................................................................148 Reportage: Sehnsucht Unterricht.................................................... 152 Portrait: Manfred Sauer................................................................... 156 Kurzportraits: Stiftungen zum Thema............................................. 159 10 Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe........................................160 Hintergrund: Brain Circulation und Eliteförderung von Migranten – mögliche Wege im globalen Wettbewerb um Talente?.................... 161 Interview mit Mark. R. Steinke......................................................... 167 Reportage: Mit Unterstützung ist alles möglich.............................. 170 Portrait: Gopi Prasad....................................................................... 156 Kurzportraits: Stiftungen zum Thema............................................. 177 11 Cultural Diversity – aus Einfalt Vielfalt machen........................... 178 Hintergrund: Vielfalt ist eine Chance............................................... 179 Interview mit Michael Schmidt......................................................... 183 Reportage: Einstimmig für Integration............................................ 187 Portrait: Sabina Prokop....................................................................192 Kurzportraits: Stiftungen zum Thema.............................................195 12 Serviceteil........................................................................................196 A – Was ist eine Stiftung?.................................................................196 B – Stiftungstypologie.....................................................................198 C – Stiftungsgründung in fünf Schritten..........................................199 D – Engagement wird erleichtert......................................................200 Anmerkungen und Literatur..................................................................203

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Liebe Leserinnen und Leser,

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Seit die Grenzen unserer Welt schwinden, seit die Globalisierung in den hintersten Winkeln angekommen ist, beobachten Zukunfts­ forscher zwei Trends. Auf der einen Seite nehmen Individualismus und Unsicherheit in unserer Welt zu. Aber auf der anderen Seite können wir sehen, dass immer mehr Menschen bereit sind, für andere oder ihre Umgebung Verantwortung zu übernehmen. Was sie antreibt, ist das Bedürfnis, etwas vor Ort zu verändern. Dieser Trend spiegelt sich auch an der Anzahl der Stiftungen in Deutschland wider. Erfreulicherweise gibt es mittlerweile 15.449 ­Stiftungen in Deutschland und die Hälfte davon ist jünger als zehn ­Jahre. Stiftungen tragen Verantwortung in den verschiedenen Bereichen gesellschaftlichen Handelns. Sie sind Motoren und bewirken soziale Innovationen vor Ort. Sie geben der Gesellschaft und manchmal auch dem Staat Anstöße, indem sie neue Wege gehen – oft mit gehörigem Tempo. Sie wirken über Generationen hinweg und garantieren auf diese Weise Nachhaltigkeit. Der StiftungsReport 2008/09 zeigt uns das Spektrum der Stiftungslandschaft in Deutschland – als Motor, Innovator, Förderer von Projekten, Forschung und Veranstaltungen. Neben Zahlen und Fakten ist das Schwerpunktthema des diesjährigen StiftungsReports der

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gesellschaftliche Zusammenhalt. Und da bewegen Stiftungen Einiges; zum Beispiel im Bereich der Migrationsforschung, Stadtplanung, Kultur der Vielfalt sowie zur Integration von behinderten Menschen. Dabei sind Stiftungen kein Ersatz für staatliche Verantwortung. Sie können aber wichtige Partner des Staates sein. Denn unsere sozialstaatliche Ordnung lebt von dem Spannungsfeld zwischen Solidarität und Subsidiarität. Der Staat muss zuverlässig den Schutz da bieten, wo Menschen sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Aber der Staat muss ermöglichend und aktivierend die kleinen Einheiten befähigen, ihre eigenen Kräfte zu entfalten. Daher habe ich im vergangenen Jahr die Initiative „ZivilEngagement Miteinander – Füreinander“ gestartet. Sie hat zum Ziel, das zivilgesellschaftliche Engagement der mehr als 23 Millionen Freiwilligen in Deutschland anzuerkennen, weiterzuentwickeln und zu stärken. Denn dieses Engagement brauchen wir. Sehen wir uns allein die Zahlen an: jeder zweite Pflegefall in Deutschland wird von einem Familienmitglied über 60 gepflegt. Oder aber die Stiftungen; mit den Erträgen aus Stiftungskapital in Milliardenhöhe gehen sie gesellschaftliche Herausforderungen an und bewirken mit hohen Kompetenzen Lösungen von sozialen Problemen. Aber weder das Engagement im Kleinen noch das Engagement im Großen wird bei uns hinreichend wahrgenommen. Engagement muss einen hohen Wert darstellen und zugleich Selbstverpflichtung sein – und als solches gesellschaftliche Anerkennung finden. Daran müssen wir arbeiten. Der StiftungsReport 2008 trägt hierzu seinen Teil bei. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen! Dr. Ursula von der Leyen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

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Vorwort von Bundesministerin Ursula von der Leyen


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Engagement in Zahlen Die Stiftungswelt boomt und entwickelt sich. Dazu beigetragen hat das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements, das im September vergangenen Jahres beschlossen wurde. Rückwirkend zum 1. Januar 2007 bringt es erhebliche Verbesserungen im Stiftungssteuerrecht mit sich. Die Stiftungswelt dankt es mit immer neuen Gründungen. Die Zahl der jährlich neu gegründeten Stiftungen hat 2007 erstmals in der Stiftungsgeschichte die 1.000er Marke durchbrochen. Insgesamt waren es 1.134 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts – das entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um mehr als 26 Prozent. Damit gibt es in Deutschland aktuell 15.449 Stiftungen dieser Rechtsform.

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StiftungsReport 2008/09


Der überwiegende Teil der in der Datenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen erfassten Stiftungen wurde innerhalb der letzten zwanzig Jahre errichtet. Die zunehmende Bedeutung von Stiftungen als Akteurinnen der Zivilgesellschaft lässt sich in Westdeutschland ab Mitte der 1980er Jahre an einem regelrechten Stiftungsboom ablesen. Vermögen, das während der Wirtschaftswunderjahre erwirtschaftet wurde, konnte mit einer zeitlichen Verzögerung gestiftet werden. In den alten Bundesländern wurden 2007 insgesamt 1.059 Stiftungen errichtet. Das bedeutet einen Zuwachs von rund 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In der DDR hat das SED-Regime das bürgerschaftliche Engagement massiv unterdrückt, doch im Umbruch der Jahre 1989 und 1990 haben die Bürgerinnen und Bürger die Dinge in die eigene Hand genommen. So hat beispielsweise die Bewegung der Bürgerstiftungen in Ostdeutschland mit den Bürgerbewegungen des Jahres 1989 einen ureigenen Anknüpfungspunkt. Diese Erfahrung lehrt, dass es nicht immer der wohlhabende Mäzen sein muss, der wie in alten Zeiten städtische Einrichtungen fördert. Seit 1990 wurden fast 700 Stiftungen in den neuen Bundesländern gegründet. Der Osten boomt, allerdings auf niedrigem Niveau: Die Anzahl der Neuerrichtungen stieg von 49 im Jahr 2006 auf 75 Stiftungen im Jahr 2007, also immerhin um 60 Prozent. Maßgebliche Impulse für diese positive

Entwicklung lieferten die verschiedenen Reformen zur Förderung des Stiftungswesens. Durch das „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen“ aus dem Jahr 2000, das „Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts“ von 2002, Reformen der Landesstiftungsgesetze sowie die jüngste Reform von 2007 wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen verbessert. Die Bilanz: In den vergangenen sieben Jahren hat sich der Bestand an Stiftungen bürgerlichen Rechts bundesweit von circa 8.700 auf knapp 15.500 Stiftungen nahezu verdoppelt. Stiftungsgründungen in 5-Jahres-Zeiträumen in Ostund Westdeutschland Quelle: Bis 1989 Bundesverband Deutscher Stiftungen (2008), ab 1990 Stiftungsaufsichtsbehörden

4.000 3.500 3.000 2.500 2.000

Westdeutschland Ostdeutschland

1.500 1.000 500 0

1945 – 1949 1950 – 1954 1955 – 1959 1960 – 1964 1965 – 1969 1970 – 1974 1975 – 1979 1980 – 1984 1985 – 1989 1990 – 1994 1995 – 1999 2000 – 2004 2005 – 2007

Aufschwung Ost und Boom West – der Trend zum Stiften ist ungebrochen*

11 * Der folgende statistische Überblick vermittelt einen ersten Eindruck von der deutschen Stiftungslandschaft. Er wurde auf Grundlage der Datenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen sowie der Angaben der Aufsichtsbehörden erstellt. Da es kein bundeseinheitliches amtliches Stiftungsregister gibt, kann die Datenbank des Bundesverbandes nicht die Gesamtzahl deutscher Stiftungen erfassen. Angaben zu den überwiegend kleinen Treuhandstiftungen, deren Zahl auf weit über 20.000 geschätzt wird, sowie zu den vermutlich weit mehr als 30.000 kirchlichen Stiftungen fehlen.

1 – Engagement in Zahlen


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StiftungsReport 2008/09

Verteilung der Stiftungszwecke (Hauptgruppen) in Ost- und Westdeutschland (in Prozent) Westdeutschland (n = 9.296) Ostdeutschland (n = 582)

30 25 20 15 10 5

privatnützige Zwecke

andere gemeinnützige Zwecke

Umweltschutz

Kunst und Kultur

Bildung und Erziehung

0 Wissenschaft und Forschung

Die gewählten Stiftungszwecke spiegeln häufig die Herausforderungen und Bedürfnisse der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Stiftungsgründung wider. Zugleich hat die Wahl des Zwecks auch etwas mit der persönlichen Erfahrung und der Biografie der Stifterin oder des ­Stifters zu tun. In den neuen Bundesländern sind die Zwecke Kunst und Kultur, Umwelt, und andere gemeinnützige Zwecke deutlich häufiger vertreten als im Westen der Republik. Stiftungen, die sich für Bildung und Erziehung oder Wissenschaft und Forschung einsetzen, sind vermehrt in den alten Bundesländern zu finden. Im Bereich Soziales zeigen sich keine Unterschiede. Warum Kunst und Kulturzwecke im Osten so viel stärker vertreten sind, darüber kann nur spekuliert werden. Wissenschaft und Forschung sind kostenintensive Bereiche, die möglicherweise eher von sehr finanzstarken Stiftungen aus dem Westen gefördert werden. Im Bereich Umwelt gibt es für den Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland eine plausible Erklärung: Die geringe Bevölkerungsdichte in vielen Teilen Ostdeutschlands, fehlende Industrien, der damit verbundene geringe Flächenverbrauch und wenige Straßen haben viele Landschaften in einer für Deutschland äußerst selten gewordenen Unzerschnittenheit und Ruhe erhalten. Das gilt besonders für Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Hier gibt es Ökosysteme, die in Deutschland zu den letzten ihrer Art gehören. Zwei davon liegen an der Grenze zwischen der Bundesrepublik und Polen und in beiden engagieren sich Stiftungen: Die einsamen Wälder der „Grenzheide“ in Mecklenburg-Vorpommern sind Teil eines der letzten größeren geschlossenen Waldgebiete Deutschlands, für das dortige Naturschutzprojekt zur Stärkung der Re-

gion Uecker-Randow kämpft die Michael Succow Stiftung. Der Nationalpark Unteres Odertal in Brandenburg ist der einzige Auenationalpark der Bundesrepublik und ist zugleich einer ihrer artenreichsten Lebensräume. Dass das so bleibt, dafür setzt sich seit über zehn Jahren die Nationalparkstiftung Unteres Odertal ein.

soziale Zwecke

Wofür wird gestiftet in Ost und West?

Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen (April 2008) Die meisten Stiftungen geben in ihrer Satzung mehrere gemeinnützige Zwecke als Tätigkeitsgebiete an. Die Gewichtung der Zwecke erfolgt hier nach folgendem Muster: Gibt eine Stiftung mehrere Zwecke an (etwa Umwelt- und Naturschutz), die in einer der Hauptgruppen liegen (etwa Umweltschutz), so werden sie in dieser Gruppe nur einmal gezählt. Gibt eine Stiftung mehrere Zwecke an (etwa Bildung und Kultur), die in verschiedenen Bereichen liegen, so werden diese jeweils zur Hälfte gezählt. Das bedeutet, dass hier nicht nach Einzel­zwecken gewichtet wurde, sondern die einzelnen Zwecke wurden zunächst in die Hauptgruppen der Abgabenordnung zusammengefasst. Erst dann wurde die Gewichtung vorgenommen. Jede Hauptgruppe erhält das gleiche Gewicht.


Eins zwei drei … ganz viele! Die Stiftungslandschaft sah zu Zeiten der Wiedervereinigung deutlich anders aus als heute: 1989 waren dem Bundesverband Deutscher Stiftungen nur 4.587 Stiftungen bekannt, seitdem hat sich der Stiftungsbestand rasant entwickelt. Die Verankerung der Stiftung in der Zeitachse macht sie offenkundig gerade dann attraktiv, wenn Ordnungen zusammenbrechen oder sich verändern. Das hängt auch damit zusammen, dass das Stiften oft als Instrument der gesellschaftlichen Integration gesehen wurde. Dies trifft beispielsweise für die Zeit nach dem 30-jährigen Krieg zu – das prominenteste Beispiel sind die 1698 als Waisenhaus und Armenschule gegründeten Franckeschen Stiftungen zu Halle (übrigens eine Altstiftung, die 1946 durch

die Nazis aufgelöst und 1991 erfolgreich wiederbelebt wurde). Es gilt aber auch für die Zeit nach dem Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation ­ (z. B. Stiftung Städelsches Kunstinstitut, 1815) oder für die Gründerzeit (z. B. CarlZeiss-Stiftung, 1889). Auch der Zusammenbruch des DDR-Regimes hat im Osten ein Stiftungsfeuerwerk entfacht. Nach der Gründungswelle konnten die neuen Länder allerdings mit der Dynamik im Westen nicht Schritt halten. Im Jahr 2007 gab es in den neuen Bundesländern 951 Stiftungen, in den alten Bundesländern dagegen 14.498. Das liegt nicht nur an der Unterdrückung der bürgerschaftlichen Tradition durch die SED-Herrschaft, sondern unter anderem daran, dass ehrenamtliche Arbeit auch etwas mit materieller Grundsicherung zu tun hat. Die hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist dem Engagement nicht förderlich.

Stiftungsbestand, Errichtungen, Stiftungs- sowie Errichtungsdichte pro 100.000 Einwohner für 2007 nach Bundesländern Bundesland Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen

Bestand Errichtungen 2.286 2.768 606 120 283 1.077 1.469 130 1.645 2.935 723 126 307 199 580 195

188 207 29 9 16 67 109 11 121 215 65 9 26 15 33 14

Stiftungsdichte

Errichtungsdichte

21,3 22,2 17,8 4,7 42,6 61,4 24,2 7,7 20,6 16,3 17,8 12,1 7,2 8,1 20,5 8,4

1,75 1,66 0,85 0,35 2,41 3,82 1,79 0,65 1,52 1,19 1,60 0,86 0,61 0,61 1,16 0,61

Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen (April 2008), Stiftungsaufsichtsbehörden (Dezember 2007), Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen; Einwohnerzahlen: Stand 31.12.2006

1 – Engagement in Zahlen

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Viel Volk, viel Stiftung

Bei der Entwicklung der Stiftungszahl gibt es groĂ&#x;e regionale Unterschiede. Im Westen der Bundesrepublik sind seit 1989 vor allem in den Metropolregionen des Rhein-Main-Gebiets, im Raum KĂśln/Bonn sowie in Teilen ­Niedersachsens und Schleswig-Holsteins zahlreiche Stiftungen entstanden. Im westlichen Rheinland-Pfalz verlief die Entwicklung allerdings weniger dynamisch. In den ostdeutschen Bundesländern liegen die Zahlen weitgehend noch unter 10 Stiftungen pro Landkreis. In Brandenburg kamen mit Ausnahme der Landeshauptstadt Potsdam mit ihrem florierenden Kultur- und Wissenschaftsbetrieb kaum neue Stiftungen hinzu. Auch im dĂźnn besiedelten MecklenburgVorpommern tut sich – bis auf die Hanse­ städte mit ihrer bĂźrgerlichen Tradition – nicht viel. Aber absolute Zahlen sind nicht alles: „Gerade in Ostdeutschland sind es neben BĂźrgerinitiativen die BĂźrgerstiftungen, die sich aktiv gegen eine

Das Land mit der grĂśĂ&#x;ten Zahl neuer Stiftungen ist wie in den Vorjahren Nordrhein-Westfalen. Das bevĂślkerungsreichste Bundesland liegt sowohl mit 215 neu gegrĂźndeten Stiftungen als auch mit einem Bestand von jetzt 2.935 Stiftungen vorn. Platz zwei nimmt erneut Bayern ein. Den drittgrĂśĂ&#x;ten Zuwachs an neuen Stiftungen verzeichnet Baden-WĂźrttemberg. Bezogen auf die Einwohnerzahl sind in den Flächenländern die Hessen am stiftungsfreudigsten, bei den neuen Bundesländern schneidet Mecklenburg-Vorpommern am besten ab. Berlin muss auf dem Weg zur Stiftungshauptstadt noch ein weites StĂźck gehen, 2007 rangiert die Spreemetropole bei der Errichtungsdichte weit unter dem Bundesdurchschnitt von 1,38. In den Jahren 2005 und 2006 hatte die Hauptstadt in diesem Punkt noch Ăźber dem jeweiligen Bundesdurchschnitt gelegen.

4ZMU 'MFOTCVSH

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4ZMU

3 HFO

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Stiftungsbestand nach Landkreisen in den Jahren 1989 und 2007 Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen (April 2008)

5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 mehr als 70 %VJTCVSH

Fßr diese beiden Karten wurden nur Stiftungen ­berßcksichtigt, von denen Rechtsform, Sitz und Errichtungsjahr bekannt sind.

1989 8JMIFMNT IBWFO &NEFO

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StiftungsReport 2008/09

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VerĂśdung und Entzivilisierung ganzer Regionen wenden und die eine demokratische Entwicklung initiieren, die auf die Beteiligung aller BĂźrgerinnen und BĂźrger am Gemeinwesen zielt.“1

Dicht an dicht: Stiftungen in Hanse- und Kaufmannsstädten Ein etwas anderes Bild der deutschen Stiftungslandschaft ergibt sich auf Kreisebene, wenn man die Anzahl der Stiftungen zur Einwohnerzahl in Bezug setzt. Stiftungen konzentrieren sich generell eher in städtischen Gebieten. Erstens leben dort die meisten Menschen, dort wird also auch das meiste Geld erwirtschaftet. Zweitens waren in vielen Städten Bßrgertum und Kaufmannschaft traditionell sehr einflussreich. In den Hansestädten Hamburg, Bremen, Lßbeck im Westen, aber auch in Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald kann das bßr4ZMU 'MFOTCVSH

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gerschaftliche Engagement auf eine lange Geschichte zurßckblicken. Lßbeck, die KÜnigin der Hanse, verfßgt mit dem 1286 von reichen Bßrgern gestifteten HeiligenGeist-Hospital ßber eine der ältesten Sozialeinrichtungen der Welt und gleichzeitig ßber eines der bedeutendsten Monumentalbauwerke des Mittelalters ßberhaupt. Im dicht besiedelten NordrheinWestfalen haben in der alten Bundeshauptstadt Bonn nach wie vor viele Stiftungen ihren Sitz, so auch die Stiftung Mitarbeit, die sich unter anderem im Bereich Integration engagiert. In Mßnster haben im christlich geprägten Mittelalter zuerst die BischÜfe, dann aber auch die Bßrgerinnen und Bßrger Stiftungen errichtet. Eine Tradition, die sich bis heute fortgesetzt hat: Die Stadt ist die zweite Stiftungshochburg in NRW. Stiftungsreichste Stadt im Osten ist Potsdam mit 22 Stiftungen je 100.000 Einwohner. Auch im mit Kulturgßtern reich gesegneten Sachsen-Anhalt hat sich Einiges getan. In der Landeshauptstadt kommen immerhin zehn Stiftungen auf 100.000 Magdeburger. Verglichen mit den meisten Landkreisen in den neuen Bundesländern finden sich sonst nur in den Universitätsstädten Erfurt und Jena in Thßringen sowie in den Handels- und ­Kulturzentren Dresden und Leipzig in Sachsen vergleichsweise viele ­Stiftungen. In Sßddeutschland fallen in BadenWßrttemberg die Städte Stuttgart, Ulm und Freiburg im Breisgau, aber auch Baden-Baden und der Kreis Lindau auf. Die Kurstadt und der Bodenseekreis sind beliebte Refugien wohlhabender Ruheständler. In Bayern ist Wßrzburg die Stadt mit den meisten Stiftungen und liegt damit vor der Landeshauptstadt Mßnchen. Auch Regensburg und Augsburg gehÜren wie Wßrzburg und Mßnchen zu den zehn stiftungsreichsten Städten in der ­Bundesrepublik.

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1 – Engagement in Zahlen

15


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Spitzenstädte: VerwĂśhn­ programm fĂźr Stiftungen Spitzenreiter beim Ranking zur Stiftungsdichte in den 82 deutschen GroĂ&#x;städten ist erneut Frankfurt am Main. In der Bankenmetropole entfallen auf je 100.000 Einwohner fast 72 Stiftungen. WĂźrzburg, im vergangenen Jahr noch auf Platz 7, kletterte auf Platz 2 und verweist damit Hamburg auf den dritten Rang. In absoluten Zahlen fĂźhrt ­Hamburg allerdings. Seit der Anerkennung der Hamburg Media School Stiftung als 1.000. Stiftung im November 2006 nennt

StiftungsReport 2008/09

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sich die Hansestadt „Stadt der 1.000 Stiftungen“. Die drei stiftungsreichsten Städte der Bundesrepublik haben eines gemeinsam: Stiften hat dort eine lange Tradition. Die besondere Stärke des Frankfurter Stiftungswesens ist darauf zurĂźckzufĂźhren, dass die Stadt nicht von FĂźrsten, sondern von BĂźrgern regiert wurde. Die älteste Stiftung Frankfurts, das Hospital zum heiligen Geist, stammt aus dem Jahr 1190. Neben zahlreichen Stiftungen fĂźr wohltätige Zwecke zeugt auch eine Reihe von kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen wie etwa die Frankfur-

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ter Universität vom Stiftergeist in der Mainmetropole. Heute verfügen die in Frankfurt aktiven Stiftungen über ein Gesamtvermögen von rund 5,5 Milliarden Euro, schätzungsweise 150 Millionen Euro werden jährlich für gemeinnützige Zwecke ausgegeben.2 Fast vierzig Prozent der Zweckangaben beziehen sich auf den Bereich Wissenschaft und Forschung.3 In Würzburg sicherte das Stifterehepaar Johannes und Mergardis von Steren nach der Gründung um 1316 das Bürgerspital zum Heiligen Geist durch weltliche Anerkennung und kirchliche Bestätigung. Durch Zustiftungen und Spenden wurde die bürgerliche Stiftung in die Lage versetzt, ihre sozialen Aufgaben zu erfüllen. Heute gilt sie als die größte Sozialstiftung mit geriatrischer und gerontologischer Kompetenz in der Würzburger Region. Eine Stiftung war es auch, die ab 1949 den Wiederaufbau des im Krieg stark zerstörten Würzburg vorantrieb. Die Kronprinz-Rupprecht-von-Bayern-Stiftung fördert heute eine sozial verantwortbare Wohnungsversorgung. Hamburgs älteste Stiftung trägt ebenfalls den Namen Hospital zum Heiligen Geist und wurde 1227 gegründet. „Ohne seine Stifter wäre Hamburg nicht zu der blühenden Metropole geworden, die sie heute ist“, davon ist der Präses der Hamburger Justizbehörde überzeugt. Das Vermögen der Hamburger Stiftungen beläuft sich auf circa vier Milliar­den Euro, davon entfallen 40 Prozent auf den Bereich Soziales und 37 Prozent auf Wissenschaft und Forschung.4

Wo Stifter besonders ­gefördert werden Stifterinnen und Stifter finden in Städten wie Frankfurt oder Hamburg besonders gute Bedingungen vor. Übersichtliche Broschüren und Internetauftritte der Stiftungsaufsichten

informieren ausführlich rund ums Stiften. Beide Behörden bekamen dafür in der Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen „Wie gut sind Deutschlands Stiftungsaufsichten?“ gute Noten.5 Die Initiative Frankfurter Stiftungen e.V. und das Referat Bürgerengagement der Stadt Frankfurt am Main bieten eine gemeinsame Datenbank an, deren Inhalte von den Stiftungen selbst zu Verfügung gestellt wurden. Auch Hamburg hat einen „Initiativkreis ­Hamburger Stiftungen“ und eine Stiftungsdatenbank, mit der sich Interessierte über die vielfältige Hamburger Stiftungslandschaft informieren können. Der Hamburger Senat ehrt einmal jährlich die im Vorjahr errichteten Stiftungen im Rahmen eines Empfangs und alle zwei Jahre wird der mit bis zu 10.000 Euro dotierte Hamburgische Stifterpreis vergeben. Es versteht sich fast von selbst, dass sowohl Hamburg als auch Frankfurt regelmäßig Stiftungstage ausrichten. Leipzig hat es da schwerer. Dabei gehört ein starkes bürgerschaftliches Engagement zu Leipzigs Stadtgeschichte: Vor 1945 gab es hier rund 2.000 Stiftungen. Heute sind es nur 6,5 Stiftungen pro 100.000 Einwohner. In Sachen Gründungsberatung für Stiftungen bildete die Leipziger Aufsichtsbehörde im letzten Jahr weit abgeschlagen das Schlusslicht bei der oben genannten Umfrage. Wie gut ist es da, dass es die engagierte Stiftung „Bürger für Leipzig“ gibt. Die Bürgerstiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Stiftertradition Leipzigs wieder lebendig werden zu lassen und in öffentlichen Veranstaltungen eine Brücke zwischen Tradition und Gegenwart zu schlagen. Die so genannte „Blaue Reihe“ ruft die Erinnerung an Leipziger Stifterinnen und Stifter wach. Einer von ihnen, Dr. h. c. Henri Hinrichsen, stiftete im Jahr 1911 die Hochschule für Frauen, die erste dieser Art in Deutschland. Seine Verdienste wurden im Mai diesen Jahres gewürdigt.

1 – Engagement in Zahlen

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Städteranking nach Stiftungen je 100.000 Einwohner Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 … 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82

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Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen (April 2008), Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen; Einwohnerzahlen: Stand 31.12.2006

Politische Stiftungen als Schrittmacher in der Gesellschaft

18

Politische Stiftungen stehen durch ihre Nähe zu den Parteien oft im Fokus der Öffentlichkeit. Ihre Hauptaufgaben sehen sie in der politischen Bildung, in der Unterstützung von sozial- und politikwissenschaftlicher sowie historischer Forschung, der Stipendiatenförderung, der Politikberatung und Entwicklungszusammenarbeit. Allerdings haben sie mit Ausnahme der FDP-nahen Friedrich-Naumann­Stiftung nicht die Rechtsform einer ­klassischen Stiftung, sondern die eines eingetragenen Vereins. Damit unterliegen sie nicht der staatlichen Aufsicht StiftungsReport 2008/09

und Rechnungslegungspflicht. Finanziert werden die parteinahen Stiftungen zu 90 Prozent aus Bundesmitteln; beteiligt sind das Bundesinnenministerium sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In den Haushaltsvolumina der politischen Stiftungen spiegeln sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag wider. Dadurch, dass eine traditionelle Loyalität der Stiftungen gegenüber den jeweiligen politischen Leitideen besteht, ist ihre Unabhängigkeit ­eingeschränkt. Die parteinahen Stiftungen leisten auch zu den gesellschaftspolitisch ­aktuellen Themen Migration und Integration politische Bildungsarbeit und Politikberatung. Die den Bündnisgrünen


nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung ­ e. V. hat beispielsweise ein eigenes Internetportal zu Migration, Integration und Diversity eingerichtet. Dort erhält die interessierte Öffentlichkeit Zugang zu themenbezogenen Entwicklungen und Hintergrundinformationen. Außerdem veranstaltet die Böll-Stiftung zahlreiche (Fach)Tagungen und regelmäßige Diskussionsreihen in diesem Bereich (www.migration-boell.de). Das Projekt „Gesellschaftliche Integration“ der SPD-nahen FriedrichEbert-Stiftung e. V. will zur Stärkung der Integrationskraft von Politik und Gesellschaft beitragen. Fragen sozialer Gerechtigkeit und Teilhabe werden erörtert und mögliche Lösungsansätze für einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt diskutiert mit dem Ziel, die Erkenntnisse an die Politik weiterzugeben (http://www.fes.de/integration). Die CDU-nahe Konrad-AdenauerStiftung engagiert sich im Rahmen des Almanya Programms für eine bessere Integration der in Deutschland lebenden Zuwanderer. Sie konzentriert sich dabei auf türkischstämmige Mitbürgerinnen und Mitbürger, die größte Gruppe der bei uns lebenden Einwanderer. Letztendlich soll der Austausch zwischen Bürgerinnen und Politikern mit und ohne Migrationshintergrund gestärkt werden (http://www.kas.de/ wf/de/21.70/).

Von der Anstalt zum Dienstleistungsunternehmen Die ersten Einrichtungen zur Kranken- und Altenpflege, die häufig von Kirchen auf der Basis mildtätiger Stiftungen betrieben wurden, stammen aus dem Mittelalter. Allerdings entstand das Verantwortungsbewusstsein etwa für Menschen mit geistiger Behinderung erst im 19. Jahrhundert. So entstanden fast alle großen diakonischen Einrichtungen der Behindertenhilfe, die es heute in der Bundesrepublik gibt, erst nach 1848. Auf Initiative des rheinisch-westfälischen Provinzialausschuss der Inneren Mission und mit Unterstützung von Bielefelder Kaufleuten wurden 1867 in Bielefeld die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel gegründet. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit standen in den Worten Friedrich von Bodelschwinghs die „Menschen, die niemand haben will“. Zu den großen Trägerstiftungen, die sich heute für die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einsetzen, zählen neben Bethel die Evangelische Stiftung Alsterdorf, die Heilerziehungs- und Pflegeheime Scheuern oder die Stiftung ­Liebenau (siehe Kapitel 9). Im Verlauf ihrer langen, oft wechselvollen Geschichte hat sich die Entwicklung dieser Stiftungen zu modernen Dienstleistungsunternehmen vollzogen, in denen Wirtschaftlichkeit und soziales Engagement einander bedingen.

Die größten parteinahen Stiftungen nach Gesamtausgaben6 Name Friedrich-Ebert-Stiftung e.V. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Hanns-Seidel-Stiftung e.V. Friedrich-Naumann-Stiftung Heinrich-Böll-Stiftung e.V. Rosa-Luxemburg-Stiftung e.V.

Gesamtausgaben in Euro 117.000.000 105.021.833 44.908.678 40.162.890 39.373.837 13.470.000

20 40 60 80 100 120 Mio.

Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen (April 2008), Finanzdaten aus 2006

1 – Engagement in Zahlen

19


Die größten Trägerstiftungen nach Gesamtausgaben6 Name Gesamtausgaben in Euro SRH Holding (SdbR) 517.600.000 Anstalt Bethel 358.849.969 Stiftung Liebenau 216.833.000 Deutsches Elektronen-Synchrotron „DESY“ 214.400.000 Evangelische Stiftung Alsterdorf 203.580.000 Das Vermögen der großen Anstaltsträgerstiftungen besteht in der Regel nahezu vollständig aus betriebsnotwendigen Vermögenswerten. Sie erzielen naturgemäß fast ausschließlich Erträge aus ihrer Tätigkeit, d.h. ihre Leistungen werden z. B. von den Sozialversicherungs­trägern bezahlt. Heute sind nicht nur medizinische und soziale, sondern zunehmend auch wissenschaftliche Einrichtungen als Trägerstiftungen organisiert.

Der Staat als Stifter

20

Die Stiftungen öffentlichen Rechts werden von allen staatlichen Körperschaften (Bund, Länder, Kommunen) errichtet und mit Kapital ausgestattet. Das Spektrum der gemeinnützigen Zwecke, die diese Stiftungen verfolgen, ist fast ebenso groß wie das Spektrum staatlicher Aufgaben. Hier zeigt sich die Tendenz, traditionell hoheitliche Aufgaben wie Kulturpflege oder Wissenschaft in öffentlich-rechtliche Stiftungen auszugliedern. Durch die Privatisierung von Staatseigentum kann der Staat als Stifter dazu beitragen, dass substanzielle Kapitalbestände nicht im laufenden Haushalt verwendet, sondern auf nachhaltige Weise in Stiftungen eingebracht werden. Problematisch bleibt, dass das Vermögen einer Stiftung öffentlichen Rechts schwer zu bewerten ist, weil es oft in Form von Kulturgütern oder wissenschaftlicher Infrastruktur vorliegt. In der Regel wer-

100 200 300 400 500 Mio.

den mit diesem Vermögen keine Kapitalerträge erwirtschaftet, aus denen sich die Stiftungszwecke verwirklichen ließen. Wenn der Staat eine Anstalt öffentlichen Rechts in eine öffentliche Stiftung überführt, kann daraus schnell eine Mogelpackung werden: Solche Stiftungen sind von laufenden staatlichen und privaten Zuwendungen abhängig und es fehlt ihnen die stiftungsspezifische Autonomie. Ein Beispiel für eine Stiftung des Staates, die strukturell unterfinanziert ist, ist die Stiftung Bauhaus in Dessau.

Große Vielfalt: Stiftungen ­privaten Rechts Unter den Stiftungen privaten Rechts gibt es die verschiedensten Einrichtungen. Auch der Staat kann privatrechtliche Stiftungen errichten, beispielsweise die Kulturstiftung der Länder oder die Bundeskulturstiftung. Einige sehr große privatrechtliche Stiftungen entstammen Staatsbeteiligungen, wie die VolkswagenStiftung, die 1961 aus Erlösen der Privatisierung der Volkswagen AG entstanden ist. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt erhielt 1989 ihr Stiftungskapital aus dem Verkaufserlös der bundeseigenen Salzgitter AG. Eine ganz andere Erscheinungsform bilden private Stiftungsgesellschaften wie die Robert Bosch Stiftung, die Klaus Tschira Stiftung sowie die ­Bertelsmann Stiftung, die wesentliche Geschäftsanteile an Unternehmen halten.

Quelle der Tabellen auf dieser Doppelseite Bundesverband Deutscher Stiftungen (April 2008), Finanzdaten aus 2006

StiftungsReport 2008/09


Die größten Stiftungen öffentlichen Rechts nach Gesamtausgaben6 Name Gesamtausgaben in Euro Georg-August-Universität Göttingen Stiftung Öffentlichen Rechts 821.636.000 Stiftung Preußischer Kulturbesitz 256.106.000 Stiftung kreuznacher diakonie 237.000.000 Stiftung Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) 140.000.000 Stiftung Alfred-Wegener-Institut für Polarund Meeresforschung 106.604.000 Spitalstiftung Konstanz 100.323.000 GeoForschungsZentrum Potsdam 80.969.000 Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin 76.800.000 Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch 64.600.000 Blindeninstitutsstiftung Würzburg 63.766.000 Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg 45.305.000 Stiftung Fachhochschule Osnabrück 44.962.000 Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn 42.979.000 Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben – Leibniz-Institut 32.857.000

50 100 150 200 250 … 800 850 Mio. ……

Die größten Stiftungen privaten Rechts nach Gesamtausgaben6 Name Gesamtausgaben in Euro VolkswagenStiftung 111.875.000 Landesstiftung Baden-Württemberg gGmbH 85.372.000 Robert Bosch Stiftung GmbH 72.628.000 Bertelsmann Stiftung 60.900.000 Alexander von Humboldt-Stiftung 54.373.200 Deutsche Bundesstiftung Umwelt 50.189.000 Deutsche Stiftung Denkmalschutz 43.700.000 Studienstiftung des deutschen Volkes e. V. 37.800.000 Dietmar-Hopp-Stiftung gGmbH 32.000.000 Software AG-Stiftung 30.650.000 Gemeinnützige Hertie-Stiftung 27.207.000 ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius 25.600.000 Umweltstiftung WWF-Deutschland 24.078.000 Fritz Thyssen Stiftung 21.916.000

25 50 75 100 125 Mio.

21 Weitere Informationen zu aktuellen Statistiken und Trends rund um das deutsche Stiftungswesen auf der Homepage des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen unter www.stiftungen.org sowie im ­Verzeichnis Deutscher Stiftungen, Band 1, 2008. 1 – Engagement in Zahlen


2

Stiftungen und ihre Banken: Eine Umfrage Ein großer Finanzdienstleister erklärt seinen Kundin­ nen und Kunden dieser Tage, eine gute Anlage solle wirken wie ein Espresso – nämlich Rendite anregen, ohne den Schlaf zu rauben. Ein treffendes Bild. Gerade Stiftungen müssen in punkto Vermögensanlage sehr aufgeweckt sein, gilt es doch einerseits angemessene, stabile Erträge zu erwirtschaften und andererseits die Risiken im Vermögens­ portfolio zu begrenzen, also weiterhin ruhig schlafen zu können. Die deutschen Stiftungen verwalten derzeit ein ge­ schätztes Vermögen von 100 Milliarden Euro.7 Sie sind damit aus Sicht von Banken und Sparkassen eine attraktive Anleger­gruppe. Das ist die eine Perspektive. Und wie sieht es mit der Sicht der Stiftungen auf ihre Bank aus? Vor allem Kompetenz und Serviceorientierung einer Bank dürften hier eine entscheidende Rolle spielen, denn „nicht quali­ tativ, aber ökonomisch ist der Wirkungsgrad der Stiftung abhängig von ihrem durch Vermögensverwaltung erzielten Einkommen“.8 Der Bundesverband Deutscher Stiftungen hat deshalb im Februar 2008 eine Umfrage durchgeführt, in der Stif­ tungen die Dienstleistungen ihrer Banken hinsichtlich der Vermögensverwaltung bewerten konnten.

22

StiftungsReport 2008/09


Angaben zum aktuellen Stiftungs­ portfolio, gewünschten Anlageklassen sowie zum durchschnittlichen Vermögens­ ertrag ergänzten den Fragebogen. Neben einer abschließenden Gesamtbeurteilung konnten Stiftungen außerdem Verbesse­ rungsvorschläge in Form einer offenen Nennung unter­breiten.9 Die vorliegende Umfrage ist die größ­ te Befragung dieser Art und die erste, die sich ausdrücklich auch der Kundensicht der kleineren und mittleren Stiftungen annimmt.

Befragt nach den eigenen Kennt­ nissen zur Vermögensanlage, schätzt über die Hälfte der Stiftungen (56 Pro­ zent) diese als „gut“, etwa ein Drittel als ­„mittel“ (34 Prozent) und sechs Prozent als „gering“ ein. Vier Prozent gaben keine Selbsteinschätzung ab. Von den Stiftungen, die eine eigene Vermögensverwaltung haben und gleich­ zeitig eine Einschätzung eigener Kenntnis­ se in punkto Vermögensanlage abgegeben haben (n = 389), bezeichnen 64 Prozent ihr Wissen als „gut“, dagegen sagen dies nur 47 Prozent der von einer Bank betreu­ Stiftungen sind umfragemüde ten Stiftungen von sich (n = 216). Etwas mehr als die Hälfte der befrag­ Der Fragebogen wurde an 12.544 ten Stiftungen hat ein Kapital von bis zu Stiftungen verschickt (ausgeschlossen 500.000 Euro, kumuliert weisen über 70 waren Stiftungen, die von Finanzinstituten Prozent ein Stiftungskapital bis 1 Million errichtet, und Treuhandstiftungen, die von Euro auf (Abb. 2.1). diesen verwaltet werden), davon haben sich 800 an der Umfrage beteiligt. Der Abbildung 2.1: Kapital der befragten Stif­ Rücklauf betrug 6,4 Prozent, die Umfrage­ tungen nach Kapitalklassen (in Prozent) ergebnisse können deshalb nur Tendenzen 0 5 10 15 20 25 30 35 aufzeigen. Das ist auch ein Indiz dafür, wie umfragemüde Stiftungen derzeit sind: „Es Kapitalklasse ist ja nicht so, dass Umfragen nur über Ihre mehr als 100 Millionen Euro (n = 11) Institution herangetragen werden, sondern 1,5 auch von zahlreichen anderen wichtigen bis 100 Millionen Euro (n = 49) und weniger wichtigen neugierigen Orga­ 6,5 nisationen, die das Stiftungsthema zuneh­ bis 10 Millionen Euro (n = 164) mend umtreibt. Wenn es so weitergeht, 21,7 müssen wir noch eine Halbtagskraft ein­ bis 1 Million Euro (n = 118) stellen, die mit dem Ausfüllen von Fragebo­ 15,6 gen befasst sein wird“, urteilt eine Stiftung.

Wer hat mitgemacht? Die Eckdaten

bis 500.000 Euro (n = 237) 31,3 bis 100.000 Euro (n = 177) 23,4

Die Hälfte der 800 Befragten ver­ waltet ihr Vermögen selbst, 28 Prozent ­beauftragen hiermit eine Bank und nur 2 Prozent nehmen einen bankenunabhän­ gigen Dienstleister in Anspruch. Ein Fünftel der Stiftungen machte keine Angabe zur Eigen- oder Fremdverwaltung.

Es haben überwiegend kleine und mittlere Stiftungen auf die Umfrage geantwortet, 5,5 Prozent der Stiftungen haben keine Angabe zum Stiftungskapital gemacht. Das hier erfasste Stiftungskapital beträgt geschätzte 4,4 Mrd. Euro.

Quelle für alle Grafiken in diesem Kapitel: ­Bundesverband Deutscher Stiftungen, Umfrage „Bankenqualität“ (Februar 2008). 2 – Stiftungen und ihre Banken

23


Stiftungen sind mit ihren Banken insgesamt zufrieden, die Rendite ist jedoch gering Die Gesamtzufriedenheit der Stif­ tungen mit ihrem Finanzinstitut wurde auf einer Notenskala von „1 = sehr gut“ bis „6 = ungenügend“ gemessen (Tabelle 2.1). Das Urteil fällt insgesamt „gut“ aus (Mittel­wert = 2,2). Eine gute Möglichkeit, dieses Ge­ samturteil zu überprüfen, ergibt sich, wenn die in Tabelle 2.1 aufgeführten Fragen B1 bis B6 zur Beurteilung der

Bankendienstleistungen gemeinsam interpretiert werden. Die Umfrageergeb­ nisse hängen bei diesen Fragen eng mit­ einander zusammen, d. h. sie sind signifi­ kant korreliert.10 Tatsächlich lässt sich mit Hilfe einer Faktorenanalyse aus den Fragen B1 bis B6 ein einziger Einflussfak­ tor herausfiltern, der knapp 60 Prozent der Gesamtvarianz der Stichprobe erklärt und der deshalb ein Maß für die „Zufrie­ denheit mit den Dienstleistungen der Bank“ darstellt.11 Auf dieser Grundlage wurden für jede Stiftung Mittelwerte über die Fragen B1 bis B6 errechnet, die

Tabelle 2.1: Mittelwerte der Beurteilungen für die Fragen B1 bis B6, mittlere Rendite der letzten zwei Jahre in Prozent sowie die Gesamtzufriedenheit der Stiftungen a) für alle Befragten, b) nach Verwaltungsmandat, c) nach eigenen Kenntnissen und d) nach Kapitalklassen. Für B1 bis B6 und für die Gesamtzufriedenheit waren die Antworten auf einer Skala von 1 bis 6 (vgl. Schulnoten) vorgegeben. Es bedeutet: 1 = trifft voll und ganz zu, 6 = trifft keinesfalls zu. Bei den durchschnittlichen Vermögenserträgen wurde zusätzlich der Median angegeben.12 Alle Befragten

24

B1 Die Bank hat sich in einem ausführlichen Gespräch ein ­umfassendes Bild über die Anlagegrundsätze und -ziele meiner/unserer Stiftung gemacht.

Mittelwert n

2,1 653

B2 Die mit der Bank entwickelte Anlagestrategie ist individuell auf die Bedürfnisse meiner/unserer Stiftung zugeschnitten.

Mittelwert n

2,3 629

B3 Das Stiftungsportfolio verbindet durch seine breite Diver­sifizierung über Anlageklassen, Länder und Emittenten eine angemessene Ertrags­ erwartung mit einer breiten Risikostreuung.

Mittelwert n

2,8 581

B4 Anlagestrategie und Portfolioentwicklung werden von der Bank verständlich dargestellt und ermöglichen dem Stiftungsmanagement die selbständige Bewertung von Finanzprodukten und Anlagestrategie.

Mittelwert n

2,4 597

B5 Die Gebühren der Bank für das Vermögensmanagement sind angemessen.

Mittelwert n

2,2 609

B6 Die Bank berät mich/uns von sich aus zu ethischen, ökologischen und sozialen Geldanlagen.

Mittelwert n

4,0 581

Wie hoch war der durchschnittliche Vermögensertrag (= laufende Erträge und Kursgewinne) des nach Kosten bei der Bank angelegten Geldes in den letzten 2 Jahren?

Mittelwert Median n

4,4 4,0 595

Wie zufrieden Sind Sie insgesamt mit Ihrer Bank?

Mittelwert n

2,2 676

StiftungsReport 2008/09


ebenfalls Werte zwischen 1 und 6 anneh­ men können. Daraus ergeben sich vier Abstufungen: „Sehr zufrieden“ (Mittel­

Häufigkeit 140 120

Abbildung 2.2: Histogramm der Mittelwer­ 100 te über die Fragen B1 bis B6 als Maß für 80 die Zufriedenheit der Stiftungen mit den Dienstleistungen ihrer Bank (n = 668, 132 60 Stiftungen haben bei keiner der Fragen B1 bis B6 geantwortet). Insgesamt 72 Prozent 40 der Stiftungen sind „sehr zufrieden“ oder 20 „zufrieden“ (Mittelwerte zwischen 1,0 0 und 3,0). Die dünne Linie gibt die Normal­ 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 verteilungskurve wieder. Noten für Zufriedenheit (Mittelwerte)

Verwaltung des Stiftungsver­mögens durch

Eigene Kenntnisse über die Ver­mögensanlage von Stiftungen

Stiftungsvermögen in Euro

Bank eigene keine Verwal- Antung gabe

gut

mittel

gering

bis 100 Tsd.

bis 500 Tsd.

bis 1 Mio.

bis 10 Mio.

bis 100 Mio.

> 100 Mio.

1,9 217

2,4 289

2,1 137

1,9 357

2,4 237

2,6 45

2,5 143

2,1 200

2,2 106

1,9 142

1,8 43

2,0 8

2,2 210

2,4 278

2,3 131

2,0 341

2,6 230

3,2 45

2,5 137

2,3 192

2,5 105

2,1 141

2,1 38

1,9 8

2,5 205

3,1 242

2,4 129

2,5 319

3,1 210

3,6 40

3,2 118

2,9 176

2,8 100

2,4 133

2,3 41

1,4 8

2,3 209

2,5 249

2,4 129

2,0 325

2,8 221

3,3 40

2,8 122

2,4 188

2,5 99

2,1 133

2,2 40

2,3 8

2,2 213

2,2 261

2,2 125

2,0 334

2,4 221

2,7 43

2,2 129

2,2 192

2,2 99

2,2 135

2,1 41

2,8 8

3,9 202

4,1 247

3,9 122

3,8 318

4,1 214

4,8 39

3,9 125

3,8 175

4,5 97

4,0 127

4,1 40

4,6 8

4,2 4,0 185

4,7 4,0 280

4,3 4,0 117

4,8 4,2 332

4,1 4,0 216

3,7 4,0 35

4,0 4,0 132

4,3 4,0 192

4,7 4,0 95

4,4 4,0 128

5,7 4,7 38

5,6 6,0 7

2,2 210

2,2 318

2,4 138

2,1 379

2,4 239

2,8 44

2,3 148

2,1 214

2,5 107

2,3 146

2,2 44

2,3 10

2 – Stiftungen und ihre Banken

25


werte von 1,0 ≤ 1,5), „zufrieden“ (Mittel­ Liquidität und Rentabilität bewegen: werte von > 1,5 ≤ 3,0), „weniger zufrie­ „Konzentration auf höhere Erträge ohne den“ (Mittelwerte > 3,0 ≤ 4,5) und „unzu­ Zunahme des Risikos“, „Höhere Rendite frieden“ (Mittelwerte > 4,5 ≤ 6,0). Knapp bei größtmöglicher Sicherheit“, „Opti­ ein Fünftel der befragten Stiftungen ist mierung von Zinserträgen speziell unter „sehr zufrieden“ mit den Dienstleistun­ Stiftungsgesichtspunkten“ oder „Kombi­ gen der Bank (Abb. 2.2). Für gute Leis­ nation von Ertrag und Sicherheit verbes­ tungen gibt es dementsprechend Lob: sern“. Bei der aktuellen Marktlage keine „Alles bestens“ und „Wir sind absolut einfache Aufgabe für Finanzdienstleister. zufrieden“. Dass der Vermögensertrag ein we­ Der durchschnittliche Vermögens­ sentlicher Faktor für die Zufriedenheit von ertrag der letzten beiden Jahre des (nach Stiftungen ist, verwundert nicht weiter Kosten) bei der Bank angelegten Geldes (Tabelle 2.2, Abb. 2.4). lag bei 4,4 Prozent (Tabelle 2.1, Abbildung 2.4: Gemeinsame Häufigkeits­ ZAbb. 2.3). Diese Rendite ist zu gering, verteilung (Kreuztabellierung) der Ge­ um angesichts der gesetzlichen Rückla­ gendeckelung von einem Drittel der Erträ­ samtzufriedenheit und der durchschnitt­ ge eine Inflation von mehr als 1,4 Prozent lichen Erträge der letzten beiden Jahre. zu schlagen. Von Stiftungsseite ergehen 0 20 40 60 80 100 120 an die Banken Forderungen und Wünsche, die sich im Spannungsfeld von Sicherheit, Gesamtzufriedenheit (n = 569) 1 = sehr gut

Abbildung 2.3: Histogramm der Vermögens­erträge von Stiftungen (n = 595)

2 = gut

Häufigkeit

3 = befriedigend

250

Mittelwert = 4,4 4 = ausreichend

200

5 = mangelhaft

150

6 = ungenügend

100 bis 4 Prozent 50 0

26

0 5 Mittelwerte

10

15

20

25

30

Abgebildet ist die Rendite der letzten beiden Jahre des nach Kosten bei der Bank angelegten Geldes. Die dünne Linie gibt die Normalverteilungskurve wieder. StiftungsReport 2008/09

über 4 Prozent

Über die Hälfte derjenigen, die bei der Frage nach der Gesamtzufriedenheit eine 1 angekreuzt haben (d.h. 75 von 144 Stiftungen), hatte in den letzten zwei Jahren einen durchschnittlichen Vermögensertrag von über 4 Prozent. Dagegen lag bei 85 Prozent derjenigen, die hier eine 5 und bei allen, die eine 6 vergeben haben, der durchschnittliche Vermögensertrag unter 4 Prozent.


Tabelle 2.2: Gesamtzufriedenheit in ­Relation zu den Mittelwerten der ­durchschnittlichen Vermögenserträge der letzten zwei Jahre Gesamt­zufriedenheit 1 2 3 4 5 6

Mittelwert des Ertrags (in Prozent) 4,6 4,5 4,5 4,0 3,2 2,5

n 144 238 119 40 20 8

Geringe Zufriedenheit und schlechte Rendite gehen Hand in Hand: Die­ jenigen, die bei der Gesamtzufriedenheit eine 5 oder 6 vergeben haben, weisen in der Tat einen signifikant geringeren durchschnittlichen Vermögensertrag auf, als diejenigen, die in punkto Gesamtzufriedenheit eine 1, 2 oder 3 angekreuzt haben.13 Steht die Stiftungsgröße in Bezie­ hung zur Gesamtzufriedenheit und zum Vermögensertrag? Mittelwertvergleiche zwischen den fünf in Tabelle 2.1 aufge­ führten Kapitalklassen zeigen zunächst: Es gibt weder signifikante Unterschiede bei der Gesamtzufriedenheit noch bei der mittleren Rendite der letzten beiden Jahre. Klassiert man allerdings die Stiftungen in solche mit einem Kapital bis zu 1 Million Euro (n = 419), und solche, die ein Kapi­ tal von mehr als 1 Million Euro aufweisen (n = 173), so haben die „kleineren“ einen signifikant geringeren durchschnittlichen Vermögensertrag als die „größeren“ er­ zielt. Es ist für kleinere Stiftungen daher sinnvoll, ihr Vermögen mit dem anderer Stiftungen zu poolen, um bessere Ren­ diten zu erwirtschaften. Der Bundes­ verband Deutscher Stiftungen wird sich dieses Themas annehmen. Auch die Diversifizierung des Portfolios ist entscheidend für den Ertrag. In diesem Zusammenhang wird „mehr Eigeninitiative (der Bank) für viel

versprechende Umschichtungen des Vermögens“ gewünscht. Fast 60 Prozent der Stiftungen, die bei Frage B3 „Das Stiftungsportfolio verbindet durch seine Diversifizierung über Anlageklassen, Län­ der und Emittenten eine angemessene Ertrags­erwartung mit einer breiten Risi­ kostreuung“ eine 1 angekreuzt haben (72 von 122) und 46 Prozent derjenigen, die hier eine 2 vergeben haben (71 von 156), hatten in den letzten zwei Jahren tatsäch­ lich einen durchschnittlichen Vermögens­ ertrag von über vier Prozent. Außerdem erzielten alle Befragten, die bei Frage B3 die Note 6 erteilt haben, eine signifikant geringere durchschnittliche Rendite, als diejenigen, die mit 1 bewertet haben. Dagegen spielt die Vergabe des Verwaltungsmandats offenbar für die Gesamtzufriedenheit und Rendite keine Rolle, denn Stiftungen mit eigener Ver­ mögensverwaltung sind nicht signifikant zufriedener oder unzufriedener als diejenigen, die ihr Kapital bei der Bank verwalten lassen. Auch wenn der durch­ schnittliche Vermögensertrag der letzten zwei Jahre im Schnitt bei den Befragten mit eigener Vermögensverwaltung mit 4,7 Prozent höher lag als bei den durch die Bank betreuten Stiftungen, so ist dieser Unterschied nicht signifikant.

Für Stiftungen lohnt sich eine Investition in die K ­ öpfe: ­Zufriedenheit und Ertrag ­steigen mit dem eigenen Know How Die befragten Stiftungen sind umso zufriedener, je höher sie die eigenen Kenntnisse im Hinblick auf die Vermö­ gensanlage einschätzen (Tabelle 2.1). Die Dienstleistungen der Banken (Fragen B1 bis B6) werden von Stiftungen mit guten Kenntnissen signifikant besser beurteilt als von denjenigen, die ihre Kenntnisse mit „mittel“ oder „gering“ einschätzen. Dagegen unterscheiden sich Stiftungen 2 – Stiftungen und ihre Banken

27


mit mittlerem oder geringem Vorwissen nicht signifikant voneinander. Das gilt auch für die Gesamtzu­ friedenheit und den geschätzten durch­ schnittlichen Vermögensertrag der letzten zwei Jahre: Stiftungen mit gutem eigenen Vermögens-Know How erzielen signifi­ kant höhere Erträge und sind signifikant zufriedener. Angesichts der kaum noch zu überschauenden Vielfalt von Produkten am Kapitalmarkt raten Holger Benke und Rainer Maucher, Geschäftsführer und Be­ reichsleiter Wertpapieranlagen bei der Ge­ meinnützigen Hertie-Stiftung, insbesonde­ re kleineren Stiftungen: „Für jeden Anleger kommt es zunächst darauf an, sich Klarheit über die eigenen Ziele zu verschaffen, sich einige Grundkenntnisse über Portfolio­ theorie anzueignen“14 Vor diesem Hin­ tergrund ist es interessant, dass kleinere Stiftungen mit einem Stiftungskapital bis 100.000 Euro die Frage „Die Bank hat sich in einem ausführlichen Gespräch ein um­ fassendes Bild über die Anlagegrundsätze und -ziele der Stiftung gemacht“ signifi­ kant schlechter bewerten als Stiftungen der drei „oberen“ Kapitalklassen (bis 10 Mio., bis 100 Mio., mehr als 100 Mio. Euro). Mancher Finanzdienstleister nimmt sich offenbar gerade bei kleinen Stiftungen ohne eigene Vermögensverwaltung – die vermutlich besonders in einem Erstge­ spräch auf intensive Beratung angewiesen sind – zu wenig Zeit für den Kundendialog. Dazu passt, dass die Befragten sich „Mehr Interesse für kleine Stiftungen“ und „Zeit für Gespräche, Engagement“ wünschen.

28

Für Banken lohnt sich die regelmäßige Bereitstellung von Informationen: Gut informierte Kunden sind zufriedener 30 Prozent der Stiftungen, die ihre eigenen Kenntnisse über die Vermögens­ anlage als gut einschätzen, geben an, mehr als 6mal im Jahr von ihrer Bank über Portfolioentwicklungen und -anpassung StiftungsReport 2008/09

informiert zu werden (Abb. 2.5). Setzt man die Bereitstellung von Informationen über die Portfolioentwicklung mit der Gesamtzufriedenheit in Beziehung, zeigt sich: Stiftungen, die nur zwei- bis dreimal pro Jahr von der Bank über die aktuel­ len Entwicklungen informiert werden (n = 282), sind signifikant unzufriedener als alle, die häufiger Informationen erhal­ ten (4 bis 6mal pro Jahr, n = 127; mehr als 6mal pro Jahr, n = 124). Die Kritik klingt dann so: „Das Ansprechen der Kunden von sich aus; der Kunde (Stiftung) kann nicht allein die Initiative ergreifen. Auf dem Gebiet ist noch Manches zu verbes­ sern.“ Das Finanzinstitut sollte aber nicht nur ein regelmäßiges Reporting pflegen: „Der persönliche Kontakt sollte häufiger stattfinden“ und „intensivere Gespräche über unsere Geschäftsentwicklung“ ge­ führt werden. Außerdem existiert offen­ bar auf Stiftungsseite ein Bedürfnis nach „weniger Fluktuation“ sowie „kompetenter Beratung durch nicht ständig wechselnde Mitarbeiter“. Abbildung 2.5: „Über Portfolioentwick­ lungen und -anpassungen informiert mich/uns die Bank …“ nach Kenntnissen (in Prozent) 0

20

40

60

80

100

Kenntnisse der Stiftung über die Vermögensanlage gering

n = 33 63,9

27,3

mittel

9,1 n = 201

63,2

19,4

gut

17,4 n = 306

44,1

25,8

alle Befragten 52,6 2- bis 3mal pro Jahr 4- bis 6mal pro Jahr mehr als 6mal pro Jahr

30,1 n = 548

23,4

24,1


Für die Zufriedenheit spielen auch die Gebühren eine Rolle …

… und der Wunsch nach ­leistungsabhängigen ­Gebühren ist groß

Empfinden Stiftungen die Gebüh­ ren der Bank für das Vermögensma­ nagement als angemessen? Wer dies bejaht, ist auch insgesamt zufrieden mit der Bank (Tabelle 2.3). Knapp die Hälfte der Befragten, die die Gebührenstruktur mit 1 bewertet (118 von 241 Stiftungen), vergibt auch eine 1 in punkto Gesamt­ zufriedenheit. Manche Stiftung kritisiert aber in der offenen Nennung „sehr hohe Kosten bei Vermögensverwaltung“ und fordert dementsprechend „geringere Gebühren“ oder „gemeinnützige Stif­ tungen sollten gebührenfrei bleiben“. Gewünscht wird auch mehr „Transparenz bezüglich der Gebühren für Vermögens­ verwaltung“.

Die Stiftungen wurden außerdem gefragt, wie wichtig ihnen bei der Ver­ mögensanlage ein erfolgsorientiertes Gebührenmodell ist. Für insgesamt 60 Prozent der Stiftungen, die sich dazu geäußert haben (n = 671), ist ein solches Modell sehr wichtig (26 Prozent) oder wichtig (34 Prozent). „Die Gebühren­ gestaltung sollte erfolgsorientiert sein“, fordert eine Stiftung nachdrücklich. ­Lediglich 3,3 Prozent nutzen ein solches Modell bereits.

Tabelle 2.3: Angemessenheit der ­ Gebühren in Relation zu den Mittelwerten der ­Gesamtzufriedenheit

Die Banken verhalten sich bei der Beratung zu ethischen, sozialen und ökologischen Anlagen (verkürzt und neudeutsch: Socially Responsible Invest­ ments, SRI) nach Ansicht der befragten Stiftungen zu passiv. Drei Viertel von ihnen haben auf die Frage „Meine Bank berät mich/uns von sich aus zu ethischen, ökologischen und sozialen Geldanlagen“ geantwortet. Die Bilanz ist ernüchternd: Ein Drittel der Befragten benotet hier mit 6, eine 4, 5 oder 6 vergeben knapp 60 Prozent. Daraus ergibt sich die schlech­ teste mittlere Bewertung aller abgefrag­ ten Sachverhalte (Tabelle 2.1, Abb. 2.6). Stiftungen fordern „Detailkenntnisse zu ethisch einwandfreien Anlagen“ und „mehr ethische Anlagemöglichkeiten“ ein. Einige beziehen übrigens schon in ihren Anlagerichtlinien indirekt zum Thema Stellung und schließen etwa „Rüstung“, „Waffenhandel und -produktion“, „Alko­ hol“ oder „Tabak“ aus. Auf die Frage „ Welche der folgen­ den Anlageklassen sind bereits in Ihrem Portfolio enthalten?“ haben rund drei

Angemessenheit der Gebühren 1 2 3 4 5 6

Mittelwerte Gesamt-­ zufriedenheit 1,7 2,1 2,4 3,1 3,9 4,3

n

241 166 98 38 29 20

Stiftungen, die bei der Frage nach der Angemessenheit der Gebühren für das Vermögensmanagement eine 1, 2 oder 3 angekreuzt haben, unterscheiden sich in Bezug auf die Gesamtzufriedenheit jeweils signifikant von allen anderen Gruppen, sind also zufriedener. Dagegen ist die Bewertung der Gesamtzufriedenheit bei denjenigen, die die Gebühren unangemessen finden, also eine 4, 5 oder 6 vergeben haben, nicht signifikant verschieden.

Wunsch und Wirklichkeit: Nachhaltige Investments sind gefragt, werden aber selten aktiv angeboten

2 – Stiftungen und ihre Banken

29


Abbildung 2.7: „Welche der folgenden Anlageklassen sind bereits in Ihrem Portfolio enthalten?“ (in P ­ rozent, Mehr­ fachantworten möglich)

Abbildung 2.6: „Die Bank berät mich von sich aus zu ethischen, sozialen und ökologischen Geldanlagen.“ nach ­Kapitalklassen 0

20

40

60

80

100

mehr als 100 Millionen Euro 12,5

25

n=8

25

37,5

bis 100 Millionen Euro 10 12,5

10

n = 40

17,5

25

25

bis 10 Millionen Euro 10,2

17,3

12,6 13,4

13,4

33,1 n = 97

14,4 11,3

14,9

18,8

15,4 9,1

14,9

28,6 n = 128

14,1 11,7 11,7

trifft voll zu trifft weitgehend zu trifft eher zu

30

40

50

60

70

80

Anlageklasse ethisch/ökologisch/soziale Geldanlagen (n = 86) 41,3 Private Equity (n = 88) 42,3 Hedge Fonds (n = 31) 14,9 Rohstoffe (n = 60) 28,8

n = 175

bis 100.000 Euro 12,5

20

46,4

bis 500.000 Euro 17,1

10

n = 127

bis 1 Million Euro 9,3 9,3 9,3

0

31,2

trifft eher nicht zu trifft weitgehend nicht zu trifft keinesfalls zu

REITs (n = 8) 3,8

Abbildung 2.8: „Welche der folgenden Anlageklassen wünschen Sie sich für Ihr Portfolio?“ (in Prozent, Mehr­ fachantworten möglich) 0

10

20

30

40

50

60

70

80

Anlageklasse

Große Stiftungen sind mit der Beratung der Bank zu SRI ebenso unzufrieden wie kleine: Signifikante Unterschiede im Hinblick auf die Stiftungskapitalklassen gibt es nicht.

30

Viertel der Befragten nicht geantwortet. Sie haben folglich klassisch investiert, also in festverzinsliche Wertpapiere, Akti­ en und Festgeld. Von den Stiftungen, die zu den im Fragebogen aufgeführten Anla­ geklassen eine Angabe gemacht haben (n = 208), haben mehr als 40 Prozent bereits SRI in ihrem Portfolio (Abb. 2.7). Nach ihren Wünschen für ein künf­ tiges Stiftungsportfolio gefragt, äußern sich 290 Stiftungen. Davon möchten fast 80 Prozent, d.h. 227 Stiftungen, gerne SRI in ihr Portfolio aufnehmen, ein ein­ deutiges Votum (Abb. 2.8). Zum Vergleich:

StiftungsReport 2008/09

ethisch/ökologisch/soziale Geldanlagen (n = 227) 78,3 Private Equity (n = 64) 22,1 Hedge Fonds (n = 13) 4,5 Rohstoffe (n = 36) 12,4 REITs (n = 13) 4,5

Nur 4,5 Prozent würden sich für Hedge­ fonds entscheiden – die Finanzkrise mag ein Übriges dazu tun. Über 60 Prozent der Stiftungen, die bereits in ethische, soziale und ökolo­ gische Anlagen investieren (d.h. 53 von 86), wünschen sich diese auch weiterhin (Abb. 2.9). Über 40 Prozent derjenigen,


die aktuell Private Equity beigemischt haben, möchten ebenfalls weitere SRI in ihr Stiftungsportfolio aufnehmen. ­Fazit: Diversifizierte Stiftungen, die neue Anlage­formen aktiv aufgreifen, betrach­ ten SRI als selbstverständliche Ergänzung des Portfolios.

Abbildung 2.10: „Wenn Sie auf die letz­ ten Jahre zurückblicken – haben Sie das Gefühl, dass sich Ihre Bank zunehmend auf den Stiftungssektor eingestellt hat?“ nach Kenntnissen (in Prozent) 0

20

40

60

80

100

Kenntnisse der Stiftung über die Vermögensanlage

Abbildung 2.9: Anzahl der Stiftungen, die sich nachhaltige Geldanlagen wünschen nach Anlageklassen 10

0

20

30

40

50

gering 38

46

16

mittel

60

Anlageklasse

n = 50

n = 272 47,8

41,2

gut

ethisch/ökologisch/soziale Geldanlagen

58,5 53

Private Equity 38

11 n = 443

26,2

alle Befragten 52,4

15,3 n = 800

31,8

15,9

ja nein keine Angabe

Hedge Fonds 10 Rohstoffe 19 REITs 5

Banken stellen sich im ­Stiftungssegment besser auf Über die Hälfte aller Befragten fin­ det, dass sich ihre Bank zunehmend auf den Stiftungssektor eingestellt hat. Bei denjenigen, die ihr Wissen im Hinblick auf die Vermögensanlage als „gut“ ein­ schätzen (n = 443), sind sogar knapp 60 Prozent dieser Meinung (Abb. 2.10). Allerdings wäre für manch eine Stiftung „noch mehr Hintergrundwissen zu Stif­ tungs- und Steuerrecht“ sowie „mehr Know How der Bank im Stiftungsbereich“ wünschenswert. In neun Fällen war der Frust der Stiftung offenbar so groß, dass laut offener Nennung ein Wech­ sel der Bank erfolgte bzw. unmittelbar bevorsteht. Mangelnde Eigeninitiative der Bank, die Anlagestrategie sowie die Betreuung wurden moniert.

Loyalität sollte keine ­Einbahnstraße sein Obwohl die Banken vermehrt s­ tiftungsspezifische Angebote ent­ wickeln, sieht immerhin ein Drittel der befragten Stiftungen bei der Beratung die Bankinteressen im Vordergrund (Abb. 2.11). Bei denjenigen, die ihre Kenntnisse als „mittel“ einschätzen (n = 272), ist die Skepsis sogar noch etwas größer. „Die Bank ist auf eigene Produkte (­ natürlich) fokussiert. Das wird man aber kaum ändern können“ oder „Die Beratung sollte unabhängiger von ­bank­eigenen Produkten sein“, heißt es dann. Allerdings wollte sich mehr als ein Fünftel der Befragten zu dieser Frage nicht äußern – ein Ausdruck der Loyalität von Stiftungskunden gegen­ über der betreuenden Bank. Dazu passt, dass 44 Prozent der Stiftungen den Na­ men ihrer Bankfiliale nicht offenlegten. 2 – Stiftungen und ihre Banken

31


Abbildung 2.11: „Hatten Sie schon ein­ mal den Eindruck, dass Sie gemäß den ­Interessen Ihrer Bank beraten wurden?“ nach Kenntnissen (in Prozent) 0

20

40

60

80

100

Kenntnisse der Stiftung über die Vermögensanlage gering

n = 50 32

44

mittel

24 n = 272

37,9

42,6

gut

19,5 n = 443

31,8

48,3

alle Befragten 32,9

19,9 n = 800

44,6

22,5

ja nein keine Angabe

Fazit

1.

32

Obwohl über die Hälfte der befragten Stiftungen in punkto Vermö­ gensanlage nach eigener Einschätzung über gute Kenntnisse verfügt, ist der durchschnittliche Ertrag insgesamt nicht besonders hoch. Das kann an der aktuel­ len Situation auf dem Finanzmarkt liegen, an der mangelnden Kompetenz der Bank oder an der Stiftung selbst. Die Auf­ sichtsbehörden greifen jedenfalls zuneh­ mend weniger in das Vermögensmanage­ ment ein: Nur fünf Prozent der befragten Stiftungen sagen, dass ihre Aufsicht stiftungsrechtliche Bedenken gegen bestimmte Anlageformen hegt. Eigene Anlagerichtlinien sind dagegen ein wich­ tiges und weit verbreitetes Instrument zur Gestaltung des Vermögensmanage­ ments. Vierzig Prozent der befragten Stiftungen haben Festlegungen zu be­ stimmten Anlageklassen getroffen, über­ wiegend werden riskante Papiere wie StiftungsReport 2008/09

Hedgefonds ausgeschlossen. Manche Restriktionen, etwa der Ausschluss von Aktien, können allerdings auch in der vorliegenden Umfrage dazu geführt ­haben, dass der Anlageerfolg nur mäßig war.

2.

Stiftungen, deren Mitarbeite­ rinnen und Mitarbeiter sich nicht ausrei­ chend fortbilden (konnten), haben gerin­ gere Erträge und sind tendenziell unzu­ friedener. Es lohnt sich also für Stiftun­ gen, in die Weiterbildung der Mitarbeiter und Vorstände zu Fragen der Vermögens­ anlage zu investieren.15 Dr. Hans Fleisch, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, schätzt, dass der Unterschied zwischen den Erträgen, die Stiftungen mit weniger Know How erzie­ len und den Renditen, die Stiftungen mit mehr eigener Kompetenz erwirtschaften, das Gemeinwohl jährlich erhebliche Sum­ men kostet. Bei einer Steigerung um 0,2 Prozentpunkte – der Unterschied ist teil­ weise größer – dürften es deutlich über 200 Millionen Euro sein, die dem Gemein­ wohlsektor dann zufließen könnten.

3.

Gerade kleinere und mittel­ große Stiftungen müssen sich zusam­ mentun und ihr Vermögen poolen, um eine b ­ essere Rendite zu erzielen.

4.

Aktive Beratung zu ethischen, sozialen und ökologischen Geldanlagen steht für die meisten der befragten Stif­ tungen ganz oben auf der Wunschliste. Sehr viele von ihnen wünschen sich ausdrücklich mehr SRI für ihr Stiftungs­ portfolio.

5.

Der Wunsch nach erfolgs­ abhängigen Gebührenmodellen ist groß.

6.

Die Stiftungen sind in ihrer Mehrheit zufrieden mit den Banken, je­ doch fühlte sich ein nicht geringer Teil der ­Befragten interessengeleitet beraten.


33

StiftungsReport 2008/09


3

Lust auf Vielfalt Im Alltag leben Deutsche mit und ohne Zuwande­ rungsgeschichte gut zusammen und trotz kultureller Unterschiede gibt es viele Verbindungen zwischen all der Vielfalt. Der gesellschaftliche Fokus liegt aber allzu häufig auf Konflikten und dem, was trennt. Dabei ist Vielfalt eine Prämisse für die Zukunft. Dass sie bereichern kann, zeigen viele tausend Projekte und Initiativen.

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StiftungsReport 2008/09


Editorial Kulinarisch gesehen ist die Ein­ bürgerung geglückt. Längst haben Latte Macchiato, Dürüm Döner oder Tom-YumSuppe ihren Platz auf dem deutschen Speiseplan gefunden. Sie existieren neben Rheinischem Sauerbraten, Weiß­ würsten oder Jägerschnitzel und niemand warnt vor kulinarischen Parallelgesell­ schaften auf deutschen Speisekarten. Fünfzehn Millionen Menschen mit Zuwanderergeschichte leben in Deutsch­ land, mehr als die Hälfte – acht Millionen – sind deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger. Die überwiegende Mehrheit lebt so selbstverständlich hier, wie Döner und Latte Macchiato Bestandteil des deut­ schen Alltags geworden sind. Ein paar Beispiele: Die Polizistin Sabina Prokop läuft in Hamburg-Barmbek Streife. Seit April 2008 ist sie deutsche Beamtin, ungeachtet ihrer polnischen Staatsbür­ gerschaft. Udo Di Fabio ist Richter am Bundesverfassungsgericht und wurde in Duisburg geboren. Sein Großvater wanderte bereits 1920 von Italien nach Deutschland ein. Die Juristin und Theolo­ gin Hamideh Mohagheghi lebt seit 35 Jah­ ren in der Bundesrepublik. Sie trägt Kopf­ tuch, arbeitet an einem feministischen Blickwinkel auf den Islam und versteht sich als engagierte Republikanerin. Oder die Anwältin Ama-Pokua von Pereira, die im Alter von fünfzehn Jahren aus Ghana in die Bundesrepublik kam. Es sind die „Kleinigkeiten“, die das Zusammenleben kompliziert machen und Menschen mit Zuwanderergeschichte das Gefühl geben, fremd zu sein. „Sie sprechen aber gut deutsch! Ich könnte mich jedes Mal darüber aufregen, wenn ich diesen Satz höre“, sagt Ama-Pokua von Pereira. „Natürlich spreche ich gut deutsch, schließlich bin ich schon seit einigen Jahren hier.“ Nicht alle – die Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte eingeschlos­

sen – sprechen ein so exzellentes Deutsch wie die 34-Jährige. Es mangelt in Deutschland manchmal an Sensibilität und Freundlichkeit. „Es geht nicht nur darum, die Menschen aus anderen Län­ dern zu dulden“, sagt Tom Heinkel, Ge­ schäftsführer von Heinkel Engineering, der mehr als 80 Ingenieure beschäftigt und 140 neue Stellen auch mit Fachkräf­ ten aus dem Ausland besetzen will. „Es geht darum, sie willkommen zu heißen.“ Und es geht darum, zu verhindern, dass Menschen aus anderen Ländern Angst haben, nach Deutschland zu kommen: weil es vorkommt, dass Rechtsradikale auf der ­Straße und in den Parlamenten sie bedrohen. Gerade Muslime kritisieren das Misstrauen, das ihnen in Deutschland entgegengebracht werde. Die Diskus­ sion drehe sich fast immer nur um das Kopftuch, den Bau von Moscheen, ­Ehrenmorde und sogar um den inter­ nationalen Terror. Das ist auch deswegen so, „weil es uns Mehrheitsbundes­ deutschen am Wissen über die tatsäch­ lichen Lebensrealitäten zum Beispiel der türkischen Mitbewohner fehlt, die ja sehr wohl gut integriert sind“, sagt Olaf Hahn, Leiter des Programmbereichs ­Gesellschaft und Kultur in der Robert Bosch Stiftung. Allen kulturellen Unterschieden zum Trotz gibt es zwischen Deutschtürken und Deutschen sehr viel Verbindendes. Jedenfalls ähneln sich die Wünsche und Ziele beider Gruppen. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Magazins „Stern“ vom Februar 2008 lehnen bei­ de Gruppen Parallelgesellschaften mit großer Mehrheit ab. Dass Türken ihre Deutschkenntnisse verbessern sollten, erwarten 94 Prozent der Deutschen und 82 Prozent der Türken. Dass die hier le­ benden Türken sich als Teil von Deutsch­ land fühlen sollen, ist 76 Prozent der Deutschen und 81 Prozent der befragten Türken wichtig. 3 – Lust auf Vielfalt

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Das Zusammenleben von Deutschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte funktioniert im Normalfall, wie auch das Zusammenleben mit Migrantinnen und Migranten, die (noch) keine Deutschen sind. Dies muss man im Kopf behalten, wenn man sich jenen Feldern widmet, die ungelöste Probleme bereiten. Davon gibt es einige, sei es in der Bildung, der politi­ schen Teilhabe oder in Fragen der Erzie­ hung. Die Probleme okkupieren allerdings die gesellschaftliche Diskussion – die stille und funktionierende Zuwanderung gerät darüber häufig aus dem Blickfeld. Natürlich fordert es eine Gesell­ schaft heraus, wenn Menschen aus an­ deren Kulturen, mit anderen Religionen und Lebensweisen nach Deutschland einwandern. Es ist eine wichtige Heraus­ forderung für die Gesellschaft. Aber es ist nur eine von vielen, denen sich die Bürge­ rinnen und Bürger in Deutschland – und in den anderen Industriestaaten – gegen­ übersehen: Die Globalisierung, der demo­ grafische Wandel, die Klimaveränderung oder die technologischen Revolutionen –

jede Entwicklung zwingt die Gesellschaft dazu, sich mit den neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Das gilt auch für die Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturen. Sie ist eine Tatsache. Die europäischen Ge­ sellschaften werden ethnisch und kultu­ rell heterogener werden. „Die Frage ist nicht mehr, ob wir ein Migrantenproblem haben oder nicht, sondern wie internatio­ nale Migrationsbewegungen effektiver und vor allem mitmenschlich organisiert werden können, um die positiven Aspekte zu erhöhen und die negativen zu minimie­ ren“, fordert Wilhelm Krull, Vorsitzender der VolkswagenStiftung.16 Die Gefahr besteht weniger in der Zuwanderung selbst, sondern darin, dass sich die Gesellschaft der Herausforde­ rung nicht stellt und damit auch nicht die Vorteile und Chancen der Einwanderung ergreift. Integration leitet sich ab vom lateinischen „integratio“. Das bedeutet Wiederherstellung eines Ganzen. Um aus den unterschiedlichen Teilen ein Ganzes zu fügen, braucht es nicht nur

Migrationserfahrung der Bevölkerung 2005 (in Prozent) Quelle: Statistisches Bundesamt 2006

Deutsche ohne eigene Migrationserfah­ rung, bei denen mindestens ein Elternteil Spät­aussiedler, Einge­bürgerter oder Ausländer ist 18 Eingebürgerte ohne eigene Migrations­erfahrung

Ausländer mit eigener Migrations­erfahrung 36

3 15,3 Mio.

36

Eingebürgerte mit eigener Migrations­erfahrung

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12 Spätaussiedler mit eigener Migrations­erfahrung

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11 Ausländer ohne eigene Migrations­erfahrung


einen politischen Rahmen, sondern auch einen gesellschaftlichen Konsens. Dazu müssen aber die Kriterien einer Zuwan­ derung genau festgelegt und transparent gehandhabt werden. „Sind die Einwande­ rer erst einmal im Land, hat ein demokra­ tisches Gemeinwesen die ethische und demokratische Pflicht, die Immigranten möglichst rasch mit allen Rechten und Pflichten eines Staatsbürgers auszustat­ ten“, sagt Wolfgang Merkel, Professor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Mit Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und voller politischer Beteiligung. „Erst wenn aus Zuwanderern Staatsbürger geworden sind, können sie sich als gleichberechtigt betrachten und auf gleicher Augenhöhe das Gemeinwe­ sen mit gestalten“, sagt Merkel. Auch hier sei Deutschland im internationalen Vergleich kein Musterbeispiel. So lange Menschen, die seit Jahren mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus hier zwar leben, aber nicht arbeiten dürfen, sind wir davon noch weit entfernt. Und warum dürfen Portugiesen oder Türkinnen, die hier seit mehr als fünf Jahren leben, nicht wählen gehen? Die bundesdeutsche Gesellschaft hat sich jahrzehntelang beim Thema Ein­ wanderung weggeduckt, indem sie viele Aspekte mit einem Tabu belegte. Wäh­ rend konservative Kreise die tatsächlich stattfindende Einwanderung oft leugne­ ten, stritten linke Politiker nötige Anfor­ derungen wie Deutsch als gemeinsame Sprache schlicht ab. Die unbeantworteten Fragen ha­ ben über die Jahre hinweg an Brisanz gewonnen. Um Antworten kommt die Gesellschaft aber nicht herum. Welche Bedingungen legt die Gesellschaft für die Zuwanderung fest? Was darf sie von Zuwanderern fordern und welche Rech­ te muss sie den Menschen einräumen? Muss sie in deutschen Städten den mit Lautsprechern übertragenen Ruf des Muezzin zulassen? Wie setzt die Gesell­

schaft durch, dass zugewanderte Frauen – aus „kulturellen Gründen“ – nicht länger beschnitten, gezüchtigt oder verheiratet werden? Seit Beginn der Jahrtausendwende stellt sich das Land der Herausforde­ rung. Der Bundestag hat nach einer leidenschaftlichen gesellschaftlichen Diskussion das Einwanderungsgesetz verabschiedet. Außerdem haben Bund, Länder und Kommunen mit dem Nationa­ len Integrationsplan ihre Initiativen auf eine gemeinsame – wenn auch nicht bin­ dende – Grundlage gestellt. Schließlich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Integrationsgipfel ins Leben gerufen und mit den muslimischen Bürgerinnen und Bürgern den Dialog eröffnet. Die Forderung an Menschen mit Zu­ wanderergeschichte, Deutsch zu lernen, wird nicht mehr in Frage gestellt, genauso wenig die Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Letzteres ist nicht ohne Pikanterie. „Es ist eine gute Sache, dass die Regierung mit Gipfeln und Kon­ ferenzen dafür wirbt, dass wir uns jetzt endlich als Einwanderungsland begreifen. Wir müssen es nur noch werden“, kom­ mentiert Jörg Lau die Bemühungen der Regierung um Integration in der ZEIT.17 Denn Zuwanderung findet heute praktisch nicht mehr statt, hat Lau er­ rechnet: „Von 450.000 Einwanderern in der deutschen Migrationsstatistik 2005 bleiben am Ende kaum 20.000 Einwande­ rer im klassischen Wortsinn – wenn man darunter Menschen versteht, die eigen­ ständig nach Deutschland kommen, um hier auf Dauer zu leben und zu arbeiten.“ Das aber sei nicht einmal ein Zehntel der Zahl, die Deutschland nach vorsich­ tigen Schätzungen brauche, um den bevorstehenden demografischen Wandel bewältigen zu können. Schließlich wird sich die Altersstruktur in der Bundesrepu­ blik – wie in den anderen OECD-Staaten – dramatisch verändern. Setzt sich die Entwicklung fort, werden im Jahr 2030 in 3 – Lust auf Vielfalt

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der Bundesrepublik 7,6 Millionen Men­ schen weniger im erwerbsfähigen Alter leben. Gleichzeitig wächst die Anzahl der Menschen über 65 Jahre um fast 50 Prozent.18 Wenn die sozialen Sicherungs­ systeme nicht kollabieren sollen, ist Deutschland in zweierlei Hinsicht auf Zuwanderinnen und Zuwanderer ange­ wiesen. Zum einen auf jene Menschen mit Zuwandererhintergrund, die bereits in der Bundesrepublik leben und mit ihren Kindern dazu beitragen, dass die Schere zwischen Alten und Jungen nicht noch dramatischer aufklappt. Zum anderen muss sich Deutschland aktiv um Zuwan­ derer bemühen und im Wettstreit mit den anderen OECD-Staaten eine Strategie im Rennen um die jungen und gut ausgebil­ deten Menschen mit Migrationshinter­ grund entwickeln. Es scheint keine Frage der Zeit mehr zu sein, bis diese sich ihre künftige Heimat aussuchen können. Ein Land, das seine künftigen Be­ wohnerinnen und Bewohner willkommen heißt und sie beim Einzug ins gemeinsa­ me Haus tatkräftig unterstützt, dürfte bei diesem Wettbewerb Vorteile haben. Deutschland als das Land der Dichter und Denker, der Tüftlerinnen und Export­ weltmeisterinnen braucht sich in diesem Wettbewerb nicht zu verstecken. Mehr Offenheit und weniger Abwehr wären indes von Vorteil. Zudem müssen Modelle und Ideen entwickelt werden, wie Zuwanderer ihre Potenziale besser als bisher in die Gesell­ schaft einbringen können. Das kann man nicht fordern, aber durchaus fördern. In dieser Frage scheint die Zivilgesellschaft weiter als die Politik, wie es die vielen tausend Initiativen, Projekte und Pro­ gramme überall im Land beweisen. Die Zivilgesellschaft gestaltet die Vielfalt und füllt Lücken, die der Staat hinterlas­ sen hat. Stiftungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Allein die Datenbank des

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Bundesverbandes Deutscher Stiftungen verzeichnet rund 900 Stiftungen, die Integration, Migration, Völkerverstän­ digung, Teilhabe, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Chancengleichheit in ihrem Satzungszweck aufführen oder hier aktiv sind. Mit ihrem Engagement destillieren sie aus Herausforderungen immer wie­ der neue Chancen. Die vielen Projekte beweisen, dass auch eine heterogener werdende Gesellschaft aktiv gestaltet werden kann. In diesem Sinne versteht sich der StiftungsReport als Werkschau derjeni­ gen, die jeden Tag das Zusammenleben gestalten. Die Vielfalt, der Spaß, die Freude, mit der die Menschen das tun, bestärken uns in dem Gefühl, dass die bundesdeutsche Gesellschaft – Migran­ tinnen und Migranten sowie Deutsche mit und ohne Zuwanderungshintergrund – die Integration als positive Chance begreift. In diesem Sinne hoffen wir, dass dieser StiftungsReport auch Ihnen, den Leserinnen und Lesern, vor allem eines bereitet – Lust auf Vielfalt.


Als Günther Wallraff 1985 sein Buch „Ganz unten“ veröffentlichte, kamen zum ersten Mal die Arbeitsbedingungen der eingewanderten Arbeitskräfte, der so genannten „Gastarbeiter“, ans Licht der Öffentlichkeit. Wallraff klebte sich einen schwarzen Schnurrbart unter die Nase und schlüpfte in die Rolle des Türken Ali, der im saturierten Post-Wirtschaftswun­ der-Deutschland erbarmungslos aus­ gebeutet wurde. „Ich weiß immer noch nicht, wie ein Ausländer die täg­lichen Demütigungen, die Feindseligkeiten und den Hass verarbeitet“, schrieb er damals. „Aber ich weiß jetzt, was er zu ertragen hat und wie weit die Menschenverach­ tung in diesem Land gehen kann.“ Zwei Jahrzehnte vorher, 1964, hatte der mil­ lionste „Gastarbeiter“ ein Moped ge­ schenkt bekommen. Wiederum ein Jahr­ zehnt vorher war die letzte große Welle von Deutschen, die vor den Folgen des deutschen Faschismus und des Krieges nach Übersee auswanderten, auf ihrem Höhepunkt. Es sind die Bilder, die bleiben und die uns bewegen. Das Schwarzweiß­ bild des erschöpften Gesichts von „Ali“ alias Wallraff, der Portugiese Armando ­Rodrigues, der in Arbeiterklamotten auf dem geschenkten Moped sitzt. Auch er sieht aus wie ein Fremdkörper – umringt von seinen Gönnern, lachenden Herren in Anzügen um ihn herum, huscht kaum ein Lächeln über sein Gesicht. Oder die Koffer und Mäntel der deutschen Auswanderer an den Piers in Hamburg und Bremerha­ ven, die voller Hoffnung tausende Kilo­ meter entfernt auf einem anderen Kon­ tinent gleichzeitig Vergessen und neues Glück suchen. Es gibt viele Bilder. Zum Beispiel die der vietnamesischen Zigaretten­ händler, die im Berlin der Neunziger auf dem Schwarzmarkt ihr Glück versuchen.

Mancher von ihnen war Gestrandeter aus einem anderen deutschen Staat, der DDR. Denn auch der deutsche Sozialismus hatte seine Zuwanderungsgeschichte. Ab Ende der Siebziger hatte die DDR ebenfalls ausländische Arbeitnehmerin­ nen und Arbeitnehmer angeworben – da war der Anwerbestopp im benachbarten Kapitalismus schon fünf Jahre alt. Heute sind es im ehemals sozialistischen Teil Deutschlands die Bilder von Nazi-Glatz­ köpfen, die Ausländer halb oder ganz tot schlagen. Es gibt auch die Bilder vom ersten deutschen Integrationsgipfel: die deut­ sche Kanzlerin, umringt von Menschen aus aller Welt. Sie lachen gemeinsam in die Kamera. Sie, die Ostdeutsche mit dem hellen Teint, zwischen den vielen verschiedenen Gesichtern. Das Bild dokumentiert, dass nun endlich auch die deutsche Regierungsspitze offensiv anzusprechen wagt, was längst deut­ sche Realität ist. Die Bundesrepublik ist Aus- und Einwanderungsland. Seit ihrer Gründung 1949.

39 Foto: DPA

Geschichte sind Bilder

3 – Lust auf Vielfalt


hoch

Gesellschaftliche Ereignisse und Debatten Politische Ereignisse Katalysatoren in der Gesellschaft Gesetzliche Steuerung Stiftungen, Think Tanks, die die Themen „Migration und Integration“ aufgreifen

öffentliche Aufmerksamkeit Kriegsende: Beginn der Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa

Von „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ zu „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ Dem Paradigmenwechsel in der Migrations­ debatte, der offiziell mit dem neuen Zuwan­ derungsgesetz von 2005 eingeleitet wurde, ging eine stetig wachsende öffentliche Aufmerk­ samkeit voraus. Teile der Öffentlichkeit haben die Realität der Einwanderungsgesellschaft schon frühzeitig anerkannt und forderten die Politik auf, sich endlich den Herausforderungen der Migration zu stellen und eine aktive Inte­ grationspolitik zu betreiben. Auch Stiftungen werden immer häufiger zu Akteurinnen in diesem gesamtgesellschaftlichen Aufgabenfeld.

Bundesvertrie­benen- und Flüchtlingsgesetz

mittel

Asylgrundrecht der BRD

Mauerbau: Zuwanderung aus DDR nimmt ab – mehr Anwerbung ausl. Arbeiter Rezession: Zahl ausländischer Arbeitskräfte sinkt

Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften

Neues Ausländergesetz

starke Zuwanderung aus der DDR

Feier der Ankunft des millionsten Gastarbeiters

starke überseeische Auswanderung aus der BRD

Friedrich-EbertStiftung

Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften in der DDR

VolkswagenStiftung

gering

Otto Benecke Stiftung

40

Anwerbestopp

Erstellt mit freundlicher Unterstützung von Prof. Dr. Klaus J. Bade, Prof. Dr. Jochen Oltmer, Dr. Holger Kolb

1944 1946 1948 1950 1952 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1

Negative oder ausländerfeindliche Ereignisse

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„Großer Migrationskom­promiss“ einschl. Änderung des Asylparagraphen Multikulti vs. Deutsche Leitkultur

Höchstand der Asylgesuche: 440.000 in einem Jahr

Neues Staatsange­ hörigkeitsgesetz

Begrenzung der Aus­ siedlerzuwanderung durch Kriegs­folgen­ bereinigungsgesetz

Günther Wallraff „Ganz unten“

Neues Zuwanderungsgesetz

Greencard

Höchststand der Aussiedlerzuwanderung: 397.000 in einem Jahr

„Kopftuchurteil“ Amadeu Antonio Stiftung

Manifest der 60: Wir Deutschen und die Einwanderung

Reform des Aus­ ländergesetzes

Zahl der Asylsuchenden steigt auf über 100.000

Einbürgerungstest

ZuwanderungsKommission

Heinrich-BöllStiftung

Politik der Familien­ zusammenführungen Bertelsmann Stiftung

Rat für Migration

Gemeinnützige Hertie-Stiftung

Anti-Diskrimi­ nierungs-Gesetz EU-Jahr: Chancengleichheit für alle

Zentrum für Türkeistudien Freudenberg Stiftung

Jahr der Integration Vodafone Stiftung

Institut für Migra­ tionsforschung und interkulturelle Studien

Kühn-Memorandum

Nationaler­ Integrationsplan

KörberStiftung

1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008

Anschläge in • Hoyerswerda und Rostock Brandanschlag Mölln •

• Mordanschlag Solingen

Rütlischule •

Karikaturen- • streit nach dem 11. 9.: • generalisierte Islamkritik Jugendkriminalität • 3 – Lust auf Vielfalt

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I

Interview

„Selber gestalten macht mehr Spaß als darauf zu warten, dass andere etwas für einen tun“

Foto: Bundesregierung

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

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Wenn Deutschland über Migra­ tion und Integration debattiert, stehen fast immer Probleme, selten Erfolge im Vordergrund. Tatsächlich scheint die Integration von fünfzehn Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland aber sehr positiv zu ver­ laufen. Oder? In der Tat ist die große Mehrzahl dieser 15 Millionen Menschen gut integriert. Sie haben ihren Platz in der Gesellschaft gefunden, leisten als Arbeitnehmer, Freiberufler oder Unternehmer ihren Beitrag zu Wachstum und Wohlstand, en­gagieren sich sozial und politisch. Ohne die Zugewanderten wäre das gesell­schaftliche Leben, wären Wirt­ schaft und Arbeitswelt, Kunst und Kultur, Film und Literatur in unserem Land um einiges ärmer. Wir dürfen aber auch nicht ver­schweigen, dass es bei einem Teil der zugewanderten Bevölkerung erhebliche Integrationsdefizite gibt: geringere oder gar keine Schulabschlüsse, mangelnde berufliche Qualifikation, hohe Arbeits­ losigkeit. Diese Probleme müssen wir offen ansprechen, denn nur dann können wir sie auch lösen. So genannte Gastarbeiter, die keine waren, weil die meisten hier geblieben sind, aber auch andere Migranten und Flüchtlinge haben dieses Land verän­ dert. Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie „Erfolgsgeschichte Integration“ hören? Beim Stichwort „Gastarbeiter“ denke ich zuallererst daran, dass die auslän­ di­schen Arbeitskräfte einen ganz er­ heblichen Anteil am wirtschaftlichen Auf­schwung unseres Landes in den 50er und 60er Jahren hatten. Ohne die­ se Menschen, die schwere körperliche Arbeit geleistet haben, wäre das Wirt­ schaftswunder nicht in diesem Ausmaß gelungen. Dafür gebührt ihnen großer Dank und Anerkennung. Wenn ich an


Erfolgs­geschichten heute denke, dann fallen mir die knapp 600.000 Unterneh­ merinnen und Unternehmer ausländi­ scher Herkunft ein. Dann fällt mir ein, dass eine aus Spanien stammende junge Frau 2007 vom Zentralverband des Deut­ schen Handwerks zur „Unternehmerin des Jahres“ gewählt wurde. Oder auch, dass dieses Jahr ein Sohn türkischer Ein­ wanderer für Deutschland bei der OscarVerleihung ins Rennen ging. Die Debatten in Deutschland zeich­ nen häufig ein Bild der Angst und der Abwehr. Früher hieß es, das Boot sei voll. Heute wird die Debatte um die Krimina­ lität von Jugendlichen mit Zuwanderer­ geschichte nicht selten überspitzt. Muss das nicht zu Lasten der Mehrheit der Einwanderer und der Integrations­erfolge gehen? Es ist sehr wichtig, hier eine differen­ zierte und zugleich ehrliche Debatte zu führen. Falsche und verzeichnende Verallgemeinerungen müssen unbedingt vermieden werden, gerade um die Inte­ grationsleistungen der großen Mehrheit der Zuwanderer nicht zu schmälern, die unser Land bereichern und zum Wohlstand unseres Landes entschieden beitragen. Aber zugleich: Jede Gewalttat muss mit Entschiedenheit bekämpft wer­ den, unabhängig davon, wer sie begeht. Insgesamt ist der Anteil ausländischer Tatverdächtiger im Übrigen rückläufig. Was uns Sorgen macht, ist der Anstieg der Gewaltkriminalität insge­samt und damit auch der Zahl der Gewalttaten, die durch Jugendliche – Deutsche und Ausländer – begangen werden. Deshalb liegt es in unser aller Interesse, Gewalt einzudämmen und am besten gar nicht erst entstehen zu lassen. Wenn wir wirksame Gegenstrate­ gien ent­wickeln wollen, müssen wir zunächst die Fakten zur Kenntnis neh­ men: Wir müssen genau analysieren,

was die Ursachen für die Kriminalität der verschie­denen Tätergruppen sind. Genau hier setzt die Bundesregierung an, denn gerade bei Jugendlichen mit Migrations­ hintergrund liegen die Ursachen vielfach in deren besonderer Lebenssituation und im Mangel an Perspektiven. Damit ist klar: Wichtig sind vor allem Gewalt­ prävention und bessere Chancen durch Bildung, Ausbildung und auf dem Ar­ beitsmarkt insbesondere durch frühzei­ tige Sprachförderung. Heinz Kühn hat als erster Auslän­ derbeauftragter der Bundesrepublik bereits 1978 in seinem Memorandum darauf hingewiesen, dass eine Million Migran­tenkinder in der Bundesrepublik leben – und natürlich auch betreut wer­ den müssten. Das ist negiert worden, noch weit mehr als 20 Jahre danach war das Wort Einwanderungsland Tabu. Die Gesellschaft muss die Folgen der ­Tabuisierung heute ausbaden. Was lernt die Politik daraus für die Zukunft? Wir müssen heute in der Integrations­ politik in der Tat Versäumnisse nach­ holen. Wir stellen uns der Tatsache, dass Menschen aus Zuwandererfamilien, die bereits in der zweiten und dritten Ge­ neration hier leben, auch dauerhaft in Deutschland bleiben werden und dass wir daher eine nachhaltige Integrations­ politik brauchen. Deshalb haben wir den Nationalen Integrationsplan auf den Weg gebracht. Er umfasst rund 400 Maßnahmen für eine bessere Integration in Bildung, Ausbildung, Arbeit, im Wohn­ umfeld, in Gesellschaft, Sport und Kultur. Wir haben dafür erstmals alle Akteure zusammengebracht, die sich für Integra­ tion engagieren: Bund, Länder, Kommu­ nen, Wirtschaft und Gewerkschaften, Sportverbände, Stiftungen, die großen gesellschaftlichen Gruppen, die Migran­ tenorganisationen. Denn wir wissen: Integration gelingt nur, wenn alle Ver­

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antwortung übernehmen – und wenn wir miteinander reden, nicht über­einander. Tabus gab und gibt es auch in an­ derer Hinsicht. So war es lange verpönt, Forde­rungen an Zuwanderer zu stellen, sei es, die Grundlage der deutschen Spra­ che anzuerkennen, sei es in Bezug auf kulturelle Besonderheiten, die eine Unter­ drückung der Frau nach sich zogen. Ist im Nationalen Integrationsplan so etwas wie ein Konsens nieder­geschrieben? Ja, diesen breiten gesellschaftlichen Kon­ sens haben wir erreicht. Es ist inzwischen völlig unstrittig, dass das Erlernen der deutschen Sprache die Grundvorausset­ zung für Integration ist. Dieser Bereich nimmt im Nationalen Integrationsplan eine herausgehobene Stellung ein. Ge­ rade die Migranten­organisationen sind hier sehr engagiert und setzen damit ein wichtiges Zeichen. Ebenso klar ist, dass eine Unterdrückung von Frauen nichts Anderes als ein Verstoß gegen die Grundund Menschenrechte ist, die in unserem Land gelten. Wenn in der Bundesrepublik über Integration und Migration diskutiert wird, geht die Diskussion nahezu ausschließ­ lich in die Richtung, dass von Einwande­ rern gefordert wird, sich anzupassen. Ist es nicht an der Zeit, dass wir den Spieß umdrehen und auch von der deutschen Mehrheitsgesellschaft in diesem Land verlangen sollten, auf Einwanderer zuzu­ gehen? Ich nehme die öffentliche Diskussion anders wahr. Denn genau das tun wir längst. Es ist Grundlage der Integrations­ politik dieser Bundesregierung, Integra­ tion als gegenseitigen Prozess zu verste­ hen, der von allen Beteiligten Verände­ rungs- und Verantwortungsbereitschaft fordert. Die Deutsche Islam-Konferenz steht dafür genauso wie der Nationale Integrationsplan. Und noch etwas: Keine Bundesregierung zuvor hatte offen an­

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erkannt, dass der Islam ein Teil unserer Gesellschaft ist. Wenn heute 20 Prozent der Bun­ desbürger Menschen mit Migrations­ hintergrund sind, heißt es doch auch: 20 Prozent Teilhabe an Rechten und Pflich­ ten, aber auch an Möglichkeiten und Chancen. Wenn wir uns aber die Verbän­ de, Parteien, Rundfunkräte oder auch Ihr Kabinett anschauen, finden wir nirgend­ wo, dass jeder fünfte Platz von einem Menschen mit Migrations­hintergrund belegt wird. Werden Sie das zu ändern versuchen, und wie? Wir müssen die Teilhabechancen von Migrantinnen und Migranten in allen gesellschaftlichen Bereichen erhöhen. Zahlreiche Mitwirkende am Nationalen Integrationsplan haben sich dazu ver­ pflichtet, ihre Einrichtungen für Migran­ tinnen und Migranten zu öffnen. Das gilt z.B. für den Sport, die Medien, die Wohl­ fahrtsverbände. Ich wünsche mir, dass dieser Prozess weiter ausstrahlt und es bald selbstverständlich ist, dass wir nicht nur Sportler, sondern auch Verbands­ funktionäre mit Migrationshintergrund haben. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, Migrantenorganisationen in Gremien und bei Förder­programmen stärker zu berücksichtigen. Und in den Parlamenten von Kommunen, Ländern und Bund sitzen inzwischen einige Abge­ ordnete mit Migrationshintergrund und gestalten als Politikerinnen und Politiker unsere Gesellschaft mit. Eine Studie von Forsa hat nun an den Tag gebracht, dass die Wünsche und Ziele von Deutschen und hier lebenden Türken gar nicht verschieden sind. Im Gegenteil: Sie sind sich sehr ähnlich. Wundert Sie das? Nein, das wundert mich nicht. Die Ziele und Wünsche, die ein Mensch hat, werden doch ganz wesentlich davon beeinflusst, wo dieser Mensch lebt, wie


sein Umfeld aussieht, welche Vorbilder er hat, welche Möglichkeiten sich ihm bieten. Die Befragten leben ja seit vielen Jahren in demselben Land. Gerade die junge Generation unterscheidet sich doch kaum noch voneinander. Viel­leicht hören die einen mehr türkischen Pop, die anderen mehr deutschen, aber die Ge­ meinsamkeiten überwiegen – auch in den Wünschen, Zielen und Träumen. Bildung ist der Schlüssel für viele Herausforderungen, die durch Zuwande­ rung entstehen. Muss nicht ein Bildungs­ system auf den Weg gebracht werden, das die sozialen Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshinter­ grund weniger zementiert? Bildung ist der Schlüssel für Integrati­ on, da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Die Tatsache, dass 40 Prozent der Jugendlichen aus Zuwandererfamilien ohne berufliche Qualifikation bleiben, darf uns nicht ruhen lassen. Deshalb haben wir die Themen Spracherwerb, Bildung und Ausbildung zum Schwer­ punkt im Nationalen Integrationsplan gemacht. Bund und Länder unternehmen erheb­liche Anstrengungen, um die Bil­ dungssituation für junge Migrantinnen und Migranten zu verbessern. Denn Bil­ dungserfolg darf nicht von der sozialen Her­kunft abhängen. Das fängt schon im Kindergarten mit Sprachtests und Sprachförderung an. Das setzt sich in der Schule fort, zum Beispiel durch die Einstellung von mehr Lehrern mit eigener Zuwanderungserfahrung. Das zeigt sich im Ausbildungspakt und in der Qualifizie­ rungsinitiative, die die Bundes­regierung gerade auf den Weg gebracht hat. Mit der BAföG-Novelle haben wir ausländischen Jugendlichen den Zugang zur staatlichen Förderung erleichtert. Das sind nur einige Beispiele für Schritte auf dem Weg zu einem Bildungs­system, das Kindern und Jugendlichen aus Zuwanderer­familien

bessere Chancen gibt. Aber diese Maß­ nahmen wirken leider nicht gleich alle von heute auf morgen. Wir brauchen etwas Geduld, bis sich die Erfolge mes­ sen lassen. Ein Blick in die Zukunft. Der demo­ grafische Wandel bedeutet, dass die Zahl der Bevölkerung im Erwerbs­alter in ­Europa drastisch sinken wird. Dabei ­kostet der Fachkräftemangel die Unter­ nehmen laut einer Studie des Bundes­ finanz­ministeriums heute schon jährlich 20 Milliarden Euro. Die Greencard beispiels­weise war an so viele Bedin­ gungen geknüpft, dass auf diesem Ticket kaum Menschen ins Land geholt werden konnten. Warum tut sich die Bundes­ republik so schwer mit der gezielten ­Einwanderung? Beim Thema Fachkräfte hat die Qualifi­ zierung inländischer Fachkräfte Vorrang. Wo Bedarf besteht, brauchen wir aber auch gezielte Zuwanderung von Hoch­ qualifizierten und Fachkräften. Mit den Beschlüssen in der Kabinettklausur von Meseberg im August 2007 haben wir unmittelbar auf den Engpass reagiert, den wir im Ingenieursbereich haben und den Zugang für ausländische Maschinen­ bauer, Fahrzeugbauer und Elektroinge­ nieure erleichtert. Bei Bürgern aus den neuen EU-Mitgliedstaaten, die einen entsprechenden Berufsabschluss ha­ ben, verzichten wir auf die individuelle Vorrangprüfung. Ebenso haben wir den Zugang zum Arbeitsmarkt für alle aus­ ländischen Absolventen deutscher Hoch­ schulen erleichtert. Ist die Angst im Ausland vor Neo­ nazis in Deutschland ein Hinderungs­ grund für aktive Bemühungen um hoch­ qualifizierte Einwanderer? In Deutschland darf kein Platz sein für Extremismus, Fremdenfeindlich­keit, Antisemitismus oder Intoleranz. Die Aus­ einandersetzung hiermit ist eine gesamt­

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gesellschaftliche Aufgabe. Die Bundes­ regierung geht entschlossen gegen jede Form von extremistischer Gewalt oder extremistischem Gedanken­gut vor. Wir haben keine belastbaren Er­ kenntnisse, dass Angst vor Rechts­extre­ mismus die Zuwanderung Hoch­qualifi­ zierter behindert. Im Gegenteil: Wir wis­ sen auf Grund einer Studie aus dem Jahr 2006, dass sich das Deutschlandbild im Ausland in den letzten Jahren weiter positiv entwickelt hat. Die meisten Men­ schen im Ausland sehen Deutschland als modern, weltoffen und gast­f reundlich an und können sich vorstellen, hier eine Zeit lang zu leben und zu arbeiten. Sollte dies im Einzelfall einmal anders sein, bestärkt uns dies darin, in unseren Bemü­hungen im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht nach­zulassen. Hervor­heben möchte ich auch, dass Deutschland nach den USA und Großbritannien der attraktivste Studienort für ausländische Studierende über­haupt ist. Aber tatsächlich ist es doch so, dass die Bundesrepublik im Hinblick auf die demografische Entwicklung wieder ge­ zielt Einwanderer ins Land holen muss? Natürlich ist die mittel- und langfristige Sicherung des Angebots an qualifi­zier­ten Fachkräften eine der zentralen Heraus­ forderungen für die Zukunft. Priorität hat für uns zunächst die Ausschöpfung des heimischen Potenzials. Der zukünf­tige Arbeitskräftebedarf muss überwiegend durch bessere Bedingungen für Bildung und Qualifizierung sowie die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung gedeckt werden. Insbesondere die Beschäftigungschan­ cen für ältere Menschen, Frauen und bereits in Deutschland lebende Migran­ tinnen und Migranten müssen steigen. Gerade deshalb haben wir die Nationale Qualifizie­rungsinitiative beschlossen, mit der wir die Bildungschancen in allen Lebens­bereichen, von der frühkindlichen

StiftungsReport 2008/09

Bildung bis zur Weiterbildung stärken werden. Denn wir wissen, wir können auf kein einziges Talent in unserem Land verzichten. Einige Stiftungen wie zum Beispiel die Robert Bosch Stiftung oder die Freuden­berg Stiftung setzen seit Jahren wichtige Akzente im Feld der Migration. Der Geschäftsführer der FreudenbergStiftung, Christian Petry, hat das Bild ent­worfen, man sei mit den Ideen für eine Integration viele Jahre eine Rolltreppe hinauf gelaufen, die abwärts gefahren ist. Gegen den politischen Strom könn­ten auch Stiftungen wenig bewegen. Welche Rolle messen Sie Stiftungen bei der Inte­ gration in Zukunft zu? Es gibt in Deutschland eine breite und vielseitige Stiftungslandschaft mit den unterschiedlichsten Zielen und Schwer­ punktsetzungen. Zahlreiche Stiftungen engagieren sich – teils seit Jahrzehnten – mit großem Engagement und Erfolg im Bereich der Zuwanderung und Integra­ tion – zum Teil in Kooperation mit staat­ lichen Stellen, zum Teil ganz unabhängig von diesen. 2007 hat, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, die Integrations­ beauftragte der Bundes­regierung, Maria Böhmer, gemeinsam mit der Vodafone Stif­tung ein internationales Symposium zum Thema „Integration durch Bildung“ veran­staltet. Weitere werden folgen. Mein Anliegen ist es, für den Bereich Integration strategische Part­ nerschaften zwischen Staat und interes­ sierten Stiftungen auszubauen. Dabei sollen und müssen Profile der Stiftungen gewahrt bleiben und zugleich Kräfte gebündelt werden – es kommt darauf an, flexibel auf unterschiedliche Bedin­ gungen von Staat und Stiftungen zu rea­ gieren und auf Synergien zu setzen. Welchen Stellenwert geben Sie Stif­ tungen im Verhältnis zum Staat bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme?


Stiftungen sind eine besondere Form zivilgesellschaftlichen Engagements. Stiftungen sind Ausdruck von Freiheit und Eigenverantwortung, ohne die ein demokratisches Staatswesen nicht funktionieren kann. Stiftungen sind auch Ausdruck von Solidarität, die wir für den Zusammenhalt in der Gesellschaft brau­ chen. Ich sehe in Stiftungen einen wich­ tigen Partner, der andere Möglich­keiten hat als der Staat, Visionen zu entwickeln, Dinge zu initiieren und vor allem Neues auszuprobieren. Die Anstöße und Anre­ gungen, die Stiftungen aus der Mitte der Gesellschaft heraus geben, sind aus mei­ ner Sicht unverzichtbar für unser Land. Die Rekordzahl der Stiftungsneu­ errichtungen im vergangenen Jahr zeigt, dass die Verbesserung des Stiftungssteu­ errechts wirkt. Wie kann die Bundesregie­ rung noch dazu beitragen den Stiftungs­ gedanken bzw. ein stiftungsfreundliches Klima in der Gesellschaft zu fördern? Ich freue mich, dass die bessere steu­ erliche Förderung von Stiftungen und Stiftern, die wir im letzten Jahr mit dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bür­ gerschaftlichen Engagements beschlos­ sen haben, so schnell die erwartete positive Wirkung zeigt. Die Rekordzahl von Stiftungsneugründungen im letzten Jahr mit zudem im Durchschnitt höherem Kapital wird den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken. Nachdem die Ver­ besserungsmöglichkeiten im Steuerrecht ausgeschöpft sind, prüfen wir jetzt, ob wir die Neugründung von Stiftungen und die Arbeit bestehender Stiftungen durch Änderungen in anderen Rechtsbereichen und sonstige Maßnahmen und Hilfen zusätzlich unterstützen können. Auch im vergleichsweise stiftungs­ armen Osten zeigt die Reform Wirkung. Welche weiteren Maßnahmen zur ­Stärkung des bürgerschaftlichen Engage­ ments sind hier denkbar?

Ich freue mich, wenn unser Gesetz auch die Stiftungslandschaft in den neuen Bundesländern belebt. Die Entwicklung einer mit den alten Bundesländern ver­ gleichbaren Stiftungslandschaft braucht aber noch einen langen Atem. Hier wirken nicht nur vier Jahrzehnte SEDHerrschaft nach, die es ja gerade darauf angelegt hat, bürgerliche Strukturen zu zerstören. Auch die Vermögenssituation im Osten ist gegenwärtig noch nicht mit der im Westen vergleichbar. Wir sehen beispiels­weise am Aufkommen der Erb­ schaftssteuer, dass sich Ost und West in diesem Bereich noch unterscheiden. Wo große Vermögen fehlen, ist auch das Stiften schwerer. Allerdings kann die gesamtdeutsche Verbesserung der steu­ erlichen Rahmenbedingungen für Stif­ tungen auch den ostdeutschen Ländern zugute kommen. Aber stiften ist ja nicht die einzige Möglichkeit für bürgerschaftliches Engage­ment. Auch in ostdeutschen Kom­ munen sind beispielsweise freiwillige Feuer­wehren unverzichtbar. Kirchen, Verbände und Vereine organisieren das Gemeinschaftsleben, Jugend- und Sport­ verbände leisten unverzichtbare Jugend­ arbeit. In all diesen Bereichen gibt es Betätigungsfelder für bürger­schaftliches Engagement. Ich möchte die Menschen ermutigen, ihre Ideen engagiert zu ver­ wirklichen. Denn selber gestalten macht mehr Spaß als darauf zu warten, dass andere etwas für einen tun.

47

3 – Lust auf Vielfalt


4

Wie denken die ­Deutschen über ­kulturelle Vielfalt, Integration und Stiftungen? Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung zu „Offenheit gegenüber kultureller Vielfalt“ und „Bewertung von Stiftungsaktivitäten im Bereich Integration“ „Nationale und Migranten-Kulturen durchdringen und ­ergänzen sich stetig. Was gestern noch exotisch war, ist heute bereits heimisch, und das ehedem Eigene gehört längst zum Alltag in der Fremde.“ 19 Diese Worte machen deutlich, was derzeit geschieht: Die weltweiten Wande­ rungsbewegungen, die untrennbar mit der Globalisierung zusammenhängen, bilden multikulturelle Gesellschaften ­­in vielen Ländern der Welt. Die noch homogen erscheinende Bevölkerung wird durch Einwanderung verändert und be­ kommt Zugang zu neuen Welt- und Wertvorstellungen. Doch bisher erfahren Einwanderung und Migration eine einseitige Betrachtung, der Blick der Aufnahmegesell­ schaft richtet sich vornehmlich auf die sozialen Probleme. Um aber die Ressourcen und Potentiale der Zuwanderung erkennen und für Gesellschaften positiv nutzbar machen zu können, ist ein Perspektivwechsel erforderlich: weg vom defizit- und problemorientierten Blick hin zu einer Offenheit gegenüber neuen Kulturen, Wert- und Weltvorstellungen.

48

StiftungsReport 2008/09


Hiervon gehen die (Politik-) Ansätze „Politics of Diversity“ und ­„Intercultural bzw. Diversity Mainstreaming“ aus. Sie haben zum Ziel, Ausgrenzung und Diskri­ minierung aufgrund von Herkunft einzu­ dämmen, die Qualifikationen und Poten­ tiale der unterschiedlichen Menschen zu erkennen und zu fördern und das soziale Miteinander reibungsloser zu gestalten. Davon profitieren nicht nur die Angehö­ rigen von Minderheiten, sondern die ge­ samte Gesellschaft und ihre ­Institutionen. Dieser Perspektiv- bzw. Paradig­ menwechsel bedeutet, dass tradierte Vorstellungen von Gemeinschaft und Gesellschaft, von Heimat und Fremde neu zu überdenken sind. Moderne Einwande­ rungsgesellschaften werfen neue Fragen bezüglich Herkunft und Identität auf, die in einem gesamtgesellschaftlichen Dis­ kurs zu erörtern sind.20

Abbildung 4.1: Befragte mit Zuwanderern in Familie oder Freundeskreis nach Bundesgebiet (in Prozent) 0

10

20

30

40

Gesamt Ost

50

60

40 21

West 44

... nach Schulbildung Abitur oder Hochschulabschluss 56 Mittlerer Abschluss

42

Volksschule mit Lehre Volksschule ohne Lehre

30 33

noch Schüler

40

... nach ­Altersgruppen Eckdaten zur Bevölkerungsumfrage Gesamt West Ost

n 1.001 800 201

% 100 79,9 20,2

Geschlecht Frauen 520 Männer 481

52 48

Altersgruppen 14-29 Jahre 200 30-39 Jahre 160 40-49 Jahre 182 50-59 Jahre 145 über 60 Jahre 314

20 16 18 14 31

Schulbildung der Befragten Volksschule ohne Lehre 70 Volksschule mit Lehre 367 Mittlere Reife 330 Abitur 94 Studium 84 noch Schüler 57

6,9 36,6 33 9,4 8,4 5,7

Befragte mit Einwanderern in Familie oder Freundeskreis

397

40

Quelle aller Abbildungen dieses Kapitels: Umfrage „Cultural Diversity“, Bundesverband Deutscher Stiftungen durch Emnid (Dezember 2007).

14 – 29 Jahre

50

30 – 39 Jahre

56

40 – 49 Jahre 42

50 – 59 Jahre 39

60 + Jahre 24

Ein neuer Umgang mit kultureller Viel­ falt bedeutet, die gesellschaftliche Integra­ tion von Zugewanderten als Bereicherung und gesellschaftliche Ressource zu begrei­ fen. Diese neue Denkweise kommt unter anderem im Nationalen Integrationsplan21 zum Ausdruck und erkennt endlich die Realität an: „Deutschland ist ein Einwan­ derungsland.“ Sie soll eine neue Ära der Integrationspolitik einleiten. Da Integration und gleichberechtigte Teilhabe nicht ein­ fach politisch verordnet werden können, ist es wichtig zu erfahren, ob dieser neue Ansatz auch in der Bevölkerung ankommt.

4 – Wie denken die Deutschen über kulturelle Vielfalt, Integration und Stiftungen?

49


50

Um Einstellungen der Bevölkerung zur „kulturellen Vielfalt als Chance“ zu dokumentieren, hat der Bundesver­ band Deutscher Stiftungen (BVDS) eine ­repräsentative Bevölkerungsumfrage initiiert, die vom Meinungsforschungs­ institut TNS-Emnid durchgeführt wur­ de.22 Die Befragung liefert eine Moment­ aufnahme der Meinungsbildung zur ­Integrationsdebatte. Um das Antwortverhalten der Be­ fragten in Beziehung zu ihrer sozialen Nähe zu Migrantinnen und Migranten setzen zu können, wurden sie gefragt, ob sie selbst Zugewanderte in ihrem Familien- und/oder Freundeskreis ha­ ben. 40 Prozent der Befragten haben Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld. In den neuen Bundesländern sind es nur halb so viele (21 Prozent) wie in den alten Bundesländern (44 Prozent). Hier ist der Anteil der Migrantinnen und Mi­ granten an der Bevölkerung auch deut­ lich geringer als in den alten Bundeslän­ dern.23 Es sind vor allem die 14- bis 29und 30- bis 39-Jährigen sowie Menschen mit einem höheren Bildungsgrad (Abitur und/oder Hochschulabschluss), die überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem näheren sozialen Umfeld haben (Abb. 4.1). Dennoch zeigen diese Zahlen, dass über die Hälfte der Befragten keine Zugewanderten im näheren sozialen Umfeld hat (59 Prozent).24 Das deutet darauf hin, dass die soziale Distanz zu Zugewanderten relativ groß ist. Die Ergebnisse des GMF-Surveys der Univer­ sität Bielefeld von 2006 bestätigen dies: 59 Prozent der Befragten fanden, dass zu viele Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland leben (2004: 60 Prozent; 2002: 55 Prozent). Zudem glauben 35 Prozent, Ausländerinnen und Ausländer sollten zurückgeschickt werden, wenn die Arbeitsplätze knapp werden (2004: 36 Prozent; 2002: 27 Prozent).25 Diese StiftungsReport 2008/09

soziale Distanz hat negative Folgen für gegenseitiges Vertrauen, Kooperations­ bereitschaft und schließlich auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Diese negativen Effekte stehen einer offenen und auf dem Prinzip der Chancengleich­ heit basierenden Gesellschaft im Weg.

Bereichernde Merkmale einer Gesellschaft „Kulturelle Vielfalt“ stellt ein kom­ plexes Gebilde dar, das sich nicht eindi­ mensional messen lässt. Daher wurden den Befragten die sechs wesentlichen sozialen und kulturellen Dimensionen von „Diversity“ vorgelegt: Gleichbe­ rechtigung der Geschlechter, von älteren Menschen und Menschen mit Behinde­ rung als Indikatoren für soziale Vielfalt sowie Gleichberechtigung in Bezug auf ethnische Herkunft, Religionszugehö­ rigkeit und Lebensstil als Indikatoren für kulturelle Vielfalt. Die Befragten wurden gebeten, maximal drei Merkmale auszuwählen, die sie als besonders be­ reichernd für die Gesellschaft erleben.26 Die Werte derjenigen Indikatoren, die dafür sprechen, dass kulturelle Vielfalt als Ressource wahrgenommen wird, liegen jeweils deutlich unter 50 Prozent (ethnische Herkunft: 44 Prozent der Befragten; verschiedene Religionen: 40 Prozent; unterschiedliche Lebensstile: 26 Prozent). Alle anderen Indikatoren erfah­ ren dagegen einen Zuspruch von jeweils über 50 Prozent (Abb. 4.2). Somit wird kulturelle Vielfalt als gesellschaftliche Ressource auf die hinteren Ränge verwie­ sen. Auf der politischen Agenda belegt das Thema jedoch die vordersten Plätze. Dies wird unter anderem am Nationalen Integrationsplan, an den Europäischen Jahren für „Chancengleichheit 2007“ und des „interkulturellen Dialogs 2008“, an der Regierungskampagne „Vielfalt als Chance“ sowie an den Aktivitäten der Bundesregierung, die 2008 zum „Jahr der


Abbildung 4.2: Bereichernde Merkmale einer Gesellschaft (in Prozent, max. 3 Nennungen möglich) 0

10

20

30

40

50

Gleichberechtigung der Geschlechter

60

70

60 60

69 Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung 58 56 42 Chancengleichheit für Ältere 51 42 41 ethnisch-kulturelle Vielfalt 44 52 52 Religionsvielfalt 40 44 44 Vielfalt von Lebensstilen 26 30 39 Befragte gesamt Befragte mit Zuwanderern im nahen sozialen Umfeld Befragte mit hohem ­Bildungsgrad (Abitur/Hoch­schul­abschluss)

Integration“ erklärt hat, deutlich.27 Diese Diskrepanz zwischen politischer Absicht und Haltung der allgemeinen Öffentlich­ keit sollte überbrückt werden. Die soziale Nähe zu Menschen mit Migrationshintergrund und ein hoher Bil­ dungsgrad haben einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung von kultureller Vielfalt als Chance. Jeder Zweite, zu des­ sen engerem Umfeld Eingewanderte zäh­ len, ist der Meinung, dass die Vielfalt von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft eines der wichtigsten Merkmale ist, die eine Gesellschaft bereichern (52 Prozent). Die soziale Nähe begünstigt die Offenheit gegenüber anderen Kulturen, da sie Vorurteile abbauen kann. Auch die Befragten mit einem hohen formalen Bildungsgrad setzen ihre Prioritäten bezüglich erstrebenswerter gesellschaft­

licher Merkmale anders. Auch hier sind 52 Prozent der Meinung, dass kulturelle Viel­ falt eine Gesellschaft bereichert. Bildung scheint in doppelter Hinsicht ein ent­ scheidender Integrationshebel zu sein: für Menschen mit Migrationshintergrund als Schlüssel zu mehr Chancengleichheit und Partizipation sowie für die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft als Motor, um in einer pluralistischen Gesellschaft Aus­ grenzungen gegenüber Minderheiten zu vermeiden. Wie Abbildung 4.2 zeigt, steht die Gleichberechtigung der Geschlechter an erster Stelle (60 Prozent), dicht gefolgt von der „Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung“ (58 Prozent). Diese Ergebnisse wären noch vor ein paar Jah­ ren kaum denkbar gewesen. Sie verdeut­ lichen die Früchte sowohl der Frauenbzw. Emanzipationsbewegungen28 als auch der „Behindertenbewegung“ der letzten Jahrzehnte.29 Soziale Bewegungen bewirken sozi­ ale Wandlungsprozesse und fördern eine zunehmende Vielfalt an Identitäten, Le­ bensformen und Lebenslagen. In den USA treiben Human-Rights-Bewegungen die Entstehung und Verbreitung von Diversity Management voran. Es hat sich dort als Thema etabliert, dessen gesellschafts­ politische weit über seine wirtschaftliche Bedeutung hinausreicht. In der deutsch­ sprachigen Diskussion hingegen steht der „Business Case“ im Vordergrund und macht Diversity-Konzepte als Manage­ ment-Instrumente von Unternehmen bekannt.30 Dieser nur auf die Wirtschaft beschränkte deutsche Blick auf Diversity Management macht deutlich, warum die Dimensionen der ethnisch-kulturellen Vielfalt nicht in einem hohen Maße als gesellschaftliche Ressource wahrgenom­ men werden. Daher ist es notwendig, dass Diversity-Management – losgelöst von der Logik der Wirtschaft – in einen allgemeinen öffentlichen Diskurs über­ führt wird.

4 – Wie denken die Deutschen über kulturelle Vielfalt, Integration und Stiftungen?

51


Voraussetzungen für eine gelungene Integration

52

Das vorherrschende Integrations­ verständnis ist ein weiterer Indikator für Offenheit gegenüber anderen Kulturen. In Deutschland ist das Thema Integration fester Bestandteil politischer Debatten und öffentlicher Diskurse. Wie Integration aussehen kann und mit welchen Strate­ gien sie verfolgt werden sollte, wird viel und kontrovers diskutiert. Die Debatte bewegt sich zwischen den Polen „An­ passung“31 und „Bewahrung der eigenen Kultur“. Um die Befragten auf diesem Kontinuum einzuordnen, wurden drei Integrationstypen gebildet (Abb. 4.3). Sie wurden anhand dem Grad der Zustim­ mung zu den Aussagen „Anpassung an Sitten und Gebräuche“ und „Aufgabe der kulturellen Wurzeln“ als notwendige Inte­ grationserfordernisse kategorisiert. Typ I weist ein konservatives Integrationsver­ ständnis auf. Er vertritt die Meinung, dass zu einer gelungenen Integration sowohl die Anpassung an die Sitten der Aufnah­ megesellschaft als auch die Aufgabe der Kultur des Herkunftslandes gehört (33 Prozent der Befragten gehören zu Typ I). Typ II bildet einen Mischtyp. Hier stimmen die Befragten einer Anpassung an Sitten und Gebräuche zu, während sie eine Auf­ gabe der ursprünglichen Kultur ablehnen (46 Prozent). Schließlich propagiert Typ III ein liberales bzw. ein für kulturelle Pluralität offenes Integrationsverständ­ nis. Diese Befragten sprechen sich für eine Bewahrung der kulturellen Wurzeln und gegen eine Anpassung an die Sitten und Gebräuche des Aufnahmelandes aus (14 Prozent). Fast jeder Zweite lässt sich dem Mischtyp (Typ II) zuordnen. Dieses ver­ meintlich widersprüchliche Ergebnis deutet darauf hin, dass ein „neues“ Integrationsverständnis, also ein Para­ digmenwechsel im Entstehen begriffen ist und im öffentlichen Diskurs ausge­ StiftungsReport 2008/09

Abbildung 4.3: Integrationstypen nach verschiedenen Gruppen (in Prozent) Gesamt Typ I

Typ II

Typ III

(konservativ)

(Mischtyp)

(liberal)

32,8

45,6

13,9

nach Altersklassen 14 – 29 30 – 39

32,2 25,8

40 – 49 50 – 59

39,7 46,5

30,8 26,2

60 +

15,1 21,4

50,0

16,5

50,3

45,6

13,8 44,3

7,6

nach West/Ost West Ost

32,7

44,9

14,7

32,8

47,8

10,9

nach Geschlecht Mann

28,3

Frau

49,4

36,7

42,1

16,9 11,2

nach Bildung Volksschule ohne Lehre Volksschule mit Lehre Mittlere Reife Abitur Univer­si­täts­ abschluss

42,9

30,0

40,4

40,7

31,7 19,1 14,5

50,8 44,7

11,4 9,8 13,0 27,7

61,4

24,1

nach Einwanderer im Umfeld Ja Nein

29,0 35,5

44,9 45,6

= keine Angabe bzw. ungültig

17,4 11,4


handelt werden muss: Weg von einsei­ tiger Integration und defizitorientierter Integrationspolitik hin zu einer offenen, ethnisch-kulturell pluralen Gesellschaft. Es geht also darum, Spielregeln auszu­ machen, die für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt unerlässlich sind. Man sollte jedoch nicht vergessen, die hier le­ benden Zuwanderer in diesen Aushand­ lungsprozess einzubeziehen, Integration geschieht durch Partizipation. Die meisten 60-jährigen und Älteren haben ein konservatives Integrationsver­ ständnis (46 Prozent). Der Auffassung des konservativen Typs schließen sich auch mehr Frauen als Männer an (37 Pro­ zent der befragten Frauen werden Typ I zugeordnet und 28 Prozent der Männer). Das Integrationsverständnis der höher gebildeten Befragten sieht an­ ders aus. Der Anteil der Konservativen sinkt mit aufsteigendem Bildungsgrad. Aus diesem Grund ist es nicht weiter verwunderlich, dass Typ III am meisten verbreitet unter den Befragten mit Abitur oder Hochschulabschluss ist (28 Prozent der Befragten mit Abitur und 24 Prozent der Befragten mit Universitätsabschluss können Typ III zugeordnet werden). Es bleibt festzuhalten, dass mit dem Anstei­ gen des formalen Bildungsgrades eine offene und ethnisch-kulturell plurale Gesellschaft befürwortet wird. Das Integrationsverständnis der Befragten, die Menschen mit Migrations­ hintergrund in ihrem sozialen Umfeld ha­ ben, ist im Vergleich zu dem derjenigen ohne Eingewanderte im Umfeld weniger konservativ und demzufolge offener (Typ I: 29 Prozent zu 35 Prozent und Typ III: 17 Prozent zu 11 Prozent). Doch auch hier befinden sich die meisten Befragten mit je 45 Prozent in der Kategorie Mischtyp. Dennoch zeigen diese Ergebnisse, dass tendenziell eher diejenigen, die eine fremde Kultur kennen lernen, diese nicht durch Anpassung an die eigene Kultur ersetzt sehen möchten.

Abbildung 4.4: Weitere Integrations­ erfordernisse (in Prozent) 0

20

40

60

80

100

Gute Sprachkenntnisse 72

24

3 1

Akzeptanz demokratischer Grundwerte 69

22

6 2

trifft voll zu trifft zu trifft eher nicht zu trifft überhaupt nicht zu

In zwei Punkten sind sich die Be­ fragten sehr deutlich einig. Nämlich dass gute Sprachkenntnisse (96 Prozent) und eine Akzeptanz demokratischer Grund­ werte (91 Prozent) notwendig für eine gelungene Integration sind (Abb. 4.4). Somit lässt sich das Integrationsver­ ständnis der Befragten folgendermaßen interpretieren: Die Mehrheit ist für eine Bewahrung der kulturellen Identität. Allerdings gibt es gemeinsame Werte und soziale Spielregeln, die von allen gleicher­ maßen geteilt werden müssen, damit es einen gesellschaftlichen Zusammenhalt geben kann. Ethnisch-kulturell plurale Gesellschaften stehen stets vor der Frage, „welches Maß an Verschiedenheit zuge­ lassen und welches Maß an Integration in die von allen geteilte gesellschaftliche Kultur erforderlich ist“.32

Deutschland ist auf dem richtigen Weg Es lässt sich also eine Tendenz fest­ stellen, dass man von der Forderung nach vollständiger Anpassung an die Kultur des Aufnahmelandes etwas abgerückt ist. Berlin nimmt hier eine Vorreiter­ position ein. In keinem anderen Bundes­ land wird die Aufgabe der kulturellen Wurzeln so stark abgelehnt wie in Berlin (85 Prozent).

4 – Wie denken die Deutschen über kulturelle Vielfalt, Integration und Stiftungen?

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Deutschland etabliert sich langsam als Einwanderungsland und bewegt sich in Richtung einer offenen und ethnischkulturell pluralen Gesellschaft. Dabei sind Bildung und soziale Nähe zu Migranten die entscheidenden Einflussgrößen für eine Gesellschaft, in der soziale und kulturelle Vielfalt als Ressource wahrge­ nommen werden. Es ist jedoch nach wie vor ein hohes Engagement der gesell­ schaftlichen Kräfte gefragt, das Bewusst­ sein der Bevölkerung im Hinblick auf kulturelle Vielfalt weiter auszubauen und zu schärfen. Nur durch eine verbesserte Informationsbasis und -politik kann das notwendige Verständnis und letztlich das Vertrauen in der Bevölkerung auf Dauer geschaffen werden. Hierbei könnte die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rol­ le spielen – im Sinne von „Social ­Change Agents“.

54

StiftungsReport 2008/09

Bewertung von Stiftungen und ihren Aktivitäten im Bereich Integration Knapp 80 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Zuwanderern, die bereits lange hier leben, Integrations­ maßnahmen angeboten werden sollen. 62 Prozent fordern, solche Maßnahmen künftigen Migrantinnen und Migranten anzubieten. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass Integration ein gesellschaft­ liches Aufgabenfeld ist und bleiben wird. Der gesellschaftliche Zusammenhalt von Einwanderungsgesellschaften wird stark davon abhängen, geeignete Strate­ gien und Instrumente zu entwickeln, die benachteiligten Personengruppen eine gleichberechtigte Teilhabe an den zentra­ len gesellschaftlichen Bereichen ermög­ lichen. Sowohl die gesellschaftliche als auch die wirtschaftliche Innovationsfähig­ keit Deutschlands wird daran zu messen sein, ob es gelingt, die Potenziale kultu­ reller Vielfalt zu fördern und zu nutzen.33 Zahlreiche gelungene Beispiele dafür wer­ den in diesem Report vorgestellt. Als Akteure der Zivilgesellschaft engagieren sich Stiftungen zahlreich und zum Teil schon sehr lange im Förderbereich Integration. Die Bandbreite ihres Engage­ ments erstreckt sich von Wissenschafts­ förderung über die strukturelle Verbesse­ rung von Zugangsbedingungen bis hin zur individuellen Förderung von Menschen mit Migrationshintergrund. Die geförderten Projekte und Programme haben zum Teil Vorbildcharakter und leisten einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aus diesem Grund wurde in der vor­ liegenden Umfrage auch erhoben, inwie­ weit die Arbeit von Stiftungen im Bereich Integration bekannt ist, wie sie bewertet wird und wie weit das Unterstützungs­ potenzial reicht. Im Bewusstsein der Bundesbürge­ rinnen und -bürger spielen Stiftungen, die


sich im Bereich Integration engagieren, keine große Rolle. Fünfzehn Prozent der Befragten konnten spontan eine Stiftung mit einschlägiger Tätigkeit nennen. Unter den Stiftungen, die ungestützt genannt werden konnten, befanden sich die Cari­ tas-Stiftungen, die Heinrich-Böll-Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die KörberStiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Otto Benecke Stiftung, die Robert Bosch Stiftung und die Gemeinnützige HertieStiftung – mit einer Häufigkeit zwischen 0,1 und 2 Prozent aller Befragten.

Wie wird der „gesellschaftliche Mehrwert“ von Stiftungen bewertet? Schon vor zehn Jahren brachte der damalige Bundespräsident Roman Herzog Stiftungen mit einer aktiven Bürgergesellschaft in Verbindung. Er nannte sie „Pioniere auf dem Weg zur unmittelbaren, spontanen, dezentralen, effizienten, vielfältigen Verbindung von unternehmerischer Dynamik und Dienst am Gemeinwohl“.34 Als Leistungsträger der Zivilgesellschaft begründet sich der „gesellschaftliche Mehrwert“35 von Stiftungen unter anderem in ihrer Umver­ teilungswirkung, einem vermuteten Effi­ zienzvorteil gegenüber Staat und Markt, in ihrer Gemeinnützigkeit und in ihrem Innovationspotential. Dieser positive Nutzen für das Ge­ meinwohl wird von einer deutlichen Mehr­ heit der Befragten auch wahrgenommen, wie Abbildung 4.5 zeigt. Die größte Zu­ stimmung erhält dabei die Aussage, dass Stiftungsaktivitäten staatliches Handeln ergänzen sollen. Dies ist ein guter Indi­ kator dafür, dass eine aktive Bürgerge­ sellschaft in allen Bevölkerungsgruppen viele Befürworter hat. Zusammen mit der Zustimmung für die Aussagen „Stif­ tungsaktivitäten im Bereich Integration orientieren sich an gesellschaftlichen Bedürfnissen“ und „Stiftungen können

Abbildung 4.5: Einschätzung der Rolle von Stiftungen im Förderbereich Integration und in der Gesellschaft (in Prozent) 0

20

40

60

80

100

Im Bereich Integration orientieren sich Stiftungen n = 901 an gesellschaftlichen Bedürfnissen 18 46 20 6 Stiftungen können Integrationsmaßnahmen besser umsetzen als der Staat n = 951 20 40 Stiftungen geben Impulse für gesellschaftlichen Wandel

28

7 n = 951

19 43 27 6 Stiftungen übernehmen Verantwortung n = 971 in der Gesellschaft 32 39 21 5 Durch Stiftungen kommt das Vermögen Reicher Benachteiligten zugute n = 941 26 36 25 7 Stiftungen sollten im Bereich Integration n = 981 staatliches Handeln ergänzen 36 trifft voll zu trifft zu

41

14

7

trifft eher nicht zu trifft überhaupt nicht zu

konkrete Integrationsmaßnahmen besser umsetzen als der Staat“ fügt sich dieses Ergebnis in den gegenwärtigen Trend, dass die Organisationen der Zivilgesell­ schaft immer mehr Gemeinwohlaufgaben übernehmen, für die bislang der Staat zuständig war. Die Zivil-, beziehungswei­ se Bürgergesellschaft stellt sich damit als Dritter Sektor neben Staat und Wirt­ schaft und als unverzichtbarer Teil zur Organisation gesellschaftlichen Lebens in Deutschland dar. Sie will jedoch keine „Lückenbüßerin“ staatlichen Handelns sein, sondern eigenständige und gleich­ berechtigte Partnerin eines kooperativen Staates.36 Das intensive Engagement der Stiftungen in Deutschland bringt ein ho­ hes soziales Kapital und eine entwickelte Zivilgesellschaft zum Ausdruck.

4 – Wie denken die Deutschen über kulturelle Vielfalt, Integration und Stiftungen?

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Abbildung 4.6: Besondere Kompetenzen von Stiftungen im Bereich Integration (in Prozent, max. 2 Nennungen möglich)

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ringprogrammen. Diese Programme sind insbesondere auf sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler mit Migrations­ hintergrund zugeschnitten, die aufgrund 0 10 20 30 40 50 60 70 80 ihrer formalen Bildung schlechte Chancen Förderung von Sprache auf dem Arbeitsmarkt haben. 73 Das Stiftungswesen entwickelt Förderung von Bildung aber auch überzeugende Projekte und 54 Pogramme zur Integration von Migran­ Förderung beruflicher Perspektiven tinnen und Migranten im Seniorenalter. 38 Dass hier Stiftungen mit Abstand am Integration älterer Migranten wenigsten Kompetenzen zugesprochen 10 werden, liegt wohl eher an dem Umstand, Migration und Integration sind Quer­ dass die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund im Seniorenalter schnittsthemen, die von zahlreichen Stif­ tungen in unterschiedlichen Formen bear­ ein in der Öffentlichkeit erst wenig dis­ beitet werden. Die sozialen Projekte spre­ kutiertes Thema ist. Gerade in diesem chen verschiedene Migranten-Zielgruppen gesellschaftlichen Aufgabenfeld leisten in unterschiedlichen Lebenslagen an. Eine Stiftungen Pionierarbeit.37 deutliche Mehrheit der Befragten ist der Unterstützung von Meinung, dass Stiftungen dem Staat bei Stiftungsaktivitäten der Umsetzung von Integrationsmaßnah­ men zur Hand gehen sollten. Aus diesem Jeder vierte Befragte unterstützt Grund ist es für Stiftungen interessant zu Stiftungen und jeder Dritte ist bereit, die erfahren, auf welchem Gebiet ihre Stär­ Arbeit von Stiftungen zu unterstützen. In ken gesehen werden. Um eine stärkere Differenzierung des Antwortverhaltens zu den alten Bundesländern ist die bereits erreichen, wurden die Befragten gebeten, sichtbare Unterstützung etwas höher sich für ein bis zwei Bereiche zu entschei­ als in den neuen Bundesländern (West den. Das Ranking ist folgendermaßen aus­ 25 Prozent, Ost 22 Prozent). Frauen en­ gefallen: Knapp drei Viertel der Befragten gagieren sich mehr als Männer (Frauen schätzen Stiftungen bei der Förderung von 26 Prozent, Männer 23 Prozent), und mit dem Alter steigt die Unterstützung. Etwas Sprachkenntnissen für Migrantinnen und anders sieht das Profil der Personen aus, Migranten als besonders kompetent ein, die sich vorstellen könnten, Stiftungen zu weitere 54 Prozent bei der Förderung im Bereich Bildung (Abb. 4.6). In Deutschland unterstützen: Hier ist das Potential in den engagiert sich etwa jede vierte Stiftung im alten Ländern deutlich höher als in den Bildungs- und Ausbildungssektor. Schließ­ neuen Ländern. Während sich in West­ lich wird Bildung stets als Schlüsselquali­ deutschland fast jeder Zweite vorstellen fikation diskutiert, wenn es um Integration kann, Stiftungen zu unterstützen, beläuft sich der Anteil im Osten der Republik geht. Daher ist es nicht auszuschließen, auf nur 32 Prozent. Ein möglicher Grund dass der prominente Stellenwert von hierfür ist die Unterdrückung der bürger­ ­Bildung, sowohl als Förderbereich von schaftlichen Tradition durch das SEDStiftungen als auch in Integrationsdebat­ Regime. Hinsichtlich des Geschlechts ten, dieses Ergebnis beeinflusst. potentieller Unterstützerinnen und Gerade an der Schnittstelle von Unterstützer verhält es sich umgekehrt: Schule und Berufswelt engagieren sich Mehr Männer als Frauen können sich Stiftungen oftmals in Form von Mento­ StiftungsReport 2008/09


„Tue Gutes und sprich noch mehr darüber!“

Abbildung 4.7: Unterstützung von Stiftungen

keines von beiden 42 %

aktive Unterstützung 25 % zur Unterstützung bereit 33 %

Abbildung 4.8: Art der Unterstützung (in Prozent, Mehrfachnennungen möglich, n =247) 0

10

20 30

40

50

60 70

80 90

Geldspende 87 Sachspende 36 Ehrenamt Zustiftung 17 Stiftungsgründung 2

36

vorstellen, Stiftungen zu unterstützen (Männer 46 Prozent, Frauen 43 Prozent der Befragten). Vor allem in den Alters­ gruppen der 14- bis 29- sowie der 50- bis 59-Jährigen finden sich große Teile po­ tentieller Unterstützerinnen und Unter­ stützer (14 bis 29 Jahre alte Befragte: 54 Prozent; 50 bis 59 Jahre alte Befragte: 50 Prozent). Außerdem steigt die Bereit­ schaft Stiftungen zu unterstützen mit dem Bildungsgrad, während dieser auf die bereits ­existierende Unterstützung keinen Einfluss zu haben scheint. Die Art der tatsächlichen Unterstüt­ zung manifestiert sich hauptsächlich in Geldspenden (87 Prozent), während sich nur 36 Prozent ehrenamtlich in Stiftungen engagieren. Doch immerhin waren un­ ter den Befragten vier Stifterinnen und Stifter zu finden, was einem Anteil von 2 Prozent entspricht (Abb. 4.8).

In Deutschland verfügen Stiftungen schätzungsweise über 100 Milliarden Euro Stiftungskapital, eine beachtliche Summe, deren Erträge eingesetzt werden, um gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen.38 Die Bevölkerung bewertet das Engagement von Stiftungen in der Bundesrepublik positiv. Sie spricht Stif­ tungen hohe Kompetenzen bei der Lösung sozialer Probleme zu. Doch die Ergebnisse zeigen auch, dass das Engagement von Stiftungen eher ein Schattendasein führt. Die meisten Befragten kennen keine Stiftung, die sich im Bereich Integration engagiert (85 Prozent). Dieser geringe Bekanntheitsgrad steht im Widerspruch zu dem großen Beitrag, den Stiftungen für die Gesellschaft leisten. Bei einem derartigen Einsatz an Geld, Zeit und in­ novativen Ideen sollten sowohl einzelne Stiftungen als auch das deutsche Stif­ tungswesen insgesamt ein Interesse an einer stärkeren Verankerung ihrer Arbeit im öffentlichen Bewusstsein haben. Be­ reits die von der Bertelsmann Stiftung durchgeführte Stifterstudie kam zu dem Ergebnis, dass Stiftungen ihre Öffentlich­ keitsarbeit deutlich verbessern müssen.39 In Zukunft wird es für Stiftungen noch wichtiger sein, durch Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit Vertrauen herzustellen. Schließlich geht es auch darum, diejenigen zu überzeugen, die dem Stiftungswesen eher skeptisch gegenüberstehen: Nämlich davon, dass Stiftungen gleichermaßen Ausdruck und Garant für eine vielfältige, pluralistische Gesellschaft sind.40

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Eine junge Disziplin – Stiftungen, Migration und Wissenschaft Wie wichtig wissenschaftliche Erkenntnisse für einen gelungenen Einwanderungsprozess sind und warum Stiftungen einen entscheidenden Anteil an der deut­ schen Migrationsforschung geleistet haben, beschreibt der Hintergrundtext. Klaus J. Bade zählt zu den bedeu­ tendsten zeitgenössischen Migrationsforschern. Er er­ läutert im Interview, warum die deutsche Politik so lange das Thema Einwanderung verschlafen hat. Und weshalb man aufpassen muss, damit die „Schlafmetaphoriker“ das Thema nicht erneut missachten. Die Reportage beschreibt die Arbeit eines der Pionierinstitute der deut­ schen Migrationsforschung, der Essener Stiftung Zen­ trum für Türkeistudien. Und im Porträt erzählt die junge Migrationsforscherin Zeynep Sezgin von ihrer Arbeit an der Ruhr-Universität Bochum und ihren Träumen für die Zukunft.

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StiftungsReport 2008/09


H

Hintergrund

Von Diabetes bis Diaspora-Forschung

Die Migrationsforschung ist eine junge Wissenschafts­ disziplin. Dabei ist der Mensch schon immer ein Wanderer gewesen. Nur so konnte er sich über die Erde ausbreiten.

Man stelle sich einmal vor, in einem Land leben zu müssen, in dem man offi­ ziell nicht leben darf. In Spanien haben die „sin papeles“, die Papierlosen, wie jeder Spanier auch die Möglichkeit, sich eine Krankenversicherungskarte zu be­ sorgen, ohne dass sie sich offenbaren müssen. In der Bundesrepublik gibt es dieses Recht auf eine kostenlose medizi­ nische Grundversorgung ohne Preisgabe der Identität nicht. Was tun also, wenn das Kind ernstlich erkrankt oder der Vater sich bei der schlecht bezahlten Schwarz­ arbeit in der Küche eines Restaurants mit dem Küchen­messer schwer verletzt? Keiner weiß, wie viele Papierlose in der Bundesrepublik leben. Die Schätzun­ gen liegen heute zwischen 500.000 und einer Million Menschen. Dabei müsste die Neugierde eigentlich groß genug sein. Seit Oktober 2007 ist wenigstens das Wissen über die Gesundheitsversorgung Papierloser ein bisschen größer gewor­ den. Ein Jahr lang haben auf Initiative des Deutschen Instituts für Menschen­ rechte und des Katholischen Forums Leben in der Illegalität Wissenschaftler, kommunale Verwaltung, Ärzte, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und verschiedene nichtstaatliche Organisationen ihre Er­

kenntnisse zusammengetragen. Immer­ hin weiß man jetzt, dass es überall in der Bundesrepublik klandestine, ehrenamt­ liche Hilfsmöglichkeiten gibt – und was helfen könnte: die Einrichtung eines Bun­ desfonds für nicht versicherte Personen oder der Zugang zur privaten Kranken­ versicherung. Aber auch Krankenscheine, die von unabhängigen Beratungsstellen vermittelt werden und Anlaufstellen bei Rechtsverletzungen für die nur vermeint­ lich Rechtlosen. Es ist ein kleines Projekt gewesen. Aber auch kleine Projekte kön­ nen viel bewegen. Manchmal braucht man aber die großen Projekte, um etwas zu bewegen. Wie sonst will man erfahren, welche Fak­ toren beispielsweise die Integration von jugendlichen Migrantinnen und Migran­ ten hindern oder befördern, wenn man es nicht wissenschaftlich und in mehreren Regionen gleichzeitig erforscht? „Die In­ tegration der zweiten Generation in Euro­ pa“ heißt das Projekt, das genau dies tut. Dabei werden in acht Städten in Deutsch­ land, den Niederlanden, der Schweiz, Österreich und Frankreich jeweils fünf­ hundert Jugendliche befragt. Aus den 4000 wissenschaftlichen Interviews, die in der Bundesrepublik das Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osna­ brück durchführt, sollen beispielsweise Erkenntnisse gewonnen werden, warum einige Länder größere Erfolge bei Bildung und Erziehung oder auch beim Übergang in den Arbeitsmarkt erzielen als andere. Heute betreiben etwa 20 eigen­ ständige Forschungseinrichtungen unterschiedlicher Größe in der Bundes­ republik Migrationsforschung – mit einer bunten Vielfalt von Diaspora-Forschung über demografische Aspekte bis hin zu Fragen der Arbeitswanderung oder Grundlagen interkultureller Pädagogik. Auch politische Stiftungen widmen sich der Grundlagenforschung zu Migration

5 – Stiftungen, Migration und Wissenschaft

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und Integration. So haben die FriedrichEbert-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung Schwerpunkte zum Thema eingerichtet und halten Symposien zu den Kernfragen von Einwanderung ab. In den vergange­ nen Jahren ist viel geforscht worden und manche Erkenntnis aus der Wissenschaft hat sich inzwischen auch in den Köpfen der Entscheidungsträger durchgesetzt. Beispielsweise, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist.

„Gastarbeiter – welch grausiges Wort“

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Doch es sind auch viele Fragen of­ fen. Wer weiß beispielsweise, dass Dia­ betes unter den Einwanderern der ersten Generation ein besonders schwerwie­ gendes Problem ist, weil die ihnen spe­ zifische Ernährung die Zuckerkrankheit fördert und sie als Betroffene nur wenig von den Gefahren wissen? Ohne wissen­ schaftliche Forschung wäre dieses Thema bis heute ein verborgenes. Sind national­ staatliche Grenzen in Zeiten der Globali­ sierung überhaupt noch opportun? Wie schafft die Bundesrepublik den Weg von der „Wir und Ihr“-Gesellschaft zur „Wir“Gesellschaft? Wissen wir überhaupt, wie viele Menschen mit Migrationshinter­ grund tatsächlich in der Bundesrepublik leben? „Nein“, sagt der Migrationsfor­ scher Klaus J. Bade. „Wir brauchen drin­ gend mehr handfeste Informationen“, findet er und fordert einen Mikrozensus, der den Datenerfordernissen einer Ein­ wanderungsgesellschaft genügt. „Ohne die Stiftungen wären wir in der Migrationsforschung noch längst nicht da, wo wir heute sind“, sagt Klaus J. Bade. Er nennt vor allem die ­VolkswagenStiftung, die seit Jahrzehn­ ten Migrationsforschung fördert. Sie ist die größte deutsche wissenschafts­ fördernde Stiftung, schüttet im Jahr etwa

StiftungsReport 2008/09

100 Millionen Euro aus den Erträgen ihres Stiftungskapitals von 2,4 Milli­ arden Euro an Wissenschaftsprojekte aus. Bekannt wurde ihr Engagement für die Migrationsforschung Mitte der 1970er Jahre, als sie einen ersten großen sozialwisssenschaftlichen Forschungs­ schwerpunkt eröffnete. Mit ihm begann die in Deutschland im Jargon genannte „Gastarbeiterforschung“. Wiewohl das Projekt damals sehr in­ novativ war, schaudert es den seinerzeit bei der Stiftung zuständigen Referenten Alfred Schmidt heute fast, wenn man ihn darauf anspricht. „Gastarbeiter, welch grausiges Wort“, sagt Schmidt, der bei der VolkswagenStiftung heute für das Schwerpunktprogramm Zukunftsfragen der Gesellschaft zuständig ist. Derzeit sind fast zehn Millionen Euro im Umlauf, die die VolkswagenStiftung für Migra­ tions- und Integrationsforschung bereit­ gestellt hat. Da forscht beispielsweise das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut mit mehreren deutschen und einem ita­ lienischen Partner an der Frage, wie sich kulturelle Vielfalt auf den individuellen Arbeitsmarkterfolg von Zuwanderern, aber auch auf die Produktivität und das Wachstum von Wirtschaftsregionen auswirkt. An der Freien Universität Berlin widmet sich eine Studiengruppe am Fach­ bereich Pädagogik und Psychologie den individuellen Integrationsbemühungen und gesellschaftlichen Integrations­ voraussetzungen von ausländischen Jugendlichen in Deutschland. Und an der Ruhr-Universität Bochum beschäftigen sich Psychologen mit den Bedingungs­ faktoren des erfolgreichen Übergangs türkischstämmiger Kinder in Kindergarten und Schule. Schon seit vielen Jahren spricht man bei der VolkswagenStiftung von der Einwanderungsgesellschaft Deutschland und es ist kein Zufall, dass das Thema Mi­ gration dort in der Grundlagenforschung,


bei den Zukunftsfragen der Gesellschaft angesiedelt ist. „Migration ist eines der zentralen Themen, die die Bundes­ republik und die Welt heute und auch morgen bewegen“, sagt Schmidt. Ludger Pries, Migrationsforscher und Leiter des Fachbereichs Organisations­soziologie und Mitbestimmungsforschung an der Ruhr-Universität Bochum, spricht für die Bundesrepublik gar von einer Kulturrevolution, „deren Zentrum eine radikal erneuerte, historisch orientierte Selbstvergewisserung über die ethnischkulturellen Grundlagen, Vielfältigkeiten, Widersprüchlichkeiten und Relativie­ rungen der „deutschen Gesellschaft“ in einem zusammenwachsenden Europa und in sich transnationalisierenden So­ zialwelten ausmacht.“41 Pries untersucht derzeit gemeinsam mit fünf europäischen Migrationsforschern die Frage, wie grenz­ überschreitend Migrantenorganisationen arbeiten und welchen politischen Einfluss sie ausüben.

Gründung des IMIS: die Geburtsstunde der Migrationsforschung Die Migrationsforschung ist eine verhältnismäßig junge Disziplin in der deutschen Wissenschaftsgeschichte. Zwar gab es schon im deutschen Kaiser­ reich Untersuchungen über die damali­ gen „ausländischen Wanderarbeiter“. Aber erst seit den 1980er Jahren etab­ lierten sich die ersten Schwerpunkte der akademischen Migrationsforschung. Mit der Gründung des IMIS, des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück, er­ blickte 1991 das erste große Zentrum der interdiziplinären Migrationsforschung das Licht der Bundesrepublik. Es waren der Stifterverband für die Deutsche Wis­ senschaft, die VolkswagenStiftung und die Freudenberg Stiftung, die das Projekt

finanziell mit aus der Taufe hoben. Moti­ vation war – neben dem wissenschaftli­ chen Interesse – auch die ernste gesell­ schaftliche Situation, die brennenden Asylunterkünfte von Rostock, Lübeck und Solingen: „Der scharfe Anstieg der Zuwandererzahlen im Vereinigungspro­ zess, der Mangel an gesellschaftspoliti­ schen Konzepten für die Gestaltungsauf­ gaben in der Einwanderungsgesellschaft sowie schließlich die fremdenfeindlichen Exzesse im Deutschland der frühen 1990er Jahre verstärkten auch andern­ orts die in diese Richtung zielenden ­Bemühungen.“ 42 Das war die Geburtsstunde der Geschichte und Gegenwart überbrücken­ den interdisziplinären Migrationsfor­ schung in der Bundesrepublik. Was Migrationsforschung heute alles umfasst, beschreibt Klaus J. Bade, Gründungsvater des IMIS. „Weil Migration nachgerade alle Lebensbereiche durchdringt, braucht Migrationsforschung grundsätzlich inter- und transdisziplinäre Forschungs­ ansätze. Sie reichen, je nach Fragestel­ lung unterschiedlich weit, in fast alle Humanwissenschaften hinein und zum Teil auch darüber hinaus; denn Migration ist ein Konstituens der Conditio humana wie Geburt, Vermehrung, Krankheit und Tod.“43 Diese Komplexität ist auch ein Grund, warum sich die Migrationsfor­ schung erst spät durchsetzte: Sie musste aus verschiedenen Disziplinen erst zu einer eigenständigen Forschungsrichtung zusammenwachsen. Die erste bahnbrechende politische Untersuchung stellte 1979 Heinz Kühn, der erste Ausländerbeauftragte der Bun­ desregierung, vor. Sein Bericht ließ schon vor mittlerweile fast dreißig Jahren nicht an Deutlichkeit mangeln. „Der alarmie­ rende Befund, insbesondere im Hinblick auf die eine Million ausländischer Kinder und Jugendlicher im Bundesgebiet, macht umfassende Anstrengungen dringlich, um

5 – Stiftungen, Migration und Wissenschaft

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WissenschaftsfĂśrderung zum Thema Migration und Integration

A) Projekt-Beispiele B) Ausgaben inklusive ­Verwaltung in Euro C) jährliche Ausgaben im Bereich Migration/ Integration D) Anteil an Gesamt­ ausgaben

Wissenschaftlich orientierte Stiftungen entdecken zunehmend die Themenfelder Migration und Integra­ tion und bearbeiten sie in unterschiedlicher Weise: als unabhängige Forschungsinstitute und Think Tanks im Sinne der (wissenschaftlichen) Politikberatung, als FĂśrderer von Forschungsprojekten, Wissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlern (Doktoranden und Post-Doktoranden) sowie als Initiatoren von zum Teil regelmäĂ&#x;ig stattfindenden Gesprächsforen, die einen internationalen und interdisziplinären Austausch von Wissenschaft und Politik ermĂśglichen.

Essen Stiftung Zentrum fßr Tßrkeistudien an der Universität Duisburg-Essen B) 3.600.000 (2006)

Wo Wissenschaft und Forschung bei Stiftungen im Vordergrund stehen 4ZMU

'MFOTCVSH

'FINBSO

Dßsseldorf Hans-BÜckler-Stiftung A) FÜrderung von For­ schungsprojekten zum Thema Migration im Rah­ men der ForschungsfÜrder­ schwerpunkte B) 42.335.000 (2006) C) 437.279 (1991 bis 2004) 3 HFO

Prozent bis 5 5,01 bis 8 8,01 bis 11 11,01 bis 14 14,01 bis 17 mehr als 17

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- CFDL $VYIBWFO

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8 JMIFMNT IBWFO

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0TOBCS DL

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KĂśln Thyssenstiftung FĂśrderung von sozialwissen­ schaftlicher Forschung im Querschnittsbereich „Inter­ nationale Beziehungen“ B) 21.916.000 (2006) $PUUCVT

1BEFSCPSO (zUUJOHFO

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Um die regionale Vertei­ lung von Stiftungen mit bestimmten Satzungs­ zwecken – hier „Wissen­ schaft und Forschung“ sowie auf den Seiten 82/83 „Bildung und Erziehung“ – sichtbar zu machen, sind die relativen Anteile be­ stimmter Stiftungszwecke an der Gesamtzahl der Stiftungen in Regierungs­ bezirken beziehungsweise Bundesländern dargestellt. Die satzungsmäĂ&#x;igen Zwecke der Stiftungen ­wurden hierfĂźr gewichtet. 8 S[CVSH

4BBSCS DLFO

/ SOCFSH

3FHFOTCVSH

,BSMTSVIF

4UVUUHBSU

, POTUBO[

, FNQUFO

Bonn Friedrich-Ebert-Stiftung A) Gesprächskreis Migrati­ on/Integration B) 117.000.000 (2005)

*OHPMTUBEU

6MN

'SFJCVSH

StiftungsReport 2008/09

/FVCSBOEFOCVSH

- DIPX

Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen (April 2008)

62

6TFEPN

3PTUPDL

"VHTCVSH

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(BSNJTDI 1BSUFOLJSDIFO

Bonn Otto-Benecke-Stiftung A) Forum Migration

Weinheim Freudenberg Stiftung A) Rat fĂźr Migration B) 2.770.000 (2006)


Hamburg ZEIT Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius A) Stipendienprogramm fĂźr Migrationsstudien „Settling into Motion“ B) 25.600.000 (2006)

Bremerhaven Stiftung Deutsches Auswandererhaus A) Erforschung von Migrati­ onsbewegungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts B) 21.843 (2006) 4ZMU

Berlin Konrad-Adenauer-Stiftung A) Projekt „Integration und Zuwanderung“ der Abtei­ lung Politik und Beratung B) 104.698.031 (2006) C) 60.000

Berlin Heinrich-BĂśll-Stiftung e.V. B) 39.373.837 (2006)

'MFOTCVSH 'FINBSO 3 HFO ,JFM 6TFEPN

3PTUPDL

Berlin Stiftung Wissenschaft und Politik A) Forschung zur Bedeutung der Migration fĂźr die deut­ sche und europäische Au­ Ă&#x;en- und Sicherheitspolitik B) 12.058.000 (2002)

- CFDL $VYIBWFO 4DIXFSJO

8 JMIFMNT IBWFO

/FVCSBOEFOCVSH

&NEFO 0MEFOCVSH #SFNFO - DIPX

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Wolfsburg Volkswagen Stiftung A) FĂśrderung von Studien­ gruppen zu „Migration und Integration“ im Rahmen der Initiative „Zukunftsfragen der Gesellschaft“ C) 7.400.000 Mio. (seit 2003); 2.300.000 Mio. (nur 2003) D) 4,5 % (2007)

/ SOCFSH

4BBSCS DLFO

GĂźtersloh Bertelsmann Stiftung A) z. B. Kompetenzzentrum Demokratie und Integration B) 60.900.00 (2006)

3FHFOTCVSH

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6MN "VHTCVSH . ODIFO 'SFJCVSH , POTUBO[

, FNQUFO (BSNJTDI 1BSUFOLJSDIFO

Bad Homburg Herbert Quandt-Stiftung A) Sinclair Hausgespräche; Trialog der Kulturen B) 1.900.000 (2006) C) 50.000 D) 3,6 %

Darmstadt Schader-Stiftung A) „Zuwanderer in der Stadt“ Empfehlungen zur ­stadträumlichen ­Integrationspolitik

GieĂ&#x;en TĂźrkisch-Deutsche Gesundheitsstiftung A) Erforschung spezifischer gesundheitlicher Probleme der tĂźrkischen BevĂślkerung und Umsetzung präventiv medizinischer MaĂ&#x;nahmen

5 – Stiftungen, Migration und Wissenschaft

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größten individuellen und gesellschaft­ lichen Schaden abzuwenden. Die bereits vorhandenen und erst recht die sich ohne eine rasche entscheidende Wende für die nahe Zukunft abzeichnenden Probleme stellen eine Aufgabe, die, wenn sie nicht alsbald gelöst wird, unlösbar zu werden droht und dann verhängnisvolle Konse­ quenzen befürchten lässt.“ 44 Man wusste also schon 1979, dass eine Million Kinder und Jugendliche mit Migrationshinter­ grund in der Bundesrepublik lebten. Und: Schon damals thematisierte Kühn an ers­ ter Stelle den vorschulischen Bereich, die Schulbildung und die berufliche Bildung. Die gleichen Themen also, die heute im ersten Atemzug genannt werden, wenn die Bundesrepublik über Migration und Integration diskutiert. All das konnte man also Ende der Siebziger schon wissen. Allein: Man hat es nicht wissen wollen. Auch die Migrationsforscherinnen und -forscher der ersten Stunden schick­ ten immer wieder Appelle an die Regie­ renden. Zum Beispiel das „Manifest der 60: Deutschland und die Einwanderung“, in dem 60 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 1994 aus Sorge über eine eklatant ignorante Politik mit mög­ licherweise fatalen Folgen an Politik und Gesellschaft appellierten.45 Heute hat die Politik die grundlegen­ de Migrationsforschung als Schlüssel zur Erkenntnis eines der wichtigsten Themen der bundesrepublikanischen Wirklichkeit erkannt. In ihren Handlungsempfehlun­ gen zum nationalen Integrationsplan widmet die Bundesregierung der Wissen­ schaft gar ein eigenes Kapitel. Von quali­ tativen und quantitativen Langzeitstudien ist dort die Rede, von Integration als in­ tergenerativem Kultur- und Sozialprozess, von Konzepten zur Integrationsförderung mit Maßnahmen präventiver, aktuell begleitender und nachholender Integrati­ onspolitik.46 All dies sind Stichworte, die die Wissenschaft geprägt hat.

StiftungsReport 2008/09

Und wohin steuert die Migrations­ forschung? Vielleicht dorthin, wo sie ­Alfred Schmidt von der Volkswagen­ Stiftung sieht. „Ich halte die Migra­ tionsforschung nicht für ein Feld von Spezialisten. Migranten sind doch keine Minderheit“, sagt er. „Ich möchte, dass diese Ansätze kultursensibel werden. Migrationsforschung ist eine Quer­ schnittaufgabe und gehört als Inhalt und Instrument von Forschung in viele wissenschaftliche Disziplinen.“ Alfred Schmidt wagt einen weiten Blick in die Zukunft. Dann wäre die Migra­ tionsforschung wahrlich interdisziplinär: Sie wäre fester Bestandteil in den Rechts­ wissenschaften und der Politologie, in den Wirtschafts- und Sozialwissen­ schaften, in der Philosophie, in der Erzie­ hungswissenschaft, in der Medizin – und natürlich ohnehin in der Geschichtswis­ senschaft. Denn schließlich hat sich, wie Klaus J. Bade es auf den Punkt bringt, „der Homo sapiens als Homo migrans über die Welt ausgebreitet“.


„Das ‚Damals‘ der ­Zukunft ist unsere ­Gegenwart heute“ Professor Klaus J. Bade

Professor Klaus J. Bade zählt zu den profiliertesten Migrationsforschern in Europa. Er hat das international re­ nommierte interdisziplinäre Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität ­Osnabrück sowie den bundesweiten Rat für Migra­ tion begründet und zahlreiche Denkan­ stöße geliefert wie das „Manifest der 60. Deutschland und die Einwanderung“ – ein Warnruf von 60 Professoren, die Anfang der 1990er Jahre einen sachge­ rechteren Umgang mit Migration und Integration forderten. Er ist Autor und Herausgeber von mehr als 40 Büchern, insbesondere zu Migration und Integrati­ on in Geschichte und Gegenwart und lebt in Osnabrück und Berlin.

Professor Bade, als frischge­ backener Emeritus blicken Sie zurück auf ein erfülltes akademisches Leben, insbesondere als Migrationsforscher, aber auch als Politikberater und publi­ zistischer Politikbegleiter. Ist die inter­ disziplinäre Migrationsforschung in Deutschland heute so potent, wie Sie sich das w ­ ünschen? Die Frage muss man mit einem klaren Jein beantworten. Ja, sie ist so potent, dass sie auf die zu stellenden Fragen die nötigen Antworten finden kann. Nein, denn sie wird nicht so gefördert, dass sie ihr Potenzial zureichend in entspre­ chende Forschungsergebnisse umset­ zen kann. Es gibt zu wenig Lehrstühle dafür, in meinem eigenen Kernbereich, der epochenübergreifenden Histori­ schen Migrationsforschung, keinen einzigen. Alles was wir da auf die Beine gestellt haben, lief sozusagen nebenher. Ohne stete Förderung durch Stiftungen hätten wir keine Chance gehabt. Viele haben immer noch nicht verstanden, dass es hier um zentrale Lebens- und

65 Foto: Jörn Breiholz

I

Interview

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Überlebensfragen der Einwanderungs­ gesellschaft geht. Es ist nie zu spät. Das haben Integrationsgipfel und Islam­ konferenz gezeigt. Aber es ist ziemlich spät geworden in Deutschland. Was sind die fehlenden Forschungs­ gebiete, wenn sie sagen: nein? Ein zentraler Bereich ist die empirische Bildungsforschung. Hinzu kommt die Integrationsforschung im weitesten Sinne, die uns zeigt, warum was wo bes­ ser oder schlechter läuft. Wir brauchen eine kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung von Integrationsentwicklung und Integrationspolitik. Die Abberufung des – den ‚Wirtschaftsweisen‘ gleich­ rangigen – Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration 2004 war ein Eigentor. Wir brauchen auch dringend Forschung, die uns die konkreten Grund­ lagen bietet zu dem, was heute – nach einem etwas unglücklichen Begriff von mir selber – „nachholende Integrations­ politik“ genannt wird. Dabei sollten wir weniger einseitige sozialtherapeutische Interventionsforschung treiben nach dem Motto „Wir untersuchen und heilen Eure Probleme“, und mehr die Einwande­ rungsgesellschaft insgesamt in den Blick nehmen. Integrationsprobleme haben zunehmend auch Menschen ohne Migra­ tionshintergrund. Migranten gelten als aufstiegsorien­ tiert in der Gesellschaft, in der sie ankom­ men. Viele schaffen den Aufstieg aber trotzdem nicht. Ist Bildung der Schlüssel zur Partizipation? Bildung und Ausbildung sind die Schlüs­ sel, wenn zum Bereich Bildung auch die Sprache gezählt wird. Aber wir haben Jahrzehnte lang einen organisierten Import von Menschen aus oft bildungs­ fernen und ländlich geprägten Milieus betrieben, um uns das Leben am Arbeits­ markt zu erleichtern. Wir haben sie malo­ chen und dann im Regen stehen lassen. Deshalb sollten wir uns nicht wundern,

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dass aus den Enkeln der „Gastarbeiter­ bevölkerung“ heute nicht in großer Zahl Nobelpreisträger geworden sind. Das bedeutet nicht, negativ zu reden über diese Zuwanderung. Warum nicht? Weil sie damals am Arbeitsmarkt zum deutschen „Wirtschaftswunder“ beige­ tragen und unseren Leuten den beruflichsozialen Aufstieg erleichtert, dann aber selbst diesen Fahrstuhl verpasst hat. Wir konzentrieren uns zu stark auf das Hellfeld der Auffälligkeiten und nicht auf das Dunkelfeld der Unauffälligkeiten. Erfolgreiche Integration bleibt aber in aller Regel unauffällig. Das beste Beispiel war die die Entdeckung der „Menschen mit Migrationshintergrund“ 2006, die annähernd 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland stellten, Tendenz ständig steigend – und niemand hatte es so recht bemerkt. Wir müssen uns verabschieden von alarmistischen Selbstbeschreibun­ gen und kakophonen Menetekeln einer allgemeinen Integrationskrise, die von statischen Kulturverhältnissen ausgeht à la: Einheimische bleiben immer Einheimi­ sche, Fremde immer Fremde, Ausländer immer Ausländer. Wir haben gerade eine fast drei Kilo schwere „Enzyklopädie Migration in Europa vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ herausgebracht. Sie zeigt, dass Integration zwar immer auch mit Spannungen, Reibungen und Konflik­ ten einherging, aber dann doch in aller Regel zu friedlichen neuen Formen des Zusammenlebens geführt hat. Das sollte Anlass sein, nicht hysterisch, sondern pragmatisch und möglichst gelassen auf diese Dinge zu schauen. Wir hören und lesen aber doch per­ manent Begriffe wie Ehrenmord, Zwangs­ heirat, Parallelgesellschaften oder Staatsnotstand, wie ihn der damalige Bundeskanzler Kohl im Zusammenhang mit dem Asylstreit der frühen 90er Jahre geprägt hat.


Keine Frage, es gibt das Problem der Zwangsheiraten und der Ehrenmorde und darauf kann es kein interkulturelles Pardon, sondern nur geharnischte Ant­ worten geben. Parallelgesellschaften gibt es in Deutschland kaum. Es gibt vielmehr Parallelkulturen, die typisch sind für echte Einwanderungsprozesse. Auch das ist historisch nichts Neues, kein Sonderfall im europäischen Vergleich, also kein Grund, nationaldepressiv die Einwanderungssituation in Deutschland zu verteufeln. Das entscheidende Inte­ grationsproblem in Deutschland ist das wachsende Bildungsgefälle zwischen der Einwandererbevölkerung und der Mehrheitsgesellschaft. Trotz ständiger Zurücksetzungen, Benachteiligungen und Denunziationen hat es aber – Ausnahmen bestätigen die Regel – eine friedvolle Ein­ gliederung dieser Einwandererbevölke­ rung gegeben. Und dafür hat es bis zum Integrationsgipfel an einem staatlichen Dankeschön gefehlt. Was kann die Wissenschaft an Fakten beitragen, um emotionale Debat­ ten zu versachlichen, zum Beispiel den Begriff von der „Einwanderung in die Sozialsysteme“? Als 1973 im Zeichen der strukturellen Arbeitslosigkeit der Anwerbestopp ver­ abschiedet worden ist, hat man nicht erkannt, dass man dabei die schon laufende Entwicklung zur echten Einwan­ derungssituation noch beschleunigte, nämlich mit der Nötigung der Zuwanderer vor die Entscheidung: dauerhaft rein oder raus. Ein Teil ist zurückgewandert, der überwiegende Teil aber hat die Familie nachgezogen. Spätestens jetzt wäre die Situation da gewesen, in der man gegen­ über vielen durchaus etwas autoritär hätte formulieren können: Wir geben euch noch fünf Jahre. In dieser Zeit werdet Ihr Deutsch lernen und euch, mit unserer Hilfe, beruflich weiter qualifizieren, damit ihr den künftigen Herausforderungen am

Arbeitsmarkt besser gewachsen seid. Das haben wir aber nicht getan, sondern uns lamentierend abgewandt. So sind schließlich viele der früher so hilfreichen „Gastarbeiter“ sukzessive in die Arbeits­ losigkeit und in die Transfersysteme abgerutscht. Eine ganz andere Frage war die Nachwanderung im Bereich der Heiratsmigration. Das war gelegentlich etwas, wo das schlimme Stichwort, das ich gar nicht verwenden würde, ein Stück weit greifen könnte. Was ist denn richtig: „die Einwan­ derung in die Sozialsysteme“ oder „die Einwanderer haben mit ihren Beiträ­ gen die deutschen Renten- und Sozial­ versicherungssysteme mit aufgebaut“? Bis zum Anwerbestopp eindeutig das letztere – und sie haben zu einem be­ trächtlichen Teil dabei den kürzeren gezogen. Denn diejenigen, die zurück­ gegangen sind, haben ja nicht alles, was für sie eingezahlt wurde, mitgenommen, sondern einen beträchtlichen Teil im Lande gelassen. Außerdem haben die „Gastarbeiter“ und ihre Nachfahren ent­ scheidend dazu beigetragen, dass dieses Land in seiner Bevölkerungsentwicklung erst sehr viel später rote Zahlen geschrie­ ben hat als dies der Fall gewesen wäre, wenn die Deutschen unter sich geblieben wären. Andernfalls wäre die demogra­ fische Zukunftsangst schon viel früher ausgebrochen. Kann man Migration wissenschaft­ lich bewerten, gar einen Negativ- oder Positivsaldo aufstellen? Es geht um die beruflich-soziale Pass­ fähigkeit der Einwanderung und um dar­ auf zielende, flexible und arbeitsmarkt­ orientierte Steuerungssysteme, die uns fehlen. Auch unsere Datengrundlagen sind für ein Einwanderungsland misera­ bel. Deswegen haben wir Erkenntnispro­ bleme bei den nötigen Integrationsin­ dikatoren. Unsere Wanderungsstatistik müsste sehr viel scharfsichtiger werden

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wie zum Beispiel die in den Vereinigten Staaten, wo man klarer erkennen kann, was aus den einzelnen Einwanderer­ gruppen geworden ist. Wir haben auch unzureichende Datengrundlagen zur Ermittlung der Bestimmungsfaktoren des Wanderungsverhaltens. Wir brauchen dringend regelmäßige Bevölkerungs­ zählungen, um zu wissen, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund es tatsächlich in Deutschland gibt. Die er­ satzweisen Datenfortschreibungen kön­ nen das nicht leisten, weil sie auch alte Fehleinschätzungen fortschleppen. Ein anderes Beispiel: Jahrelang hieß es aus vermeintlich wohlmeinenden Kreisen, wer verbindliche Deutschkurse verlangt, der betreibt Assimilation und nimmt den nicht ernst, der hier ein­ wandert. Ist Deutsch der gemeinsame Nenner, braucht eine Gesellschaft einen gemeinsamen Wertekanon? Die Lingua Franca in Deutschland ist deutsch, Punkt. Sie ist die Grundvoraus­ setzung für die erfolgreiche Integration, insbesondere am Arbeitsmarkt, abge­ sehen einmal von Hochqualifizierten, die mitunter auch in englischsprachigen Branchen tätig werden und denen nie­ mand einen Sprachkurs aufdrängt. Um­ gekehrt sollte die Mehrheitsgesellschaft lernen, dass auch die Herkunftssprachen eine Bereicherung im Einwanderungsland sind. Natürlich braucht eine Einwande­ rungsgesellschaft einen Wertekanon als gemeinsame Orientierungshilfe für alle. Aber den haben wir doch schon: Er steht im Grundgesetz. Wir müssen das Grund­ gesetz in alltagsfähige Prosa übersetzen, damit alle ganz konkret wissen, welches die Grundwerte, Rechte und Pflichten hierzulande sind und was in diesem Land geht und was nicht. Spätestens seit dem Kühn-Memo­ randum 1979 hätte man wissen können, dass damals schon eine Million Kinder und Jugendliche mit Migrationshinter­

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grund in der Bundesrepublik lebten. Trotzdem hat es 30 Jahre gedauert, bis sich diese Vokabel bei den Sozialdemo­ kraten und noch viel später bei den Christdemokraten durchgesetzt hat. Ihre Erklärung dafür? Wir haben die Probleme sehr lange mit Distanz schaffenden Vokabeln umschrie­ ben, insbesondere mit der Tabuformel „Die Bundesrepublik ist kein Einwan­ derungsland“. Das war ein hilfloser Selbstrettungsversuch, ein semantischer Ausdruck demonstrativer Erkenntnisver­ weigerung, wie ich das Anfang der 1980er Jahre genannt habe. Und was man ver­ drängt, das kann man nicht gestalten. Ist es nicht viel mehr so gewesen, dass man mit der Semantik Politik auf dem Rücken der Einwanderer betrieben hat? Und damit letztlich auch beispiels­ weise den Rechtsradikalismus befördert hat? Der populistische Umgang mit Fragen von Migration und Integration hat oft un­ versehens den falschen Adressen zuge­ arbeitet. Beispiele sind der seinerzeitige Bundeskanzler Helmut Schmidt mit seiner populistischen Parole „Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze“ oder der damals gerade ernannte Bundesinnen­ minister Otto Schily mit seiner Aufsehen erregenden Warnung, die „Grenze der Be­ lastbarkeit durch Zuwanderung“ sei über­ schritten. Das hat manche Protestwähler animiert, dann nicht die vermeintlichen Kopien, sondern gleich die rechten Origi­ nale der Fremdenfeindlichkeit zu wählen. Das ist immer ein sehr gefährliches Spiel mit einer sehr kurzen Lunte. Die Politik ist nun aufgewacht? So ist es und das ist sehr erfreulich. Es gibt nun viele prominente selbstkritische Schlafmetaphoriker. Das gilt zum Beispiel für den Bundespräsidenten, der sagt: „Wir haben die Integration verschlafen“. Oder auch für die Bundeskanzlerin, die feststellt: „Wir haben das Thema zu lange


auf die lange Bank geschoben“. Als wir in den 1980er Jahren mit dem Wecker herumliefen, wurden wir ganz konse­ quent als Ruhestörer beschimpft. Das sei vergeben, vorausgesetzt, der politische Wachzustand hält an. Warum ist der Dritte Sektor, ­Stiftungen beispielsweise, früher wach gewesen? Das ist ungefähr so wie mit Antilopen und Elefanten. Stiftungen können sich sehr geschwinde über das Feld bewegen, sehr schnell etwas erfassen, auch mit begrenztem Risiko auf eigene Kosten etwas versuchen. Sie können es sich außerdem leisten, Fehler einzugestehen und nötige Kurswechsel zu vollziehen, ohne dabei um die Wählergunst buhlen zu müssen. Stiftungen sind gegenüber dem Bereich Migration und Integration, also gegenüber dem, was Heiner Geißler schon in den 1970er Jahren die „neue soziale ­Frage“ genannt hat, in einer ähn­ lichen Rolle wie private Initiativen oder die Kirchen Mitte des 19. Jahrhunderts gegenüber der klassischen Sozialen Frage, die natürlich eine viel gewaltigere Dimension hatte. Die waren seinerzeit schon ein halbes Jahrhundert aktiv, bevor der Staat mit den Anfängen der Bismarck­ schen Sozialversicherungsgesetzgebung auf den Plan trat. Ein Blick nach vorn: Was versäumen wir heute? Das entscheidende Problem ist die Nicht­ akzeptanz des Selbstverständnisses ­vieler Menschen der zweiten und der drit­ ten Einwanderergeneration, die mitunter in einer ausgesprochenen Fallensituation aufwachsen: Die einen haben erfolgrei­ che Integrationskarrieren, die anderen haben mehr Misserfolge zu verzeichnen. Sie sind aber allesamt Einheimische in diesem Land, und fühlen sich oft nicht zureichend akzeptiert als Bestandteil der Einwanderungsgesellschaft. Sie erleben reihenweise gruppenspezifische Zurück­

setzungen und Benachteiligungen in Bil­ dung, Ausbildung und auf dem Weg in den Arbeitsmarkt. Frühzeitige Investitionen in Integrationsförderung sind aber bei wei­ tem billiger als die Großprogramme zur nachholenden Integration, die heute un­ abdingbar geworden sind. Jeder Tag, der vergeht, ohne dass wir Menschen, ob nun mit oder ohne Migrationshintergrund, die begabt sind, aber dringenden Förderungsbzw. Qualifikationsbedarf haben, nicht die nötigen Förderungshilfen anbieten, ist ein verlorener Tag für die Einwande­ rungsgesellschaft der Zukunft. Die soziale Spannung wächst. Wenn wir nicht gegen­ steuern, kann es sein, dass uns in zehn oder zwanzig Jahren ganze Segmente der urbanen Einwanderungsgesellschaft um die Ohren fliegen. Und dann wird man sich wieder fragen: Wie konnte es sein, dass wir damals diese Situation verpasst ha­ ben? Das „Damals“ der Zukunft ist unsere Gegenwart heute.

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5 – Stiftungen, Migration und Wissenschaft


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Reportage

10.000 türkische ­Vornamen, 15.000 ­türkische Nachnamen

Die Stiftung Zentrum für Türkei­ studien (ZfT) zählt zu den ­ersten deutschen Instituten für Migra­tionsforschung. Die jähr­ liche Befragung türkischstäm­ miger Migranten ist einzigartig in der Bundesrepublik.

Foto: Jörn Breiholz

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StiftungsReport 2008/09


Es ist still in der ehemaligen KruppGießerei im Essener Zentrum. Wo früher flüssiges Roheisen in mächtigen Siede­ kesseln bei 1500 Grad glutrot kochte, Staub wirbelte, Feuerfunken sprühten und der Lärmpegel eine Unterhaltung nur bei Stillstand zuließ, ist heute Ruhe die beherrschende Kategorie. Manchmal geht jemand die Treppe hoch, gedämpf­ tes Stimmengemurmel, wenn einer tele­ foniert. Das bleibende Geräusch heute ist das Klappern der Tastatur. Dann fließen Gedanken in Worte und Sätze, aus denen erst Manuskripte, später dann Broschü­ ren, wissenschaftliche Expertisen und Bücher entstehen. Aus Industrie ist hier Wissenschaft geworden, aus der Krupp­ schen Eisengießerei das Essener Zentrum für Türkeistudien (ZfT). Marina Liakova arbeitet im ersten Stock des mit viel Glas und hellem Holz renovierten Industriedenkmals. Vor ihr steht ein gutes Dutzend Tonbandkas­ setten. „Das ist nur ein Teil meiner Inter­ views“, sagt sie und lacht. Noch einmal die gleiche Menge Kassetten liegt in der Schreibtischschublade. Die 34-jährige Bulgarin ist jüngst von einer zweimona­ tigen Feldstudie zurückgekehrt. In den nächsten Tagen wird sie nichts anderes machen, als ihre Interviews aus Bulga­ rien und Mazedonien niederzuschrei­ ben. 100 Interviews hat sie geführt, mit Vertreterinnen und Vertretern von Reli­ gionsgemeinschaften, Verbänden und Parteien. Marina Liakova betreibt qua­ litative Sozial­forschung, versucht also, in Interview­form die Einstellungen von Menschen wissenschaftlich zu messen. Mit ihrem Forschungsprojekt, das von der Thyssen-Stiftung als Postdoktoran­ denförderung für ein Jahr finanziert wird, will die Geisteswissenschaftlerin heraus­ finden, wie Bulgaren und ­Mazedonier über den Islam denken. Ihre These, wo­ nach sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auch in Bulgarien und Mazedonien die Einstellung gegenüber

Menschen mit moslemischem Glauben drastisch verschlechtert hat, hat sich auf der Recherchereise nicht bestätigt. So viel kann sie schon sagen. „Aber auch in Bulgarien lehnen viele den Islam ab, ähn­ lich wie in der Bundesrepublik.“

„Hier kann ich meine Neugier füttern“ Liakova trägt ein lockeres Post­ tudenten-Outfit: Schwarzer Kapuzen­ S pulli, schwarz gestreiftes Jackett, beige Jeans. 1998 ist sie mit einem DAAD­Stipendium nach Deutschland an das Zentrum für Türkeistudien gekommen. Nach Essen, weil das Zentrum das einzige in der Bundesrepublik ist, das sich wissenschaftlich mit Türkeistudien beschäftigt. Bis heute hat die Sozial­ wissenschaftlerin die Entscheidung nicht bereut. „Ich habe sehr viel Glück mit meinem Beruf, weil ich hier meine Neu­ gierde füttern kann“, sagt sie. Marina Liakova spricht neben eng­ lisch und deutsch russisch, bulgarisch und mazedonisch. Sie ist Spezialistin für den Islam auf dem Balkan und hat im Zuge des EU-Beitritts der neuen Länder auch Vergleichsstudien über die Türken in Bulgarien und Deutschland gemacht. Ihr Heimatland beherrschten die osmani­ schen Besetzer 500 Jahre lang, bis Ende des 19. Jahrhunderts. In die Bundes­ republik kamen die ersten Türken in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts in einer ganz anderen Rolle: als billige Ar­ beitskräfte für einfache Arbeiten. Expertin für Menschen mit tür­ kischem Einwanderungshintergrund in Deutschland ist Liakovas Kollegin, Martina Sauer. Als sie begann, sich mit dem Thema Migration und Türkei auseinanderzusetzen, war sie eine der ersten Wissenschaftlerinnen auf diesem Gebiet. „Es gab nichts, keine wissen­ schaftliche Einrichtung, keinen Lehrstuhl in der Bundesrepublik, höchstens ein 5 – Stiftungen, Migration und Wissenschaft

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Die Hälfte des Jahres beschäftigt sich die Sozialwissenschaftlerin fast ausschließlich mit der Mehrthemenbe­ fragung. Studentische Hilfskräfte inter­ viewen für sie am Telefon jeweils etwa eine halbe Stunde lang tausend türkisch­ stämmige Einwohnerinnen und Einwohner Nordrhein-Westfalens, die sie vorher aus der Datenbank des Instituts herausge­ fischt haben. Die Kontaktdaten zu den 110.000 türkischstämmigen Haushalten in Nordrhein-Westfalen und den 350.000 bundesweit hat Martina Sauer mit ihrem Team über viele Jahre aufgebaut. „Wir ­f iltern aus digitalen Telefonbüchern 10.000 türkische Vornamen und 15.000 türkische Nachnamen heraus und haben so über Jahre die Datenbank geschaffen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Was ist für sie der entscheidende Grund, warum Deutsche und Türken nach nun bald ­

Foto: Jörn Breiholz

bisschen interkulturelle Bildung“, erin­ nert sie sich. Heute ist Sauer eine der Spezialistinnen in der Bundesrepublik, wenn es um türkische Migrantinnen und Migranten in Deutschland geht. Seit neun Jahren untersucht sie im Auftrag der Landesregierung jährlich die Einstel­ lung türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in Nordrhein-Westfalen zu Deutschland und den Deutschen. Die Studie ist einzigartig, weil es bisher keine andere Forschung in der Bundes­ republik gibt, die sich über einen ähnlich langen Zeitraum mit der Lebenswelt von Menschen mit Migrationshintergrund auseinandersetzt. „Obwohl wir solche Studien natürlich dringend bräuchten“, sagt Martina Sauer. „Mit mehr Daten und Wissen über Migranten könnten Po­ litik und Verwaltung natürlich viel effek­ tiver planen, Schulpolitik zum Beispiel.“

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100 Interviews auf Tonbändern: Sozialwissenschaftlerin Marina Liakova nach Recherchereise. StiftungsReport 2008/09


50 Jahren Einwanderung aus der Türkei immer noch so weit voneinander entfernt sind? „Beide Seiten sind einfach viel zu lange davon ausgegangen, dass es keine Einwanderung geben wird, sondern dass die sogenannten Gastarbeiter, also die Einwanderer der ersten Generation wie­ der zurückgehen werden“, sagt Martina Sauer. „Aber genau das ist eben nicht passiert.“

422 Lehrstellen in drei Jahren Vom Zentrum für Türkeistudien sind neben der Langzeitstudie viele weitere entscheidende Impulse für die Bundes­ republik ausgegangen, zum Beispiel das Thema der türkischen Unternehmer und ihrer Wirtschaftskraft. 1985 in Bonn gegründet, ist das ZfT seit 2001 eine Stiftung des Landes Nordrhein-West­ falen. Seitdem auch Universitäten und andere Institute die Migrationsforschung entdeckt haben, ist der Kuchen, der an Forschungsgeldern verteilt wird, für das ZfT als eines der Pionierinstitute kleiner geworden. Aber immerhin: Auch wenn es in den besten Zeiten mehr als 30 waren, arbeiten hier heute immer noch gut 20 Mitarbeiter. Turan Küçük ist einer der ZfTMitarbeiter, die die wissenschaftlichen Ergebnisse in praktische Arbeit münzen. In seinem Büro stapeln sich Zeitungs­ haufen, aus denen der 52-Jährige Betrie­ be fischt: potenzielle Ausbildungsbetrie­ be. In seiner Datenbank tragen sie – je nach Bearbeitungsstand – Farben: von rosa für Interesse bis grün für Ausbil­ dungsbetrieb. 5000 Betriebe, die von Migranten geführt werden, hat Küçük in den vergangenen Jahren in zehn Städten im Ruhrgebiet zusammengetragen. Noch beeindruckender ist seine Lehrstellen­ bilanz. „422 neue Lehrstellen in drei Jahren“, bilanziert der blonde Lehrstel­ lenberater mit dem weiß gepunkteten schwarzen Hemd stolz.

Das Büro der Fahrschule Kutlu liegt ein paar Straßen vom ZfT entfernt in der türkisch geprägten Mülheimer Straße. „Merhaba“ grüßt Turan Küçük und schüt­ telt Yasin Kutlu die Hand. Der 19-Jährige stand vor gut drei Jahren verzweifelt vor einem Haufen von 50 Bewerbungen. Heu­ te steht sein Name auf der Visitenkarte der Fahrschule seines Vaters Hayati. Die Kutlus wussten damals nicht weiter: Wie soll der Sohn einen Beruf erlernen, wenn ihm keiner eine Lehrstelle gibt? „Ganz einfach“, sagt Küçük. „Da der Vater schon lange genug seinen Betrieb führte, durfte er ausbilden, auch seinen eigenen Sohn. Yasin ist heute Kaufmann für Bürokommunikation, damit hat er die Voraussetzung der Berufsausbildung, um Fahrlehrer zu werden. „Im Mai fange ich an“, sagt er und dürfte damit bald einer der jüngsten Fahrlehrer im Ruhrpott sein. Seine Nachfolge als Lehrling tritt eine junge Frau an, die ähnlich verzweifelt Bewerbungen geschrieben hat wie Yasin. „Sie trägt ein Kopftuch“, sagt Yasin. „Aber damit habe ich kein Problem.“

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5 – Stiftungen, Migration und Wissenschaft


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Portrait

„Ich war schon immer sehr, sehr neugierig“

Foto: Jörn Breiholz

An der Ruhr-Universität ­Bochum hat Zeynep Sezgin ihre erste Festanstellung als Wissenschaftlerin gefunden. Jetzt arbeitet die Migrations­ forscherin in einer internatio­ nalen Forschungsgruppe.

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Diesmal waren die deutschen Unis tatsächlich schneller. Zeynep Sezgin strahlt, wenn sie davon erzählt, wie sie statt an der Guelph-Universität im kana­ dischen Ontario an der Friedrich-Alexan­ der-Universität im deutschen Erlangen landete. Dort begann ihre akademische Laufbahn in der Bundesrepublik. „Erlan­ gen hat einfach schneller geantwortet“, sagt sie. Erlangen, Ontario, Ankara, jetzt Bochum und im nächsten Urlaub, den sie sich nun endlich leisten kann, Chile oder Mexiko. „Ich muss mein Spanisch ver­ StiftungsReport 2008/09

bessern und will Tango tanzen“, sagt die 29-Jährige, die längst da angekommen ist, wo Grenzen keine mehr sind: in der mobilen, der globalisierten Welt. Zeynep Sezgins Welt ist die Welt des Wissens. Forschen und Wissen vermit­ teln – das will die Migrationsforscherin an der Bochumer Ruhr-Universität ihr Leben lang. „Ich stehe in der Schuld meiner Professoren, die mir geholfen haben“, sagt Sezgin. „Jetzt macht es mich glück­ lich, wenn ich jemandem bei der geistigen Entwicklung helfen kann.“ Der Drang zu forschen liegt in einer Eigenschaft, die sie schon als Kind prägte. „Ich war schon immer sehr, sehr neugierig“, sagt Sezgin. Das war auch der Grund, warum sie ei­ gentlich in den diplomatischen Dienst der Türkei eintreten wollte. Als Jugendliche verstand sie nichts von Politik, weil im El­ ternhaus kaum darüber gesprochen wur­ de. „Wenn ich in der Zeitung politische Artikel gelesen habe, dann habe ich kaum etwas verstanden.“ In der Türkei wird an allen Ecken über Politik geredet und ausgerechnet Zeynep konnte nur stumm zuhören. Sie, die schon als Kind immer alles genau wissen wollte und sich von Biologie bis Literatur vieles mit Büchern beibringen konnte, wollte lernen, kritisch mit Politik umgehen zu können. Also musste ein Politikstudium her, fand die damals 18-jährige einzige Tochter eines selbständigen Versicherungsmaklers und einer Pharmazeutin und begann an der Bilkent-Universität in Ankara internatio­ nale Beziehungen zu studieren. Traut man sich das, wenn man von einem Fach über­ haupt keine Ahnung hat, ausgerechnet dieses Fach zu studieren, um dann in die doch sehr männerdominierten Welt der türkischen Politik zu gehen? „Ich habe mich getraut“, sagt sie selbstbewusst. Denn schließlich ist es auch so: „Wenn ich etwas wirklich will, dann schaffe ich es auch.“ Die ersten Jahre in der Bundes­ republik waren nicht einfach für die


damals 22-jährige Studentin. Nach sechs Monaten befand sie, auf eigenen Füßen stehen zu müssen, und wollte kein Geld mehr von den Eltern. Als Ausländerin durfte sie aber selbst als Studentin keine andere Arbeit annehmen als einen 400 Euro-Job. Also teilte sie zwei Jahre mit ihrer besten Freundin Begüm das Bett. Selbst diese radikale Art, die Miete zu reduzieren, reichte kaum aus, um über die Runden zu kommen. Das war die Zeit, als ihr klar wurde, dass es die Wissen­ schaft sein muss, nicht der diplomati­ sche Dienst. Nun sitzt sie im Gebäude GB04 der Ruhruniversität in Raum 148 mit sei­ nen schmucklosen, weiß gestrichenen Wänden und nicht viel mehr drin als einem Schreibtisch, einem halb leeren Regal und einem Computer. Aber als Koordinatorin des internationalen For­ schungsprojektes, das „Verbreitung und Kontextbedingungen transnationaler Mi­ grantenorganisationen in Europa“ heißt. Am kommenden Tag werden Professo­ rinnen und Professoren von Warschau bis London anreisen, um zum ersten Mal über den Ablauf des dreijährigen, von der VolkswagenStiftung mit 700.000 Euro finanzierten länderübergreifenden Forschungsprojekts zu diskutieren. „Wie so vieles war es ein unglaublicher Zufall, dass ich diese Stelle bekommen habe“, sagt sie. In einem Papierstapel ihrer ehemaligen Professorin hatte sie die Stellenausschreibung gefunden und sich beworben. Es ist ihre erste feste Anstel­ lung als Wissenschaftlerin. Die letzten drei Jahre hat sie mit ihrer Doktorarbeit verbracht, ist damit schneller als viele andere angehende Doktorandinnen und Doktoranden in den Sozialwissenschaften. Sie hat türkische Migrantenorganisationen in der Bundes­ republik und in Österreich miteinander verglichen und die Lobbymechanismen untersucht. Eine empirisch geprägte Ar­ beit, für die sie gut 100 Interviews in bei­

den Ländern geführt hat. Warum haben die türkischstämmigen Einwanderer so wenig politischen Einfluss in der Bundes­ republik? „Die türkischen Gemeinden sind eher dezentral organisiert, das kor­ poratistische System der Bundes­republik verlangt aber nach möglichst einem An­ sprechpartner, der zuständig ist“, sagt sie. Ein weiterer Grund: Die türkischstäm­ mige Einwanderergesellschaft habe erst ab Mitte der Achtziger, als der Zuwande­ rungsstopp und der Familiennachzug beschlossen waren, begonnen, sich poli­ tisch ernsthaft zu organisieren. „Erst ab diesem Zeitpunkt war ihnen klar, dass sie in Deutschland bleiben werden“, sagt Sezgin. Ihre Doktorarbeit prädestiniert Zeynep Sezgin geradezu für die trans­ nationale Untersuchung von Migranten­ organisationen. Schließlich sollen die Wissenschaftler aus ihren Ergebnissen auch Lösungsvorschläge entwickeln, wie die soziale und politische Partizipa­ tion von Migrantinnen und Migranten gestärkt werden kann und wie Migran­ tenorganisationen als Akteure der euro­ päischen Integration unterstützt werden können. Zeynep Sezgin ist mit ihrem neuen Job in die Spitze der deutschen Migrations­forschung vorgedrungen. Der gut 20-­köpfige Lehrstuhl Organisations­ soziologie und Mitbestimmungsfor­ schung unter der Leitung von Professor Ludger Pries zählt zu den renommierten Stätten deutscher Migrationsforschung. Er hat sich bei der Ausschreibung für die Förderung der VolkswagenStiftung gegen 20 andere deutsche Studiengruppen durchsetzen können. Und: Ist sie nun an ihrem beruf­ lichen Wunschziel angekommen? Städte­ namen wie London oder Wien fallen. Aber erst mal freut sie sich auf die erste Woche Bochum mit Zeit für sich und ihre neue Umgebung. „Ich habe eine so schöne Wohnung“, freut sie sich. Da ist sie nun erst einmal angekommen. 5 – Stiftungen, Migration und Wissenschaft

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VolkswagenStiftung

Mit einem Fördervolumen von rund 100 Millionen Euro pro Jahr ist die ­VolkswagenStiftung die größte deut­ sche wissenschaftsfördernde Stiftung und eine der größten Stiftungen in der ­Bundesrepublik. Sie hat eine lange ­Tradition in der Migrationsforschung und hat diese mit ihrer Pionierfunktion in der Bundes­republik entscheidend auf den Weg gebracht. Bis heute fördert sie mit hohen Beträgen innovative For­ schungsvorhaben zum Thema Migration und Integration. www.volkswagenstiftung.de

Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung

Die erste große private wissenschafts­ fördernde Einzelstiftung der Bundes­ republik fördert Projekte in den klassi­ schen Wissenschaftsdisziplinen. Es gibt keinen besonderen Schwerpunkt für Migra­tion und Integration. ­Forscherinnen und ­Wissenschaftler bewerben sich mit Migrationsthemen in den jeweiligen ­Disziplinen. www.fritz-thyssen-stiftung.de

Otto Benecke Stiftung

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1965 auf Initiative der Deutschen Stu­ dentenverbände in der Technischen Univer­sität Berlin gegründet, ist die Otto Benecke Stiftung heute im Auftrag der Bundesregierung tätig. Sie nimmt Eingliederungsaufgaben für Aussiedler, Kontingentflüchtlinge und asylberech­ tigte Ausländer wahr, die in der Bundes­ republik Deutschland eine Hochschul­ ausbildung aufnehmen wollen. Außerdem bietet sie Orientierungshilfe für das ­deutsche Bildungssystem. www.obs-ev.de

StiftungsReport 2008/09

Stiftung Wissenschaft und Politik

Die Stiftung Wissenschaft und Politik wurde 1962 auf Privatinitiative hin in München gegründet. Das Wissenschafts­ institut ist heute in Berlin ansässig und gilt auch als Thinktank für die deutsche Politik. Etwa 130 Mitarbeiter und Mitar­ beiterinnen arbeiten hier zum Beispiel an europäischen Themen wie den EU-Außen­ beziehungen, aber auch an globalen ­Fragen wie Völkerrecht oder Terrorismus. www.swp-berlin.org

Stiftung Deutsches ­Auswandererhaus

Die Stiftung Deutsches Auswanderer­ haus fördert die Arbeit des Deutschen Aus­wandererhauses in Bremerhaven. Sie initiiert, fördert und veranstaltet ge­ meinnützige Projekte, die die Geschichte der Auswanderung in Bezug auf ihre kulturelle und historische Bedeutung für Deutschland, Europa, die Vereinigten Staaten und die übrigen Aufnahmeländer einer breiten Öffentlichkeit im In- und Ausland vermitteln. www.dah-bremerhaven.de

Türkisch-Deutsche ­Gesundheitsstiftung

Die Türkisch- Deutsche Gesundheitsstif­ tung wurde 1988 gegründet. Hauptziel der Stiftung ist die Erforschung der Ge­ sundheitslage der in Deutschland leben­ den türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten. Die Erkenntnisse werden anschließend umgesetzt in präventiv medizinische Maßnahmen. Neben der Patientenaufklärung und der Ausbildung medizinischen Fachpersonals beteiligt sich die Stiftung an der bilateralen wis­ senschaftlichen Zusammenarbeit in Form von Fachkongressen und Projekten. www.tdg-stiftung.de


Eine vielschichtige Welt – Menschen mit Zuwanderergeschichte

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Die Schuldzuweisungen an Einwanderer, sie wür­ den sich nicht „integrieren“, sind eine gängige Litanei. Der Hintergrundtext räumt mit einigen Vorurteilen auf und beschreibt, wie Bilder entstehen: beispielsweise durch Missachtung der Bedürfnisse und der Präsenz der 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in den deutschen Medien – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Hannoveranerin Hamideh Mohagheghi, aus dem Iran stammende deutsche Theologin, be­ schreibt im Interview einige Aspekte der islamischen Lebenswelt in der Bundesrepublik und leistet damit ihren Beitrag zur Klischeevermeidung. Die Reportage erläutert die Arbeit des Hamburger Kinderfluchtpunktes. Er ist eine der ganz wenigen E ­ inrichtungen in der Bun­ desrepublik, die ausschließlich Kinder und Jugendliche mit unsicherem Aufenthalts­status berät und unterstützt. Die palästinensische Ärztin Halima ­Alaiyan ist deutsche Einwanderin und Stifterin. Von Saarbrücken aus führt sie deutsche mit palästinensischen und israelischen Jugend­ lichen zusammen – und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Aussöhnung.

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6 – Menschen mit Zuwanderergeschichte


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Hintergrund

Mehr Licht

Die Welt der Einwanderer in der Bundesrepublik ist vielfältig. Einiges ist bekannt, vieles bleibt jedoch im Verborgenen – auch weil die Medien als Spiegel der Gesellschaft oft ein rein deutsches Bild zeichnen.

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Man kennt es und wundert sich doch jedes Mal wieder. Da plaudert ein 18- oder 20-jähriger junger Mann im besten Ham­ burger Platt oder Münchner Bayrisch über den letzten Bundesligaspieltag und ir­ gendwann, wenn man miteinander gespro­ chen hat, taucht dieser verblüffende Satz auf. „Die Türkei ist meine Heimat“, sagt er, bayrisch oder norddeutsch gefärbt. Oder: „Meine Heimat ist Afghanistan.“ Beim ersten Mal hört es sich noch komisch an. Doch je häufiger in Deutsch­ land geborene und aufgewachsene junge Erwachsene von ihrer vermeintlichen Heimat reden, die zigtausende Kilo­meter jenseits der Alpen sein soll, tauchen ­Fragen auf: Behandelt dieses Land die junge Generation, die übermorgen die Rente erarbeiten soll, so schlecht, dass diese tatsächlich lieber in der Türkei oder in Afghanistan leben möchte? Wissen diese jungen Männer eigentlich, wie hart das Leben in Anatolien sein kann oder in Kabul, wo seit Ende der Siebzi­ ger der Krieg das Leben der Menschen ­bestimmt? Für das Gros der älteren Migran­ tinnen und Migranten hingegen ist die Rückkehr ins Herkunftsland schon seit Jahren keine Alternative mehr.47 Die Groß­

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familie ist auch für diese Generation der Einwanderer eine verschwindende Le­ bensform. Vielmehr lebt fast jede zweite ältere M ­ igrantin heute allein. Dabei war doch diese Generation aufgebrochen, um den Kindern Wohlstand zu ermöglichen – und um im Alter eben nicht allein zu sein, sondern von den Kindern versorgt in der Groß­familie zu leben. Und noch etwas verblüfft: „Ein Altersrückzug in die eth­ nische Gemeinschaft, wie oft geäußert, gehört nach den vorliegenden Ergebnis­ sen nicht generell zu den Lebensorientie­ rungen älterer Migrantinnen.“ 48 Nicht ein einzelnes Merkmal wie die ethnische Zugehörigkeit bestimmt, wer jemand ist, wie er lebt oder leben will, sondern ein ganzes Bündel. Oder anders ausgedrückt: Viele Aspekte wie soziale Herkunft, Bildung, Chancen, gute Gesundheitsversorgung oder Sicherheit machen die Welt eines Menschen aus. So heterogen wie beispielsweise die Lebens­ umstände von Männern mit Schuhgröße 41 sind, die als Deutsche geboren sind, so vielen verschiedenen Lebenskonzepten begegnen wir auch unter den Einwande­ rern in Deutschland. Da ist alles dabei, so eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für ­Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Vom „archaisch, bäuerlich geprägten ­Milieu“, das in den sozialen und religi­ ösen Traditionen der Herkunftsregion verhaftet ist und das Bewahren der kulturellen Identität, Familienehre, re­ ligiöse Pflichten, strikte Moral und ei­ serne Selbstdisziplin als zentrale Werte definiert – bis hin zum „multikulturellen Performermilieu“, das Spitzenleistung und Vielfalt in den Vordergrund stellt. Oder dem „hedonistisch-subkulturellen Milieu“: „Die unangepasste zweite Ge­ neration mit defizitärer Identität und Perspektive, die Spaß haben will und sich den Erwartungen der Mehrheits­ gesellschaft verweigert.“ 49


Die Grenzen sind dabei fließend. Denn, so die Studie weiter, man könne nicht von der Herkunftskultur auf das ­Milieu schließen und auch nicht vom Milieu auf die Herkunftskultur.

Der Aufenthaltsstatus prägt das Bewusstsein Für Kinder, die Stabilität brauchen, ist ein ungesicherter Aufenthaltsstatus Lebensgift. In einer Studie des Hambur­

ger Universitätskrankenhauses Eppen­ dorf wurden in erster Linie Kinder und Jugendliche befragt, die in der Bundes­ republik seit vier bis acht Jahren geduldet werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten fest, dass mehr als 60 Prozent von ihnen an einer psychi­ schen Störung wie posttraumatischen Belastungsstörungen nach Erlebnissen im Herkunftsland, Depressionen, Manien oder Phobien erkrankt waren, etwa 40 Prozent sogar an mehreren Störungen.50

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Zahlen und Zuwanderer – Stiftungen und Menschen • Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, in Millionen:____________15,3 • Personen, die 2006 bundesweit einen Integrationskurs beendet haben:_____ 76.401 • Projektförderung der Freudenberg Stiftung für Intervention und Forschung im Be­ reich Integration/Migration für das Jahr 1985, in Euro:_ ___________________ 24.681 • Projektförderung der Freudenberg Stiftung für Intervention und Forschung im Be­ reich Integration/Migration für das Jahr 2008, in Euro:__________________ 1.027.450 • Migrantinnen und Migranten, die ehrenamtliche Aufgaben übernehmen, in ­Prozent:_ ___________________________________________________________ 23 • Summe, die die Landesstiftung Baden-Württemberg für das Modellprojekt „Bür­ gerschaftliches Engagement: Ehrenamtliche Integrationsbegleitung für bleibe­ berechtigte Ausländer/-innen und Spätaussiedler/-innen“ zur Verfügung gestellt hat, in Euro:__________________________________________________________ 850.000 • Gegenleistung, die Zuwanderer im Projekt Senioren als Lotsen für junge Ein- und ­Zuwanderer der Otto Benecke Stiftung e.V. in Form einer Alltagshilfe für ihre ­Mentoren oder einer Mitwirkung in gemeinnützigen Einrichtungen erbringen, in Stunden: _____________________________________________________________mindestens 3 • Interkulturelle Gärten zur Integration von Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland von der Stiftung Interkultur und der ERTOMIS Stiftung vernetzt und ge­ fördert werden:_ _______________________________________________________ 70 • Fläche des Interkulturellen Gartens in Halle-Neustadt, auf der kurdische Mig­rantinnen und Migranten Parzellen für den Gemüseanbau abstecken und ein ­ostasiatischer Kampfsportverein einen Zen-Garten errichten konnten, in Quadratmetern:_ __ 5.500 • Fördergelder, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2006 für ju­ gendspezifische Maßnahmen zur Verfügung gestellt hat, in Millionen Euro:______7,5 • Summe, die die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung 1998 aus Anlass ihres 30-jährigen Bestehens zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit – explizit auch für jugendliche Ausländerinnen und Ausländer – bereitgestellt hat, in Millio­nen Euro:________________________________________________________________15,3 • Hamburger und New Yorker Praktiker der Jugendarbeit mit Migrantinnen und Migran­ ten, die sich im Rahmen des Projektes integration Xchange der Körber-Stiftung zum Erfahrungsaustausch treffen:_____________________________________________ 60

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• Artikel der UN-Kinderrechtskonvention, durch den die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf Bildung anerkennen, Nummer:__________________________________ 28 • Betrag, mit dem die RheinEnergieStiftung Jugend/Beruf, Wissenschaft ab 2008 den Verein As.S.I.S.I. und dessen Jugendprojekt „Zwei Kulturen eine Bildung – Begabung hat keinen Pass“ zwei Jahre lang fördert, in Euro:________________________ 40.000 • Preisgeld, mit dem der Schulenwettbewerb 2008 der Herbert Quandt-Stiftung mit dem Leitthema „Schalom, Frieden, Salam?! – Friedens- und Konfliktpotenziale in Juden­tum, Christentum und Islam“ dotiert ist, in Euro:____________________ 60.000 • Jugendliche, die 2008 an dem von der RWE-Jugend-Stiftung geförderten interkul­ turellen Theaterprojekt „Mit anderen Augen sehen“ des UMBRUCH Bildungswerks Dortmund teilnehmen können:_ __________________________________________ 20 • Anträge, die bislang im Rahmen des von der Stiftung MITARBEIT durchgeführten und von der Robert Bosch Stiftung geförderten Programms Integration junger Migranten eingingen:_ ______________________________________________________über 780 • MUS-E Kinder der Yehudi Menuhin Stiftung, die 2008 anlässlich des „Europäischen Jahrs des interkulturellen Dialogs“ in 103 nordrhein-westfälischen Schulen mit 160 Künstlerinnen und Künstlern jede Woche die Sprache der Kunst lernen:_ ____ 12.000

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Bei jedem fünften Kind diagnostizierten die Wissenschaftler ein gegenwärtiges Suizidrisiko, fast jedes zehnte galt als hoch suizidgefährdet. Insgesamt lebten Ende 2007 nach Auskunft des Bundes­ amtes für Migration und Flüchtlinge etwa 140.000 Menschen mit Duldung in der Bundesrepublik. Zu wissen, wo man hingehört, kann für junge Menschen Sicherheit und Sta­ bilität bedeuten. Von jungen Deutschen erwartet die Wirtschaft, dass sie in die Welt aufbrechen, um fit für den Job zu sein. Aber nicht sicher sein zu können, dass man in Deutschland bleiben darf und aufgrund von Gefahren für Leib und Le­ ben auch nicht dahin zurückkehren kann, wo man herkommt, gehört sicher zu den bedrohlichsten Lebenszuständen. In der Bundesrepublik leben unter den offiziell erfassten mehr als 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund heute etwa 7,3 Millionen Ausländer im Sinne des Aufent­ haltsrechtes. Die übrigen gut acht Milli­ onen Menschen haben einen deutschen Pass51 und sind damit Deutsche mit den exakt gleichen Rechten und Pflichten wie jeder als „Deutscher“ Geborene.

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Der Status der Nicht-Deutschen ist vielfältig und reicht von der gesicherten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis über die Altfallregelung und die Aufenthalts­ gestattung bis hin zum Asylantragsteller. Dessen Aussichten auf Erfolg sind gering. Im Durchschnitt erhielt in den vergan­ genen zehn Jahren nicht einmal jeder fünfzigste Antragssteller Asyl in der Bun­ desrepublik: 98 von 100 Anträgen wurden abgelehnt.52 Noch schwieriger ist die Situation für Menschen, die gar keine offiziellen Papiere haben und untertauchen müssen. „Diese Menschen vertrauen niemandem und sie versuchen nicht aufzufallen, sie fahren nicht schwarz, sie verhalten sich unauffällig, die Kinder gehen nur raus, wenn andere Kinder auch draußen sind“, sagt Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauf­ tragte der Nordelbischen Kirche. „Man spürt sie nicht, sie sind kaum da.“ Dabei scheinen es viele zu sein: Schätzungen gehen von 500.000 und mehr Menschen aus, die ohne gültige Aufenthaltspapiere in der Bundesrepublik leben. Es ist nur wenig bekannt über die Menschen ohne Papiere, die wenigen


Veröffentlichungen wie zum Beispiel der für den Grimme-Preis nominierte NDRFilm „Abgetaucht“ zeichnen ein Bild von Menschen in Extremsituationen.53 Da ist beispielsweise die junge rumänische Familie, die vor Armut und Ausbeutung in die Bundesrepublik geflohen ist, aber bei der Geburt des neuen Babys noch nicht einmal eine Geburtsurkunde beantragen kann, ohne eine sofortige Abschiebung zu riskieren. Die achtjährige Tochter sitzt vor dem Fernseher statt in der Schule. „Die Kinder kommen nicht zur Schule, weil die Eltern Angst haben, dann sofort abgeschoben zu werden“, sagt Josef Voß, Mitglied der Migrationskommission

der deutschen Bischofskonferenz: „Und damit bleiben die Kinder eigentlich ohne Zukunft. Sie werden um ihre Zukunft betrogen, obwohl sie selber schuldlos sind.“ 54

Ohne Bildung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Perspektive „Eine tragfähige Teilhabe am Er­ werbsleben ist auch die beste Voraus­ setzung für eine erfolgreiche Integration ausländischer Mitbürger – insbesondere der jüngeren.“ 55 Diesen Satz von Elmar Hönekopp vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

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Alles andere als eine flüchtige Begegnung: Stiftungen und Flüchtlinge • Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, in Millionen:_____ mehr als 40 • Seit 1953 in der Bundesrepublik gestellte Asylanträge, in Millionen:______circa 3,2 • Anerkennungsquote von Asylanträgen in den Jahren 2002 – 2006, im Durch­ schnitt: ____________________________________________________________ 1,32 • Asylerstantragsteller aus der Russischen Föderation im Jahr 2006:_ ________ 1.040 • Davon Tschetscheninnen und Tschetschenen, in Prozent:__________________ 40,2 • Betrag, mit dem der Menschenrechtspreis der Stiftung PRO ASYL dotiert ist, in Euro: _____________________________________________________________ 1.000 • Anstieg der Asylerstanträge von Irakerinnen und Irakern vom Dezember 2007 zum Januar 2008, in Prozent:_____________________________________________ 135,6 • Dotierung des Elisabeth-Preises der CaritasStiftung im Erzbistum Köln, den die Begegnungsstätte Mittendrin des Caritasverbandes Altenkirchen e.V. im Jahr 2007 u. a. auf Grund ihres Engagements für Asylsuchende entgegennehmen konnte, in Euro:_____________________________________________________________ 5.000 • Summe, mit der die Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge (PSZ) in Düsseldorf 2005 gefördert hat, in Euro:_ __ 14.000 • Prüfungen zum Zertifikat Deutsch, die 2006 mit sehr gut oder gut abgeschlossen wurden, in Prozent:__________________________________________________ 44,4 • Honorardozentinnen und -dozenten, die im Projekt Flucht nach vorn der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin – Walter May – und der Senatsverwaltung jun­ ge Flüchtlinge in einem mehrstufigen Kurssystem unterrichten:________________5 • Betrag, mit dem die Stiftung Menschenrechte – Förderstiftung amnesty inter­ national die Arbeit von amnesty international jährlich mindestens unterstützt, in Euro:____________________________________________________________40.000 • Lernstationen, die die Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie zum Thema „Flücht­ linge – interkulturelle Begegnung in Schulen“ für Pädagoginnen und Pädagogen zum Download bereitstellt:_ ____________________________________________12

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Integration durch Bildung

Bochum Deutsche BP Stiftung • Projekte zur Berufsorientierung an der Schnittstelle „Haupt-Schule und Beruf“ (Bildungspaten) (seit 2006)

Bildung gilt stets als SchlĂźsselvariable, wenn es um Integration und den Zugang zu gesellschaftlicher Teil­ habe geht. In Deutschland engagieren sich rund 4.000 Stiftungen im Bildungssektor. Viele haben spezielle FĂśrderprogramme und Projekte fĂźr Kinder und Jugend­ liche mit Migrationshintergrund. Sie erstrecken sich von der SprachfĂśrderung fĂźr Kinder im Vorschulalter Ăźber FĂśrderunterricht in der schulischen Bildung bis zur Begleitung junger Erwachsener beim Ăœbergang von der Schule ins Berufsleben.

Essen Stiftung Mercator • FÜrderunterricht (seit 2006) Dßsseldorf Hans-BÜckler-Stiftung • Aktion Bildung

Wo Stiftungen Bildung wichtig ist 4ZMU

'MFOTCVSH 'FINBSO

Dßsseldorf Vodafone Stiftung Deutschland • Vodafone Chancen Stipendienprogramm (seit 2006) 3 HFO

Prozent bis 7,5 7,51 bis 10 10,01 bis 12,5 12,51 bis 15 15,01 bis 17,5 mehr als 17,5

,JFM

6TFEPN

3PTUPDL

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8 JMIFMNT IBWFO

4DIXFSJO

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1PUTEBN .BHEFCVSH

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Dßsseldorf Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland • MUS-E (seit 1999) )BMMF

,BTTFM

-FJQ[JH

%S FTEFO

&SGVSU

Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen (April 2008) ,zMO

"BDIFO

4JFHFO

#POO

+FOB

(FSB

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;XJDLBV

'VMEB

, PCMFO[

$PCVSH

8 JFTCBEFO .BJO[ %BSNTUBEU 8 S[CVSH

Bad Homburg Herbert Quandt-Stiftung • frßhstart - Deutsch und interkulturelle Erziehung im Kindergarten (2004 – 2006)

/ SOCFSH

4BBSCS DLFO

3FHFOTCVSH

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. ODIFO 'SFJCVSH , POTUBO[

, FNQUFO (BSNJTDI 1BSUFOLJSDIFO

Frankfurt am Main Gemeinnßtzige HertieStiftung • frßhstart – Deutsch und interkulturelle Erziehung im Kindergarten (seit 2004) Frankfurt am Main Stiftung Polytechnische Gesellschaft • DeutschSommer (2007)

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Weinheim Freudenberg Stiftung • Alphabetisierung fßr Roma

StiftungsReport 2008/09


Hamburg KÜrber-Stiftung • Muslimische Akademie (seit 2006)

Hamburg ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius • Bucerius LERN WERK • SchĂźlercampus „Lehrer mit Migrations­hintergrund“ (2008)

Hamburg Jßrgen Sengpiel Stiftung • FÜrderung eines KarriereCenters einer Schule (seit 2006)

4ZMU 'MFOTCVSH 'FINBSO 3 HFO ,JFM 6TFEPN

3PTUPDL - CFDL $VYIBWFO 8 JMIFMNT IBWFO

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8 PMGTCVSH

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Berlin Stiftung Sozialpäda­ gogisches Institut Berlin – Walter May • Vielfalt gestaltet – fĂźr Toleranz und Demokratie Berlin Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

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Berlin Stiftung Digitale Chancen • Wege ins Netz 2007 (seit 2004)

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4JFHFO

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Hannover TUI Stiftung • z.B. Projekt „Elternabend“ zur Integration von SchĂźlern und Eltern mit Migrationshintergrund

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Bielefeld Bielefelder Bßrgerstiftung • MUS-E Bielefeld (seit 2005) • SPRACHschatzPROJEKT fßr Migrantenkinder im Vorschulalter (seit 2006)

*OHPMTUBEU

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, FNQUFO (BSNJTDI 1BSUFOLJSDIFO

Stuttgart Robert Bosch Stiftung • Talent im Land – SchĂźlerstipendien fĂźr ­begabte Zuwanderer (seit 2003) • Wir reden mit! FĂźr ein ­besseres Zusammenleben an der Hauptschule (seit 2006) • Hauptschulpreis (seit 1999)

Stuttgart Landesstiftung Baden-Wßrttemberg • Sag’ mal was – SprachfÜrderung fßr Kinder im Vorschulalter (seit 2003) • Talent im Land (seit 2003)

GieĂ&#x;en TĂźrkisch-Deutsche Gesundheitsstiftung • Gesundheitstage an Hessischen Schulen (2002)

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würde wohl fast jeder unterschreiben. Und doch ist die Bundesrepublik wieder einmal dabei, dieses dringende Problem vielleicht noch zu benennen, aber nicht an der Wurzel zu bekämpfen. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung führt die mangelnde Integration zu Steuer­ verlusten und geringeren Einnahmen der Sozialversicherungskassen in Höhe von maximal 15,3 Milliarden Euro pro Jahr.56 Es ist ein teurer Luxus, den sich die Bun­ desrepublik leistet. Die Arbeitslosigkeit unter Aus­ ländern war 2005 mit 20 Prozent fast doppelt so hoch wie unter Deutschen. Dies sei in erster Linie eine Frage der Qualifikation, so die Bundesagentur für Arbeit: „So hatten 2005 76 Prozent der arbeitslosen Ausländer und 62 Prozent der Spätaussiedler keine abgeschlos­ sene Ausbildung im Vergleich zu nur 33 Prozent bei den anderen Arbeitslo­ sen.“ 57 Nur 25 Prozent der Jugendlichen mit einem ausländischen Pass hatten eine duale Ausbildung begonnen, im Gegensatz zu 59 Prozent der deutschen Jugendlichen in der Referenzgruppe. Die Schere wird aller Voraussicht nach noch weiter auseinanderklaffen. „Das Arbeits­ kräftepotential von Ausländern und von Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland wird auch in Zukunft kräftig steigen. Der Zuwachs dürfte ins­ besondere bei Türken recht hoch sein. Der Grund liegt in der Altersstruktur. Die Altersgruppen der unter 15-Jährigen sind bei den Ausländern wesentlich stärker besetzt als bei der Gesamtbevölkerung. Das bedeutet, dass in den nächsten Jahren wesentlich mehr Ausländer in den Arbeitsmarkt eintreten als altersbedingt ausscheiden werden.“ 58 Da hört sich der folgende Satz schon fast wie eine Gebetsmühle an: „Vor allem ist sicher­ zustellen, dass die heutigen und die künftigen Schüler das Bildungssystem gut qualifiziert verlassen.“ 59

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Das heißt beileibe nicht, dass es un­ ter Einwanderern kaum Aufsteiger gäbe. Allein die Verdreifachung der türkischen Selbstständigen zwischen 1985 und 2005 auf 63.000 spricht eine deutliche Spra­ che. Sie erzielen einen durchschnittlichen Jahresumsatz von 457.000 Euro bei insge­ samt 323.000 Mitarbeiterinnen und Mit­ arbeitern.60 Inzwischen gelten diese Be­ triebe als wichtige ­Ausbildungsressource.

Wie Bilder im Kopf entstehen Fatih Akin ist einer, der es an die Spitze seiner Zunft geschafft hat. Der Sohn türkischer Einwanderer zählt zu den derzeit erfolgreichsten europäischen Regisseuren. Er wurde mehrfach auf den Filmfestspielen von Cannes und auch mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Sein Vater war Schauspieler und kam 1965 nach Hamburg, um in einer Teppichfirma zu arbeiten. Seine Mutter, eine Grund­ schullehrerin, verbrachte ihr Berufsleben als Putzfrau und Packerin. Akin ist einer der wenigen, der herhalten kann für das, was es eigentlich braucht: Vorbilder für junge Migrantinnen und Migranten. Das wäre auch ein lohnenswertes Thema für eine spannende Zielgruppe. Medien dürften auch jenseits von Krimi­ nalitätsberichterstattung eine Menge Themen aus den Bereichen Migration und Integration finden, vielleicht sogar eigene Sendungen oder Programme schaffen. Doch die Bilder von Migranten, die die Medien in den Köpfen entstehen lassen, sind einseitig geprägt. Das meinen zu­ mindest die hauptsächlich aus Migran­ tenmilieus stammenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Open Space-Ver­ anstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Katastrophen-Journalismus und Sen­ sationsdebatten dominieren die Integ­ rationsdebatte“,61 heißt es dort. Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mahnt einen besonneneren Umgang der


Medien mit dem Thema an: „Es hilft nicht weiter, wenn allzu oft der spektakulären, trennenden Nachricht der Vorzug ein­ geräumt wird vor der Vermittlung eines breiten, differenzierten Blicks, der auch den gelebten Alltag einbezieht.“ 62 Nur sehr langsam, bei Höchst­ geschwindigkeit im Schneckentempo, tauchen Migranten in den deutschen Medien auf. In Magazinen, Illustrier­ ten und Tageszeitungen findet man Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund nur mit der Lupe. Gleiches gilt für Hörfunk und Fernsehen. Dabei zahlen auch die fünfzehn Millionen Menschen mit Einwanderungshinter­ grund monatlich GEZ-Gebühren und finanzieren so die diversen Hörfunk- und Fernsehprogramme der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios mit. Doch in der mächtigen öffentlich-rechtlichen Programmlandschaft scheint man der Meinung zu sein, dass die Chefredak­ teurs-, Intendanten-, Programmdirek­ toren-, Moderatoren-, Korresponden­ ten- und Redakteurswelt im deutschen Fernsehen auch weiterhin eine möglichst homogene Angelegenheit bleiben soll – sieht man einmal von den ganz weni­ gen Ausnahmen wie beispielsweise der ARD-Korrespondentin in Kairo, Golineh Atai, ab. Lichtblicke sind die Program­ me Funkhaus Europa (WDR) und Radio ­Multikulti (RBB), in denen nicht nur The­ men behandelt werden, die Menschen mit Migrationshintergrund besonders interessieren. Radio Multikulti sendet gar in mehr als 20 Sprachen: von deutsch über türkisch und russisch bis hin zu vietnamesisch. Das bis dato wohl einzige kommerzielle Printmedium, das sich in deutscher Sprache ausschließlich an die Zielgruppe Migrantinnen und Migranten richtet, ist die wöchentliche Beilage „Young Hürriyet“ in der größten Zeitung für die Deutschtürken. Sie wendet sich an die vierte Generation der Einwanderer,

die inzwischen eher deutsch als türkisch spricht. Die ­Heinrich-Böll-Stiftung oder die MPC Münchmeyer Petersen Capital Stiftung fördern junge Migrantinnen und Migranten auf ihrem Ausbildungsweg in den deutschen Journalismus.63, 64 So wundert es nicht, dass das Bild von Einwanderern, das in den Köpfen ori­ ginär deutscher Medienmacher produ­ ziert und dem Publikum vermittelt wird, ein deutsch geprägtes und damit fast immer einseitiges ist. Und dass die viel­ fältige Welt der Einwanderer in Deutsch­ land, ein Stück bundesrepublikanische Wirklichkeit, im deutschen Fernsehen als wichtigem Teil der bundesrepublika­ nischen Wirklichkeit nicht stattfindet.

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6 – Menschen mit Zuwanderergeschichte


I

Interview

Frau Mohagheghi, wenn man sich auf die Suche nach Interviewpartnern un­ ter den Muslimen in Deutschland macht, findet man nicht so schnell eine Frau, die ein Amt bekleidet oder einem Verein vorsteht. Woran liegt das? Die meisten muslimischen Frauen in Deutschland kommen aus sozialen Schichten, die nicht gerne in der Öffent­ lichkeit auftreten. Mit den jungen Frauen, die zunehmend einen Schulabschluss haben und auch studieren, ändert sich das allmählich. Ein anderer Grund ist die Sprache. Es gibt immer noch muslimische Frauen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen. Wie fühlt man sich in dieser männer­ dominierten Welt als Frau wie Sie, die als Theologin ihren eigenen Standpunkt offensiv in der Öffentlichkeit vertritt? Es ist nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Auch unter den Muslimen ist ein Umdenken zu beobachten. Es geht nicht so schnell, wie ich es mir wünsche, aber man kann eine suk­ zessive Veränderung verzeichnen. In meinem Geburtsland, dem Iran, lehren

„Nur die Begegnung ­ändert etwas“ Hamideh Mohagheghi

Hamideh Mohagheghi, 1954 im Iran geboren, lebt seit Ende der Siebziger mit ihrem Mann in der Bundesrepublik. Sie hat im Iran Jura und in der Bundesrepu­ blik islamische Theologie studiert. Die Mutter zweier Töchter steht für einen offenen, an den Menschenrechten aus­ gerichteten Islam, der die Gleichberechti­ gung der Belange von Frauen vertritt und eine friedliche und offene Haltung gegen­ über anderen Religionen betont. Hamideh Mohagheghi ist eine der bedeutendsten muslimischen Vertreterinnen des inter­ religiösen Dialogs in der Bundesrepublik. Neben vielen anderen Funktionen ist sie Mitglied im Arbeitskreis Christen und Muslime im Zentralkomitee der deut­ schen Katholiken und im Kuratorium der Christlich-Islamischen Gesellschaft.

Foto: privat

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Frauen als schiitische Theologinnen schon lange den Koran und treten in der Öffentlichkeit auf. Sie können auch den höchsten Grad der Gelehrsamkeit erlangen. Es wird sogar diskutiert, ob ihre Lehrmeinungen als Rechtsgelehrte für andere verbindlich sein könnten, so dass sie als Instanz für eigenständige Lehrmeinungen benannt werden. Da ist viel in B ­ ewegung. Die muslimischen Frauen möchten nicht mehr nur zuhören und bestätigen, sie möchten selbst den Koran auslegen. Über Jahrhunderte hat man mehrheitlich die Aufgabenbereiche klar getrennt: Frauen für Haus und Er­ ziehung der Kinder, Männer für Erwerb und finanzielle Versorgung der Familie. Das bedeutet nicht, dass die Frauen deswegen per se schlecht behandelt wurden. Aber dieses Rollenbild funktio­ niert heute nicht mehr. Sie sind Theologin, sie unterrichten an der Universität Paderborn als Lehr­ beauftragte für Religion. Sie sind auch Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Berlin. Sind Sie mit all diesen öffent­ lichen Ämtern nicht auch eine Provoka­ tion für einen streng gläubigen Muslim? Es gibt Muslime, die dies nicht so gerne sehen, dazu kommt, dass ich auch eine eigene Auffassung vom Islam ver­ trete. Ich glaube, dass man sich im Islam auch eine eigene Meinung zur individuel­ len Religiosität bilden kann und soll, zum Beispiel zum Koran oder zur Stellung der Frau. Wer lehnt Sie ab? Diejenigen, die ein Problem damit haben, dass ich Schiitin aus dem Iran und eine Frau bin und nicht der Mehrheit, den türkischstämmigen Sunniten, angehöre. Für sie ist meine Meinung eine Minder­ heitsmeinung, die nicht repräsentativ sei für die Muslime in Deutschland. Sie halten es auch für falsch, dass ich zu Veranstaltungen eingeladen werde, weil ich nicht für die Mehrheit der Muslime

in der Bundesrepublik, die sunnitischen Türken, stehe. Nun gibt es im Islam auch Imame, die sagen, dass Frauen sehr wohl Geist­ liche sein können. Wie wichtig sind solche Ansätze für die muslimische Welt, für muslimische Frauen in Deutschland? Sie sind für uns hier sehr wichtig, denn schließlich sind es Autoritätsperso­ nen, die diese progressiven Meinungen vertreten und die uns damit stärken. Die­ se Bewegungen werden stärker; es sind Stimmen aus der Türkei, aus dem Iran, aus Marokko zu hören, die mittelfristig Wirkung auf die gesamte islamische Welt haben werden. Ziehen diese Bewegungen in der Bundesrepublik an einem Strang, indem sich die verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen treffen, so wie die Ökumene der katholischen und der evan­ gelischen Kirche hier? Es gibt leider nur informelle Zir­ kel, mehr nicht. Das ist zwar eine nette ­Geste, aber bisher noch keine ernsthafte Diskussion. Empfinden Sie die islamische Welt, wie sie hier in der Bundesrepublik vor­ herrschend ist, eher als patriarchale oder eine zwischen Mann und Frau gleich­ berechtigte Welt? Es gibt beides, aber die patriarchale ist eindeutig stärker. Ich habe viele Jahre ein Sorgentelefon für muslimische Frauen betreut und die meisten Anfragen kamen aus sehr patriarchal geprägten Familien. Wie war es denn bei Ihnen zu Hause? Meine Familie war eher matriar­ chalisch organisiert. Mein Vater ist ge­ storben, als ich zwei Jahre alt war. Meine Mutter war eine sehr starke Frau, die als Witwe mit 36 Jahren fünf Kinder durch­ bringen musste. Das hat mich wohl sehr stark geprägt. Es ist in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit immer sehr schnell die Rede von dem Islam. Gibt es diese homogene

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islamische Welt in der Bundesrepublik überhaupt? Ganz und gar nicht. Die muslimische Welt in der Bundesrepublik bildet die ver­ schiedenen Glaubensrichtungen ab, die es auf der ganzen Welt gibt. Die Familien sind mit ihren Traditionen hierher gekom­ men und die meisten von ihnen leben so, wie sie es aus ihren Heimatländern ge­ wohnt sind. Selbst bei der jungen Genera­ tion ist zu beobachten, dass die Tradition der Eltern ihre Lebensweise prägt. Die Generation der Großväter nimmt gern den Koran in die Hand, als angeb­ liches Buch der einzigen Wahrheit. Inter­ pretieren Sie den Koran genauso? Der Koran ist im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel entstanden und richtet sich damit in erster Linie an die Menschen aus der damaligen Zeit. Wir Menschen heute müssen ihn in unsere Zeit transferieren. Der Koran hat zeitlose Normen und Werte, zum Beispiel beinhal­ tet er in ähnlicher Weise die zehn Gebote, wie das Judentum und Christentum sie kennt. Aber es gibt auch Aussagen, die eine Antwort auf Fragen waren, die die Menschen damals gestellt haben, zum Beispiel im Familien-, Straf- oder Erb­ recht. Da sich die sozialen Strukturen geändert haben, bin ich der Meinung, dass man diese Stellen nicht außerhalb ihres historischen Kontextes lesen kann. Das bedeutet, dass wir heute ihre innere Bedeutung erfassen müssen. Sie müssen entsprechend unseren Bedürfnissen ausgelegt werden. Zum Beispiel? Die Situation der Frau. Das angeb­ liche Recht des Mannes, die Frau zu züch­ tigen, das Erbrecht, wonach die Frauen nur die Hälfte bekommen sollen oder auch das Zeugenrecht, bei dem es heißt, die Aussage eines Mannes sei doppelt so viel wert wie die einer Frau. Die Zeiten haben sich geändert und wir benötigen heute einen Islam, der vorbehaltlos in

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allen Bereichen im Einklang mit den Men­ schenrechten steht. Diese stehen nicht im Widerspruch mit den islamischen Prinzipi­ en. Die jungen Menschen, die in die Mo­ scheen gehen, wollen Antworten auf ihre Fragen haben. Die überholten Antworten befriedigen sie nicht und sie wenden sich ab. Und es gehen immer weniger junge Menschen in die Moscheen. Sie haben lange Telefonberatung für muslimische Frauen gemacht. Was waren die dringendsten Probleme? Hauptsächlich waren es deutsche musli­ mische Frauen, die erhebliche Probleme mit ihren muslimischen Ehemännern aus den islamischen Ländern hatten, die sich in der Ehe nicht mehr so verhalten haben, wie sie es versprochen hatten. Während der Kopftuchdebatte gab es viele Anrufe von jungen muslimischen Frauen, die keine Chance für sich sahen, eine Arbeit zu finden, ohne das Kopftuch ablegen zu müssen, und aus diesem Grund ihre Ausbildung oder ihr Studium abbrechen wollten. Was haben Sie ihnen geraten? Zuerst ihre Ausbildung zu beenden. Sie hatten damit meistens kein Problem. Das Kopftuch ist meiner Meinung nach kein zwingendes Gebot. Wenn es für die Ent­ wicklung und Entfaltung der Frauen ein Hindernis ist, sollte die Möglichkeit be­ stehen, es abzulegen. Manche Koranver­ se sind aus bestimmten Gründen direkt von Gott offenbart, das heißt es gibt dafür Offenbarungsanlässe. Für diesen Vers heißt es, dass die Frauen damals in den Straßen von Medina von Männern belästigt wurden. Aus diesem Anlass wurden zwei Verse offenbart: im ersten Vers werden die Männer angesprochen ihre Blicke niederzuwerfen. Diese Regel wurde und wird bis heute von man­ chen Männern nicht eingehalten. Dann wurden die Frauen angesprochen, sie sollten ihre Gewänder über sich ziehen. Das heißt, diese Regel war ein Schutz


für die Frauen. Es ist also ebenfalls eine Auslegungsfrage des Korans, wie man damit umgeht. Die herrschende Meinung sieht aber auch heute noch diese Regel als religiöses Gebot, das eingehalten werden muss. Warum tragen Sie das Kopftuch? Es gehört zu meiner Kleidung, zu meiner Identität, damit bin ich aufgewachsen. Ich hoffe, dass den Frauen selbst überlassen wird, wie sie sich kleiden möchten. Für mich ist Zwangsentschleierung genau so schlimm wie Zwangsverschleierung, beides ist Bevormundung der Frauen. Die jungen Mädchen sollen auch die Freiheit haben, selbst zu entscheiden. Die Eltern können nur vorleben, sie dürfen aber nicht ihre Autorität missbrauchen und direkt oder indirekt die Kinder zwingen etwas zu tun, mit dem die sich dann per­ sönlich nicht wohl fühlen. Meine Töchter beispielsweise tragen kein Kopftuch. Wie unterscheiden sich junge muslimische Frauen von ihrer MutterGeneration? Sie sind präsenter in der Gesellschaft. Sie erleben Situationen, in denen sie sich zwischen der Tradition ihrer Eltern und ihrem eigenen Weg entscheiden müssen. Obwohl sie laut islamischem Recht verbo­ ten sind, steigt die Zahl der Heiraten zwi­ schen einer muslimischen Frau und einem nicht muslimischen Mann. Es entstehen viele Konflikte, man sieht aber auch, dass ein Umdenken stattfindet. Und die Eltern müssen lernen damit umzugehen. Aber die Zerrissenheit bleibt den jungen Frauen. Ja, es ist nicht einfach. Die Familie hat eine große Bedeutung und die Kinder möchten ihren Eltern gegenüber nicht res­ pektlos sein. Manchen bleibt nichts an­ deres übrig, als die Familie zu verlassen, sie sind aber nicht glücklich dabei. Die jungen Frauen müssen gestärkt werden, damit sie selbstbewusst ihre Interessen vertreten können. Es ist aber auch eine

intensive Elternarbeit notwendig. Man sollte die Eltern mit ihren Sorgen nicht alleine lassen. Wie kann die Mehrheitsgesellschaft helfen? Die Eltern sollten nicht nur als Problem gesehen werden, sie müssen auch in die Diskussionen einbezogen und ernst ge­ nommen werden. Nach ihrem Verständnis wollen sie ihre Töchter schützen. In mei­ ner Fortbildungsarbeit mit Lehrkräften habe ich von guten Erfahrungen gehört, wie Lehrer mit Engagement, Zeit und Ge­ duld das Vertrauen der Eltern gewinnen konnten. Auch Erziehungspartnerschaf­ ten helfen, ein Konzept, an dem wir als muslimische Akademie derzeit arbeiten und das es traditionell orientierten Fami­ lien einfacher machen soll, ihre Töchter loszulassen. Vielleicht würde es auch helfen, wenn die deutsche Sprache in den ­Moscheen eine zentrale Rolle einnähme. Es könnte wichtig sein, in den Moscheen zu zeigen: Ja, wir sind in Deutschland zuhause. Die Schwierigkeit ist immer noch, dass in den Moscheen nahezu ausschließlich die Anhänger traditioneller Denkrichtungen predigen, die kein Deutsch sprechen. Die Imame benötigen eine gute Ausbil­ dung, und zwar in Deutschland und in der deutschen Sprache. Es gibt immer noch keinen Lehrstuhl für die islamische Theologie in Deutschland. Die Imame werden importiert und bleiben meistens nur einige Jahre hier. Sie kennen die Spra­ che nicht, die Gesellschaft nicht und auch nicht die realen Bedürfnisse der Mitglie­ der ihrer Gemeinde. Was heute schon hilft, ist der Islamunterricht in den Schu­ len. Wo er stattfindet, ist er eine Konkur­ renz zu den Moscheen. Und wenn er gut gemacht ist, dann fragen sich die Imame: Was machen die Lehrer besser als wir? Welches Konzept verfolgt die ­Muslimische Akademie, die sie leiten?

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Wir können keine Geistlichen ausbilden. Wir bieten in Kooperation mit anderen Bildungsträgern wie evangelischen und katholischen Akademien und der Bundes­ zentrale für politische Bildung Seminare und Diskussionsveranstaltungen in der gesamten Bundesrepublik an, die sich an Muslime richten. Wir möchten den Mus­ limen eine Stimme geben und sie darin befähigen, in allen Bereichen teilzuhaben. Woran liegt es, dass die Welten von Deutschen und eingewanderten Muslimen, von Mehrheits- und Minder­ heitsgesellschaft, immer noch so weit auseinander sind? Es fehlt an Vertrauen und der Bereit­ schaft, aufeinander zuzugehen. Die eine Seite meint, die Gesellschaft sei deka­ dent; die andere Seite denkt, die Muslime seien rückständig. Im Minderheitsstatus hat man Angst vor Selbstaufgabe und zwanghafter Assimilation. Die Muslime haben das Gefühl, dass sie nicht wirklich als Teil der Gesellschaft akzeptiert sind. Was sollte man in Zukunft also ­besser machen? Sich gegenseitig ernst nehmen. Mehr Kontakte haben, die zu mehr Wissen voneinander führen. Über interreligiöse Gespräche hinaus benötigen wir einen Dialog des Handelns, der Teilhabe und Chancengleichheit ermöglicht. Es muss viel mehr Begegnungen geben, das kann schon in der Nachbarschaft anfangen. Nur die Begegnung ändert etwas.

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R

Reportage

Elisa will weitererzählen Für Kinder ist ein ungesicher­ ter Aufenthaltsstatus eine besonders schwierige Situa­ tion. In Hamburg finden sie im Kinderfluchtpunkt Hilfe.

Foto: Jörn Breiholz

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Auf dem Kinderposter an der Glas­ tür des Kinderfluchtpunktes beschützt ein freundlicher brauner Hund eine Katze vor einem aggressiven grauen Hund mit gefletschten gelben Zähnen. Hinter der Tür sitzt Elisa zwischen der Psycholo­ gin Claudia Oelrich und der Pädagogin Anna Turinsky. Elisa ist fünfzehn Jahre alt, sie ist ein hübsches Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Elisas Leben ist wie eine Schaukel, wie ein Pendel. Oft versteckt sie ihre Augen hinter ihren langen braunen Haaren und guckt verschämt auf den Fußboden wie jeder Teenager, der cool sein will und es noch nicht ist. Wenige Minuten später erzählt sie abgeklärt von Situationen, die viele Erwachsene überfordern wür­ de. „Elisa, was machst Du, wenn Deine Mama wieder einen dieser Anfälle hat und vor Dir zusammenbricht?“ fragt die Pädagogin. „Ist doch ganz einfach“, sagt sie und lacht Anna Turinsky ins Gesicht, als wenn die nicht von diesem Planeten wäre. „112 wählen und dann kommt der Rettungsdienst.“ Parentifizierung heißt das Fach­ wort, wenn Kinder mit Aufgaben kon­ frontiert werden, die eigentlich Sache der Eltern sind. „Es ist eines der drin­ gendsten Probleme der Flüchtlingskin­ der, die zu uns kommen“, erzählt Anna Turinsky. Parentifizierung bedeutet, dass Kinder Aufgaben der Eltern über­ nehmen müssen, die überhaupt nicht kindgerecht sind. Weil sie die Sprache oft viel besser können als ihre Eltern, dolmetschen sie bei jeder Gelegenheit: beim Arzt oder in der Schule, bei der Wohnungshilfe oder in der Ausländer­ behörde. Sie müssen sich dann mit Dingen beschäftigen, die Kinder völlig überfordern. Mit Aufenthaltspapieren und Schulanmeldung, mit Sozialhilfe oder Abschiebungsandrohungen. Wenn die Eltern ausfallen, fängt sie keiner auf, weil das soziale Netz löchrig ist. Also

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müssen sie stark sein, um die Familie nicht zusätzlich zu belasten. „Elisa ist ein Paradebeispiel für Parentifizierung“, sagt Anna Turinsky. Wenn der Krankenwagen die Mutter holte, war Elisa häufig allein zuhause, mit Macca und Ayslat, den heute elf- und neunjährigen jüngeren Schwestern, und mit Ibrahim, dem vierjährigen Bruder. Der Vater war damals in Norwegen, die älteren zwei Schwestern bei ihren Ehemännern, die Mutter auf der Intensiv­ station. Dann war Elisa für ihre drei jün­ geren Geschwister verantwortlich. Kein Wunder, dass Ibrahim, der als Vierjähri­ ger immer noch nicht sprechen will, au­ ßer den zwei Worten Mama und Papa nur ihren Namen aussprechen kann. „Ella“, sagt er und zieht Elisa an der Hand. Ihm ist langweilig hier im Kinderfluchtpunkt und Elisa soll mit ihm rauskommen wie immer. Doch ausnahmsweise dreht es sich heute Nachmittag mal nicht um ihn. Sondern um Elisa.

Kinder leiden unter der Flucht besonders Der Hamburger Kinderfluchtpunkt ist eine der ganz wenigen Beratungs­ stellen in der Bundesrepublik, wo Kinder und Jugendliche mit unsicherem Aufenthaltsstatus Beachtung und Be­ ratung finden. „Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Flüchtlingskinder von der Jugend- und Familienhilfe oft übersehen werden“, sagt Anne Harms, Leiterin der evangelischen Einrichtung. Auch in der Öffentlichkeit sei von der Situation ge­ flüchteter Kinder wenig bekannt, erzählt sie. „Dabei leiden Kinder unter der Flucht der Familie besonders, unter der Pers­ pektivlosigkeit und der Unsicherheit der Situation.“ Wer geduldet ist wie Elisas Vater, darf keine Arbeit annehmen, die auch ein EU-Bürger machen könnte. „Mit den kurzen Duldungsfristen können un­


dass die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung bestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist. Die Ham­ burger Innenbehörde weiß das, aber sie findet, auch das Grundgesetz sollte nur für Deutsche gelten.“

Foto: Jörn Breiholz

Endlich hört ihr jemand zu

sere Jugendlichen meistens auch keine Ausbildung machen“, sagt Harms. Dann hängen sie rum. Wer mit einer Duldung lebt, kann theoretisch jederzeit abgeschoben werden. Das gilt auch für die 3.000 ge­ duldeten Kinder, die allein in Hamburg leben. 1.400 von ihnen sind hier geboren und sind trotzdem keine deutschen Kinder. „Eines Tages werden sie viel­ leicht nach Westafrika oder in die Türkei abgeschoben, obwohl sie noch nie da gewesen sind“, sagt Harms. „Manchmal werden Kinder mit nur einem Elternteil abgeschoben.“ Aber die Bundesre­ publik Deutschland hat doch die UNKinderrechtskonvention unterschrieben, oder? „Theoretisch schon“, sagt Harms, „allerdings als einziges Land mit dem Vorbehalt, dass sie nicht für ausländi­ sche Kinder gelten soll. Dennoch bindet uns das Grundgesetz. Auch nach Arti­ kel 6 des Grundgesetzes darf ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt werden. Es sei denn,

Auch Elisa zählt zu den Kindern, die jederzeit abgeschoben werden können. Sie kommt aus Tschetschenien. Mit sie­ ben Jahren ist sie im Jahr 2000 während des zweiten Tschetschenienkrieges aus dem kleinen Dorf Katyr-Yurt nach Ham­ burg geflohen, in einem LKW, viel mehr weiß sie nicht mehr. Die ersten sieben Jahre ihrer Kindheit sind in Tschetsche­ nien geblieben. Sie lebt heute länger in Hamburg, als sie in Katyr-Yurt gelebt hat. Zu zwölft haben sie sich zu Fuß auf die Flucht gemacht und wenn sie eine Minute schneller gewesen wären, hätte es vielleicht auch Elisa oder ihre Mutter zerfetzt; wie den Cousin des Vaters, als dessen Haus hinter der Brücke von einem russischen Piloten zerschossen wurde. „Überall lagen tote Kühe und Scha­ fe und tote Katzen“, erzählt Elisa ein paar Tage später an einem Sonntagnach­ mittag im penibel sauberen Wohnzimmer der Familie in der Flüchtlingsunterkunft in Hamburg Alsterdorf. Drei Zimmer bewohnt die Familie: ein Schlafzimmer für die Eltern, ein Wohnzimmer und ein Kinderzimmer, in dem die fünf Kinder schlafen, Elisa mit Ibrahim im Arm auf dem Fußboden. Sie spricht nicht viel, Elisa weiß we­ nig von sich zu erzählen. Immer dreht es sich um die anderen. Den kleinen Bruder, der als einziger männlicher Nachkomme unter fünf Schwestern der ganze Stolz der Familie ist. Oder die zwei kleineren Schwestern, die sofort auf den unbe­

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kannten Besucher einstürmen und ihn mit Fragen löchern. Die beiden sind hier aufgewachsen und sprechen viel besser deutsch als tschetschenisch, geschwei­ ge denn russisch. Sie sind gut integriert und haben ihre Freundinnen in Hamburg. Nicht vorzustellen, warum die hier groß gewordenen Kinder abgeschoben wer­ den. Macca ist eine richtige Überfliege­ rin, ein sehr gutes Schulmädchen, das sich schon auf die Gesamtschule freut. Elisa hingegen hat keinen Anschluss an die deutsche Schule finden können, im Sommer wird sie die Sonderschule ver­ lassen. „Meine Eltern wollen nicht, dass ich alleine nach draußen gehe“, sagt sie, wenn man sie fragt, was sie macht, wenn sie nicht in der Schule ist. „Und wir haben noch nicht mal einen Computer oder einen Fernseher. Das ist total öde hier.“ Sie koche oft, erzählt sie, und dass die Mutter diese Anfälle und Zusammen­ brüche habe, seitdem ihr Lieblings­cousin von einer russischen Mine in Stücke ge­ rissen wurde. „Manchmal erkennt Mama Ibrahim nicht, wenn sie einen Anfall hat“, sagt Elisa. „Sie weiß dann nicht mehr, was sie tut.“ Nicht alle Fragen im Kinderflucht­ punkt sind so schwierig zu lösen wie die Situation von Elisa, die in der Schule nicht mitkommt und inzwischen krank geworden ist von der Situation in ihrer Familie. „Manche Kinder wollen einfach nur wissen, wie sie im Verein Fußball spielen können“, erzählt Claudia Oelrich. Doch so einfach ist selbst Fußballspielen nicht für Flüchtlingskinder. „Manche Vereine verlangen ein Konto, von dem sie den Mitgliedsbeitrag abbuchen können. Doch das haben Eltern mit unsicherem Aufenthaltsstatus oft nicht.“ Für weitere zwei Jahre, mehr nicht, haben Harms und ihre zwei Mitstreiterin­ nen die Finanzierung des Kinderflucht­ punktes sichern können, mit Spenden von terre des hommes, Aktion Mensch

StiftungsReport 2008/09

und der kleinen Hamburger :do Stiftung. „Wir vertreten die Interessen der Kin­ der“, sagt Claudia Oelrich. Manchmal kommen die Kinder aber auch als Vorhut, um die Probleme der Familie zu klären. „Dann müssen erst einmal die Grund­ bedürfnisse der Familie wie Essen oder Unterkunft geklärt werden und danach die speziellen Probleme der Kinder“, sagt die Psychologin. Pyramidentheorie heißt das im Fachjargon. Auch bei Elisa geht es an ihrem in­ zwischen dritten Termin im Kinderflucht­ punkt um die Probleme der Familie. Doch zunächst einmal kann sie von sich erzählen. Als die Rede auf ihren Cousin kommt, der vor vielen Jahren von der Mine getötet worden ist, bricht sie plötz­ lich in sich zusammen. Tränen schießen ihr ins Gesicht. „Alle mochten ihn so gern“, sagt sie. „Willst Du aufhören mit dem Gespräch?“, fragt Anna Turinsky. „Nein“, sagt Elisa mit fester Stimme. Elisa will weiter erzählen. Endlich hört ihr jemand zu.


P

Portrait

Versöhnen statt kämpfen

Foto: Talat Alaiyan-Stiftung

Halima Alaiyan lädt israelische und palästinensische Jugend­ liche nach Deutschland ein, um auf neutralem Boden Vorurteile abzubauen.

Nein, ängstlich ist diese Frau mit den wilden, schwarzen Locken und dem offenen Lächeln nicht. Das wür­ den selbst ihre Feinde kaum behaup­ ten. Und ein paar Feinde hat sich die unerschrocke­ne Ärztin aus Saarbrücken schon gemacht – unter Palästinensern genauso wie unter Israelis. Auch weil sich Halima ­Alaiyan der „Auge um Auge“-Strategie der Kriegslogik beider Seiten widersetzt. Um stattdessen die Versöhnung zwischen Palästinensern

und Israelis zu betreiben, zwischen Christen, Juden und Muslimen. Dass sie damit zwischen die Mühl­ steine der Politik geraten würde, das wusste sie schon 2003. Damals gründete sie die Talat Alaiyan-Stiftung, benannt nach ihrem Sohn, der mit 21 Jahren einer schweren Bluterkrankung erlegen war. Nach seinem Tod im Jahr 1989 hatte sie mit dem Schreiben begonnen, um den Schmerz in konstruktive Bahnen zu len­ ken. Ihre Autobiografie erschien ebenfalls im Jahr 2003 unter dem Titel „Vertrei­ bung aus dem Paradies“, die Erlöse aus dem Verkauf sollten der Stiftung zugute ­kommen. In ihrer Autobiografie erzählt ­Halima Alaiyan von ihrer Flucht während des ersten Krieges um den Staat Israel. Ihre Eltern flohen im Krieg aus Palästina nach Ägypten, die kleine Halima auf dem Arm. In Ägypten fühlte sie sich wie eine Aussätzige. „Wir wurden mit Steinen beworfen, weil wir unser Land nicht ge­ nügend verteidigt hatten“, erinnert sich Halima Alaiyan. Zusammen mit ihrem Ehemann gelang ihr die zweite Flucht – nach Saarbrücken, wo sie ihre drei Kinder großzog, nebenbei arbeitete und Medizin studierte. Aus ihrem Buch „Vertreibung aus dem Paradies“ liest sie heute noch. Um für ihre Utopie eines friedlichen Palästina zu werben und um über Wege zum Frie­ den zu sprechen. Die Lesungen sind im­ mer eine Gratwanderung, denn sie muss sich gegenüber manchmal aggressiven Fragen behaupten, muss sich positionie­ ren zu den Selbstmordattentaten und den militärischen Angriffen der israelischen Armee, zu den vertriebenen heimatlosen Palästinenserinnen und Palästinensern und zu den seit 1948 in Palästina be­ heimateten Israelis. Sie geißelt beides und erntet immer wieder heftige Kritik, aber auch Verständnis. Israelis bezich­ tigen sie dann des Antizionismus, von

6 – Menschen mit Zuwanderergeschichte

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Palästinensern muss sie sich wiederum vorhalten lassen, „du spielst Israel in die Hände“, erinnert sie sich. Manche Auseinandersetzungen kochen so hoch, dass ich „manchmal den Weg allein ins Hotel scheue“, sagt sie und blickt auf den Kirchturm der Johanniskirche mitten im Zentrum von Saarbrücken.

Dann fließen die Tränen

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Abbringen von ihrer Mission lässt sie sich trotzdem nicht. Seit 2004 lädt sie einmal pro Jahr Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren ein; Jungen und Mädchen aus Israel, dem Westjordanland und aus der Bundesrepublik. Dass sie die Jugend­ lichen nach Deutschland einlädt, hat mehrere Gründe. Zum einen erleben die Jungen und Mädchen zum ersten Mal, kei­ ne Angst haben zu müssen; vor Bomben und Raketen, vor Angriffen und Anschlä­ gen, vor Übergriffen und Erniedrigung. Zum anderen lernen sie sich gegen­ seitig besser kennen, ihren Alltag, ihre Probleme, ihre Wünsche. In Deutschland können sie studieren, wozu Hass fähig ist und wie er überwunden werden kann. Im Konzentrationslager Sachsenhausen erfahren die Palästinenserinnen und Palästinenser häufig zum ersten Mal vom Schicksal der Juden in Europa. Bewusst setzt die Ärztin ihre Schützlinge einem Wechselbad der Gefühle aus. Wenn sie in Verdun vor den zigtausend Gräbern stehen, sich das Bild dieser unheimlichen Landschaft in ihr Gedächtnis gräbt, sie spüren, wie groß der Hass gewesen sein muss, der den sinnlosen Tod von so vielen Menschen verursacht hat. Um dann mit den Jugendlichen an die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland zu fahren. Die Teenager suchen nach Panzern und Mauern, nach Grenzern mit Maschinen­ pistolen und finden von allem nichts. Dieses ungläubige Staunen in den Augen macht all die Mühen wert. „Es ist,

StiftungsReport 2008/09

als wenn ein Same aufgeht. Auf einmal denken sie, dass Frieden möglich ist“, sagt Alaiyan. Dem aber gehen schmerz­ volle Tage der Begegnung voraus, ein Aufeinandertreffen unter Feinden. Zumin­ dest am Anfang. Wenn die drei Gruppen sich zu Beginn der Reise separieren, sie abends dann jedoch ihr Zimmer teilen müssen, eine Israelin, eine Palästinense­ rin, eine Deutsche oder ein Palästinenser, ein Deutscher pro Zimmer. „Dann fließen die Tränen“, erzählt Alaiyan. Den Tränen folgen Diskussionen, über die Geschichte, über die Gegenwart, über Verletzungen und Wunden. Koffer werden wütend von einem ins andere Zimmer geschoben. Gleichzeitig aber spüren alle auch den Zorn und die Ohnmacht der anderen Sei­ te. Und manchmal entsteht die Einsicht, dass das gegenseitige Aufrechnen der Toten nur weiter in die Sackgasse führt. Dann ist Halima Alaiyan gefragt. Sie besucht mit den jungen Menschen Sach­ senhausen, damit auch die Palästinenser den Holocaust erspüren können. Den Israelis wieder bringt sie die Ausweglo­ sigkeit in den Lagern in Gaza-Streifen und im Westjordanland nahe: „Eine Ausweg­ losigkeit, die Israel erst beseitigen muss, bevor es Frieden erwarten kann“, erklärt Alaiyan. Das Recht der Juden auf einen eige­ nen Staat, das stellt sie nicht in Frage. Es ist Bedingung für den Frieden in Paläs­ tina. Das aber muss sie Palästinensern wie Israelis erklären. Dafür greift sie auf ihre eigene Erfahrung zurück, ein trauma­ tisches Erlebnis, das sie wie die Vertrei­ bung aus dem Paradies empfunden hat, weil der deutsche Rechtsstaat ihr ohne Grund Unrecht tat. „Als ich in die Bundesrepublik kam, kam mir das Land vor wie ein friedliches Paradies, ein freies Land mit einer freien Justiz, an das ich zutiefst geglaubt habe“, erzählt sie. Dann aber kamen die Olym­ pischen Spiele und mit der Geiselnahme


Foto: Talat Alaiyan Stiftung

Jugendliche aus Israel und Palästina zu Besuch in Saarbrücken. durch palästinensische Terroristen und der gescheiterten Befreiung, die elf isra­ elische Sportler, ein deutscher Polizist und fünf palästinensische Terroristen mit dem Leben bezahlten, kam für Alaiyan das Grauen zurück. Plötzlich sah sie sich in ihrer eigenen Wohnung einem riesigen Aufgebot von Polizisten gegenüber. Ihr Mann wurde verhaftet, wie zeitgleich vie­ le hundert Araber und Palästinenser in der ganzen Bundesrepublik. „Die Männer sollten sofort abgeschoben werden, als politisches Zeichen in Richtung Israel“, erzählt sie. Die Abschiebung ihres Man­ nes scheiterte an der Geistesgegenwart einiger deutscher Anwälte, viele Dutzend Araber und Palästinenser wurden in der Folge aus Deutschland ausgewiesen. 65

Kleine Siege – kostbare Arbeit Als ihr Mann verhaftet wurde, sah sie sich Nachbarn gegenüber, die ihr ins Gesicht sagten: „Wenn die Polizei nichts in der Hand gegen ihn hätte, wäre er doch nicht verhaftet worden, hier geht alles sein rechten Weg, da können sie sicher sein.“ Sätze, wie sie wahrscheinlich zahl­ reiche Juden in Deutschland während der Nazi-Herrschaft zu hören bekamen. Sie

fühlte sich machtlos, sich schutzlos ei­ nem Staat ausgeliefert. „Da habe ich erst­ mals verstanden, warum der Staat Israel für Juden eine so existenzielle Bedeutung hat, weil sie dorthin fliehen können, wenn es in ihrer eigentlichen Heimat plötzlich zu Pogromen kommt“, erzählt Alaiyan. So einen Staat brauchen die Paläs­ tinenser auch. Nach wie vor werden sie in vielen arabischen Staaten mehr geduldet als anerkannt, werden sie in westlichen Staaten kritisch beäugt. In der existentiel­ len Bedrohung sieht Alaiyan eine Gemein­ samkeit mit den Juden in Israel. Es könnte – wie es Frankreich und Deutschland gelang – die Basis für eine Annäherung sein, hofft Alaiyan. Für dieses Aufeinanderzugehen organisiert sie zusammen mit deutschen Unterstützern die Begegnungen und hat mit dem Bund der Pfadfinder eine Organi­ sation gefunden, die im Westjordanland und Israel die Treffen vorbereitet. Nach drei Wochen kehren die Ju­ gendlichen wieder zurück. Auf viele der 18-jährigen Israelis wartet der Wehr­ dienst, auf die Palästinenser die Ausweg­ losigkeit. Dort werden sie wieder konfron­ tiert mit den Stereotypen des Krieges. Trotzdem bleiben viele Kontakte beste­ hen. Via E-Mail und Mobiltelefon. Und dann sind da noch die Fotos, die alle von ihrem Aufenthalt mit nach Hause bringen. Sie zeigen Mädchen und Jungen, Christen, Juden und Muslime, wie sie gemeinsam tanzen, lachen und sich als Gruppe füh­ len. Dass dafür manchmal nur drei Wo­ chen nötig sind, erstaunt Halima Alaiyan immer wieder aufs Neue. Es sind „die kleinen Siege, die diese Arbeit für mich so kostbar machen“. 97

6 – Menschen mit Zuwanderergeschichte


Heinrich-Böll-Stiftung

Die Heinrich Böll Stiftung unterhält eine eigens eingerichtete Website zu den The­ men Migration, Integration und Diversity. Neben Beiträgen zu diesen Fragen finden sich Dossiers zu Schwerpunkten, wie „Leben in der Illegalität“, „Muslimische Vielfalt in Deutschland“ oder „Schule mit Migrationshintergrund“. www.migration-boell.de

Pro Asyl

Der Verein und seine gleichnamige Stif­ tung sind die erste Adresse, wenn es um die Vertretung der Interessen von Flücht­ lingen in der Bundesrepublik geht. Mitte der Achtziger von Mitarbeitern von Flücht­ lingsräten, Kirchen sowie Wohlfahrts- und Menschenrechtsorganisationen gegrün­ det, versteht sich der Zusammenschluss als parteiische Vertretung der Interessen von Flüchtlingen in der Bundesrepublik. www.proasyl.de

Stiftung Kolibri

Die Stiftung Kolibri ist eine interkulturelle Stiftung mit Sitz in München, die Einwan­ derern die Integration in ihrer neuen Hei­ mat erleichtern will. Dazu zählen Ehe- und Familienberatung, aber auch Kinder- und Seniorenarbeit. Sie verwaltet außerdem treuhänderisch die Stiftung Solidarische Welt, die die Lebensgrundlagen existen­ tiell bedrohter, marginalisierter Men­ schen in den betroffenen Regionen nach­ haltig verbessern will. www.kolibri-stiftung.de

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StiftungsReport 2008/09

CaritasStiftung

Neben ihrer sehr vielfältigen Arbeit für Arme und Ausgegrenzte arbeitet die CaritasStiftung im Erzbistum Köln auch für Migrantinnen und Migranten. Sie hilft Flüchtlingen und Einwandererinnen, sich in Köln zu orientieren und bietet auch Menschen ohne Aufenthaltspapiere Hilfe an. Nicht nur in Köln: In vielen deutschen Städten helfen lokale Caritas-Stiftungen Migrantinnen und Migranten. www.caritasstiftung.de

Stiftung Menschenrechte – Förderstiftung amnesty international

Zweck der Stiftung Menschenrechte – För­ derstiftung amnesty international ist die Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte. Die Stiftung arbeitet in erster Linie für amnesty international, sie kann aber auch eigene Projekte durchführen. www.stiftung-menschenrechte.de

Deutsche Stiftung für UNO-­Flüchtlingshilfe

Die Deutsche Stiftung für UNO-Flücht­ lingshilfe ist gegründet worden, um die Arbeit der UNO-Flüchtlingshilfe dauerhaft zu sichern. Bisher wurden drei Projekte direkt gefördert: ein UNHCR-Projekt zur Bekämpfung der Malaria in Kenia, der Bau einer Sportanlage im Flüchtlingslager Smara in Westalgerien (WestsaharaFlüchtlinge) und das Psychosoziale ­Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf. www.uno-fluechtlingshilfe.de


Gesellschaftliche ­Vielfalt fördern und ­gestalten

7

Die wachsende Vielfalt einer Gesellschaft ist Her­ ausforderung und Chance zugleich. Um die positiven Potentiale aber auch abrufen zu können, müssen sich die unterschiedlichen Teile der Gesellschaft entfalten ­dürfen. Der Hintergrundtext erläutert, welche Schlüs­ selrolle der Bildungs- und Schulpolitik dabei zukommt. ­Sebastian Reißig von „Aktion Zivilcourage“ macht im Interview deutlich, wie man Gegnern der Vielfalt – Nazis und Rechtsextremen – mit Mut und Zivilcourage begeg­ nen kann. Die Reportage beleuchtet den speziellen An­ satz der Freudenberg Stiftung, die Menschen mit Zuwan­ derergeschichte von der Krabbelgruppe bis in den Beruf begleitet. Dass solche Hilfe ankommt, zeigt das Porträt des 19-jährigen Sami, der über den Sport seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat.

99

7 – Gesellschaftliche Vielfalt fördern und gestalten


H

Hintergrund

Für das Gemeinsame im Verschiedenen Das Bildungssystem muss auf Migration und Rechts­extremismus ­Antworten geben

100

Den Rahmen für die Integration zu setzen, obliegt der Politik – auf Bundesund Landesebene. Umgesetzt werden muss sie jedoch vor Ort, in den Kommu­ nen, in Kindertagesstätten und Schulen, an der Werkbank oder im (Sport-)Verein. Eine Schlüsselrolle, vielleicht die wichtigste, kommt dabei dem Bildungs­ system zu. Es muss zum einen Migranten­ kinder fördern und ihnen so zu gleichen Zukunftschancen verhelfen. Es muss zum anderen alle Kinder dazu erziehen, Vielfalt als Realität und Chance, nicht als Bedrohung anzunehmen. Beides muss gelingen, wenn Inte­ gration nachhaltigen Erfolg haben soll. Wenn die Gesellschaft die Wiederher­ stellung des Ganzen, im Wortsinn des lateinischen „integratio“, und nicht dem (Rechts-)Extremismus, dem Aus­ schließenden, folgen soll. Dazu braucht es ein Bildungssys­ tem, das allen Kindern und Jugendlichen die gleichen Chancen einräumt, ganz im Sinne von Bundeskanzlerin Angela ­Merkel, „weil wir auf kein einziges Talent, auf keinen Menschen in unserer Gesell­ schaft verzichten können“, wie sie auf dem internationalen Symposium „Integ­ ration durch Bildung“ erklärte.66

StiftungsReport 2008/09

Bisher aber verkümmern viele die­ ser Talente. Gerade weil die Politik sich all die Jahre weigerte, die Realität der Einwanderungsgesellschaft anzuerken­ nen. Die Folgen dieser Politik legen die PISA-Studien offen. Nicht einmal zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderer­hintergrund erreichen die allgemeine Hochschulreife. Dem­ gegenüber erreicht jeder vierte deut­ sche Jugendliche das Abitur. Nur sieben ­Prozent der deutschen Jugendlichen verlassen die Schule ohne Hauptschul­ abschluss. Unter Zuwanderern steht jeder Fünfte ohne Abschluss da. 67 „Migrantenkinder haben im deut­ schen Schulsystem die denkbar größten strukturellen Nachteile“, sagt der Politik­ professor und ehemalige niedersächsi­ sche Kultusminister Rolf Wernstedt.68 Für diese Misere ist ein Bildungs­ system verantwortlich, „das es nur in einem sehr geringen Maße schafft, familiäre Nachteile von Arbeiterkindern auszugleichen, Kindern mit anderer Fami­ liensprache schnell Deutsch beizubringen und Quereinsteiger zügig ins deutsche Bildungssystem zu integrieren“, so Karen Schönwälder vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.69 Diese Schwächen haben die Ge­ sellschaft wachgerüttelt. Inzwischen existieren in den Bereichen Integration und Bildung viele tausend Initiativen. Sie werden von Einzelpersonen gegründet, von Verbänden, Gewerkschaften und Unternehmen. Außerdem betätigen sich allein 3.000 der rund 15.000 Stiftungen in diesen Feldern. Indem sie Projekte finan­ ziell unterstützen oder selbst welche auf den Weg bringen. Gefördert werden vor allem Kinder und Jugendliche. Gleich­zeitig setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass Kin­ der am effektivsten lernen, wenn Mütter bzw. Eltern aktiv in den Bildungsprozess integriert werden. „Je größer der Abstand


zwischen Schule und Eltern, desto kleiner ist der Lernerfolg“, sagt Christian Petry von der Freudenberg-Stiftung. (siehe Reportage, Seite 111). Zahlreiche Stiftungen fördern deshalb Kinder und deren Eltern, zum Beispiel die Gölkel-, Hertie- und Herbert Quandt-Stiftung sowie die TürkischDeutsche Gesundheitsstiftung mit ihrem gemeinsamen Projekt „Frühstart“. Dafür braucht es aber auch Erzieherinnen und Erzieher, die über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten Bescheid wissen, die den Wert vieler Kulturen genauso ein­ ordnen können wie die Mehrsprachigkeit der Kinder. „Deshalb nimmt die Fortbil­ dung des Personals einen wichtigen Teil unseres Projektes ein“, sagt die Projekt­ leiterin Martina Schlegel. Parallel dazu unterstützen viele Stiftungen Kinder und Jugendliche durch Lesepatenschaften, Hausauf­ gabenhilfen oder Sprachkurse. Bei der Sprachför­derung kooperieren Stiftungen inzwischen nicht mehr nur mit Schulen, sondern auch mit Universitäten. So hat sich über die Jahre eine Förder­methode entwickelt, in der Studentinnen und Studenten Jungen und Mädchen in Hauptschulklassen in deren Freizeit un­ terrichten. Projekte dieser Art unterhal­ ten die Stiftung Mercator, die ZEIT- und die Freudenberg Stiftung. Durch diesen Förderunterricht profitieren beide. Die Teenager erfahren eine persönliche För­ derung, die Studentinnen und Studenten sammeln praktische Erfahrungen als künftige Pädagogen. Andere Stiftungen wiederum för­ dern hochbegabte Migrantenkinder. Bei­ spiele sind hier das von der Robert Bosch Stiftung entworfene Programm „Talente im Land“ und das START-Programm der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Sie fördern Schülerinnen und Schüler. Die Robert Bosch Stiftung und die Vodafone Stiftung wiederum ebnen Jugendlichen

den Übergang vom Abitur in die Hoch­ schule. Schließlich engagieren sich zahlreiche Stiftungen an der Schnittstelle zwischen Schule und Beruf.

Praktische Erfahrungen weisen der Politik den Weg Die Vielzahl der unterschiedlichen Projekte mit ihren spezifischen Ansätzen lässt einen genauen Überblick kaum zu. Das zuweilen „anarchische“ Durch­ einander von Projekten und Initiativen führt manchmal dazu, dass das Rad im­ mer wieder neu erfunden wird. Aus den zahlreichen in der Praxis gemachten Er­ fahrungen schälen sich doch andererseits erfolgreiche Programme heraus. „Sie sind für uns der praktische Erfahrungs­ hintergrund, um der Politik Vorschläge zu unterbreiten und zu versuchen, struk­ turverändernd zu wirken“, sagt Olaf Hahn, Leiter des Programmbereichs Ge­ sellschaft und Kultur in der Robert Bosch Stiftung. Es ist dann Aufgabe der Politik, die praktischen Erfahrungen auch im Bildungssystem zu verankern. Das gilt auch für die Förderung gesellschaftlicher und sozialer Kompetenz. Die Schule der Zukunft soll Kinder und Jugendliche mit sozialen Kompetenzen ausstatten, sie dazu befähigen, sich „mit gesellschafts­ politischen Veränderungsdynamiken und Konflikten in der Einwanderungs­ gesellschaft, mit Formen und Folgen von ­Diskriminierung, Ideologien und Feind­bildern auseinander zu setzen“, beschreibt die Bertelsmann Stiftung die Bedeutung der Bildung in der Einwande­ rungsgesellschaft.70 Die Schule der Zukunft muss in die Lage versetzt werden, (rechts)extremem Gedankengut die Möglichkeiten der Vielfalt entgegenzusetzen. Dass Schu­ len und Kommunen dazu in der Lage sind, beweisen täglich Bürgerinnen und

7 – Gesellschaftliche Vielfalt fördern und gestalten

101


Im Verein ist Sport am schönsten. In der Stiftung auch.

3

Gesellschaftlicher Zusammenhalt durch Sport, Teil I 71 – 85

102

• Sportvereine in Deutschland:________________________________________ 91.091 • Einzelmitgliedschaften im deutschen Sport, in Millionen:__________________ 27,3 • Geschätzter Sanierungsbedarf für Sportstätten nach einer Mitteilung des Deutschen Sportbundes aus dem Jahr 2005, in Milliarden Euro:_______________42 • Geschätzte Kosten für eine Kiezsporthalle auf dem geplanten Rütli-Campus in ­Berlin Neukölln, in Millionen Euro:_ _____________________________________ 3,8 • Mitgliedschaften von Jungen bis 18 Jahren in Sportvereinen, in Millionen:_ ____ 4,5 • Mitgliedschaften von Mädchen bis 18 Jahren in Sportvereinen, in Millionen:_ __ 3,2 • Kinder und Jugendliche in Deutschland, die laut einer Studie der International ­A ssociation for the Study of Obesity (IASO) zu dick sind, in Millionen:___________2 • Berliner Schulen, die 2006 mit je einer Spieltonne „fit-4-future“ der Cleven-BeckerStiftung ausgestattet wurden:___________________________________________50 • Migranten, die im Bereich „Sport und Bewegung“ aktiv sind, in Prozent:_______35 • Nicht-Migranten, die im Bereich „Sport und Bewegung“ aktiv sind, in Prozent:__41 • Migranten, die sich im Bereich „Sport und Bewegung“ freiwillig engagieren, in Prozent:_ ___________________________________________________________ 6,5 • Nicht-Migranten, die sich im Bereich „Sport und Bewegung“ freiwillig engagieren, in Prozent:_ ________________________________________________________ 11,5 • Männer mit Migrationshintergrund, die sich im Bereich „Sport und Bewegung“ freiwillig engagieren, in Prozent:_______________________________________ 9,5 • Frauen mit Migrationshintergrund, die sich im Bereich „Sport und Bewegung“ frei­ willig engagieren, in Prozent:__________________________________________ 4,5 • Spielerinnen in der Mädchen-Streetsoccer-Liga der BürgerStiftung Hamburg:___70 • Anteil im Sport freiwillig tätiger Menschen, für die es „außerordentlich wichtig“ ist, anderen Menschen durch ihr Engagement zu helfen, in Prozent:_ ___________ 35,8 • Fußballerinnen und Fußballer mit Handicap, die im September 2007 am Endturnier des von der Sepp Herberger-Stiftung des Deutschen Fußball-Bundes, der Bundes­ arbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V., dem Deutschen Behindertensportverband und Special Olympics veranstalteten Endturnier im „Bundeswettbewerb Fußball“ der Werkstätten für behinderte Menschen teilgenom­ men haben:_ ___________________________________________________ über 200 • Sportvereine, die sich besonders für die Integrationsarbeit engagieren und des­ halb als Stützpunktvereine durch das Programm „Integration durch Sport“ des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), gefördert werden:_ ___________470 • Anteil im Sport freiwillig tätiger Menschen, die bis zu 5 Stunden in der Woche für diese Tätigkeit aufwenden, in Prozent:____________________________________71 • Zeit, die 16- bis 24-Jährige durchschnittlich pro Woche ins Netz gehen, in Stunden: ___________________________________________________________________ 13,8 • Freiwillig Tätige im Sport, die sich von Verbänden und Vereinen die Bereitstellung von Finanzmitteln für bestimmte Projekte wünschen, in Prozent:____________ 64,1 • Betrag, den die Sepp Herberger-Stiftung des Deutschen Fußball-Bundes seit ihrem Bestehen für soziale Projekte und Maßnahmen im Fußball zur Verfügung gestellt hat, in Euro:_ _________________________________________________ 15.000.000

StiftungsReport 2008/09


• Stiftungen in der Datenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, die „Sport“ als einen ihrer Stiftungszwecke angeben:__________________ über 1.000 • Fördernde Stiftungen in der Datenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftun­ gen, die „Sport“ in ihren Aktivitäten angeben:_ ___________________________137 • Betrag, mit dem die Stiftung Deutsche Sporthilfe seit 1967 rund 40.000 junge ­Talente und Athleten täglich unterstützt hat, in Euro:____________________ 33.000 • Zeitraum, in dem die Repräsentanten der Sepp Herberger-Stiftung Fritz Walter, Uwe Seeler, Horst Eckel und Helmut Haller unzählige Kontaktbesuche zur Resoziali­ sierung von Strafgefangenen in Haftanstalten gemacht haben, in Jahren:______31 • Stiftungsvertreter, die in der Arbeitsgruppe „Integration durch Sport“ zum Natio­ nalen Integrationsplan mitgewirkt haben:__________________________________0 • Zeit, die 16- bis 24-Jährige durchschnittlich pro Woche fernsehen, in Stunden:__ 13,5 • Summe, die die DFB-Stiftung Egidius Braun jährlich für Fußball-Ferien-Freizeiten zur Stärkung eines aktiven statt konsumorientierten Freizeitverhaltens Jugend­ licher zur Verfügung stellt, in Euro:__________________________________750.000 • Vereine, die seit 2001 an den Fußball-Ferien-Freizeiten der DFB-Stiftung Egidius Braun teilnehmen:____________________________________________________121 Hauptsächlich verwendete Quellen: DOSB (2006): Integration durch Sport, DOSB (2007): Bestandserhebung 2007, BMFSFJ (2005): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004.

­ ürger im sächsischen Pirna. „Wir haben B den Aufstand der Anständigen und den Anstand der Zuständigen“, sagt der Ge­ schäftsführer der Aktion Zivilcourage, Sebastian Reißig. In Pirna kooperieren Polizei und Zivilgesellschaft, die Wirt­ schaft und Schulen. Das Ergebnis: „Wo Zivilgesellschaft sich aufstellt, verdrängt sie die Nazis“, so Reißig (siehe Interview Seite 108). Menschen werden immer wieder Opfer rechtsextremer Gewalttaten. Aller­ dings sind die Zahlen 2007 offenbar leicht zurückgegangen. 86 Gleichzeitig sei das rechte Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft angekommen, warnt die Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihren Umfragen zufolge stimmen 40 Prozent der Bevölke­ rung der Aussage zu, dass die Bundes­ republik „durch viele Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet“ sei. 87 Die langjährige Tabuisierung der Einwanderung in Deutschland durch die Politik und ein populistisches Fischen am rechten Rand mit Parolen wie „Das

Boot ist voll“, hat hierzu beigetragen. Nun fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Doppelstrategie gegen den Rechts­ extremismus, die einerseits auf eine langfristig wirkende Prävention setze und andererseits die demokratische Kultur vor Ort stärke.88 Beides auch Aufgaben für das Bildungssystem. Wie ein solcher präventiver Ansatz aussehen kann, das hat die Bertelsmann Stiftung zusammen mit dem Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) an der Ludwig-Maximilians-Universität in München entwickelt. „Es reicht nicht aus, auf zugespitzte und spektakuläre Erscheinungsformen, etwa rechtsextreme Cliquenbildung und explizite rassistische Äußerungen zu reagieren“, heißt es in der Studie.89 Dazu ist ein Schulsystem nötig, das die Auseinandersetzung mit menschen­ rechtlichen Prinzipien betreibt und dabei „Aspekte der Menschenrechtspädagogik, der antirassistischen Pädagogik, der interkulturellen Pädagogik, der Diversity-

7 – Gesellschaftliche Vielfalt fördern und gestalten

103


Ein Projekt macht Schule Vor sechs Jahren hat die Gemein­ nützige Hertie-Stiftung START ins Leben gerufen (www.start-stiftung.de), ein Stipendienprogramm für begabte und engagierte Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund der Klas­ senstufen 8 bis 13. Das Projekt ist als „Investition in Köpfe“ gedacht, damit mehr begabte Zuwanderer das Abitur ablegen. Über 90 Partner, darunter Stiftungen, Unternehmen, Clubs und Einzelpersonen, fördern mittlerweile fast 500 Stipendiatinnen und Stipendiaten in vierzehn Bundesländern. Allein in Berlin kommen die 27 Geförderten aus 15 verschiedenen Nationen. Das durch­ schnittliche Fördervolumen des STARTProgramms ist auf über 2,3 Millionen Euro im Schuljahr 2007/2008 angewach­ sen. Jedes Stipendium wird zunächst für ein Jahr vergeben und umfasst ein monatliches Bildungsgeld von 100 Euro, einen Computer mit Internetanschluss und eine ideelle Förderung in Form von Beratungsangeboten und Bildungsse­ minaren. Damit START sich noch weiter ausbreiten kann, hat die Gemeinnützige Hertie-Stiftung 2007 die START-Stiftung gGmbH als Tochtergesellschaft gegrün­ det. Überhaupt kennt das erfolgreiche Modell keine Grenzen: START gibt es seit September 2006 auch in Wien, Träger ist dort die Crespo ­Foundation. Die STARTStiftung gibt dort das Konzept und die Standards für START in Wien vor. Im März 2008 konnten in der Donaumetropole noch einmal 21 weitere Stipendien verge­ ben werden.

Entwicklung der Stipendiaten- und ­Alumnizahlen im START-Programm seit 2002 sowie Anstieg des Fördervolumens in Millionen Euro. Quelle: START-Stiftung 2008, eigene Darstellung

Stipendiaten Alumni Durchschnittliches Fördervolumen Anzahl

Euro 2.500.000

500 450

2.000.000

400 350

1.500.000

300 250

1.000.000

200 150 100

500.000

50 0

SJ SJ SJ 02/ 03/ 04/ 03 04 05

SJ SJ SJ 05/ 06/ 07/ 06 07 08

0

Förderpartner von START in vierzehn Bun­ desländern, aktuelle Zahl der Stipendia­ tinnen und Stipendiaten (Karte) sowie Ein­ trittszeitpunkt der Stiftungen, Unterneh­ men, kommunalen und sonstigen Partner (Zeitstrahl). Die Liste der Förderpartner ist auf Seite 106 zusammengestellt. Quelle: START-Stiftung 2008, eigene Darstellung

104 90 48 90 44 44

7

33 30

J FMAM J J A SOND J FMAM J J A SOND J FM

2002

StiftungsReport 2008/09

2003

2004


25 29 36 44

Bremen 42 5

64 72

6

19 20 39 44 45 47

SchleswigHolstein 24 Hamburg 31 Mecklenburg1 4 Vorpommern 14 32 50 102 111

70 84 106 18

8 8 9 10 11 13 14 15 16 24 26 27 44 58 65 76 78 86 87 89 89 91 Hessen 92 93 93 94

84

7 28 42 83

44 60 69 99 112

RheinlandPfalz 21

18 22 23 30 33 34 44 48

Berlin 27

44 55 105

67 68 46 97 101 102 104

NordrheinWestfalen 123

94 98 102 107

95 44 77 82 99 102

Nieder­ sachsen 35 37 44 52

12 13 27 96 96 78 80 86 109 91 92

41 44 63 75 102 24

40 44 51

Stiftungen Unternehmen Kommunale Partner Clubs Weitere Partner

Brandenburg 5

SachsenAnhalt 9

41 44 61 74 57 90 90 Sachsen 29 105 44 54 54 55 56 56

100 44 57 105 110

Thüringen 11

88

102 103

2 44 62 66 73 85

Bayern

Saarland 14 BadenWürttemberg 93

111 107

93 92

56

44

95 32 27 81 27 85 24 73

44 96 96 24 8 103

39

13 62 13 44 12 34 9 88 4 22

18

56 55 54 54

8 18

57 44

Wien 31

102 102 101 97 77

78 78 76 58 44

86 86 82 65

71 79 108

104

94 94 91 91

92 89 89

53

2 3 17 21 31 35 38 43 44 49 59

110 106 105

105 102 102 75 74 63 61

68 67 57 52 45

79 71 59 49

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55 44

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29 60

44 44 41

26 83 20 44 19 21

1 2 99 25 44

41

72 64 63 44 105

112 69 6 17 102 11 36 66

43 38 102 35 84 31 70 3 47 2 5 37

87 80 46 15 109 14 50 98 10 16

AM J J A SOND J FMAM J J A SOND J FMAM J J A SOND J FMAM J J A SOND J FMAM J J A SOND

2005

2006

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1 Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., ehemaliger Partner 2 ASKO EUROPA-STIFTUNG 3 Axel und Petra May 4 Bankhaus Wölbern Stiftung 5 BEGO Bremer Goldschlägerei 6 Beluga Shipping GmbH 7 Bertha Heraeus und Kathinka Platzhoff Stiftung 8 Bielefelder Bürgerstiftung 9 Bildungs- und Erziehungsstif­ tung der Herner Sparkasse 10 Blumberg-Stiftung 11 Bürgerstiftung Düsseldorf 12 Bürgerstiftung Lebensraum Aachen 13 Bürgerstiftung Remscheid 14 Bürgerstiftung Rheda­Wiedenbrück 15 Bürgerstiftung Siegen 16 Bürgerstiftung West­ münsterland 17 Bundesministerium für ­Unterricht, Kunst und Kultur Österreich 18 Carls Stiftung 19 Cordes & Graefe Bremen KG 20 Cornelia von Ilsemann, ehe­ maliger Partner 21 Crespo Foundation 22 Deininger Unternehmensbera­ tung GmbH 23 Deutsche Bank AG, ehemaliger Partner 24 Deutsche Bank Stiftung 25 Deutsche Bank Stiftung – Stif­ tung Handelsbank in Lübeck 26 Deutsche Post World Net AG 27 Die vier Remscheider ­Gymnasien 28 Die Wiesbaden Stiftung, ehemaliger Partner 29 Dräger-Stiftung 30 Dr. Bernhard und Ursula Wunderlin 31 Dr. Leo Specht 32 Dürr-Stiftung Hamburg 33 Edmund Vey-Stiftung in ­Verwaltung der Frankfurter Sparkasse 1822 34 Elisabeth, Boris, Patrick, Brigitte und Jochen Sauerborn 35 EPIC 36 Fielmann AG 37 Sparkassen in N ­ iedersachsen aus Mitteln der Lotterie Sparen + Gewinnen 38 Fonds der Wiener Kaufmann­ schaft

StiftungsReport 2008/09

39 Freie Hansestadt Bremen – Der Senator für ­Bildung und Wissen­ schaft 40 Freie Hansestadt Hamburg – Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft 41 Freudenberg Stiftung 42 Freundeskreis der Hertie­Stiftung (einm. Spendenaktion) 43 Gabriela und Burkhard ­Gantenbein 44 Gemeinnützige Hertie-Stiftung 45 Gunilla Hollweg 46 Hannover-Stiftung – Stiftung der Sparkasse Hannover 47 Heinrich Engelken 48 Hessisches Kultusministerium 49 Industriellenvereinigung 50 Jürgen Sengpiel Stiftung 51 J. und E. Frauendorfer-Förder­ stiftung 52 Klosterkammer Hannover 53 Kreis Offenbach 54 Kulturstiftung der Dresdner Bank 55 Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt 56 Landeshauptstadt Dresden 57 Marga und Kurt MöllgaardStiftung im Stifter­verband für die Deutsche Wissenschaft 58 Marianne und Emil LuxStiftung 59 Michael Satke 60 Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend des Landes Rheinland-Pfalz 61 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 62 Ministerium für Bildung, Familie, Frauen und Kultur des Saarlandes 63 Ministerium für Bildung, Wis­ senschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern 64 Ministerium für Bildung und Frauen des Landes SchleswigHolstein 65 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nord­ rhein-Westfalen 66 MTG Lager & Logistik GmbH 67 Niedersächsisches Kultus­ ministerium 68 Niedersächsische Sparkassen­ stiftung 69 Nikolaus Koch Stiftung 70 OHB-System AG

71 OMV AG 72 Possehl-Stiftung 73 Praktiker Bau- und Heim­

werkermärkte AG 74 RAA Brandenburg 75 RAA Mecklenburg-Vorpommern 76 Ria-Fresen-Stiftung 77 Rotary Club Berlin­Gendarmenmarkt 78 Rotary Club Remscheid 79 Rotary Club Wien-West 80 RWE Aktiengesellschaft 81 Sächsisches Staatsministerium für Kultus 82 Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin 83 Sonnenstrahl Kinderfonds Stiftung 84 Sparkasse Bremen 85 Sparkasse Merzig-Wadern 86 Stadt Bielefeld 87 Stadt Essen 88 Stadt Frankfurt am Main – Dezernat für Soziales, Senioren, Jugend und Sport 89 Stadt Gütersloh 90 Stadt Leipzig 91 Stadt Remscheid 92 Stadt Stiftung Gütersloh – Die Bürgerstiftung 93 Stadt Wuppertal 94 Stiftung Bürger für Münster 95 Stiftung „Erinnerung, ­Verantwortung und Zukunft“ 96 Stiftungsgemeinschaft ­anstiftung & ertomis 97 Stiftung Niedersachsen 98 Stiftung Standortsicherung Lippe 99 The Goldman Sachs Foundation 100 Thüringer Kultusminsterium 101 TUI Stiftung 102 UBS Optimus Foundation Deutschland 103 Union International Club 104 VGH-Stiftung 105 Vodafone Stiftung ­Deutschland 106 Werner Willker, ehemaliger Partner 107 WestLB-Stiftung Zukunft NRW 108 Wirtschaftskammer Wien 109 Wolfgang-Hamann-Stiftung 110 WWK-Kinderstiftung 111 ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius 112 Zonta Club Koblenz RheinMosel


Pädagogik und des historisch-politischen Lernens verknüpft“, rät die Bertelsmann Stiftung.90

Dreigliedriges Schulsystem behindert Integration Im Gegensatz zu Deutschland be­ handeln Großbritannien, Kanada oder die USA Diskriminierung und Rassismus nicht als Ausnahmephänomen, „son­ dern als zentrale Herausforderungen für das Bildungssystem und die schulische Päda­gogik“.91 Diese reagieren darauf mit ausgearbeiteten Lehrplänen, die nicht die Unterschiede zwischen Ethnien, Kulturen, Religionen und Geschlechtern als Ursache von Integrationsproblemen postulieren, sondern die gleichen Rechte aller betonen. Das dreigliedrige, auf Trennung basierende Schulsystem in Deutschland wirkt allen integrativen Bemühungen entgegen. „Die Erfahrung eines gleich­ berechtigten Zusammenlebens von ­Individuen mit unterschiedlichen ­sozialen und biografischen Hinter­gründen, ­Fähigkeiten, Lebensentwürfen und Iden­ tifikationen wird dadurch erschwert, dass Schülerpopulationen asymmetrisch auf unterschiedliche Schultypen verteilt werden.“ 92 Die Studie der Bertelsmann Stiftung nennt ein ganzes Bündel von möglichen Schritten. Diskriminierung muss Thema sein. Diskussionen müssen stattfinden können, Beschwerdemöglichkeiten eingerichtet werden. Es braucht mehr Migrantinnen und Migranten in der Leh­ rerschaft. Vor allem muss die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern verändert, dialogfähige Pädagogikkonzepte ein­ geführt werden. Gefragt ist also eine Pädagogik, die allen Formen von Diskriminierungen zu begegnen in der Lage ist. Sei es Diskri­ minierung gegenüber Migranten, sei es

Diskriminierung aufgrund der Religion, des Geschlechts oder der sexuellen ­Orientierung. Erfahrungen, wie es ist, andere herabzusetzen oder Opfer von Diskri­ minierung zu sein, macht jeder Mensch. Das bedeutet freilich nicht, dass der Homo sapiens – wie es Hans Magnus Enzensberger in seinem Buch „Die große Wanderung“ etwas kulturpessimistisch suggeriert – dem Treiben willenlos aus­ gesetzt wäre.93 Es gibt Methoden, wie die der „vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung“ (siehe Interview Seite 148), die bereits im Kindergarten ansetzt und dort Jungen wie Mädchen gegenüber Diskriminierungen sensibilisiert. Dabei erleben Kinder die Vielfalt verschie­ dener Lebenswelten und finden darin Gemeinsames. Nur aus beidem – den Unterschieden wie den Gemeinsamkei­ ten – wird ein Ganzes.

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I

Interview

„Wir haben den Aufstand der ­Anständigen und den Anstand der ­Zuständigen“ Sebastian Reißig

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Foto: Aktion Zivilcourage

Sebastian Reißig ist einer von zwei Geschäftsführern der Aktion Zivilcourage e.V. in Pirna in der sächsischen Schweiz. Zusammen mit mehreren Jugendlichen und jungen Erwachsenen entschied sich Reißig Ende der 90er Jahre, nicht vor den Skinheads Sächsische Schweiz und den hohen NPD-Wahlerfolgen zu flüchten, sondern sich den Nazis entgegenzustel­ len. Die Aktion Zivilcourage wird unter an­ derem von der Amadeu Antonio ­Stiftung, der Sächsischen Jugendstiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt.

StiftungsReport 2008/09

Herr Reißig, wie lebt es sich in einer „national befreiten Zone“? Das sehe ich nicht so, zumindest ist es hier in Pirna nicht mehr so. Wer diesen Begriff benutzt, benutzt Naziterminologie und hat ihnen dann auch das Feld über­ lassen. Für mich wäre so etwas ein Ort, wo sich niemand anderes mehr hintraut und die Nazis die volle Weisungsfreiheit über Recht und Unrecht haben. Das ist hier nicht so. Pirna ist die zentrale Stadt der Sächsischen Schweiz, macht seit Jahren Schlagzeilen mit den mittlerweile verbo­ tenen Skinheads Sächsische Schweiz und rechtsextremem Denken bis in weite Teile der Bevölkerung. Menschen ohne weiße Hautfarbe müssen hier Angst haben, manchmal sogar um ihr Leben. Sicherlich, es gibt auch in der Sächsi­ schen Schweiz Orte, wo ich als Mensch mit einer anderen Optik, und da kann ein alternatives Outfit reichen, nicht hinge­ hen kann. Die NPD erzielt zwar immer noch überdurchschnittliche fünfzehn Prozent bei den Wahlen in Pirna, aber es gibt hier inzwischen Menschen, die sich für Toleranz und Demokratie engagieren. Wir haben den Aufstand der Anständigen und den Anstand der Zuständigen. Zum Beispiel einen Bürgermeister und einen Landrat, die eindeutig benennen, dass die Sächsische Schweiz ein großes Problem mit Rechtsextremismus hat. Die Polizei ist verständig, sie klärt auf, und die Presse recherchiert hintergründig und berich­ tet nicht nur von besonders eklatanten Überfällen. Wir haben – meines Erachtens – die in Sachsen am besten funktionieren­ de Vernetzung der verschiedenen Institu­ tionen und Initiativen miteinander. Im Nachbarort Liebstadt lebt ein in Mozambique geborener, inzwischen eingebürgerter Schwarzer mit seiner Familie. Die Familie wurde bis vor kurzem regelmäßig in ihrem Haus überfallen. Wir haben massive Probleme mit Nazis und mit Rassismus, keine Frage.


Aber auch dieses Beispiel zeigt: Wo sich Zivilgesellschaft aufstellt, verdrängt sie Nazis. In Liebstadt gibt es jetzt endlich einen Runden Tisch, Menschen aus dem Dorf zeigen Solidarität. Man muss die lokalen Akteure, die Freiwillige Feuer­ wehr, den Sportverein, die Parteien ein­ binden. Das kostet Zeit und Engagement. Nazis und Rassismus verschwinden nicht von heute auf morgen. Das ändert man nur in kleinen Schritten, mit Kontinuität und einem breiten Engagement. Das ist ­Sysiphosarbeit. Und leider auch keine Ga­ rantie dafür, dass die Familie in Liebstadt nicht wieder Probleme bekommt. Wir lesen immer wieder von haar­ sträubenden rassistischen Überfällen, von Dorffesten, auf denen Inder fast ge­ lyncht werden. Und das alles in Sachsen. Jedes halbe Jahr gibt es wieder einen Vor­ fall, der breit durch die Medien getragen wird. Das passiert aber nicht jedes halbe Jahr, sondern ist Alltag. Was mich dabei wirklich ärgert, ist die Hysterie, mit der Medien, Politik und Gesellschaft darauf reagieren. Medien sollten kontinuierlich, aber sachlich berichten, sie müssen aufklären. Dann nimmt man den Nazis auch die Schlagzeilen, die sie wollen. Und Politiker sollten endlich aufhören, nach jedem Vorfall wieder ein NPD-Verbot zu fordern. Damit wertet man die NPD auf und in der Bevölkerung bleibt jedes Mal hängen, dass es ja so schwierig sei, et­ was gegen die NPD zu unternehmen. Die großen demokratischen Parteien sollten sich doch einig sein, was man gegen NPD und Rechtsextremismus machen will. Das ist kein Feld für Parteiengezänk. Folgt man dem Medienbild, wird nichts besser. Inzwischen sitzen NPD und DVU in drei von fünf ostdeutschen Landtagen. Es gibt auch gegenläufige Trends. In Pirna gab es im letzten Jahr noch 20 rechts­ extremistische Übergriffe. 2007 waren es nur noch drei. Das heißt, bei uns hat es sich geändert. Es macht eben was aus, ob

die Polizei schnell handelt oder das Bild des Nazi-Täters auch in der Lokalzeitung erscheint. Wie haben Sie es denn in Pirna ­geschafft? Das Wichtigste war, das Problem vor Ort deutlich anzusprechen und die Menschen ins Boot zu holen. Wir haben uns Ende der Neunziger mit einem halben Dutzend junger Leute im Alter um die 20 Jahre ge­ sagt, wir wollen nicht in den Westen ge­ hen und vor den Nazis fliehen. Wir haben uns zum Bleiben entschlossen und das möglichst angstfrei. Daraus wurde die Aktion Zivilcourage mit heute zwei haupt­ amtlichen Mitarbeitern und zwei jungen Leuten, die ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren. Wir haben lange dicke Bret­ ter bohren müssen, aber heute stehen nicht nur die Stadt oder die Schulen hinter uns, sondern auch die lokale Wirtschaft. Wir setzen dem menschenverachtenden Weltbild der Nazis ein demokratisches, ein multikulturelles Weltbild entgegen. Wir machen viel Vernetzungsarbeit, wir organisieren Konzerte und Ausstellungen, wir gehen an Schulen oder organisieren Sommercamps. Das hört sich nach Grundkurs in Sachen Zivilgesellschaft an. Ja, das ist es auch. In der DDR gab es keine Zivilgesellschaft, die müssen wir im Osten erst schaffen. Uns geht es nicht darum, nur gegen Nazis zu sein. Es wäre auch falsch, sein Leben an anderen auszurichten. Wir wollen etwas Eigenes schaffen, eine eigene funktionierende Gemeinschaft. Und damit kriegen wir auch wieder die jungen Leute, die sonst vielleicht zu den Nazis gehen oder in den Westen. Zu unseren Konzerten, die wir zwei Mal im Monat organisieren, kommen zwischen vierhundert und fünfhundert junge Leute, zu den Konzerten der Nazis vielleicht hundert. Das heißt, wir sind für Jugendliche wieder viel attraktiver als die es sind. Wir prägen heute die Jugendkul­ tur. Natürlich hängen da auch Plakate ge­ 7 – Gesellschaftliche Vielfalt fördern und gestalten

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gen Rassismus. Aber Konzerte nur gegen etwas finden wir nicht den richtigen Weg. Besser ist es, gute Konzerte mit einem bunten Multikulti-Angebot zu haben und es selbstverständlich zu finden. Sie machen also das, was die Nazis vorher gemacht haben: Sie schaffen ­Angebote für die Jugend. Man sollte das nicht unterschätzen, was die auf die Beine stellen. Aber eben auch nicht überschätzen. Die haben immer so getan, als wenn alle jungen Leute bei ih­ nen wären. Das war aber oft nicht so und meistens hängt das bei denen auch stark von einzelnen Personen ab. Seit die NPD im Landtag vertreten ist, ist ihr Engage­ ment hier vor Ort nicht mehr so stark. Da sind viele mitgegangen. Geht es denn in erster Linie um ­junge Menschen? Nein, das Problem ist eine generelle Ab­ lehnung von Demokratie. Es gibt immer noch viele Menschen hier, die haben die gefühlte Wahrnehmung, es geht ihnen heute schlechter als vor der Wiederver­ einigung. Das überträgt sich dann auf die Kinder: Junge Leute lernen manchmal schon am Abendbrottisch zu Hause, die vielen Ausländer seien Schuld. Dabei leben hier gerade mal zwei Prozent, die keinen rein-deutschen Hintergrund ha­ ben. Das heißt für uns, wir müssen Demo­ kratie lernen. Wir trainieren das jede Woche bei unserem Aktiventreffen der Aktion Zivilcourage. Da wird demokra­ tisch entschieden, wie der nächste Flyer aussieht oder die Internetseite oder die nächste Party. Das eine ist, Demokratie zu lernen. Was sicherlich auch dazu gehört, ist eine konsequente Verfolgung der Tä­ ter. Da haben wir in den letzten Jahren viel Negatives gelesen. Bürgermeister sagen meist, so etwas gibt es bei uns nicht, und die Polizei will nicht genau hinschauen. Es hat auch bei uns lange gedauert, bis wir ein entspanntes Verhältnis mit der StiftungsReport 2008/09

­ olizei hatten. Da gab es auf beiden P Seiten Vorbehalte gegen die andere Seite. Heute ist es so, dass die Polizei schnell und konsequent handelt und wir inzwischen auch sehr gut zusammen­ arbeiten. Das hat sicherlich auch mit einem Generationenwechsel in der Polizei zu tun. Einmal im Monat haben wir einen Runden Tisch, an dem alle teilnehmen: die Kirchen, die Stadtverwaltung und der Extremismus-Beauftragte der Stadt ­Pirna, die Sportvereine, der Jugendring, wir als Aktion Zivilcourage, aber eben auch Vertreter der Polizei und auch vom Landesamt für Verfassungsschutz. Da sitzen Zivilgesellschaft und Verwaltung gemeinsam an einem Tisch, das sind im­ mer gut 20 Leute, die miteinander reden und Konzepte entwickeln. Letzte Frage: Als ehrenamtlicher Verein ist es mit dem Geld meistens nicht so einfach. Wie finanziert sich die Aktion Zivilcourage? Wir haben einen Etat von knapp 100.000 Euro, den wir jedes Jahr neu zusammen­ stückeln müssen, hier ein paar Spenden, dort ein Preis oder eine Stiftung, die uns unterstützt. Die Stadt Pirna und das Land zahlen einen erheblichen Teil. Eigentlich wissen wir im Vorjahr nie, wie wir das nächste Jahr finanziell schaffen. Ich glau­ be, was wir hier machen, ist nicht nur der Kampf gegen Rechts. Es ist eine Inves­ tition in Infrastruktur. Es ist eben auch eine Frage, was einer Gesellschaft die Demokratie wert ist. Wo es keine demo­ kratischen Strukturen gibt, muss man sie neu aufbauen. Das dauert und ist nicht innerhalb eines Jahres zu schaffen. Wenn man es nicht tut, stürzen sich die, die die Demokratie verachten, in die Lücke. Bei uns waren es die Nazis.


R

Reportage

Rolltreppe aufwärts

Die Freudenberg-Stiftung ­begleitet Migrantenkinder von der Wiege bis zum ­Einstieg ins Berufsleben

Foto: Michael Netzhammer

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StiftungsReport 2008/09

Foto: Michael Netzhammer

Kinderzeichnungen hängen an den Wänden, in der Ecke stapelt sich Spiel­ zeug, in der Mitte des Raumes steht ein Tisch. Daran sitzen ein halbes Dutzend Mütter, das Kopftuch fest geknüpft, ihre Kleinen auf dem Schoß. „Zehn kleine ­Zappelkinder zappeln hin und her, zehn kleine Zappelkinder mögen dies so sehr“, singen sie auf Deutsch. Dann stimmen die Mütter einen türkischen Refrain an und begrüßen jedes Kind am Tisch. Morgendliche Vorstellungsrunde im Mehrgenerationenhaus in Weinheim, der Stadt an der Bergstraße, die mit ­malerischen Gassen, Fachwerkhäusern und rustikalen Restaurants scharenweise Touristen anlockt. Nach Weinheim-West hingegen fährt nur, wer hier wohnt. Die meisten Bewoh­ ner arbeiten in den Fabriken der Metro­ polregion Mannheim, viele sind nach Deutschland eingewandert. Halime Et ist eine von ihnen. In Deutschland lebt sie seit über vier Jahren. Nach der Heirat holte sie ihr Mann aus der Türkei nach Deutschland. Seitdem wohnt sie in einer der Mietskasernen auf der anderen Seite der Straße. Während ihre Tochter an einem Ring lutscht, unterhält sie sich mit den anderen Müttern – auf Türkisch. Es geht darum, wie sie ihre Kin­ der am besten auf die Zukunft vorbereiten können. Eine Zukunft, die Halime Et Angst macht, weil sie kaum Deutsch spricht, das Schulsystem nicht kennt und deshalb glaubt, sie könne ihrer Tochter auf ihrem Weg nicht helfen. Gülsüm Kurnaz nickt. Die Mutter von fünf Kindern weiß, wie die junge Frau sich fühlt. So stand sie auch einmal da. Des­ halb begegnet sie ihrer Furcht, bestärkt die Frauen darin, mit ihren Kindern in der Muttersprache zu reden und ihnen von der türkischen Kultur zu erzählen. „Je mehr ihr mit euren Kindern Türkisch sprecht, desto mehr werden sie die Liebe für beide Spra­ chen entdecken“, erzählt Gülsüm Kurnaz.

Ein Dutzend Frauen begleitet ­ ülsüm Kurnaz im Rahmen von „Griffbe­ G reit“. Es ist eines von sieben Projekten unter dem Dach von „Integration Cen­ tral“. Dieses Programm ist Teil der „Wein­ heimer Initiative“ – initiiert von der Stadt Weinheim zusammen mit der Freuden­ berg-Stiftung, um benachteiligte Kinder und Jugendliche mit Migrationshinter­ grund gezielt zu fördern. Diese Unter­ stützung beginnt in der Krabbelgruppe, wird in Kindertageseinrichtungen, Grund­ schule und Hauptschule fortgesetzt, um dann den Jugendlichen mit dem Pro­ gramm „Job Central“ einen Zugang in den Arbeitsmarkt zu bahnen. „Neu daran sind nicht die einzelnen Methoden, sondern der darüber liegende biographiebegleitende Ansatz“, sagt Christian Petry. Der Geschäftsführer der Freudenberg-Stiftung sitzt einen Stein­ wurf von der alten Stadtmauer weg, in einem unscheinbaren, wenig repräsenta­ tiven Haus. Das Erscheinungsbild scheint der Stiftung nicht so wichtig, nicht so sehr wie ihre Projekte jedenfalls. Von seinem Platz aus blickt Christian Petry auf das neue Weinheim, eine von zigtausend Städten, in denen es Kinder mit Zuwanderergeschichte schwerer als deutsche Jugendliche haben. Einen Grund dafür sieht er in der aufgeteilten Verant­ wortung. „Manchmal sind 24 Stellen in die Förderung eines Kindes involviert. Jede hat ihre Zuständigkeiten. Was fehlt, ist, gemeinsam Verantwortung zu über­


nehmen“, sagt Petry. Diese gemeinsame Verantwortlichkeit will er schaffen, zu­ sammen mit der Stadt Weinheim. Wer Kinder effizient fördern will, der muss auch auf die Eltern fokussieren und den Abstand zu Ämtern und Einrichtun­ gen reduzieren. „Je größer die Entfernung zwischen Schule und Eltern, desto kleiner ist der Lernerfolg“, sagt Christian Petry. Diese Distanz zu überwinden, ist Aufgabe von Gülsüm Kurnaz. Keine ist dafür besser geeignet, als die Frau mit dem breiten Lächeln und dem Tuch auf ihrem Haar. Als Migrantin weiß sie, mit welchen Problemen Menschen mit Zu­ wandererhintergrund zu kämpfen haben, wo Scham und Minderwertigkeitsgefühle eine besondere Ansprache brauchen. Und viel Geduld. Gülsüm Kurnaz ist inzwischen eine von neun Begleiterinnen von Integration Central. Zusammen betreuen sie über 100 Eltern sowie deren Kinder. Für ihre Aufgabe werden sie intensiv geschult und auch bezahlt. Die Materialien hat die Freudenberg-Stiftung entwickelt. Sie erlauben, dass Eltern und Kinder gemein­ sam wachsen können. „Wenn die Kinder in der Kindertagesstätte sich mit Blumen beschäftigen, mache ich das mit meinen Müttern auch“, erzählt Kurnaz. Zuhause können dann beide voneinander und miteinander lernen.

Die Frauen entwickeln ­Selbstvertrauen und Stolz auf ihre Kultur „Es gibt keine effektivere Methode; das haben Studien inzwischen bewie­ sen“, sagt Khadija Huber von Integration Central. Deshalb geht es auch nicht nur um Sprachförderung allein. Gerade türki­ sche Frauen leben häufig sehr zurückge­ zogen und isoliert. „Sie ins Alltagsleben zu holen, in die Gemeinschaft anderer Mütter, das kann Wunder bewirken“, erklärt die 36-Jährige Mutter von zwei

Kindern. Hier können sie über Familien­ probleme reden, erfahren Hilfe beim Gang zu Ämtern und Ärzten und lernen auch eigene Ziele zu formulieren. „Viele Frauen entwickeln über die Jahre Selbstvertrauen und einen Stolz auf ihre eigene Kultur“, sagt Khadija Huber. Was es heißt, in einer fremden Kul­ tur groß zu werden, die die eigene Kultur nicht anerkennt, das hat die 36-Jährige schmerzvoll erfahren, als sie, damals drei Jahre alt, mit ihren Eltern aus Marokko in ein süddeutsches Dorf zog. Weil Lehrern oder Erzieherinnen der Name Khadija zu schwierig schien, nannten sie das Mäd­ chen einfach Katja, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Khadija nahm es hin, genauso die täglichen Ausgrenzun­ gen, wenn sie mit anderen Kindern spielte, sie aber ihre Freundinnen nicht besuchen durfte, nur weil sie Ausländerin war. „Der Druck sich anzupassen war ungeheuer groß“, erinnert sie sich heute. Die angerichteten Verheerungen ebenso. Alles Marokkanische wurde in den eigenen vier Wänden versteckt; auch die Mutter­ sprache, die darüber auf der Strecke blieb. Den Sprachverlust hat sie an ihre Kinder weitergegeben und sie damit vieler Mög­ lichkeiten beraubt. Die Verletzungen, die ständigen Entwertungen haben sich in ihre Seele eingebrannt. Es hat Jahre gedauert bis sie zu ihrem Namen, zu ihrem Selbstwert zurückgefunden hat. „Über mich selbst zu sprechen, das mache ich aus Prinzip nicht“, sagt sie. Es ist ein stiller Rückzug wie ihn viele Einwandererfamilien prak­ tizieren, ohne dass sich die deutsche Öffentlichkeit die Mühe machte, nach den Gründen zu fragen. „Meine Eltern hätten sich damals über ein Projekt, wie wir es heute ­machen, gefreut“, erklärt sie. Sie selbst hat über ihre Arbeit ein Ventil für ihre Wut ­gefunden. Die 36-Jährige koordiniert die neun Mütterbegleiterinnen. Sie stimmt deren 7 – Gesellschaftliche Vielfalt fördern und gestalten

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Engagement mit den Verantwortlichen der beteiligten Krabbelgruppe, dreier Grundschulen und der Kindertagesstätte ab. Letztere liegt einen Steinwurf vom Mehrgenerationenhaus entfernt. Dort treffen Kinder aus 18 Nationa­ litäten aufeinander, türkische, marokka­ nische, italienische, deutsche Kinder. Sie toben durch die Räume, deutsche und türkische Worte fliegen durchs Zimmer. Das Sprachengewirr fordert die Erzie­ herinnen heraus, denn jedes Verstehen dauert – Zeit die sie manchmal nicht ha­ ben. Auch deshalb freut sich Ulla Schmi­ del darüber, dass Migrantenkinder nun vier Mal die Woche sprachlich gefördert werden. Keine Frage – hier setzt langsam ein Umdenken ein. Schließlich hat das Sprachengemisch seine Vorteile. Manche Kinder sprechen bereits zwei oder mehr Sprachen. Außerdem erleben die Jungen und Mädchen, wie vielfältig auf der Erde gesprochen wird. Vielfalt als Vorteil. Da hinkt das deutsche Schulsystem noch mächtig hinterher. „Unser System betont noch viel zu sehr die Defizite der Schülerinnen und Schüler. Das Schulsystem sollte lieber die eigenen Defizite beseitigen“, erklärt Christian Petry in seinem kleinen Zimmer. Nach wie vor richtet das System sei­ ne Methoden an einem imaginären Durch­ schnittsschüler aus, den es in der Realität nicht gibt. Darunter leiden Hochbegabte genauso wie auffällige Kinder, vor allem aber beraubt es Migrantenkinder ihrer Chancen. „In den Naturwissenschaften trennen einheimische Jugendliche und Migrantenkinder aus der zweiten Genera­ tion 93 Leistungspunkte. Das entspricht dem Schulwissen von zweieinhalb Jahren“, zitiert Petry den jüngsten PISAReport. Die Zeche bezahlen Schüler wie die 15-jährigen Jasim und Mohamed oder die 16-jährigen Robert und Zedat aus der Klasse 9b. Sie sitzen an diesem Donnerstagnachmittag in einem verwais­ StiftungsReport 2008/09

ten Klassenzimmer. Es riecht nach An­ strengung, Angst und Schweiß. Die vier beugen sich über einen Text. Den Aufsatz flüssig zu lesen, bereitet allen Schwierig­ keiten. „Mann ist das schwer“, entfährt es Jasim. „Das Wort kapiere ich einfach nicht“, sagt der 15-Jährige zu Martin Uhr. „Deshalb bin ich ja da“, sagt der Student Martin Uhr. An der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg studiert er Deutsch, Biolo­ gie und evangelische Theologie. Einmal die Woche fährt er nach Weinheim, liest mit den Schülerinnen und Schülern Texte. Sein Engagement zeigt Wirkung: „Ich habe mich von einer 5 auf eine 3 in Deutsch verbessert“, sagt Zedat stolz. Den Förderunterricht ermöglicht eine Kooperation zwischen der Schullei­ tung, der Hochschule und der Weinheimer Initiative. Die Kosten übernimmt die Stif­ tung Mercator, die Ausführung überlässt sie hingegen Integration Central. „Es ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie Schulen, Kommunen und Stiftungen kooperieren können“, sagt Christian Petry. Das allein reiche jedoch für den Erfolg nicht aus. „Die Arbeit des PH-Studenten ist nur dann effizient, wenn er in ein Rückmeldesystem integriert ist“, sagt der Geschäftsführer. Wenn also die Beteiligten – Lehrer und Studenten – mit­ einander sprechen statt auf ihren Zustän­ digkeiten zu beharren. Diese Arbeitsweise sei in der Bun­ desrepublik nicht genügend entwickelt, erklärt Petry. „Dass sie entsteht, dafür wollen wir Anstöße geben.“ Gegen den politischen Strom aber können auch Stiftungen wenig ausrichten, sagt der Geschäftsführer. „Bislang sind wir mit un­ seren Ideen eine Rolltreppe hinaufgehas­ tet, die abwärts gefahren ist.“ Nun sieht er ein Umdenken in der Gesellschaft. Tatsachen und Realitäten würden nicht länger geleugnet. Die Sisyphosarbeit hat sich gelohnt. Die Rolltreppe hat sich nach oben zu bewegen begonnen.


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Portrait

Übersteiger in der eigenen Arena

Der 19-jährige Sami wurde im Frankfurter Stadtteil Gallus als Sohn marokkanischer Eltern geboren. Er liebt sein Viertel und versteht sich trotzdem als Marokkaner.

Sami zieht seine Schirmmütze ins Gesicht und schiebt die beiden Hände in die wattierte Jacke. Es ist kalt an diesem grauen Tag. Das aber stört den 19-Jähri­ gen nicht. Er ist auf dem Weg zum Fuß­ ballplatz – „seinem“ Fußballplatz. Es ist ein kleines Feld aus Beton, nicht größer als ein Basketballplatz. Es liegt zwischen Bahngleisen und einer verlassenen Bau­ grube. Ein bunter Fleck umgeben von Beton. „Kleine Arena“ haben die Kids ihren Platz getauft. Es ist der einzige Ort im Galluspark, auf dem Jugendliche außer­ halb des Vereins kicken können. „Mehr als zehn Jahre haben wir darauf gewartet“, sagt Sami. Dass die Plätze nun in und am Rande der Baugrube entstanden sind, das hat auch mit Samis Engagement und dem seiner Freunde zu tun. Sie hatten – kurz vor dem WM-Start 2006 – mitgeholfen, die „Kids-WM der 32 Gallus-Phantasieländer“ zu veranstalten. Es war eines von zwölf Projekten in der Bundesrepublik, die unter dem Motto „Stand Up Speak Up“ von der The One 4 All Foundation und der Deutschen Kin­ der- und Jugendstiftung gegen Rassismus gefördert wurden. Dazu hatten sich in Frankfurt etwa drei Dutzend Vereine und Migranten-Organisationen zusammen­

geschlossen, um mit ihrem Turnier ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. 500 Kinder nahmen erst am Trainings­ lager teil, um dann ein dreitägiges ­Turnier auszuspielen. Sami stand damals nicht selbst auf dem Platz, er war Trainer. Seine Spieler kamen alle aus dem Gallus-Park. Der Name klingt nach alten Kastanien­ bäumen und Rasenflächen, Rosenbeeten und Spielplätzen. Frankfurtern jedoch ist die Siedlung Synonym für Armut und ­Kriminalität und Menschen ohne ­Hoffnung.

Auf dem Platz herrscht Null Toleranz gegen rassistische Sprüche Das Kinderturnier vor der WM hat einiges bewegt im Viertel. „Wir haben einen Code gegen Rassismus verabschie­ det“, sagt Sami. Unterschrieben haben 43 Organisationen und Einzelpersonen. Die­ ser Code hängt nun am Zaun. „Toleranz heißt für uns: Menschen aller Herkunft, geschlechtlicher Orientierung und religiö­ ser Überzeugung zu respektieren“, steht da geschrieben. Das ist auch notwendig. Rassismus gehört – wenn auch in geringerem Maße als anderswo – auch auf Frankfurter Fuß­ ballplätzen zum Alltag. „Bei Spielen in den unterschiedlichen Klassen in und um Frankfurt werden immer wieder Menschen mit dunkler Hautfarbe als Schwarzköpfe, Muslime als Rauschebärte denunziert“, sagt Helga Roos. Zusammen mit ihrem Kollegen Ahmet Söylemez hat die Sozial­ pädagogin die Gallus-WM organisiert. Das Zeichen des Turniers wurde verstanden. Die Kids-WM erhielt nicht nur den Integrationspreis der Stadt Frankfurt, sondern auch den Integrationspreis 2007, den der Deutsche Fußballbund und Mer­ cedes Benz auslobten. Der neue Bolzplatz ist nun Aus­ gangspunkt für mehr Jugendarbeit. Auf 7 – Gesellschaftliche Vielfalt fördern und gestalten

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Foto: Michael Netzhammer

ihm spielen seit Oktober 2007 kleine und große Spieler. Und seit dem Früh­ jahr 2008 trainieren die Kids mehrmals ­wöchentlich unter professioneller Anlei­ tung, finanziert von Nike und der Deut­ schen Kinder- und Jugendstiftung. Die Jugendlichen auf dem Gallus verwalten ihren Platz selbstständig. Dass dies ohne Gewalt funktionieren könne, darauf hätten nicht viele in der hessischen Metropole gewettet. Ahmet Sölyemez und Helga Roos wissen es besser. Bislang hätten sie die Wette gewonnen. Zusammen mit sieben Jugendlichen haben sie ein Team gebildet, das Turnie­ re veranstalten, eine „Chillhütte“ bauen und regelmäßig einen Blick auf den Platz werfen will. Einer ist Sami. „Es macht mir einfach Spaß, etwas für mein Viertel zu tun“, sagt der 19-Jährige. Eingezwängt zwischen den Gleisen des Hauptbahn­ hofs im Norden und dem ehemaligen Güterbahnhof im Süden zieht sich das

StiftungsReport 2008/09

Viertel von Westen nach Osten, Wohn­ stätte für 20.000 Menschen. Auf den ersten Blick findet sich nichts, was den schlechten Ruf recht­ fertigen würde. Die Häuser sind frisch gestrichen, Bäume säumen die Mainzer Straße und die Frankenallee, die beiden Verkehrsadern des Viertels. Es gibt kleine Geschäfte und Restaurants, Handwerks­ betriebe, Imbisse und große Niederlas­ sungen von Bosch und Bahn. Hinter den Fassaden aber leben viele von Hartz IV und ohne Perspektive. Wer diese Adresse angibt, hat im Kampf um eine Lehrstelle denkbar schlechte Startbedingungen, weiß Sami aus eige­ ner Erfahrung. „Ich habe viele Bewerbun­ gen geschrieben. Erwähne ich den Gallus und dass ich Deutschmarokkaner bin, dann legen viele Arbeitgeber auf“, sagt Sami. Doch im Gallus wurde er geboren. Es ist sein Zuhause. Vom Park über die Mainzer Straße zur Paul-Hindemith-


Gesamtschule. Hier hat er den Haupt­ schulabschluss gemacht. „Hier habe ich meine Mittlere Reife verbockt“, sagt er selbstkritisch. Heimisch ist er in Deutschland über all die Jahre nicht geworden. „Meine Heimat ist Marokko“, sagt er. Das Land seiner Eltern, das er aus dem Urlaub kennt, dessen Pass er in der Tasche trägt. Warum Marokko und nicht Deutschland? „Es ist einfach nur so ein Gefühl“, sagt er. Ein Gefühl des Unwohlseins, das er nicht ausdrücken kann. Nicht Fremden ge­ genüber. Wie er seine Kappe ins Gesicht schiebt und den Kragen hochschlägt, das ist, als wolle er unsichtbar, unangreifbar sein. Deshalb will er auch nicht fotogra­ fiert werden, seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen.

Die Polizei kommt heute nur noch zum Fußball gucken Marokko steht für die Sehnsucht nach einem anderen Dasein. „Leben, das bedeutet mit der Familie sein“, sagt er. Manchmal hilft er einem der vier Brüder oder seiner Schwester; „so wie es ma­ rokkanische Familien eben tun“, erklärt der 19-Jährige. Die stecken ihm Geld zu oder finanzieren den Führerschein. Sami lebt nach wie vor bei seinen Eltern, weil es so üblich ist und weil er es sich gar nicht anders vorstellen kann. Die räumliche Enge erlebt er als intensive Nähe und warum „deutsche Jugendliche einfach von ihren Eltern wegziehen, sie im Stich lassen, das verstehe ich nicht“, sagt er. Und dann existiert da noch die Fa­ milie der Straße, die mit seinen Kumpels und Brüdern. Mit denen er zusammen­ sitzt, quatscht und Musik hört. Im Som­ mer ist das kein Problem, da stehen Bän­ ke zwischen den Wohnsilos. Im Winter aber gibt es für Jugendliche keinen Platz und nichts zu tun. Außer Fußball spielen.

Zwei mal pro Woche trainiert Sami, am Sonntag spielt er in der ­Kreisklasse. Doch im Verein muss sich jeder an Termine halten. Einfach so spielen, geht nicht, weil die Plätze belegt sind. Deshalb haben sie nach der Schule im Gallus-Park gespielt, einem Häuserblock aus Beton, mit Wohnungen und Bürogebäuden. Mit­ ten drin liegt so etwas wie eine Kreuzung, eingefasst mit kleinen Metallpollern. Viel Platz ist es nicht. Aber es gibt einige Stra­ ßenlaternen, „die dienten uns nach Son­ nenuntergang als Flutlicht“, sagt Sami. Hier haben sie häufig Fußball gespielt und manchmal, sagt Sami, ging es auch hoch her, schrieen die Spieler auch mal herum oder diskutierten lautstark, wenn einer den anderen gefoult hatte. Und re­ gelmäßig riefen Nachbarn die Polizei. Die kam dann, „manchmal mit Hundestaffeln und Mannschaftswagen“, weil da eben auch ein Schild steht, dass Ballspiele aller Art hier verboten seien. Nun haben sie ihre eigene Arena. Damit diese in Ordnung bleibt, schaut Sami regelmäßig vorbei. Gemeinsam mit Helga Roos und Ahmet Söylemez will er Fußballturniere organisieren und die ­Kinder im Gallus-Park trainieren. Die ­Polizei wird vielleicht auch mal vor­ beischauen und den Kids beim Kicken zugucken.

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7 – Gesellschaftliche Vielfalt fördern und gestalten


Amadeu Antonio Stiftung

Die 1998 gegründete Stiftung hat das Ziel, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Anti­ semitismus wendet. Hierfür unterstützt sie lokale Initiativen und Projekte in den Bereichen Jugend und Schule, Opfer­ schutz und Opferhilfe, alternative Jugend­ kultur und Kommunale Netzwerke. Die Amadeu Antonio Stiftung wird von der Freudenberg Stiftung und dem Nachrich­ ten-Magazin STERN unterstützt. www.amadeu-antonio-stiftung.de

Gemeinnützige Hertie-Stiftung

Die 1974 gegründete Stiftung konzentriert sich in ihrem Förderbereich „Erziehung zur Demokratie“ auf schulische und vorschu­ lische Projekte zur sprachlichen Bildung und zur Integration von Zuwandererkin­ dern. Mit Frühstart, Deutsch & PC, Förder­ kurse für Migranten (ffm), Start und dem Hauptschulpreis setzt die Stiftung unter­ schiedliche Schwerpunkte, die nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf E ­ ltern, Erzieher und Schulleitungen zielen. www.ghst.de

Körber-Stiftung

Die Körber-Stiftung zeichnet mit ihrem Programm „Hamburger Tulpe für deutschtürkischen Gemeinsinn“ Projekte aus, die auf vorbildliche Weise zu einem besseren Miteinander von Einheimischen und aus der Türkei zugewanderten Hamburgerin­ nen und Hamburgern beitragen. Außer­ dem fördert sie die Muslimische Akade­ mie als Moderator eines muslimischen Diskurses. www.koerber-stiftung.de 118

Stiftung Mercator

Die gemeinnützige Stiftung Mercator GmbH wurde 1996 von der aus Duis­ burg stammenden Handelsfamilie Karl Schmidt gegründet. Mit ihrem Projekt „Förder­unterricht für Kinder und Jugend­ StiftungsReport 2008/09

liche mit Migrationshintergrund“ unterstützt die Stiftung Förderun­ terrichts-Initiativen in der gesamten Bundesrepublik. Mit ihrem Programm „spin – sport interkulturell“ fördert sie außerdem Vereine in ihrer Funktion als Orte stadtteilbezogener Integration und darin speziell Angebote für Mädchen aus Zuwandererfamilien. www.stiftung-mercator.de

Preuschhof Stiftung

Die Preuschhof-Stiftung will Migranten­ kinder in die Lage versetzen, das Abitur zu machen und fördert dazu den Hambur­ ger Verbund für interkulturelle Kommuni­ kation und Bildung e.V. Im Projekt „Junge Vorbilder“ geben junge Studentinnen und Studenten mit Zuwandererhintergrund Migrantenkindern Nachhilfeunterricht in Deutsch. www.preuschhof-stiftung.de

Robert Bosch Stiftung

Die Robert-Bosch-Stiftung unterhält einen eigenen Programmbereich „Migra­ tion und Integration“. Die Stiftung finanziert einige hundert Projekte und Initiativen. Bewerben können sich Verei­ ne, Schulen, Kindergärten oder Kranken­ häuser. Außerdem unterhält die Stiftung spezielle Programme für Spätaussiedler und Einwanderer aus der Türkei. Zudem hat sie ein Projekt auf den Weg gebracht, das die Islamischen Organisationen für die Integration gewinnen soll. www.bosch-stiftung.de

Stiftung Bürger für Bürger

Die 1997 gegründete Stiftung fördert die wissenschaftliche Begleitung von 16 Modellprojekten zur besseren Inte­ gration von Menschen mit Zuwande­ rungsgeschichte. Außerdem lobt die Stiftung seit 2005 einen Integrationspreis zur Förderung des bürgerschaftlichen ­Engagements von Migranten aus. www.buerger-fuer-buerger.de


Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird

8

Ghetto oder lebenswerter Kiez? Über die Ent­ wicklung eines Stadtteils bestimmen neben den dort lebenden Menschen mit und ohne Zuwanderergeschich­ te auch die Städteplaner. Der Hintergrundtext richtet deshalb seinen Blick auf die Quartiersmanager und ihre Ansätze. Berlin-Neukölln gilt als Stadtteil mit Brenn­ punktcharakter. Die Reportage stellt Stiftungen vor, die sich in Neukölln engagieren. Wie man das Zusammenle­ ben gestalten kann, das weiß der porträtierte ehemalige Quartiersmanager Gilles Duhem genau. Wie wichtig Sport für die Integration im Stadtteil ist, darüber spricht Christoph Bex vom Projekt „Köln kickt“ im Interview.

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8 – Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird


H

Hintergrund

Urbanität und ­gesellschaftlicher ­Zusammenhalt

Städte, Stiftungen und ­Unternehmen bemühen sich um ein besseres ­Zusammenleben

Der Stadt gehört die Zukunft. In ihr konzentrieren sich Arbeitsmöglichkeiten genauso wie kulturelle und sportliche Angebote. Deshalb zieht es gerade jun­ ge Menschen in die urbanen Zentren. Städteplaner müssen auf diese Entwick­ lung und den demografischen Wandel Antworten finden. Dazu gehört, dass sie Voraussetzungen schaffen, Menschen mit Zuwanderergeschichte besser als bisher in die Stadtviertel zu integrieren. Denn der Anteil der Migranten wächst gerade in den Städten. Ein Teil von ihnen zieht in die ohnehin sozial schwachen Viertel. Dieser Prozess verstärkt nicht selten eine negative Spirale.

Integration im Kiez

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Nehmen die Probleme in einem Viertel überhand, ziehen die Besser­ verdienenden weg. Mit ihnen verschwin­ den die alt eingesessenen Geschäfte. „Zuerst machen die Buch- und Blumen­ läden dicht“, beobachtet der Stadtsozio­ loge Hartmut Häußermann. In die leeren Wohnungen ziehen Benachteiligte, in die Ladenpassagen Ramschläden ein.

StiftungsReport 2008/09

So entsteht ein sozialer Brennpunkt. Die Indikatoren dafür sind: eine hohe Zahl von Arbeitslosen, zahlreiche Hartz IVEmpfänger, eine hohe Quote von Schul­ abbrechern, Perspektivlosigkeit, Gewalt und Rechtsextremismus. Dieser Entwicklung begegnet die öffentliche Hand seit zehn Jahren mit dem Stadtentwicklungsprogramm Soziale Stadt. Über die äußere soll die innere Architektur der Viertel „mit besonderem Entwicklungsbedarf“ verbessert werden. Rund 1,7 Milliarden Euro wurden bis 2006 in die städtischen Krisengebiete inves­ tiert. Davon profitieren 447 Quartiere in 285 Städten und Gemeinden. Zudem werden Städtebaugelder sowie aus EUGeldern gespeiste Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme an den Brenn­ punkten eingesetzt. In den Vierteln engagieren sich außerdem Vereine, Kirchen, freie Trä­ ger, Wohnungsbaugesellschaften und Stiftungen. Zwei Drittel der privaten Investitionen tragen Wohnungsunter­ nehmen, knapp ein Drittel steuern Stif­ tungen bei. Sie fördern, wo es Bedarf, aber keine öffentlichen Angebote gibt. „Wir suchen uns die Nischen“, erklärt Vicky Gumprecht von der ElisabethKleber-Stiftung. Im Hamburger Stadtteil ­Billstedt finanziert die Stiftung Deutschund Mathe-Kurse mit Kinderbetreuung. Ein wichtiges Instrument der Stadtentwicklung ist das Quartiers­ management (QM). Ein Team aus Stadt­ planerinnen und Stadtplanern und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern ermutigt die Bewohnerinnen und Be­ wohner, ihre Geschicke in die eigene Hand zu nehmen. Den Bewohnerinnen und Bewohnern sollen über die Renovie­ rung ihrer Quartiere neue Perspektiven eröffnet, die Lebensqualität verbessert und durch Bildungs- und Qualifizie­ rungsangebote neue Chancen ermög­ licht werden.


4

Teamarbeit von Forschern und Praktikern Mit dem Verbund-Projekt „Zuwanderer in der Stadt“ leistete die Schader-Stiftung einen wichtigen Beitrag zur Integrations-Debatte. In dem 2004 gestarteten Projekt ging die Stiftung den Bedingungen für eine gelungene Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in ihren Wohnvierteln auf den Grund. Sie kooperierte dabei mit dem Deutschen Städtetag, dem GdW Bundesverband deutscher Woh­ nungs- und Immobilienunternehmen, dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) und dem Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regional­ entwicklung GmbH an der Ruhr-Universität Bochum (InWIS). Unterstützt wurde das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ein Expertenforum, dem Wissenschaftler und Praktiker aus Kommunalverwaltung und Wohnungswirtschaft angehörten, besuchte einschlägige Quartiere, befragte Akteure und wertete Gutach­ ten aus. Auf dieser Basis erarbeitete das Forum die „Empfehlungen zur städteräum­ lichen Integrationspolitik“, die Anfang 2005 veröffentlicht wurden. Acht Großstädte überprüften die Vorschläge in ausgewählten Quartieren auf ihre Praxistauglichkeit – beraten und begleitet von Difu und InWIS. Die Ergebnisse wurden im Herbst 2006 auf dem Kongress „Zuwanderer in der Stadt – Perspektiven sozialräumlicher Inte­ gration“ diskutiert. Erstes Fazit: Die Integrationsmaßnahmen brauchen mehr Rück­ halt in der Politik. Integration muss „Chefsache“ sein. Ressourcen-Bündelung ist Voraussetzung für eine gute Arbeit. Erfolgreiche Ansätze sollten von den Kommunen dauerhaft finanziert werden. Wohnungsunternehmen sind wichtige Partner für die Integration im Quartier. Die Berliner Wohnungsbaugesell­ schaft Gesobau, Mehrheitseigner im Märkischen Viertel, berief mit der ehe­ maligen Ausländerbeauftragten Barbara John 2006 eine eigene Integrationsbeauf­ tragte. Unter ihrer Regie wurde in dem Hochhausviertel eine „Nachbarschafts­ etage“ mit mehrsprachigen Beratungssowie Freizeitangeboten für Jugendliche eingerichtet. Zahlreiche Stiftungen fokussieren ebenfalls auf Kinder und Jugendliche mit Zuwanderergeschichte. „Wir müs­ sen der Ghettoisierung an den Schulen etwas entgegensetzen“, sagt Helena Stadler von der Bürgerstiftung Berlin. In sechs Berliner Brennpunkt-Schulen will die Stiftung die „Leselust“ wecken. Bilderbuch-Klassiker werden in türkisch und arabisch übersetzt und die Texte den Müttern als Anreiz mit nach Hause gegeben. Auf kurzfristige Erfolge zielt

hier keiner. „Wir machen nur Projekte, die auf Dauer angelegt sind. Mensch­ liche Entwicklung braucht Zeit“, erklärt Helena Stadler. Die Freudenberg Stiftung hat ihr Pro­ gramm „Ein Quadratkilometer Bildung“ deshalb gleich auf zehn Jahre festge­ schrieben. Seit Oktober 2007 unterstützt sie rund um die Franz-Schubert-Grund­ schule im Reuter-Kiez (Berlin-Neukölln) den Bildungsweg heutiger Kindergarten­ kinder mit einer „biografiebegleitenden Förderkette“.

Boden unter die Füße bekommen Fördern und Fordern – an diesen zwei Eckpunkten orientieren sich die Quartiersmanager. Weil die Selbst­ ständigkeit für Menschen mit Zuwande­ rergeschichte häufig den einzigen Weg in

8 – Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird

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StiftungsReport 2008/09

25 22,5 20 17,5 15 12,5 10 7,5 5 2,5

Hannover

Essen

Berlin

Köln

Hamburg

Nürnberg

0 Frankfurt am Main

Die sozialen Brennpunkte in den neuen Bundesländern weisen – im Ge­ gensatz zum Westen – einen verschwin­ dend kleinen Anteil von Menschen mit Zuwanderergeschichte auf. Entstanden sind die Brennpunkte durch die hohe Ar­ beitslosenquote unter ihren Bewohnerin­ nen und Bewohnern. Die aktiveren unter ihnen sind deshalb in den Westen oder in die Metropolen gezogen. Heute stehen viele der zu Zeiten der DDR begehrten Plattenbausiedlungen leer. Die niedrige Geburtenrate verschärft die Situation. Junge Familien, die in ihrer Heimat blei­ ben, zieht es jedoch in Eigenheime im Umland. Die Zeichen stehen deshalb auf Abriss. In Schwedt geht man andere Wege. Um den Abbau der städtischen Infra­ struktur zu stoppen, wies die Stadt an der Oder preiswertes Bauland neben der Plattenbausiedlung „Obere Talsand­ terrassen“ aus: Die neuen Hausbesitzer wohnen in Sichtweite der Siedlung, nut­

Quelle: Statistisches Bundesamt 2007

Mannheim

Leerstand im Osten

Anteil der Ausländer(innen) in einigen deutschen Großstädten in Prozent

München

die Arbeitswelt bedeutet, unterstützen die Planer sie bei der Gründung von Klein- und Kleinstunternehmen. Die Bürgerstiftung Neukölln N+ etwa zeich­ net türkische Unternehmen aus, die ausbilden. Gleichzeitig sollen die Bewohner Verantwortung übernehmen, um die Identifikation mit „ihrem“ Kiez zu erhö­ hen. Beim Entwurf eines interkulturellen Gartens, der auf einem ehemaligen Kita-Gelände am Mehringplatz in BerlinKreuzberg entstand, wurden die Mieter deshalb beteiligt. Die Idee interkultureller Gärten geht auf ein Konzept der Stiftung Interkultur zurück, die bundesweit bereits an die 70 dieser Grünzonen vernetzte. Migrantinnen und Migranten bepflanzen dort eigene Parzellen. Ihr Motto: „Boden unter die Füße bekommen“.

zen aber die dort untergebrachten Schu­ len und Läden. Kreative Wege geht auch der Verein „HausHalten“ in Leipzig. Um den Verfall von Gründerzeithäusern aufzuhalten, ver­ mittelt der Verein in Absprache mit dem Besitzer leere Wohnungen an Künstler und Studenten. Statt Miete zahlen sie nur die Betriebskosten, sanieren dafür aber die Räume der „Wächterhäuser“. So soll das Viertel aufgewertet und sollen sozial besser gestellte Bevölkerungsschichten angelockt werden, wie es am Prenzlauer Berg in Berlin, aber auch in HamburgVeddel gelungen ist.


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Stiftungsprojekte im Bereich sozialräumlicher Integration • Für benachteiligte Kinder ist eine warme Mahlzeit am Tag keine Selbstverständlich­ keit. Die Stiftungen Children for a Better World und Mittagskinder unterstützen Mit­ tagstische an sozialen Brennpunkten. Platz zum Toben schuf die Gagfah-Stiftung in Essen-Bergmannsfeld mit dem Umbau eines 40 Jahre alten Spielplatzes. • Den Umgang mit Kulturen und Medien ermöglichen die MPC Stiftung und die Bür­ gerstiftung Hamburg („Elb:Station“). Mit der Ausstellung „Mein Stadtteil ändert sich“ inspirierte die Stiftung Maritim Hermann & Milena Ebel junge Migranten dazu, ihren Alltag im Hamburger Phoenix-Viertel zu fotografieren. Mit Instrumen­ ten, gespendet von der Krupp-Stiftung, gründeten Russlanddeutsche aus EssenBergmannsfeld das „Oststadtorchester“. • Mit beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen macht die Freudenberg Stiftung junge Leute aus Hoyerswerda „Fit für’s Leben“. Im „Esscapade“ lernen Jugendliche aus dem Soldiner Kiez (Berlin-Wedding) kochen und servieren. Die Veolia-Stiftung be­ zahlte die Kücheneinrichtung. In Hamburg Schnelsen-Süd machten sich Bewohner selbstständig und eröffneten Läden für den täglichen Bedarf. Ideengeberin war die als Quartiersmanagerin tätige Lawaetz-Stiftung. • Den Erfahrungsaustausch von Kiezmanagern fördert die Stiftung Mitarbeit mit einem bundesweiten Netzwerk.

Es braucht eine zentrale Plattform für Ideen Für die meisten Maßnahmen gilt: Erfolge sind kaum kurzfristig mess­ bar. Die Projekte sind kleinteilig und im Lokalen verhaftetet. „Jedes Gebiet hat seine spezifische Problemlage“, heißt es im Bürokratendeutsch beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Gleich­zeitig fehlt eine zentrale Plattform für gute Ideen. Bislang existieren nur Ansätze. Das Difu pflegt eine Praxis-Da­ tenbank Soziale Stadt. Die Bertelsmann Stiftung veröffentlichte 2005 „Strategi­ en k­ ommunaler Integrationspolitik“, im gleichen Jahr erschienen die „Empfeh­ lungen zur s­ tädteräumlichen Integra­ tionspolitik“ der Schader-Stiftung (sie­ he Kasten 4 Seite 121). Ein gemeinsames Vorgehen ist jedoch nicht in Sicht. Auf der Integra­

tionskonferenz „Gut miteinander woh­ nen!“ der Schader-Stiftung und der Gesobau im Jahr 2007 verabschiedeten sich einige Experten sogar vom Ziel sozial gemischter Quartiere. Ihre umstrittene These: Die Konzentrationsprozesse lassen sich nicht rückgängig machen.94 Dazu pas­ sen Pläne der hessischen Wohnungsbau­ gesellschaft Nassauische Heimstätten, die in ihren Siedlungen „Milieuhäuser“ mit einer homogenen Mieterschaft schaf­ fen will. Mehr als ein „friedliches Neben­ einander ist nicht erreichbar“,95 erklärte Vorstand Thomas Dilger. Die hessische Landesregierung stoppte jedoch seinen Vorstoß.96 Der Soziologe Hartmut Häußermann bewertet die Stadtentwicklungsmaß­ nahmen trotzdem skeptisch. „Durch räumliche Nähe entsteht keine soziale Nähe“,97 zitiert er seinen französischen Kollegen Pierre Bourdieu. Das Kernpro­

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blem der Brennpunkt-Viertel liege im gesellschaftlichen Strukturwandel, der Arbeitsplätze für Minderqualifizierte abbaue. Menschen mit Sprachdefiziten ohne Abschluss und Ausbildung hätten auf dem Arbeitsmarkt keine Chance. Für seine These spricht, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in Berlins Brenn­ punkten trotz aller Maßnahmen 2007 weiter verschlechtert hat.98 Die Befürworterinnen und Befür­ worter einer aktiven Stadtentwicklung widersprechen. Die ökonomische Schieflage mache eine auf Integration angelegte Quartierspflege umso wichti­ ger. Am Wohnort entscheide sich, ob der gesellschaftliche Zusammenhalt gelinge. Die Schule sei der einzige Ort, dem keine Familie ausweichen könne. Sie biete mit­ unter „die einzige Chance des sozialen Aufstiegs und der kulturellen Erfahrun­ gen“, schreibt Helmut Fend.99 Christoph Kulenkampff, ehemaliger Vorstand der Schader-Stiftung, fordert deshalb, „die besten Schulen in den schwächsten Vier­ teln zu etablieren“.100

So machen es die Nachbarn

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Auch die europäischen Nachbar­ länder bemühen sich um die Integration ihrer ethnisch geprägten Quartiere. Die ­Niederlande kombinieren die Durch­ mischung mit einer restriktiveren Politik: Wer in Rotterdam als Zuwanderer ins Tarwewijk-Viertel ziehen will, muss nach­ weisen, dass er 120 Prozent des Mindest­ lohnes verdient.101 Nicht immer greifen diese Pläne. Obwohl in England Wohnungen moder­ nisiert, Jobs geschaffen und Geschäfte modernisiert wurden, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen un­ ter den Zuwanderern. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in Frankreich beobachten. In den Banlieues haben die Entwicklungsprogramme keine Trend­

StiftungsReport 2008/09

wende bewirkt, auch weil – anders als in Deutschland – die räumliche und soziale Spaltung der Gesellschaft stärker aus­ geprägt ist.102

Neues Wohnen für die Alten Für den gesellschaftlichen Zusam­ menhalt ist nicht nur die Integration der Zuwanderer, sondern auch die von Jung und Alt entscheidend. Der Anteil der Seniorinnen und Senioren wächst, ohne dass Städteplaner sich bisher auf die demografische Veränderung eingestellt hätten. Allerdings existiert eine fast unüberschaubare Zahl neuer Wohn- und Pflegemodelle, die der ver­ ringerten Mobilität, der Einsamkeit und Pflegebedürftigkeit Rechnung zu tragen versuchen. In Brandenburg werden leere Gewerbe- oder Verwaltungsgebäude zu Senioren-Häusern mit Gemeinschafts­ räumen umgebaut. Im brandenburgi­ schen Mühlenbeck entsteht ein ganzes Mehrgenerationendorf. Umgekehrt müssen die Städte junge Familien mit Kindern ansiedeln, wollen sie nicht zu Geisterstädten verkommen. Junge Eltern suchen jedoch nicht nur bezahlbaren, sondern auch verkehrs­ günstig angebundenen Wohnraum, der ihnen kurze Wege zu ihrer Arbeitsstätte ermöglicht. Die demografischen Verschie­ bungen in der Gesellschaft stellen die ­Städteplaner und Quartiersmanager vor zahlreiche Herausforderungen. Sie ­müssen den Fliehkräften der Ge­ sellschaft entgegenwirken. Dass dies auch gelingen kann, beweist die Stadt Tübingen. In ihrem 2007 fertiggestell­ ten Französischen Viertel leben Alt und Jung, Behinderte und Nicht-Behinderte, Einheimische und Zugewanderte ­zusammen. In dem Quartier entstanden 800 Wohnungen und Betriebe mit 500 ­Arbeitsplätzen. Rund 540 Studierende


leben in entsprechenden Zimmern. Die Stadt richtete sechs Wohnungen für Men­ schen mit Behinderung und 40 ­Sozialwohnungen ein, bis zu 30 Prozent der Be­ wohner mit Zuwanderer­geschichte sowie eine Wagenburg wurden ­integriert. Der Leiter des Tübinger Amts für Stadtsanierung, Cord Soehlke, wohnt nun

selbst dort. An die Geräusche aus der Me­ tall-Werkstatt im Erdgeschoss hat sich der 39-Jährige inzwischen gewöhnt. „In dieser weitgehend autofreien Siedlung kann ich meine Kinder vor die Tür schicken“, freut sich der Familienvater. Vor allem aber beweist Tübingen, dass das Stadtquartier für alle keine Utopie bleiben muss.

Dabei sein ist alles.

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Gesellschaftlicher Zusammenhalt durch Sport, Teil II Stark machen für den Breitensport. Stiftungen sind Netzwerkpartner im Programm „Integration durch Sport“ des Deutschen Olympischen Sportbundes, das die integra­ tive Arbeit in Sportvereinen auf vielfältige Weise unterstützt.103 Zu den Partnern zäh­ len zum Beispiel die Stiftung Bürger für Bürger, die Hamburger BürgerStiftung, die Bertelsmann Stiftung und die Körber-Stiftung. Bürgerstiftungen sind im Sport beson­ ders aktiv: Von den 133 Bürgerstiftungen, die das Gütesiegel des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen tragen, führen 63 Sport als Stiftungszweck auf. Ein Beispiel: Die Bürgerstiftung Fürth hilft Kindern aus sozial schwachen Familien, indem sie den Jahresbeitrag für den Sportverein übernimmt. Stiftungen fördern Sport vor Ort. Integration durch Straßenfußball ist in – denn ­niedrigschwelliger als Straßenfußball geht es nicht. Seit dem ersten Anpfiff 2002 haben beispielsweise über 5.000 Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und sech­ zehn Jahren an der Streetsoccer Liga der BürgerStiftung Hamburg teilgenommen. Mit dem Netzwerk-Projekt „Kinder- und Jugendförderung durch Fußball“ will die ­Stiftung ­Jugendfußball Deutschland besonders Kinder aus Migrantenfamilien und aus benach­ teiligten Sozialräumen ansprechen. Die aktive Einbeziehung junger ­Mädchen wird explizit gefördert. Denn nur jedes siebte Mädchen mit Migrationshintergrund treibt Sport.104 Hier setzt auch das Projekt „spin – sport interkulturell“ an, das die Stiftung Mercator gemeinsam mit der Sportjugend NRW durchführt.105 Die sport­lichen Ange­ bote für junge Migrantinnen werden mit Freizeitaktivitäten wie Koch- oder Sprach­ kursen verbunden. Die Trainerinnen – selbst mit Migrationshintergrund – ­sollen Hemmschwellen senken und in Kontakt mit den Familien der Mädchen treten. Berühmte Botschafter. Jürgen Klinsmann hat seine Agapedia Stiftung zur Förderung von Not leidenden und hilfsbedürftigen Kindern 1995 ins Leben gerufen. Auch der erst 24-jährige Fußballstar Philipp Lahm, der selbst eine „super Kindheit“ 109 ­hatte, möchte mit seiner jüngst errichteten Philipp Lahm-Stiftung den Fußballsport und die Jugendhilfe unterstützen. Die „PerspektivFabrik“, integratives Jugend­sozialprojekt der Henry Maske Stiftung A place for kids, eröffnet benachteiligten Jugendlichen in einem strukturschwachen Gebiet neue Möglichkeiten.

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Ausgezeichnete Integration durch Sport. Anerkennung für sportlichen Erfolg, aber auch für ehrenamtliches Engagement gibt es in Form vieler Preise von und für Stiftungen: • Der St. Pauli Fanladen ist mit dem Projekt „KiezKick – Fußball der Kulturen“ Ham­ burger Landessieger 2008 im Wettbewerb „Teilhabe und Integration von Migran­ tinnen und Migranten durch bürgerschaftliches Engagement“ der Stiftung Bürger für Bürger in Kooperation mit der DFB-Stiftung Egidius Braun.106 • Die Ippen-Stiftung für kulturelle und gemeinnützige Anliegen hat 2007 die KomarowSekundarschule aus Stendal für ihre vorbildlichen Integrationsprojekte, insbeson­ dere ihre Sportangebote für Mädchen aus arabischen Ländern ausgezeichnet.107 • Die Kampagne der Stiftung Deutsche Sporthilfe „Leistung. Fairplay. Miteinander.“ erhielt 2007 den Kommunikationspreis KOMPASS des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen.108

No sports? More sports! Obwohl sich die Gesamtzahl der Stiftungen in der Sparkassen-Finanzgruppe verrin­ gert hat, ist die jährliche Fördersumme der Sportstiftungen seit 2002 um 19 Millionen Euro gestiegen. Die Mittel fließen zu 80 Prozent in den Breitensport und kommen ­somit auch vielen Integrationsprojekten zugute. Die Sparkassen-Sportstiftungen sind der größte nicht-staatliche Förderer im Sport.110 Mio. Euro Förderleistungen der ­Sparkassen Sportstiftungen und Anzahl der Stiftungen 70 im Bereich Sport Quelle: www.sparkassenstiftungen.de

Förderleistungen

60 50

Anzahl der Stiftungen 40 30 20

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10 0 2002

StiftungsReport 2008/09

2003

2004

2005

2006


I

Interview

Was ist die Idee der StraßenfußballLiga „Köln kickt?“ Fußball ist der kleinste gemeinsame Nenner, der kulturübergreifende Verstän­ digung möglich macht. Wer Fußball spielt, baut in dieser Zeit keinen Mist. Das kann man doch auch im ­Fußballverein. Wir setzen viel niedrigschwelliger an als ein Verein. Bei uns kann man einfach vorbeikommen und mitspielen. 500 ­Kölner Kinder und Jugendliche treffen sich nachmittags und an den Wochenenden zum Fußballspielen auf Bolzplätzen und Sporthallen in Köln. Die meisten sind Kinder und Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen, aus Stadtteilen wie Chorweiler, Mülheim, Buchheim, Bilderstöckchen, Kalk und Zollstock. Viele kommen über Jugendeinrichtungen oder die Schulsozialarbeit zu uns. Wir gehen aber auch zusätzlich auf Respekt-Tour und spielen auf Plätzen in den Stadt­ teilen. 2008 wollen wir mit einem Klein­ bus die Marktplätze anfahren und einen mobilen Court aufbauen.

„Wer Fußball spielt, baut in dieser Zeit keinen Mist“ Christoph Bex

Der Diplomsozialarbeiter Christoph Bex leitete von 2001 bis 2007 die päda­ gogischen Projekte der Kölner Stiftung Leuchtfeuer. Die kümmert sich im Auf­ trag der Jugendämter um Jugendliche mit ­Problembiografien und begleitet sie auf dem Weg in ein selbstständiges Leben. 2007 gründete der 47-Jährige mit ­Sebastian Koerber die gemeinnützige GmbH Rheinflanke, um dem von Leucht­ feuer initiierten Straßenfußballturnier „Köln kickt“ einen organisatorischen Rahmen zu geben. „Köln kickt“ bringt Kinder aus benachteiligten Stadtteilen zum Fußballspielen zusammen. Vor sei­ nem Wechsel zu Leuchtfeuer arbeitete Bex zwölf Jahre lang für die Stadt Köln, zunächst in einem Krisendienst für Kinder und Jugendliche, dann im Bereich Jugend­ hilfeplanung. Der gebürtige Dormagener ist verheiratet und bekennender Ball­ sport-Fan. Er war früher Vereinsfußballer, seine 12- und 16-jährigen Söhne spielen ebenfalls Fußball.

Foto: privat

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8 – Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird


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Es geht Ihnen also nicht nur ums Fußballspielen. Nein, unser Angebot ist differenzierter. Es geht um die Integration der Jugend­ lichen, um Aggressionsabbau, Gewalt­ prävention, Konfliktmanagement und die Stärkung des Selbstvertrauens, aber auch um die Vermittlung sozialer und beruflicher Kompetenzen und den Abbau von Bildungsdefiziten. Die Liga ist die Plattform, an die wir weitere Handlungs­ felder andocken wollen. Vorstellbar wäre etwa eine Zusammenarbeit mit der Agen­ tur für Arbeit, die im Rahmen der Turniere mobile Berufsberatung anbieten könnte. Konkret haben wir bei unserem letzten Turnier im Rahmen der Aktion „Gut drauf“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine „Entspannungs-Oase“ angeboten. Die Jugendlichen haben das sehr gut angenommen. Sie bekommen so Zugang zu einem anderen Körper­ bewusstsein. Auch die, die sich auf der Straße besonders cool geben, haben eine Sehnsucht nach leisen Zwischentönen. Welche Qualifikation bringen die Betreuer mit? Sie müssen vor allem gute Fußballer sein und eine pädagogische Ausbildung haben. Außerdem sollten es Charaktere sein, die auf Jugendliche empathisch zugehen können, mit denen sich die Jugendlichen identifizieren können. Wir haben zum Beispiel drei afrikanische Trai­ ner, die können schnell Brücken zu den Kindern bauen. Sie bringen Exotik mit, das funktio­niert gut. Mehr als 70 Prozent der Kinder haben einen Migrationshinter­ grund, Roma, Sinti, Marokkaner, Türken, Albaner, Russlanddeutsche, aber eben auch 30 Prozent Deutsche. Kinder und Jugendliche lernen beim Fußballspielen auch, trotz aller Unterschiedlichkeit miteinander klar zu kommen. Das ist eines unserer Ziele. Sie lernen Toleranz, das faire Miteinander oder auch, dass Regeln eingehalten werden StiftungsReport 2008/09

müssen. Fallen Schimpfworte, unterbricht der Betreuer sofort das Spiel. Wir zeigen, dass es auch ohne Gewalt geht. Beim Spiel Kalk gegen Mülheim gab es eine Prügelei vor der Halle. Zur Verstärkung wurden ältere Brüder herbeitelefoniert. Wir haben uns dann mit dem örtlichen Jugendheim und der Polizei kurzgeschlos­ sen und die Lage hat sich beruhigt. Nach Prügeleien auf dem Platz in Zollstock hat der Ligarat auch zwei Spieler gesperrt. Die haben sich mittlerweile entschuldigt. Üblicherweise hätte der Konflikt damit geendet, dass man dem Gegner vor der Schule auflauert. Was sind die konkreten Erfolge ihrer Arbeit? Ein Forum zu schaffen, wo Jugendliche sich unabhängig von Lebenslage und Herkunft akzeptiert fühlen und ein sinn­ liches Erlebnis haben. Ein Erfolg ist es, dass die Kinder regelmäßig kommen und Sport treiben. Und dass die Spiele fried­ lich ablaufen. Damit auch mehr Mädchen kommen, wollen wir in diesem Jahr ein Extra-Projekt starten. Wir bringen den Kindern und Jugendlichen auch bei, über ihr Viertel hinauszudenken. Sie lernen Gleichaltrige aus anderen Stadtteilen und Kulturen kennen. Sie begreifen die Stadt als Ganzes und lernen, dass Fremde nicht gleich Feinde sind. Im Sommer 2007 haben wir im Rahmen des EU-Förderprogramms Jugend für Europa ein Turnier mit Stadtteilprojekten aus Estland, Portugal, Irland und der Türkei organisiert. Die Istanbuler schickten mit ihren besten Fußballern sehr höfliche und leistungsbewusste junge Türken. Für unsere Jungs war das etwas Neues und Positives. Sie fühlten sich erstmals als Gastgeber und wollten diese Rolle auch ausfüllen. Das heißt, sie lernen, übers ­Fuß­ballspiel hinaus Verantwortung zu ­übernehmen? Ja, indem sie zum Beispiel ein Fußball­ turnier organisieren oder sich als Mitglied


im Ligarat um auftauchende Probleme kümmern. Drei ältere türkische Jugend­ liche, mit denen es Schwierigkeiten gab, haben wir zum Deeskalationstraining geschickt und ihnen Trainingsanzüge ge­ geben. Jetzt sagen sie die Spiele an und legen zwischendurch Musik auf. So haben sie sich inzwischen zu Vorbildern für ihre jüngeren Brüder entwickelt. Ist „Köln kickt“ in den Stadtteilen vernetzt? Wir machen alles mit Partnern, denn die Initiativen vor Ort wie Gemeindezentren, Schulen und interkulturelle Institutionen haben den schnelleren Zugang. So ein Projekt funktioniert nur mit Verbünde­ ten. Bei uns sind es der Fußballkreis, die Sportjugend Köln, das Jugendamt und die Polizei. Die binden uns gesellschafts­ politisch ein und machen Lobbyarbeit für uns. So entstand auch der Kontakt zur regionalen Wohnungsbaugenossenschaft GAG. Viele unserer Leute wohnen in deren Siedlungen, jetzt ist die GAG ein Haupt­ förderer. Wie finanziert sich „Köln kickt“? Die Institution Rheinflanke, die „Köln kickt“ organisiert, wurde 2007 von der Stadt Köln mit 30.000 Euro finanziert. Wie hoch der Zuschuss für 2008 aus­ fällt, ist noch unklar. Wir suchen daher weitere Partner. Einen Großteil des Etats müssen wir bei den verschiedenen ­Institutionen in den Bereichen Jugend, Sport und Integration als Projektförde­ rung beantragen. Der Kölner Stadt­Anzeiger unterstützt uns, wir finden in der Stadt auch prominente Unterstützer wie Jürgen Becker oder Annette Frier. Und Stiftungen fördern „Köln kickt“, allen voran die Stiftung Leuchtfeuer als Geburtshelferin und Mit-Gesellschafte­ rin, die DFB-Stiftung Egidius Braun so­ wie zu Beginn die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung. „Köln kickt“ ist erfolgreich. Das Prinzip funktioniert doch bestimmt auch in anderen Städten?

Unbedingt. Wir wollen es 2008 im Ver­ bund mit Sportverbänden auf die „Rhein­ schiene“ heben und Straßenfußball­ turniere in Bonn, Leverkusen, Neuss, Düsseldorf und Duisburg starten. Nach dem Prinzip des Franchising wird die „Köln kickt Respekt-Tour“ Label, Marke­ tingkonzept, Organisationsmanagement, Qualitätskriterien und wissenschaftliche Evaluationsmethoden als Rahmen vor­ geben, nach denen Strukturen vor Ort aufgebaut werden können. Dafür hoffen wir auch auf Unterstützung verschiedener Stiftungen. Stiftungen sind ein idealer Partner, sie sind offen für Neues und Ent­ scheidungsprozesse dauern nicht so lan­ ge. Außerdem planen wir mit Unterstüt­ zung der Ruck – Stiftung des Aufbruchs eine Initiative in Berlin, die eine Brücke Köln-Berlin schlagen soll. Derzeit arbei­ ten wir an dem Qualifizierungs-Projekt „Kick & Work“, das im Frühsommer 2008 starten soll. Es richtet sich an arbeitslose männliche Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren, zumeist mit Einwanderungs­ hintergrund, und soll den Weg zu einem Ausbildungsplatz ebnen. Fußball und Arbeit, wie passt das zusammen? Die elf Jugendlichen sollen über zwölf Monate in einen klar strukturierten Tages­ablauf eingebunden werden, zu dem das tägliche Fußballtraining gehört. Das Team-Bewusstsein stärkt ihre sozia­ len Kompetenzen. Parallel dazu werden schulische Defizite beseitigt. Beim Auf­ bau eines eigenen Catering-Service er­ werben sie berufsvorbereitende Grund­ kenntnisse. Der Service beliefert Veran­ staltungen von „Köln kickt“, aber auch unsere Netzwerkpartner aus Kultur und Wirtschaft, bei denen die Jugend­lichen Berufspraktika machen könnten. In ei­ nem letzten Schritt sollen die ­Betreuer den Jugendlichen helfen, realistische Zukunftsperspektiven zu entwickeln und Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz zu schreiben. 8 – Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird

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Reportage

Zu große Schuhe?

Der Berliner Rollbergkiez ist aufgeräumt, viele ­Probleme bleiben

Foto: Rütli Wear Berlin

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„Kann ich Löffel?“, fragt Mohammed am Kiosk Falkstraße. Er löffelt die heiße Tütensuppe aus seinem Becher. 80 Cent kostet sie und ist deshalb ein beliebter Pausensnack am Berliner Rollberg. Der elfjährige Mohammed ist ein wenig schmächtig und hat braune Locken auf seinem Kopf. Hier im Berliner RollbergViertel wurde er geboren. Doch Deutsch ist für den Schüler der sechsten Klasse immer noch eine Fremdsprache, die er nicht beherrscht – wie so viele hier. In den Straßen rund um die ehema­ lige Kindl-Brauerei leben 5.600 Men­ schen. Jeder zweite von ihnen hat eine Zuwanderergeschichte. Die meisten kommen entweder aus der Türkei oder aus dem Libanon. In Mohammeds Klasse sprechen acht von zehn Schülern eine „nichtdeutsche Herkunftssprache“, was das Erlernen von Deutsch noch viel schwieriger macht. Wie auch die Lebens­ verhältnisse der Erwachsenen. Jeder Dritte ist hier arbeitslos, 70 Prozent leben von Sozialleistungen. Bis vor weni­ gen Jahren galt das Viertel als Hochburg für den Rauschgifthandel im großen Stil. Das hat sich verändert, seit das Quar­ tiersmanagement versucht, den Kiez zu stärken. Zumindest die äußeren Zeichen des Problemviertels hat der Rollberg nun abgestreift. Die hellgrauen Fassaden der in den 1970er Jahren auf einer Hügelkette entstandenen Betonblöcke sehen wie frisch gewaschen aus, die Fensterrahmen sind bunt lackiert. Neben den Eingängen wächst Grün, ABM-Kräfte reinigen die Bürgersteige. Auf dem großen Spielplatz in der Fußgängerzone wurden Sand und Spielgeräte erneuert. Seitdem sind die Männer mit ihren Bierflaschen ver­ schwunden. Stattdessen haben sich Kin­ der den Platz zurückerobert. Weil in dem Neubau-Areal weder Geschäfte noch Gewerbe-Betriebe ein­ geplant wurden, wirken die Straßenzüge vormittags wie ausgestorben. Sie füllen

sich, wenn die Kinder aus der Schule kommen. Einige der Kleineren gehen dann in den „Kinderdschungel“, den das Arabische Institut eingerichtet hat. Hier machen die Kinder unter professioneller Aufsicht ihre Hausaufgaben. Sie spielen oder basteln. Das Angebot ist kostenlos; mit ein Grund, warum es im Rahmen des Programms „Jugend & Zukunft“ von der Hamburg-Mannheimer-Stiftung ­ausgezeichnet wurde.

Ein guter Schüler zu sein, fällt am Rollberg schwer Mohammed zieht das Jugendzent­ rum vor, einen grauen Barackenbau an der grünen Lessinghöhe. „Zu Hause ist es langweilig“, sagt der Junge mit dem wachen Blick. Er spielt lieber mit Ali und Taip Tischtennis oder Fußball, statt sich allein vor den PC zu hocken. Die Play­ station gehört nicht nur für Mohammed zur Grundausstattung, Zeichen dafür, dass die Erwachsenen sich für ihre Kinder keine Zeit nehmen. Was er werden möchte? „Polizist bei der Kripo“. Das stellt er sich aufregend vor. Auf seinem Steckbrief, der im Flur hängt, steht unter Wunschauto: „Ferrari“. Zu den Helden, von denen sich die Jungen hier erzählen, gehört allerdings nicht nur Schumi, sondern in erster Linie ein großer Bruder. Der hat in der Schule einen Tadel erhalten, weil er 109 Mal die Hausauf­ gaben versäumte. Ein guter Schüler zu sein fällt am Rollberg nicht leicht. Viele Eltern können ihre Kinder kaum unterstützen, weil sie selbst nur zwei oder drei Jahre die Schule besuchten. Wie soll ein Schüler da Deutsch lernen? Die Lehrer wiederum müssen den Stoff mühselig über Sprachund Disziplin-Barrieren bugsieren. „Schule ist wichtig“, darauf pocht die 37-jährige Züriye Polat. Die zurück­ haltende Frau mit dem freundlichen Ge­ sicht will die Situation an der Grundschule 8 – Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird

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ihres Sohnes nicht länger hinnehmen. In seiner Klasse gibt es kein deutsches Kind. Als er in einem Fach wochenlang keine Hausaufgaben aufhatte, sprach sie den Lehrer an. Der sagte resigniert: „Die macht doch eh keiner“, erzählt Polat. Nun fehlt auch noch seit Monaten die Klassen­ lehrerin, aber es findet sich kein ErsatzPädagoge, der in Neukölln einspringen will. „Ich habe jetzt einen Termin beim Direktor gemacht.“ Züriye wundert sich fast selbst über ihren Mut. Die Türkin lebt seit 18 Jahren hier. „Ich kann weder Hochdeutsch noch Hochtürkisch“, sagt sie selbstkritisch. Ihr Mann, der als Ver­ käufer gearbeitet hat, ist seit neun Jahren arbeitslos. Ihr Sohn soll es mal besser haben. So denkt auch ihre Bekannte Sevim. Die schickt ihre Tochter deshalb auf eine evangelische Privatschule. „Da lernen die besser und das ist doch die Voraussetzung, wenn ein Kind mal die Universität besuchen will“, sagt sie. In der Privatschule zwei Straßen weiter sind die Kinder mit Zuwanderergeschichte in der Minderheit.

Der Mädchentreff fördert das Selbstbewusstsein der Frauen und klärt auf

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Weil heute Freitag ist, sitzt Züriye im Mädchen-Zentrum „MaDonna“. Einmal pro Woche veranstaltet das Quartiers­ management ein Frauenfrühstück. Es herrscht eine offene Atmosphäre. Züriye mit ihren offenen Haaren, der Jeans und der Steppjacke sitzt neben Türkinnen mit Kopftuch. Auf der langen Tafel stehen Schafskäse, Oliven und Salat. Man trifft Bekannte, unterhält sich. An manchen Freitagen wir aber auch informiert und diskutiert. Dozentinnen sprechen über Erziehung, gesunde Ernährung, die Notwendigkeit von Bildung, häusliche Gewalt oder Homosexualität. Der Mäd­ chentreff am Falkplatz bietet aber auch StiftungsReport 2008/09

Hausauf­gaben- und Bewerbungshilfe. „Wir wollen die Frauen aufklären und sie stärken“, sagt Garip Alkas vom Quartiers­ management. Das wollen die Betreiber des Mäd­ chenzentrums auch für ihre Schützlinge. „Ich fühle mich hier drinnen einfach freier“, sagt die 20-jährige Devia. Früher lungerten Jungs vor dem Zentrum herum. „Sie beschimpften uns als Huren“, erin­ nert sich Devia. „Die sitzen alle im Knast“, glaubt die 20-Jährige. Die Kriminalität, früher ein arges Problem im Viertel, ist um 30 Prozent zurückgegangen. Das ist auch ein Ver­ dienst des Quartiermanagements. Heute zeichnen Überwachungskameras das Geschehen auf der Straße auf. Wird ein Jugendlicher auffällig, kommt eine Tele­ fonkette zwischen Schule, Eltern, Polizei, Jugendclub in Gang. Die Beamten vom zuständigen Polizeiabschnitt 55 laufen regelmäßig Streife. Ein Polizist spielt mit den Jungen Fußball, ein anderer leitet das Fitnesstraining im Jugendzentrum und ein Dritter hält dort Sprechstunden ab. Man kennt sich mittlerweile. Das erleichtert die Arbeit. Auch in der direkten Nachbarschaft, dem Reuterkiez, tut sich etwas: Die in Verruf geratene Rütli-Schule soll sich zum Vorzeige-Projekt für Integration mausern. Auf dem geplanten „Campus“ arbeiten ab Sommer 2008 drei Schulen zusammen. Mitinitiatorin ist die Stiftung Zukunft Berlin. Die Freudenberg Stiftung gibt Geld für eine pädagogische Werkstatt, die Dürr-Stiftung entwickelt die auf dem Campus liegenden Kindertagesstätten zu „Early-Exzellence-Zentren“. Jugendliche aus Roma- und Sinti-Familien können sich beim Neuköllner „Kiez mobil“ be­ ruflich orientieren. An der Neuköllner Kepler-Schule fördert die Bürgerstiftung Neukölln N+ ein Mentoren-Projekt für Neuntklässler. Ahmed könnte einen Mentor gut gebrauchen. Der gut aussehende 16-Jäh­


rige mit dem breiten Grinsen und der weißen Kapuzenjacke ist mit Freunden in der Fußgängerpassage unterwegs. Ob er die neunte Klasse schafft, weiß er nicht. „Ich hatte zu viele Sachen im Kopf und habe deshalb oft geschwänzt“, sagt er und schaut weg. Das sei nun vorbei. Er schmiedet Pläne für die Zeit nach der Schule: „Ich steige mit meinem Bruder in den Kupferhandel ein“, sagt er und hibbelt dabei herum, so als brauche es den Körpereinsatz, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Mit Kupfer könne man viel Geld verdienen. Er habe mal ein Praktikum in so einer Fabrik gemacht. So vage Ahmeds Berufspläne klin­ gen, so unsicher sind seine Aussichten auf einen wirklichen Arbeitsplatz. Das weiß er wohl selbst. „Du steigst doch lieber in fremde Keller ein“, macht sich sein Kumpel über ihn lustig. „Spinnst Du, Alter?“, sagt Ahmed sauer. Im Cafe des Jugendzentrums spielt gerade eine Gruppe junger Männer Kar­ ten. Sie trinken Cola, essen Pommes. Es wird viel gelacht. „Für viele ist das hier ein Rückzugsort“, erklärt LessinghöheLeiter Jürgen Schmeichler. „Sie wissen, dass der Stress draußen bleibt.“ Auf Prü­ gel steht Hausverbot. Das Aggressions­ potential sei dennoch hoch. Man müsse die Verhältnisse bedenken. Viele Kinder haben das Viertel noch nie verlassen. Manche kommen mit zu großen Schuhen, andere teilen sich ein Zimmer mit sechs Geschwistern.

Verein „­ Morus 14 e.V.“ zum gemein­ samen Z­ ucker- oder Opferfest. Die Rollberger an einen Tisch zu bringen, versucht der Verein seit länge­ rem mit der Aktion „Mieter kochen für Mieter“. Dann sitzen vor allem deutsche Rentner um den Mittagstisch. Viele Migran­ten bleiben lieber unter sich, ko­ chen und essen zu Hause. „Die festen Familien-Strukturen erschweren den Zu­ gang“, meint Hausleiter Frank ­Bourgett. „Die leben in einer anderen Kultur, mit einer anderen Weltanschauung. Wir ver­ suchen, wenigstens den Kindern ein Tor zu Deutschland aufzustoßen“, sagt der 44-Jährige. Im „Morus 14“ ist denn auch wieder ein kleiner Schritt auf dem Weg zur besseren Verständigung getan: Die 17-jährige Gülsüm und die 16-jährige Duha helfen beim Kochen und Servieren. Die Kopftuchträgerinnen kommen von der Kielhornschule und absolvieren hier ein Berufspraktikum. Sie sind beste Freun­ dinnen – die Türkin und die Libanesin.

Das Aggressionspotential ist trotz Sozialarbeit hoch Für Spannungen sorgen auch die Animositäten zwischen arabischen und türkischen Bewohnern. „Die sind zu laut und ihre Kinder benutzen schlech­ te ­Ausdrücke“, heißt es unisono, fragt man türkische Rollberger nach ihren ­ara­bischen Nachbarn. Um das Verhältnis beider ­Ethnien zu verbessern, lädt der

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8 – Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird


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Portrait

Integration ist harte Arbeit

Foto: privat

Gilles Duhem ist ein Mann der klaren Worte. Integration verlangt Geduld, Hartnäckig­ keit und Spielregeln, an die sich alle halten.

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Gilles Duhem meint, dass mit ­ ischi-Waschi-Pädagogik keinem W gedient sei. Damit mag er bei einigen anecken, doch er wird im Rollbergviertel genau deshalb respektiert. Auf dem Herd köchelt ein Eintopf. Es riecht nach Kohl. Fast 80 Leute sind ins Vereinshaus „Morus 14“ im Berliner Roll­ bergviertel gekommen, um mit anderen Kiezbewohnern zu tafeln. Um die Tische sitzen vor allem deutsche Rentner. Be­

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vor sie hier das Essen servieren, springt ein junger Mann in Jeans und grauem Rollkragen­pullover auf und hält eine Rede aus dem Stegreif: Vereins-Mitbegründer Gilles Duhem. Der umtriebige Pariser wirkt hier als Entertainer und Zugpferd in einem. Zunächst heißt er Seniorin Edith will­ kommen. „Sie ist übel gestürzt und lag im Krankenhaus.“ Dann begrüßt er den Geschäftsführer des Arabischen Kultur­ vereins, den Rektor der Zuckmayer-Schule und den Herrn vom Bezirksamt, weist auf die Bastelgruppe und den Gottesdienst mit Schwester Rosemarie hin und stellt das 100. Mitglied von „Morus 14“ vor: Der ist Chef einer kleinen Neuköllner Hausverwaltung. Die Mission des studierten Polito­ logen und Stadtplaners Duhem: Irgend­ wann einmal alle Rollberger an einen Tisch zu bringen. Doch dazu muss noch viel passieren. Seine Frage an die ara­ bischen und türkischen Familien lautet: „Wer von Euch ist mental hier? Wer will es sein und wer nicht?“ Die Antwort gibt er gleich selbst: „Wir machen hier oft Ent­ wicklungshilfe“. Der Kiezarbeiter mit der mönchischen Kurzhaarfrisur redet Klar­ text – daran ändert der liebenswürdige Akzent nichts. Integration erfordere viel Geduld und Hartnäckigkeit. Der 40-Jährige will Zuwanderer aus „ihrem Käfig von Unwis­ senheit und Archaismus“ befreien. „Es ist alles eine Frage der Bildung“, sagt er. Gilles Duhem spricht leise, schnell und pointiert und hält mit seiner Mei­ nung nicht hinter dem Berg. Fünf Jahre arbeitete er als Quartiersmanager am Rollberg mit einigem Erfolg. Weil er sich politisch nicht unter Druck setzen ließ, verlor er seine Stelle. Seitdem leitet er den von ihm mitgegründeten Förderver­ ein Gemeinschaftshaus „Morus 14“ im Rollbergviertel. Den Job hat er ein Jahr lang ehren­amtlich gemacht, weil der


Verein nicht genug Geld hatte, um ihn zu bezahlen. Ein bisschen „Marschmusik und Kaiserzeit“ könne im Umgang mit den Migranten nicht schaden, erklärt er fröhlich. Und meint damit, dass man im Zweifel auch Druck erzeugen müs­ se, um beispielsweise die Schulpflicht ­durchzusetzen. Die Klagen junger Männer kontert er hart, aber herzlich. „Wenn ein Jugend­ licher sich beschwert, er habe die Lehr­ stelle nicht bekommen, weil er Ausländer sei, sage ich: Du hast sie nicht bekom­ men, weil Du nicht pünktlich warst und weil Dein Zeugnis zu schlecht ist.“ Seit 18 Jahren lebt Duhem in Berlin, fast ausschließlich im gleichen Kreuz­ berger Kiez nördlich vom Görlitzer Bahn­ hof. Bevor er Quartiersmanager wurde, war er für die Treuhand-Nachfolgerin TLG tätig. Er betreute millionenschwere Im­ mobiliengeschäfte und weigerte sich stets, Kalkulationen schön zu rechnen. Irgendwann schmiss er hin – und bewarb sich als Quartiersmanager. Was ihn bei seinen Schützlingen ­ärgert – der Ehrbegriff, hinter dem sich viele allzu gerne verstecken. „Bist Du beleidigt, brauchst Du Dich nicht mehr um das eigentliche Problem zu kümmern“, hält er ihnen vor. Mit ­„Wischi-Waschi-Sozialarbeitern“ kann er nichts anfangen. Er fordert von den Zuge­ zogenen Selbstdisziplin. „Sie müssen die Spielregeln lernen und akzeptieren, nach denen diese Gesellschaft funktioniert. Ihre eigene Kultur aufgeben müssen sie dafür nicht. Das verlangt doch keiner!“

Viel Humor ist sein bestes Instrument Hier in Neukölln-Nord mangelt es bisweilen an den simpelsten Um­ gangsformen – auch bei den deutschen Familien. „Man wirft Müll nicht aus dem

Fenster. Das regt mich immer wieder auf.“ Verabredet sich Duhem mit einem arabischen Vater, fragt er: „Deutsche oder arabische Zeit?“ Soll heißen: Bist Du da, oder muss ich eine halbe Stunde warten? Auch das will er in den Köpfen der Bewohner verankern: „Die Kultur des Humors. Die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen.“ Im Vereinshaus servieren sie mitt­ lerweile den Nachtisch. Vanillepudding mit Kirschen. Duhem hat neben dem ­E ssen noch tausend Kleinigkeiten erle­ digt. Marianne braucht den Schlüssel, Lydia die Kopien, und könnte Dieter wieder für den Mieterbeirat kandidieren? Der Franzose arbeitet wie ein preußi­ scher Beamter. Man kann ihn am Freitag vor Weihnachten ebenso im Büro errei­ chen wie am Tag nach Neujahr morgens um 9 Uhr. „Wenn Du etwas erreichen willst, musst Du Dich anstrengen“, das haben ihm seine Eltern beigebracht. Der Vater ist Arzt, die Mutter Apothekerin. Alles war immer da, Überfluss war verpönt. Geprägt hat ihn auch seine Großmutter. Die schickte ihre Putzfrauen aus ­Spanien oder Portugal stets als erstes zum ­Französisch-Unterricht. Weihnachten gab es ein Wörterbuch. Im von „Morus 14“ aufgebauten „Netzwerk Schülerhilfe“ helfen enga­ gierte Berliner einmal in der Woche ­Migrantenkindern bei den Hausaufga­ ben. Ausgerechnet das mit dem Berli­ ner Integrationspreis ausgezeichnete ­Projekt erhält seit 2008 jedoch keine Mittel mehr aus der Sozialen Stadt. „Alle drei bis vier Jahre werden neue Konzepte verlangt. Wie sollen sich er­ folgreiche Ansätze da verstetigen? Und wer finanziert sie? Alle sprechen von Netzwerken, keiner will aber die Fach­ leute bezahlen, die Netzwerke aufbauen und bespielen. Es ist ein großer Fehler“, kritisiert Duhem.

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Für Migrantenkinder in ­Problemvierteln braucht es Ganztagsschulen

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Foto: Christian Thiel

2008 schießt die Stiftung Pfeffer­ werk der Schülerhilfe nun 2.000 Euro zu, Veolia Cargo Deutschland ebenso. Der Kontakt entstand über die Veolia Stiftung, eine langjährige Partnerin des Fördervereins „MORUS 14“. Viele private Spender haben sich für die Schülerhilfe mobilisiert, ein Ehepaar aus Berlin und ein Banker aus Frankfurt waren sogar sehr großzügig. Projekte für Kinder brau­ chen mehr und vor allem längere Unter­ stützung. Denn den nötigen Mentalitäts­ wechsel, der einen gesellschaftlichen Einstieg ermöglicht, kann nur von den Kindern kommen, ist Duhem überzeugt. Flächendeckend gebundene Ganztags­ schulen seien in den Problemvierteln

Gilles Duhem kennt keine Berührungs­ ängste. Die halbwüchsigen „Macker“ respektieren ihn. StiftungsReport 2008/09

einzurichten. Nur so habe der Nachwuchs wirklich eine Chance. Der Integrations-Spezialist wird ­mittlerweile gern zu Fachtagungen gela­ den. Im Januar 2008 nahm er am Sympo­ sium „Jugendgewalt“ der CDU-Bundes­ tagsfraktion teil. Mit seinem Auftritt über­ zeugte er den im Auditorium sitzenden Neuköllner Hausverwalter, bei „Morus 14“ einzutreten. Duhems Engage­ment wirkt ansteckend. Auch die gutbürgerlichen Mitglie­ der der neu an den Rollberg gezogenen ­Senioren-Wohngruppe hat er angewor­ ben. Er lernte einen der Bewohner auf einer schwul-lesbischen Veranstaltung kennen. Duhem ist schwul. Im Kiez berei­ tete ihm seine Homosexualität nie Pro­ bleme, weil er sich Respekt verschaffen kann und sich von den halbwüchsigen „Mackern“ nichts bieten lässt. Seine stärkste Waffe ist seine insistierende Freundlichkeit. Die hilft ihm jedoch nicht gegen Enttäuschungen, die er immer wieder einstecken muss. Gilles Duhem erzählt von einem jungen Berliner mit palästinen­ sischen Eltern, dem er zusammen mit einer Kollegin gegen alle Widerstände zu einem Ausbildungsplatz verhalf. Sie hat­ ten etliche Telefonate und Diskussionen mit den Behörden, dem Jobcenter und dem Bildungsträger geführt. Am Ende hatten sie das Unmögliche geschafft. Der junge Mann aber sagte drei Tage vor Lehrbeginn ab. Er wolle mit einem Kum­ pel einen Imbiss aufmachen. Als daraus nichts wurde, hat er geheiratet. In seinen Augen war das die Lösung aller Probleme. Manchmal bläst ihm ganz schön der Wind ins Gesicht. Damit Gilles Duhem wei­ ter auf Kurs bleiben kann, braucht er jetzt selbst ein wenig Hilfe. Zu der Finanzierung der beiden Arbeitsplätze im Förderverein „Morus 14“ braucht er nun Förderer, die seine Arbeit unterstützen. Aufgeben will er nicht: „Ich bringe die Dinge gern zu Ende. Und gebe nicht so schnell auf.“


Stiftung Sozialpädagogisches ­Institut Berlin – Walter May

Die Stiftung SPI wurde 1981 von der ­Berliner Arbeiterwohlfahrt gegründet. Sie will benachteiligte Bevölkerungs­ gruppen mit preiswertem Wohnraum versorgen. Derzeit betreut die Stiftung SPI beispielsweise den Umbau einer Wohn­anlage für junge Alleinerziehende. Seit 2007 ent­wickelte sie im Senatsauf­ trag eine ­zentrale Servicestelle, die alle Förderanträge für StadtentwicklungsProjekte vorab bearbeitet und prüft. www.stiftung-spi.de

Lawaetz-Stiftung

Die Lawaetz-Stiftung ist nach dem sozial engagierten Altonaer Kaufmann Johann Daniel Lawaetz benannt. Er propagierte schon Anfang des 19. Jahrhunderts „Hilfe zur Selbsthilfe“ für die Armen. Die Stif­ tung betreut besondere Bauprojekte wie eine Hausgemeinschaft von Behinderten und Nichtbehinderten, Selbsthilfeprojek­ te von Obdachlosen, HIV-Patienten und jungen Familien. Außerdem engagiert sich die Stiftung in Hamburger Problemstadt­ teilen als Quartiersentwickler. www.lawaetz.de

Schader-Stiftung

Die Darmstädter Schader-Stiftung wur­ de 1988 von dem Bauingenieur Alois M. Schader gegründet. Sie fungiert als „Think Tank“ und liefert den theoretischen Hintergrund zur aktuellen Diskussion um soziale Stadtentwicklung und die Integra­ tion von Zuwanderern (siehe Kasten). Mit Studien, Tagungen und Publikationen will sie den Dialog zwischen Gesellschafts­ wissenschaftlern und Praktikern voran­ bringen. Die Kernfrage lautet: Wie wirkt sich der gesellschaftliche Wandel auf das städtische Leben aus? Praxisorientierte Forscher werden einmal im Jahr mit dem mit 15.000 Euro dotierten Schader-Preis ausgezeichnet. www.schader-stiftung.de

Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main

Die 2005 aus einem Bürgerverein her­ vorgegangene Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main will die Stadt zu einer modernen, bürgernahen Metropole entwickeln. Dazu gehört die Integration von Migrantinnen und Migran­ ten, auf die vor allem zwei Programme abzielen: Mit dem „DeutschSommer“ fördert die Stiftung bis zu 160 Dritt­ klässler aus Frankfurter Grundschulen drei Wochen in den Sommerferien. Betei­ ligt sind die öffentliche Hand und weitere Stiftungen. Das Programm „Stadtteil­ botschafter“ belohnt gemeinnütziges Engagement im Quartier. www.stpg.de

Veolia Stiftung

Die 2001 in Berlin gegründete VeoliaStiftung unterstützt lokale IntegrationsInitiativen in Form von Sachmitteln. So half sie bei der Gründung einer deutschrussischen Grundschule, unterstützte eine Wäscherei, die arbeitlosen Migran­ tinnen und Migranten die Rückkehr ins Berufsleben ermöglicht und finanzierte die Inneneinrichtung eines Ladens, in dem „Kiezmütter“ mit Migrationshinter­ grund andere Frauen beraten. www.veolia-stiftung.de

Bürgerstiftung Neukölln N+

Die Bürgerstiftung Neukölln N+ will eine „Kultur der Anerkennung“ installieren. Gefördert und ausgezeichnet werden Projekte, die die Kiez-Identität und die Bewohner stärken und die interkulturelle Verständigung voranbringen. So wie die Schülerreise, die Neuköllner Kinder ins baden-württembergische Leonberg führte oder das Info-Projekt für muslimi­ sche Schwule und Lesben. Kinder und Jugendlich werden mit dem Theaterpreis ­„Globus“ ermuntert, ihren Alltag in Theater­stücken zu verarbeiten. www.neukoelln-plus.de 8 – Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird

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Handicap als Chance Menschen mit Behinderungen werden von der Gesellschaft noch immer ausgegrenzt. Gerade Förderschulen, die die Mehrzahl der Jungen und Mädchen mit Behinderungen betreuen, werden ihrer Funktion nur selten gerecht. Der Hintergrund­ text macht eine Bestandsaufnahme und wagt einen Ausblick. Wie man Menschen mit Handicap integrieren und alle Formen der Diskriminierung aktiv bearbeiten kann, darüber spricht Wera Tavra im Interview. Sie leitet eine von 39 Kindertages­ stätten, die nach dem Anti-Bias-Ansatz arbeiten, der auf diskriminierungsfreies Erziehen zielt. Die Reportage beschreibt ein außergewöhnliches Schulprojekt in Kulmbach, in dem Schülerinnen und Schüler Menschen mit Behinderungen im Umgang mit Computern unterrichten. Das Porträt schließlich stellt den querschnittsgelähmten Manfred Sauer vor, der erst ein Unternehmen, dann eine Stiftung gegründet hat.

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Behindert ist man nicht, behindert wird man

Förderschulen erweisen sich für Jungen und Mädchen mit ­Behinderungen häufig als Sack­ gasse. Modellprojekte zeigen, dass es auch anders geht.

Menschen mit Handicap laufen Marathon oder kämpfen um olympische Medaillen, sie leiten Unternehmen, ste­ hen auf der Bühne und gründen Familien. Im Vordergrund stehen aber selten ihre Leistungen. Der Fokus richtet sich nach wie vor auf die – negativ besetzten – Behinderungen. Das beweist unsere Sprache. An ihr lassen sich jedoch auch die positiven Entwicklungen ablesen. Hie­ ßen Menschen mit Handicap nach dem Krieg noch „Krüppel“, wurden sie in den 60er Jahren ganz im Zeichen der Fürsorge als „Sorgenkinder“ bezeichnet. Heute sprechen wir von „Behinderten“ oder „Menschen mit Handicap“. Eine befriedi­ gende Sprachlösung gibt es bisher nicht. Hinzu kommt, dass Menschen mit Handicap aus vielen Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Nicht die Gemeinschaft kümmert sich um ihre Belange, sondern spezielle Einrich­ tungen. Diese engagieren sich ohne Zwei­ fel für ihre Klientel. Und sie befinden sich in einem positiven Umbruch. Ihre Hilfe entwickelt sich von der Fürsorge hin zu einer Dienstleistung auf Augenhöhe. Außerdem geht „spezielle Hilfe“ oft einher mit Separierung. Diese steigt mit dem Grad der „Behinderung“. Gerade

Menschen mit geistigem Handicap leben in der Mehrzahl entweder bei den Eltern oder stationär in speziellen Heimen. Die Segregation aus der Gesellschaft wird nicht selten bereits in den Kindertages­ stätten oder der Grundschule vollzogen, spätestens jedoch nach der vierten Klasse. Statt der Regelschule besuchen Jungen und Mädchen mit Handicap in der Mehrzahl eine Förderschule. Anteil integrativer Einrichtungen der Tagesbetreuung an der Gesamtzahl aller Einrichtungen 2006 (in Prozent) Kinder von 0 – 14 Jahren, d. h. Krippen- bis Hortkinder Quelle: Statistisches Bundesamt 2006, Kinder- und Jugend­hilfestatistik, eigene Berechnungen

45 40 35 30 25 20 15 10 5

Sachsen-Anhalt Brandenburg Rheinland-Pfalz Hamburg Mecklenburg-Vorpommern Bayern Niedersachsen* Nordrhein-Westfalen Baden-Württemberg Thüringen Sachsen Bremen Schleswig-Holstein Hessen Berlin Saarland*

H

Hintergrund

0

* Zahlen von 2003

Im kleinsten deutschen Flächenstaat wird Integration bei der Tagesbetreuung groß geschrieben Fast die Hälfte aller Betreuungseinrichtun­ gen für Kinder im Alter von 0 – 14 Jahren, d.h. Krippen- bis Hortkinder, sind im Saarland so genannte integrative Einrich­ tungen. Schlusslicht in punkto integrativer Tagesbetreuung ist Sachsen-Anhalt mit ei­ nem Anteil von nicht einmal zehn Prozent.

9 – Handicap als Chance

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Förderunterricht führt ins berufliche Abseits Die spezielle „Förderung“ in der Schule bringt jedoch nicht den er­ wünschten Erfolg. Vier von fünf Schüle­ rinnen und Schüler verlassen diese Schulen ohne Abschluss.111 Die berufliche Karriere und damit die Integration in die Gesellschaft endet in der Sackgasse bevor sie eigentlich begonnen hat. Viele europäische Länder ge­ hen b ­ ewusst andere Wege. In Italien, ­Norwegen und Schweden besuchen Kinder mit Handicap zu 100 Prozent die Regelschule, im EU-Schnitt sind es 80 Prozent, in Deutschland dagegen nur 13 Prozent.1122

Die UN-Menschenrechtskommission für Bildung kritisierte im März 2007 diese Form der Segregation. Das mehrgliedrige Schulsystem mit den Förderschulen als vierter Säule könne zu einer Diskriminie­ rung führen. „Arme Kinder, Migranten­ kinder und Kinder mit Handicap sind von der Klassifizierung negativ betroffen“, moniert der Inspektor der Kommission, Vernor Muñoz Villalobos.113 Gleichzeitig kritisierte er die mangelnden Einfluss­ möglichkeiten der Eltern auf die Bildung ihrer Kinder mit Handicap.114 Diese Kritik führte zu teils vehementen Protesten. In seiner Entgegnung bestritt der deutsche UN-Botschafter in Genf, Michael Steiner, eine Diskriminierung von Menschen mit Handicap.115

Anteil integrativ beschulter Kinder einiger europäischer Länder im Vergleich (in Prozent) Quelle: SNE Country Data 2006, eigene Berechnungen

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Italien Schweden Norwegen Malta Großbritannien Zypern Litauen Portugal Finnland Griechenland Spanien Österreich Tschechien Polen Ungarn Luxemburg Slowakei Frankreich Niederlande Deutschland

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Schlusslicht: In Deutsch­ land besuchen mit Abstand die wenigsten Kinder mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf eine Regelschule Die Bundesrepublik hat in punkto Teilhabe von Schülerinnen und Schü­ lern mit Behinderungen noch einen weiten Weg vor sich, denn der Anteil integrativ beschulter Kinder beträgt nur 13 Prozent. Bis sich das ändert, werden nach S ­ chätzungen der OECD noch 20 bis 25 Jahre vergehen, erst dann ist hierzulande der Stand Westeuropas erreicht. Die Integrationsquote liegt im europäischen Durchschnitt bei 80 Prozent.


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So viel Hilfe wie nötig, so viel Selbstbestimmung wie möglich Die Datenbank des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen listet weit mehr als 200 Stiftungen auf, die sich laut Satzungszweck für die Belange von Menschen mit Behin­ derungen stark machen. Einige Beispiele von vielen: Grundvoraussetzung Barrierefreiheit „Selbstständiges Leben fördern und Unabhängigkeit trotz Behinderung schaffen“ 116 – das war Elsa Krauschitz wichtig. Ihren Nachlass wollten sie und ihr Bruder des­ halb zur Förderung barrierefreier Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinde­ rungen zur Verfügung stellen. Der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. hat diesem Wunsch entsprochen und im Jahr 2002 die Elsa-Krauschitz-Stiftung errichtet, die wegweisende Neu- und Umbauprojekte für barrierefreie Wohnformen ­unterstützt. Kindergarten und Schule Bei der Stiftung Integration ist der Name schon seit 1980 Programm. Sie dient „aus­ schließlich dem Zweck der Verbreitung und Verwirklichung integrativer Lebensmög­ lichkeiten von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung“. Unterstützung erhalten vor allem integrative Schulen und Kitas. Sie reicht von ergotherapeutischen Montagen in Schulräumen bis hin zur Lärmdämmung von Kita-Räumen für hör­ geschädigte Kinder. Ausbildung und Arbeit Das Berufsbildungswerk Adolf Aich gGmbH, eine Tochtergesellschaft der Stiftung Liebenau, bietet Jugendlichen mit Lernbehinderung berufsvorbereitende Maßnah­ men, Förderung, Qualifizierung und Berufsausbildung in über 36 anerkannten Aus­ bildungsberufen an. Alsterarbeit nennt sich die gemeinnützige GmbH unter dem Dach der Evangeli­ schen Stiftung Alsterdorf, die Menschen mit Behinderungen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt ebnet. Alsterarbeit beschäftigt sie nicht nur in den eigenen Betriebs­ stätten, sondern auch in Integrationsbetrieben und Projekten in und um Hamburg. Dazu ­gehören eine Bäckerei und ein Unternehmen, das auf IT Outsourcing spezia­ lisiert ist. Die etwa 50 gemeinnützigen CAP-Märkte in Deutschland haben den Grundgedan­ ken, Menschen mit Handicap (= Cap) eine Beschäftigung und damit einen Lebens­ mittelpunkt zu ermöglichen. Für die Einrichtung eines CAP-Marktes engagiert sich auch die noch junge Stiftung Rückhalt aus Saarbrücken in ihrem ersten Projekt. Die dort beschäftigten Menschen mit Behinderungen stehen in täglichem Kontakt mit Kunden, wiegen Käse und Wurst ab, können aber auch Management-Aufgaben über­ nehmen. In den Märkten werden außerdem Verkäufer und Kaufleute im Einzelhandel ­ausgebildet.

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Leben mitten in der Gesellschaft: Auf dem Weg zu mehr „Normalität“ durch begleitetes Wohnen. Möglich macht das die Stiftung KörperbehindertenZentrum Oberschwaben (KBZO), die steigende Zah­ len beim begleiteten Wohnen verzeichnen kann.

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 10

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40

Wohnen Menschen mit Handicap eröffnet sich mit Unterstützung der Stiftung Körperbehinder­ ten-Zentrum Oberschwaben (KBZO) die Möglichkeit, allein, als Paar oder in einer Wohn­gemeinschaft in einem ganz normalen Haus zu wohnen. Eine Wohnassistenz fungiert als Ansprechpartnerin. Menschen mit Behinderung werden so vergleichbare Perspektiven und Lebensverhältnisse eröffnet wie nicht behinderten Menschen. Die meisten Bewohner des begleiteten Wohnens waren vorher stationär untergebracht. Freizeit und Reise Als Modelleinrichtung zur medizinischen, medizinisch-beruflichen, beruflichen und sozialen Rehabilitation von Menschen mit Behinderung gilt die Stiftung Haus der Be­ hinderten Bonn. Das Haus mit seinem großen Freizeit- und Begegnungsbereich bietet Menschen mit und ohne Handicap viel Raum für Begegnungen, unter anderem ein therapeutisches Hallenschwimmbad mit Hubboden und eine Kegelbahn, die auch für eine Nutzung von Blinden und Sehbehinderten ausgerüstet ist. Auch Reisen gehört zur Teilhabe: Unter dem Motto „Einfach mal weg“ bietet das Reise­ büro der Fürst Donnersmarck-Stiftung Tages- und Kurzreisen an, informiert aber auch umfassend über barrierefreie Reiseziele. Alter Die Lebenserwartung von Menschen mit Behinderungen nähert sich heute an die der gesamten Bevölkerung an – dank besserer Grundversorgung sowie intensiver medizi­ nischer und heilpädagogischer Betreuung. Die Robert Bosch Stiftung unterstützt mit ihrem Programm „Behinderte werden alt“ innovative Ansätze zur Aufrechterhaltung der sozialen Integration sowie zur positiven Bewältigung des Ruhestandes und des Lebensabends von Menschen mit Behinderung. 142 Bundesweite Beachtung hat das Projekt „50plus“ der Stiftung Pfennigparade gefunden: Vor dem Hintergrund, dass viele Wohnangebote den Bedürfnissen älterer, körperbehin­ derter Menschen nur bedingt Rechnung tragen, möchte die Stiftung neue Wohnformen schaffen, die älter werdenden Menschen größtmögliche Selbstständigkeit bewahrt.

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Leidenschaft, Lust, Liebe ... ... titelte WIR, das Magazin der Fürst Donnersmarck-Stiftung, Anfang 2004. Das Heft eröffnet neue Blickwinkel – für Menschen mit oder ohne Handicap. Man wird mitge­ nommen „zu Texten mit viel Einfühlungsvermögen und viel Sprachwitz, mit klarer Sprache und leisen Tönen. Zu Texten von Menschen mit Behinderung, die von ihrer Leidenschaft, ihrer Lust, ihrer Liebe schreiben oder sprechen.“ 117 Die Ausgabe wurde allein in den letzten 12 Monaten über 9.000 Mal heruntergeladen. Zukunft Der Verein Lebenshilfe Aachen für Menschen mit geistiger Behinderung wurde vor über 40 Jahren gegründet. Die solidarisch handelnde Selbsthilfegemeinschaft beschloss, für ihre Arbeit eine dauerhafte finanzielle Grundlage zu schaffen und errichtete des­ halb 2004 eine Stiftung. Vor dem Hintergrund knapper werdender öffentlicher Mittel haben 64 Ortsvereinigungen und 5 Landesverbände der Lebenshilfe Stiftungen ins Leben gerufen. Durch die jährlichen Erträge aus dem Stiftungsvermögen erhalten sie den nötigen Spielraum, Projekte auch in Zukunft finanzieren und Menschen mit geis­ tigen Behinderungen eine langfristige Perspektive bieten zu können.

Wenn allerdings vier von fünf Kin­ dern mit Behinderungen die Schule ohne Abschluss verlassen, dann kann an der „Förderung“ etwas nicht stimmen. Im­ merhin geht es dabei um die Zukunft von 429.000 Schülerinnen und Schülern, die laut Kultusministerkonferenz „förder­ bedürftig“ sind.118 Was die Nachteile der Förderschulen angeht, sind sich Exper­ tinnen und Experten einig: „Selbst päda­ gogischen Laien leuchtet ein, dass Kinder mit den gleichen Defiziten nicht voneinan­ der lernen können“, sagt Hans Wocken.119 Der Hamburger Bildungsforscher hat die unterschiedlichen Förderansätze in der Hansestadt und Brandenburg verglichen und kommt zu einem verheerenden Ur­ teil: „Je länger ein Schüler die Förderschu­ le besucht, desto dümmer wird er“.120 Förderschulen seien nicht verfas­ sungsgemäß. Zumal sie gegen das Prin­ zip der Gleichbehandlung verstießen, erklärt Wocken: „Die Förderschule ist eine Schule der Armen, der Arbeitslosen

und Sozialhilfeempfänger; sie ist es heute und wird es in näherer Zukunft in wachsendem Maße sein“.121 Dass Kinder aus armen Verhältnissen und aus Migrantenfamilien schneller auf Förderschulen landen, bestätigt die Pädagogin Brigitte ­Kottmann.122 Gemein­ hin werden Kinder zu schnell auf eine Förderschule geschickt, kritisiert auch Steffen ­Petzack, Referent für Sonder­ pädagogische Förderung des Landes Mecklenburg-Vorpommern: „Es gibt ein eingespieltes Netzwerk von Schulärzten, Horten, Grundschulen, das bei der Über­ weisung von Kindern an die Sonderschu­ le reibungslos f­ unktioniert“.123 Auch ökonomisch ist das Konzept der Förderschulen fragwürdig. So hat der Berliner Bildungsforscher Ulf PreussLausitz ausgerechnet, dass allein die Fahrtkosten zu den weit entfernten För­ derzentren die Kosten für einen barriere­ freien Umbau der Regelschulen auf Dauer bei weitem überschreiten.124

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Sport macht mobil

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Gesellschaftlicher Zusammenhalt durch Sport, Teil III

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© DFB-Stiftung Sepp Herberger

Der Ball ist rund und das Spiel dauert 50 Minuten. Nämlich beim Blindenfußball. Im vergangenen Dezember veranstaltete die Sepp Herberger-Stiftung des DFB gemein­ sam mit der Sehgeschädigten Sportgemeinschaft Blista Marburg, der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) und dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) in Marburg das erste internationale Blindenfußball-Hallenturnier. Fußballspielen trotz Blindheit geht so: Spielgerät ist ein Fußball, der mit Rasseln gefüllt ist, damit ihn die Spieler hören können. Vier vollblinde Feldspieler und ein sehbehinderter oder se­ hender Torwart bilden eine Mannschaft.126 Neben dem Trainer gibt es für jede Mann­ schaft noch so genannte Guides, deren Aufgabe es ist, den Spielern Anweisungen zu geben. Die Sepp Herberger-Stiftung macht in diesem Jahr den Blindenfußball zu einem ihrer zentralen Förderschwerpunkte. Überhaupt steht die Förderung des Fußballs im Behindertensport schon sehr lange auf der Agenda der Stiftung. Ein Engagement, das sich unbedingt lohnt: In der Bundesrepublik Deutschland spielen Fuß­ballerinnen und Fußballer mit Handicap in über 600 Mannschaften.127 „Handicap ist kein Hindernis – auch nicht im Sport.“ So lautet das Motto der noch jungen Stiftung Behindertensport Sachsen-Anhalt. Sie ist eine der vielen Stiftungen in Deutschland, die Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderungen die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Zu ihren Zielen gehört deshalb die Förderung von Um­ baumaßnahmen, denn oft genug ist ein barrierefreier Zugang zu den Sportstätten nicht gewährleistet. Ist dieser dann da, werden vielfach spezielle Geräte zur Ausübung des Sports benötigt. Wo die Mittel für deren Anschaffung oder für die Teilnahme an speziellen Trainingskursen fehlen, greift die JOY Kinderfonds Stiftung jungen Sportle­ rinnen und Sportlern mit Handicap unter die Arme. Die Stiftung Deutscher Rollstuhl­ sport will erreichen, dass möglichst viele Rollstuhl­ fahrerinnen und -fahrer Sport treiben. Ein SpezialRollstuhl für Kinder mit Behinderungen ist der Para­ golfer, der im Projekt KidSwing zum Einsatz kommt: Hier wird Golf als Therapie und Motivation zur Bewe­ gung angeboten. Durch den Sport verbessern sich das Selbstwertgefühl und die Sozialkompetenz der Kinder und das erhöht letztendlich die Chancen für die soziale Integration.128 Seit 2004 hat die Vodafone Stiftung Kid­Swing bundesweit an 14 Standorten mit 600.000 Euro unterstützt. Mehr Mobilität für sport­ begeisterte junge Menschen mit Handicap gehört auch zu den Zielen der Katarina Witt-Stiftung. Die Eiskunstlauf-Ikone Witt, die von sich selbst sagt, sie sei während der Zeit ihrer sportlichen Erfolge immer „kerngesund“ gewesen, möchte denen, „die körper­ lich behindert sind – sei es durch einen Unfall, durch eine Naturkatastrophe oder aus anderen Gründen – Mut machen und konkret helfen“.129

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Anteil von Integrationsschülerinnen und -schülern an der Gesamtzahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderungs­ bedarf (in Prozent) Quelle: Statistisches Bundesamt 2006/07, Schulstatistik, eigene Berechnungen

45 40 35 30 25 20 15 10 5 Bremen Berlin Schleswig-Holstein Brandenburg Baden-Württemberg Saarland Mecklenburg-Vorpommern Hamburg Thüringen Rheinland-Pfalz Bayern Sachsen Hessen Nordrhein-Westfalen Sachsen-Anhalt Niedersachsen

0

„Sorgenkinder“ vorn In Bremen und Berlin – beim Vergleich der Bildungssysteme gerne als „Sorgenkin­ der“ bezeichnet 130 – profitieren besonders viele Kinder vom integrierten Unterricht. „Sonderpädagogische Förderung soll vorrangig an allgemeinen Schulen im gemeinsamen Unterricht mit Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf erfolgen“, so will es das ­Berliner Schulgesetz.131 Pisa-Muster­ schüler Bayern dagegen schickt 87,5 Prozent der Kinder mit speziellem Förder­ bedarf auf Sonderschulen.

Integrative Schulmodelle sind erfolgreich Es spricht deshalb wenig für ein Festhalten am Konzept der Förderschulen, einiges hingegen für einen integrativ aus­ gerichteten Unterricht. „Die gemeinsame Erziehung und Ausbildung behinderter und nicht behinderter Kinder unter einem Dach ist der effizienteste Weg, spätere Diskriminierung im Alltag zu vermeiden“, sagt Karin Evers-Meyer, BehindertenBeauftragte der Bundes­regierung.131 Diese Auffassung stützt Franz Rumpler, Vorsitzender des Verbandes Sonderpäda­ gogik: „Es gibt nahezu hundert Modell­ versuche zur Integration – und jeder ist erfolgreich“.132 Als positives Modell gilt die Inte­ grierte Gesamtschule in Bonn-Beuel, die integrativen Unterricht bis zum Abitur anbietet. Die Quote der Schüler ohne Schulabschluss beträgt 0,1 Prozent. Positive Ergebnisse erzielen auch jene Förderschulen, die wie die MartinLuther-Schule in Nürnberg als Durch­ gangsschule konzipiert wurden, also nur eine gewisse Zeit fördern. Die Hälfte der dortigen Schüler kann nach einigen Monaten wieder an eine Regelschule überwiesen werden.133 Die integrativen Regelschulen ­haben für Kinder mit Handicap den Vorteil, dass diese gefordert werden und gleichzeitig von besseren Kindern profitieren. Allerdings erleben sich diese Kin­ der häufig als die Schwächsten. „Das ist der Preis, den sie hier bei uns für die größtmögliche Normalität zahlen müs­ sen“, sagt Brigitte Dahm, Sonderpäda­ gogin an der Integrierten Gesamtschule Bonn-Beuel.134 Für manche Kinder ist die Förderschule deswegen nicht nur Sackgasse, sondern auch notwendiger Schonraum.

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Die Integration macht Fortschritte

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Die Angst vieler Eltern, ihre Kinder ohne Handicap könnten in einer integra­ tiven Regelschule zu kurz kommen, be­ wahrheitet sich nicht. Einige Berliner Inte­ grationsschulen sind so erfolgreich, dass sie gar nicht mehr über so viele Plätze verfügen, wie sie Kinder ohne Handicap aufnehmen könnten, sagt Ulrich Niehoff vom Lebenshilfe-Verband. Der Diplom­ pädagoge blickt zunehmend optimistisch in die Zukunft. „Momentan entsteht ein kritisches Bewusstsein, weshalb ich durchaus Chancen sehe, dass es künftig mehr Schulen für alle gibt.“ 135 So hat die Europäische Konferenz zur Integration behinderter Menschen wichtige Eckpfeiler genannt, die einer Integration zuträglich sind. Die gemein­ same Bildung von Kindern mit und ohne Handicap führt demnach zur Qualitäts­ steigerung der Lehr- und Lernleistungen aller. Es müsse jedoch auch darum gehen, die Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Und als dritten Punkt hat das Gremium die Barrierefreiheit als unerlässliche Voraussetzung für die Ver­ wirklichung der Rechte von Menschen mit Handicap betont.136 Mit dem 2002 in Kraft getretenen Behinderten-Gleichstellungsgesetz und dem 2006 in Kraft getretenen Allge­ meinen Gleichstellungsgesetz hat ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel stattgefunden. So spielt Barrierefreiheit in Bereichen wie Bauen, Verkehr oder Kommunikation eine immer größere Rolle. Horst Frehe, Vorsitzender des Sprecher­rats des Deutschen Behinder­ tenrats, moniert allerdings, dass es sich in weiten Teilen des Gesetzeswerkes um symbolisches Recht handele, das Empathie bezeuge, ohne diese jedoch mit wirksamen Schritten zu verbinden. Gleichzeitig sieht er Vorteile: „Das Ge­ setz hat auch einen wesentlichen Beitrag StiftungsReport 2008/09

zur Veränderung des Behindertenbildes in der Öffentlichkeit geleistet“.137 Gesetzlichen Verbesserungen stehen jedoch verschlechterte Ausgangsbedin­ gungen auf dem Arbeitsmarkt gegen­über. Menschen mit Handicap konkurrieren hier nicht nur mit besser ausgebildeten Mit­ bewerbern, sondern vor allem mit gän­ gigen Vorurteilen. So beklagen Menschen mit Handicap in Internetforen, dass unter Nicht-Behinderten Angst vor ihnen herr­ sche, dass sie Vorurteile pflegten und alle über einen Kamm scherten.

Sozial-Oscar für engagierte Unternehmer Unternehmer, die es wagen, Behin­ derte einzustellen, sind meistens positiv überrascht. „Wer Erfahrungen mit schwer behinderten Mitarbeitern gesammelt hat, der ist überwiegend positiv von diesen Mitarbeitern eingenommen“, sagte Jacob Steinwede vom Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) anlässlich der Preisverleihung des „Sozial-Oscars“.138 Mit diesem zeichnet die Gütersloher Stiftung für psychisch Kranke und geistig Behinderte jene Unternehmen aus, die Menschen mit Handicap eine berufliche Perspektive geben. Mit dem Preis will die Stiftung die Integration von Menschen mit Handicap fördern. Das ist auch dringend geboten. Die Beschäftigungsmöglichkeiten verschlechtern sich zunehmend, urteilt der Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen.139 Wurden 1994 noch 17.397 Personen ausgebildet, nahm ihre Zahl in den Folgejahren bestän­ dig auf 9.000 im Jahr 2000 ab. Trotz Ein­ gliederungshilfen steigt die Arbeitslosig­ keit unter Menschen mit Handicap so stark an, dass „heute jeder vierte arbeitslose Mensch zu der Gruppe der behinderten oder körperlich eingeschränkten Men­ schen gehört“, kritisiert die Organisation „Kein Handicap“.140


„Den Wettbewerb auf dem Arbeits­ markt können behinderte Menschen nur dann bestehen, wenn sie gut ausgebildet sind“, heißt es lakonisch im Bericht über die Lage behinderter Menschen.141 Gut ausgebildet werden aber die we­ nigsten, auch weil die Förderschulen ihre Rolle nicht erfüllen können. Hier also schließt sich der Kreis. Der Ausschluss aus der Regelschule endet gewöhnlich mit dem Ausschluss aus der arbeitenden ­Gesellschaft. Für den gesellschaftlichen Zusam­ menhalt ist es deshalb an der Zeit, die

Bildung der Kinder mit Handicap zu mo­ dernisieren. Inzwischen existieren zahl­ reiche – gerade von Stiftungen geförderte – Integrationsmodelle, die Wege zu einer positiven Eingliederung von Menschen mit Handicap aufzeigen. Der Artikel 3 des Grundgesetzes, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, muss also keine Utopie bleiben. Gerade in den letzten Jahren wurden viele Verbesserungen erzielt. Möglich – und notwendig – sind weitere Fortschritte. Denn „behindert ist man nicht, behindert wird man“.

Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen 2006 Quelle: Statistisches Bundesamt, Sozialleistungen, Wiesbaden 2007 (Bruttoangaben in Euro)

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation 73.696.535 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben 245.906.277 Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen 3.310.565.020 Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft 6.575.873.049 Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung 829.393.728 Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf 11.996.245 Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit 4 .825.090 Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten 16.807.926 Nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben 18.499.217 Sonstige Leistungen der Eingliederungshilfe 716.560.387 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gesamt 11.804.123.474 Im Jahr 2006 stellte die Bundesregierung 11,8 Milliarden Euro für die gleichberechtigte Teil­ habe von Menschen mit Handicap zur Verfügung. Zum Vergleich: Die Software AG Stiftung förderte in ihrem Schwerpunkt „Behindertenhilfe“ im gleichen Jahr 76 Projekte mit insge­ samt 3,3 Millionen Euro. Leistungen der Eingliederungshilfe können neuerdings „einge­ kauft“ werden. Mit der Einführung des persönlichen Budgets hat sich in der Behinderten­ politik der Bundes­republik ein Paradigmenwechsel vollzogen. Das persönliche Budget ist keine neue ­Leistung, sondern es ändert sich lediglich die Leistungsform. Seit dem ersten Januar 2008 haben Menschen mit Behinderungen einen Rechtsanspruch gegenüber allen Erbringern von Sozialleistungen wie der Krankenversicherung, Rentenversicherung, aber eben auch der Eingliederungshilfe. Das persönliche Budget ist damit ein neues Instrument für mehr Selbstbestimmung, da die „Experten in eigener Sache“3 ab sofort eigenverant­ wortlich als Kunden handeln. Das bereits erprobte Modell verspricht Erfolg: „80 Prozent der Menschen, die ein Budget in Anspruch nehmen, gaben an, ihr Leben sei lebenswerter geworden. 90 ­Prozent würden sich wieder für das Budget entscheiden“, sagt Karin EversMayer, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen.4 9 – Handicap als Chance

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I

Interview

Alle Kinder sind gleich, was ihre Rechte auf Entfaltung und Bildung ­angeht. Dieser theoretische Ansatz fin­ det aber nur selten seine Entsprechung im Alltag. Ihre Kindertageseinrichtung hat nun drei Jahre lang am Projekt „Kinderwelten“ teilgenommen, das den Anti-Bias-Ansatz verankern will. Was ist der Anti-Bias-Ansatz und was ist neu daran? Das englische Wort „bias“ bedeutet Voreingenommenheit oder Vorurteil. Der Anti-Bias-Ansatz gilt als einer der inno­ vativen Ansätze antidiskriminierender Bildungsarbeit. Zunächst einmal geht der Ansatz davon aus, dass jeder Mensch Erfahrungen macht, abgewertet, ausge­ schlossen und diskriminiert zu werden, aber selbst auch zu diskriminieren. Die Vorurteile und Privilegien, die daraus erwachsen, tragen eine persönliche wie eine gesellschaftliche Dimension in sich. Diese will der Anti-Bias-Ansatz bewusst machen, um ihnen begegnen zu können. Dabei schließt er breiter als die anderen interkulturellen Ansätze alle Formen der

„Kinder sollen keine Ängste entwickeln, sondern die Vielfalt als Reichtum betrachten“ Wera Tavra

Foto: Michael Netzhammer

Wera Tavra leitet die städtische Kindertageseinrichtung „Fasanenhof­ straße“ im Fasanenhof, einer Vorstadt im Stuttgarter Süden. Ihre Einrichtung ist eine von 39 Kindertagesstätten von „Kinderwelten“. Das Projekt des Instituts für den Situationsansatz an der Freien Universität Berlin basiert auf dem aus den USA stammenden, inno­ vativen Anti-Bias-Ansatz, der Kinder diskrimi­nierungsfrei erziehen möchte. Das Modellvorhaben wird finanziert von der in Holland ansässigen Bernard van Leer Foundation. Seit September 2007 wird „Kinderwelten“ auch im Rahmen des Programms „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ vom Bundesministerium für Familie, ­Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

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Diskriminierung ein und ermutigt Erziehe­ rinnen und Erzieher zu einer aktiven Haltung und – so hat es die Erfinderin Louise Derman-Sparks beschrieben – ei­ ner lebenslangen Arbeit, die in uns selbst beginnt. Was heißt das übersetzt in den Alltag in Ihrer Kindertagesstätte? Kinder sollen keine Ängste entwickeln, sondern die Vielfalt als Reichtum betrach­ ten. In unserem Kindergarten begegnet den Kindern die Vielfalt. Wir betreuen Kinder mit und ohne Behinderungen. Und wie in jeder anderen Einrichtung ist unse­ re Kinderwelt auch deshalb sichtbar bunt, weil gut ein Dutzend Kinder eine dunkle Hautfarbe haben und Kinder aus 19 ver­ schiedenen Nationen zu uns kommen. Zum anderen geht es darum, Diskriminie­ rungen auf die Spur zu kommen und sie aktiv zu bearbeiten – mit den Kindern und mit den Eltern. Wie gehen Sie mit Diskriminie­ rungen um? Indem wir bei uns selbst anfangen. Wir müssen über unsere Sprache sehr viel deutlicher nachdenken. Diskriminie­ rungen kommen nicht selten in achtlosen Formulierungen daher, in denen wir eigene Glaubenssätze, wie wir sie von Kindheit an formuliert haben, unkritisch weitergeben. Ich möchte Ihnen mal ein Beispiel geben. Wenn ein Betreuer oder eine Betreuerin die Kinder nach den Ferien fragt, „wo seid ihr denn hinge­ fahren?“, schließt sie all jene Kinder aus, die zuhause bleiben mussten, weil ihre Eltern kein Geld oder keine Zeit hatten. Die Frage hingegen, „Was habt ihr in den Ferien gemacht?“ gibt auch den zuhause gebliebenen Kindern die Möglichkeit zu erzählen. Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied ausmachen. Dafür müs­ sen wir uns sensibilisieren. Was machen Sie heute anders als noch vor drei Jahren?

Wir haben mit unseren zwölf Mitarbeite­ rinnen und Mitarbeitern aktiv Biografie­ arbeit betrieben, haben unsere eigenen, manchmal wenig hilfreichen Glaubens­ sätze zutage gefördert, haben unsere Sozialisation Revue passieren lassen und eigene Verletzungen zutage gefördert und über Diskriminierungen gesprochen, die wir selbst erfahren und die wir selbst ausgeteilt haben. Wenn wir uns nun in der täglichen Arbeit auf die Schliche kommen, geht es eben nicht darum, sich zu geißeln, sondern wir wollen abschät­ zende Worte, Blicke und Gesten wahrneh­ men, um damit langfristig anders reagie­ ren zu können. Das klingt gut. Was aber machen Sie, wenn ein Kind andere beschimpft oder schlägt? Bisher war es in Deutschland eher unüblich, aktiv mit Diskriminierungen umzugehen. Wir thematisieren sie dage­ gen sofort. Lassen Sie mich ein Beispiel geben. Wenn ein Mädchen oder Junge zu mir kommt, jener habe gesagt, er stinke, sei blöd, weil er eine schwarze Hautfarbe habe, dann setze ich mich mit beiden Kindern zusammen, schildere dem einen, was seine Worte ausgelöst haben. Die Reaktionen variieren von Wut über Scham bis hin zur Trauer. Manchmal weinen beide zusammen. Was können Sie tun, damit es zu solchen Diskriminierungen der Haut­ farbe, der Herkunft oder der Behinderung wegen nicht kommt? Diskriminierungen aktiv ansprechen ist das eine, die Vielfalt abbilden das andere. Dazu haben wir uns auf Spurensuche im eigenen Haus begeben und dabei ent­ deckt, dass wir keine Puppen mit DownSyndrom haben, es keine Puppen gibt, die im Rollstuhl sitzen oder eine dunkle Haut haben. Also haben wir bewusst Pup­ pen gekauft, auch Bücher. In den älteren Kinderbüchern sind Flugkapitäne, Ärzte,

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Polizisten meistens Männer, während Frauen als Stewardessen oder Kranken­ schwestern untergeordnete Berufe aus­ üben. In den aktuellen Büchern hingegen leiten Frauen einen Betrieb oder stehen oben auf der Feuerwehrleiter. Die Berufswelt ist für die Kinder weit entfernt. Konfrontiert werden sie eher mit anderen Sprachen, mit unterschiedlichen Kleidern, mit neuen Lebenswelten. Wie sollen sich Kinder da zurechtfinden? Jedes Kind ist deshalb in unserer Einrich­ tung sichtbar. Durch Fotos, durch ara­ bische Schriftzeichen, wenn die Wurzeln des Kindes im arabischen Raum liegen oder durch das Blutmessgerät, wenn das die Realität eines Kindes mit Behin­ derungen abbildet. Die Fotos an unserer Familienwand wiederum bilden die unter­ schiedlichsten Formen von Familien ab. Die Kinder lernen dadurch, dass es nicht eine Familienform gibt, sondern viele, gleichwertige. Und natürlich singen wir nicht nur deutsche, sondern Lieder auch aus jenen Ländern, aus denen die Eltern der Kinder oder die Kinder stammen. Unsere Gesellschaft ist durch Un­ gleichheiten geprägt, durch riesige Span­ nen zwischen Arm und Reich, zwischen kranken und gesunden Menschen. Diese Ungleichheit ist Realität. Natürlich. Es geht darum, diese Reali­ täten anzusprechen, ohne jedoch zu dis­ kriminieren. Für schwierige Themen sieht der Anti-Bias-Ansatz die Arbeit mit der „Persona Doll“, einer Puppe vor. Dieser Puppe gebe ich eine Identität, in meinem Fall hat sie eine schwarze Hautfarbe, heißt ­Mabade, kommt aus Kenia und ist Arzt. Diese Puppe nutze ich als Medium. Ich lasse die Puppe also erzählen, dass einer von Mabades Freunden arbeitslos ist, dass die Familie kaum Geld hat etc. Dadurch kann ich Arbeitslosigkeit thema­ tisieren, ohne dass sich die Kinder, deren Eltern keine Arbeit haben, diskriminiert

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fühlen, sondern im Gegenteil spüren, dass sie und ihre Eltern mit dem Pro­ blem nicht alleine sind. Wir behandeln in unserer Arbeit aktiv die Unterschiede, betonen dann aber wieder die Gemein­ samkeiten und versuchen, zwischen den Unterschieden Brücken zu bauen. Wie bilden sie diese Verbindungen zwischen Kindern mit und Kindern ohne Behinderungen? Alle Kinder müssen sich eingebunden fühlen. Das ist anfangs schwierig, weil die Mehrheit vielleicht einmal warten muss, wenn die Erzieherin bei dem Kind mit Behinderung den Blutdruck messen muss. Inzwischen gehört das Messen des Blutzuckerspiegels zum Alltag der Kinder dazu. Die Kinder helfen sogar mit, schau­ en auf die Uhr und sagen, jetzt braucht die Nina was zum Essen. Diese Prozesse brauchen Zeit, aber die Kinder profitieren auch davon. Jene mit Behinderungen, weil sie sich bei uns wohl fühlen, die anderen, weil sie spielend ihre sozialen Kompetenzen erweitern. Von diesem Gewinn muss ich jedes Jahr aufs Neue die Eltern überzeugen. Deshalb suchen wir den intensiven Kontakt, laden regelmäßig zu Infoabenden ein, in denen die Eltern in Übungen Diskriminierung erleben ­können. In der Kindertagesstätte nehmen die Kinder Erfahrungen mit. In der ­Familie, im Freundeskreis, auf der Straße erleben sie eine andere Welt. Was können Sie dagegen ausrichten? Manche Eltern transportieren sehr diskri­ minierende Haltungen, gerade gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe oder gegenüber Frauen, die ein Kopftuch tragen. Das erfordert von den Mitarbeite­ rinnen und Mitarbeitern Stehvermögen. Als wir eine Praktikantin mit Kopftuch beschäftigten, kam es fast zum Eklat. Das Kopftuch wurde von manchen Eltern als Zeichen von Indoktrinierung verstan­


den und weckte Ängste. In so einem Fall muss man sich deutlich positionieren. Die intensive Zusammenarbeit mit den Eltern hat mir geholfen. Der Elternrat hat mir den ­Rücken gestärkt und so konnte die Schülerin ihr Praktikum absolvieren. So ein Konflikt absorbiert Kraft, aber er bewirkt auch viel Positives, weil wir da­ mit Vorurteilen begegnen können, zum Beispiel unter den muslimischen Eltern, die nun erfahren haben, dass sie auch im Konfliktfall nicht unbedingt den Kürzeren ziehen. Auseinandersetzungen dieser Art bedürfen großer Anstrengungen, genauso der vom Ansatz geforderte per­ manente Dialog und das ständige sich Hinterfragen. Brauchen sie für diesen Ansatz mehr Mitarbeiter oder können Sie die Arbeit mit Ihrem vorhandenen Perso­ nal leisten? In der Projektphase mussten wir sehr viel Mehrarbeit leisten, weil wir einerseits zusätzlich Workshops besuchen und die Methode studieren mussten und weil an­ dererseits sehr viel Zeit für die Befragung der Eltern oder für Präsentationen anfiel. Und natürlich fordert dieser sehr reflexive Ansatz jeden von uns Mitarbeitern, weil jeder einzelne sich seinen Ängsten stel­ len, nach neuen Verhaltensweisen suchen muss. Für diese Mehrbelastung hätten wir gut den einen Erzieher oder die ande­ re Erzieherin gebrauchen können. Aber wir haben es auch ohne gemeistert, auch weil wir die Belastung als positiven Stress empfunden haben und weil der Gewinn doch sehr groß war.

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R

Reportage

Sehnsucht Unterricht

In Kulmbach unterrichten Schüler Menschen mit Behin­ derungen im Umgang mit Computern und lernen darü­ ber selbst viel fürs Leben.

Foto: Michael Netzhammer

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Matthias wirft das Motorrad an, legt den Gang ein und gibt Gas. Immer schnel­ ler werdend rast er über Wiesen, durch Wälder, springt über Hügel, bis er die Kontrolle verliert und gegen einen Baum kracht. Dann leuchten seine Augen kurz auf, er klickt auf „neues Spiel“ und startet zu einer neuen Fahrt. Welche Tasten er bedienen muss und wie er das Programm hochlädt, das lernt Matthias von Chris, der im Raum N13 der Adalbert-Raps-Schule im oberfrän­ kischen Kulmbach neben ihm sitzt. Der 19-jährige Chris fungiert als Lehrer und drückt selbst noch die Schulbank. Doch als Teil seines Unterrichts schult er Men­ schen mit Behinderungen im Umgang mit Computern.

Schüler unterrichten Schüler Future Online Social School (FOSS) nennt sich das ungewöhnliche Projekt. Ins Leben gerufen wurde es vom Förder­ verein der Adalbert-Raps-Schule. Die Idee: „Schüler unterrichten behinderte Menschen im Umgang mit Computern, um ihnen ein neues Fenster ins Leben zu eröffnen und lernen dabei selbst den intensiven Umgang mit behinderten Men­ schen“, sagt Projektleiter John van der Galiën. Im Jahr 1998 wurden die ersten Computer angeschafft, ein Raum in der Schule ausgestattet und die Stelle für den holländischen Informatiker eingerichtet. Einige hunderttausend Euro hat der Förderverein in das Projekt investiert; finanziert mit Mitteln der EU, des Landes Bayern und aus Spenden. Dass das Projekt inzwischen langfristig abgesichert ist, verdankt der Verein der Adalbert-Raps-Stiftung, die das Gehalt des Projektleiters und damit den größten Teil der Kosten übernimmt. An der Adalbert-Raps-Schule gibt es zwei Projektklassen. Während die

einen in der Schule sitzen, unterrichten die anderen in der Future Online Social School. Alle drei Wochen wird getauscht. Verglichen mit den ersten Jahren sind die Praktika anspruchsvoller geworden, er­ klärt van der Galiën.

Vom Unterricht profitieren beide Seiten

Inzwischen betreuen die Schülerin­ nen und Schüler jeden Werktag zwei ­Menschen, früher wurde nur jeden Diens­ tag, Mittwoch und Donnerstag unterrich­ tet. Trotzdem warten mehr als 100 Men­ schen darauf, auch einmal in den Genuss des Unterrichts zu kommen. Denn inzwi­ schen hat die Future Online Social School ihr Angebot auf Kinder der Förderschulen ausgeweitet. Vom Unterricht profitieren beide Seiten. Für die Schülerinnen und Schüler ist er Teil ihres Praktikums, das sie in der elften Klasse des sozialen Zweigs der Fachoberschule durchlaufen. Sie lernen nicht nur mit Computern und Program­ men umzugehen, sondern erwerben auch „soziale Kompetenzen“. Für die „Menschen mit besonderen Fähigkeiten“ wie van der Galiën sie nennt, „weil diese Beschreibung mehr ihr Kön­ nen statt ihre Lücken in den Vordergrund rückt“, sind die 90 Minuten Unterricht „eine besondere Auszeit, die sie kaum erwarten können“, sagt Doris Küffner, Sozialpädagogin in der Werkstatt für Behinderte.

Die Begegnung ist eine Herausforderung

Regelmäßig kommen die jungen Lehrerinnen und Lehrer in ihre Werk­ statt, schwer bepackt mit Kabeln und Koffern. Sie tragen Notebooks in das Besucherzimmer und verwandeln es innerhalb weniger Minuten in einen gut

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ausgestatteten Computerraum. Oder die Menschen mit den besonderen Fähig­ keiten kommen mit dem Bus in die Schu­ le, wo sie gleich an der Tür empfangen werden. Jeder „Schülerlehrer“ betreut für ein Jahr dieselben Schülerinnen und Schüler. „Weil es Zeit braucht, bis zwischen den Teams Vertrauen entsteht“, weiß van der Galiën. Deshalb ist es wichtig, dass die Chemie zwischen den Teams stimmt. Er beobachtet seine „Schülerlehrer“ in der Anfangszeit ganz genau, studiert ihre Fähigkeiten und ordnet dann ruhigen Menschen mit Behinderungen Schüle­ rinnen und Schüler zu, die auf Menschen zugehen, ein Gespräch in Gang bringen können oder eben beruhigend wirken und zuhören können. Die Begegnung mit behinderten Menschen ist für die Schülerinnen und Schüler eine große Herausforderung. Der 19-jährige Daniel zum Beispiel sitzt mit Horst zusammen, „einem hochintelli­ genten Jungen, der sich seiner Spasmen wegen aber nicht richtig ausdrücken kann“, sagt van der Galiën. Bekommt er etwas nicht hin, kann er auch mal wütend werden, „ohne dass ich wirklich einzu­ schätzen vermag, ob ich einen Fehler gemacht oder ihn gekränkt habe oder ob er einfach nur schlecht aufgewacht ist“, erzählt Daniel. Doch der junge Mann und Horst bilden ein gutes Team, sie feixen und ihr Lachen erfüllt den ganzen Raum. Die Mädchen wiederum müssen damit umgehen lernen, dass sie umarmt werden oder plötzlich eine Hand auf ihrem Schen­ kel liegt. „Auf dem Schulhof könnt ihr den Jungs dafür eine runterhauen“, sagt van der Galiën dann, „hier müsst ihr Grenzen auf andere Art setzen“. Das fordert he­ raus. Zwischen Gefühlen von Mitleid und Fürsorge, zwischen eigenem Ärger und Überforderung das richtige Maß zu fin­ den, ist für die Schülerinnen und Schüler im Alter von 16 bis 19 Jahren nicht immer einfach. StiftungsReport 2008/09

Aus Überforderung entsteht Kompetenz

Warum sie sich dennoch für das Praktikum bei der Future Online Social School beworben haben und nicht in einem Kindergarten oder einem Senio­ renheim? „Weil ich hier den Menschen viel mehr helfen kann“, sagt Chris, der mit Matthias inzwischen „Wer wird Millionär“ am Computer spielt. Auch Marie schätzt „die intensive Nähe, den direkten Um­ gang“, in dem sie geben kann, aber auch viel zurückbekommt. Dass sich die Schülerinnen und Schüler gerade anfangs überfordert fühlen, sei völlig normal, weiß van der Galiën. Um den Ängsten zu begegnen, erzählt er den Jungen und Mädchen des neuen Schuljahres erst einmal von seiner Anfangszeit. Damals wurde er, der sich als Informatiker am Fraunhofer-Institut vornehmlich mit Zahlenketten, Loga­ rithmen und logischen Befehlsketten beschäftigt hatte, plötzlich mit Menschen konfrontiert, die sich an die ungeschrie­ benen Gesetze des Miteinanders nicht hielten, sondern ihren Eingebungen folgten, dem Holländer auf die Pelle rückten, seine geordnete Welt mächtig durcheinander wirbelten, ohne dass Logik ihm aus der Patsche half. Vielleicht ein Grund, warum er in Kulmbach anfangs nur ein Jahr bleiben wollte. Inzwischen sind daraus neun Jahre geworden.

Menschliche Wärme als verdienter Lohn

Die anfallenden Überstunden zählt er schon lange nicht mehr. Allerdings ist er inzwischen an seine Grenzen gestoßen. „Ich arbeite heute so viel wie früher im Rechenzentrum. Dabei bin ich über 60 Jahre alt und sollte mal auf die Bremse drücken“, sagt er, wohl wissend, dass er mit halber Kraft nicht arbeiten kann. „Die Begegnungen mit den Menschen, ihre


Die Schüler als einziger Kontakt in die Gesellschaft

Den Tod hat er besiegen können, seine Gesundheit ist dabei aber auf der Strecke geblieben. Er geht so schnell wie ein Greis. Wenn er spricht, haucht er die Worte nur, ohne ihnen Kraft, ohne ihnen die vertraute Kontur geben zu können. Doch seine eigene Situation reflektiert er genau. „Gleichaltrige, die mich sehen, wechseln die Straßenseite, drehen sich um oder gehen in einen Laden. Und das Schlimme ist, die glauben, ich sehe es nicht“, sagt er. Der einzige Kontakt in die „norma­ le“ Gesellschaft sind die eigenen Eltern, Nachbarn und, seit es FOSS gibt, die Schüler des Projektes. Dort genießt er einen Sonderstatus. Also wandert er fast täglich zwischen den Computern hin und

Foto: Michael Netzhammer

Wärme und Herzlichkeit, füllen meinen Tank immer mit neuer Energie.“ Trotzdem hält er nach einem Nachfolger Ausschau. Denn noch hängt die „Ein-Mann-Schau“ auf Gedeih und Verderb von seiner Präsenz ab, und das Projekt könnte, sollte er einmal krank werden, nicht überleben. Deshalb hofft er auf Unterstützung. Dass sie derzeit nicht kommt, stimmt ihn manchmal ein wenig bitter. Seinem Engagement tut es jedoch keinen Abbruch. Auch weil er täglich den Wert seiner Arbeit spürt, zum Beispiel am Lebensweg von Bastian. In seinem ersten Leben verdiente der schwarzhaarige, damals 18-Jährige mit dem Ring im Ohr sein erstes Geld, zog mit Freunden durch die Kneipen, engagierte sich im Sportverein und flirtete mit den Mädchen der Stadt, erzählt er zehn Jahre später. Sein zweites Leben begann, als sein Auto frontal gegen ein anderes prallte, er mit wahn­ sinnigen Schmerzen aus dem Koma er­ wachte und viele Wochen zwischen Leben und Tod schwebte.

Zwischen den Schülern mit und ohne Handicap entstehen intensive Bindungen. her, haut in die Tasten, rückt so nahe wie möglich an seine Lehrerinnen ran und genießt diese selten gewordene Nähe. Doch gleichzeitig konfrontiert sie ihn mit seinen Sehnsüchten, mit dem Wunsch nach einer Partnerin fürs Leben und mit Grenzen, die er vielleicht nie mehr wird überwinden können. Der 28-Jährige spürt das. Und die Einsamkeit, die an sei­ ner Seele nagt. Ihm ist bewusst, dass die Schülerinnen und Schüler immer gleich alt bleiben, während er die 30 überschrei­ ten wird. Manchmal sitzt er einfach da, versunken in seiner Traurigkeit. Vielleicht haben es jene leichter, die schon mit ihrer Behinderung geboren wurden oder nicht wie Bastian reflektie­ ren können. Die Fotos an der Wand zeigen lachende Gesichter von Menschen, die stolz an ihren Computern sitzen und die Aufmerksamkeit genießen. Das Bild von Bastian ist auch da­ runter. Es zeigt einen jungen Mann mit verschmitztem Lächeln. Diese Aufnahme liegt einige Jahre zurück. Seine Züge sind markanter geworden. Sie dokumentieren sein Leid. Die Falten erzählen aber auch über andere Gefühle. Bastian ist einer, der viel lacht. Der darüber seine Melancholie ab­ schüttelt und sich ins Leben stürzt. Dann flirtet er mit den neuen Schülerinnen, reißt Witze und genießt diese kostbaren Momente der Innigkeit. 9 – Handicap als Chance

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P

Portrait

Ein volles Leben

Foto: Michael Netzhammer

Seit einem Unfall ist Manfred Sauer querschnitts­ gelähmt. Das hat ihn nicht gehindert, erst ein Unter­ nehmen und dann eine Stif­ tung ­aufzubauen.

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Manfred Sauer blickt von seinem Schreibtisch auf Äcker und Wiesen, auf Obstbäume in langen Reihen – und einen Himmel, dem sich hier oben nichts in den Weg stellen kann. Diese Aussicht hat sich der Münsterländer gesucht, weil sie ihn an seine Heimat erinnert und damit an die Zeit vor seinem Unfall. Manfred Sauer sitzt im Rollstuhl. Auf seinem Schoß liegt seine Aktentasche. Klemmlaschen halten darauf zwei Kugel­ schreiber und das Telefon fest. Wenn

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es klingelt, steckt er sich einen Hörer ins Ohr und genießt die Aussicht. Sein Computer steht abgeschaltet in der Ecke. Den gebraucht er selten. „Ich entspreche wohl einer aussterbenden Generation von Unternehmern“, sagt er lachend. Einer, der seine Mitarbeiter fordert, der aber auch Fürsorge für sie empfindet und der den Vorrang des Shareholder Value für einen Irrweg hält.

Unternehmen verkaufen oder Stiftung gründen? Inzwischen hat der kinderlose Unternehmer seine Firma in die ManfredSauer-Stiftung überführt, „weil ich sie nicht jemandem verkaufen wollte, dem meine Mitarbeiter egal sind“, sagt ­Sauer. Schließlich arbeiten inzwischen 150 fest Angestellte und 200 Heimarbeiter für das Unternehmen. Die Gemeinde ­Lobbach hat ihn zum Ehrenbürger er­ nannt. Manfred Sauer erwähnt das nicht. Die Auszeichnung hängt ein wenig ver­ steckt hinter der Tür. Angefangen hatte alles 1974, wie bei Bill Gates, in einer Garage. Daraus ist ein Komplex aus Gebäuden und Hallen geworden. Das letzte Gebäude besteht aus Stein und Glas. Eine Wandelhalle verbindet die beiden Gebäudeteile der Manfred-Sauer-Stiftung. Eine Boutique mit den Produkten des Unternehmens gibt es hier, eine Werkstatt, Fitness­ räume und Massagebänke, Skulpturen und Bäume unter Glas – und 70 Betten für querschnittsgelähmte Gäste und ihre Angehörigen. Für sie hat Manfred Sauer die Stiftung gegründet.

Die Herausforderung annehmen „Menschen im Rollstuhl brauchen das Gefühl, etwas leisten zu können“, sagt Sauer. Die Querschnittslähmung


sei eine Herausforderung, damit nicht zu hadern ein ständiges Bemühen. Eine solche Geisteshaltung will der Unternehmer bei jenen mobilisieren, die durch einen Unfall plötzlich im Rollstuhl gelandet sind. Im Stiftungsgebäude können sie Sport treiben, sich gesund ernähren und lernen, ihrem neuen Leben Sinn abzugewinnen. Die Gäste bezahlen für Kost und Logis, „Massagen und Thera­ pien, die Nutzung von Fitnessräumen und Werkstätten bezahlen wir“, sagt Sauer. Die Ausgaben erwirtschaftet das Unternehmen mit Produkten für Menschen im Rollstuhl. Da kennt sich Sauer aus. „Das Schlimmste für quer­ schnittsgelähmte Menschen ist ja nicht der Rollstuhl, sondern die Inkontinenz“, weiß der 64-Jährige.

Produkte kompensieren körperliche Beschwerden Deshalb produziert Manfred Sauer Urinale und Katheter, die nicht auslau­ fen und riechen. Manfred Sauer rollt an Lagern mit Stoffen und Garnen vorbei. In den Gängen hängen Hosen, „die so geschnitten sind, dass keine Naht oder Hosentasche drückt“, sagt Sauer. Kissen und Anti-Rutsch-Artikel, Hautpflege­ mittel und Gartengeräte gehören zum Sortiment. Allesamt Produkte, „die körperliche Beschwerden kompensieren können“. Gegen die psychischen Verwer­ fungen helfen sie nicht. Das weiß der Mann in seinem weinroten Pullover nur zu genau. Den Tag im Sommer 1963 an der Themse schildert er, als wäre es gestern geschehen. Viele Male war er an der Stelle schon schwimmen gegangen. An diesem Tag aber prallte er mit dem Kopf auf eine Sandbank und blieb ohn­ mächtig im Wasser liegen.

Viel Hilfe für einen Deutschen Er wäre wohl ertrunken, hätte das Schicksal nicht eine Wendung vorgese­ hen. Eine Krankenschwester fischte den im Wasser Liegenden heraus. Ein Arzt ließ ihn per Hubschrauber in eine Spezial­ klinik für Querschnittsgelähmte trans­ portieren. Dort war es ein jüdischer, 1939 aus Deutschland geflohener Arzt, der ihn – den Deutschen – immer wieder trans­ portunfähig schrieb, „weil es in unserem Land damals keine moderne Einrichtung für Querschnittsgelähmte gab“, erklärt Manfred Sauer. Ohne diese Hilfen, da ist sich der heute 64-Jährige sicher, säße er jetzt nicht da und genösse den Blick auf den riesigen Himmel, auf dem die Wolken ­Fangen spielen. Es ist ein Blau, in dem er sich verlieren darf, das Platz für Erinne­ rungen lässt, auch wenn sie schmerzen. In der englischen Klinik war er einer von vielen Querschnittsgelähmten, zu­ hause aber war er allein. Statt das Abitur zu machen, fand er sich unversehens im „Krüppelheim“ wieder, eine Sammelan­ stalt, zuständig für alle Aussortierten. Als junger Mann sah er sich plötzlich spa­ stischen und verwirrten Menschen ge­ genüber. „Ich kann Ihnen gar nicht ­sagen, wie sehr ich anfangs gelitten habe“, erin­ nert sich Sauer.

Trauma Festanstellung Es waren die täglichen Briefe der ehemaligen Tanzpartnerin, die ihm ­geholfen haben, nicht selbst verrückt zu werden. Schon damals experimentierte er während der kaufmännischen Lehre im „Krüppelheim“ mit Kondomen und ba­ stelte daraus eigene Urinale wie es sie in England, nicht aber in Deutschland gab. Es brauchte jedoch noch einige Jah­ re und die „traumatische Erfahrung einer

9 – Handicap als Chance

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Mentalität, Punkt 16.30 Uhr den Bleistift fallen zu lassen. Über diese Haltung kann sich Manfred Sauer heute noch aufregen wie vor dreißig Jahren. Weil er darin ein Beispiel für die Irrungen der Wohlstands­ gesellschaft erkennt. „Die Trägheit ist ein gefährliches Gift“, sagt Manfred Sauer. Denn es kommt in feinen Dosen daher – betäubt die Unruhe des Menschseins, dämpft dafür aber auch die jedem inne­ wohnende Vitalität. Diese aber brauche es, um das Leben zu meistern – ob nun im Rollstuhl oder auf beiden Beinen.

Foto: Michael Netzhammer

verbeamteten Festanstellung“, bis Man­ fred Sauer sich selbstständig machte. Damals arbeitete er bereits in jenem In­ stitut der Heidelberger Universitäts­klinik, das als erstes Querschnittsgelähmte nach englischem Vorbild in Deutschland betreute. „Weil es den Patienten abends langweilig war, hatten wir ein Alkohol­ problem“, erinnert sich Sauer. Sein Vor­ schlag an die damaligen Mitarbeiter, mit diesen zusammen eine Zeitung zu ge­ stalten und dafür mal einen Feierabend sausen zu lassen, scheiterte an einer

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StiftungsReport 2008/09


Bodelschwinghsche Anstalten Bethel

Die 1867 gegründeten Bodelschwingh­ schen Anstalten Bethel sind eine ge­ meinnützige kirchliche Stiftung privaten Rechts. Mit 13.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 20.000 Betreuungs­ plätzen ist Bethel Europas größtes dia­ konisches Unternehmen. Für Menschen mit Behinderungen aller Art bietet die Stiftung Bildungs- und Beschäftigungs­ möglichkeiten, Freizeitangebote und eine professionelle medizinische Betreuung. www.bethel.de

Deutsche Stiftung für Menschen mit Downsyndrom

Die 2004 gegründete Stiftung gehört mit 60.000 Euro Kapital zu den kleinen Stiftungen. Sie ist bundesweit die einzige Stiftung, die auf die Lebenssituation von Menschen mit Downsyndrom fokussiert. Die Stiftung fördert Projekte in Kunst, Musik und Sport, in denen Menschen mit Trisomie 21 zusammen wirken. Die Stiftung will Lobbyarbeit betreiben, weil es Probleme mit der medizinischen Versorgung gibt, notwendige Therapien genauso wenig bezahlt werden wie Lern­ materialien für Schulen. www.downsyndrom-stiftung.de/

Fürst Donnersmarck-Stiftung

Seit ihrer Gründung im Jahr 1916 konzen­ triert sich die Fürst Donnersmarck-Stif­ tung auf die Rehabilitation, Betreuung, Förderung und Unterstützung von Men­ schen mit Handicap. Dazu betreibt die Stiftung zusammen mit der Lebenshilfe Brandenburg eine Tochtergesellschaft, die Nordbahn gGmbH, und ist auch an Werkstätten für Behinderte in Berlin be­ teiligt. In den Jahren 2004 und 2005 hat die Stiftung unter den Leitthemen „Blick­ wechsel“ und „Volles Leben“ begonnen,

Behindertenarbeit und das Leben von Menschen mit Behinderungen positiv nach Außen zu kommunizieren. www.fdst.de

Heinz und Mia Krone-Stiftung

Die 1999 gegründete Stiftung macht sich für die Wiedereingliederung von Roll­ stuhlfahrern in die Gesellschaft stark. Die Stiftung hilft Einzelpersonen mit Zuschüs­ sen, sei es für einen Treppenlift oder den Umbau eines Badezimmers. Das Ziel der Stiftung ist es, Rollstuhlfahrern ein mög­ lichst selbstständiges Leben ohne Barrie­ ren zu ermöglichen. Außerdem will die Stiftung ein Netzwerk zum Thema „Leben im Rollstuhl“ aufbauen und mit anderen Organisationen zusammenarbeiten. www.krone-stiftung.org

Stiftung Deutsche Behindertenhilfe

Die 1992 von den sechs Spitzenverbän­ den der freien Wohlfahrtspflege und dem ZDF gegründete Stiftung fördert freige­ meinnützige Träger mit Zinszuschüssen, wenn diese für Investitionsprojekte in der Behindertenhilfe Kredite aufnehmen müssen. Das jährliche Fördervolumen be­ trägt rund 15 Millionen Euro. Die Antrag­ stellung erfolgt über die Aktion Mensch. http://foerderung.aktion-mensch.de.

Stiftung Pfennigparade

Die Stiftung Pfennigparade betreibt ein Rehabilitationszentrum für Menschen mit körperlichen Handicaps. Ziel ist es, ­Menschen so zu fördern, dass sie ein ho­ hes Maß an Selbstständigkeit entwickeln und sich in der Gesellschaft gleichberech­ tigt bewegen können. Insgesamt betreut das Zentrum mehr als 1.300 Menschen – Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die Hilfe umfasst schulische genauso wie berufliche Angebote. www.pfennigparade.de

9 – Handicap als Chance

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Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe Wissenschaft und Wirtschaft leiden schon heute unter dem Mangel an qualifizierten Fachkräften. Ange­ sichts des demografischen Wandels wird sich dieser Trend weiter verstärken. Der Hintergrund beschreibt, wie die Bundesrepublik dieser Herausforderung begegnen kann: Indem das Land zum einen Hochqualifizierten den Zugang nach Deutschland erleichtert, zum anderen das vorhandene Potential von Migrantinnen und Migranten besser fördert. Im Interview erklärt Mark Steinke von SAP, wie das deutsche Softwareunternehmen diese Herausforderung meistern will. In dem Projekt „Talent im Land“ fördert die Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit weiteren Stiftungen junge Talente mit Migrations­ hintergrund. Die Reportage beschreibt, wie die Stiftung dabei vorgeht und wer davon profitiert. Das Porträt stellt Gopi Prasad vor. Der Inder arbeitet in Hamburg. Einen Job hat er schnell gefunden, doch bis er das nötige ­Visum in seinen Händen hielt, dauerte es viele nerven­ aufreibende Monate.

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H

Hintergrund

Brain Circulation und Eliteförderung von ­Migranten – ­mögliche Wege im globalen ­Wettbewerb um Talente? Die Bundesrepublik braucht mehr Fachkräfte. Die muss sie einerseits im Ausland anwer­ ben. Andererseits gilt es, das Potential der Migrantenkinder besser zu entwickeln.

Im Oktober 2007 verkündete EUJustiz­kommissar Franco Frattini mit sei­ nen Vorschlägen für eine Blue Card nicht weniger als eine vollkommene Kehrtwen­ de der EU-Einwanderungspolitik. Kon­ zentrierte sich die Blue Card bis dato vor allem darauf, illegale Einwanderer abzu­ wehren, sollte sie nun die Zuwanderung steuern und vor allem dringend benötigte Facharbeiter anlocken. Allein in den nächsten 20 Jahren brauche Europa zwan­ zig Millionen zusätzliche Arbeitskräfte. Dabei stehe die EU in direkter Konkurrenz zu klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Kanada und Australien,

aber auch den asiatischen Schwellen­ ländern. Während unter den Migranten in den USA 55 Prozent Fachkräfte seien, kämen nach Europa gerade mal fünf Prozent und dafür 85 Prozent ungelernte Migranten, sagte Frattini.142

Befürwortung durch die Wirtschaft – Ablehnung durch die Bundesregierung In Deutschland löste der EUKommissar mit seinem Vorstoß ein unterschiedliches Echo aus. Während sich die deutsche Wirtschaft angesichts des Fachkräftemangels und der demo­ grafischen Entwicklung positiv äußerte und weitergehende Schritte forderte, reagierte die Bundesregierung ableh­ nend. Sie wolle dem Fachkräftemangel mit eigenen Maßnahmen begegnen. So hatte die Bundesregierung Ende August 2007 beschlossen, bestimmten Ingenieursgruppen aus osteuropäischen EU-Staaten die Erteilung einer Arbeits­ erlaubnis zu erleichtern. Schon die Vorgängerregierung un­ ter Gerhard Schröder hatte, um mehr ITFachkräfte nach Deutschland zu holen, zwischen 2000 und 2004 eine Greencard eingeführt. Die hatte zu großen Diskus­ sionen geführt, aber – wegen der rest­

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Blue Card

Die Blue Card soll die Zuwanderung vereinfachen und harmonisieren und jedem Auf­ nahmeland eine individuell steuerbare Anwerbung von hochqualifizierten Arbeits­ kräften ermöglichen. Abgesehen von beruflichen Qualifikationen müssen Blue CardBewerberinnen und -Bewerber einen Arbeitsvertrag vorlegen mit einem Gehalt, das mindestens das Dreifache des Mindestlohns im Aufnahmeland beträgt. Die Blue Card berechtigt zunächst zu einem Aufenthalt über zwei Jahre in einem EU-Land. Nach Ab­ lauf kann die Aufenthaltsgenehmigung um weitere zwei Jahre in demselben Land ver­ längert werden. Außerdem kann der Blue Card-Inhaber in ein anderes EU-Land gehen, sofern er für dieses Land einen Arbeitsvertrag hat. Nach fünfjährigem Aufenthalt in der EU kann die Staatsbürgerschaft beantragt werden. Mit der Blue Card ist der Anspruch auf sozio-ökonomische Rechte sowie vereinfachten Familiennachzug verbunden.143

10 – Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe

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Bildung tut Not Mehr als ein Fünftel der Ausländerinnen mit eigener Migrationserfahrung hat keinen Schulabschluss und nur jeweils ein Prozent der deutschen Frauen und Männer mit Migrationshintergrund, aber ohne eigene Migrationserfahrung, haben einen Uni­ versitätsabschluss. Stiftungen können in Sachen Bildung und Ausbildung wichtige Impulse geben. Auch die Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung „Aufstieg durch Bildung“ soll nach den Worten von Staatsministerin Maria Böhmer die Ausbil­ dungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund verbessern. Bevölkerung nach detailliertem Migrationsstatus, allgemeinem Schulabschluss und Geschlecht in Prozent der jeweiligen Bevölkerung Quelle: Statistisches Bundesamt 2007

Bevölkerung ohne ­ Migra­tions­ hintergrund

ohne Schulabschluss

1,5

Ausländer (-innen) mit eigener Migrations­ erfahrung

Deutsche mit eigener Migrations­ erfahrung

1,4 8,1

noch in schulischer Ausbildung

15,0

Abitur

13,5

Fachhochschulreife

16,6

21,4

15,9 9,2

Ausländer (-innen) ohne eigene Migrations­ erfahrung

6,3

3,3

9,8

8,3 16,5

7,7

17,1

16,8

4,3

5,2

3,4 20,6

5,8 Realschul- oder gleichwertiger Abschluss

20,4

Abschluss der Polytechnischen Oberschule der DDR

6,7

58,9

3,6

16,1 3,2 6,9

12,8

22,9

80,3

19,1

162

36,1

78,2

12,2 0,9 0,5

6,5

1,0 6,8 2,4

38,7

54,4

21,2

0,3

Hauptschul­ abschluss

Deutsche mit Migrations­ hintergrund, aber ohne eigene Migra­ tionserfahrung 0,9 1,1 2,8

37,7

36,9

41,2

2,9 11,1

11,1

32,5 17,3

22,0

5,3 1,4 5,7 6,2

5,6 1,3 6,0 7,6

Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer

StiftungsReport 2008/09


riktiven Bedingungen – nur wenige Fach­ kräfte nach Deutschland gelockt. Kritiker halten auch die jetzigen Vorschläge für zu restriktiv, um im weltweiten Wettbe­ werb um Fachkräfte punkten zu können. Die Befürworter von Restriktionen jedoch verweisen auf die hohen Arbeits­ losenzahlen in Deutschland und die teils immer noch bestehenden Übergangs­

fristen für Arbeitnehmerinnen und Ar­ beitnehmer aus den neuen EU-Staaten. Zunächst müsse das Potential im Land genutzt werden, sagt Maria Böhmer. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration lehnt deshalb eine einheitliche Regelung für alle EU-Staaten ab. „Jedes EU-Mit­ glied muss die Regelungen treffen kön­

Bevölkerung nach detailliertem Migrationsstatus, beruflichem Bildungsabschluss und Geschlecht in Prozent der jeweiligen Bevölkerung Quelle: Statistisches Bundesamt 2007

Bevölkerung ohne ­ Migra­tions­ hintergrund

Ausländer (-innen) mit eigener Migrations­ erfahrung

Deutsche mit eigener Migrations­ erfahrung

Ausländer (-innen) ohne eigene Migrations­ erfahrung

Deutsche mit Migrations­ hintergrund, aber ohne eigene Migra­ tionserfahrung

17,6 ohne berufsqualifi­ zierenden Abschluss

30,2

28,5

Universitäts­abschluss Fachhochschulabschluss Meister/Techniker/ Fachschulabschluss berufsqualifizierender Abschluss

11,5 5,2 2,4 5,3 2,8

7,5

47,5

68,9

43,4

5,3

5,4

6,5 4,7

9,3

5,6

5,7

9,3

2,5 4,3 3,0

1,6 5,4

41,5

70,7

28,6

57,8

9,2 Lehre oder vergleich­ barer Abschluss

20,7

33,3 12,8

noch in berufsqualifi­ zierender Ausbildung

19,8

43,9

3,3 3,5 1,4

2,3 2,8 1,7

33,4 25,8

18,6

4,1 6,7 2,0

39,0

49

1,2 1,1 1,3

45,3

1,8 0,9 1,7 1,1

163

1,0 1,0 0,5 0,8 0,7 Anlernausbildung oder 7,3 6,5 1,9 1,2 1,7 2,7 2,6 2,7 1,0 1,2 0,4 0,4 berufliches Praktikum Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer 15,4

19,3

10 – Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe


10

Stiftungen im internationalen Wettbewerb um Spitzenkräfte der Wissenschaft Einige Stiftungen haben es sich zur Aufgabe gemacht, hochqualifizierte ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für den deutschen Forschungsstandort zu gewinnen und den eigenen Forscherinnen und Forschern den Anschluss an die internationale Forschung zu sichern. Dazu gehören zum Beispiel die Exzellenz-Stif­ tung 144 und die Alexander von Humboldt-Stiftung 145 , die der deutschen Wissenschaft im internationalen Wettbewerb um die Spitzenkräfte der Forschung unter die Arme greifen. Außerdem fördern zahlreiche Stiftungen die Beteiligung von ausländischen Forscherinnen und Forschern an einzelnen Forschungsprojekten. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Förderung von Talenten innerhalb Deutschlands. Das „START Programm“ 146 der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und das Programm ­„Talent im Land“ der Robert Bosch Stiftung (siehe Grafik Seite 104 und Reportage Seite 170) fördern besonders begabte Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Die Vodafone Stiftung wiederum fördert in ihrem „Chancen-Programm“ Studierende.147 Mit Sprachkursen, Ergänzungsstudien und Stipendien unterstützt die Otto Benecke Stif­ tung Akademikerinnen und Akademiker unter Spätaussiedlern sowie ­Zugewanderte, deren Hochschulabschluss in Deutschland gar nicht oder nur teilweise anerkannt wird. nen, die seinem Bedarf an Arbeitskräften und der jeweiligen Arbeits­marktsituation am besten entsprechen. Die Zuwande­ rungspolitik muss deshalb in den Hän­ den der Mitgliedstaaten b ­ leiben.“148

Braucht Deutschland Zuwanderung, um das Fachkräfteproblem zu lösen?

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Maschinenbau-Präsident Manfred Wittenstein hingegen bekräftigt, dass die Initiative der EU überfällig sei und der weltweite Wettbewerb um die besten Köpfe längst begonnen habe.149 Nach Angaben des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mangelt es in Deutschland vor allem an weib­ lichen und männlichen Ingenieuren, Technikern, Informatikern sowie Fach­ kräften für die Pharmabranche. Schon heute bremse der Fachkräftemangel das Wachstum. So muss fast jedes zweite Unternehmen Aufträge ablehnen oder Investitionen aufgrund des Fachkräfte­

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mangels verschieben. Sieben Prozent aller Unternehmer überlegen sogar, die Produktion ins Ausland auszulagern.150 Der Fachkräftemangel kostet also Ar­ beitsplätze. Auch die OECD warnt vor einem Akademikermangel in dem an Rohstoffen armen Deutschland. Refor­ men in der Bildungspolitik seien deshalb unabdingbar. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse verbessert werden. Diese Reformen reichten jedoch angesichts der erwarteten demografi­ schen Entwicklung allein nicht aus, um alle Mängel zu lösen.151 Wie wichtig Fachkräfte für die wirt­ schaftliche Entwicklung Deutschlands sind, das untersuchen auch Stiftungen wie die Heinrich-Böll-Stiftung und die Bertelsmann Stiftung. Letztere hat zusam­ men mit dem „Migration Policy ­Institute“ eine „Transatlantic Task Force on Immigra­ tion and Integration“ eingerichtet.152 Die Bertelsmann Stiftung kommt in ihrem „Standortcheck Deutschland“153 zu dem Schluss, dass neben bildungspolitischen


Reformen eine Zuwanderung von auslän­ dischen Hochqualifizierten den Mangel an Fachkräften bereits kurz- bzw. mittel­ fristig abmildern könnte. Ein Vergleich von EU-Ländern zeigt, dass Staaten mit einer offenen Anwer­ bepolitik wie zum Beispiel Irland, Groß­ britannien oder Schweden sehr von der Freizügigkeit profitieren. Ob die deutsche Wirtschaft als Nachzüglerin noch einen Nutzen ziehen kann, wenn die Bundes­ republik die Zugangsbeschränkungen für osteuropäische Arbeitnehmer aufhebt, ist jedoch fraglich. Die Lockerung der An­ werbebedingungen für osteuropäische Ingenieurinnen und Ingenieure jedenfalls führte nicht zu einem „Ansturm“ aus diesen Ländern. Auch Osteuropa mangelt es inzwischen an Fachkräften. Das führt zu durchaus kuriosen Entwicklungen. So produziert ein polnisches Unternehmen in Ostdeutschland, weil es dort günstiger arbeitende Fachkräfte findet.

Brain Drain – Brain Gain – Brain Circulation Programme zum „Intelligenz-Im­ port“ standen lange in der Kritik, weil den Herkunftsländern durch den so ge­ nannten Brain Drain Ausbildungs­ investitionen und Talente verloren gin­ gen. Dieser Entwicklung stehen jedoch die hohen Geldüberweisungen von Mig­ rantinnen und Migranten in ihre Heimat­ länder gegenüber. Außerdem erwerben sie Know-How und knüpfen Kontakte, die nach ihrer Rückkehr zum Aufbau von Unternehmen oder Forschungsinstituten führen können. Statt über Brain Drain und Brain Gain, sprechen heute viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft­ ler über Brain Circulation. „Optimal ist der Aufbau einer Win-Win-Strategie für Auswanderungs- und Aufnahmeländer und für die Migranten selbst, von der alle profitieren“, erklären die Politologen

Uwe Hunger und Dietrich Thränhardt.154 Die Angst vor einem Brain Drain junger Forscher aus Deutschland hält Thomas Rachel, Staatssekretär für Forschung, deshalb auch für unbegründet. „Gut geregelte Migration kann in einer offenen Welt große positive Wir­ kungen entfalten, und zwar für die Ent­ wicklungsländer, für die Einwanderungs­ länder und für die Migranten selbst“, sagt Dietrich Thränhardt. Der Professor für Politik an der Universität Münster plädiert dafür, Migrantinnen und Mig­ ranten endlich als positiven Bestandteil einer Gesellschaft zu sehen und auch die Sichtweise des Brain Drains aufzu­ geben. So seien indische IT-Spezialisten zunächst in die USA immigriert und dort am IT-Boom in Kalifornien beteiligt ge­ wesen. Später kehrten einige von diesen nach Indien zurück, um dort eine blü­ hende Computerindustrie zu begründen. So sei eine „Triple-Win-Situation“ ent­ standen von der Indien, die USA und die Auswanderer selbst profitiert hätten.155 Auch in Europa dürften die Migran­ tinnen und Migranten auf Dauer nicht in eine Richtung strömen, sondern zir­ kulieren. Vorteile könnten sich deshalb auch für die Herkunftsländer ergeben. Die Erweiterung der EU führe kurzfristig zu einer erhöhten Migration, die sich auf lange Sicht abschwäche. „In einem späteren Stadium nimmt die Migrations­ neigung ab, weil die weiter wachsende Wirtschaft mehr Arbeitskräfte aufneh­ men kann und wegen der veränderten Anreizstrukturen die Geburtenraten sinken“, sagt Dietrich Thränhardt.156

Brain Waste oder Anerkennung, Nutzung und Förderung von Talent im Land Wird über die richtige Steuerung der (temporären) Zuwanderung und deren Folgen oft kontrovers diskutiert,

10 – Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe

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so ist das Ziel unstrittig, Talente von Migranten zu fördern, welche bereits im Land sind. Ein wichtiger Aspekt wird dabei häufig übersehen. Weil Deutsch­ land die Studien- und Bildungsabschlüs­ se vieler Migranten nicht anerkennt, können diese ihre gelernten Berufe nicht ausüben. Tausende von Zuwanderern mit Hochschulabschluss gehen des­ halb niedrig qualifizierten Jobs nach. Jeder fünfte qualifizierte Zuwanderer ist nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) arbeitslos, unter den gut ausgebildeten Spätaussiedlern ist es fast jeder zwei­ te. Damit liegt ein Potential brach, das trotz Fachkräftemangel unerschlossen bleibt.157 Ein weiteres, bisher nicht ausrei­ chend erschlossenes Potential schlum­ mert in den in Deutschland geborenen Migrantenkindern. Wer Talente fördert, stärkt damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn mit den Karrieren einzelner Migrantinnen und Migranten entstehen Vorbilder. „Nach dem Motto, man kann in diesem Land etwas werden, fördern wir auch die Zuversicht unter den Migranten“, sagt Günter Gerstber­ ger, Programmleiter für Bildung und Gesellschaft der Robert Bosch Stiftung. Die Geförderten können leistungs­ schwächeren Jungen und Mädchen als Orientierung dienen und ihnen Impulse für ihren eigenen Lebensweg geben. Die Förderung von Talenten und benachtei­ ligten Kindern und Jugendlichen sollte deshalb vernetzt werden, rät eine Studie der K ­ örber-Stiftung. Außerdem empfiehlt diese, Kinder und Jugendliche konti­ nuierlich zu begleiten. Ferner sollten sich Stiftungen und staatliche Stellen vernetzen und besser absprechen, damit Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Migrantenorganisationen in die Förderung stärker eingebunden werden. Schließlich empfiehlt die Studie Stiftun­ gen, stärker miteinander zu kooperieren StiftungsReport 2008/09

und – wie es z.B. der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung mit ihrem StartProgramm gelungen ist – Beteiligungs­ möglichkeiten für potentielle Förderer, Stifter, öffentliche Träger und Privatleute zu schaffen. Die unterschiedlichen Programme der Stiftungen für talentierte Jungen und Mädchen zeigen, wie sich die Potentiale von Kindern und Jugendlichen fördern lassen. Mehr als Leuchttürme können diese Projekte aber nicht sein. Das reicht jedoch nicht aus. Die Bundesrepublik befindet sich in einem harten Wettbe­ werb um die klügsten Köpfe dieser Welt. Bereits heute treten Scouts aus den USA und Großbritannien an in Deutschland geförderte Talente und Wissenschaft­ lerinnen und Wissenschaftler heran, um sie abzuwerben. Politik und Gesellschaft stehen deshalb vor großen Herausforde­ rungen. Sie müssen den klügsten Köpfen im eigenen Land eine Perspektive bieten und gleichzeitig den Weg ebnen für jene ausländische Intelligenzen, die ihre Fähig­keiten in Deutschland unter Beweis stellen wollen. Einfach ist das nicht. Ausländischen Fachleuten jedoch mit dem Hinweis auf die hohen Arbeitslosenzahlen die Tür zu weisen, könnte das falsche Signal sein. Wer die Arbeitslosigkeit bekämpfen will, der sollte den klügsten Köpfen lieber den roten Teppich ausrollen.


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Interview

Im vergangenen Jahr hat SAP welt­ weit annähernd 44.000 Arbeitnehmerin­ nen und Arbeitnehmer beschäftigt, ein Jahr zuvor waren es noch 40.000. Auch in diesem Jahr wollen Sie weitere 4.000 Arbeitskräfte einstellen, 400 davon in Deutschland. Welche Berufsgruppen suchen Sie vor allem? Wir suchen qualifiziertes Personal in drei Bereichen. Erstens für den Verkauf, zweitens für die professionelle Kunden­ betreuung und drittens für die SoftwareEntwicklung. Wo finden Sie diese Arbeitskräfte? Unser Ziel ist es, die Arbeitskräfte mög­ lichst lokal, für den Firmensitz WalldorfWiesloch also in Deutschland zu finden. Neun von zehn dieser qualifizierten Arbeitnehmer finden wir auch in der Bundesrepublik. Die übrigen Mitarbei­ terinnen und Mitarbeiter kommen zum größten Teil aus der Europäischen Union. Nur in den seltensten Fällen rekrutieren wir jemanden außerhalb von Europa. Arbeitskräfte aus den neuen ost­ europäischen EU-Staaten unterliegen noch der Einschränkung der Freizügig­ keit, Menschen aus Indien der individuel­ len Einzelfallprüfung, die festschreibt,

„In den Industrieländern stehen wir hier vor einem demografischen Problem“ Mark R. Steinke

Der US-Amerikaner Mark R. Steinke arbeitet seit zwei Jahren als Vize-Präsident der Personalabteilung von SAP in Deutschland. Der 47-Jährige kennt den globalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe der Welt genau. Seit 1986 hat er in England, Singapur, Malaysia, den Vereinigten Staaten, der Schweiz und Deutschland gearbeitet und dort für renommierte Unternehmen Fachkräfte angeworben. Im Ringen um die Fachkräfte der Zukunft sieht er den SAP-Konzern gut aufgestellt.

Foto: SAP AG

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10 – Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe


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dass eine ausländische Fachkraft nur einreisen darf, wenn in Deutschland keine mit ähnlichen Fähigkeiten gefunden ­wurde. Welche Folgen haben diese büro­ kratischen Barrieren für SAP? Diese Hürden bremsen unsere Entwick­ lung teilweise, weil sie den Einsatz des ausgewählten Bewerbers bis hin zu einer endgültigen Entscheidung verzögern. In einem Zeitraum von drei bis sechs Mo­ naten, so lange dauert das Prozedere im Durchschnitt, fehlt uns die Planungssi­ cherheit. Um diesen Prozess zu optimie­ ren, haben wir ein Mobilitätsteam ins Le­ ben gerufen. Es kümmert sich aber nicht nur um die Einreiseformalitäten, sondern betreut unsere Neuen bei der Wohnungs­ suche, führt diese in die deutsche Kultur ein und organisiert Sprachkurse. Ist Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiv? Aus unserer Sicht ist Deutschland ein sehr attraktiver Markt für hoch qualifizierte Arbeitnehmer. Das mag aber auch mit SAP zu tun haben, weil wir weltweit einen sehr guten Ruf genießen und unseren Mitarbei­ tern aussichtsreiche Karrieremöglichkei­ ten eröffnen. Das Gehalt ist wichtig, aber für die meisten Arbeitnehmer nicht das wichtigste Kriterium. Dennoch bieten wir natürlich ein äußerst attraktives Paket. An erster Stelle rangieren Aufstiegschancen, eine berufliche Herausforderung und ob sie für eine Organisation tätig sind, an die sie glauben. Da können wir natürlich punkten. Sind Ihnen bereits Anwärterinnen oder Anwärter auf einen Job verloren gegangen, weil sie nicht die Einzelfall­ prüfung abwarten wollten? Nein. Wir verlieren diese Bewerber nicht, aber wir verlieren Zeit und die Produktivi­ tät dieser Arbeitskraft. Dadurch verzögern sich Entwicklungen oder machen sie unmöglich. Hier wünschten wir uns schon einen schnelleren Prozess. Entsteht Deutschland ein Nachteil im Wettbewerb um die besten Köpfe? StiftungsReport 2008/09

Das sehe ich nicht so. Die gesetzlichen Bestimmungen und Barrieren ähneln doch jenen von Großbritannien oder den Vereinigten Staaten. In den USA muss ein Unternehmen ebenfalls nachweisen, dass eine Stelle nicht mit einer ähnlich quali­ fizierten Fachkraft besetzt werden kann. Erbringen wir diesen Nachweis, dann kann unser Bewerber einreisen. Das funktio­ niert sehr gut. In Deutschland klagen viele Unter­ nehmen über den Mangel an Fachkräf­ ten, manche verschieben Investitionen, andere verlagern Produktion und For­ schung ins Ausland. Dadurch gehen der Bundesrepub­lik Arbeitsplätze verloren. Woran liegt das? Die Suche nach geeigneten Talenten basiert nicht in erster Linie auf kleineren oder größeren bürokratischen Hürden. In den Industrieländern stehen wir hier vor einem demografischen Problem. Nach einer Studie wird die Zahl der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter in der EU bis 2050 um 48 Millionen Menschen bzw. um 16 Prozent sinken. Eine ähnliche Entwicklung findet in den Vereinigten Staaten statt. Es gibt also sehr viele Regionen, die sich einem Mangel an Arbeitskräften gegen­ übersehen. Auf der anderen Seite wächst in Indi­ en oder China, um die größten Staaten zu nennen, eine junge, gut ausgebildete Ge­ neration heran. In diesen Ländern werden künftig mehr Frauen und Männer die Hoch­ schulen mit guten Abschlüssen verlassen als in Europa oder den USA. Verlagern Sie Arbeitsplätze nach China und Indien? Nein, das machen wir nicht. Aber wir rea­ gieren natürlich auf die Entwicklungen und diversifizieren unsere Personalpolitik. So haben wir 2004 beschlossen, weltweit acht Entwicklungszentren zu errichten, zum Beispiel in China und Indien, in Un­ garn, Israel, den USA, Kanada und natür­ lich am Hauptsitz in Walldorf-Wiesloch. Damit können wir nun unsere Fachkräfte weltweit abdecken.


Was sind die Vorteile dieser Strategie? Würden wir die Entwicklung und For­ schung, sagen wir am Standort WalldorfWiesloch konzentrieren, hätten wir Schwierigkeiten, genügend Fachkräfte in Deutschland zu finden oder sie nach Deutschland zu holen. Durch die acht Standorte sind wir nun viel unabhängi­ ger – sowohl von der demografischen Entwicklung als auch von der Ausbildung künftiger Fachkräfte sowie der Politik. Die Einführung der Greencard unter Gerhard Schröder sollte den Mangel an IT-Kräften beheben. Diese Regelung wur­ de sehr kontrovers diskutiert. Nun will die EU mit der Einführung einer Bluecard die Zuwanderung hoch qualifizierter Fachkräf­ te nach Europa vereinfachen und harmoni­ sieren. Wie wichtig sind diese politischen Entscheidungen für Ihr Unternehmen? Von der Einführung der Greencard haben wir profitiert, ohne bei der Rekrutierung von Fachkräften jedoch davon abhängig gewesen zu sein. Und natürlich verfolgen wir die Diskussion über die Bluecard, ohne uns daran jedoch zu beteiligen. Mit der Entscheidung für die acht Standorte verfü­ gen wir hier über ausreichend Spielraum, unsere Fachkräfte unabhängig davon zu decken. Denn die Standorte ermöglichen uns ja auch, kurzfristig Fachkräfte von einem dieser Zentren nach Walldorf abzu­ ziehen, sollte dies einmal nötig sein. Die Konkurrenz um die besten Köpfe wird angesichts der demografischen und ökonomischen Entwicklung auch innerhalb Deutschlands zunehmen. Wie stellen Sie sicher, dass Sie Ihre Fachkräfte auch weiterhin lokal finden werden? Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Antwort fällt je nach Berufsgruppe anders aus. Die Posten unserer Spitzenverkäufer decken wir über Leuten ab, die bereits über Berufserfah­ rung verfügen. Diese Stellen zu besetzen, ist deshalb eine ungleich größere Heraus­ forderung als die Suche nach SoftwareSpezialisten.

Alle Welt redet von IT-Spezialisten, die fehlen. Warum ist das für Sie ein ­geringeres Problem? Weil an den deutschen Universitäten genügend gut qualifizierte Studentinnen und Studenten heranwachsen. Auf dieses Potential greifen wir zurück und bilden sie für unsere Zwecke weiter aus. Wir verfü­ gen dazu über ein engagiertes Team, das unter Studierenden und Postgraduierten die Talente heraussucht. Diesen Talenten wiederum können wir nicht nur Studenten­ jobs, sondern eben auch Ausbildungspro­ gramme anbieten. Wir unterhalten ausge­ zeichnete Kontakte zu Universitäten und Professoren. So lehren allein in Deutsch­ land mehr als 200 Bildungseinrichtungen prozessorientierte Betriebswirtschaft anhand von SAP-Software. Darüber kom­ men Studenten mit unseren Programmen in Kontakt. Das eröffnet uns wiederum Anknüpfungspunkte. Die Suche nach Fachkräften wird sich weiter internationalisieren. Welche Strategien sind vonnöten, um sich auf diese Entwicklung vorzubereiten? Um die Bedürfnisse nach qualifizierten Arbeitnehmern decken zu können, müssen gerade große Unternehmen die Vorteile der Globalisierung nutzen. Wer sich auf seinen Heimatmarkt beschränkt, macht sich von der demografischen Entwicklung, vom jeweiligen Bildungssystem und natürlich von politischen Entscheidungen abhängig. Damit Unternehmen wie SAP auf der an­ deren Seite in Deutschland auch weiterhin genügend hoch qualifiziertes Personal anwerben können, müssen Universitä­ ten und Unternehmen stärker als bisher zusammenarbeiten, zum Beispiel bei der Fortschreibung der Curricula, so dass diese sich an den verändernden Bedürfnissen von Unternehmen orientieren. Außerdem müssen beide die Begeisterung zum Bei­ spiel für Mathematik unter jungen Leuten entfachen. Das alles machen wir in kleinen Schritten und stoßen gerade in deutschen Universitäten auch auf reges Interesse. 10 – Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe

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Reportage

Mit Unterstützung ist alles möglich

Das Programm „Talent im Land“ der Robert Bosch ­Stiftung fördert das Potential von Mädchen und Jungen mit Zuwanderergeschichte

Foto: Michael Netzhammer

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Wenn Zarema Isaeva über die Ver­ gangenheit spricht, fällt ein feiner Schlei­ er über ihre wachen Augen. Für einen Moment erstarrt ihr sonst so fröhliches Lächeln. An das große Haus ihrer Eltern mit seinen vielen Zimmern erinnert sie sich genau. Und an den Kirschbaum im Gar­ ten. „Auf den bin ich als kleines Mädchen hochgeklettert und dann nicht mehr her­ unter gekommen“, erzählt die 19-Jährige. Das Haus in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny steht nicht mehr. Zer­ stört in einem Krieg, der nach wie vor im Schatten der Weltöffentlichkeit tobt. Ge­ meinsam mit ihren Eltern entkam sie dem Bürgerkrieg, versteckt auf der Pritsche ei­ nes Lastwagens hinter Kisten und Ballen. Dass sie im September 2000 in Deutsch­ land landeten, war eher dem Zufall als einem Plan geschuldet. Nun aber sitzt die junge Frau in der Evangelischen Akademie im württembergischen Bad Boll und blickt hinaus auf die bunten Streuobstwiesen. Wer ihr so zuhört, wie sie in fließendem Deutsch von der Vergangenheit erzählt, der spürt auch, dass die 19-Jährige lange schon in Deutschland angekommen ist. Neben tschetschenisch und russisch spricht sie englisch, französisch und ­spanisch und natürlich deutsch. Sie ist von der Hauptschule aufs Gymnasium gewech­ selt, hat dort die elfte Klasse übersprun­ gen und sich im Stuttgarter Jugendrat und als Schülersprecherin engagiert. Den Verlust der Heimat hat sie in einen phänomenalen Wissensdurst transformiert. Die Wunden des Krieges manifestieren sich in ihrem Engagement für Amnesty International und dem „viel­ leicht naiven Wunsch, die Welt retten zu wollen“. Dabei errötet die junge Frau, so als sei dieser Wunsch unangemessen. Mit kleinen Zielen aber hat sie sich noch nie zufriedengegeben. „Ich will zwischen Kulturen und Völkern vermitteln und mich dafür auf internationaler Ebene engagie­ ren“, sagt sie, ohne dass dies überheblich klingt.

Ideelle Förderung wichtiger als Geld Das Talent dafür bringt sie mit, ge­ nauso den Willen. Die kleingewachsene junge Frau will etwas bewegen. Deshalb ist sie derzeit eins von 200 Talenten, die die Robert Bosch Stiftung gemeinsam mit der Landesstiftung Baden-Württemberg und der Stiftung Bildungspakt Bayern fördert. Das 2003 ins Leben gerufene Pro­ gramm „Talent im Land“ unterstützt jedes Jahr 100 Jungen und Mädchen mit Zuwanderergeschichte, jeweils die Hälf­ te in Bayern und Baden-Württemberg. Dass sich die Förderung auf Teenager mit Zuwanderergeschichte beschränkt, hat einen wichtigen Grund: „Wir haben in diesem Land bei der Integration einiges verschlafen. Deshalb wollen wir hier ein Ausrufezeichen setzen, indem wir die Potentiale und das Leistungsvermögen von Migrantenkindern zur Entfaltung bringen“, sagt Günter Gerstberger, Be­ reichsleiter Bildung und Gesellschaft der Robert Bosch Stiftung. Deren Wissens­ schatz werde in Deutschland immer noch nicht genügend gefördert. „Dabei brauchen wir für die Zukunft eine junge, verantwortungsbewusste Elite“, erklärt Gerstberger. Das Programm geht auf eine Initiati­ ve der Markelstiftung zurück. Diese hat – mit finanzieller Unterstützung der Robert Bosch Stiftung – seit 1985 Stipendien an ausländische Schüler in Baden-Württem­ berg vergeben. Das Programm diente der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung als Vorbild, die mit ihrem START-Programm ausländische Mädchen und Jungen in den übrigen Bundesländern unterstützt. Zarema Isaeva und die anderen Stipendiaten erhalten durchschnittlich 200 Euro im Monat – für Bücher, Sprach­ kurse, Musikunterricht oder Theater­ karten. „Darüber hinaus wollen wir eine Umgebung schaffen, in der sich die Be­ 10 – Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe

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gabungen der Talente entfalten können“, sagt Gerstberger. Dazu treffen sich die Stipendiaten regelmäßig zu Seminaren, Studientagen und einmal im Jahr zu einer ein- bis zweiwöchigen Sommerakademie. Wie wichtig so eine Förderung ist, weiß auch Ayfer Sen genau. Heute arbei­ tet die in der Türkei geborene Deutsch­ kurdin als zentrale Auslandskoordinatorin für die Berufsakademie in BadenWürttem­berg. „Meine Karriere war nur durch die Hilfe anderer möglich“, sagt die Frau mit der schwarzen Lockenmähne. Dankbar denkt sie an ihre Grundschul­ lehrerin zurück, die sie in der Schule för­ derte, an den Direktor ihres Gymnasiums, der ihr Potential wahrnahm und sie an die Markelstiftung verwies und an die Stutt­ garter Stiftung selbst. Die hat ihr damals 50 DM pro Monat überwiesen. „Wichtiger als das Geld war mir das Gefühl, dass da Menschen waren, die an mich glaubten“, erinnert sich die 35-Jährige. Zweimal pro Jahr musste sie ihre Zeugnisse präsentie­ ren. „Natürlich wollte ich ihnen beweisen, dass ich die Hilfe auch verdiene.“ Heute sitzt sie selbst in der Jury in Baden-Württemberg und wählt mit ande­ ren unter den bis zu 400 Bewerbungen jene 50 Talente eines Jahrgangs aus, die dann im Durchschnitt vier Jahre bis zur Hochschulreife gefördert werden. ­„Manche der Bewerber sind gerade mal ein Jahr in der Bundesrepublik. Sie spre­ chen kaum Deutsch, begeistern uns aber durch ihren Mut und ihre Vitalität“, sagt Ayfer Sen. Manchmal fällt die Auswahl schwer. „Wenn die Mädchen und Jungen von ihren Schicksalsschlägen erzählen, von Krieg und Vertreibung und Leid, geht das an die Substanz“, sagt die studierte Juristin. Immer aber überwiege die Freude an den vielen Begabungen, die sich ihr prä­ sentierten. Und immer denkt sie an ihre eigenen Förderjahre zurück und daran, was aus ihr ohne die Förderung geworden wäre. StiftungsReport 2008/09

Viele Talente verkümmern Ayfer Sen weiß, dass viele Talente mit Zuwanderergeschichte in Deutschland verkümmern. Wegen sprachlicher Defizite landen sie häufig in der Hauptschule, obwohl sie in ihrem Land kurz vor dem Eintritt in die Universität standen. „Wir sollten mehr auf die Begabungen und das Potential zielen, als nur die Defizite zu betonen“, sagt sie. Migranten als Op­ fer? Nein. Zuwanderer hätten zwar mehr Hürden zu überspringen als Einheimi­ sche. Auf der anderen Seite aber gäbe es hier Möglichkeiten, die zu nutzen auch in der Verantwortung der Zuwanderer liege. „Manche türkischen Kinder, die in Deutschland geboren wurden, kennen eher den türkischen Innenminister als den deutschen“, weiß Ayfer Sen. Die Kennt­ nisse von Deutschland seien in der dritten und vierten Generation der ehemaligen Zuwanderer häufig spärlicher vorhanden als noch in der ersten und zweiten Gene­ ration. „Dafür tragen auch die Eltern Ver­ antwortung“, sagt sie. Wenn sie ihr Kinn beim Reden nach vorn reckt und selbstbewusst ihre Sicht der Dinge vertritt, fällt es schwer zu glau­ ben, dass sie sich als Teenagerin verun­ sichert fühlte und sich deshalb blonde Haare und blaue Augen wünschte. Davon erzählt sie den Jungen und Mädchen, wenn diese verzagt vor ihr sitzen. Als Deutschkurdin ist sie ihnen ein Vorbild. „Es ist nicht immer leicht, aber man kann auch als Zuwanderer in Deutschland seine Ziele erreichen“, sagt Ayfer Sen. Vor al­ lem, wenn einem Lehrerinnen und Lehrer, Rektorinnen und Rektoren, Stiftungen und Organisationen unter die Arme greifen.

Der Standort bestimmt das Bewusstsein In der Evangelischen Akademie von Bad Boll beschäftigen sich die 50 „Talente im Land“ Baden-Württemberg des Jahr­


Foto: Michael Netzhammer

gangs 2005 an diesem Wochenende mit dem Thema Globalisierung. Zusammen mit den anderen sitzt Zarema Isaeva in einem großen Kreis und beobachtet ein kleines Theaterstück, das zwei Betreuer aufführen. Ein Mann schreitet in herri­ scher Pose voran, die Frau folgt barfuss mit Abstand. Während er sich auf den Stuhl setzt, kniet sie neben ihm nieder und isst nur, wenn der Mann ihr etwas zum Essen hinreicht. „Was seht ihr?“, fragt Malinda Madew, Soziologin und in­ terkulturelle Trainerin, in die Runde. „Die Frau ist von dem Mann abhängig“, sagt ein Mädchen. „Der Mann unterdrückt die Frau“, erklärt ein Junge. Andere Hände fahren in die Luft. Schnell ist sich die Gruppe einig, dass die Frau eine unter­ geordnete, sklavische Rolle zu spielen habe. „Alle Ansichten sind richtig“, sagt Malinda Madew, „aber nur aus unserer eigenen Sicht.“ Denn die Szene zeige das Verhalten der Tuvalu im pazifischen ­Ozean und dort haben die Frauen das Sa­ gen. Der Mann gehe voraus, um die Frau zu beschützen. Die Frau wiederum sitze auf dem Boden, um Mutter Erde näher zu sein, erklärt die promovierte ­Soziologin. „Wir interpretieren Ereignisse. Aber nicht immer ist unsere Perspektive die ­Richtige.“ Akram al Assadi hört die Worte und nickt. Der 18-Jährige weiß, wie sehr die Wahrnehmung eines Geschehens vom Standort des Beobachters abhängt. Während viele Jugendliche die Ereig­ nisse im Irak gleichgültig wahrnehmen, bereiten ihm die TV-Bilder aus Bagdad körperliche Schmerzen. Er fürchtet um die ­Verwandten, die noch in der Stadt am Tigris wohnen. Die Sehnsucht nach Frieden manifestiert sich auch bei ihm in seinem anvisierten Beruf. „Ich will Inge­ nieur werden, um Häuser zu bauen statt zu zerstören“, sagt Akram, was übersetzt so viel heißt wie gastfreundlicher Löwe. Akram gelang 2001 zusammen mit seinem Bruder und der Mutter die Flucht

In Workshops und Rollenspielen üben die Stipendiaten sich als Teamspieler. nach Deutschland. „Das Stipendium ist für mich ungeheuer wichtig, weil ich deshalb nebenher nicht mehr arbeiten muss und mich auf die Schule konzentrie­ ren kann“, sagt der 18-Jährige. Die Null Bock-Haltung mancher Schulkameraden kann er nicht verstehen. Abitur, Studium, Doktorarbeit, gut dotierte Arbeitsstel­ le – der gastfreundliche Löwe hat eine klare Vorstellung von seiner Karriere. „Ich will nicht mehr von anderen Menschen abhängig sein und meine Familie unter­ stützen können“, sagt er. Diese strenge Ausrichtung hat wie bei vielen Jugend­ lichen mit Zuwanderergeschichte einen Grund, sagt Lejla Bubic, Mitarbeiterin der Arbeitsstelle „Talent im Land“. „Häufig übernehmen Stipendiaten in der Familie eine umgekehrte Fürsorgerolle für Eltern und Geschwister“, weiß die 30-jährige Deutschbosnierin, die selbst ihr Land verlassen musste. Akram al Assadi hilft aber nicht nur der eigenen Familie. Zusammen mit ­sieben anderen Freunden hat er das Pro­ jekt „Jugend für Jugend“ gegründet. Ein­ mal pro Woche geben sie Schülerinnen und Schülern einer Ludwigsburger Haupt­ schule Nachhilfeunterricht. „Einfach weil wir wissen, dass Jugendliche besser mit anderen Jugendlichen als mit Erwachse­ nen lernen“, sagt er. Allerdings müssen die Lernenden freiwillig kommen, sagt Akram. „Mit ein wenig Unterstützung“, sagt er, „ist dann aber alles möglich.“ 10 – Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe

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Portrait

Freundlichkeit ist überall eine gültige Währung

Foto: Michael Netzhammer

In Deutschland einen Arbeits­ platz zu finden, war für den Inder Gopi Prasad eine Kleinigkeit. Bis er das nötige Arbeitsvisum bekam, um arbeiten zu dürfen, dauerte es sieben Monate.

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Gopi Prasads Arbeitsplatz hat den Charme eines ganz gewöhnlichen deut­ schen Büros. Auf dem kleinen Schreib­ tisch zum Fenster hin steht ein Flachbild­ schirm, eingerahmt von Hängeregistern und Büroschränken, von Ablagen und Aktenordnern. Das Abbild der Gottheit Sri Rajarajeswari Devi fällt hingegen aus dem Rahmen. Sie ist die Ehefrau des Hindu­ gottes Siva. Der 35-jährige Hindu betet sie, wie viele Millionen anderer Hindu, an. Ein Blick auf das Abbild genügt Gopi

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Prasad, um für einen Moment eine innere Reise nach Indien zu unternehmen. Diese Ausflüge in die ferne Hei­ mat helfen dem Mann mit den zu einem Scheitel gekämmten schwarzen Haaren über das Hamburger Wetter hinweg. Das präsentiert sich heute in changierenden Grautönen. Draußen fahren Autos, Busse und Lastwagen mit Abblendlicht an den Bürogebäuden und Werkshallen vorbei. Schön ist Hamburg im Industriegebiet entlang der Papenreye nicht. Bald wird das Unternehmen in schöne Räume an die Elbe umziehen. Gopi Prasad stört das Ambiente nicht. Er kommt jeden Morgen gut gelaunt in den Norden der Hansestadt. Endlich darf er tun, was ihm von Gesetz wegen lange verboten war – arbeiten. Gerade schreibt er an einer Markt­ studie, die die Entwicklung der indischen Flugzeugindustrie beleuchtet. Sein Arbeitgeber Heinkel Consulting hat ein Standbein im deutschen Flugzeugbau und sich außerdem in Indien etabliert. Hochqualifizierte Ingenieurinnen und ­Ingenieure sind in Deutschland Mangel­ ware – in Indien gibt es sie, wenn auch nicht mehr „für’n Appel und ’n Ei“, wie manche noch denken. Gopi Prasad gehört zu jenen indi­ schen Hochqualifizierten, von denen in Deutschland häufig die Rede ist. Aller­ dings kann er weder Flugzeuge konstruie­ ren noch Software-Programme schreiben. Er ist Spezialist für Finanzen. Darüber hat er nebenbei einige Bücher geschrieben und beruflich die Finanzen indischer Kon­ zerne verwaltet. Dass er nun in Hamburgs Norden sitzt, das hat mit seiner Frau zu tun. Die indische Ingenieurin arbeitet seit 2004 in Hamburg-Finkenwerder. Gopi Prasad ist deshalb seiner Frau nach Deutschland gefolgt. „Das scheint hier unüblich“, sagt der 34-Jährige ein wenig ironisch. „Zumin­ dest mussten wir einen Alptraum durch­


leben, bis mir endlich ein Arbeitsvisum erteilt wurde.“ Firmeninhaber Tom Heinkel nickt, während sein Mitarbeiter spricht. Der 31-Jährige hat das Ingenieurbüro seines Vaters übernommen. Inzwischen beschäf­ tigt das Büro fast 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon sind 80 Prozent ausgebildete Ingenieure. Das Unterneh­ men konstruiert und berechnet u. a. seit mehr als 30 Jahren Flugzeuge. Außerdem vermittelt Heinkel hochqualifizierte Fach­ kräfte und betreut Engineering-Projekte für Drittfirmen. „Derzeit haben wir 140 offene Stellen, die wir besetzen wollen“, sagt Tom Heinkel. Und ständig erhalte seine Firma neue Anfragen. „Unsere Universitäten können gar nicht so viele Absolventen ausbilden, wie wir derzeitig benötigen“, erklärt der Un­ ternehmer. Um die Nachfrage abdecken zu können, brauche es deshalb größere Anreize für ausländische Studentinnen und Studenten, um diese für deutsche Universitäten zu gewinnen. Außerdem müssten qualifizierte Fachkräfte – seien sie aus Osteuropa oder Indien – einfacher als bisher nach Deutschland geholt wer­ den können. Trotz aller Erleichterungen seien die Hürden dafür nach wie vor zu hoch, erklärt Heinkel. Die Geschichte von Gopi Prasad ist ihm dafür das beste Beispiel.

Bürokratische Hürden kosten ausländische Fachkräfte Geld und Nerven Nach Deutschland war Prasad – noch ohne Arbeit – mit einem Ehegatten­ visum gekommen. Nach einigen Monaten fand er in Heinkel einen Arbeitgeber. Im Mai 2007 unterzeichneten Tom Heinkel und Gopi Prasad den Arbeitsvertrag. Doch damit begannen die Probleme. „Mit einem Ehegattenvisum darf ich in Deutschland leben, jedoch nicht arbei­

ten“, sagt Prasad. Zeitgemäß erscheint so eine Bestimmung nicht. Wie aber ändert man ein solches Visum? Die Auskunft der deutschen Behörden: Er müsse in Indien einen neuen Visa-Antrag stellen und dort auf die Erteilung warten. Was umgekehrt für die Prasads bedeuten würde: Kosten für einen weiteren Flug, kein Einkommen während der Wartezeit, Trennung der Eheleute. Und natürlich ohne Sicherheit, ob ein solches Visum auch erteilt würde, von der unbestimmten Dauer der Warterei ganz zu schweigen. Eine Alternative aber gab es schein­ bar nicht. Weder die deutschen noch die indischen Behörden wussten einen Aus­ weg, auch die konsultierten Juristen konn­ ten nicht helfen. Am Ende kaufte Prasad ein Ticket und flog nach Indien. Vier Monate musste er dort ausharren, bis er sich mit einem Arbeitsvisum im Reise­pass wieder nach Hamburg aufmachen konn­ te. Am 17. Dezember 2007 – fast sieben Monate nach Unterzeichnung seines Arbeitsvertrages – saß er zum ersten Mal an seinem Schreibtisch. Über die existenziellen Sorgen in dieser Zeit spricht Gopi Prasad nicht. Mit derartigen Angelegenheiten behelligt man keine Fremden. Es ist eher die über­ schwängliche Art und Weise, wie er sich für Heinkels Engagement und Geduld bedankt, die das Ausmaß des bürokra­ tischen Albtraums andeuten, in dem er für Monate feststeckte. Warum aber ist solch ein Prozedere notwendig? Warum muss Gopi Prasad nach Indien ausreisen und kann das Visum nicht in Deutschland verändern? Warum werden Arbeitgeber und Arbeit­ nehmer so lange in Ungewissheit ge­ lassen? Es sind Fragen, die Tom Heinkel ärgern. „Wir müssen uns nicht wundern, wenn Fachkräfte da lieber in andere Län­ der ziehen“, sagt Heinkel. Den Behördenmitarbeiterinnen und –mitarbeitern macht der 31-Jährige keine

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Vorwürfe. Sie seien Ausführende wenig praktikabler Gesetze. In diesen aber sieht der gelernte Betriebswirtschaftler Sym­ bole der Abwehr. Eine für den deutschen Wohlstand gefährliche Reaktion, wie der Hamburger findet. Ob die deutsche Ge­ sellschaft Menschen aus anderen Kultu­ ren nur dulde oder sie willkommen heiße, dies sei im Wettlauf um die klügsten Köpfe vielleicht entscheidend. „Freund­ lichkeit ist eine Währung, die überall Gültigkeit hat“, sagt Heinkel.

Indische Fachkräfte ebnen deutscher Wirtschaft den Weg

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Positiv nach vorne blicken – das heißt für den Hamburger Kaufmann und Gopi Prasad auch, die gemachten bürokratischen Erfahrungen zu einer Wissensressource zu veredeln. „Wir wollen indischen Firmen und Fachkräf­ ten helfen, wenn sie in Deutschland Fuß fassen wollen, gleichzeitig aber auch

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deutsche Firmen in Indien bei der Ansied­ lung unterstützen“, beschreibt Prasad das Geschäftsfeld, in dem er über großes Expertenwissen verfügt. Das Potential für eine deutsch-indi­ sche Zusammenarbeit sei sehr hoch, aller­ dings nur rudimentär entwickelt, glaubt Prasad. Das habe auch mit dem mangeln­ den Wissen über Indien zu tun. So würden sehr viel mehr deutsche Wirtschaftsdele­ gationen nach Indien fahren als beispiels­ weise solche aus den USA. Die seien aber sehr erfolgreich, weil sie auf die Expertise und die Kontakte der in den Vereinigten Staaten lebenden Inderinnen und Inder zurückgreifen könnten. „Die ebnen der Delegation im Vorfeld den Weg“, weiß der gläubige Hindu. Kulturelles Wissen und bessere Kontakte seien für deutsche Un­ ternehmen deshalb entscheidend. Entste­ hen können diese Ressourcen aber nur, wenn man indischen Fachleuten wie Gopi Prasad keine Barrieren in den Weg stellt, sondern sie willkommen heißt.


Alfried Krupp von Bohlen und ­Halbach-Stiftung

Die Stiftung möchte deutsche Forscher, die ihre wissenschaftliche Laufbahn im Ausland fortgesetzt haben, für eine Lehrund Forschungstätigkeit in Deutschland zurückgewinnen und stellt deutschen Universitäten hierfür Fördermittel für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren bereit. www.krupp-stiftung.de

Vodafone Stiftung

Das Programm „Vodafone Chancen“ der Vodafone Stiftung richtet sich an hervor­ ragende Studienanfänger mit Zuwande­ rergeschichte. Ihnen eröffnet die Stiftung die Möglichkeit, an einer der vier Partner­ hochschulen der Vodafone Stiftung – der Bucerius Law School, der European Busi­ ness School, der International University Bremen oder der WHU Otto Beisheim School of Management – zu studieren. Für erfolgreiche Bewerber übernimmt die Stiftung die Studiengebühren, ein monat­ liches Stipendium in Höhe von 585 Euro sowie Mittel zur Finanzierung von Lehr­ büchern, Sprachkursen und Auslandsauf­ enthalten. Außerdem fördert die Stiftung ihre Stipendiaten durch Bildungssemi­ nare und mit Hilfe einer individuellen Betreuung durch Mentoren. www.vodafone-stiftung.de

Heidelberger Stiftung Chirurgie

Die Lautenschläger-Stipendien ermög­ lichen jungen deutschen Ärzten Aus­ landsaufenthalte zur Weiterbildung und versuchen so, dem Brain Drain aus Deutschland entgegenzuwirken. Dabei soll der deutsche Forschungs- und Ärzte­ nachwuchs mit internationalem KnowHow und Netzwerken verknüpft werden und gleichzeitig langfristig der Nach­ wuchs für die deutsche Wissenschaft gesichert werden. www.klinikum.uni-heidelberg.de

Welcome Centres

Die Alexander von Humboldt Stiftung, die Deutsche Telekom Stiftung und der Stifterverband für die Deutsche Wissen­ schaft haben gemeinsam einen Wettbe­ werb für weltoffene Universitäten ausge­ schrieben. Die drei Gewinner des Wett­ bewerbs – die Universitäten Bochum, Bonn und Marburg – wurden als Welcome ­Centers ausgezeichnet. Das Programm „Welcome Centers“ fördert den Aufbau von Strukturen, die den Universitäts­ standort Deutschland für international anerkannte Forscherinnen und Forscher attraktiver machen soll. www.welcome-centres.de

The Maytree Foundation

Die 1982 in Kanada gegründete Maytree Foundation konzentriert sich in ihrer Ar­ beit auf Aspekte der Immigration und Ur­ banisierung. Die Stiftung fördert u. a. be­ gabte Flüchtlinge und Immigranten durch unterschiedliche Förderprogramme. Dazu gehören kurzfristige Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen aber auch Programme, die begabten Migranten ein Studium ermöglichen. Darüber hinaus unterstützt die Stiftung diese Hochbegab­ ten bei der Suche nach entsprechenden Arbeitsplätzen. www.maytree.com

Bertelsmann Stiftung

Ziel des Leadership-Programms „Die Brückenbauer der Integration stärken“ ist es, Führungskräfte aus Migrantenorgani­ sationen im Eintreten für die eigene Sache und in ihrer Vorbildfunktion zu stärken und Vorurteile abzubauen. Das Programm besteht aus einer Fortbildung über ein Jahr in Form von Wochenendseminaren und der Unterstützung bei der Vernetzung und dem Erfahrungsaustausch mit ande­ ren Migrantenorganisationen. www.bertelsmann-stiftung.de

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Cultural Diversity – aus Einfalt Vielfalt machen Was hinter dem im angelsächsischen Raum be­ reits etablierten Konzept der Cultural Diversity steht, erläutert der Hintergrundtext. Allmählich fasst die kul­ turelle Vielfalt auch in der Bundesrepublik Fuß. Hier ist es die Wirtschaft, die das Konzept der Wertschätzung von ­Unterschiedlichkeit vorantreibt. Michael Schmidt, Arbeitsdirektor und Vorstandsmitglied der Deutschen BP AG, ist einer der Initiatoren von Diversity in der ­Bundesrepublik. Im Interview beschreibt er die Vorteile von Diversity, die BP bereits erzielt und die sich der Kon­ zern für die Zukunft verspricht. In der Reportage steht die einwanderungsfreundliche Stadt München im Mit­ telpunkt. Dort pflegt selbst die Ausländerbehörde einen kooperativen Umgang mit ihren Gästen. Hoch im Norden, in Hamburg, bleibt die Kommissarin Sabina Prokop pol­ nische Staatsangehörige. Warum sie als Polin trotzdem deutsche Beamtin werden kann, verrät das Porträt.

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Hintergrund

Vielfalt ist eine Chance

Das Exportland Deutschland schneidet bei der Integration von Zuwanderern nur mittel­ mäßig ab. Diversity Manage­ ment kann dem abhelfen.

1955 in der Türkei geboren, kam Kemal Sahin 1972 zum Studium der Inge­ nieurwissenschaften nach Deutschland. Um der drohenden Abschiebung nach dem Studium zu entgehen, machte er sich anschließend selbständig und eröffnete mit 5.000 im Bergbau selbst verdienten Mark einen 30 Quadratmeter großen Geschenkeladen in Aachen. Heute hat die

Sahinler Group 360 Filialen in ganz Europa, sie beschäftigt 12.000 Mitarbeiter. Kemal Sahin, der diese Erfolgsgeschichte schrieb und Deutschlands größter Unternehmer türkischen Ursprungs ist, kam mit einem Stipendium nach Deutschland. Der Weg von Kemal Sahin ist sicher einzigartig. Es ist trotzdem nur eines von vielen Erfolgsbeispielen für eine un­ gewöhnlich erfolgreiche Integration in Deutschland. Nicht immer jedoch gelingt es Zuwanderern, sich auf solch positive Weise in Deutschland zu integrieren: Und nicht immer liegt dies nur an den Migran­ ten selbst.

Die Bedingungen für ­ Integration sind in Deutschland nur mittelmäßig Der Migrant Integration Policy Index (MIPEX) überprüft staatliche Maßnahmen zur Integration von Migranten in 25 EUund drei Nicht-EU-Ländern. Er zeigt, dass Deutschland bei der Integration von Zu­ wanderern nur mittelmäßig abschneidet.158

Bei der Integrationspolitik liegt Deutschland im Mittelfeld Anhand von sechs Indikatoren wird die Eingliederungspolitik in 28 Ländern untersucht und miteinander verglichen. 2007 erreichte Deutschland 53 von 100 möglichen Punkten und lag somit genau im Mittelfeld, während Schweden das Gesamtklassement mit 88 Punkten anführt. optimale Umsetzung Deutschland optimale Umsetzung in 28 Ländern schlechteste Umsetzung in 28 Ländern

Quelle: MIPEX (2007): Migrant Integration Policy Index. Germany Overview. http://www.integrationindex.

Arbeitsmarktzugang 50 % 100 80 Antidiskriminierung 50 %

Familienzusammenführung 61 %

60 40 20

Zugang zur Staatsbürgerschaft 38 %

Langfristiger Aufenthalt 53 %

eu/integrationindex/2556.html, Stand Dezember 2007.

Politische Beteiligung 66 %

11 – Cultural Diversity

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Auch eine aktuelle Studie der OECD zum Thema Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland im internationalen Ver­ gleich in der beruflichen Integration von hochqualifizierten Zuwanderern große Lücken aufweist, insbesondere bei der Situation der Frauen.159

Integration ist mehr als eine Notwendigkeit

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„Integration ist kein Luxus. Sie ist vielmehr eine politische, wirtschaftliche, soziale und ethische Notwendigkeit.“160 Das sagte José Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, auf ei­ nem Symposium der Vodafone Stiftung Deutschland und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flücht­ linge und Integration. Verfehlte Integra­ tion hingegen ist kostspielig. Bis zu 15,3 Milliarden Euro jährlich lässt sich die Bundesrepublik die verpassten Chancen kosten, hat die Bertelsmann Stiftung ausrechnen lassen: „Durch mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende soziale Netzwerke und schlechte Integration der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt gehen dem Staat Einkommensteuern und Beiträ­ ge in der Renten- und Sozialversicherung verloren. Demnach kostet die mangelnde Integration Bund und Länder jeweils 3,6 Milliarden Euro pro Jahr. Die Kosten der Kommunen liegen bei 1,3 Milliarden Euro, die der Sozialversicherungen bei 7,8 Mil­ liarden Euro.“ 161 Auch Hans Dietrich von Loeffelholz vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weist auf den Webseiten der Heinrich-Böll-Stiftung zum Schwer­ punkt Migration-Integration-Diversity auf die Potenziale, aber auch auf die Defizite in der Integration hin. Der Referatsleiter betont die potenziellen Ressourcen, „die ausgeschöpft werden sollten“.162 Integration ist mehr als nur eine Notwendigkeit zur Vermeidung von Kosten, seien es Opportunitätskosten StiftungsReport 2008/09

oder Kosten nicht genutzter Chancen. Die Nutzung des Potenzials der verschiedenen Menschen mit Migrationshintergrund kann vielmehr darüber hinaus ein Gewinn für die Gesellschaft und Wirtschaft eines Landes sein. Dass die Vielfalt verschiede­ ner Kulturen eine Bereicherung und kein Nachteil für die Gesellschaft ist, zeigt sich in der Studie „Nutzung des Potenzials jun­ ger Akademiker mit Migrationshintergrund für die Bundesrepublik Deutschland“ der Fachhochschule Köln.163 Die Wissenschaft­ lerinnen und Wissenschaftler fordern darin, die spezifischen Kompetenzen von Migranten – Sprach- und Kulturkenntnis­ se, interkulturelle Kompetenz und Sen­ sibilität, neue Herangehensweisen und Problemlösungen, hohe intrinsische Mo­ tivation, Belastbarkeit und Zielstrebigkeit – deutlich zu machen und zu diskutieren. Eine solche Diskussion könne auch die Einstellung der Mehrheitsgesellschaft und der Unternehmen gegenüber Zuwanderern und damit die Chancen von Migrantinnen und Migranten wesentlich verbessern. In Zeiten der Globalisierung wird eine verpasste Integration mehr denn je zum großen Nachteil. Denn Interkulturalität und Internationalität sind Schlüsselfak­ toren für erfolgreiches Handeln in der Wirtschaft. Insbesondere international agierende Unternehmen und Organisatio­ nen setzen dabei oft gezielt auf Mitarbei­ terinnen und Mitarbeiter mit Migrations­ hintergrund, um mit deren spezifischen Kenntnissen wie Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenzen einen besse­ ren Zugang zu neuen Absatzmärkten und zu Kooperationspartnern in aller Welt zu erhalten.

Diversity Management – ­ Gewinnsteigerung durch Nutzung der Vielfalt? Maßnahmen zur Förderung und produktiven Nutzung personeller Vielfalt im Unternehmen werden heute oft unter


dem Begriff „Diversity Management“ zusammengefasst. Das Konzept stammt ursprünglich aus den USA und ist ein Instrument der Unternehmensführung. Diversity Management umfasst sämtliche Maßnahmen, die dazu führen, dass eine Organisation Unterschiede in der Beleg­ schaft anerkennt, achtet und als positive Beiträge zum Erfolg einsetzt. Diversity Management ist also kein Gleichstel­ lungsansatz, sondern eine Management­ strategie, die die Belegschaft in all ihrer Vielfältigkeit beachtet, wertschätzt, an­ erkennt und als Faktor zur Steigerung des unternehmerischen Erfolgs nutzt. Unter­ schiede zwischen Mitarbeitern beziehen sich dabei auf offensichtliche Merkmale wie Alter, Geschlecht, Behinderung, ethnische Abstammung und auf weni­ ger wahrnehmbare Eigenschaften wie Religion, kulturelle Werte und ­sexuelle Orientierung. Push-Faktor für die Implementie­ rung von Diversity-Maßnahmen in Unternehmen können Regierungsmaß­ nahmen wie die Antidiskriminierungs­ gesetzgebung sein.164 Eine im Auftrag der Euro­päischen Kommission 2005 durch­ geführte Studie zum „Geschäftsnutzen von Vielfalt“165 zeigt, dass die Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien ein wichtiger Faktor für die Implementierung von Gleichstellungsinitiativen und darü­ ber hinausgehenden Diversity-Ansätzen war. Die Befragung ergab aber auch, dass es nicht die rechtlichen Gründe alleine sind, die Unternehmen dazu bewegen, sich für Diversity zu entscheiden. So gaben 83 Prozent der befragten Unter­ nehmen an, dass ihnen ihre Initiativen zur Förderung der personellen Vielfalt bereits bei der Verbesserung ihres Geschäfts­ erfolgs geholfen haben. Eine kritische Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts166 weist darauf hin, dass Diversity an sich nicht schon produktiv und kreativ ist, sondern dass es Maßnahmen zur Förderung der Vielfalt

und ihrer produktiven Nutzung bedarf. Gleichzeitig nennt sie folgende Effekte als regelmäßige positive Wirkungen von Diversity Management-Maßnahmen: bes­ sere Nutzung von Talenten inklusive einer besseren Personalrekrutierung und Per­ sonalbindung, Verbesserung des Markt­ zugangs durch erweitertes Verständnis für die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden, Steigerung der Produktivität, Kreativität, Innovationskraft und des Problemlösungspotenzials der Unterneh­ men durch die Vielfalt an Betrachtungs­ perspektiven, Mentalitäten und Wissen, Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und damit Reduzierung der aus Fluktuation und Arbeitsausfall entstehenden Kosten, Beitrag zur Flexibilität und zum Verant­ wortungsbewusstsein der Arbeitnehmer und Vermeidung von Diskriminierung und damit zusammenhängenden Kosten. Ganz allgemein haben sie einen besseren Um­ gang mit den Auswirkungen der Globa­ lisierung und technologischen Verände­ rungen, eine Schulung und höhere Kom­ petenz in interkultureller Kommunikation sowie eine Verbesserung der Reputation und des Images des Unternehmens bei externen Interessengruppen festgestellt.

Deutschland im internationalen Vergleich mäßig Eine Studie des Instituts für Ar­ beitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bestätigt, dass Regionen mit einer hohen Anzahl Beschäftigter mit vielfältigen kulturellen Hintergründen erfolgreicher bei der Entwicklung neuer Produkte sind als andere. Der Nutzen der Diversität überwiegt offenbar ihre Kosten auf allen Qualifikationsniveaus, besonders aber unter Hochqualifizierten.167 In Deutschland ist das Konzept des Diversity Management im europäischen oder internationalen Vergleich noch we­ nig verbreitet. Eine Unternehmensbefra­ gung unter deutschen Großunternehmen 11 – Cultural Diversity

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aus dem Jahr 2005 zeigte, dass Diversity Management hier noch kein selbstver­ ständlich angewandtes Management­ konzept darstellt. Nur 38,5 Prozent der befragten Unternehmen hatten Diversity Management implementiert. In weiteren 18,5 Prozent war das Konzept bekannt, jedoch nicht implementiert.168 Bisher praktizieren insbesondere Großunter­ nehmen in der Privatwirtschaft DiversityMaßnahmen. Aber auch bei kleineren Unternehmen und im Non-Profit-Bereich gewinnen Diversity-Ansätze zunehmend an Bedeutung. Die deutsche Regierung hat zur Förderung der Wertschätzung von Vielfalt in Deutschland und als Plädoyer zur Nutzung von Diversity Management Anfang 2007 die Kampagne „Vielfalt als Chance“ 169 ins Leben gerufen. Ein spezifischer Aspekt von Diversity ist der ökonomisch motivierte Einsatz von kultureller Diversität als Ressource im Unternehmen, das Cultural Diversity Ma­ nagement. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2007 zum Thema Cultural Diversity170 kommt allerdings auch hier zu dem Ergebnis, dass das Thema in deutschen Unternehmen bei weitem nicht den Raum einnimmt, den es beispielsweise in US-amerikanischen Un­ ternehmen, aber auch in anderen Ländern hat. Die Gründe liegen in Akzeptanzprob­ lemen, der Komplexität, den Kosten und in Umsetzungsproblemen. Außerdem fällt auf, dass die Implementierung von Cultu­ ral Diversity-Maßnahmen in Deutschland oft viel weniger strukturiert und institutio­ nalisiert verläuft als in anderen Ländern.

Diversity: auch in der öffentlichen Verwaltung 182

Cultural Diversity Management ist nicht nur in Unternehmen wichtig, son­ dern auch in öffentlichen Verwaltungen oder Universitäten. Es geht über den dort oft praktizierten Ansatz der politisch motivierten kulturellen Öffnung hinaus. StiftungsReport 2008/09

So werden aufgrund der großen Anzahl von Migrantenkindern mittlerweile mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrations­ hintergrund gefördert, die wiederum die Integration der Schülerinnen und Schüler erleichtern sollen. Dieser Ansatz wird auch von verschiedenen Stiftungen gefördert, unter anderem von der ZEITStiftung.171 Interessant ist auch das Ergebnis zahlreicher Studien aus den USA, wonach es einen deutlichen Zusammenhang zwischen hohen Innovations- und Wachs­ tumsraten und einem kreativen, von Weltoffenheit und Toleranz geprägten Klima an Wirtschaftsstandorten gibt. Nach den Thesen des US-amerikanischen Ökonomen Richard Florida in dessen Weltbestseller zur „kreativen Klasse“ gelten die drei Ts als entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg eines Standorts: Talente, Technologie und Toleranz.172 Gemessen daran hat Berlin das größte Kapital, gefolgt von Hamburg und BadenWürttemberg. So lauten die Ergebnisse der von der Stiftung Berlin-Institut für Bevöl­kerung und Entwicklung vorgelegten Studie „Talente, Technologie und Toleranz – wo Deutschlands Zukunft liegt“.173 Der produktiven Nutzung und Wert­ schätzung der vorhandenen kulturellen Vielfalt in unserer Gesellschaft sollte also in Zukunft unser verstärktes Augenmerk gelten – für den gesellschaftlichen Zusam­ menhalt, aber auch für den Wettbewerb in einer globalisierten Welt. Wer weiter­ hin Exportweltmeister bleiben will, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als solche Menschen in den Unternehmen zu be­ schäftigen, die die vielen verschiedenen Menschen und Märkte auf der Welt auch verstehen können. Unternehmen, die dieses ernsthaft betreiben, etwa mit den Instrumentarien des Diversity Manage­ ments, werden in der Zukunft vieles rich­ tig gemacht haben: auf dem Weg zu einer immer stärker verschmelzenden, globali­ sierten Welt.


I

Interview

Herr Schmidt, was ist Diversity? Wenn ich es ganz kurz beschreiben soll­ te, dann ist es die Wertschätzung des Andersseins. Ich freue mich darüber und sehe einen Wert darin, dass andere an­ ders sind als ich. Weil ich da auch selber etwas von habe, denn ich lerne etwas von dem anderen. Ich sehe jemanden, der anders ist, nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung. Und zwar unabhängig von Geschlecht, Rasse, Nationalität, ­ethnischer Herkunft, Religion oder Welt­ anschauung, Behinderung, Alter, sexuel­ ler Orientierung und Identität. Was verspricht sich das Unterneh­ men BP von Diversity? Wir kennen das Diversity-Konzept schon lange aus unserem Mutterunternehmen in den USA und haben uns vorgenommen, es in der Bundesrepublik zu überneh­ men, weil wir davon überzeugt sind. Wir machen es, weil wir global aufgestellt sind und mit anderen Nationalitäten zusammenarbeiten. Ein weiterer Grund ist, dass es in der Bundesrepublik einen Ingenieurs­mangel gibt. Also müssen wir schauen, wo wir in Zukunft unsere

„Wir sind am Anfang der Reise“ Michael Schmidt

Michael Schmidt ist Arbeitsdirektor und Vorstandsmitglied der Deutschen BP AG und somit verantwortlich für die gut 5.700 BP-Mitarbeiter in der Bundesrepu­ blik. Der 47-Jährige zählt zu den Vorkämp­ fern des Diversity Managements in der Bundesrepublik. Gemeinsam mit Maria Böhmer, der Beauftragten der Bundes­ regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, hat er die Charta „Vielfalt als Chance“ ins Leben gerufen. Die Charta hat sich zum Ziel gesetzt, Diversity (= Vielfalt) in möglichst vielen deutschen Unterneh­ men als Unternehmensziel zu etablieren.

Foto: Deutsche BP

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11 – Cultural Diversity


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Mit­arbeiter herbekommen. Und es geht natürlich auch darum, effizienter zu arbei­ ten, die Ressourcen auszuschöpfen. Ist Diversity so etwas wie ein Ma­ nagementinstrument für mehr Gerechtig­ keit im Unternehmen? Es ist keine Förderung von Minderhei­ ten, auch keine Förderung von Integra­ tion im engeren Sinne. Es geht darum, Vielfalt herzustellen. Eine Quote zum Beispiel macht keinen Sinn, weil man dann wieder an diesem einen einzigen Merkmal festklebt und nicht davon los­ kommt. Wenn ich es aus der Sicht des Unternehmens sehe, zählt die Leistung einer Person unabhängig davon, ob es ein Mann oder eine Frau, ein Deutscher oder kein Deutscher oder ein Mensch mit oder ohne Migrationshintergrund ist. Alle diese Kriterien und natürlich noch weitere wie zum Beispiel Religionszuge­ hörigkeit müssen irrelevant werden. Wer an diesem Punkt angekommen ist, kann sagen, jetzt habe ich Diversity tatsäch­ lich verstanden. Wo liegt der Vorteil für das Unter­ nehmen? Ich bin dann in der Lage, Teams zusam­ menzustellen, die viele Unterschiedlich­ keiten vereinen. Das wird aus meiner Sicht immer wichtiger. Das ist auch der Grund, warum wir das Ganze machen. Ich sage das sehr deutlich: Wir machen das nicht, weil wir so liebe nette Menschen sind, sondern weil wir ganz klar den Vor­ teil für das Unternehmen sehen. Das hat einen finanziellen Mehrwert. Zum Beispiel? Zum Beispiel bei den Kunden. Wir schau­ en uns bei Aral zum Beispiel an, wie wir Tankstellen designen. Dazu gehört, wel­ ches Angebot man im Shop-Bereich hat. Wenn in der Gegend zum Beispiel sehr viele Muslime leben, macht es keinen Sinn, eine christliche Kirchenzeitung im Angebot zu haben. Da müssen dann an­ dere Zeitschriften angeboten werden.

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Also wäre ein muslimischer Pächter nicht schlecht. Oder eine muslimische Pächterin. Muss aber nicht sein. Wir brauchen an dieser Stelle jemanden, der mit der Situation vertraut ist und weiß, welche Zeitungen besser wären. Das gleiche gilt bei interna­ tionalen Teams. Wenn man nur geklonte Mitarbeiter in einem Team hat, ist es egal, wie viele man von denen in einem Team hat. Die haben alle die gleiche Meinung. Sie werden nie in der Lage sein, eine Pro­ blematik aus unterschiedlichen Sichtwin­ keln zu betrachten. Das ist aber erforder­ lich, um die beste Lösung zu finden. Sie stellen die Teams also ­ heute nach anderen Gesichtspunkten ­zusammen. Ja, das erreichen wir, indem wir Teams nach Diversity-Grundsätzen zusammen­ stellen. Dann sind die Lösungen, die wir am Ende des Tages herauskriegen, wirk­ lich durchdacht und von allen Seiten be­ leuchtet. Da sehe ich elementare Vorteile. Wie kommt ein Unternehmen zu mehr Frauen in Führungsfunktionen? Im Bewerbungsverhalten gibt es signi­ fikante Unterschiede. Ein Mann bewirbt sich, wenn er 50 Prozent des Anforde­ rungsprofils entspricht. Wenn eine Frau 80 Prozent erfüllt, dann stellt sie sich immer noch die Frage, bin ich dafür wirklich die Richtige. Das heißt, wenn sie Mitarbeiterinnen einstellen wollen, dann müssen sie auf solche Sachen auch eingehen. Sie müssen dann die Bewerbe­ rinnen ermuntern, müssen ihnen sagen: Setzt Euch in Bewegung, Ihr könnt es, Ihr müsst nicht hundert Prozent erfüllen. Das heißt, Sie laden nur noch Frau­ en zu Bewerbungsgesprächen ein? Das würde nicht gehen, eben weil es nicht genug weibliche Ingenieure gibt. In der Stellenausschreibung dürften wir es zudem nicht hineinschreiben, da greift das Antidiskriminierungsgesetz. Wer am Markt etwas ändern will, wer gesell­


schaftlich etwas ändern will, muss in diese Gruppen hineingehen und sich mit ihnen beschäftigen. Das ist der Grund, warum wir mit FemmeTech in Berlin eine Kooperation eingegangen sind. Die Femmetech kümmert sich um weibliche Ingenieure. Wer hingeht und sagt, wir för­ dern Frauen, muss auch deutlich sagen, dass es Unterschiede zu Männern gibt. Erkenntnis ist der erste Weg, um etwas zu ändern. Wenn mir dieser Unterschied bewusst ist, kann ich auch mein eigenes Handeln überprüfen und möglicher­weise justieren. Das heißt, Frauen müssen wissen, dass sie sich auch mit 80 Prozent bewerben können. Wir gehen aber auch in die Schulen hinein, um Mädchen neu­ gierig zu machen auf technische Berufe. Die Prägung, Mädchen wären für das Soziale da und Jungs für das Technische, die wird ja schon ganz früh angelegt. Falsch ist es trotzdem. Wie hat sich denn das Bewerbungs­ verfahren bei BP mit Diversity geändert? Früher war es so, da hat sich ein Vorge­ setzter die Bewerber durch seine Brille angeschaut, hat einen ausgesucht, der ihm möglichst ähnlich ist, und hinter­ her ist vielleicht noch jemand aus der Personalabteilung gekommen und hat geschaut, ob die Konditionen stimmen. Heute setzen wir Auswahlteams nach Diversity-Kriterien ein. Das sind in der Regel zwei bis vier Leute, die sich bezüg­ lich Geschlecht, Alter oder Nationalität unterscheiden. Das können auch Fach­ fremde sein, es kommt ja auch auf soziale Kompetenzen an. Wir legen Wert darauf, dass möglichst viele dieser Merkmale ab­ gebildet sind. Eine solche Entscheidung ist auf jeden Fall besser als eine einsam gefällte Entscheidung. Wir gucken nun nicht mehr nur durch die eigene Brille, sondern haben schnell einen Blick für das Andere entwickelt, für das Fremde. Und haben gelernt, positiv mit dem Fremden umzugehen.

Das hört sich nach viel Arbeit an. Wir machen das nicht bei jeder Stellen­ neubesetzung. Aber je höher wir in der Hierarchie sind, desto komplexer werden die Auswahlteams. Es gehört eine Menge Mut dazu, sich zu sexueller Orientierung zu beken­ nen oder auch als Moslem am Arbeits­ platz seinen Glauben in den Vordergrund zu stellen. Das ist aber nötig, damit das Unternehmen diese Merkmale seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen kann. Wie garantiert BP seinen Mitarbei­ tern den nötigen Schutz? Durch Toleranz und durch Diskussionen in der Mitarbeiterzeitung zum Beispiel. Wir haben eine Menge Mitarbeiter im Unternehmen, die sich als Homosexuelle geoutet haben. Da kräht kein Hahn nach. Und auf Anfrage eines Mitarbeiters, der Moslem ist, haben wir jetzt einen soge­ nannten Raum der Stille eingerichtet. Der hatte angefragt, weil er seine rituellen Waschungen nicht mehr auf der Toilette machen wollte. Er hätte gern einen Raum nur für Moslems gehabt. Aber da haben wir eben gesagt, nein, das passt nicht mit unserem Diversity-Gedanken zusammen, also machen wir einen Raum der Stille für alle. Den kann jetzt jeder ganz normal buchen. Nun wird Diversity schon seit Mitte der Neunziger bei BP diskutiert. Aber unter den BP-Führungskräften finden sich immer noch nicht viel mehr als eine Handvoll Frauen oder eine Handvoll Men­ schen mit Migrationshintergrund. Entscheidend für die Implementierung einer solchen Philosophie ist, dass das Management sie vorlebt. Das Manage­ ment muss Vorbild sein. Ich möchte mal behaupten, dass es in der Vergangenheit und vielleicht sogar heute noch Führungs­ kräfte gibt, die zwar viel darüber reden, aber recht wenig machen und sich noch weniger dran halten. Ich sage auch nicht, wir sind schon da, wo wir hin wollen. Wir

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sind auf einer Reise und wir sind noch am Anfang. Da ist noch wesentlich mehr vor uns als hinter uns. Zum Beispiel? Letztendlich ist der Diversity-Gedanke ja der von Sozialkompetenz. Wir fragen uns im Unternehmen, was können wir machen, um Sozialkompetenz nicht nur hinsichtlich der Diversity-Faktoren wie Geschlecht oder ethnische Herkunft auf­ zubauen, sondern auf eine noch breitere Basis zu stellen. Wir haben beispielswei­ se ein Projekt, das heißt Seitenwechsel. Dabei gehen Führungskräfte für eine Woche in eine soziale Einrichtung. Das kann alles Mögliche sein, Aidshilfe, Straf­ gefangenen-Betreuung oder ein Hospiz. Man geht zwangsläufig mit Vorurteilen in diese Projekte rein und merkt ziemlich schnell, dass die falsch sind. Wir lernen eine andere Sichtweise und das ist es, worauf es uns ankommt. Ich möchte diese Woche nicht missen. Sie haben mit BP die „Charta der Vielfalt der Unternehmen in Deutsch­ land – Diversity als Chance“ gemeinsam mit Maria Böhmer, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flücht­ linge und Integration ins Leben gerufen. Worum geht es da? Die Unternehmen oder Städte, die mit­ machen, verpflichten sich, ein diverses, also ein vielfältiges Umfeld in ihren Betrieben zu schaffen. Geprägt von gegenseitigem Respekt und Wertschät­ zung sollen sich die Mitarbeiter selber entsprechend ihrer persönlichen Prägung verwirklichen, eben ihre eigenen Stärken einbringen können. Eine Charta hört sich nach UN und Unverbindlichkeit an. Ist die Charta der Vielfalt mehr als ein Stück Papier mit Absichtsbekundung? Ich glaube schon. Wir haben uns in der Charta öffentlich verpflichtet, jährlich Auskunft darüber zu geben, was wir machen. Wir sagen den Unternehmen,

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die der Charta beitreten wollen, auch: Überlegt Euch das gut. Wir erwarten etwas von Euch und das werden wir auch nachprüfen. Wenn Unternehmen meinen, die Charta wäre nur Kaffeekränzchen und Imagepflege, sollen sie lieber nicht beitreten.


R

Foto: Jörn Breiholz

Reportage

Einstimmig für ­Integration

Für die Münchner Verwal­ tung ist interkulturelle ­Öffnung kein Fremdwort. Die ­bayrische Landeshauptstadt hat sich ein umfassendes interkulturelles Integrations­ konzept verordnet.

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* Name von der Redaktion geändert

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auch deutlich zu machen, dass keine rechtsfreien Räume geschaffen werden. Vielmehr will Ponnath rechtlose Räume beenden. Wie zum Beispiel im Fall der Ukrainerin Silvana Lubce*, die als Aupair nach Deutschland einreiste und dann vier weitere Jahre bei einer deut­ schen Familie arbeitete – ohne gültige Aufenthalts­papiere und zu einem Hun­ gerlohn. Sich illegal eine Osteuropäerin in Abhängigkeit zu halten, erfreut sich einiger Beliebtheit in der Bundesrepub­ lik. Frauen wie Silvana Lubce pflegen An­ gehörige oder betreuen den Nachwuchs und werden dabei schamlos ausgenutzt, sagt Gabriele Ponnath: „Die junge Frau war verzweifelt. Sie wusste nicht, wie sie aus der Situation herauskommen sollte. Sie wollte einfach nur noch nach Hause.“ Natürlich hat die Ukrainerin gegen die Aufenthaltsbestimmungen der Bundes­ republik verstoßen. Doch was wiegt schwerer: gegen das Aufenthaltsrecht zu verstoßen oder die Situation einer

Foto: Jörn Breiholz

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Gabriele Ponnath sagt Sätze, die verwundern. „Wir sind da, um unsere Kunden möglichst optimal zu beraten und zu unterstützen“, so die stellver­tretende Leiterin der Ausländerbehörde im Kreisverwaltungsreferat der bayrischen Landeshauptstadt München. Sie spricht von Asylsuchenden, Flüchtlingen, ohne Aufenthaltspapiere in der Bundesrepublik lebenden Menschen. Kunden also, die sie möglichst optimal beraten und unter­ stützen will. Das klingt zynisch. Machen viele Ausländerbehörden nicht eher durch rigide Abschiebepraktiken auf sich auf­ merksam? Gabriele Ponnath meint das ernst. Sie hat lange braune Haare und trägt einen Jeansrock, ein lässiges Outfit wie auch ihre Mitarbeiterin vorn im Sekre­ tariat. Die 41-jährige stellvertretende Abteilungsleiterin ist schon lange hier. Sie kennt noch andere Zeiten, als die Zahl der Abschiebungen das wichtigste Erfolgskriterium für die Arbeit der Aus­ länderbehörde war. „Das war für das Amt nicht immer gut“, sagt sie. Zum Beispiel der Fall „Mehmet“. Mehmet war der erste Jugendliche türkischer Herkunft, der in der Bundesrepublik geboren wurde und der, als er mehrfach straffällig gewor­ den war, mit vierzehn Jahren aus seiner Geburtsstadt München mit viel öffent­ lichem Getöse in die Türkei abgeschoben wurde. Schließlich diskutierte die ganze Bundes­republik über die Abschiebung des ­Jugendlichen. Ponnath selbst bevorzugt die leise Variante, die sachliche. An die große Glocke will sie ihr Konzept der „Wege aus der Illegalität“ nicht hängen. Gerade auch im Bereich der Menschen ohne Pa­ piere seien vertrauensbildende Maßnah­ men und ein sensibler Umgang mit dem Thema und den Betroffenen wichtig. Hier gelte es, gegebenenfalls anonym zu be­ raten, Lösungswege aufzuzeigen, aber

Gabriele Ponnath von der Münchner Ausländerbehörde spricht von Kunden und unbürokratischen Wegen.


­ krainerin auszunutzen? Und wie kann U man so eine Situation h ­ uman beenden: Indem man die U ­ krainerin bestraft oder indem man ihr hilft auszureisen? Gabriele Ponnath sucht die Win-WinSituation: „In den Flüchtlingsberatungs­ stellen ist bekannt, dass wir auch unbüro­ kratische Wege aus der Illegalität gehen“, sagt Ponnath. So müssten die Beratungs­ stellen nicht immer gleich die Namen oder den Aufenthaltsort ihrer Klientel nennen. Findet sich eine Lösung, dann hat auch die Stadt München etwas davon. Gabriele Ponnath geht es um mehr. „Wir stehen in der Pflicht, den Menschen aus ihrer Situation herauszuhelfen.“ Da kann es dann auch mal passieren, dass eine NichtEU-Bürgerin mit einem EU-Bürger ein Kind zeugt und die Ausländerbehörde ihr erklärt, wie die junge Familie in München dauerhaft bleiben kann. Ganz legal.

„Auch im Alltag wird diskriminiert“ Willkommen in München, der bayrischen Landeshauptstadt, die gute Chancen hat, für ihren Umgang mit Ein­ wanderern und Flüchtlingen einen Preis zu gewinnen. „Integration und Migration sind bei uns keine neuen Themen“, sagt Margret Spohn von der Stelle für interkul­ turelle Arbeit im Sozialreferat München. „Der erste Ausländerbeauftragte auf kommunaler Ebene war Hubertus Schröer in München, er übernahm sein Amt be­ reits 1972.“ Ende Februar hat der Stadtrat das „Interkulturelle Integrationskonzept“ der Stadt München beschlossen – ein­ stimmig. Der Weg dahin dauerte fast fünf Jahre. „2003 haben wir begonnen, das Konzept in Abstimmung mit den städti­ schen Referaten zu entwickeln und es dann in der ganzen Stadt zu diskutieren“, erzählt Spohn. Mit Serbinnen und Serben und Syrerinnen und Syrern, in Verbänden und bei Parteien, in Moscheen und Tee­ stuben: „Vor 1.500 Münchnerinnen und

Münchnern haben wir unseren interkul­ turellen Ansatz persönlich vorgestellt“, erzählt Spohn. Sechs Handlungsfelder mit diversen Projekten hat sich die Stadt München nun auf die Fahnen geschrie­ ben. Dazu zählen die Themen gesell­ schaftliche Teilhabe, Ausbildung und Arbeitsmarkt, aber auch der Abbau von Diskriminierung. „Die negativen Rah­ menbedingungen von Integration werden meist vergessen oder höchstens in ihren extremen Ausprägungen wie Rechts­ radikalismus erwähnt“, sagt Franziska ­Szoldatits, eine Kollegin von Spohn. „Aber auch im Alltag wird diskriminiert und kommt es zu rassistischen Bemer­ kungen.“ Dies zu thematisieren, ist in einer öffentlichen Verwaltung wie in der Stadt München noch ziemlich neu. Als eine der ersten Großstädte hat die Stadt an der Isar die Charta der Viel­ falt unterschrieben, die die Bundesbeauf­ tragte für Migration, Flüchtlinge und Inte­ gration, Maria Böhmer, ins Leben gerufen hat. Wer diese Charta unterschreibt, verpflichtet sich, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unabhängig von Kriterien wie Herkunft oder sexueller Orientie­ rung wertzuschätzen. In der Verwaltung der bayrischen Landeshauptstadt ist die interkulturelle Öffnung heute Quer­ schnittsaufgabe und jedes Referat der Stadtverwaltung hat ein interkulturelles Leitprojekt für sich entwickelt. „München hat heute ganz bewusst keinen Auslän­ derbeauftragten mehr, weil interkulturel­ le Kompetenzen an jedem Arbeitsplatz entwickelt werden sollen“, sagt Franziska Szoldatits. Möglichst viele Mitarbeiterin­ nen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung sollen interkulturell geschult und ausge­ bildet, bei Führungskräften die Anzahl der Bewerber mit Migrationshintergrund erhöht werden. Die drittgrößte deutsche Stadt will bei diesem Thema weiterhin einen langen Atem beweisen. Erst im Jahr 2010 sollen die Ergebnisse in den ersten Integrationsbericht einfließen. 11 – Cultural Diversity

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Foto: Jörn Breiholz

Die Ausländerbehörde als Servicecenter: München will freundlich sein.

Interkulturelle Verständigung für alle Mitarbeiter

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Auch die Arbeitsagentur für Be­ schäftigung München, in der die Münch­ ner Zweigstellen der Bundesarbeitsagen­ tur zusammengefasst sind, geht im Rah­ men der interkulturellen Öffnung neue Wege. „Ich habe selbst einen Migrations­ hintergrund“, sagt Eva Hieronymus mit ei­ nem Augenzwinkern. „Schließlich stammt meine Großmutter aus der Schweiz.“ Eva Hieronymus leitet die regionale Arbeits­ agentur im Sozialbürgerhaus GiesingHarlaching. Interkulturelle Verständigung gehört in den Münchner Zweigstellen der Bundesarbeitsagentur seit dem ver­ gangenen Jahr zum Standardprogramm. „Das ist ein sehr wichtiger Schritt für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Beratung“, sagt Eva Hieronymus. Schließlich hat fast jeder zweite Arbeits­ lose in München keinen deutschen Pass. Für diese Kundschaft hat die Arge einige Qualifizierungsmaßnahmen entwickelt: Deutschunterricht, Alphabetisierungs-, Hauswirtschafts- und Pflegeseminare StiftungsReport 2008/09

oder auch spezielle Kurse für Roma und Sinti. Nicht nur diese Liste ist lang. Auch die, die sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsagentur selbst auf die Fahnen geschrieben haben, damit interkulturelle Öffnung zu mehr Vermittlungserfolgen bei der Klientel mit Migrationshintergrund führt. Da gibt es das halbjährliche Zielgruppenpapier, den Leitfaden für Menschen mit Migrations­ hintergrund oder die Stadtteilanalyse. Und noch eines liegt der erfahrenen Verwaltungsbeamtin am Herzen: „Viele Menschen mit Migrationshintergrund haben vielfältige Qualifikationen, die wir wertschätzen müssen. Tun wir das nicht und beharren weiterhin nur auf den deutschen Handelskammer- und Uni­ versitätsabschlüssen, berauben wir uns eines gewaltigen Potenzials.“ Also steht auch dieser Punkt auf der To do-Liste der Arbeitsagentur-Chefin und ihrer Kollegin­ nen und Kollegen . Am nächsten Morgen, kurz vor neun Uhr in Raum 124 des Personalrefe­ rats. „Kroner Julia hoas i und kimm aus ­Langendorf ausm Boarischn Woid.“ Julia


Kroner ist 16 Jahre alt und will Beamtin im mittleren Dienst bei der Stadt Mün­ chen werden. Einen Multiple Choice-Test hat sie schon bestanden. Heute ist der entscheidende Tag des Bewerbungsge­ sprächs. Julia Kroner sitzt vor Hans-Peter Schuster und Gabriele Bartholomä, die bei der Stadt München die Nachwuchs­ kräfte betreuen. Sie ist aufgeregt, aber konzentriert.

„Es reicht doch, wenn sich einer aufregt“ Nachdem sich die früheren Aus­ wahlkriterien als zu ungenau herausge­ stellt hatten, arbeitet die Stadt München seit drei Jahren mit einem mehrstufigen Auswahlverfahren, das sie gemeinsam mit der Ludwig Maximilians-Universität entwickelt hat. Jetzt ist es auch wichtig, dass die Bewerberinnen und Bewerber über interkulturelle Kompetenz verfü­ gen. Wer mehrere Sprachen spricht, erhält Extrapunkte: ein Vorteil für Be­ werber mit Migrationshintergrund. Julia, die aus den Tiefen des Bayrischen Wal­ des stammt, bekommt ihr Ur-Bayrisch nicht honoriert. Aber als sie die Frage beantworten soll, wie sie mit einem Ausländer umgehen würde, den sie nicht verstehen kann und der ungehalten wird, reagiert sie, wie es die bayrische Landeshauptstadt von ihren Beamtenan­ wärtern erwartet. Es mache keinen Sinn, selbst ungehalten zu werden, sagt sie: „Es reicht doch, wenn sich einer auf­ regt. Ich würde schauen, ob ich ihn mit meinen Englischkenntnissen verstehen kann. Und wenn das nicht klappt, frage ich die Kollegen, ob sie die Sprache von dem Mann verstehen.“ Damit hat Julia interkulturelle Kompetenz bewiesen, sagt Schuster: „Die hat man nicht auto­ matisch, weil man vielleicht einen Migra­ tionshintergrund hat, sondern wenn man respektvoll und angemessen mit der Kundschaft umgeht.“

Wie das geht, bekommen die Auszu­ bildenden der Stadt ein paar Türen weiter gezeigt. „Interkulturelle Kompetenz ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung bei der Stadt München“, sagt Beate Wimmer-Ernst. Sie hat die dreitägige Fort­ bildung „Vielfalt macht’s möglich – eine Herausforderung für uns alle“ entwickelt, die jeder der gut 600 Azubis der Stadt – ob Gärtner oder angehende Beamtin im gehobenen Dienst – absolvieren muss. Da geht es in Gesprächen mit Obdachlosen und Homosexuellen auch um Achtung und Toleranz. Aber vor allem dreht es sich um interkulturelle Verständigung. „Am besten funktionieren die Nachmittage, an denen wir mit unseren Auszubildenden eine Moschee besuchen“, sagt WimmerErnst. „Da nehmen unsere Azubis viel mit nach Hause. Und haben danach eine Menge Vorurteile vergessen.“

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11 – Cultural Diversity


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Portrait

„Man muss Mensch ­bleiben“

Foto: Jörn Breiholz

Sabina Prokop arbeitet als ­Kommissarin. Sie ist ­Hamburger Beamtin auf Lebenszeit – und polnische Staatsbürgerin.

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Ihre erste Leiche war eine Frau, in deren Kopf eine Axt steckte. Sabina Prokop erinnert sich noch genau an die Details. Der Ehemann der Frau kam fünf Minuten nach Schichtbeginn um 5.35 Uhr auf die Wache und sagte, er hätte gerade seine Frau umgebracht. Kurz darauf sah Sabina Prokop die erste Leiche ihres Le­ bens. Grausig war es für sie nicht. „Den Anblick einer Toten hatte ich mir schlim­ mer vorgestellt“, sagt die 28-jährige Ham­ burger Polizistin. Wirklich bedrückend

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sei es, die Angehörigen in ihrer Trauer zu erleben – und die eigene Hilflosigkeit, die Ohnmacht, aus der es keinen Ausweg gibt, noch nicht einmal Trost. In diesem Fall hatte ein Vater seinen eigenen drei Kindern die Mutter genommen. Der Äl­ teste war 18 Jahre alt, die Jüngste 14. Die 17-jährige Tochter hatte sich am Abend noch mit ihrer Mutter gestritten. „Sie war sehr verzweifelt, weil sie sich nicht mehr entschuldigen konnte“, erinnert sich Pro­ kop. In solchen Situationen ist sie froh, dass Polizisten nie allein, sondern immer zu zweit in eine Wohnung gehen: „Zum Glück übernehmen die erfahreneren Kol­ legen die Aufgabe, mit den Angehörigen zu sprechen.“ Damals absolvierte Sabina Prokop gerade ihr erstes Praktikum, auf dem Poli­ zeikommissariat 37 in Hamburg Wands­ bek. Das Revier hatte zwei Stadtteile, ei­ nen reichen und einen armen. „Man sieht den Fällen an, aus welchem Stadtteil sie kommen“, sagt sie. „Selbst den Toten.“ Gestorben wird immer und weil beim Tod auch fast immer die Polizei die Umstände klären muss, sind Tote für Sabina Prokop inzwischen etwas ganz Normales. Heute ist sie keine Praktikantin von der Fachhochschule der Hamburger Polizei mehr. Sie ist nun ausgebildete Kommissarin und arbeitet bei der Schutz­ polizei im gehobenen Dienst. Wer sich auskennt mit Sternen auf Schulterklap­ pen, mit ihren verschiedenen Farben und der Bedeutung der Anzahl, kann das auf Sabina Prokops Schulter lesen. Auf bei­ den Seiten trägt sie einen silbernen Stern. Der ist mehr wert als die blauen, die Poli­ zeimeister auf den Schultern haben, die den mittleren Dienst absolviert haben. Sabina Prokops Weg in die Hambur­ ger Polizei begann in Odolanòw, einem 10.000 Einwohner-Städtchen im Kreis Ostrów Wielkopolski. Dort brach sie nach dem Abitur auf, um in Glinde, einem kleinen Ort in der Nähe von Hamburg,


ein Jahr als Au-pair zu arbeiten. Ihr Groß­ vater war Polizist, der Vater ebenfalls und Sabina hatte eigentlich nur einen Wunsch: Polizistin zu werden. Weil es auf der polnischen Polizeischule kaum Plätze gab, fing sie nach einem Studienvorberei­ tungsjahr in Hamburg ein Betriebswirt­ schaftstudium an und schloss es mit dem Grundstudium ab. Es war eine Notlösung, mehr nicht. „Dann habe ich dieses super Plakat gelesen: ‚Kollegen gesucht‘“, er­ innert sie sich und strahlt heute noch bei dem Gedanken an diesen entscheidenden Moment. „Und da stand drauf, dass man sich auch mit ausländischer Nationalität bewerben kann.“

Und als Polin? „Ich habe ziemlich viel Humor“ Sabina Prokop sitzt an dem langen Tisch im Aufenthaltsraum des Polizei­ reviers. Darauf liegen Brötchen, Butter und Käse, das Frühstück der Frühschicht, zwei große Thermosflaschen mit Kaffee stehen auf dem Tisch. Es ist kurz nach elf Uhr, hinter dem großen Fenster mit Blick auf einen Seitenkanal der Hamburger Alster kommt die Sonne durch. In zwei Stunden hat Sabina Prokop Feierabend. Sie ist 1,60 Meter groß und hat eine zier­liche Statur. Verpackt in die blaue Uniform mit Hemd und Schlips, Jackett und Pistole im Halfter, sieht sie kräftiger aus, als sie ist. Wenn sie in Barmbek Streife geht, setzt sie ihre randlose Brille auf die Nase und die Dienstmütze mit dem Hamburg-Wappen auf den Kopf und schlendert durch das Revier. „Man muss Mensch bleiben“, sagt sie. Nicht jedes Auto, das falsch parkt, ist auch wirklich ein Verkehrshindernis. Polizisten haben einen Ermessensspielraum, den Sabina Prokop gerne nutzt. Polizeidienst hat viel mit Teamarbeit zu tun, aber auch mit Hierarchien. Es gibt die zwischen den Jungen und den alten

Hasen, die Hierarchien der Dienstgrade und die der Aufgabenverantwortung in­ nerhalb der Schichtteams. Und dann gibt es noch die Abstufung zwischen Männern und Frauen. Hier, im Aufenthaltsraum des Polizeikommissariats 33 im Stadtteil Barmbek, schlendert ab und zu auch eine Polizistin vorbei. Doch die meisten sind Männer. Wie ist es als Frau unter so vielen Männern? „Natürlich gibt es da manch­ mal Sprüche, die ich doof finde. Aber mit einem ebenso doofen Spruch zurück hat sich das meistens ziemlich schnell erle­ digt“, sagt Sabina Prokop. Und als Polin? „Ich habe ziemlich viel Humor“, sagt sie. Sie weiß, dass die Zeit der dusseligen, der rassistischen Polenwitze à la Harald Schmidt eigentlich vorbei ist. „Ich kom­ me mit allen Kollegen ziemlich gut aus“, sagt sie. Auf der Straße wird sie schon noch gefragt, wo sie denn herkomme. Ihr ­polnischer Akzent ist zwar entzückend, aber eben auch unüberhörbar. Von den 50 Bewerberinnen und Bewerbern, die 2002 gleichzeitig mit ihr in die Aufnahmeprüfung gingen, hat sie 35 hinter sich gelassen. „Es war ge­ nau der richtige Zeitpunkt, um sich zu bewerben“, sagt sie. „Danach wurden nicht mehr so viele eingestellt.“ Doch trotz der ausdrücklichen Aufforderung, dass sich auch Nicht-Deutsche bewerben mögen, hat sie die restriktive Haltung der Hamburger Ausländerbehörde noch ein halbes Jahr gekostet, bis sie ihre Ausbil­ dung anfangen konnte. Sabina Prokop verzieht das Gesicht, wenn sie die Worte „Hamburger Ausländerbehörde“ in den Mund nehmen muss. „Ich bin sehr froh, da nicht mehr hin zu müssen“, sagt sie. Man kann es verstehen. Während alle anderen ihre Ausbildung pünktlich und bei der Kriminalpolizei beginnen konnten, musste sie ein halbes Jahr warten und zur Schutzpolizei gehen. Nun ist sie bald schon zwei Jahre ausgebildete Polizeikommissarin und

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auch die Hamburger Ausländerbehör­ de wird sie nicht mehr daran hindern können, deutsche Beamtin zu werden. Dafür muss Sabina Prokop ihre polnische Staatsangehörigkeit nicht aufgeben. „Ich habe eine Ausnahmegenehmigung bekommen“, sagt sie. So wird sie wohl die erste Hamburger Polizeibeamtin im gehobenen Dienst mit polnischer Staats­ angehörigkeit werden. Ihre Karriere wird damit bestimmt nicht zu Ende sein. Sabina Prokop ist ehrgeizig. Auch wenn die Sonne heute lacht, wird sie nicht schwimmen, joggen oder ins Kino gehen. Zuhause warten die Bücher. „Die Auswirkungen der Globa­ lisierung auf den Sozialstaat“ heißt die Hausarbeit in Volkswirtschaftslehre, die sie bald abgeben will. Die Kommissarin macht jetzt neben der Arbeit noch das BWL-Studium fertig. „Irgendwann möchte ich gern zur Kriminalpolizei“, sagt Sabi­ na Prokop. Vater Josef wird dann noch ­stolzer sein.

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Vielfalt als Chance

Ziel der Regierungskampagne ist es, Unternehmen, Verwaltung und andere Organisationen für Vielfalt als heraus­ ragende wirtschaftliche Ressource zu sensibilisieren. Im Rahmen der Kampa­ gne wird daher auch ausdrücklich die Unternehmensinitiative „Charta der Vielfalt“ unterstützt. Die Unterzeichner verpflichten sich zu einem umfassenden Diversity-Ansatz. www.vielfalt-als-chance.de www.charta-der-vielfalt.de

ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius

Der Orientierungskurs „Schülercampus Lehrer mit Migrationshintergrund“ soll Schülern mit Migrationshintergrund helfen, sich ein Bild vom Lehrerberuf zu machen und sie als Lehrer für alle Schul­ arten zu gewinnen. Solche Lehrkräfte kennen nicht nur Herkunftssprache und Mentalität der Einwandererkinder bes­ ser, sondern bilden auch eine Brücke zu den Eltern. www.zeit-stiftung.de

CIVIS medien stiftung

Der CIVIS Medienpreis ehrt seit 20 Jah­ ren Radio- und Fernsehsendungen zum Thema Integration und kulturelle Vielfalt in Europa. 2008 wird erstmals der CIVIS Themenpreis über die betriebliche Inte­ gration von Einwanderern in Wirtschaft und Industrie ausgeschrieben. www.civismedia.eu

Stiftung der Deutschen Wirtschaft

Wer heute im Berufsleben steht, wird fast zwangsläufig mit anderen Kulturen ­konfrontiert – mit anderen Umgangs­ formen, anderen Geschäftspraktiken, ­einer anderen Art der Arbeitsorgani­ sation, anderen Werten und Lebensvor­ stellungen oder einfach einer anderen Art zu kommunizieren. Vor diesem Hin­ tergrund ist es geradezu ein Muss, Men­ schen so früh wie möglich mit fundierten Fremdsprachenkenntnissen auszustatten und sie für den Umgang mit anderen Kulturkreisen zu öffnen. Die Stiftung der Deutschen Wirtschaft will dazu einen engagierten Beitrag leisten. www.sdw.org

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11 – Cultural Diversity


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Serviceteil A – Was ist eine Stiftung? Der Begriff Stiftung ist im Gesetz nicht definiert. Auch wenn somit nicht automatisch eine bestimmte Rechtsform mit dem Begriff der Stiftung einhergeht, verfügen Stiftungen über einheitliche charakteristische Merkmale. Die Stiftung ist gekennzeichnet als Vermö­ gensmasse, die einem bestimmten Zweck, insbeson­ dere einem gemeinnützigen, auf Dauer gewidmet ist. Welche Zwecke die Stiftung verfolgt und wie ihre inne­ re Organisation aussieht, legt der Stifter nach seinem Willen in der Satzung fest.

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Klassisches Instrument zur Ver­ wirklichung eines auf Dauer angelegten Zwecks ist die rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts. Ihre Entstehungs­ voraussetzungen sind in den §§ 80 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt, die durch die Landesstiftungs­ gesetze ausgefüllt werden. Die rechtsfä­ hige Stiftung bürgerlichen Rechts unter­ scheidet sich von sonstigen juristischen Personen des Privatrechts (etwa GmbH oder e.V.) durch ihre fehlende Verbands­ struktur. Sie hat keine Mitglieder oder Eigentümer. Entscheidende Voraussetzung für die Errichtung einer rechtsfähigen Stif­ tung ist, dass der Stifter seinen Willen, eine Stiftung zu gründen, zum Ausdruck bringt. Dies erfolgt im Rahmen des Stif­ tungsgeschäfts, in dem sich der Stifter verpflichtet, ein bestimmtes Vermögen auf die noch zu entstehende Stiftung zu übertragen. In einer das Stiftungsge­ schäft ausfüllenden Satzung entwirft der Stifter dann das rechtliche Gerüst für seine Stiftung. Hier legt er insbesondere fest, welchen Zweck die Stiftung verfol­ gen soll und welche Organe für die Stif­ tung handeln sollen. Bei der Gestaltung ist der Stifter grundsätzlich rechtlich frei. Zwingendes Organ ist der Stiftungsvor­ stand, dem die Vertretung der Stiftung im Rechtsverkehr obliegt. Daneben ist es möglich, weitere Kontrollorgane wie beispielsweise einen Stiftungsrat oder ein Stiftungskuratorium einzusetzen. Erst mit der staatlichen Anerkennung des Stiftungsgeschäfts durch die zuständige Stiftungsbehörde erlangt die Stiftung Rechtsfähigkeit. Nachdem der Stifter das von ihm bestimmte Vermögen auf die Stiftung übertragen hat, kann er nicht mehr darauf zugreifen. Für die Zweck­ verfolgung werden regelmäßig nur die

Erträge aus der Vermögensverwaltung sowie Zuwendungen Dritter eingesetzt. Aus diesem Grund ist die Erhaltung des Stiftungsvermögens primäres Postulat an die Stiftungsorgane. Eine Stiftung kann sowohl privatnüt­ zige als auch gemeinnützige Zwecke ver­ folgen. Gemeinnützig ist der Zweck einer Stiftung dann, wenn er darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Soll nach dem Stiftungszweck nur ein abgeschlossener Personenkreis – wie bei­spielsweise die Mitglieder einer Familie (Familienstiftung) – gefördert werden, liegt keine Förderung der Allge­ meinheit und damit keine Gemeinnüt­ zigkeit vor. Verfolgt eine Stiftung jedoch ausschließlich und unmittelbar gemein­ nützige, mildtätige oder kirchliche Zwe­ cke, kann sie in den Genuss der Steuer­ begünstigungen gemäß der §§ 51 bis 68 der Abgabenordnung kommen (AO). Entspricht die Satzung den Vorgaben der Abgabenordnung, erteilt das Finanzamt einen entsprechenden Freistellungs­ bescheid. Zuwendungsgeber können Zuwendungen an eine steuerbegünstigte Stiftung unter bestimmten Vorausset­ zungen als Sonderausgabe im Sinne des § 10b Einkommensteuergesetz (EStG) in Abzug bringen. Unter Zuwendungen ver­ steht man sowohl die klassische Spende als auch die Zustiftung, eine Vermögens­ übertragung, die auf ausdrücklichen Wunsch des Zuwendungsgebers in den Kapitalstock einer Stiftung fließt. Die Erscheinungsformen von Stif­ tungen sind vielfältig. Begrifflich unter­ scheidet man zwischen selbstständigen und unselbstständigen Stiftungen, Förder- und operativen Stiftungen sowie zwischen unternehmensverbundenen, kirchlichen und Bürgerstiftungen.

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B – Stiftungstypologie Bürgerstiftungen Bürgerstiftungen sind gemein­ nützige Stiftungen von Bürgern für Bürger, deren Stiftungszweck ­möglichst breit gefasst ist und dessen Verwirklichung in einem geo­grafisch begrenzten Raum erfolgt. Sie sind Ausdruck einer selbst­bestimmten Bürgerschaft. Familienstiftung Familienstiftungen dienen ihrem Zweck nach überwiegend dem Interesse der Mitglieder einer oder mehrerer Familien. Errichtet wird die Familienstiftung regelmäßig in der Rechtsform der rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts. Die für eine Steuerbegünstigung erforderliche Förderung der All­ gemeinheit liegt bei einer reinen Familienstiftung nicht vor. Sie wird daher auch als privatnützige Stif­ tung bezeichnet.

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Gemeinnützige Stiftung Eine Stiftung ist gemeinnützig, wenn ihr Zweck darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Die Anerken­ nung als gemeinnützig erfolgt durch die Finanzbehörden. Mit dem Status der Gemeinnützigkeit ist regelmäßig die Steuerbefreiung der Stiftung verbunden. Auch sind ge­ meinnützige Stiftungen berechtigt, Spenden entgegen zu nehmen.

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Kirchliche Stiftung Eine kirchliche Stiftung ist eine Stiftung, deren Zweck überwiegend kirchlichen Aufgaben dient. Eine selbständige kirchliche Stiftung wird durch die kirchliche Aufsichts­ behörde beaufsichtigt. Die Bestim­ mung als kirchliche Stiftung hängt vom Stifterwillen und der Zustim­ mung der Kirche ab. FörderOperative Stiftung stiftung Eine operative Stiftung führt eigene Projekte durch, bezweckt also nicht nur die Förderung fremder Projekte bzw. die Förderung anderer gemein­ wohlorientierter Körperschaften (Förderstiftung). Öffentliche Stiftung bürgerlichen Rechts Anders als eine öffentlich-recht­ liche Stiftung wird eine öffentliche Stiftung bürgerlichen Rechts nach den Regeln des Privatrechts errich­ tet. Der Zusatz „öffentlich“ wird vor allem in Bayern und BadenWürttemberg verwendet und kenn­ zeichnet Stiftungen, die Zwecke verfolgen, die zumindest teilweise dem Gemeinwohl dienen. Eine öffentliche Stiftung bürgerlichen Rechts ist meistens, aber nicht not­ wendigerweise gemeinnützig.


C – Stiftungsgründung in fünf Schritten Öffentlich-rechtliche Stiftung Stiftungen des öffentlichen Rechts werden von staatlicher Seite durch einen Stiftungsakt, insbesondere per Gesetz errichtet und verfolgen Zwecke, die von einem besonderen öffentlichen Interesse sind. Rechts­ Treuhandstiftung fähige Stiftung Eine Treuhandstiftung, die auch als unselbstständige, nichtrechtsfähige oder fiduziarische Stiftung bezeich­ net wird, wird durch einen Vertrag zwischen dem Stifter und dem Treu­ händer (Träger) errichtet. Der Stifter überträgt das Stiftungsvermögen dem Treuhänder, der es getrennt von einem eigenen Vermögen gemäß den Satzungsbestimmungen der Stiftung verwaltet. Anders als eine rechtsfähige Stiftung verfügt eine Treuhandstiftung nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit. Unternehmensverbundene Stiftung Unternehmensverbundene Stif­ tungen halten Anteile an Unter­ nehmen oder betreiben selbst ein Unternehmen. Sie werden häufig als Instrument zur Regelung der Un­ ternehmensnachfolge eingesetzt. Verbrauchsstiftung Eine Verbrauchsstiftung nennt man eine Stiftung, deren Grundstockver­ mögen nach dem Willen des Stifters in einer bestimmten Zeitspanne ganz oder zum Teil für die Verwirk­ lichung des Stiftungszwecks einge­ setzt werden soll.

1

Entwurfserstellung der schriftlichen Satzung und des Stiftungsgeschäfts entsprechend dem S ­ tifterwillen unter Beachtung der Formerfordernisse sowie der steuerlichen Anforderungen, falls eine ­Steuerbegünstigung angestrebt wird (vgl. §§ 51ff. der Abgabenordnung).

2

Abstimmung der Entwürfe mit der zuständigen Stiftungsaufsicht und dem zuständigen Finanzamt.

3

Einreichung von Stiftungssatzung und des Stiftungsgeschäfts bei der Stiftungsaufsicht mit dem Antrag auf Anerkennung.

4

Einreichung beim zuständigen ­ Finanzamt mit Antrag auf Erteilung einer Steuernummer und Beantragung der vorläufigen Bescheinigung der ­Gemeinnützigkeit.

5

Nach Anerkennung und Erteilung der vorläufigen Bescheinigung der Gemeinnützigkeit: Einzahlung des Stiftungskapitals/Übertragung des ­Stiftungsvermögens.

Weitere Informationen rund um die Stiftungs­­grün­dung, Service- und Beratungsangebote sowie Wissens­­wertes zur deutschen Stiftungslandschaft finden Sie auf der ­Webseite des Bundesverbandes Deutscher ­Stiftungen unter www.Stiftungen.org.

Serviceteil

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D – Engagement wird erleichtert! Am 21. September 2007 hat der Bundesrat das „Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Enga­ gements“ verabschiedet. Im Fokus der Gesetzesreform stehen Änderungen im Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht. Um dem Reformziel „die Zivilgesellschaft zu stärken und bürgerschaftliches Enga­ gement zu fördern“ näher zu kommen, wurde das Spendenrecht vereinfacht und Bürokratie abgebaut. Der Bundesverband hat an der Reform intensiv und erfolgreich mitgewirkt. Insbesondere für gemeinnüt­ zige Stiftungen sieht die Reform weitrei­ chende Verbesserungen vor. In der Tendenz dürfte das neue Ge­ setz dazu führen, dass das Grundstock­ vermögen bereits bestehender Stiftungen weiter gestärkt und neue Stiftungen mit einem höheren Grundstockvermögen ausgestattet werden. Das Gesetz tritt rückwirkend zum 1.1.2007 in Kraft.

Die wichtigsten Änderungen im Überblick • Der Sonderausgabenabzugsbetrag für Zuwendungen in das Grundstockver­ mögen von gemeinnützigen Stiftungen erhöht sich von 307.000 Euro auf eine Million Euro und gilt nun auch für Zustif­ tungen nach dem ersten Gründungsjahr. • Die Höchstgrenze für den Spen­ denabzug von bisher 5 bzw. 10 Prozent des Gesamtbetrages der Einkünfte erhöht sich auf einheitlich 20 Prozent (§10b Abs. 1 Sätze 1 und 2 EstG). • Der Verzicht auf den Nachweis für Kleinspenden ist betragsgemäß von 100 Euro auf 200 Euro angehoben worden. • Der Katalog der gemeinnützigen Zwecke gemäß § 52 Abs. 2 AO ist um neue Zwecke erweitert worden; Zwecke, die da­ rin nicht enthalten sind, gemäß ihrer Ziel­ setzung diesen aber entsprechen, können für gemeinnützig erklärt werden. • Die Besteuerungsgrenze für die wirtschaftliche Betätigung gemeinnüt­ ziger Körperschaften wird von 30.678 Euro auf 35.000 Euro Einnahmen im Jahr angehoben. • Der Haftungssatz für unrichtig ausgestellte Zuwendungsbestätigungen und fehlverwendete Zuwendungen sinkt von 40 auf 30 Prozent der Zuwendungen (§ 10b Abs. 4 Satz 3 EstG). • Ein allgemeiner Steuerfreibetrag für Einnahmen aus nebenberuflicher Tätigkeit im gemeinnützigen Bereich in Höhe von 500 Euro wird eingeführt.

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Der Bundesverband Deutscher Stiftungen Die Idee für eine Interessenvertretung dieser unterschiedlichen Erschei­nungsformen deutscher Stiftungen wurde in einer der tradi­ tionsreichsten Stiftungen des Landes, der Fuggerei in Augsburg, gebo­ ren. Im Jahr 1948 als „Arbeitsgemeinschaft bayrischer Wohltätigkeits-, Erziehungs- und Kultusstiftungen“ gegründet, erhielt der Verband 1990 seinen heutigen Namen. Aus einem kleinen Kreis ist mittlerweile eine Stiftungsfamilie mit annähernd 3.000 Mitgliedern erwachsen. Dazu gehören Stiftungen, Freunde des Stiftungswesens und Stiftungsverwaltungen, die 2.000 weitere Stiftungen repräsentieren. Jede der Mitgliedsstiftungen ist einzigartig: im Typ, in der Struktur und Größe, in ihrem Anliegen und Zweck. Damit repräsentiert der Bundesverband Deutscher Stiftungen die bunte und vielfältige deutsche Stiftungslandschaft. Basis des Ver­ bandes ist das Haus Deutscher Stiftungen, im Zentrum Berlins gelegen. Ein Treffpunkt für Stifter, Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Neben vielfältigen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet organisiert der Verband jedes Jahr den größten europäischen Stiftungs­ kongress und stärkt damit die Aufmerksamkeit für Stiftungen in der Öffentlichkeit. Mit der Verleihung des Stifterpreises und der Stifter­ medaille ehrt der Verband herausragende Personen und würdigt deren Engagement. Kreative Ideen in der Kommunikation von Stiftungen wer­ den mit dem Kommunikationspreis KOMPASS ausgezeichnet. Mitglieder profitieren von einem breit gefächerten Informations-, Service- und Be­ ratungsangebot, von Praxiserfahrungen und Kontakten. Auf politischer Ebene macht sich der Verband für die Verbesserung der rechtlichen und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen stark. Ein Meilenstein auf diesem Weg ist die Verabschiedung des „Gesetzes zur weiteren Stär­ kung des bürgerschaftlichen Engagements“ im September 2007. Der Verband, der solidarisch wirkt, versteht sich als Partner der deutschen Stiftungen. Er spürt Trends auf und hilft, dass sich neue Formen des bürger­schaftlichen Engagements entwickeln können. Kontakt

Haus Deutscher Stiftungen Mauerstraße 93 | 10117 Berlin Telefon (030) 89 79 47-0 | Fax -71 Bundesverband@Stiftungen.org | www.Stiftungen.org

Im April 2008 wurde der Bundesverband Deutscher Stiftungen von der Deutschen Gesellschaft für Verbands­ management mit dem „DGVM ­Innovation Award – ­Verband des Jahres“ ­aus­gezeichnet.


BMW Stiftung Herbert Quandt Die BMW Stiftung Herbert Quandt wurde am 22. Juni 1970 anlässlich des 60. Ge­ burtstags von Herbert Quandt in Würdigung seiner Verdienste um die BMW AG mit dem Ziel gegründet, den internationalen Dialog zwischen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Bürgergesellschaft zu fördern. Sie ist eine rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts und verfolgt mit ihrem Programm ausschließlich und unmittelbar gemeinnützi­ ge Zwecke. Das von der BMW AG eingebrachte Stiftungsvermögen beträgt 50 Millionen Euro. Mit jährlichen Spenden trägt die BMW AG darüber hinaus zur Finanzierung der Personal- und Sachkosten der Stiftung bei. Die Stiftung orientiert sich in ihrer Arbeit an den vom Bundesverband Deutscher Stiftungen formulierten und verabschiedeten „Grundsätzen guter Stiftungspraxis“. Die BMW Stiftung Herbert Quandt setzt ihre Mittel in erster Linie für die Durchfüh­ rung eigener Programme ein. Sofern Projekte in herausragender und beispiel­gebender Weise zur Erfüllung der Ziele der Stiftung beitragen, geht die Stiftung auch operative Förderpartnerschaften ein. Wir verstehen uns dabei nicht als wissenschaftliche Denk­ fabrik, sondern als ein „Umspannwerk“, das wissenschaftliche Analyse und praktische Kompetenz aus verschiedenen Sektoren und Weltregionen in neue Kontexte transfor­ miert und für neue Anwender nutzbar macht. Deshalb legen wir besonderen Wert darauf, erfolgreich implementierte Projekte zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme sichtbar zu machen. Damit stiften wir in einer oft nicht mehr überschaubaren Informationsfülle praktische ­Orientierung und geben Impulse für eigenes Engagement. Indem wir zu einem ­offenen globalen Mei­ nungs- und Wissensaustausch beitragen, bauen wir zugleich tragfähige persön­liche Netzwerke der internationalen Verständigung.

Führungsverantwortung in einer globalisierten Welt Wir sprechen Führungspersönlichkeiten an, die in ihrem beruflichen und per­ sönlichen Handeln ein übergeordnetes Gemeinwohl berücksichtigen. Wir setzen uns mit Fragen der Globalisierung auseinander und tragen so zu einem internationalen gesellschaftspolitischen Dialog bei. Wir sensibilisieren Führungskräfte in Wirtschaft und Zivilgesellschaft für die Notwendigkeit, sich am Diskurs über gesellschaftspolitische und außen­ politische Entwicklungen zu beteiligen. Wir unterstützen Führungspersönlichkeiten, die ihre Ideen und Kompeten­ zen über die eigene Berufswelt hinaus für die Entwicklung einer lebendigen ­Bürgergesellschaft einsetzen. Wir machen erfolgreiches gesellschaftspolitisches Engagement sichtbar und fördern die Verbreitung und Entwicklung innovativer Modellprojekte.

Weitere Informationen zum Profil und Programm der BMW Stiftung Herbert Quandt finden Sie ­unter: www.bmw-stiftung.de


Anmerkungen und Literatur 1 – Engagement in Zahlen Amadeu Antonio Stiftung (2005): Bürgerstiftungen für eine demokratische Kultur. Beispiele zivilgesellschaftlichen Engage­ ments in Ostdeutschland, www. amadeu-antonio-stiftung.de/w/ files/pdfs/broschuere_buer­ gerstiftungen_2005.pdf, Stand 28. 4. 2008. 2 Initiative Frankfurter Stif­ tungen: Stiftungsstadt Frankfurt, www.frankfurter-stiftungen.de, Stand 28. 4. 2008. 3 Pfreundschuh, Erika (2006): Frankfurt, die Stiftungs­ hauptstadt. Vortrag bei der Initiative Frankfurter Stiftungen e.v., www.frankfurter-stiftungen. de/cgi-bin/boxgate20910?tn=2z fFZSTh7TiR3F8C971104D&id=43, Stand 28. 4. 2008. 4 Justizbehörde Freie und Hansestadt Hamburg (2006): Stiften in der Stiftungshauptstadt, http://fhh.hamburg.de/stadt/ Aktuell/behoerden/justizbe­ hoerde/justizverwaltungsamt/ stiftungswesen/Stiftungshaupts tadt,property=source.pdf, Stand 28. 4. 2008. 5 Bischoff, Antje und van Olst, Nienke (2007): Wie gut sind Deutschlands Stiftungsauf­ sichten. ­StiftungsStudie. Verlag Deutscher Stiftungen, Berlin 2007. 6 Die Gesamtausgaben lassen kaum Rückschlüsse auf die Vermögenssituation oder die Wirtschaftlichkeit einer Stiftung zu, da in diesem Posten neben den Verwaltungsausgaben wei­ tere Einnahmen aus anderen Quellen wie Spenden, öffentliche Zuwendungen, wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb usw., enthalten sein können. In der Tabelle zu den größten Stiftungen privaten Rechts werden meist die Förder­ ausgaben dargestellt. 1

2 – Stiftungen und ihre Banken 7 Bundesverband Deut­ scher Stiftungen (2008): Rekord: Erstmals weit mehr als 1.000 Stiftungen pro Jahr gegründet. Pressemitteilung vom 11. 1. 2008.

www.stiftungen.org/ index.php?baseID=78&strg=61_7 8&dataID=145&year=2008. 8 Carstensen, Carsten (2005): Vorgaben für die Vermö­ gensverwaltung der Stiftung nach Gesetz, Satzung und Rechtspre­ chung, in: ZSt 04-05: S. 90-98. 9 Die im Text verwendeten Zitate sind wörtliche Wiedergaben der offenen Nennungen. 10 Korrelation nach Pearson; die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. 11 Die Faktorenanalyse kristallisiert aus einer Vielzahl möglicher Variablen die voneinan­ der unabhängigen Einflussfakto­ ren heraus (Datenreduktion). 12 Der Median ist der Wert, der von höchstens der Hälfte aller Werte unterschritten und von höchstens der Hälfte aller Werte überschritten wird. Er ist relativ unempfindlich gegenüber Ausreißern. 13 Im Folgenden wurden die ANOVA und der Dunnet T3 post hoc Test bei k unabhängigen Stich­ proben sowie der Mann-Whitney U-Test bei zwei unabhängigen Stichproben verwendet. Vor der Durchführung von Mittelwertver­ gleichen wurde der KolmogorovSmirnov Goodness of Fit Test angewendet. Die ANOVA ist sehr robust gegenüber Abweichungen von der Normalverteilung. Als Varianzenhomogenitätstest wurde Levene’s Test for Equality of Vari­ ances eingesetzt. Die Unterschie­ de sind auf dem Niveau von 0,05 signifikant. 14 Benke, Holger und ­Maucher, Reiner (2007): Erfolg­ reich wie die „Grossen“. Anlage­ strategien für kleinere Stiftungen, in: Stiftung & Sponsoring 3: 29-32. 15 Angebote des BVDS hinsichtlich Austausch, Informa­ tion und Fortbildung zum Thema Stiftungsvermögen unter www.stiftungen.org oder www.stiftungsakademie.de. 3 – Lust auf Vielfalt 16 Krull, Wilhelm (2007): Stiftungen als Partner und Ideen­

geber für die Integrationspolitik: Die europäische Perspektive; Vortrag auf dem Symposium der Vodafone Stiftung in Berlin am 16. Oktober 2007; www.integrationsymposium.de/documentation/ speeches.php. 17 Lau, Jörg (2006): Wir waren ein Einwanderungsland; in: Die ZEIT, 24/2006. 18 Statistisches Bundesamt: 11. Koordinierte Bevölkerungs­ vorausberechnung, Annahmen und Ergebnisse, Wiesbaden 2006. 4 – Wie denken die Deutschen über kulturelle Vielfalt, ­Integration und Stiftungen? 19 Bräunlein, Peter J. und L­ auser, Andrea (1997): Grenzüber­ schreitungen, Identitäten. Zu einer Ethnologie der Migration in der Spätmoderne, in: Kea, Zeitschrift für Kulturwissenschaft, Bd. 10, S. 1-18. 20 Luig, Ute (2007): Diversity als Lebenszusammenhang, in: Krell, Riedmüller, Sieben, Vinz (Hrsg.): Diversity Studies. Grund­ lagen und disziplinäre Ansätze. New York, Frankfurt am Main, S. 87-108. 21 Bundesregierung (2007): Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege – Neue Chancen, www. bundesregierung.de/Content/DE/ Artikel/2007/07/Anlage/2007-1018-nationaler-integrations plan,property=publicationFile. pdf, Stand 31. 3. 2008. 22 Es wurden 1001 deutsch­ sprachige Personen ab 14 Jahren im gesamten Bundesgebiet tele­ fonisch befragt. Die Befragung wurde Mitte Dezember 2007 durchgeführt. 23 S. Stat. Bundesamt (2007): Bevölkerung und Erwerbs­ tätigkeit: Bevölkerung mit Migra­ tionshintergrund. Fachserie 1, Reihe 2.2 24 Die Datengrundlage lässt keine Rückschlüsse auf die Migra­ tionserfahrung der Befragten zu. D.h. es kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob diejenigen, die Eingewanderte in ihrem Familien- oder Freundes­

Anmerkungen und Literatur

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kreis haben, selbst Menschen mit Migrationserfahrung sind. 25 „GMF“ steht für gruppen­ bezogene Menschenfeindlichkeit. Ziel der Erhebungen ist es, das Ausmaß und die Entwicklung men­ schenfeindlicher Einstellungen in der deutschen Bevölkerung im Zeitverlauf zu analysieren und auf der Basis sozialwissenschaftlicher Konzepte zu erklären. Das Projekt wird gefördert durch ein Stiftungs­ konsortium unter Federführung der Volkswagen-Stiftung. URL: www.uni-bielefeld.de/ikg/Feind­ seligkeit/Menschenfeindlichkeit. html, Stand: 8.3. 2008. 26 Zu den Dimensionen sozialer und kultureller Vielfalt s. z.B. Riedmüller, Barbara und Vinz, Dagmar (2007): Diversity Politics, in: Krell, u.a. (Hrsg.): Diversity Studies. Grundlagen und diszipli­ näre Ansätze. New York, Frankfurt am Main, S. 146-162. 27 S. beispielsweise www. dialogue2008.eu und www. vielfalt-als-chance.de. 28 S. Bundesverband ­Deutscher Stiftungen (2007): StiftungsReport. Berlin, S. 152f. 29 S. Kapitel „Menschen mit Handicap“ in diesem Band, S. 138. 30 S. Kapitel „Managing Cultural Diversity“ in diesem Band, S. 178. 31 So der damalige Innen­ minister Otto Schily 2002: „Die beste Form der Integration ist die Assimilierung.“, in: SZ v. 12. 2. 2008, S. 2. 32 Riedmüller, Barbara und Vinz, Dagmar (2007): Diversity Politics, in: Krell, u.a. (Hrsg.): Diversity Studies. Grundlagen und disziplinäre Ansätze. New York, Frankfurt am Main, S. 143-162. 33 Der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Richard Florida zeigt eindrucksvoll in „The Rise of the Creative Class“ (2002), dass Offenheit und Toleranz gegenüber ethnisch-kultureller Vielfalt entscheidende Standort­ faktoren sind. 34 Herzog, Roman (1998): Geleitwort. Zur Bedeutung von Stiftungen in unserer Zeit, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Handbuch Stiftungen, Wiesbaden. 35 Timmer, Karsten (2005): Stiften in Deutschland. Die Ergeb­ nisse der StifterStudie, Gütersloh, S. 145. StiftungsReport 2008/09

36 Die Politikwissenschaften bezeichnen mit „kooperativem Staat“ die Vernetzung und Zu­ sammenarbeit von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Solche Lösungsinstru­ mente stellen oft Public-PrivatePartnerships dar. S. dazu Benz, Arthur (1997): Kooperativer Staat? Gesellschaftliche Einflussnahme auf staatliche Steuerung, in: Klein, Ansgar und Schmalz-Bruns, Rainer (Hrsg.): Politische Beteiligung in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, S. 88-113; ders. (Hrsg.) (2004): Governance – Regieren im komplexen Regelsystem, ­Wiesbaden. 37 So z.B. die Stiftung Digitale Chancen mit ihrem Projekt „Senioren-Medien-Migration-Inte­ gration-Partizipation“. Das Projekt zielt darauf, älteren Migrantinnen und Migranten mit Hilfe neuer Medien die Partizipation an der Gesellschaft und die Integration zu erleichtern. 38 Bundesverband Deut­ scher Stiftungen, Pressemittei­ lung vom 11. 1. 2008. 39 Timmer, Karsten (2005): Stiften in Deutschland. Die Ergeb­ nisse der StifterStudie. Bertels­ mann Stiftung, Gütersloh. 40 Prewitt, Kenneth (1999): The Importance of Foundations in an Open Society, in: Bertels­ mann Stiftung (ed.): The Future of Foundations in an Open Society, Gütersloh, S. 17-29.

5 – Stiftungen, Migration und Wissenschaft 41 Pries, Ludger (2001): ­ igration und Integration in M Zeiten der Transnationalisierung oder: Warum braucht Deutschland eine ‚Kulturrevolution‘? www.inccas.de/de/download/ publ-2001_lp_miguintegration. pdf, Stand 20. 1. 2008. 42 www.imis-osnabrueck. de. 43 Bade, Klaus J.: Migrationsforschung: Probleme – Konzepte – Aufgaben. 44 Kühn, Heinz (1979): Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland („Kühn-Memorandum“).

45 Bade, Klaus J. (Hg.) (1994): Das Manifest der 60: Deutschland und die Einwande­ rung, München 1994. 46 Bundesregierung (2007): Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege – Neue Chancen, www. bundesregierung.de/Content/DE/ Artikel/2007/07/Anlage/2007-1018-nationaler-integrations plan,property=publicationFile. pdf, Stand 31. 3. 2008.

6 – Menschen mit ­Zuwanderergeschichte 47 Matthäi, Ingrid (2004): Die Lebenssituation älterer alleinstehender Migrantinnen, Herausgeber: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 48 ebenda 49 ebenda 50 Oelrich, Claudia und an­ dere (2007): Parentifizierung bei Flüchtlingskindern ohne sicheren Aufenthaltsstatus, Studie im Auftrag des Universitätskranken­ hauses Eppendorf in Hamburg. 51 Statistisches Bundes­ amt (2007): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Bevölkerung mit Migrationshintergrund – ­Ergebnisse des Mikrozensus 2005, S. 26-27. 52 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Asyl in Zahlen, 15. Aufl., S. 39. 53 Wendler, Hauke (2006): „Abgetaucht“. 45-MinutenFeature des NDR. 54 ebenda 55 Hönekopp, Elmar (2007): Situation und Perspek­ tiven von Migranten auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland, Ein Problemaufriss in 14 Befunden, Gesprächskreis Migration der Friedrich-Ebert-Stiftung, www.fes.de/wiso/pdf/ integration/2007/06_hoenekopp_ 230407.pdf, Stand 15. 2. 2008. 56 Fritschi, Tobias und Jann, Ben (2008): Gesellschaft­ liche Kosten unzureichender Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern in Deutsch­ land, Studie im Auftrag der ­Bertelsmann Stiftung, www.bertelsmann-stiftung. de/bst/de/media/xcms_bst_ dms_23656_23671_2.pdf, Stand: 10. 2. 2008.


57 Bundesagentur für Arbeit: Pressemitteilung Nr. 46/2007. 58 Hönekopp, Elmar (2007): Situation und Perspektiven von Migranten auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland, Ein Problem­ aufriss in 14 Befunden, Gesprächs­ kreis Migration der FriedrichEbert-Stiftung, URL: www.fes.de/ wiso/pdf/integration/2007/ 06_hoenekopp_230407.pdf , Stand 15. 2. 2008. 59 ebenda 60 Existenzgründungspor­ tal des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie: www. existenzgruender.de/publikati­ onen/studien/01634/index.php, Stand 15. 2. 2008. 61 Friedrich-Ebert-Stiftung (2006): Integration von Migran­ tinnen und Migranten – ein Open Space in der Reihe „Jugend im gewaltfreien Raum“. 62 Wolfgang Schäuble (2008), Rede auf der Fach­ konferenz „Das Islambild in Deutschland: Neue Stereotype, alte Feindbilder?“, www.bmi. bund.de/cln_028/nn_122688/ Internet/Content/Nachrichten/­ Reden/2008/02/BM__Islambild_ _in__Deutschland.html, Stand 26. 3. 2008. 63 MPC Münchmeyer Peter­ sen Capital Stiftung: Elbstation – Junge Akademie für Medien und Kultur, www.bildungsstiftungen. org/projekte/96.php, Stand 26. 3. 2008. 64 Heinrich-Böll-Stiftung: Neue Perspektiven für die Me­ dien – Junge MigrantInnen in den Journalismus!, Unterlagen für Stipendien bei Böll unter: www.migration-boell.de/web/ migration/46_407.htm, Stand 26. 3. 2008. 65 Dehnhardt, Sebastian, Weidenbach, Uli und Oldenburg, Manfred: Der Olympia-Mord. Mün­ chen ’72 – Die wahre Geschichte; Eine TV-Dokumentation im ZDF, gesendet am 15. 8. 2006.

7 – Gesellschaftliche Vielfalt fördern und gestalten 66 Merkel, Angela (2007):Rede beim internationalen Symposium „Integration durch Bil­ dung“ in Berlin, 16.10.2007; www. bundesregierung.de/Content/

DE/Artikel/2007/10/2007-10-16integration-durch-bildung.html. 67 Schönwälder, Karen (2007): Reformprojekt Integra­ tion; in: Wernstedt, Rolf und Marei, John: Zusammen. Leben. Lernen. Bildungssystem in einer Einwanderungsgesellschaft – Dokumentation der Sitzung des Netzwerk Bildung vom 8. Februar 2007, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2007. 68 Wernstedt, Rolf (2007): Einleitung; in: Wernstedt, Rolf und Marei, John: Zusammen. Leben. Lernen. Bildungssystem in einer Einwanderungsgesellschaft – Dokumentation der Sitzung des Netzwerk Bildung vom 8. Februar 2007, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2007. 69 Schönwälder, Karen (2007): Reformprojekt Integra­ tion; in: Wernstedt, Rolf und Marei, John: Zusammen. Leben. Lernen. Bildungssystem in einer Einwanderungsgesellschaft – Dokumentation der Sitzung des Netzwerk Bildung vom 8. Februar 2007, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2007. 70 Hormel, Ulrike und Scherr, Albert (2004): Strategien gegen Rechtsextremismus – Bildung für die Einwanderungsge­ sellschaft, Policy Paper Bildung, Gütersloh 2004, S.1; in: www.cap-lmu.de/akademie/pu­ blikationen/wissenschaft/ bildung.php, Stand 28. 4. 2008. 71 Deutscher Olympischer Sportbund (2007): Bestands­ erhebung 2007, www.dosb.de/ fileadmin/fm-dosb/downloads/ 2007_DOSB_Bestandserhebung. pdf, Stand 13.02.2008. 72 Deutscher Olympischer Sportbund (2005): Sanierungs­ bedarf der Sportstätten auf 42 Milliarden Euro geschätzt, www. dosb.de/de/sportentwicklung/ sportstaetten-und-umwelt/news/ details/news/sanierungsbedarf_ der_sportstaetten_auf_42_ milliarden_euro_geschaetzt-1/ 8279/na/2005/januar/cHash/ ff228e1014/, Stand 13. 2. 2008. 73 Vieth-Enthus, Susanne (2008): Der Rütli-Campus macht Schule. Der Tagesspiegel, 31.01.2008, www.tagesspiegel. de/berlin/Neukoelln-RuetliCampus;art270,2466918, Stand 13. 2. 2008.

74 Berliner Morgenpost (2007): Deutschlands dicke Kinder sollen gesünder essen. Berliner Morgenpost, 10.05.2007, www. morgenpost.de/content/2007/ 05/10/politik/899030.html, Stand 13. 2. 2008. 75 Cleven-Becker-Stiftung: Bewegung für Berliner Kinder, www.cleven-becker-stiftung.ch/ ?sid=30&conid=41&eid=6&pid =11&lang=de_DE#Berlin, Stand 13. 2. 2008. 76 BMFSFJ (2005): Freiwil­ liges Engagement in Deutschland 1999-2004, www.bmfsfj.de/ bmfsfj/generator/Redaktion BMFSFJ/Arbeitsgruppen/ Pdf-Anlagen/freiwilligen-surveylangfassung,property=pdf, bereich=,sprache=de,rwb=true. pdf, Stand 13. 2. 2008. 77 Streetsoccer Liga Ham­ burg (2006): Get the kick! www. streetsoccer-hamburg.de/filead­ min/downloads/ssh/Broschuere. pdf, Stand 13. 2. 2008. 78 Rittner, Volker, Keiner, Robert, Keiner, Richard (2006): Freiwillige Tätigkeit im Sport. Sportbezogene Auswertung des Freiwilligensurveys des BMFSFJ 1999 und 2004. Köln: Institut für Sportsoziologie, Deutsche Sporthochschule Köln. 79 Deutscher Olympischer Sportbund (2006): Integration durch Sport. Positionierung des Deutschen Olympischen Sport­ bundes zum Themenbereich Integration, www.integrationdurch-sport.de/fileadmin/fm-dsb/ arbeitsfelder/ids/files/down­ loads_pdf/Positionspapier.pdf, Stand 13. 2. 2008. 80 European Interactive Advertising Association (2007): EIAA Mediascope Europe 2007, www.eiaa.net/research/mediaconsumption.asp?lang=6, Stand 13. 2. 2008. 81 Datenbank des Bundes­ verbandes Deutscher Stiftungen, Stand Februar 2008. 82 Stiftung Deutsche Sport­ hilfe: Finanzen, www.sporthilfe. de/servlet/index?page=84, Stand 13. 2. 2008. 83 Sepp Herberger-Stiftung des Deutschen Fußball-Bundes: Praktische Hilfe zur Resozial­ isierung durch Fußball, www. sepp-herberger.de/main. php?id=510, Stand 13. 2. 2008.

Anmerkungen und Literatur

205


84 Beauftragte für Migra­ tion, Flüchtlinge und Integration (2007): Nationaler Integration­ splan. Themenfeld 6, UAG Inte­ gration durch Sport Potenziale nutzen, Angebote erweitern, Vernetzung ausbauen, www. bundesregierung.de/Content/DE/ Artikel/2007/01/anlagen/200701-29-integration-durch-sport-teil nehmerliste,property=publication File.pdf, Stand 13. 2. 2008. 85 DFB-Stiftung Egidius Braun: Eigenprojekte, www. dfb-stiftung-egidius-braun.de/ stiftungsarbeit/eigenprojekte. html, Stand 13. 2. 2008. 86 Jansen, Frank (2008): Rechte Kriminalität 2007 nicht weiter gestiegen; in: Tagesspiegel 8.2.2008; www.tagesspiegel.de/ politik/deutschland/rechtsextre­ mismus/Rechtsextremismus;art2 647,2472401. 87 Decker, Oliver und Brähler, Elmar (2006): Vom Rand zur Mitte – Rechtsextreme Einstel­ lungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland – Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung; Berlin 2006. 88 Kober, Ulrich und Kösemen, Orkan (2007): Gegenengagement vernet­ zen; www.bpb.de/themen/ QHQZ54,0,Gegenengagement_ vernetzen.html, Stand 7. 9. 2007. 89 Hormel, Ulrike und Scherr, Albert (2004): Strategien gegen Rechtsextremismus – Bildung für die Einwanderungsge­ sellschaft, Policy Paper Bildung, Gütersloh 2004, S.1; in: www.caplmu.de/akademie/publikationen/ wissenschaft/bildung.php, Stand 28. 4. 2008. 90 ebenda 91 ebenda 92 ebenda 93 Enzensberger, Hans ­Magnus (2004): Die große Wande­ rung, Frankfurt.

8 – Wie aus räumlicher Nähe Zusammenleben wird

206

94 Schader-Stiftung u. a. (Hrsg.) (2004): Zuwanderer in der Stadt, Empfehlungen zur stadt­ räumlichen Integrationspolitik, Darmstadt 2004. 95 Dilger, Thomas (2007): Vorstand Nassauische Heimstät­ ten, auf der Integrationskonferenz

StiftungsReport 2008/09

„Besser miteinander wohnen!“, Berlin, 9. 11. 2007. 96 von Bebenburg, Pitt (2007): Hessen stoppt GhettoPläne, in: Frankfurter Rundschau v. 21. 11. 2007. 97 Häußermann, Hartmut (2007): Interview mit Hartmut Häußermann, 16. 10. 2007. 98 Häußermann, Hartmut (2007b): Monitoring Soziale Stadtentwicklung, Bericht 2007, Berlin 2007: URL: www.stadt­ entwicklung.berlin.de/planen/ basisdaten_stadtentwicklung/ monitoring/de/2007/index.shtml, Stand 1. 2. 2008. 99 Fend, Helmut (2008): Schwerer Weg nach oben, in: Die Zeit, 1/2008. 100 Kuhlenkampff, Christoph (2007): Stadträumlich orientierte Integrationspolitik; in: Gut mit­ einander Wohnen? Integrations­ konferenz, Berlin, 9. November 2007; Url: www.schader-stiftung. de/docs/dokumentation_integra­ tionskonferenz_gut_miteinader_ wohnen!.pdf, Stand 1. 2. 2008. 101 Ross, Andreas (2006): Armut verboten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 7. 6. 2006. 102 Häußermann, Hartmut (2005): Nicht pendeln, nicht malo­ chen, nur noch pennen, in: Die Zeit v. 10.11.2005. 103 Deutscher Olym­ pischer Sportbund (2008): Integration durch Sport, Netz­ werkpartner, 2008, URL: www. integration-durch-sport.de/index. php?id=6224, Stand 13. 2. 2008. 104 Deutscher Olympischer Sportbund (2006): Integration durch Sport, Positionierung des Deutschen Olympischen Sport­ bundes zum Themenbereich Integration, URL: www.integra­ tion-durch-sport.de/fileadmin/ fm-dsb/arbeitsfelder/ids/files/ downloads_pdf/Positionspapier. pdf, Stand 13. 2. 2008. 105 Sportjugend NordrheinWestfalen e.V. / Stiftung Mercator (2007): Spin – sport interkulturell, 2007, URL: www.stiftungmercator.de/cms/upload/pdf/ Folderspin.pdf, Stand 13. 2. 2008. 106 Stiftung Bürger für Bürger (2007): Teilhabe und Integration von Migrantinnen und Migranten durch bürgerschaft­ liches Engagement, Dokumen­ tation des bundesweiten Wett­

bewerbs 2007, 2007, URL: www. buerger-fuer-buerger.de/content/ ablage/Doku_Wettbewerb2007. pdf, Stand 13. 2. 2008. 107 Deutscher Olympischer Sportbund (2007): Komarow­ schule erhielt den Preis der Ippen-Stiftung, Pressemitteilung vom 28.03.2007, URL: www.dosb. de/de/presse/details/news/ komarowschule_erhielt_den_ preis_der_ippen_stiftung/9411/ cHash/2685d4f617, Stand 13. 2. 2008. 108 Bundesverband Deut­ scher Stiftungen (2007): Preisver­ leihung, KOMPASS für gelungene Stiftungskommunikation, 2007, URL: www.stiftungen.org/index.p hp?strg=61_78&baseID=78&data ID=136&year=2007&ctrl=fromSe arch&search=KOMPASS&, Stand 13. 2. 2008. 109 Lahm, Philipp (2008): Philipp gründet eine Stiftung, 2008, URL www.philipplahm.de/ news/aktuelles/06829.php, Stand 13. 2. 2008. 110 Deutscher Sparkas­ sen- und Giroverband (2007): Stiftungen, 2007, URL: www. sparkassenstiftungen.de/bilder/// portal/FlyerStiftungen2007.pdf, Stand 13. 2. 2008. 9 – Handicap als Chance 111 Krol, Beate (2008): Aus­ sortiert, in: Magazin Menschen, 1/2008, S. 13-23. 112 ebenda 113 Muñoz, Vernor (2007): Implementation of General Assem­ bly Resolution 60/251 of 15 March 2006 Entitled „Human Rights Council“. Report of the Special Rapporteur on the right to educati­ on, Vernor Muñoz; veröffentlicht auf der vierten Sitzung des Rat für Menschenrechte am 9. März 2007. 114 ebenda 115 Steiner, Michael (2007): Rede zu dem Bericht des Sonderberichterstatters zum Recht auf Bildung, am 21.3.2007; Siehe www.genf.diplo.de/ Vertretung/genf/de/02/Presse/ Re20__21__03__07__Steiner__ Seite.html; siehe auch www.bmbf.de/en/7763.php, Stand 15. 1. 2008. 116 Bundesverband ­Selbsthilfe Körperbehinderter: Elsa-Krauschitz-Stiftung,


www.bsk-ev.org/1033/ elsa-krauschitz-stiftung/, Stand 20. 2. 2008. 117 Fürst Donnersmark-Stif­ tung (2004): Leidenschaft, Lust, Liebe. WIR 1/2004 118 Scholz, Reiner (2007): Gefangen im Schonraum, in: Die ZEIT, 37/ 2007, www.zeit. de/2007/35/Gefangen_im_Schon­ raum. 119 Wocken, Hans (2000): Leistung, Intelligenz und Soziallage von Schülern mit Lernbehinde­rungen. Vergleichen­ de Unter­suchungen an Förder­ schulen in Hamburg. Zeitschrift für Heilpädagogik, 51/2000, S. 492-503, www.hans-wocken.de. 120 ebenda 121 ebenda 122 Kottmann, Brigitte (2006): Selektion in die Sonder­ schule. Das Verfahrungen zur Gestaltung von sonderpädagogi­ schem Förderbedarf als Gegen­ stand empirischer Forschung, Bad Heilbrunn 2006. 123 Scholz, Reiner (2007): Gefangen im Schonraum, in: Die ZEIT, 37/ 2007, www.zeit. de/2007/35/Gefangen_im_ Schonraum. 124 Preuss-Lausitz, Ulf (2005): Zur Frage der Kosten gemeinsamer und getrennter schulischer Bildung von Menschen mit Behinderungen, Vortrag auf der Integrationstagung in Berlin, November 2005; www.ewi.tuberlin.de/index.php?section=71, Stand 15. 1. 2008. 125 Blindenfussball.net: Der Blindenfußball und seine Regeln, www.blindenfussball.net/index. php?option=com_content&task= blogcategory&id=24&Itemid=42, Stand 13. 2. 2008. 126 Sepp Herberger-Stiftung des Deutschen Fußball-Bundes: Fußball als integrative Kraft, www.sepp-herberger.de/main. php?id=522, Stand 13. 2. 2008. 127 Vodafone Stiftung Deutschland (2007): Erste wis­ senschaftliche Ergebnisse zeigen: Behinderte und kranke Kinder pro­ fitieren nachweisbar von Golfen als Therapie, www.vodafone-stif­ tung.de/bin/php/frontend/index. php3?ACTION=SHOWARTIKEL &ID=416, Stand 13. 2. 2008. 128 Katarina Witt-Stiftung: Liebe Freunde, www.katarina-witt-

stiftung.de/index.php?article_ id=2&clang=0, Stand 13. 2. 2008. 129 Jan-Martin Wiarda (2005): Dynamische Verlierer in: DIE ZEIT 25.08.2005 Nr.35, www.zeit.de/2005/35/ S_68_Bildungsmoni, Stand 20. 2. 2008. 130 Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und For­ schung (2004): Bildung für Berlin. Schulgesetz für Berlin, www.berlin.de/imperia/md/con­ tent/sen-bildung/ rechtsvorschriften/schulgesetz. pdf, Stand 20. 2. 2008. 131 Matysiak, Stefan (2007) Diskriminierung behinderter Schüler angeklagt. Harte Kritik der UN-Menschenrechtskommission am deutschen Schulsystem. epd sozial, 13/2007. 132 Krol, Beate (2008): Aus­ sortiert, in: Magazin Menschen, 1/2008. 133 ebenda 134 ebenda 135 Niehoff, Ulrich (2007); Mit Behinderten lernen, in: Die ZEIT 42/ 2007. 136 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2007): Bildung, Beschäftigung, ­Barrierefreiheit – Konferenz in Berlin; Pressemitteilung vom 12. Juni 2007; Siehe: www.bmas.de/coremedia/ generator/9454/2007__06__12__ abschluss__konferenz__ integration__behinderte.html, Stand 15. 1. 2008. 137 Frehe, Horst (2007): Was hat die Gleichstellungsge­ setzgebung auf Bundes- und Landesebene für Menschen mit Behinderungen gebracht? Eine kritische Bilanz, www.masfg.rlp. de/Soziales/Barrierefrei/Doku­ mente/Beitrag_Frehe.pdf, Stand 5. 5. 2007. 138 Steinwede, Jacob (2005): Arbeitslosigkeit und Integrati­ onschancen schwer behinderter Menschen. Perspektiven von Unternehmen; Vortrag Februar 2005, www.guetersloher-stiftung. de/htm/Vortrag_G%FCtersloh_ 0202_2004.pdf, Stand 15. 1. 2008. 139 Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (2004): Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung

ihrer Teilhabe, BT-Drucksache 15/4575, S. 67, URL: www.behin­ dertenbeauftragter.de/index. php5?nid=70&Action=pdf, Stand 15. 1. 2008. 140 Kein Handicap (2003): Grundidee und wie es dazu kam, www.kein-handicap.de. Stand März 2003. 141 Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (2004): Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe, BT-Drucksache 15/4575, S. 67, URL: www.­ behindertenbeauftragter.de/ index.php5?nid=70&Action=pdf, Stand 15. 1. 2008. 10 – Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe 142 Seils, Christoph (2007): Macht Europa das Tor auf?, www. zeit.de/online/2007/38/europablue-card-einwanderung, Stand 14. 9. 2007. 143 Um dem Brain Drain aus Entwicklungsländern vorzubeu­ gen, sollen außerdem ethische Einstellungsstandards gefördert und eine aktive Anwerbepolitik der Mitgliedsstaaten in Entwick­ lungsländern eingeschränkt oder untersagt werden. EUROPA, http://europa.eu/ rapid/pressReleasesAction. do?reference=MEMO/07/423, Stand 23. 10.2007. 144 Böhmer, Maria (2007): Böhmer lehnt EU-„Blue Card“ für Arbeitskräfte aus Nicht-EUStaaten ab, Pressemitteilung 394, www.bundesregierung.de/ nn_56680/Content/DE/ ­Pressemitteilungen/BPA/2007/ 10/2007-10-23-boehmer-eu-bluecard.html, Stand 23. 10. 2007. 145 Die Welt (2007): Deut­ sche Wirtschaft hofft auf „Blue Card“, Die Welt, 24. Oktober 2007. 146 Die Welt (2007): Deut­ sche Wirtschaft hofft auf „Blue Card“, Die Welt, 24. Oktober 2007. 147 OECD (2007): Bildung auf einen Blick, www.oecd.org/ dataoecd/22/28/39317467.pdf, Stand September 2007. 148 Bertelsmann Stiftung (2008): Neue Impulse für eine gemeinsame Migrations- und Integrationsangenda in Europa,

Anmerkungen und Literatur

207


208

www.bertelsmann-stiftung.de/ cps/rde/xchg/SID-0A000F1474FF0937/bst/hs.xsl/441.htm, Stand 15. 1. 2008. 149 Bertelsmann Stiftung (2007): StandortCheck Deutsch­ land, www.bertelsmann-stiftung. de/bst/de/media/xcms_bst_ dms_23195_23196_2.pdf, Stand Februar 2007. 150 Hunger, Uwe und ­Thränhardt, Dietrich (2006): ‚Brain Circulation‘ Diaspora als treibende Kraft bei der Entwicklung der Herkunftsländer. Vorwort, http:// miami.uni-muenster.de/servlets/ DerivateServlet/Derivate-3408/ Brain%20Circulation.pdf, Stand Januar 2008. 151 Thränhardt, Dietrich (2007): Entwicklung durch Migra­ tion: Globalisierung auch für Men­ schen. Transfers durch Migranten: effektiver als Entwicklungshilfe, www.migration-boell.de/web/ integration/47_1037.asp, Stand 23. 11. 2007. 152 Thränhardt, Dietrich (2007): Entwicklung durch Migrati­ on: Globalisierung auch für Men­ schen. Transfers durch Migranten: effektiver als Entwicklungshilfe, www.migration-boell.de/web/ integration/47_1037.asp, Stand 23. 11. 2007. 153 Brück-Klingberg, Andrea und andere (2007): Verkehrte Welt: Spätaussiedler mit höherer Bildung sind öfter arbeitslos, http://doku.iab.de/ kurzber/2007/kb0807.pdf, Stand: August 2007. 154 Exzellenz-Stiftung, www. exzellenzstiftung.de/, Stand November 2007. 155 Alexander von Humboldt Stiftung, www.humboldtfoundation.de/, Stand 15. 11. 2007. 156 Start-Programm; siehe: www.start.ghst.de, Stand Novem­ ber 2007. 157 Vodafone Chancen, www.vodafone-stiftung.de/bin/ php/frontend/index.php3?ACTIO N=SHOWCONTENT&menuepunk t=43, Stand November 2007. 11 – Cultural Diversity MIPEX (2007): Migrant Integration Policy Index. Germany Overview, www.integrationindex. eu/integrationindex/2556.html, Stand Dezember 2007. 158

StiftungsReport 2008/09

159 Liebig, Thomas (2007): The Labour Market Integration of Immigrants in Germany. OECD Social Employment and Migration Working Papers, www.oecd.org/ dataoecd/28/5/38163889.pdf, Stand Dezember 2007. 160 Barroso, José Manuel Durão (2007): Rede beim inter­ nationalen Symposium „Inte­ gration durch Bildung“, www. bundesregierung.de/Content/DE/ Rede/2007/10/2007-10-18-redebarroso-symposium-integrationdurch-bildung.html, Stand 16. 10. 2007. 161 Bertelsmann Stiftung (2008): Pressemeldung. Unzu­ reichende Integration von Zuwanderern kostet den Staat jährlich 16 Milliarden Euro, www. bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/ xchg/SID-0A000F14-C45E6062/ bst/hs.xsl/nachrichten_84818. htm, Stand 20. 1. 2008. 162 von Loeffelholz, Dr. Hans Dietrich (2007): Dossier. Wirtschafltiche Potenziale von Migration & Integration. Poten­ ziale nutzen – Kosten verringern, www.migration-boell.de/web/ integration/47_1119.asp, Stand 23. 11. 2007. 163 Franken, Swetlana, Kowalski, Susann (2006): Nutzung des Potenzials junger Akademiker mit Migrationshintergrund für die Bundesrepublik Deutschland. Fachhochschule Köln, www.wi.fhkoeln.de/homepages/s-franken/ docs/Publikationen/Arbeitsbe­ richt.pdf, Stand November 2007. 164 In den USA haben be­ reits Ende der 70er Jahre Unter­ nehmen Diversity-Maßnahmen ergriffen – in Reaktion auf die neue Gesetzgebung. Heute praktizieren in den USA bereits 90 Prozent der F­ortune 500 Un­ ternehmen, also der wichtigsten Großunternehmen, Diversity. So ist auch durch die Notwendigkeit der Umsetzung der EU-Antidiskri­ minierungsrichtlinien auf europä­ ischer Ebene mit einer Zunahme des Diversity Managements auszugehen. 165 Europäische Kommission (2005): Geschäftsnutzen von Vielfalt. Bewährte Verfahren am Arbeitsplatz, http://ec.europa.eu/ employment_social/fundamen­ tal_rights/pdf/events/busicase_ de.pdf, Stand September 2005.

166 Fischer, Michael (2007): Diversity Management and the Business Case. Hamburger WeltWirtschaftsInstitut, http:// hwwi.org/uploads/tx_wilpubdb/ HWWI_Research_Paper_3-11.pdf, Stand November 2007. 167 Niebuhr, Annekatrin (2007): Migrationseffekte. Zuzug Hochqualifizierter stärkt Innova­ tionskraft der Regionen. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufs­ forschung der Bundesagentur für Arbeit, http://doku.iab.de/ kurzber/2007/kb1207.pdf, Stand 30. Mai 2007. 168 Süß, Stefan, Kleiner, Markus (2005): Diversity Manage­ ment in Deutschland. Ergebnisse einer Unternehmensbefragung, www.fernuni-hagen.de/BWLOP­ LA/html/download/Ergebnisbe­ richtDivMan.pdf, Stand November 2007. 169 Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2007): Vielfalt als Chance, www. vielfalt-als-chance.de, Stand Januar 2008. 170 Köppel, Petra, Yan, Junchen, Lüdicke, Jörg (2007): Cultural Diversity Management in Deutschland hinkt hinterher, www.bertelsmann-stiftung. de/bst/de/media/xcms_bst_ dms_21374__2.pdf, Stand ­November 2007. 171 ZEIT Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius (2008): Schüler­ campus Mehr Migranten werden Lehrer, www.zeit-stiftung.de/ home/index.php?id=472, Stand Januar 2008. 172 Florida, Richard (2002): The Rise of the Creative Class. New York: Basic Books. 173 Kröhnert, Steffen, ­Morgenstern, Annegret, Klingholz, Reiner (2007): Talente, Techno­ logien und Toleranz – wo Deutsch­ land Zukunft hat, S. 3, www. berlin-institut.org/fileadmin/ user_upload/Studien/TTT_Web­ version.pdf, Stand 15. 4. 2008.

Weitere Informationen zu dieser Ausgabe des StiftungsReports (u. a. Stiftungsregister, OriginalFragebögen der beiden Umfragen, statistische Details) finden Sie unter www.stiftungen.org/ StiftungsReport


Wie steht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland? ­Dieser Frage widmet sich der aktuelle StiftungsReport. Das Themenspektrum reicht von Menschen mit Zuwanderergeschichte über sozialräumliche Integration bis Diversity Management. Es werden zahlreiche von Stiftungen initiierte oder finanzierte Integrationsprojekte vorgestellt, die Vorbildcharakter haben. In Hintergrundtexten, Interviews, Portraits und Reportagen kommen Wissenschaftler, Politiker, Leiter von Integrationsprojekten und Geförderte zu Wort. Eine repräsentative Umfrage zeigt, wie die Bevölkerung über kulturelle ­Vielfalt und Integration sowie in diesem Bereich aktive Stiftungen denkt. Außerdem: • Aktualisierte Zahlen, Daten und Fakten zur deutschen Stiftungslandschaft anschaulich aufbereitet • Stiftungsumfrage: Wie zufrieden sind Stiftungen mit ihren Banken? • Serviceteil: unter anderem mit den wichtigsten Änderungen im Spenden und Gemeinnützigkeitsrecht Der jährlich erscheinende StiftungsReport ist ein unverzichtbares Werk für Fach- und Führungskräfte im gemeinnützigen Sektor, in Politik und Wirtschaft, für Medienschaffende und Verbände. Neben aktuellen Zahlen, Daten und Trends im Stiftungswesen widmet er sich schwerpunktmäßig gesellschaftspolitischen Herausforderungen und zeigt auf, welchen Beitrag Stiftungen zu deren Lösung beitragen.   Herausgegeben vom in Kooperation mit

Das Projekt wurde gefördert von:

Originalausgabe StiftungsVerlag www.Stiftungen.org

StiftungsReport 2008/ 09

Die Stiftungslandschaft 2008/09

Wie Vielfalt zusammenhält

Aktualisiert: Zahlen zum deutschen Stiftungswesen

Integriert: Wie Stiftungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen

Engagiert: Fördernde und Geförderte berichten aus der Praxis

Report 2008/09 Wie Vielfalt zusammenhält – Projekte, Initiativen und Menschen

in Kooperation mit ISBN 3-927645-84-2


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