JULI 2017
M AG AZIN F ÜR L AN D S CH AF TS ARCH ITEKTU R
GARTEN +
LANDSCHAFT NATÜRLICH TECHNIK: MIT NEUEN MATERIALIEN DEM KLIMAWANDEL TROTZEN plus
Amsterdams smarte Straße Bau botaniker Ferdinand Ludwig über den Baustoff Pflanze Herausforderungen multicodierter Flächen
12 40
Mit welchen Materialien gelingt eine klimagerechte Stadtentwicklung?
Die Pflanze als Baustoff
Stadtklimatologe
und der Baum als
Sebastian Kupski über
strukturelles Element der
Planung im Klimawandel.
Architektur: Ferdinand Ludwig über Baubotanik. Ein Interview.
18 Der Bijlmerdreef in Amsterdam wird bis 2019 einem ökologischen Facelift unterzogen und zur smarten Straße.
36 In New York City setzt das interdisziplinäre Team Aesop ein kunstvolles Zeichen gegen den Klimawandel – mit Aluminium.
56 Begeistert die
Landschaftsmobiliar Binocular vom Designbüro Poppinga.
4 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Foto: xxxxx
Redaktion: das neue
INHALT
AREN A 06 11
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Liebesgrüße aus NYC
T I T EL Natürlich Technik: Mit neuen Materialien dem Klimawandel trotzen 12
HITZE-HOTSPOT STADT Ein Gespräch mit Stadtplaner und -klimatologe Sebastian Kupski über klimagerechte Materialien und eine klimabewusste Stadtentwicklung
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SMARTE STRASSE Der Bijlmerdreef in Amsterdam wird bis 2019 zur Straße der Zukunft: umweltfreundliche Materialien, Energieeffizienz und urbanes Grün
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EINE FLIESE GEGEN DEN STARKREGEN Neues Regenwassermanagementsystem für Kopenhagens Gehwege: Tredje Natur entwickelt eine Klimafliese
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DIE WISSENS-LIEFERANTEN Die Zukunftsagentur Haute Innovation im Porträt
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KLIMAWANDEL IST NICHTS FÜR WEICHEIER Falk Jaeger über die Bedeutungslosigkeit des Klimawandels – Eine Glosse
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MIT KUNST GEGEN DEN KLIMAWANDEL Wie ein New Yorker Kreativ-Team mit Aluminium ein Zeichen gegen den Klimawandel setzt
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AUF GRÜNEN SÄULEN GEBAUT Baubotaniker Ferdinand Ludwig über den Baustoff Pflanze
STUDIO 46
FRAGE Wie gestalte ich meine Webseite?
50
PRAXIS Wasser marsch! – Multicodierung von Flächen
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LÖSUNGEN Neue Lösungen und Systeme
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REFERENZ Bühnenreife Beleuchtung
RUBRIKEN 60
Stellenmarkt
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Lieferquellen
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Impressum
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DGGL
66
Sichtachse
66
Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
5 GARTEN+ L ANDSCHAFT
KLIMAGERECHTE MATERIALIEN – HITZE-HOTSPOT STADT
12 GARTEN+ L ANDSCHAFT
KLIMAGERECHTE MATERIALIEN INTERVIEW MIT SEBASTIAN KUPSKI
Visualisierung: Klimaanalyse der Landeshauptstadt Erfurt
Der urbane Raum fördert Wärmeinseln, die sich im Zuge des Klimawandels noch verstärken. Es kommt zur Überwärmung. Verantwortlich dafür sind die Gebäude selbst, die Versiegelung der Böden, fehlendes Grün und künstliche Materialien wie Beton und Asphalt. Wir sprachen mit Stadtplaner und Klimatologe Sebastian Kupski über Materialien, die sich positiv auf das Klima in urbanen Gebieten auswirken und darüber, wie eine klimabewusste Stadtentwicklung aussehen kann.
Wärmeinseln betreffen nicht nur Megacities. Auch in Erfurt lassen sich erhöhte Bodentemperaturen nachweisen.
13 GARTEN+ L ANDSCHAFT
EINE FLIESE GEGEN DEN STARKREGEN Mithilfe eines neuen Regenwassermanagementsystems für Kopenhagens Gehwege will das Planungsbüro Tredje Natur auf die Folgen des Klimawandels reagieren. Um künftig große Wassermassen durch Starkregen aufzunehmen, haben sie die „Klimafliese“ entwickelt. Das Projekt zeigt beispielhaft die Schwierigkeiten und Erfolgsaussichten urbaner Anpassungspläne an den Klimawandel, wobei Kopenhagen Versuchsfeld und globaler Vorreiter ist.
So könnten Kopenhagens Fußwege künftig aussehen: die wasserdurchlässige „Klimafliese“ aus Beton leitet Regenwasser in
FAKTEN
den Untergrund ab und verteilt
ARCHITEKTURSTUDIO/ MITENTWICK-
es in verschiedene Richtungen.
Tredje Natur, Kopenhagen ACO Nordic, IBF, Teknologisk Institut, Kollesion, Orbicon, Stadt Kopenhagen TESTZEIT 2017 bis 2018 LUNG
PROJEKTBETEILIGTE
24 GARTEN+ L ANDSCHAFT
KLIMAGERECHTE MATERIALIEN KOPENHAGENER KLIMAFLIESEN
Visualisierung: Tredje Natur
HENRIETTE STEINER
„Die Bürger von Kopenhagen werden auf Wasser laufen.“ Mit diesen Worten stellte das Architekturbüro Tredje Natur sein neues Projekt vor: die Klimafliese. In Dänemark bestehen die Gehwege in Städten üblicherweise aus großen Betonsteinen mit einer Fassung aus Pflastersteinen. Sie ermöglichen den
Fußgängern, auf ebenen, trockenen Wegen zu laufen. Das KlimafliesenProjekt behält diese Tradition bei, macht den Beton aber wasserdurchlässig. Das modulare System entwickelten die Planer zusammen mit dem dänischen Fliesenhersteller IBF und Wassermanagementingenieuren von ACO Nordic. Die Klimafliese ermöglicht, das Wasser durch kleine vertikale Löcher in den Beton25 GARTEN+ L ANDSCHAFT
DIE WISSENSLIEFERANTEN Sie bezeichnen sich als Zukunftsagentur, scannen den Markt nach innovativen Materialien und neuen Technologien der Materialherstellung. Ihr Wissen ist ihr Kapital. Mit diesem bringen sie Entwickler mit Unternehmen zusammen, Branche A mit Branche B, Forschungsinstitute mit Designern. Das groĂ&#x;e Ziel von Haute Innovation: Mit intelligenten Produkten die Kreisläufe der karbonisierten Industrie durchbrechen. 30 GARTEN+ L ANDSCHAFT
KLIMAGERECHTE MATERIALIEN HAUTE INNOVATION
Sie Produktdesignerin, er Material- und Technologieexperte – zusammen sind Diana Drewes und Sascha Peters Haute Innovation.
Foto: Haute Innovation
THERESA RAMISCH
Berlin, Kreuzberg in einem Ladenlokal am Bergmannkiez. Beim Betreten des Büros von Sascha Peters und Diana Drewes knarzen die alten Dielen unter den Füßen, eine kleine Ausstellung mit Materialinformationen kreuzt das Blickfeld. Es ist ruhig und hell. Und doch ist Haute Innovation – was Sascha Peters im Übrigen wie das französische haute und das englische innovation ausspricht – keines der „wirsitzen-in-großen-Schaufenstern-undsehen-gut-dabei-aus“-Büros. Die Arbeit hier ist sachlich, praxisorientiert, bodenständig. Peters und Drewes führen eine Zukunftsagentur. Sie erfassen aktuelle Material- und Technologieentwicklungen und stellen diese komprimiert ihren Kunden bereit. Man sollte sie jedoch keinesfalls als einfache Dienstleister abstempeln, denn Haute Innovation ist mehr: Peters und Drewes agieren als Wissenslieferanten und Multiplikatoren. Als vernetzte Denkfabrik bringen sie nicht nur Ideen zusammen, sondern auch die Personen und Branchen, die sie entwickeln und nutzen wollen. Ihr Wissen ist ihr Kapital. Sascha Peters und Diana Drewes
kennen den Markt und die Personen, die ihn definieren. Sie wissen, woran die Experten der großen Institute und die Daniel Düsentriebs arbeiten und stehen im ständigen Kontakt mit ihnen. „Einfach formuliert, nehmen wir Innovationen und projizieren sie von einer Branche in die nächste, oder wir zeigen dem Entwickler auf, wie er sein Produkt für mehrere Branchen gleichzeitig interessant machen kann“, fasst Sascha Peters seine tägliche Arbeit zusammen. Mit dieser Strategie haben sich der Material- und Technologieexperte und seine Büropartnerin Diana Drewes, Produktdesignerin, inzwischen deutschlandweit einen Ruf gemacht. Zu ihren Kunden zählen Unternehmen mit Design- und Entwicklungsabteilungen wie Automobilhersteller, Möbelfertiger oder die Bauindustrie. Ebenso verzeichnet das Büro erste Auslandsaufträge. Die kommen aus Polen und Schweden. Das Geheimnis ihres Erfolgs? Peters sieht es in der Zwei-Personen-Struktur des Büros. Er und Drewes machen alles zu zweit – ob Workshop, Rechercheauftrag oder Vortrag. Beide sind stets auf dem neusten Wissensstand. Dies erfordert einen stetigen Austausch – der wäre in einem größeren Team nur schwer möglich. 31 GARTEN+ L ANDSCHAFT
36 GARTEN+ L ANDSCHAFT
KLIMAGERECHTE MATERIALIEN CAST & PLACE, NYC
Dient im Sommer 2017 als Location für ein Kulturfestival auf Governors Island, New York: ein aus 150 000 Dosen Aluminium gegossener Pavillon.
MIT KUNST GEGEN DEN KLIMAWANDEL Klimaabkommen aufgekündigt, Rückkehr zur Nutzung von Kohle und Stahl, Depriorisierung des Umweltschutzes – wie sollen die USA eigentlich in zehn Jahren aussehen? In New York City setzt das interdisziplinäre Team Aesop nun ein Zeichen gegen den Klimawandel. Und dies überraschenderweise mit Aluminium.
Foto: Eva Schweitzer
EVA C. SCHWEITZER
Es ist Mittag, als Powell Draper und seine Kollegin Lisa Ramsburg Anfang Juni 2017 auf der Governors Island, New York, den futuristischen Pavillon ein letztes Mal auf seine Standfestigkeit kontrollieren. Ihr Kollege Josh Draper beseitigt einen Fußstapfen im Lehm. Vor ihnen liegt ihr Werk, ein Pavillon aus drei mal fünf miteinander verbundenen AluminiumPaneelen, jedes einen halben Meter breit und mehr als drei Meter hoch. Was man nicht sieht: Jedes Paneel war ursprünglich ein Lehmbett auf einer Holzplanke, das eine Woche lang getrocknet ist. Allerdings nicht auf Governors Island, sondern in einer Werkstatt in New Jersey. Beim Trocknen entstanden Risse, und in diese Risse gossen die Planer flüssiges Alumini-
FAKTEN
City of Dreams Pavillon WETTBEWERBSAUSLOBER Kunstverein Figment, New Yorker Dachverband des American Institute of Architects, Ingenieursverbindung Structural Engineering Association of New York BEARBEITER Team Aesop (schlaich bergermann partner, PrePost, Edward M. Segal, Max Dowd, Scot W. Thompson) BAUKOSTEN 30 000 US-Dollar MATERIALIEN recycleter Lehm, recycletes Aluminium AUSZEICHNUNG
37 GARTEN+ L ANDSCHAFT
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KLIMAGERECHTE MATERIALIEN INTERVIEW MIT FERDINAND LUDWIG
AUF GRÜNEN SÄULEN GEBAUT Seit März 2017 lehrt der Architekt Ferdinand Ludwig als Tenure-Track Assistant Professor an der TU München „Green Technologies in Landscape Architecture“. Zuvor leitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter das von ihm mitbegründete Forschungsgebiet Baubotanik an der Universität Stuttgart. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht – für einen Architekten ungewöhnlich – die Pflanze. Wir sprachen mit ihm über Vorteile und Herausforderungen des Baustoffs Pflanze in Zeiten des Klimawandels.
INTERVIEWPARTNER
INTERVIEW: TANJA GALLENMÜLLER
Prof. Dr. Ferdinand Ludwig ist Architekt und Wegbereiter der Baubotanik. Seine Projekte verknüpfen die Wachstumsprozesse von lebenden Pflanzen mit einem technischen Ansatz.
Die baubotanische Stegkonstruktion Foto: Cira Moro
„Footbridge“ besteht aus 64 horizontalen und 16 diagonalen Säulen aus je 12 bis 15 Pflanzen (Salix viminalis).
Wie kommt man als Architekt dazu, sich mit dem Baustoff Pflanze zu befassen?
Ich bin im Architekturstudium schon sehr früh über historische Beispiele gestolpert, die sich die Pflanze als architektonisches Element zunutze machen. Später habe ich die Idee weiterverfolgt, diese nicht als vergangene geschichtliche Phänomene zu betrachten, sondern als großes Potenzial, auf Basis dieser historischen Vorbilder neue Lösungen zur Anpassung an den Klimawandel zu entwickeln. Die Pflanze auf diese Art als Baustoff aufzufassen, hatte bisher keine fundierte Grundlage. In meiner Doktorarbeit habe ich daher versucht, einen ersten Schritt zu gehen, um eine adäquate wissenschaftliche Grundlage zu bilden. Aber es ist noch ein weites, offenes Forschungsfeld ...
Was verstehen Sie unter Green Technologies?
Ich nehme das „Green“ sehr wörtlich. Ich versuche, die Pflanze mit all ihren Leistungen, Wirkungen und ihrer spezifischen Ästhetik in den Mittelpunkt des Forschens und Lehrens zu stellen. Der Begriff „Technologies“ beinhaltet für mich, neue Wege zu gehen und viel auszuprobieren. Das heißt konkret?
Das heißt, nicht nur empirisch quantifizierbare Fragestellungen zu beantworten, sondern neue Gestaltungsansätze zu finden und neue interdisziplinäre Konzepte zu entwickeln, mit denen Stadtplanung, Stadtentwicklung und pflanzliches Wachstum in Synergie gebracht werden können. 41 GARTEN+ L ANDSCHAFT