Baumeister 07/17

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BAU ME ISTER

11 4 . J A H R G A N G

Juli

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Medienräume für Menschen

Das ArchitekturMagazin

BIBLIOTHEKEN

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D A,L I CH

16 € 18 € 19,90 € 24 SFR

WANDE LN SICH.


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Köpfe

Ideen

Brauchen wir heute noch Bibliotheken? Unser Heft stellt zeitgemäße Wissensspeicher vor: Medienräume für Menschen.

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Sensible Setzung: Elmar Ludescher bei der Arbeit

Wellenfassade in der Normandie von OMA

12 Freek Persyn

26 Stadtbücherei in Gent

Nicht ganz einfach: Der Partner im Büro 51N4E über Projekte in Albanien

16 Ludescher + Lutz Die beiden Vorarlberger haben Erfolg mit Bauten für die Weinproduktion.

20 Winy Maas Das Team von MVRDV möchte mit seinen Projekten weltweit das Stadtleben fördern.

BAU MEISTER. DE

RCR Arquitectos haben ein bürgernahes Haus für das digitale Zeitalter entworfen.

36 Wissensspeicher in Caen Die „Bibliothèque Alexis de Tocqueville“ von OMA/Barcode Architects: ein Vorbild

46 Bibliothèque Nationale in Paris Die Bibliotheksikone wurde restauriert.

62 Feltrinelli-Stiftung in Mailand Stadtreparatur von Herzog & de Meuron

Im letzten Heft hatten wir über die Vorgeschichte zur Münchner Präsentation des „Futuro“ vor der Neuen Pinakothek berichtet. Auf unserer Website kann man jetzt sehen, wie die Kapsel in natura wirkt.

74 Hinterhofhaus in München Nachverdichtung von Heim Kuntscher

FOTOS V.L .: LUDE SCHE R + LUT Z; IWAN BA AN; RE INHARD SE ISS; ALUCOBOND

Die unterstrichenen Beiträge rechts befassen sich mit dem Titelthema.


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Fragen

Lösungen Gast-Arbeiter

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Vertane Chance: der Wiener Donauraum

Mögliche Fassadenvarianten in Aluminium

82 Brauchen wir heute noch Bibliotheken ?

94 Fassade und Dach

86 Wiens Donauraum: Stadt ohne Planung ? 90 Der neue Architektenvertrag: gut gemeint, aber auch gut gemacht ?

100 Referenz

Paolo Riolzi hat sich gleich nach seinem Architekturstudium der Fotografie gewidmet. Seit 25 Jahren produziert er nun schon Bilder und Videos im Bereich Architektur und Design und lehrt Fotografie in Mailand und Bozen. Für uns hat er die Feltrinelli-Stiftung in Mailand mit atmosphärischen Bildern dokumentiert.

Schüco-Fassade für ein Büro- und Veranstaltungsgebäude

102 Dämmung RUBRIKEN 6 EIN BILD 46 KLEINE WERKE 60 SONDERFÜHRUNG 72 UNTERWEGS 90 ARCHITE K TUR + M ANAGE ME NT 10 0 REFERENZ 10 8 PORTFOLIO: LI CHT, BODE N, I NTE RI E UR 11 3 IMPRE SSUM + VORSCHAU 11 4 KOLUMNE

Der Kulturwissenschaftler und ehemalige taz-Kulturredakteur Henning Bleyl hat den Publizistenpreis des Deutschen Bibliotheksverbands erhalten und kennt sich mit Wissensräumen aus. Er ist derzeit Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung Bremen und beantwortet für uns die Frage, ob heute Bibliotheken noch gebraucht werden.


Kรถpfe

3 und 4

Weinselig Schon zum zweiten Mal wurde ein Weingut vom Zeichentisch der Bregenzer Architekten Ludescher + Lutz preisgekrรถnt :

FOTO: LUDE SCHE R + LUT Z

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2016 das Weingut Högl in der Wachau und im gleichen Jahr das Weingut Schmidt am Bodensee. Wir sprachen mit Elmar Ludescher über den Geschmack von Wein und das Eigenleben von Holz. Text: Karin Leydecker

Muss man Wein lieben, um ein gutes Weingut zu bauen? Elmar Ludescher muss nicht lange nachdenken: „Das allein genügt nicht, man muss schon die richtige Atmosphäre herauskitzeln“, sagt er. Und „man muss Architektur lieben, die immer über das Not wendige hinausgeht und auf subtilen Genuss zielt.“ Aufs Herauskitzeln verstehen sich die beiden Architekten: charmant, souverän und selbstbewusst. Schließlich sind schon zwei Weingüter aus dem Büro von Elmar Ludescher und Philipp Lutz preisgekrönt; 2016 erhielt das Weingut Högl in der Wachau den Staatspreis Architektur, und im gleichen Jahr wurde auch das Weingut Schmidt am Bodensee mit dem Architekturpreis Wein ausgezeichnet – beides wunderschöne Primadonnen mit Bodenhaftung. Dafür steht die Bautradition der Region Vorarlberg und natürlich das Material Holz. Beim Thema Holz gerät Elmar Ludescher ins Schwärmen: „Holz ist

etwas Sinnliches. Es hat Charakter. Holz ist synästhetisches Erlebnis – so wie ein guter Wein.“ Das Weingut am Bodensee Das Weingut Schmidt in Wasserburg am Bodensee war ein Glücksfall, denn es entstand im persönlichen Kontakt mit dem Bauherrn Eugen Schmidt, der die Arbeiten der Architekten kennt und schätzt. Sein Anspruch war enorm: „Ein Schuss, und der muss sitzen.“ Von Weitem wirkt das geschickt in die Topografie der Rebenlandschaft eingebettete Haus für den Wein wie ein überdimensionales A. Ein Dreieck mit mächtigem Satteldach auf einer scheinbar schwebenden Basis, das unter einem Dach Weinproduktion und Gastronomie mit Vinothek vereint. Die vorgeblendete Fassade aus Holzlamellen mit zwei integrierten „Fensterläden“ im Giebel beschat-

tet die raumhohe Glaswand dahinter. Hier liegt der Weinprobenraum: sehr stimmungsvoll in warmen Holztönen gehalten und mit sensationellem Blick weit über den Bodensee hinaus. Ein „extravagantes Objekt, angesiedelt zwischen Architektur, Skulptur und Landschaft“ urteilte die Jury zum Architekturpreis Wein 2016. Aber da ist noch mehr: Der stark präsente Archet yp weckt assoziative Bilder an bäuerliche Traditionen: Man erinnert sich an die alten, historischen Holzgestelle zum Trocknen von Heu – die „Heinzen“, wie man im Vora rlberg sagt –, sieht die sanft beschützende Geste der StadelArchitektur und die große, ruhige Form eines Gehöfts in der Landschaft. „Wir wollten kein Weingut des imperialen Auftrumpfens, wir wollten eine vieldeutige Metapher, die Raum offen lässt für Empfindungen und Interpretationsspielräume“, sagt Ludescher. WEITER


FOTO: DE LF INO SISTO LEGNANI UND M ARCO CAPPE LLE T TI

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MEDIENRÄUME FÜR TITELTHEMA

MENSCHEN


Ideen

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Bei der neuen Bibliothek in Caen könnte es sich auch um einen Gewerbebau handeln, so unscheinbar ist ihr Äußeres. Dabei liegt sie an prominenter Stelle – an der Spitze einer länglichen Halbinsel, die sich bis zum Ärmelkanal erstreckt.

A

Im Zeichen des Kreuzes

uch die Stadt Caen in der Normandie wollte mit einem spektakulären Großprojekt glänzen. Allerdings hat sie sich statt eines Museums eine Stadtbücherei bauen lassen und dafür Architekten gewählt, die praktisch und zukunftsorientiert an die Aufgabe herangingen. OMA hat mit der „Bibliothèque Alexis de Tocqueville“ einen neuen Bibliothekstyp geschaffen, der als transparenter, öffentlicher Raum vor allem den Bürgern der Stadt gewidmet ist.

Architekten: OMA; Barcode Architects

Kritik: Jean-Philippe Hugron


38 Die Attraktion des Gebäudes liegt im Inneren, in diesem weitläufigen Lesesaal in der Mitte des Hauses. Die Architekten bezeichnen ihn als „städtisches Belvedere“.


62

Ideen

4


63 Der Lesesaal der Stiftung ist im Dachgeschoss untergebracht. Die drei-

TITELTHEMA

geschossige Raum-

MEDIENRÄUME FÜR

höhe und die von

MENSCHEN

ganz oben abgehängten Leuchten sorgen für eine feierliche, fast sakrale Atmosphäre.

P

Tradition und Kreativität

olitik, Geschichte, Kultur und Architektur – der neue Sitz der Feltrinelli-Stiftung von Herzog & de Meuron interveniert an einem sensiblen Punkt der Mailänder Innenstadt, an dem alle vier Themen zusammenkommen. Der Entwurfsansatz ist einfach, heilt aber einen seit langem bestehenden, städtebaulichen Riss – und damit auch das Erscheinungsbild der Metropole an dieser Stelle.

Architekten: Herzog & de Meuron Fotos: Paolo Riolzi

Kritik: Leonardo Lella


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Ideen

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Fragen

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Brauchen wir heute noch Bibliotheken ?

Gebäude für Bücher zu bauen, ist eine dankbare Aufgabe. Bücher haben gleichbleibende Bedürfnisse und wirken äußerst dekorativ. Was aber passiert, wenn statt der Medien auf einmal die Menschen im Mittelpunkt der Bauaufgabe stehen? Wie sollen Medienräume für Menschen aussehen?


83 Text: Henning Bleyl

zu können – wenn das ganze Raumprogramm von Magazinierung statt menschlichem Miteinander dominiert wird. Sich informieren in Zeiten von Fake News

Papiermuseum. Als die Schriftstellerin Kathrin Passig diesen Begriff in die Welt setzte – und auf Bibliotheken anwendete – fühlten sich deren Mitarbeiter geradezu verunglimpft. Sollte auf einmal falsch sein, was jahrhundertelang den Kern des Berufsstands ausmachte? Sind materielle Bücher nicht nach wie vor zuverlässige Informationsspeicher (sofern sie nicht aus der Epoche der säurehaltigen Papierproduktion stammen), unabhängig von sich ständig verändernder Datenlese-Technologie und überdies angenehm in der haptischen Handhabung? Aber vor allem: Sieht die Schriftstellerin, würdigt die Öffentlichkeit denn gar nicht, wie sehr sich viele Bibliotheken um ein neues Selbstverständnis bemühen, um Digitalisierung, Partizipation und Aufenthaltsqualitäten aller Art? In der Tat hängt den Bibliotheken noch immer ein von Staub und Stillseinmüssen geprägtes Image nach, obwohl sie sich vielerorts längst neu aufgestellt haben – oder sich zumindest um eine Neuorientierung bemühen. Ein Problem dabei ist: Sie müssen das zumeist in Gebäuden tun, die für Medien gebaut sind, nicht für deren Nutzer. Der Paradigmenwechsel von einer bestandsorientierten Institution, die auf Aufbewahrung setzt, zu einem Ort, an dem die Aufenthaltsqualität im Vordergrund steht, bewegt sich in vorbetonierten Bahnen. Denn es langt nicht, Rollen unter die Regale zu schrauben, um flexibel Platz für Veranstaltungen schaffen

Die demokratische Grundfunktion öffentlicher Bibliotheken ist zur Zeit offensichtlicher denn je, zugleich ihre Bedeutung als frei zugängliche physische Räume: Wer „Fake News“ fürchtet, muss Bibliotheken fördern. Und wer Integration von Zuwandernden möchte, muss Bibliotheken in die Lage versetzen, ihre Potenziale als schwellenarme Bildungsorte noch stärker ins Spiel zu bringen. Dieser Bedarf gilt ebenso für die „biodeutsche“ Bevölkerung. Denn neben der sozialen Spaltung der Gesellschaft gibt es längst die digitale, die zumeist entlang der selben Teilhabe-Trennlinien verläuft. Hinzu kommen generationelle Gegensätze. Das bedeutet: Die elementare Aufgabe von Bibliotheken, Zugang zu Informationen und Wissen für alle zu ermöglichen, gewinnt in der digitalen Welt neue Dimensionen. Ebenso dringend, wie unser Land Zuwanderung benötigt, brauchen wir öffentliche Bibliotheken – um eine Wissensgesellschaft zu werden, die der sozialen und digitalen Spaltung entgegenwirkt. Freilich besteht die Gefahr, dass Bibliotheken digital „verstauben“ und damit rasant an Bedeutung einbüßen. Bibliotheken müssen Hotspots des digitalen Wandels sein, sonst sind sie in Gefahr, unter die Räder der sich immer schneller drehenden virtuellen Welten zu kommen. Und die hat die Fachkompetenz der Bibliotheken nötiger denn je, um nicht vollends den Überblick zu verlieren. Vieles, was über das Netz abrufbar ist, wird durch kommunale und wissenschaftliche Bibliotheken bereitgestellt. Insofern erinnert die missverständliche Metapher vom „Papiermuseum“ an den schlichten Kurzschluss: „Wozu Kraftwerke? Bei uns kommt der Strom

aus der Steckdose!“ Gleichzeitig schafft die Digitalisierung eine physische Entlastung der Bibliotheksräume, die durch eine konsequentere Haltung in Bezug auf die analogen Bestände noch gesteigert werden könnte – das ist berechtigte Teil des Diktums vom „Papiermuseum“. Die Hälfte seiner Ausleihen erlebt ein Buch in seinen ersten beiden BibliotheksJahren. Danach wird es immer ungelesener, also unlebendiger, letztlich tote Materie. Das bedeutet: Bibliotheken müssen den Mut aufbringen, ihre Bestände im Zweifelsfall zu verkleinern. Wir haben es, im Bereich der kommunalen Einrichtungen, mit Post-Wachstums-Bibliotheken zu tun – all das schafft Luft für ein erweitertes Aufgabenprofil. Nebenfunktion Wärmestube In den USA war die (auch) physische Funktion von Bibliotheksgebäuden noch nie zu übersehen. Obdachlose sind dort ein akzeptierter Teil der Nutzerschaft. Die alte Bezeichnung „Lese- und Wärmehalle“ verweist darauf, dass auch in Deutschland thermische Qualitäten als betonenswerter Bestandteil des Raumangebots angesehen wurden. Diese Sichtweise erlebt nun eine Renaissance: Man kann es durchaus als Symptom eines neuen Selbstverständnisses verstehen, dass hierzulande Obdachlose allmählich wieder in Bibliotheken geduldet werden. Analog zur Flüchtlingssituation gilt auch hier: Die sozialen Extremlagen indizieren den Bedarf der Mehrheitsgesellschaft. Die braucht den physischen Ort Bibliothek, um zwei essentielle Bedürfnisse zu befriedigen: das intensive Verfolgen individueller Interessens-Spuren – im Rahmen eines gemeinschaftlichen Raums, in dem Neugierigsein ein kollektives Erlebnis ist. Anders gesagt: Wenn Medialität physische Vereinzelung bedeutet, dann ist die Bibliothek die dazu gehörige, erforderliche Medizin. In ihr

kann man „öffentlich“ sein, ohne sich öffentlich zu präsentieren. Diese duale Basisqualität wird durch die zunehmende Nutzung von Bibliotheken als Ort für Veranstaltungen und Gruppenarbeiten aller Art verstärkt. In skandinavischen Ländern investieren Bibliotheken bereits 70 Prozent ihrer Ressourcen für diesen Teil des Angebotsspektrums; also nur noch 30 Prozent für den Medienbestand. Auch, wenn dieses Verhältnis in Deutschland eher noch umgekehrt ist: Für Architekten stellt sich die Frage nach Konsequenzen. Ihre größte Herausforderung wird darin bestehen, offene Räume zu schaffen. „Unprogrammed spaces“ also, deren Nutzung sowohl im Verlauf eines Tages als auch über Jahrzehnte hinweg variieren wird, und die dennoch über größere ästhetische Qualitäten verfügen als ein multifunktionaler Schuhkarton. Heutige Bibliotheken sind sowohl Makerspaces als auch Co-Working-Hubs, sie beherbergen Klavier und Tischtennisplatten, sind Planungswerkstätten, Leseförderzentren, Hackathons und Treffpunkte für Studiergruppen. Und Medienspeicher. Bildung zugänglich machen Das alles funktioniert am besten dann, wenn Bibliotheken keine abgekapselten Bildungsburgen sind. Bildung muss „embedded“ sein, um zugänglich zu werden. Bibliotheken sind gut beraten, sich räumlich mit anderen Institutionen zusammen zu tun, trotz aller Markenrivalitäten und der Sorge um institutionelle Erkennbarkeit. Stadtplaner und Architekten sollten sie entsprechend beraten: Bibliotheken müssen an Orte, die frequentiert werden – auch, wenn diese Orte mit Bildung rein gar nichts zu tun haben, etwa Einkaufszentren. Dort können Bibliotheken gleich noch als Stachel der Nicht-Kommerzialität im Bewusstsein der Besucher wirken. Der Stuttgarter Neubau von Eun Yung Yi erlebt WEITER


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