Baumeister 11/2018

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BAU ME ISTER

B11

115 . J A H R G A N G

November

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Das ArchitekturMagazin

+ ARGE I FAU/H E I D E & VON BECKER ATH NICOLA BORGMANN GERSTMEIR INIĆ ARCHITEKTEN THOMAS KRÖGER KENGO KUMA & ASSOCIATES MECK ARCHITEKTEN BARARCHITEKTEN O F F I C E W I N H O V/ O F F I C E HARATORI/BDG ARCHITEC TEN CA M ILLE WAL AL A JOOS KELLER

Schuppung, Häutung, Dämmung Was Fassaden heute leisten müssen

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D A,L I CH

16 € 18 € 19,90 € 24 SFR


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Köpfe

Ideen

Schützen, tragen, kommunizieren: Fassaden können heute komplexe Aufgaben übernehmen. Die unterstrichenen Beiträge rechts befassen sich mit dem Titelthema.

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„Häuser des Jahres“-Preisträger: Thomas Kröger

Zwischen Himmel und Erde: Kirche in Poing

10 Nicola Borgmann

22 Museum in Dundee

Kommunikation ist ihre Stärke. Jetzt hat sie dafür einen Preis erhalten.

mit steinerem Mantel von Kengo Kuma

12 BARarchitekten Vergessene Entwurfsmethode: Die Berliner nähern sich ihren Wohnlösungen über Modelle.

16 Thomas Kröger gelingt die Kombination aus ländlicher Bautradition und Moderne spielend.

BAU MEISTER. DE

32 Studentenwohnheim in Eindhoven Ausgeklügelte Tektonik zur Vorfertigung

44 Kirche in Poing Meck Architekten mit seltener Bauaufgabe

56 Fassadensanierung in München von Gerstmeir Inić. Anders als erwartet

64 Wohnblock in Berlin Seltener Idealfall: Alles richtig gemacht

Den diesjährigen Preisträger des Wettbewerbs „Häuser des Jahres“ stellen wir Ihnen hier im Heft in der Rubrik „Köpfe“ vor. Weitere ausgezeichnete Projekte finden Sie auf unserer Website.

72 Wohnheim in Heilbronn SERIE „EXPERIMENTELLES WOHNEN“

Joos Keller nahmen Container zum Vorbild.


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Fragen

Lösungen

Gast-Arbeiter

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Betonskulptur in Buenos Aires aus den 1960ern

Gebäudesicherheit mit Hilfe von Sonnenschutz

80 Learning from Latin America?

90 Fenster, Türen, Tore

FOTOS VON LINKS: T. HE IM AN; FLORIAN HOL ZHE RR; M ARTIN GR ASSE/ TU DORTMUND; WARE M A

84 Wie funktioniert gemeinwohlorientierte Bodenpolitik?

Seit vielen Jahren berichtet die Journalistin Anneke Bokern für uns über Architektur, Design und Kunst aus den Niederlanden, wo sie lebt. Sie organisiert außerdem Architekturführungen und schreibt Reiseführer. Für dieses Heft hat sie sich auf dem Campus Eindhoven umgesehen.

96 Referenz Zugspitz-Restaurantbeleuchtung von Zumtobel

98 News RUBRIKEN 6 EIN BILD 42 SONDERFÜHRUNG 54 KLEINE WERKE 62 UNTERWEGS 84 ARCHITE K TUR + M ANAGE ME NT 86 BAUMEISTER LIVE 96 REFERENZ 106 PORTFOLIO: OBJEKT IM FOKUS 11 3 IMPRE SSUM + VORSCHAU 11 4 KOLUMNE

Michael Heinrich hat nach seinem Abschluss in Fotografie noch ein Architekturstudium an der TU München angeschlossen und ist heute einer der bekanntesten Münchner Architekturfotografen, aber bei weitem nicht nur in Bayern unterwegs. Seit 2003 lehrt er zudem Fotografie an der TU Kaiserslautern.


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FOTO: V & A DUNDE E/HUF TON CROW

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6 Ideen: V & A Dundee Studentenwohnheim in Eindhoven Kirche in Poing Fassadensanierung in München Wohnblock in Berlin Wohnheim in Heilbronn


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Ideen

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Wie ein Schiffsbug ragt der MuseumsDies ist auch der erste Eindruck, wenn man sich über die Eisenbahnbrücke (im Bildhintergrund) der Stadt nähert.

FOTO: R APID VUSUAL ME DIA

bau in den Fluss Tay.


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Ideen

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Gut, schnell, günstig TITELTHEMA Den Campus in Eindhoven dominieren Hochhausscheiben aus den 1960ern, umrahmt von Grünraum. Daher haben die Architekten auch das neue Studen-

FASSADE N

Architekten: Office Winhov/ Office Haratori/ BDG Architecten

tenwohnheim ähnlich konzipiert.

In niederländischen Städten wird Fertigbau immer bedeutender, wo notorischer Wohnraum- und vor allem auch Handwerkermangel herrscht. Wenn außerdem noch ein geringes Budget dazukommt wie bei diesem Studentenwohnheim auf dem Campus der Technischen Universität Eindhoven, ist der tektonische Erfindergeist der Architekten gefragt. Fotos: Stefan Müller

Kritik: Anneke Bokern


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Querschnitt

M 1:5 0 0

Rohbauraster

Regelgeschoss

Erdgeschoss


Ideen

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Die Betonelemente wurden vorgefertigt auf die Baustelle geliefert, dort gelagert, um die Fenster einzupassen

M 1: 2 0 . 0 0 0

Montageschritte

und dann die Elemente schließlich in Position zu setzen. Lageplan

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BAUHERR: Stichting Woonbedrijf SWS/Hhvl ARCHITEKTEN: Office Winhov, Amsterdam, mit Office Haratori, Zürich, in Zusammenarbeit mit BDG Architecten, Almere MITARBE ITE R: Joost Hovenier, Jan Peter Wingender (Office Winhov), Zeno Vogel (Office Haratori) mit Gerard Jansen (BDG Architecten Ingenieurs) TR AGWERKSPL ANUNG: BDG Architecten Ingenieurs,

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Almere KONSTRUK TION: Hurks Delphi Engineering, Veldhoven HLS: Deens Raadgevende Ingenieurs, Eindhoven BAUPHYSIK: Deens Raadgevende Ingenieurs, Eindhoven BAUUNTERNEHMEN: Huybrechts Relou, Son BEZUG: Juli 2016 STANDORT: Studentenwohnheim, Campus Technische Universität Eindhoven, Lismortel, Eindhoven


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G

Vorige Seite: An das Wohnprokekt grenzen das Jüdische Museum, die Jüdische Akademie, der neue Standort der TAZ, eine

anz vereinzelt entstehen in Berlin zwischen all der fantasielosen, billig gebauten und teuer verhökerten Konfektionsarchitektur bemerkenswerte Wohnbauprojekte, wie sie in den Feuilletons und Fachsymposien als zukunftsträchtig herbeigesehnt werden: individuell, unkonventionell, ortsbezogen, mit Mischnutzung und flexiblen Grundrissen für neue Wohnformen und Lebensentwürfe; Bauvorhaben wie „Spreefeld“, „R 50“, „Ausbauhaus“, die nicht von ungefähr fast alle von Baugruppen oder Genossenschaften realisiert worden sind. Vielleicht ist die Lindenstraße 90/91 eines der letzten dieser Projekte, über die berichtet werden kann, denn es sind die galoppierenden Bodenpreise, die diese Form der individuellen Wohnraumproduktion zum Auslaufmodell werden lassen. Wie meist in solchen Fällen von engagierten Architekten initiiert, entstand das Projekt in bester Kreuzberger Lage gegenüber dem Jüdischen Museum. Unmittelbar nebenan in der ehemaligen Blumengroßmarkthalle die Jüdische Akademie, der neue Standort der TAZ, eine Designhochschule und Kunstgalerien bilden die kulturell pulsierende Nachbarschaft. Die Berliner Architekten Heide & von Beckerath und ifau sowie die Selbstbaugenossenschaft Berlin eG agierten anfangs als Projektentwickler, organisierten das Finanzierungsmodell und die Zusammensetzung der Bauherrenschaft um das Modell auf die Schiene zu bringen. Sie organisierten das Finanzierungsmodell und die Zusammensetzung der gemischten Bauherrschaft mit der Selbstbaugenossenschaft Berlin eG und dem Gemeindeverein der Gehörlosen (nebenan gibt es eine Gehörlosenschule). Die Grundstücke am ehemaligen Blumengroßmarkt, die sich im Eigentum des Berliner Liegenschaftsfonds befanden, vergab man in einem konzeptgebundenen Vergabeverfahren. Für die weitere Begleitung der Projektentwicklung und zur Qualitätssicherung von Architektur und Stadtentwicklung wurde unter Einbeziehung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, lokalen Akteuren und externen Gutachtern ein mehrteiliges qualifizierendes Verfahren entwickelt. Vielfalt und eine gute Mischung Ziel für das südlich der Halle gelegene Baufeld waren eine hohe Vielfalt und Durchmischung der Bewohner- und NutWEITER

Designhochschule und Kunstgalerien. Rechts: Der Ausbaustandard der einzelnen Wohnungen ist unterschiedlich und variiert nach Nutzer und Eigentümer.


Ideen

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Fragen

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Learning from... Latin America ?

Seit Denise Scott Brown und Robert Venturi die Devise ausgaben, von Las Vegas zu lernen, sucht die Architekturwelt Ăźberall auf der Welt nach Ăźberraschender Inspiration. Die Architekten Benedikt und Ansgar Schulz finden diese in Lateinamerika. Hier schreiben sie auf, warum.


81 Text: Benedikt und Ansgar Schulz

„Deutsch-brasilianische Umarmung“ titelte baumeister.de Anfang Mai und berichtete über die Realisierung eines Entwurfs von Oscar Niemeyer für eine Kantinenerweiterung der Leipziger Kirow-Werke (unten). Niemeyer baut noch? Sechs Jahre nach seinem Tod? Auch wenn seine Architektur bisweilen übernatürliche Züge zu tragen scheint, gibt es für dieses Projekt eine einfache Erklärung: Man rea-

für den eigenständigen Weg der Architektur Lateinamerikas. Dieser begann in den 1930er-Jahren mit den Planungen für das Erziehungsministerium in Rio de Janeiro, als eine Gruppe junger Architekten um Lucio Costa und Oscar Niemeyer die öffentliche Unterstützung Le Corbusiers für eine neue Architektur nutzte und ein bahnbrechendes Werk ablieferte. Seither bewundern Architekturschaffende aus der ganzen Welt ausdrucksstarke Bauwerke Lateinamerikas. Wir zählen zu unseren persönlichen Lieblingen neben dem erwähnten Erziehungsministerium den Nationalkongress in Brasília von Niemeyer, das Kunstmuseum in São Paulo von Lina Bo Bardi, die dortige Architekturfakultät von Vilanova Artigas, Eladio Diestes Kirche im uruguayischen Atlantida, die Banco de Londres (rechts) von Clorindo Testa in Buenos

le-Kurator 2016 seinen dramaturgisch perfekten Höhepunkt erreichte. Studienreisen Hinsichtlich der LatinoModerne sind wir biografisch vorbelastet. Studienauslandsjahre in Madrid und im paraguayischen Asunción und viele Reisen nach Südamerika haben uns eine besondere Beziehung zum dortigen Architekturgeschehen aufbauen lassen. Seitdem wir an der TU Dortmund lehren und for-

ne Muniz aus São Paulo und der in Santiago de Chile tätige Max Nuñez sind „Shooting Stars“ in ihren Heimatländern und werden international wahrgenommen. Sie stehen für eine starke konzeptuelle Architektur – und damit in der Tradition der lateinamerikanischen Moderne. Kulturelle Unterschiede Warum wirkt auch die aktuelle Architektur Lateinamerikas unverfälschter, ursprünglicher? Warum sind die archi-

Banco de Londres in Buenos Aires, Argentinien, von Clorindo Testa y Sepra (1966) Kirow-Kantine in Leipzig von Oscar Niemeyer (im Bau)

lisiert einen Entwurf, den Niemeyer 2011 auf Bitten des Fabrikchefs skizzierte.

FOTO RECHTS: M ARTIN GR ASSE/ TU DOR MUND

Star Niemeyer Niemeyers Architektur begeistert die Menschen also noch immer. Auch wenn Tom Mayne in seinem empfehlenswerten Buch „100 Buildings“ unter den 100 besten Bauwerken des 20. Jahrhunderts zwei Projekte der Brasilianerin Lina Bo Bardi listet und nur eines von Oscar Niemeyer, ist der Brasilianer der große Star der lateinamerikanischen Moderne. Seine Bauten stehen exemplarisch

Aires und die Kirche des Benediktinerklosters Las Condes in Santiago de Chile von Martín Correa. Viele weitere Beispiele könnten genannt werden, deren Strahlkraft bis nach Europa reicht. Auch wenn die lateinamerikanische Architektur aufgrund diverser Militärdiktaturen und ökonomischer Probleme immer wieder Durchhänger hat, fasziniert sie bis heute. Ihre aktuell letzte große Würdigung erhielt sie mit dem „Chile-Hype“, der mit der Vergabe des Pritz ker-Preises an Alejandro Aravena und seiner Berufung zum Bienna-

schen, beschäftigen wir uns auch analytisch mit lateinamerikanischer Architektur. In Seminaren, Exkursionen und Workshops versuchen wir herauszubekommen, warum uns und viele andere die Latino-Architektur fasziniert. Und was wir womöglich von ihr lernen können. Bisheriger Höhepunkt unserer wissenschaftlichen Aktivitäten war ein Symposium im Dezember 2017 mit jungen Protagonisten der südamerikanischen Architekturszene. Tristán Dieguez aus Buenos Aires, die in Montevideo arbeitenden Brüder Marcelo und Martín Gualano, Cristia-

tektonischen Gesten oftmals kraftvoller und emotionaler als bei uns, unbeschwerter und von größerer Leichtigkeit? Womöglich – so zumindest unsere These – gibt es schlicht mehr architektonischen Spielraum in Lateinamerika. Das Komfortdenken ist geringer ausgeprägt als in Europa. Die Anforderungen an Architektur werden stärker vom Zusammenleben der Menschen bestimmt, nicht vom Abgrenzen voneinander. Zwangsläufig ist auch das Dickicht an Regelwerken des Bauens nicht ansatzweise so ausgeprägt wie etwa in Deutschland. Projekte in WEITER


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