Geschichten und Rezepte aus dem echten
COUNTESS OF CARNARVON
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COUNTESS OF CARNARVON
ZU GAST IN HIGHCLERE CASTLE DOWNTON ABBEY
Geschichten und Rezepte aus dem echten
CALLWEY 3
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INHALT 7
149
VON SCHLOSS HIGHCLERE ZU „DOWNTON ABBEY“
RUNDGANG
11
VON DER ARCHITEKTUR ZUR POLITIK
Disraeli, das Wahlrecht und die Kanadische Konföderation Oktober 1866
DAS EMPFANGSZIMMER 157 PORTRÄT
PAT WITHERS Malerin & Dekorateurin 159 AUS DER SCHLOSSKÜCHE
33
FRÜHSTÜCK
GEMÜSE, SUPPEN & HERZHAFTES
43
189
RUNDGANG
MUSIK & MISSKLANG
AUS DER SCHLOSSKÜCHE
DER SALON 51 PORTRÄT
MARGERY GOLDSMITH Schlossführerin
Sir Malcolm Sargent und der Londoner Kreis Ostern 1935 207 PORTRÄT
53 AUS DER SCHLOSSKÜCHE
FISCH & MEERESFRÜCHTE 75 PORTRÄT
LES TAYLOR Leiter des Sicherheitsdienstes 77
EIN WOCHENENDE MIT HENRY JAMES
„Alles wird niemals erzählt ... es setzt sich zusammen.“ August 1886
DIANA MOYSE Hauswirtschaftsleiterin 209 AUS DER SCHLOSSKÜCHE
NACHMITTAGSTEE 219 RUNDGANG
DER SPEISESAAL 225 AUS DER SCHLOSSKÜCHE
SÜSSES
93
257
RUNDGANG
PORTRÄT
DIE BIBLIOTHEK
MIKE WITHERS Imker
101
259
AUS DER SCHLOSSKÜCHE
ZU HAUSE
FLEISCH, WILD & GEFLÜGEL 127 PORTRÄT
Ein Wochenende auf Highclere heute 283
EDDIE HUGHES Parkaufseher
DANKSAGUNG
129
284
KÖNIGSHAUS & REICHTUM
LITERATUR
Ein Besuch des Prince of Wales Dezember 1895
285
REGISTER
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VON SCHLOSS HIGHCLERE ZU „DOWNTON ABBEY”
Wer hätte gedacht, dass sich Millionen von Menschen auf
ist in der Tat das Haus, in dem wir leben, mit seinen Möbeln,
der ganzen Welt sonntagabends vor dem Fernseher versam-
Teppichen, Vorhängen und Gemälden. Auch hat sich die
meln, um ein Kostümdrama auf einem Schloss in England zu
Lebensweise auf einem solchen Landsitz in den letzten hun-
verfolgen. Wie in jeder klassischen Detektivgeschichte gibt
dert Jahren nicht wesentlich verändert. Wir leben nach einem
es eine breitgefächerte Besetzung, von Aristokraten wie Lord
landwirtschaftlich geprägten Kalender und mit typisch länd-
Grantham und Lady Mary bis „hinunter“ zu den Bediensteten.
lichen Beschäftigungen wie Jagen im Winter und Cricket im
Da sind Carson, der Butler, die Köchin Mrs Patmore, Daisy,
Sommer. Wir geben auch heute noch Wochenendgesellschaf-
das Küchenmädchen, Thomas, der Diener, und weitere Kam-
ten mit traditionellen Freizeitbeschäftigungen wie Reiten,
merdiener und Chauffeure, die ihren Träumen vom sozialen
Spaziergängen, Picknicks, Konzerten und Tanz. Wie in der
Aufstieg nachhängen. Es gibt die beiden typischen biestigen
6. Staffel von Downton Abbey sind wir für die Öffentlichkeit
Schwiegermütter, rivalisierende Schwestern, einen Vater, der
zugänglich und freuen uns, Besucher zu verschiedenen Zeiten
ein paar Fehler macht, und auch die obligatorische amerika-
des Jahres zu empfangen. Unsere fantastisch loyalen Mitar-
nische Erbin fehlt nicht. Mit fabelhaften Kostümen, schönen
beiter sind hier oft schon seit mehreren Generationen tätig.
Autos und amüsanten Bonmots entwickelte jede Staffel eine
Wir unterscheiden uns von der Downton Abbey-Ära
eigene Handlung mit ihren dazugehörigen zwischenmenschli-
dadurch, dass wir im 21. Jahrhundert mit unseren Mitarbei-
chen Krisen.
tern tatsächlich zusammenarbeiten, um dieses wunderbare
Noch erstaunlicher ist für mich, dass diese überaus
Haus für künftige Generationen zu bewahren. Wir alle müs-
erfolgreiche Sendung in unserem Haus stattfindet: einem ech-
sen die Ärmel hochkrempeln, um den reibungslosen Ablauf
ten Haus, allerdings mit 200 bis 300 Zimmern, wo wir leben
unserer Veranstaltungen zu gewährleisten und dafür zu
und schlafen. Wir können uns glücklich schätzen: Es ist ein
sorgen, dass die Farm weiterhin gedeiht und das Anwesen mit
schöner Ort zum Leben und Arbeiten, mit einem spektakulä-
den Bedürfnissen der modernen Welt Schritt hält.
ren Park und wunderschön gewachsenen Gärten, die uns viel
Der Jahresbeginn war in den letzten Jahren immer von
Freude machen. Highclere ist ein Anwesen mit einer eigenen
der Ankunft der Downton Abbey-Entourage an den ersten
Farm, Wäldern und Cottages und natürlich einer echten Fami-
Tagen des feuchtkalten Februars geprägt. Wir arbeiteten viel
lie und echten Angestellten. So gesehen ist das reale Leben
mit dem Filmteam und den Schauspielern zusammen, die
auf Schloss Highclere in fast jeder Hinsicht, sowohl in Bezug
immer wieder in denselben Räumen, Korridoren, Treppen
auf die Menschen als auch auf den Betrieb, mit Sicherheit
und Galerien drehten, aber auch neue Drehorte in und um
komplexer als in der TV-Serie.
die Gärten, im Park und in den Zierbauten und Cottages
Die Ähnlichkeit zwischen der Serie und Highclere zeigt
erkundeten. Wichtig war auch die Zusammenarbeit mit den
sich aber darin, dass für das Set im Schloss nur wenig ver-
Produktionsmitarbeitern und Location Scouts. Mitten im
ändert werden musste. Natürlich mussten moderne Vorrich-
Frühjahrsdreh gab es immer eine zweiwöchige Pause, um
tungen wie Steckdosen und Brandschutz-Hinweise verdeckt
das Schloss über Ostern für die Öffentlichkeit zu öffnen und
werden, aber was Sie ansonsten auf dem Bildschirm sehen,
die Ostereiersuche für das örtliche Kinderhospiz zu veran-
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stalten. Im Sommer wurde mit diversen Unterbrechungen
Für mich ist unser Haus immer einer der Stars der
weitergedreht, bis die unvermeidliche Panik angesichts der
Sendung gewesen: Es spricht nicht, aber die Präsenz und
näher rückenden Schlossöffnung Anfang Juli ausbrach, zu
Schönheit des Schlosses prägen die Serie entscheidend. Es
der Downton definitiv verschwunden sein musste. Mit am
beherrscht die Folgen, spiegelt Stimmungen und verstärkt
liebsten erinnere ich mich daran, wie an dem damals bis dato
die Handlung. Aber auf beruhigende Weise bleibt es immer
heißesten Tag des Jahres der Weihnachtsbaum aufgestellt
gleich. Highclere wurde gebaut, um inmitten einer maleri-
wurde und die Schauspieler in Wintermontur und aus vollem
schen Landschaft zu begeistern. Sein Reiz entfaltet sich aus
Halse Weihnachtslieder sangen. Danach fuhren die unzähli-
jeder Perspektive und in jedem Licht. Jedes meiner Bücher
gen weißen Vans die Kiesauffahrt hinunter – bis zum nächsten
erhielt den Arbeitstitel „Ein Sinn für den Ort“, und so wie ich
Jahr. Die endgültige Abreise des Teams am Ende der Drehar-
versucht habe, mein eigenes Schreiben danach auszurichten,
beiten zur 6. Staffel war in der Tat sehr seltsam, da wir uns so
stützt er auch die Fernsehserie. Letztendlich geht es sowohl in Downton Abbey als auch
sehr an den Zeitplan gewöhnt hatten, aber die Geburt neuer Welpen trösteten mich ein wenig darüber hinweg.
auf Highclere um eine Familie. Es ist ein Haus, in dem wir alle
Manche Gepflogenheiten hier sind neueren Datums. Auf-
leben und arbeiten, in der Fiktion wie in der Realität. Es ist
grund der Beliebtheit von Downton Abbey geben mein Mann
romantisch, nostalgisch, hat großartige Traditionen und sym-
und ich jetzt jedes Jahr im September eine Gartenparty. Das
pathische Bewohner, und viele Leute fühlen sich unter ande-
Wetter ist dann oft am schönsten, und sie ist zugleich ein
rem deshalb angesprochen, weil es immer um die Höhen und
wunderbarer Abschluss der Sommersaison. Wir legen uns
Tiefen des Familienlebens geht. Highclere macht Geschichte
mächtig ins Zeug, um ein typisch englisches Erlebnis auf die
sichtbar, mit Menschen, die hier seit 1300 Jahren leben. Für
Beine zu stellen mit Karussells, Krocket und hübsch deko-
mich ist es ein Anker in die Vergangenheit, der mir auf meiner
rierten Zelten, wobei die Gäste gebeten werden, in Downton
Reise durch das heutige Leben dabei hilft, meine Arbeit zu tun
Abbey-Kostümen zu kommen. Wir vergeben Preise, etwa
und andere an diesem Ort teilhaben zu lassen.
für den besten Carson oder die beste Lady Edith. Die Gäste können auf den Rasenflächen oder in den Zelten picknicken
Ich hoffe, dieses Buch gibt einen Einblick in ein großarti-
und Pimm´s oder Champagner trinken, wenn sie auf dem
ges Haus, mit Rezepten, Geschichten über Herrschaften und
Gelände flanieren. Anscheinend mochte S.K.H. der Prince of
Dienerschaften sowie bemerkenswerten historischen und
Wales (der spätere Edward VII.), der 1895 auf Highclere zu
exklusiven aktuellen Fotografien. Das Schloss wurde gebaut,
Gast war, Joseph-Perrier-Champagner. Tatsächlich wird die-
um als geliebtes, eindrucksvolles Zuhause zu dienen und
ser bis heute im Schloss serviert, jetzt sogar in einer speziell
Wochenendgesellschaften einen würdigen Rahmen zu bieten.
angefertigten Flasche mit unserem Highclere-Etikett, die wir auch verkaufen.
„Es ist vielleicht das Beste, mit den Einleitungen aufzuhö-
Andere Traditionen sind weitaus älter, wie die im Januar
ren und mit dem Buch anzufangen.”
stattfindende Burns Night. Das Kapitel „Zu Hause” enthält
A.A. MILNE - Pu der Bär
Rezepte der traditionell an diesem Abend servierten Gerichte und beschreibt die Rituale der Feier. Mein Mann trägt zu diesem Anlass gerne seine geliebte Hausjacke, und man sieht auch schottische Kilts oder Trews. Oft verbringen unsere Freunde Julian und Emma Kitchener Fellowes dieses und viele andere Wochenenden mit uns. Julian ist nicht weniger als der Autor von Downton Abbey. Er beschrieb Schloss Highclere als gemütlich und prächtig zugleich und soll es beim FIONA
Schreiben der Serie tatsächlich im Sinn gehabt haben.
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– 8TH COUNTESS OF CARNARVON
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LINKS
Der Blick vom Salon durch die Eingangstür hinaus auf eine Zeder im Schlosspark RECHTS
Auszug aus dem Gästebuch vom Oktober 1866 mit der Unterschrift Benjamin Disraelis, damals Schatzkanzler, und anderer Kabinettsmitglieder
VON DER ARCHITEKTUR ZUR POLITIK Disraeli, das Wahlrecht und die Kanadische Konföderation Oktober 1866 Benjamin Disraeli war ein Politiker, der es aus eigener Kraft zu Ruhm und einer hohen, würdevollen Position brachte. Er vereinte Intelligenz, Ehrgeiz und politisches Geschick und wurde 1866 zum dritten Mal Schatzkanzler. Wie seine früheren Amtszeiten war auch diese nur von kurzer Dauer. Seine vorherigen Haushalte hatten die Regierung 1852 und 1858 erneut zu Fall gebracht, obwohl Disraeli nicht allein für den landesweiten Verlust des Vertrauens in seine Partei verantwortlich war. Im Rückblick entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, ihm die Finanzen des Landes anvertraut zu haben, obwohl er seine privaten nicht im Griff hatte. Schlechte Investitionen in jungen Jahren hatten zu Schulden geführt, die nur bis zu einem gewissen Grad durch die Ehe mit einer wohlhabenden Witwe abgebaut wurden. Die finanzielle Unsicherheit war während seiner politischen Karriere und im Alltag eine ständige Belastung.
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B
enjamin Disraeli und seine Frau Mary
raeli genoss die Fahrt durch den Schlosspark, die beim
Anne hatten einen Großteil des Som-
Eingang der London Lodge begann. Der Wagen passierte
mers in ihrem Haus in Buckinghamshire
eine dichte Pflanzung von Rhododendren, bevor die Pferde in
verbracht. Sie hatten dort einiges renoviert,
flottem Trab den Anstieg zum Diana-Tempel nahmen, einem
und besonders die Gartenarbeit hatte es Mary Anne angetan.
kreisförmigen, neoklassizistischen Gebäude oberhalb des
Beide hatten sich in der Rolle von Gutsbesitzern eingerichtet.
Dunsmere-Sees. Die Eichen und Buchen leuchteten in golde-
Da der 4. Earl of Carnarvon, Henry Howard Molyneux
nen Herbstfarben. „Ist dieser Park nicht entzückend?“, rief
Herbert, der Staatssekretär für die Kolonien und Mitglied
der Schatzkanzler seiner Frau zu.
des Geheimen Rates war, Disraeli nach Highclere eingeladen
Die Pferde nahmen Geschwindigkeit auf, als der Wagen
hatte, bat dieser seinen Privatsekretär Montagu Corry, den
Richtung Brücke weiterfuhr. Als sie vor der Brücke wieder
gesamten offiziellen Schriftverkehr nach Highclere zu senden.
langsamer wurden, erblickte Mary Anne zwischen den vielen
Nach dem Wochenende planten die Disraelis, mit dem Zug
kleinen Inseln im See zwei Schwäne. Dies freute sie sehr, da
nach London zurückzufahren, da das Parlament seine Arbeit
sie in ihrem Garten in Hughenden in einem Forellenbach
nach der Sommerpause wieder aufnahm.
selbst zwei Schwäne namens Hero und Leander besaß.
Am 26. Oktober, einem Freitagnachmittag, holte Lord
Nach etwa einer weiteren halben Meile erreichte der
Carnarvons Kutsche sie am Bahnhof von Highclere ab. Dis-
Wagen das Schloss. Kies knirschte unter den Hufen der
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LINKS
Der Tempel von Diana heute, wie ihn die Gäste bei ihrer Ankunft sahen RECHTS
Benjamin Disraeli (1804–1881). Der 1. Earl of Beaconsfield war zweimal britischer Premierminister, darüber hinaus Oppositionsführer. Disraeli gilt als Urvater des progressiven Konservatismus und war ein enger Vertrauter Königin Victorias.
Pferde. Disraeli lehnte sich hinaus, um die bezaubernde,
bury) gerade angekommen waren. Cranborne war ein großer
aufwendige Fassade im Abendlicht zu bewundern. Es war
bärtiger Mann mit einem starken Hang zu Selbstironie, der
sein erster Besuch auf Highclere, und das Gebäude war
in Gesellschaft enger Freunde gerne und viel lachte. Er hatte
wirklich prächtig.
sich 1856 in seine jetzige Frau Georgina verliebt – sehr zum Unmut seiner Eltern.
Der 3. Earl of Carnarvon hatte den Architekten Sir Charles Barry beauftragt, das Haus auf Highclere umzubauen. Dieses große Projekt begann 1842. Barry war ein gefragter Ingenieur und Verfechter der italienischen Archi-
Dennoch blieben die Cranbornes einander ergeben, und
tektur. Nach dem Brand des Westminster Palace 1834 hatte
sie wurde seine emotionale Hauptstütze und Vertraute. Beide
er den prestigeträchtigen Auftrag erhalten, das Parlaments-
waren klug und für ihren Intellekt und ihre Liebe zur Kultur
gebäude wieder aufzubauen. Während die Umbauarbeiten
bekannt, nicht so sehr für ihr Interesse am gesellschaftlichen
auf Highclere 1860 mehr oder weniger abgeschlossen waren,
Leben oder Sport. Cranborne war sehr stolz auf seine Familie,
nahm die Arbeit am Parlament ein weiteres Jahrzehnt in
sowohl auf seine Abstammung als auch auf seine Kinder. Er
Anspruch. Nach dem Tod seines Vaters vollendete der 4. Earl
war jedoch kein konventioneller Konservativer, da er tradier-
of Carnarvon den Innenausbau des Schlosses, und so begann
tes Wissen hinterfragte, bevor er sich für eine Sache einsetzte.
die Ära seiner berühmten „Wochenendgesellschaften“.
Disraeli hatte sehr gehofft, dass Lady Carnarvons Mutter,
An der Eingangstür des Schlosses stand Mr Allan, der
Lady Chesterfield, an diesem Wochenende anwesend sein
Haushofmeister, um die Disraelis hereinzuführen. Allan war
würde. Ihr Mann war kürzlich gestorben, und er wollte sein
sich der Bedeutung der Gäste – und seiner eigenen – wohl
Beileid bekunden und seine Unterstützung anbieten. Mary
bewusst und hatte den Butler Thomas angewiesen, sich etwas
Anne war dagegen sehr erleichtert, dass Lady Chesterfield
hinter ihn zu stellen. Die Bediensteten standen an einer Seite
das Wochenende in Bretby House in Derbyshire verbrachte.
aufgereiht, bevor sie zur Kutsche eilten, um die Wagenstufen
Disraeli verbeugte sich vor Lady Carnarvon und kondolierte
auszuklappen und den Gästen behilflich zu sein.
zum Tod ihres Vaters. Einige Jahre später, als Disreali selbst Witwer war, legte er Lady Chesterfield sein Herz zu Füßen
Allan führte sie in den Salon, wo man sich
und versuchte mehrmals, sie zur Heirat zu bewegen – er war
vor dem Tee versammelte. Lady Carnarvon erkundigte sich
hoffnungslos verliebt. Lady Carnarvon war jedoch strikt
freundlich nach dem Verlauf der Reise. Sie erzählte, dass
gegen die Verbindung, und letzten Endes haben weder
Lord und Lady Cranborne (die späteren Lord und Lady Salis-
Disraeli noch Lady Chesterfield wieder geheiratet.
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Sir Charles Barrys Zeichnung für den Portikus an der vorderen Seite des Schlosses, Februar 1842. Barry war einer der herausragenden Architekten des viktorianischen Zeitalters. Parallel zum Wiederaufbau der Houses of Parliament in London leitete er den Umbau von Highclere Castle im Auftrag des 3. Earl of Carnarvon. Für seine Verdienste um die Architektur wurde Barry 1852 zum Ritter geschlagen.
Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln wurden die Disraelis die breite Eichentreppe zur Galerie und den Gästezimmern hinaufgeführt. Mary Anne freute sich über die kleine Sitzecke im Turm am anderen Ende des Raumes. Es war ein charmanter Ort zum Ausruhen. In jedem Raum brannte ein Kaminfeuer, und ein Dienstmädchen stand bereit, um ihr beim Umziehen für den Tee behilflich zu sein. Mary Anne hatte sich in letzter Zeit unwohl gefühlt, wollte aber ihren Mann damit nicht behelligen. Er erwartete sie, und gemeinsam gingen sie nach unten. Einige der Gäste hatten sich bereits vor einem einladenden Feuer im Salon zum Nachmittagstee versammelt. Draußen neigte sich der Oktoberabend seinem Ende zu, und das schwache Licht verblasste langsam. Stimmen aus der Vorhalle kündigten Lord Carnarvon und einige Gästen an, die von einem flotten Parkspaziergang zurückkamen. Nachdem sie ihre Mäntel abgelegt hatten, folgten George Verdon und Frederic Rogers ihrem Gastgeber auf der Suche nach Wärme und Tee. Verdon war mit siebzehn Jahren nach Australien ausgewandert und später zurückgekehrt, um die Interessen des Staates Victoria zu vertreten. Er war oft zu Gast auf Highclere. Sir Frederic Rogers war Ständiger Unterstaatssekretär für die Kolonien. Das damalige Kolonialamt wurde wie ein Club für Gentlemen geführt, und dank der Gelehrsamkeit der Mitarbeiter war es trotz kurzer Arbeitszeiten und langer Ferien eine sehr effiziente Abteilung. Lord Carnarvon hatte von 1858 bis 1859 als Unterstaatssekretär für die Kolonien unter Lord Derby gedient und im Juli 1866 die Abteilungsleitung übernommen.
Oktober 1866
LINKS
Sir Charles Barrys Entwurf für den Salon, das Herz von Schloss Highclere. Der mittelalterliche Palast, der hier einst stand, diente ihm offensichtlich als Inspiration. RECHTS
Bleistiftzeichnung des 4. Earl und der Countess of Carnarvon
Der groß gewachsene Lord Cranborne gesellte sich
den Ministern und war ein kluger Kopf. Nach dem Besuch
hinzu. Wie immer höflich, unterhielt er sich etwa eine
von Eton erhielt er ein Stipendium für Oxford und schloss
halbe Stunde mit den Damen, bevor er sich in die Bibliothek
in Mathematik und Klassischer Literatur mit Bestnote ab. Er
zurückzog, gefolgt von einem Diener, der ein Tablett mit Tee
war gutaussehend, salonfähig und mit seinem attraktiven
trug – Lord Cranborne war dafür bekannt, Unmengen von
Lächeln der Liebling aller Gastgeberinnen.
Tee zu trinken. Er galt als etwas rätselhafter und unnahbarer Mann, der eine große Leidenschaft für Bücher hegte,
Rogers und Carnarvon sprachen über die
und sein großartiger Freund und Gastgeber Lord Carnarvon
nicht gerade leichte Aufgabe, die ihnen im nächsten Jahr
verfügte in seiner neuen Bibliothek über eine faszinierende
bevorstand: die Errichtung einer unabhängigen kanadischen
Sammlung. Diese bestand aus über 5000 Bänden, darun-
Föderation.
ter einige seltene Exemplare, wie Orlando Furioso von
Ursprünglich sollte John A. Macdonald als Teil der kana-
Ariosto (1538) oder Silva, eine aus dem vorigen Jahrhundert
dischen Delegation nach England kommen. Es kursierte das
stammende berühmte Abhandlung über Bäume, die Evelyn
Gerücht, dass sein „berüchtigtes Laster“ der Grund für seine
gehörte, eine vierte Ausgabe von Shakespeares Stücken aus
Verspätung war. Für Carnarvon war er „der fähigste Politiker
dem Jahre 1685 sowie Traktate von Thomas Hobbes von
in Oberkanada“, doch beschwerte er sich darüber, dass Mac-
1682. Die Bücher waren sorgfältig katalogisiert und standen
donalds „Trunksucht manchmal dazu führte, dass er tagelang
auf Regalen aus Mahagonifurnier, die mit Schnitzereien
keine Amtsgeschäfte verrichten konnte“.
von wild wachsenden Blättern und Gartenfrüchten verziert
Carnarvon erfuhr jedoch durch ein Telegramm, dass die
waren. Nach dem Tod Barrys im Jahre 1860 hatte der Archi-
Verzögerung der kanadischen Delegierten auf „verschiedenen
tekt Thomas Allom die Fertigstellung des ansprechenden
Gründen“ beruhte.
Zimmers übernommen.
Während die Kanadier fehlten, war Australien gut vertreten: George Verdon war den Sommer über ein regel-
Georgina Cranborne blickte ihrem Mann liebevoll nach, während sie mit ihrer Gastgeberin sprach. Lady Carnarvon
mäßiger Gast auf Highclere gewesen. Nun wollte er die Gele-
schenkte den Tee ein und die Diener boten kleine Stücke
genheit dazu nutzen, Disraeli in einer für die Zukunft seines
Pflaumenkuchen, Crumpets und Sandwiches an.
Heimatstaates äußerst wichtigen Angelegenheit zu konsultieren.
In der Bibliothek hatte Cranborne es sich in einem
Dem Schatzkanzler war bewusst, dass Verdon seine
dunkelroten Ohrensessel an dem aufwendig dekorierten Kamin bequem gemacht. Frederic Rogers stand neben ihm.
eigenen Vorstellungen besaß und die Seeverteidigung von
Er arbeitete im Kolonialamt unter sechs aufeinanderfolgen-
Victoria ansprechen wollte. Konkret hoffte er, Geld für ein
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LINKS
Gäste vor der Schlossbibliothek, um 1866. Von links: Lord Derby; eine unbekannte Dame; Montagu Corry (Benjamin Disraelis persönlicher Sekretär); George Verdon; Lady Carnarvon; eine weitere unbekannte Dame. RECHTS
Bücher in der herrlichen Bibliothek von Highclere, die der Gast Lord Cranborne gern gelesen hat GANZ RECHTS
Eine seltene Shakespeare-Ausgabe aus dem 17. Jahrhundert. Die Bibliothek von Highclere umfasst 6500 Bücher, darunter viele seltene Stücke.
Georgina und ihre Gastgeberin, Evelyn Carnarvon, blieben im Salon und zogen Mary Anne Disraeli ins Gespräch. Letztere war mit vierundsiebzig Jahren doppelt so alt wie sie und neigte dazu, den Gesprächsfaden zu verlieren. Sie war glücklich, von ihrem neuen italienischen Garten zu erzählen, und Evelyn beglückwünschte sie zum neuen Amt ihres Mannes. Mary Anne hing uneingeschränkt an ihrem Mann, den sie „Dizzy“ nannte und als begnadetes Genie betrachtete. Nach dieser netten Bemerkung zog sie sich zurück, um sich für das Dinner umzuziehen, während Evelyn und Georgina in die Kinderzimmer in der obersten Etage des Schlosses hinaufschlichen, um ihren Sprösslingen Gute Nacht zu sagen.
Kriegsschiff beschaffen zu können. Er wollte dafür jede sich an diesem Wochenende bietende Gelegenheit nutzen. Bereits
Die Freundschaft zwischen den Familien Carnarvon
im Vormonat hatte er auf Highclere die Aufmerksamkeit
und Cranborne war so eng, dass Evelyns Tochter und
von Lord Carnarvon in dessen Funktion als Kolonialsekretär
Cranbornes nächster Sohn den jeweils anderen Familienna-
in Anspruch genommen. Verdon wollte ihn nun mit einer
men – „Cecil“ und „Herbert“ – als zweiten Vornamen erhiel-
Charmeoffensive für sich gewinnen, denn Carnarvon war
ten. Die Männer übernahmen die Patenschaft von jeweils
schließlich der Mann, der das Schiff zur Sicherung der austra-
einem ihrer Kinder. Evelyns zweijährige Tochter Winifred
lischen Küste finanzieren konnte.
und der kleine George befanden sich in der Obhut von Kinderfrau und Kindermädchen.
Verdon war ein passionierter Gesellschafter und aufmerksamer Gast. Während des Tees hatte er bereits sein
Der Kinderbereich wurde aufgrund seiner räumlichen
gewinnendes Lächeln eingesetzt, um Mrs Disraeli dazu zu
Lage unterm Dach fast wie eine separate Einrichtung geführt,
bewegen, sich bei ihrem Mann für sein Anliegen einzusetzen.
mit einer Tag-und-Nacht-Betreuung. Die Kinderfrau stand
Im Gegensatz zu den anderen Herausforderungen, denen
im Rang der Diener direkt unter Lady Carnarvons Kammer-
sich Disraeli nach dem Scheitern von Russells Wahlreform
zofe. Sie wuselte in ihrem weißen Kittel gut gelaunt durch die
im Sommer und den darauffolgenden Aufständen in London
Kinderzimmer und sorgte, vernünftig und liebevoll zugleich,
gegenübersah, war die australische Anfrage Verdons ver-
für Ordnung. Die kleine Winifred tapste fröhlich über die
gleichsweise einfach.
Teppiche, um in die Arme ihrer Mutter zu fallen. Ihr drei
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Monate alter Bruder George lag wohlig in der Obhut eines
Dennoch erwartete man nach 6 Uhr abends Gesellschafts-
Kindermädchens in seiner Wiege. Die alte Kinderfrau der
kleidung. Das große Schloss wurde von Kerzen und den
Carnarvons, Mrs Morton, saß in einem Schaukelstuhl in der
neuen Paraffinöllampen beleuchtet – es waren so viele, dass
Ecke. Lord Carnarvon liebte die winzige alte Dame sehr und
ein Mann eigens dafür angestellt war, sie täglich an- und
obwohl sie mit ihren dreiundneunzig Jahren sehr zerbrech-
auszumachen, zu reinigen und zu warten. Jeden Morgen und
lich war, war ihr Verstand noch hellwach. Ein Diener hatte
Abend wanderte er über die Galerien, Treppenabsätze und
gerade mehr Kohlen für das Feuer gebracht und sollte nun
Korridore aller Stockwerke und benötigte hierfür jeweils bis
warme Milch aus der Schlossküche holen. Lady Carnarvon
zu zwei Stunden.
liebte es, ihre Kinder zum Tee zu sehen, hatte ansonsten aber
Die Diener brachten Krüge mit heißem Wasser, und die
wenig Zeit an einem solchen Wochenende. Ihr Mann war
Dienstmädchen eilten lautlos herbei, um beim Ankleiden
noch weniger abkömmlich.
behilflich zu sein. Jeder der weiblichen Gäste war mit einer Zofe angereist. Sie musste in der Lage sein, die Frisur zu
Als die Standuhr vor der Bibliothek schlug,
richten, sich um die Kleidung ihrer Herrin zu kümmern,
war es Zeit für die Männer, sich zurückzuziehen. Die
Reparaturarbeiten auszuführen und Kleidung und Acces-
Wochenendgesellschaften bestanden damals in der Regel aus
soires für jede Gelegenheit auszuwählen. Eine solche
nicht mehr als neun oder zehn Personen. Größere Versamm-
Stellung war sehr begehrt, da sie nicht nur gut bezahlt
lungen wurden in jenem Jahrhundert erst später populär.
war, sondern die Mädchen profitierten auch davon, dass
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sie die alte Kleidung ihrer Herrin erhielten, die sie behalten
Nachdem sie geruht hatten, begannen Lady
oder verkaufen konnten. Der Stellenwert der Zofen war
Carnarvon und ihre weiblichen Gäste mit der Prozedur, sich
so groß, dass sie immer selbst eine Art Abendkleid anzogen,
zum Abendessen umzuziehen. Ihre Zofen richteten geschickt
bevor sie das Abendessen im Esszimmer der Dienerschaft
Frisur und Schmuck. Nachdem die Damen ihr Erscheinungs-
einnahmen.
bild überprüft und Schals gegen die Zugluft angelegt hatten,
Aber sie waren nicht die einzigen Angestellten, die sich
begleiteten ihre Ehemänner sie über die Galerie zur großen
umziehen mussten. Auch die Diener eilten in ihre Zimmer
Eichentreppe. Die hochgeschlossenen, dekorativen Tagesklei-
an der Rückseite des Schlosses, um die Abendkleidung
der waren durch schöne, tief ausgeschnittene Abendkleider
anzulegen – Seidenstrümpfe, Kniehosen, Livreen, weiße
aus prächtigem Satin und feiner Spitze ersetzt worden, zu
Handschuhe und zuletzt ihre Perücken. In ihren makellosen
denen man lange Abendhandschuhe trug.
Uniformen und aufrechter Haltung trugen sie zu der würde-
Mary Anne Disraeli ging es wieder besser und sie schritt
vollen Atmosphäre des Abends bei.
am Arm ihres geliebten Mannes glücklich die Treppe hinunter.
Genau wie die Herrschaft hatte die Dienerschaft einen
Geschminkt und mit ein paar Diamanten und Federn zu viel,
Zeitplan mit vielen verschiedenen Pflichten und passender
legte sie bei der Kleidung weniger Zurückhaltung an den Tag
Kleidung für jede Aufgabe. Hatte man eine gewisse Stel-
als die anderen Frauen. Wie ihr Mann liebte sie die extrava-
lung erreicht, wurden die Rollen und Titel oft innerhalb der
ganten Kostüme der vergangenen Ära, mit ihren Lagen aus
Familien weitergegeben. Die Verwaltung eines derart großen
Spitze, Bändern und dekorativen Fol-de-Rols.
und geschäftigen Haushaltes mit bis zu sechzig Angestellten,
Als das Essen bereitstand, führte Lord Carnarvon die
die in und um das Schloss wohnten, war eine logistische
freundliche Mrs Disraeli zu Tisch. Ihr Platz war rechts von
Herausforderung. Der Haushofmeister Mr Allan und die
ihm, und Disraeli führte seine Gastgeberin, Evelyn Carnarvon,
Haushälterin Mrs Laverick hatten sehr verantwortungsvolle
zu einem Platz gegenüber von ihrem Mann. Der Rest der
Stellungen inne.
Gesellschaft, darunter ein Cousin von Lord Carnarvon, der
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Oktober 1866
LINKS
Spielzeug aus der Vergangenheit, das in den alten Kinderzimmern im Obergeschoss verstaubt. Auf Highclere gibt es rund 300 Zimmer, und die Räume im Obergeschoss werden selten betreten. RECHTS
Mary Anne Disraeli (1792–1872) The Right Honourable The Viscountess Beaconsfield war die Gattin Benjamin Disraelis. Dieser scherzte oft, er hätte sie wegen ihres Geldes geheiratet, würde es aber um der Liebe willen wieder tun. In Wirklichkeit stammte Mary Anne nicht aus wohlhabenden Verhältnissen. Sie war etwa zwölf Jahre älter als ihr Mann (der ihr wahres Alter womöglich gar nicht gekannt hat), aber die Liebe des Paares hielt bis zu Mary Annes Tod.
im diplomatischen Dienst stand, und seine jüngste Schwester, folgte paarweise nach Rang und sozialem Status. Dorothy Newill, ihrerseits eine renommierte Gastgeberin, berichtete, der intellektuelle und gesellschaftliche Charme der Hausgesellschaften sei vor allem der Persönlichkeit der
in anderen großen Häusern. Dinner wurden auf Highclere
Gastgeberin zu verdanken gewesen. Evelyn Carnarvon war
immer noch à la française serviert, was bedeutete, dass der
bekannt dafür, besonders talentierte Leute auf Highclere zu
erste Gang schon auf dem Tisch stand, bevor Lady Carnarvon
versammeln, während ihr Ehemann eine ausgeprägte Liebens-
ihre Gäste in den Speisesaal führte. Der erste Gang bestand in
würdigkeit besaß.
der Regel aus einer oder mehreren Suppen, gefolgt von Rele-
Lady Nevill hatte gerade bei ihnen übernachtet und war
vés von gebratenem oder gedünstetem Fleisch, Geflügel oder
betrübt darüber, „Dizzy“ zu verpassen. Sie hatte ihn bereits
Fisch. Jeder Gang wurde abgeräumt, bevor weitere Gerichte
1832 kennengelernt, als er im schwarzen Samtanzug und mit
aufgetragen wurden. Fleisch, Geflügel oder Meeresfrüchte
Quasten verziertem Spazierstock nach London gekommen war.
wurden dann mit entremets, kleinen süßen oder herzhaften
Heute war er ein nüchtern gekleideter Staatsmann, oft ernst
Häppchen, gereicht. Danach kamen ein größerer Hauptgang,
und nachdenklich. Dorothy hatte in der Upper Grosvenor
wieder mit entremets, sowie Nachspeisen, bestehend aus
Straße ihm gegenüber gewohnt, und die Kämpfe seiner Jugend
Käse, Gebäck und Obst. Eiscreme und Petits Fours rundeten
standen ihr noch deutlich vor Augen. Seine ersten Versuche,
das Dinner ab.
ins Unterhaus gewählt zu werden, waren gescheitert. Wäh-
Disraeli schrieb, dass ihn allein die Menge an Speisen,
rend seiner Anfangszeit in London war er oft unkonzentriert
die bei solchen Gelegenheiten serviert wurden, jedes Mal
und voller Liebeskummer, sein Vater schrieb ihm deshalb
überwältigte, wobei er sich auf Highclere glücklicherweise am
Beschwerdebriefe. Jahre später vertraute Disraeli dem Quäker
folgenden Tag Bewegung verschaffen konnte.
John Bright während der Reformdebatten von 1866 an, dass er stets versucht habe, „Aufsehen zu erregen, im Rampenlicht zu
Lord Carnarvon richtete behutsam einige
stehen … eine Rolle auf der Weltbühne zu spielen“.
Fragen an Mrs Disraeli und hielt die Konversation dabei in einem vernünftigen Gleichgewicht. Er wollte vermeiden, dass
Lady Carnarvon hatte die Menüs für das
das Gespräch aufgrund ihrer Müdigkeit abebbte, aber es
Wochenende weit im Voraus mit ihrem französischen Koch,
durfte auch nicht zu ungezwungen werden. Königin Victoria
Monsieur Baptiste, und dem Haushofmeister abgesprochen.
höchstselbst war einmal Zeugin von Mary Annes unbedach-
Die Dinner waren üppig, aber nicht so umfangreich wie
tem Geplapper geworden, als diese die Bemerkung über den
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LINKS
Notizen des Chefkochs für ein typisch spätviktorianisches Dinner à la française, wie es Disraeli und die anderen Gäste auf Highclere genossen haben: zwei Suppen, Forelle, Hähnchen timbale, Lamm, gebratene Wachteln, Entengalantine, Pudding und geeistes Soufflé ... RECHTS
Die Gewölbedecke der Vorhalle des Schlosses, 1870 entworfen von George Gilbert Scott
eigener Kraft zum Schatzkanzler gebracht hatte und einer der engsten Vertrauten Königin Victorias geworden war. Disraeli war zudem ein romantischer Schriftsteller; eine frühe Ausgabe seines Werks Sibyl von 1845 stand in der Bibliothek von Highclere. Er war nicht der einzige Schriftsteller an diesem Wochenende. Auch Lord Cranborne hatte seinen Lebensunterhalt mit Schreiben verdient, bis sich seine finanzielle Situation durch den traurigen Tod seines blinden älteren Bruders entspannte. Lady Carnarvon lenkte schließlich das Gespräch auf die blassen Teint einer Dame wie folgt kommentiert hatte: „Ich
Ehrensache des Abgeordneten Sir William Heathcote, eines
wünschte, Sie könnten meinen Dizzy in der Badewanne sehen!“
lieben gemeinsamen Freundes, der nach dem Tod von Lord
Benjamin Disraelis Hingabe an seine Frau war jedoch
Carnarvons Vater sein Vormund gewesen war. Sie meinte spä-
öffentlich bekannt. Trotz ihres Alters strahlten ihre blaue
ter zu ihrem Mann, dass Disraelis Reaktion auf ihre Bemer-
Augen, und ihre schmale Taille war unverändert. Ihre dunklen
kungen ermutigend war.
Haare enthielten wie die Locken ihres Mannes keine graue
Nachdem Obst gereicht worden war, erhob sich Lady
Strähne, obwohl sie all ihren Freunden freudig gestand, dass
Carnarvon und bedeutete damit, dass es nun für die Damen an
sie seine Haare färbte. Eine kleine Miniatur von Disraeli haf-
der Zeit war, sich in den Empfangsraum zurückzuziehen. Dis-
tete wie immer oben an ihrem Samtmieder.
raeli stand sofort auf, die anderen taten es ihm gleich, wäh-
Benjamin Disraeli saß seiner Frau gegenüber; er war ein
rend Lord Cranborne den Damen die Tür aufhielt. Alle blieben
gut gebauter, kräftiger Mann mit hoher breiter Stirn und tief
höflich stehen, bis sich die Damen zurückgezogen hatten.
liegenden Augen. Mit dem schwarzen lockigen Haar und Bart wirkte er auf Lady Carnarvon beeindruckend. Er sprach mit
Die Männer konnten nun ihr Gespräch wieder
gedämpfter Stimme, aber dank der geschickten, gut vorbe-
aufnehmen und sprachen unweigerlich über Staatsangelegen-
reiteten Gastgeberin entwickelten sich angenehme Unterhal-
heiten und aktuelle Themen: Im Sommer hatte es im Londo-
tungen. Disraeli war stark von der Sympathie seiner Freunde,
ner Hyde Park große Ausschreitungen von Reformanhängern
vor allem der Frauen, abhängig, obwohl aus seinen Briefen
gegeben. Eisengeländer waren umgestoßen worden, und der
hervorging, dass er Letztere für nicht besonders intelligent
Innenminister Spencer Walpole war in Tränen ausgebro-
hielt. Er war ein kühner und geschickter Visionär, der es aus
chen. Die Wahlrechtsfrage spaltete alle Lager. In Übersee
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hatten gerade die ersten amerikanischen Wahlen nach dem Bürgerkrieg stattgefunden. Hinzu kam der Krieg zwischen Österreich und Preußen. Italien bildete mit Preußen eine Allianz, um Bismarcks Sieg zu sichern und die eigene politische Position zu stärken. George Verdon wartete auf die Gelegenheit, mit Disraeli und Lord Carnarvon die Seeverteidigung vor Melbourne zu erörtern. Er erhielt die HMS Nelson als Trainingsschiff und 100¿000 Pfund zum Kauf des gepanzerten Monitors Cerberus, der eines der ersten Kriegsschiffe der Royal Australian Navy wurde. Dies war umso bemerkenswerter, da Disraeli die Ausgaben für die Marine verringern wollte, um einen ausgeim Park spazieren zu gehen. Carnarvon hatte in seiner Einla-
glichenen Haushalt zu erreichen.
dung geschrieben, dass „es uns sehr freuen [würde], Sie hier
Thomas, der Butler, blieb diskret vor der mit grünem Fries bezogenen Tür zum Salon stehen und wartete auf das Signal,
herumzuführen ... Ich würde gerne mit Ihnen eine ruhige
dass sich die Herren den Damen anschlossen, die lebhaft im
halbe Stunde über verschiedene Angelegenheiten von Bedeu-
Empfangszimmer plauderten. Lord Carnarvons Gesellschaften
tung sprechen.“ Ihre Konversation drehte sich natürlich um die „Reform“-
dauerten nicht bis in die späte Nacht, aber dennoch würde es Stunden in Anspruch nehmen, bis die Tische abgeräumt
Frage. Wer sollte in Großbritannien wahlberechtigt sein: nur
und zurückgestellt waren und Thomas und die Diener in ihre
Grundeigentümer oder jeder Mann mit einem Einkommen?
Zimmer auf der Rückseite des Schlosses gehen und sich hin-
Carnarvon und Cranborne wollten eine klare Entscheidung.
legen konnten. Wenn die Paare dann, in der Hand eine Kerze,
Disraeli seinerseits wünschte, dass die Tories „unsere Hand
vorsichtig zu den Schlafzimmern auf der Galerie hochstiegen,
auch in Zukunft halten würden“ und „mehr über die öffent-
standen ihre Zofen und Diener pflichtgemäß bereit, um ihnen
liche Meinung“ zu erfahren. Er erwähnte auch die Idee einer
beim Ablegen der Kleidung zur Hand zu gehen.
Kommission, und Lord Carnarvon fand Disraeli „offensichtlich unentschlossen ... manchmal zur einen, manchmal zur
Am Samstagmorgen erwartete sie ein herrlich
anderen Seite neigend“.
klarer Oktoberhimmel. Die Luft roch frisch, und Lord
Carnarvon selbst wollte eine mögliche Erweiterung des
Carnarvon schlug Disraeli vor, nach dem Frühstück
Wahlrechts vorsichtig angehen, obwohl es auch für ihn keine
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Rechtfertigung für den Ausschluss der Frauen gab. Disraeli
Lady Carnarvon nahm das Frühstück immer im
schlug sodann vor, im Herbst einen überraschenden Zusatz-
Bett ein, hatte aber für alle, die wollten, um 11 Uhr einen
antrag einzubringen, was Lord Carnarvon als Trick wertete.
Spaziergang zum Mönchsgarten geplant, um das kürzlich res-
Disraeli stimmte ihm wohl zu, und das Thema wurde für den
taurierte Pfirsichhaus zu besichtigen. Das neue, fast fertigge-
Rest des Wochenendes fallengelassen. Sie gingen über den
stellte Haus für Pilze befand sich dahinter. Auf dem Anwesen
Rasen und durch den „Amerikanischen Garten“ zum Schloss
herrschte geschäftiges Treiben, da neue Häuser für Diener und
zurück. Disraeli, der in erster Linie Politiker war, hatte dieser
Landarbeiter gebaut und die Ställe winterfest gemacht wurden.
kurze Austausch genügt, um einen neuen Einblick in sein
Während des Spaziergangs erzählte Evelyn Lord Cranborne
Gegenüber zu gewinnen.
von den Baumängeln im Salon und den ausstehenden Arbeiten vor allem bei der Haupttreppe: Die Unterlagen des vorherigen
Später am selben Tag diskutierten Carnarvon
Earls seien unvollständig, und die Bauunternehmer würden
und Cranborne erneut die Reform, speziell die Beschlüsse,
die Arbeit nicht fortsetzen, da über Geld gestritten wurde.
von denen sie annahmen, dass sie in den nächsten sechs
Seit Barrys Tod waren sowohl Thomas Allom als auch Gilbert
Monaten ins Kabinett gebracht würden. Lord Carnarvon kon-
Scott mit der Vollendung der Detailarbeiten befasst, aber spä-
zentrierte sich jedoch auf auswärtige Angelegenheiten:
tere Änderungen erforderten neue Verträge.
Er war ganz mit den nordamerikanischen Delegierten und der
Die Gruppe ging dann weiter zur Tempelruine im Garten.
Ausarbeitung des Gesetzentwurfs für die „Konföderation des
George Verdon folgte mit Lady Cranborne und Mrs Disraeli.
Dominion Kanada“ beschäftigt. Lord Cranborne sprach über
Mary Anne zeigte sich begeistert von allem, sie selbst hatte
Indien. Allem voran wollte er im Falle einer Hungersnot so
einen italienischen Garten in Hughenden entworfen. Sie
vielen Menschen wie möglich helfen und wie Lord Carnarvon
erklärte, ihr Mann bewundere ihre Arbeit dort, und es gebe
beabsichtigte er, alle verfügbaren Mittel zur Unterstützung
nichts Schöneres für ihn als das Pflanzen von Bäumen. Sie
der Bildung in Indien einzusetzen.
hatten einen „Deutschen Wald“ auf einem kleinen Hügel
24
Oktober 1866
Die Titelseite von Disraelis Roman Sybil, der sich in der Bibliothek befand, als der Autor auf Highclere zu Besuch war. Dort steht der Roman auch heute noch. Die Widmung auf der Titelseite verdeutlicht, wie tief der Politiker seine Frau verehrte:
Ich widme dieses Werk einer Person von edlem Geist und sanftem Wesen, das immer mit den Leidenden fühlte; einer Person, deren liebliche Stimme beim Schreiben oft ermutigt und deren Geschmack und Urteil sich auf seinen Seiten wiederfindet; der härtesten aller Kritikerinnen und dennoch – einer vollkommenen Gattin!
provençale. Mrs Disraeli war besorgt, dass „Dizzy“ sich nicht nur langweilen, sondern die Freude am Essen völlig verlieren und dann „schrecklich reizbar“ werden könnte. Lady Carnarvon kannte Disraelis Vorlieben und bemühte sich, eine Auswahl an Gerichten anzubieten, während ihr Ehemann vorschlug, gemeinsame Spaziergänge zu unternehmen. Lord Carnarvon hatte indes unbemerkt die üblichen sportlichen Verfolgungsjagden wie Schießen oder Jagen ausgelassen. Er hatte weder das eine noch das andere gelernt und war ein miserabler Reiter. Er bevorzugte es ohne Frage, gepflanzt, sodass sie, wie einst in Böhmen, unter den dunklen
sich der Umgestaltung seiner Gärten und seines Hauses zu
Nadelbäumen wandeln konnten. Zwischen Gartenarbeit und
widmen, wobei er die Farbenpracht aus der Zeit der „Cava-
Lesen schien der Sommer wie im Flug vergangen zu sein. Ihre
liers“ wiederherstellen wollte. Er genoss es, die Historie des
gemächlich spazierenden Begleiter hörten aufmerksam zu.
Hauses, seine architektonische Entwicklung und die damit
Nach dem Mittagessen zogen sich Disraeli, Cranborne
verbundene Familiengeschichte zu erforschen. Die zahlrei-
und Carnarvon zurück, um ihre Korrespondenz zu bearbeiten.
chen Porträts seiner Vorfahren erinnerten ihn an die früheren
Lord Carnarvon stellte Disraeli sein Arbeitszimmer hinter
Generationen, an ihre Geschichten und Erlebnisse vor dem
dem Frühstücksraum zur Verfügung, während sich Cranborne
Hintergrund der damaligen Zeit. Im Gegensatz hierzu hatte
und er in einen kleinen Raum im Dachgeschoss zurückzogen.
Disraeli Porträts von Männern in Auftrag gegeben, die er
Disraeli begann mit den von Montagu Corry übersendeten
kannte oder bewunderte.
Unterlagen. Monty war bereits Gast auf Highclere gewesen und kannte Lord Carnarvon. Er war ein adretter junger Mann
Für den Sonntagmorgen hatte Lord Carnarvon
mit einem großen Repertoire an lustigen Liedern, was ihm viel
einen kurzen Gottesdienst im Salon organisiert, da die neue
Erfolg bei den Frauen bescherte. In der kurzen Zeit, die er für
Kirche auf Highclere noch nicht fertiggestellt war. Danach
Disraeli arbeitete, hatte er bereits Mary Annes Herz gewon-
schlug er Disraeli vor, gemeinsam zum Dunsmere-See zu
nen und nahm nun am Leben der Disraelis teil.
spazieren.
Der Tag schritt voran, und bald standen der Nachmit-
„Nein, wie malerisch!“, rief Disraeli aus, als er durch die
tagstee und das Abendessen an, bei dem es wohl Schild-
mächtige, eisenbeschlagene Walnussholztür an der Vorder-
krötensuppe gab, gefolgt von Hähnchenfilet und boeuf à la
front Highcleres nach draußen getreten war. Von hier aus
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Oktober 1866
Blick vom Schloss auf das extravagante Heaven’s Gate, das 1737 von einem Urahnen Lord Carnarvons errichtet wurde. Lady Carnarvon vermutet, dass der Name auf Shakespeares Sonnet 29 zurückgeht.
konnte man über die Parklandschaft nach Norden zu den
wie „Mrs Dizzy“ hatte sie ihr Leben ihrem Mann und seiner
Hügeln schauen. Er wusste, dass Oxford direkt dahinter lag
Karriere gewidmet. Da dieser die meisten gesellschaftlichen
und im Nordwesten sein eigenes geliebtes Hughenden. Die
Anlässe nicht mochte und sehr schüchtern war, veranstal-
beiden Männer gingen Richtung See. Disraeli hatte schon
tete sie in seinem Namen viele politische Zusammenkünfte
immer ein Faible für ländliche Romantik. Er hielt mehrere
in London oder Hatfield. Georgina engagierte sich in der
Male inne, um die Aussicht auf die Wälder zu bewundern.
Primrose League und anderen Organisationen, die sich zu
Lord Carnarvon erinnerte sich danach:
Foren für politische Information und Partizipation entwickelten. Ihr Rat wurde nicht nur von ihrem Mann oft
... ging mit Disraeli zum See ... er bewunderte alles,
gesucht. Genau wie Mary Anne machte sie sich ihre Freund-
die Sonne schien hell, die Bäume leuchteten in
schaften zunutze, um ihren Mann, wo immer sie konnte,
herbstlichen Farben, und er hatte eine angenehme Art,
zu unterstützen.
über alles Mögliche zu sprechen, unter anderem über
Georgina war sich der besonderen Beziehung zwischen
Kopernikus und Pythagoras und antike Astronomie ...
Disraeli und Königin Victoria bewusst, die Briefe ihrer Minis-
Der andere Spaziergang führte zu den Küchengärten,
ter und Dokumente des Regierungskabinetts gewissenhaft
einer charmanten ferme ornée, die der 1. Earl of Carnarvon
las. Die Königin hielt große Stücke auf Disraeli, und er genoss
nach den Plänen von Lancelot (Capability) Brown hatte
ihr Wohlwollen und ihre Gunst. Das politische Establishment
anlegen lassen.
funktionierte wie heute über bestimmte Schaltstellen der
Lady Carnarvon wurde von Frederic Rogers und
Macht und mithilfe von Beziehungen, die außerhalb der parla-
George Verdon sowie von Edward, dem Neffen ihres Mannes,
mentarischen Debattierstuben gepflegt wurden.
begleitet. Ihr Mann hatte auch begonnen, zu Schauzwecken Schweine zu züchten, die direkt hinter dem Milchvieh gehal-
Am nächsten Morgen saß die Gesellschaft
ten wurden. Die Melonenhäuser waren halb in den Boden
beim Frühstück, während Lady Carnarvons Haushälte-
versenkt und wurden durch Rohre, die durch einen rechtecki-
rin, Mrs Laverick, damit beschäftigt war, die Koffer und
gen Ziegelsteinschacht verliefen, beheizt. Ein weiteres halbes
Schachteln der Gäste eiligst verpacken zu lassen, damit sie
Dutzend Gewächshäuser war für die Zucht von Gurken und
bereitstanden, wenn die Kutschen für die Fahrt zum Bahnhof
Salaten bestimmt, während ein breites gewölbtes Tor zu den
von Highclere vorfuhren.
riesigen Gemüsebeeten führte, die von hohen Mauern aus
Oben beschloss Lord Carnarvon beim Frühstück, noch
zartroten Ziegelsteinen begrenzt wurden. Die Gartentür am
ein Thema anzusprechen: die Erhebung seines Freundes Sir
hinteren Ende führte zu den Obstgärten und weiter zu einem
William Heathcote in den Adelsstand. Disraeli ließ ihn jedoch
Kartoffelfeld – alles lud zu einem ausgiebigen Streifzug ein.
wissen, dass Lord Derby dem wohl nicht zustimmen würde, da er genug davon habe, Disraelis Lieblinge zu fördern. Der
Da Mary Anne Disraeli zurückgeblieben war,
bezaubernden Lady Carnarvon hatte Disraeli beim Abendes-
war Georgina Cranborne auch nicht mitgekommen. Georgina
sen nichts abschlagen können. Ihrem Mann gegenüber war er
war vom Alter her näher an Evelyn als an Mary Anne, aber
jedoch ziemlich eindeutig.
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LINKS
Haustür von Schloss Highclere, fotografiert 1890. Die in Stein gemeißelten Worte über der Tür und um das Schloss lauten „UNC JE SERVIRAY“ – altes normannisches Französisch für „Nur einem werde ich dienen“. RECHTS
Der Dunsmere-See mit dem Diana-Tempel im Hintergrund, um 1905. Der von Charles Barry erweiterte Tempel war beliebt für Picknicks und den Nachmittagstee.
George Verdon verließ Highclere mit mehr Erfolg. Neben
Als sich die Gesellschaft auflöste, trugen sich die meis-
dem Kriegsschiff hatte er um Mittel für ein Observatorium in
ten Gäste im Salon in das Gästebuch ein. Lord Carnarvons
Melbourne geworben und entspechende Zusagen erhalten. Ein
Eintrag nach dem Wochenende lautete kurz und knapp: „Die
weiteres Projekt war die Gründung eines Nationalmuseums.
Gäste sind fort.“
Kulturelle Bestrebungen dieser Art kamen gut an, und Verdon konnte sich später über die Auszeichnung „Companionship of
NACHTRAG
the Bath“ freuen. Die Diener der Gäste hatten den Aufenthalt auf Highclere ebenso genossen: Nach einem weiteren Besuch schrieb Verdon, dass sein Diener „von Highclere zutiefst beein
S
druckt war, vor allem von jedermanns Freundlichkeit, von Lord und Lady Carnarvon bis hin zu den Küchenmädchen“.
pätere Entwicklungen zeigten, dass Disraeli hinsichtlich seiner Reformpläne nicht ganz so
ehrlich war, wie Lord Carnarvon angenommen hatte.
Das Essen, das am Wochenende übrig
Der von Disraeli und Lord Derby eingebrachte Gesetzent-
geblieben war, wurde von den Haus- und Farmangestellten
wurf sah eine Verdopplung der bestehenden Wählerschaft vor
verzehrt, einschließlich der Stallknechte, die sich über die
und war damit demokratischer, als es die meisten Konservati-
großzügigen Mahlzeiten sehr freuten. Ihr Quartier über
ven vorausgesehen hatten. Der Premierminister bezeichnete
dem Stall im Hof hinter dem Schloss war im Winter nicht
den Entwurf als einen Sprung ins Ungewisse. Die anschlie-
gerade der wärmste Ort.
ßenden Diskussionen im Kabinett führten zum Rücktritt von
28
Carnarvon und Cranborne, weniger als sechs Monate nach
Er ist sehr eigenartig ... aber sehr klug und vernünf-
ihrem gemeinsamen Wochenende auf Highclere.
tig ... Er ist voller Poesie, Romantik und Ritterlich-
Am 12. Juli 1867 gebar Georgina Cranborne einen Jun-
keit. Als er sich niederkniete, um meine Hand zu
gen, und ihr Mann bat Carnarvon, Pate zu sein, verbunden
küssen, sagte er: „In treuer Ergebenheit.“
mit der humorvollen Frage: „Der guten alten Zeiten wegen und aus politischer Sympathie, sollen wir ihn Benjamin
Mary Anne Disraeli erkrankte ein Jahr später
nennen?“ Er bemerkte, dass „das Baby, bevor es gewaschen
im Alter von fünfundsiebzig und erholte sich nie mehr richtig.
wurde, Dizzy ähnelte“. Das Kind wurde dann Edward Her-
Zwei Jahre nach ihrem Aufenthalt auf Highclere machte Ben-
bert Cecil getauft.
jamin Disraeli Königin Victoria einen äußerst ungewöhnlichen
Als Disraeli sechs Jahre später sein eigenes Kabinett
Vorschlag. „Nach einunddreißig Jahren mühevoller Arbeit im
gründete, berief er sowohl Salisbury als auch Carnarvon auf
Parlament ... mit unerschütterlicher Hingabe ... darf er darauf
ihre früheren Posten. Salisbury diente später als Außen- und
hoffen, dass sie die Güte haben möge ..., seiner Frau den Titel
Premierminister. Er und seine Frau kamen weiterhin regel-
Viscountess Beaconsfield zu verleihen.“
mäßig zu Besuch nach Highclere.
Mary Anne erhielt tatsächlich den gewünschten Titel.
Benjamin Disraeli kehrte nicht mehr nach Highclere
Ihre Krankheit war unheilbar, und ihr Tod deprimierte Dis-
zurück, obwohl er oft in London mit Lord Carnarvon speiste.
raeli, aber seine Freunde, einschließlich Evelyn Carnarvons
Er setzte seine Karriere fort, und die Freundschaft mit Köni-
Mutter Lady Chesterfield, versammelten sich um ihn. Er
gin Victoria dauerte bis zu seinem Tod an. Sie sagte über ihn:
erhielt ebenfalls den Titel Viscount Beaconsfield.
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Oktober 1866
Der Willkommens-Vers auf der Anfangsseite des ersten Gästebuches von Highclere, 1863
Widmungen auf Titelseiten einer Biografie von Sir John A. Macdonald von 1883, in der Bibliothek auf Highclere
Lord Carnarvon empfing John A. Macdonald
Premierminister von Kanada. Seine späteren Besuche in Eng-
auf Highclere 1866, als er das erste von mehreren Wochen-
land begannen oft auf Highclere. „John A.“ bezeichnete es als
enden dort verbrachte. Allan, der Haushofmeister, wird die
„einen großartigen Ort“.
Aufgabe gehabt haben, den Alkoholkonsum genau zu überwachen. Die weiteren Wochenenden waren sehr produktiv,
Die kanadische Konföderation wurde am
und zwischen Macdonald und Lord Carnarvon entwickelte
1. Juli 1867 gegründet – wie in Highcleres Gästebuch in weni-
sich eine lebenslange Freundschaft. Carnarvon notierte
gen Zeilen vorausgesagt:
1867 in seinem Tagebuch, dass Macdonald „jetzt mit einer
Ein loyaler und aufrichtiger kanadischer Diplomat
Frau erschien, von der ich glaube, dass sie einen heilsamen
Reist nach England, um ein Abkommen
Einfluss auf ihn hat, was seine früheren Trinkgewohnheiten
auszuhandeln,
betrifft. Er benahm sich hier ausgesprochen maßvoll und
Doch in nichts willigt er dabei lieber ein,
sehr angenehm.“
Als der schönen Lady von High Clere
Frederic Rogers war an Lord Carnarvons Seite und beob-
Die Ehre zu erweisen.
achtete das Drama um die Verhandlungen genau. „Macdonald war das tonangebende Genie und der Wortführer“, kommen-
In einem Brief schrieb „John A.“ an Lord Carnarvon:
tierte Rogers: Ich bin froh, dass Sie die Medaille mögen – niemand
Ich war sehr beeindruckt von seiner Führungskraft
in England hat ein größeres Recht darauf als Sie
und Gewandtheit. Die französischen Delegierten
... Ich hoffe, dass Sie Ihre Überlegung, Kanada zu
passten genau auf, dass ihre Sicherheiten unangetas-
besuchen, in die Tat umsetzen können. Drei Monate
tet blieben.
Aufenthalt bei uns würde Sie mit mehr praktischen
Lord Carnarvon glaubte, dass ohne ihn die gesamte Koa-
Informationen versorgen, als Sie auf andere Weise
lition in Kanada und der Kompromiss zwischen den franzö-
erhalten können. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie
sischen und englischen Parteipolitikern zusammenbrechen
herzlich empfangen werden. Wir sind froh über die
würden. „John A.“ wurde für die nächsten neunzehn Jahre
Gewissheit, in Ihnen einen Freund zu haben ...
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Geschichten und Rezepte aus dem echten Downton Abbey Highclere Castle ist eines der bekanntesten Häuser der Welt – nicht erst seit der fantastisch erfolgreichen britischen Fernsehserie Downton Abbey! Bereits durch Jahrhunderte hindurch wurden hier Royals, Staatsmänner und bekannte Persönlichkeiten aus Musik, Kunst und Literatur empfangen. Die 8. Countess of Carnavon gewährt Einblicke in die Anekdoten des Hauses und seiner Gäste und erlaubt den Blick durchs Schlüsselloch: Sie führt durch ihr großartiges Schloss, teilt die Kunst des Gastgebens im Wandel der Jahrhunderte und verrät rund 100 köstliche Rezepte und Menüs, die die Besucher zu allen Gelegenheiten erfreuten.
Highclere Castle – ein Schloss und ein Zuhause