OK TO B E R 2018
MAGAZ I N F Ă R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR
GARTEN +
LANDSCHAFT NEUE WEGE GESUCHT: WIE WIR DIE STRASSE ZUM FREIRAUM ERHEBEN
plus
Im Interview mit Timo Herrmann Martin Rein-Cano ĂŒber GĂ€rten als Migrationshelfer
18 Eine MaĂnahme im BiodiversitĂ€tsplan der Pariser BĂŒrgermeisterin
32 Kilometer langen
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Ringeisenbahntrasse
Funktionstrennung und
Anne Hidalgo: die Umgestaltung der
Schilder ade: Der Verkehr in
Petite Ceinture zum
der Freisinger Innenstadt soll
ökologischen Korridor.
kĂŒnftig â wie bereits in der Heiliggeistgasse â komplett ĂŒber Shared Space geregelt werden.
24 Der Boulevard Anspach in
soll bis 2019 eine
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lebenswerte Flaniermeile
Die Landsberger StraĂe in Halle
entstehen. Und das alles
war lange Zeit die "leerste"
dank BottomÂup.
StraĂe Deutschlands. Heute
BrĂŒssel: Wo frĂŒher das Verkehrschaos herrschte,
belebt das Kollektiv Freiraum galeristen die StraĂe mit Kunst und BĂŒrgerinitiativen.
42 Wem gehört die StraĂe? Dem Stadtbewohner oder dem Pkw? Der Verein UrbsâRâUs zeigt mit seinen Aktionen Potenziale fĂŒr einen menschenfreundlichen StraĂenraum auf.
INHALT
AREN A 06 11
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Welle der EntrĂŒstung
T I T EL Neue Wege gesucht: Wie wir die StraĂe zum Freiraum erheben 12
MIT GESTALTUNG ERZIEHEN Im GesprĂ€ch mit bbz-GeschĂ€ftsfĂŒhrer Timo Herrmann
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ADIEU LA VOITURE! Wie die Pariser BĂŒrgermeisterin Anne Hidalgo versucht, BiodiversitĂ€t in die StraĂen der Hauptstadt zu bringen
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FLANIEREN AUF FLĂMISCH SumProject+SumResearch revitalisieren den Boulevard Anspach in BrĂŒssel
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NAHTLOSES MITEINANDER ST raum a. Landschaftsarchitekten transformieren den Freisinger Marienplatz zum gleichberechtigten StraĂenraum
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REANIMIERT DIE PIAZZA Ein Kommentar von Ingrid Schegk und Ludwig Schegk
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DIE STRASSE ALS GALERIE Wie Streetart die einst leerstehendste StraĂe der Stadt Halle wieder zum Leben erweckt
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DIE BUNTMALER Der österreichische Verein UrbsâRâUs erobert die StraĂen von Graz fĂŒr die Ăffentlichkeit zurĂŒck â ein PortrĂ€t
STUDIO 46
FRAGE Wie publiziere ich gezielt?
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PRAXIS Erhellende Wege
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REFERENZ ZĂ€hes GrĂŒn
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LĂSUNGEN BegrĂŒnung von öffentlichem Raum
RUBRIKEN 60
Stellenmarkt
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Impressum
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Lieferquellen
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DGGL
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Sichtachse
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Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft fĂŒr Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) WartburgstraĂe 42 10823 Berlin www.dggl.org
5 GARTEN+ L ANDSCHAFT
FREIRAUM STRASSE â MIT GESTALTUNG ERZIEHEN Die Funktion der StraĂe hat sich gewandelt: Nicht nur der Verkehr, sondern auch unsere Einkaufsgewohnheiten Ă€ndern sich. Dadurch entstehen neue Möglichkeiten auf der einen und Anforderungen auf der anderen Seite, um StraĂen als öffentliche RĂ€ume zu gestalten, lebendig zu halten und zukunftsfĂ€hig zu machen. Wir sprachen mit Timo Herrmann von bbz landschaftsarchitekten aus Berlin ĂŒber die aktuellen gestalterischen Herausforderungen. TANJA GALLENMĂLLER
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FREIR AUM STR ASSE IM INTERVIEW MIT TIMO HERRMANN
Herr Herrmann, unsere StĂ€dte werden dichter, der Freiraum knapper. StraĂen nehmen einen GroĂteil des öffentlichen Raums ein. Welches Freiraumpotenzial haben StraĂen?
Weniger Verkehr und neue MobilitĂ€tskonzepte bieten die Chance, mehr Raum zu gewinnen. Unser Ziel als Landschaftsarchitekten ist es, VerkehrsrĂ€ume zu qualifizieren, zu AufenthaltsrĂ€umen aufzuwerten und die Autos auf lange Sicht zu verdrĂ€ngen. Allerdings bestehen noch groĂe Vorbehalte, wenn Ortsmitten und GeschĂ€ftszentren nicht mehr mit dem Pkw angefahren werden können. Inwiefern?
Ladenbesitzer denken, ihr GeschĂ€ft geht kaputt, sobald man nicht mehr direkt davor parken kann. BĂŒrgermeister meinen, ihre Ortsmitte stirbt. Ungeachtet der neuen MobilitĂ€ten wird immer noch darum gerungen, alle Verkehrsteilnehmer in den Zentren zu halten und entsprechende Angebote zu schaffen.
INTERVIEWPARTNER Timo Herrmann ist GeschĂ€ftsfĂŒhrer der bbz landschaftsarchitekten berlin gmbh. bbz wurde 2004 als Netzwerk an unterschiedlichen Standorten gegrĂŒndet. In den vergangenen Jahren hat das BĂŒro mehrere Wettbewerbe zu StraĂenraumgestaltungen bearbeitet und diverse Preise erzielt.
Wie reagieren Sie gestalterisch auf die neuen Möglichkeiten einerseits und Ăngste andererseits?
Wir empfehlen und entwerfen hierfĂŒr meist den Shared Space. Hier kommen nĂ€mlich zwei Dinge zusammen, die dieses Konzept aus unserer Sicht am besten verbindet: Es erfĂŒllt sowohl die geforderten funktionalen sowie die von uns gewĂŒnschten gestalterischen Anforderungen. Das Prinzip des Shared Space gibt ja zunĂ€chst nur vor, dass alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind und aufeinander RĂŒcksicht nehmen sollen. Wie setzen Sie diese Idee um?
Der Shared Space ermöglicht, VerkehrsrĂ€ume zu nivellieren. Nicht nur topografisch, sondern auch gestalterisch. Die klassische Trennung BĂŒrgersteig, Fahrradweg und Fahrbahn wird aufgehoben. Alle Verkehrsteilnehmer dĂŒrfen den Raum gleichberechtigt nutzen. Das ermöglicht, diese RĂ€ume einheitlich und damit groĂzĂŒgig zu gestalten: Die Fahrbahn erhĂ€lt den gleichen Belag wie die BĂŒrgersteige und Fahrradwege. So entsteht ein groĂzĂŒgiger innerstĂ€dtischer Raum mit gestalterischen QualitĂ€ten, die in Richtung eines Platzes gehen. Und das ist auch unser Ziel: diese urbanen RĂ€ume â was die AufenthaltsqualitĂ€t betrifft â zu PlĂ€tzen zu qualifizieren. ZusĂ€tzlich ist der Shared Space auch flexibel und daher ökonomisch in der Errichtung und Dauerhaftigkeit. Ohne Umgestaltung kann er auf neue Anforderungen und Bedingungen reagieren: StellplatzflĂ€chen zum Beispiel zeichnen wir nur auf. So können die Markierungen einfach mit Hochdruckreiniger entfernt oder ummarkiert werden, wenn die Autos kleiner werden oder alle nur noch mit E-Rollern fahren. Gleiches Niveau und einheitlicher Belag reichen aber noch nicht, um einen qualitĂ€tsvollen Freiraum zu schaffen...
Um die AufenthaltsqualitĂ€t zu steigern, arbeiten wir mit sehr hochwertiger Stadtmöblierung. Das sind nicht mehr nur BĂ€nke, sondern eher âStadt-Sofasâ. Daneben gibt es WasserflĂ€chen oder -objekte, die die erwĂ€hnten PlatzqualitĂ€ten in die StraĂenrĂ€ume ĂŒbertragen. Diese Qualifizierung erfolgt in Aufweitungen, RĂŒcksprĂŒngen oder Kreuzungsbereichen, wo mehr Raum zur VerfĂŒgung steht. Meist haben wir es mit Ortsmitten, GeschĂ€fts- oder Quartierszentren zu tun. Durch die Gestaltung entwickeln sie sich in ihrer QualitĂ€t beinahe zu Shoppingmalls, nur ohne Dach: Hochwertige, aber â im Gegensatz zur Mall â öffentliche RĂ€ume verbinden die angrenzenden GeschĂ€fte. Es entstehen nahezu wohnliche RĂ€ume.
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ADIEU LA VOITURE! An manchen Tagen hĂ€ngt der Smog so dicht ĂŒber Paris, dass der Eiffelturm darin verschwindet. Als eine der am dichtesten besiedelten Metropolen weltweit hat die französische Hauptstadt besonders mit Luftverschmutzung zu kĂ€mpfen. Die Pariser BĂŒrgermeisterin der sozialistischen Partei, Anne Hidalgo, geht dagegen vor: Ein Blick in ihren Aktionsplan zeigt, die StraĂen von Paris spielen dabei eine zentrale Rolle. RAFAĂL MAGROU
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FREIRAUM STRASSE PARIS, AKTIONSPLAN VON ANNE HIDALGO
AUTOR RafaĂ«l Magrou, Architekt und Architekturkritiker, schreibt fĂŒr LâArchitecture Aujourdâhui und lehrt an der ENSA Paris Malaquais.
Den Abschnitt des linken Seineufers Foto: Maxime Dufour
zwischen MusĂ©e dâOrsay und MusĂ©e du Quai Branly gestalteten Franklin Azzi Architecture 2013 um.
24. MĂ€rz 2018, 10:45 Uhr, Ecke Quai de Valmy und Rue Jean-Poulmarch im zehnten Arrondissement: Die Pariser BĂŒrgermeisterin Anne Hidalgo pflanzt den 10 000sten Baum, der seit Beginn ihrer Amtszeit in Paris Wurzeln schlagen durfte. Ein Symbol? In jedem Fall Ausdruck von politischem Engagement. Denn die BĂ€ume gehen aus dem Projekt fĂŒr BĂŒrgerbeteiligung âPartizipativer Haushalt 2016â hervor. Innerhalb der MaĂnahme kann jeder Pariser ProjektvorschlĂ€ge fĂŒr sein Arrondissement einreichen â und ĂŒber diese abstimmen. Die Projekte kommen den BĂŒrgern des jeweiligen Stadtviertels zugute. Dieses Jahr widmet sich der partizipative Haushalt den StraĂen: Die Baumscheiben sollen bepflanzt werden. Ziel ist einerseits, die StraĂen zu verschönern und lebenswerter zu machen, und andererseits, die
Wege der beiden gröĂten innerstĂ€dtischen Stadtparks â Bois de Vincennes und Bois du Boulogne â zu begrĂŒnen. GrĂŒnere StraĂen und Wege sollen das Leben in der besonders dicht bebauten Metropole angenehmer machen. Denn die Parks und WĂ€lder, die Jean-Charles Alphand Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Umgestaltung der französischen Hauptstadt durch Baron Haussmann anlegte, bieten nicht genĂŒgend GrĂŒnflĂ€chen. AKTIONSPLĂNE UND DEREN WIDERSPRĂCHE
Dieses Jahr verabschiedete der Stadtrat eine weitere Initiative von Hidalgo: den Plan BiodiversitĂ© 2018-2024. Mit dem aufwendigen Aktionsplan möchte Anne Hidalgo Paris bis zu den Olympischen Spielen 2024 grĂŒner gestalten und die 19 GARTEN+ L ANDSCHAFT
FLANIEREN AUF FLĂMISCH Lange lag ein Konzept fĂŒr den BrĂŒssler Boulevard Anspach in den Amtsschubladen, bis der Druck der Zivilgesellschaft so groĂ wurde, dass er hervorgeholt und der erste Abschnitt bereits realisiert wurde. Der Boulevard gehört ab jetzt wieder den Menschen, nicht mehr den Autos. KLAUS ENGLERT
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FREIRAUM STRASSE BRĂSSEL, BOULEVARD ANSPACH
Die BrĂŒsseler Place de BrouckĂšre, einst nach dem Vorbild der autogerechten Stadt gestaltet, prĂ€sentiert sich kĂŒnftig als Platz, der FuĂgĂ€ngern und Fahrradfahrern vorbehalten ist.
AUTOR Klaus Englert ist Architekturkritiker, schreibt fĂŒr die FAZ und ist fĂŒr den Hörfunk tĂ€tig. In diesem Jahr erschien sein ArchitekturfĂŒhrer ĂŒber Barcelona bei
Visualisierung: © SumProject
DOM Publishers.
Der Belgier Jean-Baptiste van Moer malte 1870 mehrere Bilder, die das vom Fluss Senne durchzogene mittelalterliche BrĂŒssel zeigen. Als die Bilder wenig spĂ€ter im BrĂŒsseler Rathaus ausgestellt wurden, waren die Motive im Stadtraum nicht mehr auffindbar. Die Enteignung und Zerstörung von ĂŒber tausend HĂ€usern war bereits im vollen Gange, zugunsten der von BĂŒrgermeister Jules Anspach angeordneten und nur sechs Jahre spĂ€ter, 1876, realisierten unterirdischen Tunnel fĂŒr Fluss und Abwasser. Im gleichen Jahr entwarf LĂ©on Suys, der Architekt der Börse und der âGrandes halles centralesâ, im Auftrag von Anspach den axial verlaufenden Boulevard, der im mittleren Teil ĂŒber dem Senne-Kanal liegt. Suysâ Entwurf legte damit das bis heute gĂŒltige Stadtbild fest, das sich an Georges-EugĂšne Haussmanns
Transformation von Paris in den 1850erund 1860er-Jahren orientierte. Es entsprach dem Modell monumentaler Sichtachsen und einer modernen stĂ€dtischen Infrastruktur. Die neu entstandenen PlĂ€tze an der Gare du Midi und der Gare du Nord, die Place de la Bourse oder die Place de BrouckĂšre standen im Einklang mit dem Zeitgeist einer modernen westlichen Metropole, die sich endgĂŒltig von den Epidemien befreien wollte. VON DER VERKEHRSGERECHTEN ZUR LEBENSWERTEN STADT
Einen weiteren Entwicklungsschub gab es 1958, als BrĂŒssel die erste Weltausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg ausrichtete. Die Schau, in deren Zentrum die Zukunftstechnologien Raumfahrt und Atomkraft standen, vermittelte das 25 GARTEN+ L ANDSCHAFT
DIE STRASSE ALS GALERIE Leer, leerer, Freiimfelde: Das GrĂŒnderzeitviertel in Halle zĂ€hlt zu den Orten mit der höchsten Leerstandsrate deutschlandweit. Das StadtplanungsbĂŒro Freiraumgalerie spielt mit dieser Leere und verwendet dabei ausgerechnet Graffiti. Es ist eine Kombination aus Ă€sthetischer Kunst und BĂŒrgerbeteiligung, die den Freiraum StraĂe neu erfindet und Freiimfelde in ein buntes und selbstbestimmtes Quartier verwandeln kann. VANESSA KANZ
AUTORIN Vanessa Kanz studierte Kultur wissenschaften, Germanistik und EuropÀische Geschichte. Seit Januar 2018 ist sie VolontÀrin in den Redaktionen der Magazine Garten + Landschaft, topos und Baumeister.
Kunst gegen Leere: Die Freiraumgalerie revitalisiert die StraĂen in Halle.
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Ein Gang durch die Landsberger StraĂe in Halle war bis vor einigen Jahren eher ungemĂŒtlich. Viele HĂ€user standen leer, kein Licht fiel abends durch die Fenster auf die Gehwege. Kein Schimmer der Hoffnung, nichts als Tristesse und Dreck. Seit der Wende kĂ€mpft der Stadtteil Freiimfelde mit Verfall; den Schlachthof, der damals Arbeit und Bewegung in das Viertel brachte, gibt es nicht mehr. Nach Angaben des Bundesamtes fĂŒr Statistik war die Landsberger StraĂe im Jahr 2010 jene mit dem höchsten Leerstand deutschlandweit. Es gab keinen Grund, durch diese StraĂe zu flanieren. Das ist heute anders. Heute lĂ€dt sie ein, den Schritt zu verlangsamen, stehen zu bleiben und sich umzublicken, zu staunen. Denn groĂe, bunte Wandbilder zieren die BrandwĂ€nde der HĂ€user, Street
Art setzt Akzente an Schornsteinen und Fenstersimsen. Es tut sich was. LEERSTAND KREATIV NUTZEN
Dass hier etwas in Bewegung ist, sich etwas verĂ€ndert, ist der Freiraumgalerie zuzuschreiben, einem Kollektiv fĂŒr Raumentwicklung, 2012 gegrĂŒndet. Eines der ersten Mitglieder im Kollektiv war der Stadtplaner Hendryk von Busse. Der 32-JĂ€hrige ist studierter Raumplaner und spezialisiert auf schrumpfende Regionen und StĂ€dte. In seiner Diplomarbeit verteidigte er die These, dass Graffiti, und damit Street Art, in leeren und schrumpfenden StĂ€dten positive Impulse setzen kann, um diese zu revitalisieren. Nach einigen Fallstudien stellte sich Freiimfelde als besonders geeignet dar, um in seiner Rolle als
FREIRAUM STRASSE HALLE, LANDSBERGER STRASSE
vernachlĂ€ssigter und von der Stadtregierung vergessener Stadtteil als urbaner Spielplatz zu agieren. Der hohe Leerstand ging mit entsprechenden sozialen und stĂ€dtebaulichen Problemen einher: hohe Arbeitslosigkeit, Kinderarmut, KriminalitĂ€t, fehlende Entwicklungsperspektiven. âDie Situation war und ist auch der Lage von Freiimfelde geschuldet: Als einziges Wohnviertel östlich des Bahnhofs liegt es zwar zentral, ist jedoch durch die Gleiskorridore vom Rest der Stadt getrenntâ, sagt Hendryk von Busse. Eine verlorengeglaubte GroĂstadtinsel, deren Exotik nun durch die Freiraumgalerie ins Viertel getragen wird: âMit unserem ersten Urban Art Festival 2012 wollten wir aufzeigen, dass man diesen Leerstand nutzen könnte, um eine neue StadtlebensqualitĂ€t zu erzeugenâ, so von Busse. KĂŒnstler und BĂŒrger
sollten diese ungenutzte Stadtsubstanz selbst bemalen. Teil des Festivals waren darĂŒber hinaus Kultur-, Musik- und Sportveranstaltungen â der Freiraum auf und neben der StraĂe diente als BĂŒhne vor einer bunten Kulisse. âSo wurde die Stadt in und um die Landsberger StraĂe zu einer offenen Galerie haushoher Bilder, die sich stĂ€ndig verĂ€ndert und LeerstĂ€nde als Mitgestaltungsraum aufzeigt â eine Freiraumgalerieâ, sagt das Kollektivmitglied. MEHR ALS KUNST
Dabei geht es um mehr als kunstvoll gestaltete Fassaden, denn die Malerei dient der Freiraumgalerie als kraftvolles Werkzeug in der Stadt- und Raumentwicklung. âVon Anfang an haben wir uns als 37 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Augenzwinkern statt Anschreien. Witz statt Wut. Ihr Humor ist ihr Werkzeug, der urbane Raum ihre Baustelle. Das ĂŒbergeordnete Ziel von UrbsâRâUs: eigenstĂ€ndige und unbĂŒrokratische Nutzung des öffentlichen Raums. ANDREAS MAIERHOFER
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Fotos: UrbsâRâUs
DIE BUNTMALER
FREIRAUM STRASSE URBSâRâUS IM PORTRĂT
AUTOR Andreas Maierhofer studierte Architektur in Graz und Jönköping, Schweden. Seit 2017 ist er Studienassistent am Institut fĂŒr Architekturtheorie, Kunst und Kulturwissenschaften an der TU Graz, auĂerdem ist er als Redakteur und Vorstand im Kulturverein fĂŒr Architektur â schauraum. Architektur magazin tĂ€tig.
Ăsterreich, Graz Hauptplatz an einem warmen Sommerabend. Das Cocktailkleid glĂ€nzt, die Bundfaltenhose ist gebĂŒgelt, die Krawatte sitzt. Ein normaler Mittwoch, 18 Uhr, eine kleine, fein gekleidete Gruppe spaziert ausgelassen, jedoch zielstrebig in Richtung Erzherzog-Johann-Brunnen vor dem Grazer Rathaus. Sie kommen, um zu trinken. Nichts Besonderes möchte man meinen, doch wurde vor einigen Jahren ein Alkoholverbot an diesem Ort ausgesprochen. Der Verdacht: Dieses Verbot gilt nur fĂŒr Randgruppen, die am Touristen-Hotspot nicht gern gesehen werden. So wird an diesem Abend Traubensaft aus Weinflaschen in WeinglĂ€ser gegossen â jedoch ungegoren: ein Augenzwinkern in Richtung Ordnungswache. Sieht rechtswidrig aus, ist es aber nicht. Die Annahme der Gruppe bewahrheitet sich und es passiert: nichts. Wer wohlhabend aussieht, steht anscheinend ĂŒber dem Gesetz. WAS IST ĂFFENTLICHER RAUM?
âAnstoĂenâ war eines von mehreren, unerwarteten Ereignissen wĂ€hrend des Architektursommers 2018 in Graz. âDas darf man hier sicher nichtâ oder âDafĂŒr brauchst du sicher eine Genehmigungâ haben Ida Pirstinger, Birgit Schiretz und Dominik Johannes WeiĂenegger zu oft gehört und grĂŒndeten im November 2017 den Verein âUrbsâRâUsâ. AnstoĂ und Problem: Kommerzielle Interessen vereinnahmen zunehmend StraĂen, GrĂŒnflĂ€chen und PlĂ€tze, sofern der motorisierten Verkehr diese nicht besetzt. Urbane FreirĂ€ume stehen immer weniger ihrem ursĂ€chlichen Zweck als menschlicher
Interaktions- und Bewegungsraum zur VerfĂŒgung. âZahlreiche Stadtverwaltungen gehen dazu ĂŒber, TĂ€tigkeiten, die nicht der reinen Fortbewegung dienen, vermehrt zu reglementieren und dafĂŒr Genehmigungen mit entsprechenden Auflagen oder gegen GebĂŒhr einzufordern,â kritisiert Birgit Schiretz die aktuellen Entwicklungen. Wenige Randzonen und RestflĂ€chen bleiben als konsumfreier Raum, jedoch haben sich die Bewohner schon so sehr an diesen Zustand gewöhnt, dass selbst diese FlĂ€chen nicht mehr genutzt werden. Den UrbsâRâUS geht es um den öffentlichen Raum und somit finden auch alle Ereignisse direkt in diesem statt. Fragen wie âWas ist öffentlicher Raum?â, âWas ist ĂŒberhaupt Ăffentlichkeit?â, âWem gehört der öffentliche Raum?â und âWofĂŒr steht der öffentliche Raum zur VerfĂŒgung?â stellt UrbsâRâUs und sucht nach Antworten. Als Kernproblem beschreibt Ida Pirstinger, es habe sich in Graz mehr oder weniger eingebĂŒrgert, dass der urbane Raum darauf reduziert wird, dass man Strecken zurĂŒcklegt. Ohne vorher etwas anzukĂŒndigen oder mĂŒhsam zu suchen, kann man nichts Unkonventionelles im öffentlichen Stadtraum treiben â quasi: Wer mehr als nur auf dem Gehsteig lang gehen will, muss um Erlaubnis fragen oder gar dafĂŒr bezahlen â zumindest glauben das die meisten. UrbsâRâUs glauben das nicht. UrbsâRâUs sagen: âWir sind die Stadt. Der urbane Raum gehört uns.â Die ursprĂŒngliche Definition des urbanen Raums sei, dass dieser Allgemeingut ist, den die Gesellschaft bezahlt und errichtet hat. Somit gehöre der Raum auch der Allgemeinheit und nicht der Stadt oder einer
Wird man des Platzes verwiesen, wenn man verbotenerweise, aber schick angezogen vermeintlich Alkohol am Erzherzog-JohannBrunnen in Graz trinkt? Der Verein UrbsâRâUs findet herraus: nein. Denn im öffentlichen Raum misst man gerne mit zweierlei MaĂ.
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FR AGE
WIE PUBLIZIERE ICH GEZIELT? Ein Projekt ist fertiggestellt, die Ăbergabe an den Bauherrn fand soeben statt, und alle Beteiligten freuen sich ĂŒber das Ergebnis. Den Erfolg mit der Ăffentlichkeit zu teilen, sollte der feierliche Abschluss sein. Doch welche PR-MaĂnahmen geht man an, und mit welchen Werkzeugen publiziert man das Projekt?
Grafik: Designed by Freepik
KELLY KELCH
46 GARTEN+ L ANDSCHAFT
STUDIO FRAGE
digitalen Optionen â wie etwa eine Website, Blogs, fachspezifische Onlineportale sowie Social Media â oder die âphysischenâ Tools â wie klassische Printmedien â fĂŒr sich anzuwenden. Wie man eine gezielte Strategie aufstellt, erklĂ€rt die Agrarökonomin Dr. Gudrun Mahlau in ihrem Buch âMarketing fĂŒr Landschaftsarchitekten und LandschaftsgĂ€rtnerâ vor. âFĂŒr diese Berufsgruppen gibt es einfach zu wenig akademisches Material, um Antworten auf eine gezielte Marketingstrategie, insbesondere dem Publizieren, zu findenâ, sagt die ehemalige Professorin. Das ist jedoch nicht der alleinige Grund: Es lĂ€sst sich beobachten, dass ein GroĂteil der BĂŒros in der Branche fĂŒr sich die Notwendigkeit nicht sieht, Publizieren als Teil der Unternehmensstrategie anzuerkennen. Sie verlassen sich auf externe Presseanfragen. Diese Denkweise scheint nach wie vor aktuell zu sein: âWir publizieren nicht auf Eigeninitiative hin. Die Anfragen kommen in der Regel vonseiten der Verlage. AuĂerdem erlangen wir mit dem normalen Wettbewerbsgeschehen genĂŒgend Aufmerksamkeit. Das reicht unsâ, erlĂ€utert Michael Adler von Adler + Olesch. âDas mag zwar fĂŒr bestimmte Regionen funktionieren, aber fĂŒr viele Gebiete ist das ein undenkbares Modell, wenn man eine ausgewogene Auftragslage benötigtâ, entgegnet die Landschaftsarchitektin Maria Auböck vom Wiener Atelier Auböck + KĂĄrĂĄsz. âUm die Aufmerksamkeit zu erhöhen, initiierten wir sogar eine internationale Wanderausstellung, die in insgesamt acht StĂ€dten
AUTORIN Kelly Kelch ist Inhaberin der Agentur architekturdesigner und arbeitet seit 2000 als freie Journalistin.
Foto: xxxxx
Um auf das Wie, Wo und Was die richtigen Antworten zu finden, ist eine Strategie notwendig. Doch welche KanĂ€le sind am effektivsten, und mit welchem finanziellen und personellen Aufwand muss ein Landschaftsarchitekt rechnen? Die Antwort hĂ€ngt von den eigenen Erwartungen hinsichtlich des Publikationsergebnisses ab. Ăffentlichkeitsarbeit lĂ€sst sich im groĂen oder kleinen Stil betreiben, abhĂ€ngig von Budget und Manpower. Tatsache ist: Publizieren ist Bestandteil der Unternehmenskommunikation und leistet beispielsweise in Form von GeschĂ€ftsberichten, Prospekten, Newslettern, Magazinen und Pressemitteilungen einen bedeutenden Teil zur Unternehmensdarstellung. AuĂerdem fördert es den Zugang zu Bauvorhaben und hilft dabei, innovative Projektideen vorzustellen. In der Werbebranche heiĂt es: Tue Gutes und rede darĂŒber. Dieser Gedanke etablierte sich mehrheitlich durch alle Branchen hinweg, verhĂ€lt sich aber noch auffallend zurĂŒckhaltend im Bereich der Garten- und Landschaftsarchitektur. Hier vertragen die Professionen durchaus mehr Initiative, die vielfĂ€ltigen Möglichkeiten der Public Relations aufzugreifen und die
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