OK TO B E R 2018
MAGAZ I N F Ü R L ANDSC HAF T SARC HI TEK TUR
GARTEN +
LANDSCHAFT NEUE WEGE GESUCHT: WIE WIR DIE STRASSE ZUM FREIRAUM ERHEBEN
plus
Im Interview mit Timo Herrmann Martin Rein-Cano über Gärten als Migrationshelfer
18 Eine Maßnahme im Biodiversitätsplan der Pariser Bürgermeisterin
32 Kilometer langen
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Ringeisenbahntrasse
Funktionstrennung und
Anne Hidalgo: die Umgestaltung der
Schilder ade: Der Verkehr in
Petite Ceinture zum
der Freisinger Innenstadt soll
ökologischen Korridor.
künftig – wie bereits in der Heiliggeistgasse – komplett über Shared Space geregelt werden.
24 Der Boulevard Anspach in
soll bis 2019 eine
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lebenswerte Flaniermeile
Die Landsberger Straße in Halle
entstehen. Und das alles
war lange Zeit die "leerste"
dank Bottomup.
Straße Deutschlands. Heute
Brüssel: Wo früher das Verkehrschaos herrschte,
belebt das Kollektiv Freiraum galeristen die Straße mit Kunst und Bürgerinitiativen.
42 Wem gehört die Straße? Dem Stadtbewohner oder dem Pkw? Der Verein Urbs’R’Us zeigt mit seinen Aktionen Potenziale für einen menschenfreundlichen Straßenraum auf.
INHALT
AREN A 06 11
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Welle der Entrüstung
T I T EL Neue Wege gesucht: Wie wir die Straße zum Freiraum erheben 12
MIT GESTALTUNG ERZIEHEN Im Gespräch mit bbz-Geschäftsführer Timo Herrmann
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ADIEU LA VOITURE! Wie die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo versucht, Biodiversität in die Straßen der Hauptstadt zu bringen
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FLANIEREN AUF FLÄMISCH SumProject+SumResearch revitalisieren den Boulevard Anspach in Brüssel
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NAHTLOSES MITEINANDER ST raum a. Landschaftsarchitekten transformieren den Freisinger Marienplatz zum gleichberechtigten Straßenraum
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REANIMIERT DIE PIAZZA Ein Kommentar von Ingrid Schegk und Ludwig Schegk
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DIE STRASSE ALS GALERIE Wie Streetart die einst leerstehendste Straße der Stadt Halle wieder zum Leben erweckt
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DIE BUNTMALER Der österreichische Verein Urbs’R’Us erobert die Straßen von Graz für die Öffentlichkeit zurück – ein Porträt
STUDIO 46
FRAGE Wie publiziere ich gezielt?
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PRAXIS Erhellende Wege
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REFERENZ Zähes Grün
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LÖSUNGEN Begrünung von öffentlichem Raum
RUBRIKEN 60
Stellenmarkt
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Impressum
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Lieferquellen
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DGGL
66
Sichtachse
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Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
5 GARTEN+ L ANDSCHAFT
FREIRAUM STRASSE – MIT GESTALTUNG ERZIEHEN Die Funktion der Straße hat sich gewandelt: Nicht nur der Verkehr, sondern auch unsere Einkaufsgewohnheiten ändern sich. Dadurch entstehen neue Möglichkeiten auf der einen und Anforderungen auf der anderen Seite, um Straßen als öffentliche Räume zu gestalten, lebendig zu halten und zukunftsfähig zu machen. Wir sprachen mit Timo Herrmann von bbz landschaftsarchitekten aus Berlin über die aktuellen gestalterischen Herausforderungen. TANJA GALLENMÜLLER
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FREIR AUM STR ASSE IM INTERVIEW MIT TIMO HERRMANN
Herr Herrmann, unsere Städte werden dichter, der Freiraum knapper. Straßen nehmen einen Großteil des öffentlichen Raums ein. Welches Freiraumpotenzial haben Straßen?
Weniger Verkehr und neue Mobilitätskonzepte bieten die Chance, mehr Raum zu gewinnen. Unser Ziel als Landschaftsarchitekten ist es, Verkehrsräume zu qualifizieren, zu Aufenthaltsräumen aufzuwerten und die Autos auf lange Sicht zu verdrängen. Allerdings bestehen noch große Vorbehalte, wenn Ortsmitten und Geschäftszentren nicht mehr mit dem Pkw angefahren werden können. Inwiefern?
Ladenbesitzer denken, ihr Geschäft geht kaputt, sobald man nicht mehr direkt davor parken kann. Bürgermeister meinen, ihre Ortsmitte stirbt. Ungeachtet der neuen Mobilitäten wird immer noch darum gerungen, alle Verkehrsteilnehmer in den Zentren zu halten und entsprechende Angebote zu schaffen.
INTERVIEWPARTNER Timo Herrmann ist Geschäftsführer der bbz landschaftsarchitekten berlin gmbh. bbz wurde 2004 als Netzwerk an unterschiedlichen Standorten gegründet. In den vergangenen Jahren hat das Büro mehrere Wettbewerbe zu Straßenraumgestaltungen bearbeitet und diverse Preise erzielt.
Wie reagieren Sie gestalterisch auf die neuen Möglichkeiten einerseits und Ängste andererseits?
Wir empfehlen und entwerfen hierfür meist den Shared Space. Hier kommen nämlich zwei Dinge zusammen, die dieses Konzept aus unserer Sicht am besten verbindet: Es erfüllt sowohl die geforderten funktionalen sowie die von uns gewünschten gestalterischen Anforderungen. Das Prinzip des Shared Space gibt ja zunächst nur vor, dass alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind und aufeinander Rücksicht nehmen sollen. Wie setzen Sie diese Idee um?
Der Shared Space ermöglicht, Verkehrsräume zu nivellieren. Nicht nur topografisch, sondern auch gestalterisch. Die klassische Trennung Bürgersteig, Fahrradweg und Fahrbahn wird aufgehoben. Alle Verkehrsteilnehmer dürfen den Raum gleichberechtigt nutzen. Das ermöglicht, diese Räume einheitlich und damit großzügig zu gestalten: Die Fahrbahn erhält den gleichen Belag wie die Bürgersteige und Fahrradwege. So entsteht ein großzügiger innerstädtischer Raum mit gestalterischen Qualitäten, die in Richtung eines Platzes gehen. Und das ist auch unser Ziel: diese urbanen Räume – was die Aufenthaltsqualität betrifft – zu Plätzen zu qualifizieren. Zusätzlich ist der Shared Space auch flexibel und daher ökonomisch in der Errichtung und Dauerhaftigkeit. Ohne Umgestaltung kann er auf neue Anforderungen und Bedingungen reagieren: Stellplatzflächen zum Beispiel zeichnen wir nur auf. So können die Markierungen einfach mit Hochdruckreiniger entfernt oder ummarkiert werden, wenn die Autos kleiner werden oder alle nur noch mit E-Rollern fahren. Gleiches Niveau und einheitlicher Belag reichen aber noch nicht, um einen qualitätsvollen Freiraum zu schaffen...
Um die Aufenthaltsqualität zu steigern, arbeiten wir mit sehr hochwertiger Stadtmöblierung. Das sind nicht mehr nur Bänke, sondern eher „Stadt-Sofas“. Daneben gibt es Wasserflächen oder -objekte, die die erwähnten Platzqualitäten in die Straßenräume übertragen. Diese Qualifizierung erfolgt in Aufweitungen, Rücksprüngen oder Kreuzungsbereichen, wo mehr Raum zur Verfügung steht. Meist haben wir es mit Ortsmitten, Geschäfts- oder Quartierszentren zu tun. Durch die Gestaltung entwickeln sie sich in ihrer Qualität beinahe zu Shoppingmalls, nur ohne Dach: Hochwertige, aber – im Gegensatz zur Mall – öffentliche Räume verbinden die angrenzenden Geschäfte. Es entstehen nahezu wohnliche Räume.
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ADIEU LA VOITURE! An manchen Tagen hängt der Smog so dicht über Paris, dass der Eiffelturm darin verschwindet. Als eine der am dichtesten besiedelten Metropolen weltweit hat die französische Hauptstadt besonders mit Luftverschmutzung zu kämpfen. Die Pariser Bürgermeisterin der sozialistischen Partei, Anne Hidalgo, geht dagegen vor: Ein Blick in ihren Aktionsplan zeigt, die Straßen von Paris spielen dabei eine zentrale Rolle. RAFAËL MAGROU
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FREIRAUM STRASSE PARIS, AKTIONSPLAN VON ANNE HIDALGO
AUTOR Rafaël Magrou, Architekt und Architekturkritiker, schreibt für L‘Architecture Aujourd‘hui und lehrt an der ENSA Paris Malaquais.
Den Abschnitt des linken Seineufers Foto: Maxime Dufour
zwischen Musée d‘Orsay und Musée du Quai Branly gestalteten Franklin Azzi Architecture 2013 um.
24. März 2018, 10:45 Uhr, Ecke Quai de Valmy und Rue Jean-Poulmarch im zehnten Arrondissement: Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo pflanzt den 10 000sten Baum, der seit Beginn ihrer Amtszeit in Paris Wurzeln schlagen durfte. Ein Symbol? In jedem Fall Ausdruck von politischem Engagement. Denn die Bäume gehen aus dem Projekt für Bürgerbeteiligung „Partizipativer Haushalt 2016“ hervor. Innerhalb der Maßnahme kann jeder Pariser Projektvorschläge für sein Arrondissement einreichen – und über diese abstimmen. Die Projekte kommen den Bürgern des jeweiligen Stadtviertels zugute. Dieses Jahr widmet sich der partizipative Haushalt den Straßen: Die Baumscheiben sollen bepflanzt werden. Ziel ist einerseits, die Straßen zu verschönern und lebenswerter zu machen, und andererseits, die
Wege der beiden größten innerstädtischen Stadtparks – Bois de Vincennes und Bois du Boulogne – zu begrünen. Grünere Straßen und Wege sollen das Leben in der besonders dicht bebauten Metropole angenehmer machen. Denn die Parks und Wälder, die Jean-Charles Alphand Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Umgestaltung der französischen Hauptstadt durch Baron Haussmann anlegte, bieten nicht genügend Grünflächen. AKTIONSPLÄNE UND DEREN WIDERSPRÜCHE
Dieses Jahr verabschiedete der Stadtrat eine weitere Initiative von Hidalgo: den Plan Biodiversité 2018-2024. Mit dem aufwendigen Aktionsplan möchte Anne Hidalgo Paris bis zu den Olympischen Spielen 2024 grüner gestalten und die 19 GARTEN+ L ANDSCHAFT
FLANIEREN AUF FLÄMISCH Lange lag ein Konzept für den Brüssler Boulevard Anspach in den Amtsschubladen, bis der Druck der Zivilgesellschaft so groß wurde, dass er hervorgeholt und der erste Abschnitt bereits realisiert wurde. Der Boulevard gehört ab jetzt wieder den Menschen, nicht mehr den Autos. KLAUS ENGLERT
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FREIRAUM STRASSE BRÜSSEL, BOULEVARD ANSPACH
Die Brüsseler Place de Brouckère, einst nach dem Vorbild der autogerechten Stadt gestaltet, präsentiert sich künftig als Platz, der Fußgängern und Fahrradfahrern vorbehalten ist.
AUTOR Klaus Englert ist Architekturkritiker, schreibt für die FAZ und ist für den Hörfunk tätig. In diesem Jahr erschien sein Architekturführer über Barcelona bei
Visualisierung: © SumProject
DOM Publishers.
Der Belgier Jean-Baptiste van Moer malte 1870 mehrere Bilder, die das vom Fluss Senne durchzogene mittelalterliche Brüssel zeigen. Als die Bilder wenig später im Brüsseler Rathaus ausgestellt wurden, waren die Motive im Stadtraum nicht mehr auffindbar. Die Enteignung und Zerstörung von über tausend Häusern war bereits im vollen Gange, zugunsten der von Bürgermeister Jules Anspach angeordneten und nur sechs Jahre später, 1876, realisierten unterirdischen Tunnel für Fluss und Abwasser. Im gleichen Jahr entwarf Léon Suys, der Architekt der Börse und der „Grandes halles centrales“, im Auftrag von Anspach den axial verlaufenden Boulevard, der im mittleren Teil über dem Senne-Kanal liegt. Suys’ Entwurf legte damit das bis heute gültige Stadtbild fest, das sich an Georges-Eugène Haussmanns
Transformation von Paris in den 1850erund 1860er-Jahren orientierte. Es entsprach dem Modell monumentaler Sichtachsen und einer modernen städtischen Infrastruktur. Die neu entstandenen Plätze an der Gare du Midi und der Gare du Nord, die Place de la Bourse oder die Place de Brouckère standen im Einklang mit dem Zeitgeist einer modernen westlichen Metropole, die sich endgültig von den Epidemien befreien wollte. VON DER VERKEHRSGERECHTEN ZUR LEBENSWERTEN STADT
Einen weiteren Entwicklungsschub gab es 1958, als Brüssel die erste Weltausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg ausrichtete. Die Schau, in deren Zentrum die Zukunftstechnologien Raumfahrt und Atomkraft standen, vermittelte das 25 GARTEN+ L ANDSCHAFT
DIE STRASSE ALS GALERIE Leer, leerer, Freiimfelde: Das Gründerzeitviertel in Halle zählt zu den Orten mit der höchsten Leerstandsrate deutschlandweit. Das Stadtplanungsbüro Freiraumgalerie spielt mit dieser Leere und verwendet dabei ausgerechnet Graffiti. Es ist eine Kombination aus ästhetischer Kunst und Bürgerbeteiligung, die den Freiraum Straße neu erfindet und Freiimfelde in ein buntes und selbstbestimmtes Quartier verwandeln kann. VANESSA KANZ
AUTORIN Vanessa Kanz studierte Kultur wissenschaften, Germanistik und Europäische Geschichte. Seit Januar 2018 ist sie Volontärin in den Redaktionen der Magazine Garten + Landschaft, topos und Baumeister.
Kunst gegen Leere: Die Freiraumgalerie revitalisiert die Straßen in Halle.
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Ein Gang durch die Landsberger Straße in Halle war bis vor einigen Jahren eher ungemütlich. Viele Häuser standen leer, kein Licht fiel abends durch die Fenster auf die Gehwege. Kein Schimmer der Hoffnung, nichts als Tristesse und Dreck. Seit der Wende kämpft der Stadtteil Freiimfelde mit Verfall; den Schlachthof, der damals Arbeit und Bewegung in das Viertel brachte, gibt es nicht mehr. Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik war die Landsberger Straße im Jahr 2010 jene mit dem höchsten Leerstand deutschlandweit. Es gab keinen Grund, durch diese Straße zu flanieren. Das ist heute anders. Heute lädt sie ein, den Schritt zu verlangsamen, stehen zu bleiben und sich umzublicken, zu staunen. Denn große, bunte Wandbilder zieren die Brandwände der Häuser, Street
Art setzt Akzente an Schornsteinen und Fenstersimsen. Es tut sich was. LEERSTAND KREATIV NUTZEN
Dass hier etwas in Bewegung ist, sich etwas verändert, ist der Freiraumgalerie zuzuschreiben, einem Kollektiv für Raumentwicklung, 2012 gegründet. Eines der ersten Mitglieder im Kollektiv war der Stadtplaner Hendryk von Busse. Der 32-Jährige ist studierter Raumplaner und spezialisiert auf schrumpfende Regionen und Städte. In seiner Diplomarbeit verteidigte er die These, dass Graffiti, und damit Street Art, in leeren und schrumpfenden Städten positive Impulse setzen kann, um diese zu revitalisieren. Nach einigen Fallstudien stellte sich Freiimfelde als besonders geeignet dar, um in seiner Rolle als
FREIRAUM STRASSE HALLE, LANDSBERGER STRASSE
vernachlässigter und von der Stadtregierung vergessener Stadtteil als urbaner Spielplatz zu agieren. Der hohe Leerstand ging mit entsprechenden sozialen und städtebaulichen Problemen einher: hohe Arbeitslosigkeit, Kinderarmut, Kriminalität, fehlende Entwicklungsperspektiven. „Die Situation war und ist auch der Lage von Freiimfelde geschuldet: Als einziges Wohnviertel östlich des Bahnhofs liegt es zwar zentral, ist jedoch durch die Gleiskorridore vom Rest der Stadt getrennt“, sagt Hendryk von Busse. Eine verlorengeglaubte Großstadtinsel, deren Exotik nun durch die Freiraumgalerie ins Viertel getragen wird: „Mit unserem ersten Urban Art Festival 2012 wollten wir aufzeigen, dass man diesen Leerstand nutzen könnte, um eine neue Stadtlebensqualität zu erzeugen“, so von Busse. Künstler und Bürger
sollten diese ungenutzte Stadtsubstanz selbst bemalen. Teil des Festivals waren darüber hinaus Kultur-, Musik- und Sportveranstaltungen – der Freiraum auf und neben der Straße diente als Bühne vor einer bunten Kulisse. „So wurde die Stadt in und um die Landsberger Straße zu einer offenen Galerie haushoher Bilder, die sich ständig verändert und Leerstände als Mitgestaltungsraum aufzeigt – eine Freiraumgalerie“, sagt das Kollektivmitglied. MEHR ALS KUNST
Dabei geht es um mehr als kunstvoll gestaltete Fassaden, denn die Malerei dient der Freiraumgalerie als kraftvolles Werkzeug in der Stadt- und Raumentwicklung. „Von Anfang an haben wir uns als 37 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Augenzwinkern statt Anschreien. Witz statt Wut. Ihr Humor ist ihr Werkzeug, der urbane Raum ihre Baustelle. Das übergeordnete Ziel von Urbs’R’Us: eigenständige und unbürokratische Nutzung des öffentlichen Raums. ANDREAS MAIERHOFER
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Fotos: Urbs’R’Us
DIE BUNTMALER
FREIRAUM STRASSE URBS’R’US IM PORTRÄT
AUTOR Andreas Maierhofer studierte Architektur in Graz und Jönköping, Schweden. Seit 2017 ist er Studienassistent am Institut für Architekturtheorie, Kunst und Kulturwissenschaften an der TU Graz, außerdem ist er als Redakteur und Vorstand im Kulturverein für Architektur – schauraum. Architektur magazin tätig.
Österreich, Graz Hauptplatz an einem warmen Sommerabend. Das Cocktailkleid glänzt, die Bundfaltenhose ist gebügelt, die Krawatte sitzt. Ein normaler Mittwoch, 18 Uhr, eine kleine, fein gekleidete Gruppe spaziert ausgelassen, jedoch zielstrebig in Richtung Erzherzog-Johann-Brunnen vor dem Grazer Rathaus. Sie kommen, um zu trinken. Nichts Besonderes möchte man meinen, doch wurde vor einigen Jahren ein Alkoholverbot an diesem Ort ausgesprochen. Der Verdacht: Dieses Verbot gilt nur für Randgruppen, die am Touristen-Hotspot nicht gern gesehen werden. So wird an diesem Abend Traubensaft aus Weinflaschen in Weingläser gegossen – jedoch ungegoren: ein Augenzwinkern in Richtung Ordnungswache. Sieht rechtswidrig aus, ist es aber nicht. Die Annahme der Gruppe bewahrheitet sich und es passiert: nichts. Wer wohlhabend aussieht, steht anscheinend über dem Gesetz. WAS IST ÖFFENTLICHER RAUM?
„Anstoßen“ war eines von mehreren, unerwarteten Ereignissen während des Architektursommers 2018 in Graz. „Das darf man hier sicher nicht“ oder „Dafür brauchst du sicher eine Genehmigung“ haben Ida Pirstinger, Birgit Schiretz und Dominik Johannes Weißenegger zu oft gehört und gründeten im November 2017 den Verein „Urbs’R’Us“. Anstoß und Problem: Kommerzielle Interessen vereinnahmen zunehmend Straßen, Grünflächen und Plätze, sofern der motorisierten Verkehr diese nicht besetzt. Urbane Freiräume stehen immer weniger ihrem ursächlichen Zweck als menschlicher
Interaktions- und Bewegungsraum zur Verfügung. „Zahlreiche Stadtverwaltungen gehen dazu über, Tätigkeiten, die nicht der reinen Fortbewegung dienen, vermehrt zu reglementieren und dafür Genehmigungen mit entsprechenden Auflagen oder gegen Gebühr einzufordern,“ kritisiert Birgit Schiretz die aktuellen Entwicklungen. Wenige Randzonen und Restflächen bleiben als konsumfreier Raum, jedoch haben sich die Bewohner schon so sehr an diesen Zustand gewöhnt, dass selbst diese Flächen nicht mehr genutzt werden. Den Urbs’R’US geht es um den öffentlichen Raum und somit finden auch alle Ereignisse direkt in diesem statt. Fragen wie „Was ist öffentlicher Raum?“, „Was ist überhaupt Öffentlichkeit?“, „Wem gehört der öffentliche Raum?“ und „Wofür steht der öffentliche Raum zur Verfügung?“ stellt Urbs’R’Us und sucht nach Antworten. Als Kernproblem beschreibt Ida Pirstinger, es habe sich in Graz mehr oder weniger eingebürgert, dass der urbane Raum darauf reduziert wird, dass man Strecken zurücklegt. Ohne vorher etwas anzukündigen oder mühsam zu suchen, kann man nichts Unkonventionelles im öffentlichen Stadtraum treiben – quasi: Wer mehr als nur auf dem Gehsteig lang gehen will, muss um Erlaubnis fragen oder gar dafür bezahlen – zumindest glauben das die meisten. Urbs’R’Us glauben das nicht. Urbs’R’Us sagen: „Wir sind die Stadt. Der urbane Raum gehört uns.“ Die ursprüngliche Definition des urbanen Raums sei, dass dieser Allgemeingut ist, den die Gesellschaft bezahlt und errichtet hat. Somit gehöre der Raum auch der Allgemeinheit und nicht der Stadt oder einer
Wird man des Platzes verwiesen, wenn man verbotenerweise, aber schick angezogen vermeintlich Alkohol am Erzherzog-JohannBrunnen in Graz trinkt? Der Verein Urbs’R’Us findet herraus: nein. Denn im öffentlichen Raum misst man gerne mit zweierlei Maß.
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FR AGE
WIE PUBLIZIERE ICH GEZIELT? Ein Projekt ist fertiggestellt, die Übergabe an den Bauherrn fand soeben statt, und alle Beteiligten freuen sich über das Ergebnis. Den Erfolg mit der Öffentlichkeit zu teilen, sollte der feierliche Abschluss sein. Doch welche PR-Maßnahmen geht man an, und mit welchen Werkzeugen publiziert man das Projekt?
Grafik: Designed by Freepik
KELLY KELCH
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STUDIO FRAGE
digitalen Optionen – wie etwa eine Website, Blogs, fachspezifische Onlineportale sowie Social Media – oder die ‚physischen‘ Tools – wie klassische Printmedien – für sich anzuwenden. Wie man eine gezielte Strategie aufstellt, erklärt die Agrarökonomin Dr. Gudrun Mahlau in ihrem Buch „Marketing für Landschaftsarchitekten und Landschaftsgärtner“ vor. „Für diese Berufsgruppen gibt es einfach zu wenig akademisches Material, um Antworten auf eine gezielte Marketingstrategie, insbesondere dem Publizieren, zu finden“, sagt die ehemalige Professorin. Das ist jedoch nicht der alleinige Grund: Es lässt sich beobachten, dass ein Großteil der Büros in der Branche für sich die Notwendigkeit nicht sieht, Publizieren als Teil der Unternehmensstrategie anzuerkennen. Sie verlassen sich auf externe Presseanfragen. Diese Denkweise scheint nach wie vor aktuell zu sein: „Wir publizieren nicht auf Eigeninitiative hin. Die Anfragen kommen in der Regel vonseiten der Verlage. Außerdem erlangen wir mit dem normalen Wettbewerbsgeschehen genügend Aufmerksamkeit. Das reicht uns“, erläutert Michael Adler von Adler + Olesch. „Das mag zwar für bestimmte Regionen funktionieren, aber für viele Gebiete ist das ein undenkbares Modell, wenn man eine ausgewogene Auftragslage benötigt“, entgegnet die Landschaftsarchitektin Maria Auböck vom Wiener Atelier Auböck + Kárász. „Um die Aufmerksamkeit zu erhöhen, initiierten wir sogar eine internationale Wanderausstellung, die in insgesamt acht Städten
AUTORIN Kelly Kelch ist Inhaberin der Agentur architekturdesigner und arbeitet seit 2000 als freie Journalistin.
Foto: xxxxx
Um auf das Wie, Wo und Was die richtigen Antworten zu finden, ist eine Strategie notwendig. Doch welche Kanäle sind am effektivsten, und mit welchem finanziellen und personellen Aufwand muss ein Landschaftsarchitekt rechnen? Die Antwort hängt von den eigenen Erwartungen hinsichtlich des Publikationsergebnisses ab. Öffentlichkeitsarbeit lässt sich im großen oder kleinen Stil betreiben, abhängig von Budget und Manpower. Tatsache ist: Publizieren ist Bestandteil der Unternehmenskommunikation und leistet beispielsweise in Form von Geschäftsberichten, Prospekten, Newslettern, Magazinen und Pressemitteilungen einen bedeutenden Teil zur Unternehmensdarstellung. Außerdem fördert es den Zugang zu Bauvorhaben und hilft dabei, innovative Projektideen vorzustellen. In der Werbebranche heißt es: Tue Gutes und rede darüber. Dieser Gedanke etablierte sich mehrheitlich durch alle Branchen hinweg, verhält sich aber noch auffallend zurückhaltend im Bereich der Garten- und Landschaftsarchitektur. Hier vertragen die Professionen durchaus mehr Initiative, die vielfältigen Möglichkeiten der Public Relations aufzugreifen und die
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