PLATZ FÜR ALLE
A PR IL 2017
M AG AZ IN F Ü R L AN D S C H AF T S ARC H I T E KT UR
GARTEN +
LANDSCHAFT
PLATZ FÜR ALLE INKLUSION UND INTE GRATION PLANEN
plus
GARTEN + LANDSCHAFT
A P R I L 2 017
NYC: Parks ohne Grenzen Till Rehwaldt über gerechtes Grün Wie geht gute PR in der Kommune?
12 28
Wie Menschen mit visueller Einschränkung den öffentlichen
Ermöglicht bessere
Raum wahrnehmen.
Orientierung: ein
Ein Fotoessay.
einheitliches Konzept für den Bodenbelag in der Innenstadt von Meppen.
20 Ein integriertes Leitsystem macht den neugestalteten Georgenbachweg in Starnberg für alle erlebbar.
42 Die drumrum Raumschule motiviert Kinder, den öffentlichen Raum aktiv mitzugestalten.
58 Außergewöhnlicher
Glasfaserbeton entlang der Wasserläuferroute im Allgäu.
4 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Foto: xxxxx
Rastplatz: Findlinge aus
INHALT
ARENA 06 11
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Große Geste
T I T EL Platz für alle Inklusion und Integration planen 12
VERSTEHEN AUSLÖSEN Die Welt mit anderen Augen sehen: Architektin Alejandra Loreto erzwingt mit einem Fotoprojekt den Perspektivwechsel
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EINE STADT WILL NACH OBEN Der umgestaltete Georgenbachweg ist der erste Schritt Starnbergs zur barrierefreien Modellstadt
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KONTRAST KONTROLLIEREN Die Innenstadt von Meppen hat ein neues Leitsystem für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen
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AUFGESCHLOSSEN Künftig ohne Zäune: New York will seine Parks öffnen
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GERECHTIGKEIT IN GRÜN Wie viel Raum für wen? bdla-Präsident Till Rehwaldt über die richtige Balance aus Quantität und Qualität
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SCHULE MACHT RAUM Porträt: Die drumrum Raumschule bezieht Kinder in die Planung von Städten ein
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KAMPF- ODER KOMFORTZONE? Muss Barrierefreiheit weh tun? Ein Kommentar
STUDIO 46
FRAGE Wie geht gute PR in der Kommune?
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PRAXIS Lebenszyklus-Kosten von Bodenbelägen
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LÖSUNGEN Licht im Außenraum
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REFERENZ Allgäuer Meilensteine
RUBRIKEN 60
Stellenmarkt
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Lieferquellen
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Impressum
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DGGL
66
Sichtachse
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Vorschau
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
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12 GARTEN+ L ANDSCHAFT
PLATZ FÜR ALLE VERSTEHEN AUSLÖSEN
PLATZ FÜR ALLE – VERSTEHEN AUSLÖSEN
Foto: Alejandra Loreto, Mathias Schmuckerschlag
Die Welt um uns herum, die Landschaft, den urbanen Raum – wie nutzen und durchdringen wir all das? Hier gilt das Postulat der Gleichheit und Gerechtigkeit: Der öffentliche Raum sollte für jeden zugänglich sein, uneingeschränkt und ohne Kosten. Doch in der Realität ist der freie Zugang nicht für jeden selbstverständlich.
13 GARTEN+ L ANDSCHAFT
PLATZ FÜR ALLE STARNBERG 2023
Die Öffnung des Georgenbachs in Starnberg ermöglicht den Zugang zum Wasser, wenn auch nicht ganz barrierefrei.
EINE STADT WILL NACH OBEN Die süddeutsche Kreisstadt Starnberg hat sich in Anlehung an das Programm „Bayern Barrierefrei 2023“ zum Ziel gesetzt, barrierefreie Modellkommune zu werden. Nicht ganz einfach bei seiner Lage am Hang. Eines der ersten Projekte ist die Neugestaltung des Geogenbachwegs.
Foto: Roberto Simoni Photography
KATHARINA MATZIG
Es war, wie es sich in Bayern gehört: Der Himmel wölbte sich weiß-blau, zwei Pfarrer erteilten ihren Segen und die Musik spielte: „A richtig schöner Platz da, für die Starnberger Leut, mitten drin in Starnberg, am Georgenbach hoit“ erklang es auf die Melodie des – zugegebenermaßen – österreichischen Songs „Ham kummst“. Den „Starnberger Leut“ geht es gut. Bilderbuchsee, Bilderbuchwetter, Bilderbuch-Kulturleben. Und, so weiß es die Statistik: die meisten Millionäre, das größte Bildungsniveau, die höchste Lebenserwartung, das höchste Lebensglück. Wenn auch nicht immer uneingeschränkt, was die hohe Lebenserwartung selbst im Bilderbuch-Starnberg mit sich
bringt: Knapp 10 Prozent der 22 497 Einwohner leben mit einer Einschränkung. Das entspricht in etwa dem deutschlandweiten Durchschnitt. Das sogenannte Billeter-Maß, das das Verhältnis der Differenz zwischen Kinder- (unter 15-Jährige) und Großelterngeneration (50-Jährige und Ältere) zur Elterngeneration (15- unter 50-Jährige) ausdrückt und somit einen Anhaltspunkt gibt, wie weit die Überalterung einer Gesellschaft fortgeschritten ist, entwickelt sich kontinuierlich negativ. Es liegt laut Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung Bayern für das Jahr 2014 mit einem Wert von -0,63 deutlich unterhalb des bayerischen Durchschnitts von -0,3. Verständlich also, dass die Kreisstadt am gleichnamigen See sich zur Modellkommune erklärt hat: „Starnberg Barrierefrei 2023“. 21 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Die Neugestaltung des Marktplatzes in Meppen ermöglichte ein Leitsystem für Menschen mit motorischen und visuellen
KONTRAST KONTROLLIEREN
Einschränkungen.
Die aktuellen Normen zur Barrierefreiheit stellen Planer vor einige Herausforderungen, wie es das Beispiel Marktplatz der niedersächsischen Stadt Meppen zeigt. Transparente Planungsprozesse helfen, Unsicherheiten zu reduzieren. IRENE LOHAUS
Der Mensch nimmt 80 bis 90 Prozent über das Auge wahr. Nur ein geringer Teil der Informationen wird über andere Sinne verarbeitet. Das Sehen ist demnach entscheidend für die Orientierung im Raum. In Deutschland lebten nach Schätzungen der WHO im Jahr 2012 mehr als eine Million Menschen, die ihre Umwelt nur mit einer erheblichen Einschränkung visuell wahrnehmen können. Mit der steigenden Lebenserwartung und der demografischen Entwicklung dürfte auch diese Zahl erheblich zugenommen haben und derzeit schon bei über zwei Millionen liegen. Auch wenn Navigationssysteme die Orientierung in Zukunft unterstützen werden, führt doch kein Weg um bauliche Lösungen herum, die es ermöglichen, räumliche Situationen schon bei geringen Einschränkungen sicher zu erkennen. Menschen, bei denen das Sehvermögen zwar erheblich eingeschränkt ist, aber die visuelle Orientierung und Information noch möglich ist, helfen deutlich unterscheidbare Helligkeitskontraste. Blinde Menschen orientieren sich primär taktil und akustisch. Visuelle und taktile Kontraste in Verbindung mit einem Orientierungs- und Leitsystem sind daher wesentlich, um die Orientierung für Menschen mit Sehbehinderung zu unterstützen, ihnen Informationen zu vermitteln oder Gefahren zu kennzeichnen. Und somit eine selbstbestimmte Mobilität zu ermöglichen und öffentliche Räume ohne fremde Hilfe zu nutzen. Die gesetzlichen Grundlagen (DIN 18040-1 und DIN 28 GARTEN+ L ANDSCHAFT
18040-3) beinhalten daher ausdrücklich auch Anforderungen und Bedürfnisse von Menschen mit visuellen Einschränkungen. LEITSYSTEM FÜR DIE STADT MEPPEN
Für die historische Innenstadt der niedersächsischen Kreisstadt Meppen entwickelte unser Büro Lohaus + Carl Landschaftsarchitekten ein individuelles, einheitliches und durchgängiges Konzept für die Bodenbeläge, das nicht nur Menschen mit motorischen Einschränkungen berücksichtigt, sondern mithilfe von sogenannten „Sonstigen Leitelementen“ auch als Orientierungs- und Leitsystem für Menschen mit visuellen Einschränkungen dient. Dabei ist es nicht auf den ersten Blick als Blindenleitsystem erkennbar. Im geschlossenen System der Innenstadt setzen wir die
FAKTEN
Stadt Meppen Wettbewerb 2009, Planung + Realisierung 2010 – 2013 GRÖSSE ca. 9 500 Quadratmeter BAUKOSTEN FREIRAUM ca. 1,8 Millionen Euro netto LANDSCHAFTSARCHITEKTEN Lohaus + Carl GmbH Landschaftsarchitekten + Stadtplaner AUSZEICHNUNG 1. Preis Wettbewerb 2009 AUFTRAGGEBER ZEITRAUM
Foto: Gerlinde Espendiller
PLATZ FÃœR ALLE BLINDEN-LEITSYSTEM MEPPEN
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PLATZ FÜR ALLE NYC: PARKS WITHOUT BORDERS
Noch gibt es viele Zäune in New York. Parks und Plätze wurden meist aus Sicherheitsgründen nach außen abgeriegelt.
AUFGESCHLOSSEN Vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Abgrenzung der USA setzt New York mit seinem „Parks without BordersProgramm“ ein entgegengesetztes Zeichen: Parks, die bisher umzäunt und segregiert waren, sollen mithilfe bürgerschaftlichen Engagements zum integrativen Teil des gesamten öffentlichen Raums werden.
Foto: Wolfram Höfer
WOLFRAM HÖFER
In den USA wird gegenwärtig viel über Zäune und Mauern geredet. Insbesondere über einen ganz großen entlang der Grenze zum südlichen Nachbarn Mexiko. Dieser Zaun nach außen spiegelt eine tiefe Zerrissenheit im Innern wider. Die Kluft zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wächst, verschärft durch einen selektiven Medienkonsum: Jeder liest nur das, was er will, man folgt nur dem Twitter-Feed seiner Freunde. Eine Begegnung mit anderen, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, findet nicht statt. Zäune im Kopf werden zu digitalen
Mauern. In dieser Situation ist eine Initiative der New Yorker Stadtverwaltung bemerkenswert, die bestehende Zäune in öffentlichen Parks abreißen will. ZWISCHEN AUSGRENZUNG UND SICHERHEIT
Zäune in Parks haben Tradition. Im London des 19. Jahrhunderts waren kleine Grünanlagen in wohlhabenden Wohngebieten der allgemeinen Öffentlichkeit verschlossen. Unerwünschte Begegnungen sollten die Erholung im Park nicht stören. Weniger wohlhabende Bevölkerungsschichten schloss man buchstäblich aus. Die Kleiderordnung im Münchner 33 GARTEN+ L ANDSCHAFT
GERECHTIGKEIT IN GRÜN Städtische Freiräume haben viele Anforderungen zu erfüllen. Sie sind Orte der Begegnung, der Erholung, der Integration. Und sie sollen möglichst für alle jederzeit zugänglich sein. Wir sprachen mit Till Rehwaldt, Präsident des bdla, über gerechtes Grün und darüber, was Landschaftsarchitekten und Kommunen dazu beitragen können.
INTERVIEWPARTNER
INTERVIEW: TANJA GALLENMÜLLER
Till Rehwaldt studierte an der TU Dresden Landschaftsarchitektur. Seit 1993 leitet er als selbstständiger Garten- und Landschaftsarchitekt das Büro Rehwaldt Landschaftsarchitekten in Dresden. Seit 2014 ist er Präsident des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten, bdla.
Herr Rehwaldt, der bdla setzt sich neben anderen grünen Verbänden im Rahmen der Erstellung des „Weißbuchs Stadtgrün“ für mehr Umweltgerechtigkeit ein. Was genau bedeutet das?
Die Umweltgerechtigkeit ist ein Begriff, der ursprünglich aus der Umweltbewegung kommt, weniger aus der Planung. Er umfasst für uns heute aber zwei Aspekte: Zum einen die Idee, dass alle von der Umwelt in gleicher Weise profitieren, das heißt, Umweltqualitäten sich möglichst gleichmäßig und gerecht auf verschiedene soziale Gruppen verteilen. An ausreichenden Umweltqualitäten mangelt es oft in Stadtquartieren, in denen sozial benachteiligte Gruppen wohnen beziehungsweise die noch nicht vollständig entwickelt sind. Dort müssen Qualitäten verbessert werden, um alle gerecht daran zu beteiligen. Und der zweite Aspekt?
Die planerische Seite. Wenn es um konkrete Projekte geht, dann spielt weniger die Boden-, Wasser- und Luft-, sondern die Nutzungsqualität eine Rolle. Die gerechte Stadtentwicklung stellt fest, wo es räumlich gesehen Benachteiligungen gibt und welche Räume das sind. Der Fokus liegt dabei auf der Betrachtung von Räumen statt der sozialen Gruppen selbst. Wir wissen, dass es ein Ungleichgewicht gibt. Wesentlich bei der Erarbeitung des Weißbuchs Stadtgrün ist, diese abzubauen und benachteiligten Räumen neue Qualitäten zu geben. 38 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Das heißt: Qualität vor Quantität?
Beides ist wichtig. Bei dem ursprünglichen Umweltgerechtigkeitsgedanken geht es mehr um Qualitäten. Bei der Planung aber geht es auch um Quantität, denn nur in ausreichend bemessenen Grünräumen kann sich der Mensch entfalten und Freiraumqualitäten wirklich nutzen. Dazu gehören, statistisch gesehen, die Größe pro Einwohner, aber auch Entfernungen und Erreichbarkeiten. Hierzu gibt es verschiedene Ansätze. Zum Beispiel?
In Essen, der Grünen Hauptstadt Europas, liegt ein Großteil der Freiräume nicht weiter als 300 Meter vom Wohnort entfernt. Wir als bdla sagen, dass solche Ansätze weiter verfolgt werden sollen und man auch nach Fertigstellung des Weißbuchs nicht aufhören darf, im städtischen Gebiet ausreichend Freiräume zu schaffen, die gut zu erreichen sind. Das ist aber kein neues Thema. Woran liegt es, dass es jetzt aktuell wieder mehr Aufmerksamkeit erfährt?
Stimmt, das Thema ist überhaupt nicht neu. In den 1970er-Jahren gab es Zahlen, Berechnungen und Statistiken dazu, geboren aus dem technokratischen Ansatz der Stadtplanung, alles zu optimieren. Wir wissen inzwischen, dass dies im Endeffekt so nicht umsetzbar ist. Man wird nicht immer alle Quantitäten und Mindestentfernungen erreichen. Deshalb gibt es auch den qualitativen Ansatz. Den hat es in der
PLATZ FÜR ALLE INTERVIEW MIT TILL REHWALDT
Mit bdla-Präsident Till Rehwaldt im Gespräch
früheren Diskussion so vielleicht noch nicht gegeben. Stichwort: doppelte Innenentwicklung. Was bedeutet das?
Wenn es nicht möglich ist, mit zunehmender Bebauung, Flächenverdichtung und steigenden Bevölkerungszahlen in Städten neuen Freiraum zu schaffen, muss der verbleibende Freiraum qualifiziert werden für eine intensivere Nutzung. Damit stehen wir erst am Anfang. Man sieht es an Parks, die übernutzt und zerstört werden. Hinzu kommt, dass es häufig eine starke Zuwanderung in Stadtgebiete gibt, die nicht gut ausgestattet sind mit Grünräumen. Gerechtigkeit für alle sozialen Gruppen herzustellen, spielt jetzt eine größere Rolle als noch vor zwei, drei Jahren.
Foto: Till Budde
Was können Landschaftsarchitekten dazu beitragen?
Das Wort Umweltgerechtigkeit verbindet auch die Frage des sozialen und ökologischen Anspruchs. Verknüpft ist das aktuell im Ministerium für Bauen und Umwelt, das zusammengeführt wurde. Wir haben die
Hoffnung, dass diese Idee, die beiden Bereiche zusammenzulegen, sich auch im Weißbuch niederschlagen wird. Gerade weil es heutzutage stärker um soziale Aspekte geht, muss man dennoch auch Formen finden, um ökologische Qualitäten zu erhalten. Zumal der Artenschutz durch die europäischen Regelungen gleichzeitig auch wichtiger wird. Dabei gibt es viele Konflikte, auf die man mit intelligenten Planungskonzepten reagieren muss.
über eine gerechte Verteilung von Freiraum, dessen Qualifizierung und Zugänglichkeit.
Sie sprachen die zunehmende Zuwanderung an. Welche Rolle spielen Freiräume beim Thema Integration?
Vielleicht ist es erstmal eine Frage der Bewirtschaftung von Freiraum, also der Pflege und Unterhaltung. Wenn mehr Menschen kommen, die in kleineren Wohnungen leben, werden Freiräume intensiver genutzt. Ich glaube, Integration im Freiraum kann nur gelingen, wenn die Städte dort auch investieren. Was heißt das konkret?
Nicht nur Unterkünfte für Flüchtlinge zu bauen, sondern auch schnell verfügbaren 39 GARTEN+ L ANDSCHAFT