Willkommen bei großartigen Gastgeberinnen

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MANUELA VON PERFALL

WILLKOMMEN BEI GROSSARTIGEN

D T S N U K DIE

S N E D A L ES EIN

FOTOGRAFIE ANJA HÖLPER



MANUELA VON PERFALL

WILLKOMMEN BEI GROSSARTIGEN

D T S N U K DIE

S N E D A L ES EIN

FOTOGRAFIE ANJA HÖLPER

CALLWEY



INHALT VORWORT

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ALEXANDRA FREIFRAU VON

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ISA GRÄFIN VON HARDENBERG 40

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NESTWÄRME FÜR VIELFLIEGER

ZURÜCK AN DEN HERD!

GLOBAL PLAYER 68

MARIANNE FÜRSTIN ZU

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CECILIA ROSSI IM SCHLARAFFENLAND

SAYN-WITTGENSTEIN

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CLARISSA KÄFER 76

BERIT RAPP

SOPHIE UND XENIA VON OSWALD

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ULRIKE KRAGES

VON PFUEL

FAMILY AFFAIR

MECHTHILD HAUSCHILD-ROGAT

MARIE THERESE WILLMS

STEPHANIE GRÄFIN BRUGES

GASTGEBER TO GO

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KATHARINA SCHNEIDER

ELKE GRÄFIN VON PÜCKLER

DIE MENSCHENFISCHERIN

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MISCHMASCH MIT MAGIE

REIZ DER RUHE

DIE GRÄFIN MIT DEM GRÜNEN

SUPERWOMAN

ZU GAST IN DER VILLA KUNTERBUNT

UND METHODE

DR. CHRISTA HÄUSLER

DAUMEN

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MON MUELLERSCHOEN

ELISABETH AUERSPERG-BREUNNER EIN HERZ FÜR KÜNSTLER

BABENHAUSEN

KATHARINA BAUMANN

GASTGEBEN IST EINE KUNST,

DAS FLEISSIGE LIESCHEN

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FRANZISKA GRÄFIN VON FUGGER

GASTMAHL MIT WEITBLICK

REHLINGEN

DIE MAN LERNEN KANN

LOVESTORY MIT GLÜCKLICHER LANDUNG

ALICE JAY VON SELDENECK CORPORATE IDENTITY

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ELISABETH GÜRTLER

MIT SCHICK, CHARME UND SCHARFSINN

HOHE SCHULE DER LEBENSART

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BITTE PLATZ NEHMEN!

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GEHEIMREZEPTE

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VORWORT

ein Haus ist dein Haus, diese Worte formulieren wohl das bekannteste Sprichwort zum Thema Gastfreundschaft. Die Tür zu öffnen und Verwandte und Freunde hineinzulassen, sie zu bewirten und willkommen zu heißen, bildet seit Tausenden von Jahren das Fundament unseres Zusammenlebens.

„Fünf sind geladen, zehn sind gekommen. Gieß Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen.“ Aus dem Burgenland

Als unsere Vorfahren noch in Fellwesten beisammensaßen und sich Büffel und Beeren teilten, war die gemeinsame Mahlzeit nicht nur überlebensnotwendig, sondern auch Ehrensache. Man hatte zusammen gejagt und teilte sich die Beute, und selbstverständlich wurden auch diejenigen in den Kreis ums Lagerfeuer aufgenommen, die sich nicht aktiv am Nahrungsnachschub beteiligt hatten. Essen zu teilen bedeutete, den anderen in einen persönlichen, familiären Kreis aufzunehmen. „Wer nicht mitaß, isolierte sich“, so Jana Hauschild in Zeit Wissen.

„Eine gemeinsame Mahlzeit sättigt nicht nur physiologische, sondern auch seelische Bedürfnisse.“ Christine Brombach, Ernährungswissenschaftlerin von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

Durch die Jahrhunderte wurden Verträge mit dem gemeinsamen Genuss von Speisen besiegelt, Bündnisse mit Essgelagen gefeiert und pompöse Staatsbankette ausgerichtet, die die verfeindeten Potentaten einander verpflichteten. Auch die väterliche Drohung „solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst …“ – seit Urzeiten ein bewährtes Mittel, aufmüpfige Söhne und Töchter im wahrsten Sinn des Wortes „mundtot“ zu machen – zeigt die symbolische Kraft gleichzeitiger Nahrungsaufnahme. Oder, wie Eva Barlösius, Professorin am Institut für Soziologie an der Universität Hannover, sagt: „Die gemeinsame Mahlzeit ist die Urform des Beisammenseins.“ Um Fremde miteinander

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vertraut zu machen und Zusammenhalt und Verständnis zu schaffen, sind Genuss und die damit verbundenen Gespräche also seit jeher die traditionell erprobten Vehikel – ob sie nun zur Völkerverständigung führen oder zur Vertiefung privater Beziehungen. Haben sich solche Rituale selbst abgeschafft, weil in Zeiten von Fast-Food und To-go-Snack, Tiefkühlpizza und Käsebrot vor der Glotze andere Prioritäten gelten? Brauchen wir keine Freunde mehr, weil Selbstoptimierung im Vordergrund steht? Stören Gäste und die mit ihnen „verplemperte“ Zeit, weil wir möglichst nüchtern spätestens um elf im Bett liegen wollen? Oder folgen wir gar Guy de Maupassant, der meinte: „Man sollte eine schlechte Köchin oder eine schlechte Sängerin heiraten, dann bleibt man Gott sei Dank von Gästen verschont.“

„Allein kochen ist doof und langweilig. Und ich will nicht immer zu Hause vor dem Computer sitzen oder in die Disko flüchten. Außerdem lernt man nette Mädels kennen.“ Jumping-Dinner-Fan Gregor, 19 Jahre

Entwarnung. Monsieur de Maupassant und die Beschwörer der „guten alten Zeit“ sind auf dem Holzweg. Die Sehnsucht, Menschen aus Fleisch und Blut einzuladen – im Hebräischen hat das Wort „einladen“ übrigens den Doppelsinn von „Zeit schaffen“ –, kann kein Smartphone und kein Tablet befriedigen. Erprobte Bräuche werden heute wieder aus der Mottenkiste gezogen und verschmelzen mit neuen Formen der Geselligkeit und Gastfreundschaft. So ist „Social Dining“ beispielsweise ein aktueller Einladungstrend, der einander unbekannte Menschen übers Internet in fremden Küchen zusammenbringt. Gemeinsam mit einem Teampartner werden die Zutaten für das geplante Gericht eingekauft und dann beim Gastgeber zubereitet. Die Kosten teilen sich die Gäste gleich zu Beginn, der Gastgeber wird zum Dank für die Bereitstellung seiner Küche eingeladen (www. cookasa.com). Während manche Normen einfach über Bord gehen – so hat sich der Krawattenzwang sowohl in Beamtenkreisen als auch


Frauenpower bei Alexandra von Rehlingen. Beim Ladies’ Lunch werden leicht und locker Freundschaften vertieft.

unter Barbesuchern weitgehend erledigt –, werden andere, längst verloren geglaubte Umgangsformen an Land gezogen. In einer zusammenwachsenden Welt erleben japanische Gepflogenheiten, wie der Gebrauch von Visitenkarten, oder polnische Traditionen, wie die großzügige Verteilung von Handküssen, ein Comeback.

„Ich nehme an, dass es des Menschen Bestimmung ist, sich zu unterhalten.“ Søren Kierkegaard

Wer sich nicht als hoffnungsloser Macho ins gesellschaftliche Abseits begeben will, hilft einer Frau in den Mantel und schmeißt ihr nicht die Kneipentür vor der Nase zu. So spürt die SoftSkill-Trainerin Isa Gräfin von Hardenberg denn auch wachsendes Interesse am Auffrischen guter Umgangsformen. „Unsere Seminare werden vor allem von Führungspersönlichkeiten und Managern gebucht. Wer sich auf gesellschaftlichem Parkett entspannt bewegen und locker auf Menschen zugehen kann, kommt weiter.“

Der größte Lifestyle-Trend kommt zurzeit aus Dänemark und nennt sich „Hygge“ wie heimelig, gemütlich, friedlich, harmonisch. Hyggelig ist Brot backen, Abende mit Freunden planen, stricken, malen, selber machen, ein guter Gastgeber sein. Als unhyggelig gelten Politik, Wut, Lautstärke, frieren, Stress und Knallfarben. Vielleicht sagt uns das nichts Neues. Wir wussten schon immer, dass es gemütlicher ist, in Wollsocken auf dem Sofa zu lümmeln und Kuchen zu essen, anstatt hysterisch Kalorien zu zählen und sich im Fitnessstudio abzustrampeln. Dass nach politischen Diskussionen schlaflose Nächte drohen, während einem beim Stricken von selbst die Augen zufallen. Und dass es glücklicher macht, mit Freunden in der warmen Wohnung an einem gedeckten Tisch zu sitzen, als allein zu sein. Niemand wird überrascht sein, dass in unübersichtlichen und bedrohlichen Zeiten die eigenen vier Wände zum Rückzug einladen. Wie auch immer sich die Moden und Manieren dem Zeitgeist anpassen mögen, unsterblich und unverrückbar spannt sich über jeder wie auch immer gearteten Zusammenkunft von zwei und mehr Menschen die alles verbindende Kommunika-

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Die Ernährungsberaterin Katharina Schneider schenkt Freunden gerne Quality Time.

tionsrichtschnur von Adolph Freiherr Knigge: „Interessiere dich für andere, wenn du willst, dass sie sich für dich interessieren.“ „Wahre Gastfreundschaft besteht darin, Gedanken bei sich zu empfangen“, sagt der Wiener Universitätsprofessor Peter Cerwenka. „70 Prozent zuhören, 30 Prozent selber reden“, rät die routinierte Gastgeberin Isa von Hardenberg. „Einfühlungsvermögen und Respekt sind die wichtigsten Eigenschaften einer Gastgeberin“, meint die „Vermittlerin neuer Denkformen“, die Galeristin Christa Häusler. Gastgeben ist also viel mehr, als den Tisch sorgfältig zu decken, Blumen auf die Kommode zu stellen und die Wohnung aufzuräumen. Auch spielen komplizierte Gerichte oder kostspielige Getränke nicht vordergründig die Hauptrolle. Vielmehr geht es darum, „sich um die Fröhlichkeit des Gastes zu kümmern, und das jedes Mal, wenn er unter deinem Dach ist“, so das Postulat des Schriftstellers Jean Brillat-Savarin in seinem Lehrbuch der Gastronomie und Tafelfreuden. Und Adolph Freiherr Knigge, der Menschen- und Manierenkenner, stimmt bei: „Man reiche das,

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was man hat, dem Gast in gehörigem Maß und mit freundlichem Gesicht dar. Man suche weniger Glanz als guten Willen zu zeigen.“ Offenheit und Toleranz sind die Säulen der Gastfreundschaft, ob nun Flüchtlinge aus fernen Ländern an die Tür klopfen oder der Nachbar, dem das Salz ausgegangen ist. Der gute Gastgeber strebt nicht nach Ruhm und Ehre, sonnt sich nicht im Glanz seiner Kochkünste oder denen eines kreativen Caterers. Geld und guter Geschmack sind wohlschmeckende und dekorative Beilagen, doch das Hauptgericht heißt Freundschaft und Verantwortung.

„Alles Geld der Welt macht keine gute Party.“ Elsa Maxwell, Klatschreporterin und professionelle Gastgeberin

Nicht nur der Einladende sollte gute Laune verbreiten und einfühlsam sein. Vice versa ist auch der Eingeladene gefragt, zur guten Stimmung beizutragen. Gastgeben und -nehmen, könnte man sagen. Fürstin Elisabeth von Bismarck, eine exzentrische Entertainerin mit Sinn für Humor und Poesie, schätzt vor allem


VORWORT

Gäste mit hohem Unterhaltungswert. Wer die geistreichsten Gemeinheiten von sich geben, die ironischste Tischrede halten und den stärksten Alkohol vertragen kann, erhält den Ritterschlag. Politisch Korrekte, mit anderen Worten „Langweiler“, kommen selten in den Genuss ihrer Menüs, die sie poetisch „Reh spazierte durch die Lichtung und sehnte sich nach heißer Schokolade“ nennt. Doch bei aller Liebe fürs Unkonventionelle gibt es auch bei der souveränen Aristokratin Spielregeln. So müssen manche ihrer Favoriten, noch bevor sie den Mantel ausziehen, einen kleinen Vertrag unterzeichnen, der allerdings nach ein paar Gin Tonics Makulatur ist: 1. Ich darf mich nicht auf das antike Einhorn im Wohnzimmer setzen. 2. Ich darf nicht an die Blumenrabatte im Garten pinkeln. 3. Ich muss zu einer angemessenen Zeit nach Hause gehen. Apropos „Wie schade, dass ihr endlich geht“, einem Spruch aus Griechenland: Mein Vater hatte eine besonders subtile Art, seinen Gästen zu zeigen, dass die Stunde geschlagen hatte. Auf ein verstecktes Handzeichen hin holte sein Labrador einen Pantoffel aus dem Schlafzimmer und legte ihn mit treuherzigem Blick vor seinen Füßen ab. Und wer noch einen weiteren Wink mit dem Zaunpfahl brauchte, für den intonierte er ein Lied: „Gute Nacht, Freunde, es wird Zeit für euch, zu geh’n, was wir noch zu sagen hätten, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh’n.“

sie in ihrem Zimmer und las, abends saß sie gemütlich in einer Sofaecke und stickte. Sie verlangte nicht nach Sonderbehandlung oder Aufmerksamkeit, sie wurde einfach Teil des Alltags – ob nun für drei Tage oder sechs Wochen. Ein schönes Beispiel für den nonchalanten Umgang mit „Familienmitgliedern auf Zeit“ ist die Branitzer Hausordnung, die der Gast bei Pücklers vorfindet. Auch wenn es keine Pferde mehr zu satteln gibt und die Hausfrau den Kaffee selbst kocht, so bekannte ihr Vorfahr Fürst Hermann von Pückler-Muskau (1785– 1871) sich damit zu einer Gastfreundschaft, die gleichermaßen tolerant und liebevoll war: 1. Vollständige Freiheit für Wirt und Gäste. 2. Jedermann steht auf, wann es ihm beliebt, und frühstückt, was er will und befiehlt, bequem auf seiner Stube. 3. Um ein Uhr Lunch im Frühstückszimmer, dem jeder Gast beiwohnt oder nicht, ganz nach seinem Belieben. 4. Wer ausfahren oder reiten will, bestellt es beim Hofmarschall Billy. Acht Pferde stehen dazu bereit. 5. Der einzige Zwang besteht darin, zum Diner um neun Uhr zu kommen, wenn der Tamtam zum zweiten Mal donnert. Nur Krankheit, die der liebe Gott verhüte, dispensiert von dieser Pflicht. Nach dem Kaffee ist jedes Menschenkind wieder frei.

„Bewirte deinen Freund zwei Tage lang, am dritten Tag drücke ihm eine Hacke in die Hand.“ Aus Afrika

Die Beziehung zwischen Gast und Gastgeber intensiviert sich logischerweise proportional zu seiner Aufenthaltsdauer. Oder, wie Benjamin Franklin kurz und bündig bemerkte: „Besuch ist wie Fisch – nach drei Tagen stinkt er.“ Vielleicht steckt eine heilige Scheu vor zu viel Nähe hinter diesem Klassiker. Nach langen Tagen (und Nächten) anregender Wohngemeinschaft sind oberflächliche Gesprächsthemen erschöpft und alle Ausflüge unternommen, fallen Masken und fordern Gewohnheiten in gastfreien Zonen ihr Recht. Damit es gar nicht erst zu Konflikten kommt, hat Elisabeth Auersperg-Breunner einen Rat parat: „Ich weiche von meinem Tagesablauf nicht so weit ab, dass ich darunter leide. Wer mit mir spazieren gehen will, kann mitkommen, wer mit mir im Garten arbeiten will – nur zu. Doch wer keine Lust dazu hat, findet auf seinem Zimmer Programmvorschläge für eigene Unternehmungen. Jeder ist frei, zu tun, was er will.“ Ich erinnere mich an eine englische Freundin meiner Mutter, die jedes Jahr für sechs Wochen zu Besuch kam. Kaum hatte sie ihren Koffer ausgepackt, schon nahm sie die Schere in die Hand und kümmerte sich um die Gartenpflege. Wenn es regnete, blieb

Das Risotto Imperiale gibt es nur bei Franziska Gräfin Fugger und ihrem persönlichen Maestro Mauro Bergonzoli. Wer es probieren will, muss ins tiefe Allgäu reisen.

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„Gutes Benehmen erleichtert es, dazuzugehören.“ Elisabeth Gürtler, vielseitige Unternehmerin

„Sie mixt Leute wie einen Cocktail.“ Die Herzogin von Windsor über die Fotografin und Partylöwin Lee Miller

Was ist das Geheimnis einer unvergesslichen Einladung, welche Ingredienzien entzünden das Feuerwerk aus „Good Vibrations“? Ehe wir rigide Regeln auswendig lernen und uns mit 1000 Umgangsformen herumschlagen, fragen wir unsere Gastgeberinnen. Katharina Baumann, seit vier Jahrzehnten berühmt für ihre prominenten Krebsessen auf Sylt, schwört darauf, treue Freunde mit neuen Leuten zu würzen, die sie auf ihren Abenteuerreisen kennenlernt. Auch Stephanie Gräfin Bruges von Pfuel setzt auf eine bunte Mischung ganz unterschiedlicher Menschen jeden Alters. Und die Designerin Ulrike Krages bringt es so auf den Punkt: „Du musst etwas Vertrautes, etwas Unerwartetes und etwas Neues bieten.“ Alte Weggefährten, die vielleicht nicht den Sturm im Cocktailglas entfachen, aber lieb und loyal sind, finden bei guten Gastgebern ebenso ihren Platz wie mitreißende Stimmungskanonen. Die berühmte New Yorker Gastgeberin Annaliese Soros sagte dazu in einem Interview mit der Welt am Sonntag: „Jeder hat so seine eher drögen, aber netten Freunde. Man

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sollte nie zu viele auf einmal dabeihaben, aber trotzdem: Innere Großzügigkeit gehört zum Ethos des Gastgebers.“ Damit die Melange sich harmonisch verbinden kann und trotzdem nicht eintönig schmeckt, ist ein kreatives Placement oberstes Gebot für spannende und schöne Stunden. Für die Auktionatorin Alice Jay von Seldeneck „steht und fällt der Abend mit der Sitzordnung. Ihr gebührt der meiste Aufwand“. Doch mit welcher Taktik bringt man die Tafelrunde in Schwung? Tierfreundin zu Vegetarier? Hypochonder zu Ärztin? Junge Mutter zu Wohnungsmakler? Jung zu jung, gleich zu gleich? „Ich bin dafür, Menschen zu mischen, die sich noch nicht kennen“, sagt die kosmopolitische Jetsetterin Cecilia Rossi. „Der größte Fauxpas ist, Ehepaare nebeneinander zu setzen.“ Für Alexandra von Rehlingen, die „Networkerin der Nation“, ist die Hauptsache, „die Gäste einordnen zu können. Wenn sich die Interessen und Lebensgeschichten der Tischnachbarn zu sehr ähneln, wird es ein sterbenslangweiliger Abend, der niemanden weiterbringt. Nie kommen nur Vertreter einer einzigen Branche oder einer bestimmten Altersgruppe auf unsere Gästeliste.“ Katharina Baumann setzt gern einen guten Redner neben sich, der „einfach nur Danke sagt oder ein aktuelles Thema zur Diskussion stellt“.


VORWORT

Marie Therese Willms hat ein Service mit den Silhouetten ihrer Kinder und Freunde bemalt.

Gräfin Elke von Pückler hat einen weiteren Ansatz: „Ich habe einmal ein Placement nach Sternzeichen gemacht“, erzählt sie. „Die Paare haben sich rauschend unterhalten. Und der lebhafte Zwilling und der zurückhaltende Krebs sind wenig später ein Paar geworden. So eine Idee kann auch zu einem interessanten Gesprächsstoff werden.“

„In solchen Häusern, wo man viel Temperament hat und sich liebt und hasst und gelegentlich sich scheiden lassen will, ist es immer am nettesten.“ Theodor Fontane, Schriftsteller

Auch die Münchner Gastronomin Clarissa Käfer wendet einen kreativen Kunstgriff an. Sobald sich die Gäste zu Tisch gesetzt haben, macht sie die neuen Nachbarn in einer kleinen, lockeren Begrüßungsrede miteinander bekannt und kurbelt damit das Anfangstempo der Gespräche an. „Natürlich habe ich im Vorfeld überlegt, wer sich füreinander interessieren könnte.“ Sind bei der Tischordnung Hierarchien zu berücksichtigen, sitzen die Ehrengäste neben den Gastgebern und am Tischende die Ladenhüter und Mauerblümchen? „Ich gehe nach Sympathie und

achte meist nicht auf gesellschaftliche Stellung oder vermeintliche Wichtigkeit“, meint Stephanie von Pfuel. „Ausschlaggebend ist, dass niemand neben einer Person sitzen soll, mit der er sich nichts zu sagen hat.“ Und Franziska Gräfin von Fugger Babenhausen, einst in festgefahrenen Konventionen aufgewachsen und heute selbstbestimmt und ohne „Kulturrucksack“ als Künstlermuse und Autorin unterwegs, steuert ein Patentrezept gegen zähen Small Talk oder betretenes Schweigen bei: „Nicht anstecken lassen. Abwechselnd zehn Minuten nach links quatschen, zehn Minuten nach rechts. Dann geht die Zeit schnell rum.“

„Ein Gastgeber ist wie ein Feldherr: Erst wenn etwas schiefgeht, zeigt sich sein Talent.“ Horaz, römischer Satiriker und Feldherr

Verkohlte Braten, zusammengesackte Soufflés, der Haushund, der die Steaks gefressen hat, Kinder mit den Fingern in der Geburtstagstorte – sicherlich kann jede Hausfrau ein Lied von Pannen, Pech und Pleiten singen. Soll sie sich in solchen Momenten die Haare raufen, in Tränen ausbrechen oder sich wie der besagte geprügelte Hund beleidigt in eine Ecke verziehen? „Nein!“, rufen

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In der historischen Reithalle in Wien findet jährlich ein glanzvoller Sommerball statt, inszeniert von Elisabeth Gürtler, Generaldirektorin der Spanischen Hofreitschule.

alle routinierten Gastgeberinnen wie aus einem Munde. „Das kann jedem passieren!“ „Ein kulinarisches Missgeschick ergibt zwar kein köstliches Essen, aber im Nachhinein eine köstliche Geschichte“, tröstet Annaliese Soros. So berichtet sie von einem perfekt gegrillten Spanferkel ohne Fleisch unter der Kruste oder von einer reizenden alkoholisierten Dame, die unter den Tisch kippte und dort in aller Ruhe ihren Rausch ausschlief. „Niemand hat das kommentiert. Schon gar nicht ihr Mann.“ Als die Dame zum Dessert wieder aus der Versenkung auftauchte, wurde einfach weitergegessen und getrunken, als sei nichts gewesen. „Das nennt man dann Stil.“ In Annalieses „Anti-Katastrophenschrank“ sind übrigens stets Nüsse, Kekse, Pasta, Pesto, Wein und Wasser und ein paar tiefgefrorene Gerichte aus eigenen Töpfen vorrätig. „Ich bin auf alles vorbereitet“, sagt sie. „Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung“ ist auch das Mantra der legendären Hausherrin Marianne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein. „Nichts ist ärger als eine zitternde Gastgeberin mit hek-

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tischen Flecken im Gesicht, die die Sauce noch abschmecken muss“, sagt sie. Sobald die Gäste da sind, muss Schluss sein mit der Aufregung, was dann noch schiefgeht, wird unter den Teppich gekehrt und mit Charme und Gelassenheit überspielt. Leicht gesagt? „Ich spanne, wenn es sein muss, die Gäste ein. Die mögen das, wenn man keinen Tanz um sie macht.“

„Lerne, den Ton der Gesellschaft anzunehmen, in der du dich befindest.“ Adolph Freiherr Knigge, Bürgerfreund und Aufklärer

Sich selbst treu bleiben, ungekünstelt, humorvoll und pragmatisch dem Taifun ins Auge blicken, ist offenbar das Allheilmittel gegen alle nur denkbaren Gastgeber-Gaus. So meinte auch Adolph Knigge: „Sei, was du bist, immer ganz und immer derselbe.“ Und im schlimmsten Notfall gibt es heutzutage ja auch einen Chinesen oder Italiener um die Ecke, der zu Ente süß-sauer


VORWORT

und Spaghetti Arrabiata die vielleicht abhanden gekommene gute Laune gleich mitliefert. Was tun, wenn trotz sorgfältiger Planung die Chemie unter den Eingeladenen nicht stimmt? Wenn heiße Eisen wie Politik, Kindererziehung oder Religion die Gästeschar plötzlich in verfeindete Lager spalten? Gehören hitzige Wortgefechte zur sogenannten Streitkultur? Freut sich der „Unparteiische“ gar, wenn zwei sich streiten unter dem Motto „endlich Feuer unterm Dach“? „Ich schneide eiskalt ein neues Thema an“, antwortet Gräfin Pückler, „streiten brauchen sich die Leute bei mir nicht“. Franziska Fugger entschärft die Schieflage, indem sie eine persönliche Hausführung anbietet oder die Kinder holt. „Ich will, dass jeder mit schönen Erinnerungen nach Hause fährt. Vielleicht sehen wir uns ja nie mehr wieder.“ Annaliese Soros erinnert sich an einen Abend, an dem eine gesittete Debatte in einen regelrechten Krach umschlug. „Ich hab dann die Gäste in den Keller komplimentiert, wo eine riesige Eisenbahn aufgebaut war. Das hat alle abgelenkt.“ Wortgefechte mit harter Munition kommen selten gut an, und Beleidigungen, die unter die Gürtellinie zielen, sind bei DinnerDirigentinnen mit Fingerspitzengefühl generell tabu. Früher hät-

ten die Kontrahenten möglicherweise in einem Duell Satisfaktion gefordert, heute werden verbale Verfehlungen mit eiserner Funkstille bestraft – zumindest bis der außer Rand und Band geratene Gast sich ordentlich entschuldigt oder einen großen Blumenstrauß schickt. Selbstverständlich kann auch der gute alte Knigge in seinem Standardwerk Über den Umgang mit Menschen etwas zum Thema beitragen: „Manche Leute glauben, größere Eigenschaften berechtigten sie, die kleinen gesellschaftlichen Konventionen, die Regeln des Anstands, der Höflichkeit oder der Vorsicht zu vernachlässigen – das ist nicht gut getan.“

„Gäbe einer meiner Freunde ein Fest, ohne mich einzuladen – es würde mich nicht im Geringsten kränken. Aber hätte einer meiner Freunde Kummer und verweigerte es mir, diesen mit ihm zu teilen, würde ich das als sehr bitter empfinden. Versperrt er die Tür des Hauses der Sorgen vor mir, ich käme ein ums andre Mal zurück und bäte um Einlass, um mit ihm zu teilen, was zu teilen mir zusteht.“ Oscar Wilde, Schriftsteller

Die Künstlerin und Autorin Gabriele Henkel ist berühmt für ihre aussagestarken Tischdekorationen. Joseph Beuys riet ihr einst, die Kreationen zu signieren.

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VORWORT

„Beleidigt sein“ ist ein Stolperstein für Gastgeber und Gäste gleichermaßen. Einige Menschen verstehen die Welt nicht mehr, wenn sie nicht auf jeder Einladungsliste ihrer Kindergartenkumpel an erster Stelle stehen, und erwarten Erklärungen, Entschuldigungen, Ausreden. Andere heften Einladungen wie Trophäen an die Pinnwand und wetzen ihre bösen Zungen, wenn sie nicht gebeten wurden. Manchmal hat aber auch der Eingeladene keine Lust, auf die x-te Geburtstagsfeier einer alten Freundin zu gehen oder sich nach einem langen Tag für eine aufgekratzte Cocktailparty fein zu machen. Was tun? Wie befreien sich Gast und Gastgeber von Schuldzuweisungen und schützen sich vor gegenseitigen Verletzungen? Vielleicht kommt die hübsch verpackte Wahrheit der Befreiung aus der Zwickmühle am nächsten, eine nachvollziehbare und verzeihliche „Notlüge“, liebevoll dekoriert mit einer rosaroten Schleife. Sich mit der klassischen „Fischvergiftung“ oder einer fiebrigen Erkältung aus der Affäre zu ziehen, gehört jedenfalls laut Alexandra von Rehlingen nicht ins Repertoire. „Das bringt Unglück.“ Total tabu: einfach nicht erscheinen. „Desinteresse und schlechte Manieren sind keine Optionen“, sagt sie. Im Zweifelsfall kann man sich an Joachim Ringelnatz orientieren: „Sie haben mich nicht nur nicht eingeladen, ich habe auch abgesagt.“

„Eine Tischdekoration ist wie ein Bühnenbild.“ Gabriele Henkel, u. a. Professorin für Kommunikationsdesign, Universität Wuppertal

Der berühmte flämische Blumenkünstler Daniël Ost und sein Team hatten den Auftrag, die Dekoration für ein großes Fest auf dem Lande zu gestalten. „Schön“ sollte es werden und „sommerlich“, mehr Vorgaben gab es nicht zu beachten, und das Budget war nach oben offen. Nachdem der Florist das Partyzelt inspiziert hatte, fragte er die Gastgeber nach einem Traktor mit Anhänger und verschwand in den Wald. Zwei Stunden später war er wieder da: vollbeladen mit wilder Klematis und Schellkraut, Knallerbsenzweigen, Gräsern und Knöterich, Goldrute und Kornblumen, Disteln und Winden. Und wiederum ein paar Stunden später spannten sich die wilden Wiesenfantasien über die Tische, wuchsen die Wände hinauf, hingen von der Decke und hatten das sterile Zelt in einen Märchenwald verzaubert. Keine einzige Blume war dafür aus fernen Klimazonen importiert und kein einziger Cent ausgegeben worden.

Man muss kein professioneller und genialer Florist sein, um solche Verwandlungen hinzubekommen. „Es reicht, die Augen offenzuhalten“, meint die Rahmenmacherin und Porzellanmalerin Minki Willms. „Sobald ich etwas Außergewöhnliches in der Natur sehe, überlege ich sofort, wie das in einer Vase wirkt.“ Sogar im Winter fährt sie vor einer Einladung einfach in den Wald und kommt mit einer Ladung Äste, Moos und Rinden zurück. „Slow Flowers“ nennt sich übrigens der Trend, alles, was vor unseren Augen wächst und gedeiht, wichtiger zu nehmen als langstielige Importware. „Auf immer mehr digitale Unübersichtlichkeit reagieren wir mit immer mehr Sehnsucht nach Verwurzelung“, erklärt Anne Goebel in der Süddeutschen Zeitung das Phänomen. Tischdekorationen – seien sie wild oder gezähmt – tragen wesentlich zur Atmosphäre einer Einladung und zur Stimmung der Gäste bei. Besonders prachtvoll ging es im 19. Jahrhundert an den königlichen Tafeln zu, zum Beispiel am Hof von Kaiser Franz Joseph. Dank eines Services, das er von der englischen Königin Victoria geschenkt bekommen hatte, reihten sich auf einer Länge von 30 Metern Vasen, Blumen- und Obstkörbe, Etageren, Kristallgläser, Karaffen, Armleuchter und Bronzestatuetten aneinander und bildeten eine grandiose Prunkstraße. Doch „wir leben heute in einer Republik und nicht in Schlössern“, sagt Gabriele Henkel, die Meisterin fantastisch inszenierter „Tafelbilder“. „Die Tischdekoration sollte von einer gewissen Zurückhaltung sein. Entscheidend ist, dass sie zum Anlass des Festes passt.“ Für eine Feier zu Ehren des früheren US-Außenministers Henry Kissinger nahm die Kunstprofessorin die Oper La Traviata zum Motto, drapierte dunkelrote Vorhänge an die Fenster wie in einem Opernhaus und häufte dunkelrote Blüten und Blätter auf die Tische. „Für Kissinger ist die Welt eine Bühne, auf der er sich als Politiker, Schriftsteller und Berater bewegt“, erklärt sie ihre Inspirationsquelle. Ist Tischdekoration für sie Kunst? „Joseph Beuys hat einmal geraten, ich solle meine Tische signieren. Und meine Künstlerfreunde sagen oft, die Dekoration sei zwar schön, aber sehr vergänglich. Nun: Ich mache Kunst mit Verfallsdatum.“ Feiern und genießen wir also den Moment und lassen wir uns inspirieren von großartigen Gastgeberinnen und ihrer Kunst des Einladens. Herzlichst Ihre Manuela von Perfall

Schon mit wenigen Elementen lassen sich Stimmung und Spannung schaffen. Artischocken und Quitten können ein ebenso dekoratives Paar werden wie Hortensien und Wiesenblumen. Der einstimmige Rat unserer Gastgeberinnen: Folgen Sie Ihrem Gefühl!

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A L I C E J AY V O N S E L D E N E C K Auktionatorin im familieneigenen Kunsthaus Lempertz, Berlin

Mit Schick, Charme und Scharfsinn Kunst kommt von Können. Da gibt es auch bei Alice Jay von Seldeneck keine Kompromisse. Die Mutter von drei kleinen Söhnen und Tochter aus dem berühmten Auktionshaus Lempertz serviert ihren Gästen Perfektionismus und Leidenschaft.


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ALICE JAY VON SELDENECK

ie noble Villa schaut streng auf einen gepflegten Garten, eine steinerne Treppe führt in eine großräumige Halle, einige wenige Sammlerstücke auf dem schwarzen Marmorkamin unterstreichen den Ernst der Lage. Die Atmosphäre ist kühl und konzentriert, hier herrscht Ordnung und Disziplin, hier gelten preußische Tugenden. Moment mal! Stimmengewirr weht herüber, fröhliches Lachen und südamerikanische Rhythmen erfüllen die ehrwürdigen Räume mit Leben und Wärme. Das Lachen gehört zu Alice Jay von Seldeneck. Gut gelaunt hantiert sie in der Küche mit bunten Tomaten herum und bietet frisch gebackene Kekse an. „Das sind mit Dulce de Leche gefüllte Alfajores, eine typische Süßigkeit aus Chile – der Heimat meiner Mutter.“ Mit wenigen lässigen Handgriffen arrangiert sie reife Quitten und knackige Artischocken auf dem Esstisch, holt feine, ein wenig brüchige Leinenservietten aus der Truhe und stellt Stühle aus unterschiedlichen Zeiten dazu. Sie nickt zufrieden. „Ich liebe es, verschiedene Gegenstände wie Möbel, Silber, Porzellan, Farben und Materialien miteinander ins Gespräch zu bringen.“ Bevor am Abend ihre Gäste an der geschmückten Tafel Platz nehmen und die Gespräche vertiefen, bereitet sie noch schnell die

Geburtstagsparty für ihren Sohn Matteo vor. Designersessel im Miniformat werden um den kleinen Couchtisch drapiert, bunte Blumen in KPM-Vasen leuchten auf der weißen Tischdecke und werden umrundet von einer nostalgischen Spielzeugeisenbahn. „Ich will die Kinder von vornherein an schöne Dinge gewöhnen“, sagt Alice.

„Leute, die sich mit Kunst beschäftigen, sind Ästheten.“ Alles, was die Tochter aus dem renommierten Kölner Versteigerungshaus Lempertz tut, tut sie mit Temperament und einem feinen Sinn für Ästhetik. Seit sie und ihr Mann Kilian die Berliner Lempertz-Dependance leiten, weht ein neuer Wind auf dem Auktionsmarkt rund um Kunstwerke des 19. und 20. Jahrhunderts, der in der Avantgarde-Stadt Berlin ein wenig ins Abseits geraten war. „Natürlich bieten wir auch Zeitgenössisches an, ich kann mich für alle Stilrichtungen begeistern. Unser Herz schlägt für altes KPM-Porzellan ebenso stark wie für die klassische Moderne oder afrikanische Volkskunst“, sagt die 36-Jährige. Kein Wunder. Alice ist mit Kunst aus allen Epochen aufgewachsen. Ihr Vater Henrik Hanstein führte das Auktionshaus in der fünften

Seit Alice und Kilian Jay von Seldeneck in die klassizistische Villa eingezogen sind, weht hier ein frischer Wind. Für den heutigen Kindergeburtstag werden noch schnell fröhliche Blumenkränze gebunden.




ALICE JAY VON SELDENECK

Generation, nun übernehmen Alice und Kilian gemeinsam mit ihm die Geschäftsführung und straffen die Fäden zwischen Angebot und Nachfrage. „Lempertz war immer in Familienbesitz und ist berühmt für seine Vielfalt“, sagt Alice. Kann sie mit ihrer Begeisterung auch junge Menschen anstecken? „Begeisterung hilft. Um im Kunstmarkt erfolgreich zu bestehen, muss man aber auch verdammt pfiffig sein und klare Vorstellungen haben.“ Die ausgebildete Restauratorin und Kunsthistorikerin kennt sich aus: mit alten Techniken und neuen Medien, mit Hoffnungen und Enttäuschungen. „Manchmal werden Märchen wahr“, schwärmt sie. Wie bei einem Bild aus dem Umkreis von Rembrandt, das bei Lempertz für 1,6 Millionen unter den Hammer kam. „Wir sind mit einem Blumenstrauß zu dem Verkäufer gegangen, der ist aus allen Wolken gefallen, da er mit 15 000 Euro gerechnet hatte. Er war mit unseren Diensten sehr zufrieden“, lacht Alice. „In solchen Momenten zahlt sich jahrhundertelang aufgebautes Vertrauen aus. Und wir wissen, warum wir so viel unterwegs sind und Menschen miteinander vernetzen.“ In dem noblen Haus von Alice und Kilian Jay von Seldeneck treffen sich die Größen aus Kultur und Wirtschaft, Politik und Adel, Medien und Kunst. Steif geht es dabei nicht zu. „Wir sind

Artischocken und Quitten sind perfekte Partner für eine elegante und einfache Dekoration auf einem schmalen Tisch.

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Nostalgisches Spielzeug, Blumen in Mini-KPM-Vasen und Miniatur-Designersessel dienen als Vorbilder für die ästhetische Grunderziehung: „Kinder sollten sich von frühauf an schöne Dinge gewöhnen.“

jung, meistens sogar die Jüngsten. Wir haben drei Kinder, jeder Gast versteht, dass nicht alles wie aus dem Ei gepellt wirkt, und gibt uns Welpenschutz. Dennoch überlege ich genau, welche Gäste sich kennenlernen sollen und wen ich wem vorstelle.“ Beim „Flying Dinner“ funktioniert das besonders leicht. Meistens hilft ein befreundeter „nebenberuflicher“ Koch aus Wien bei der Zubereitung südamerikanisch inspirierter Delikatessen, die herumgereicht werden – und ein eisgekühlter Pisco Sour gehört stets dazu. Gern laden die Seldenecks auch zu kleinen Konzerten ein. „Der Gast soll beim Nach-Hause-Gehen das Gefühl haben, dass der Abend ihn weitergebracht hat.“

„Abends fängt der Beruf an.“ Ausgehen, Menschen treffen, Neues sehen, Altes entdecken – wo könnte das aufregender sein als in Berlin? Alice Jay von Seldeneck ist nach Stationen in Lateinamerika, Dresden, München und Zürich von der „sensationellen Mischung an Menschen und Kultur“ fasziniert – und sie hält die Augen offen und die Nase in den Wind. 2013 gründete sie mit ihrem Mann und dem Kunstsammler Christian Boros den digitalen Marktplatz „Artusiast“, auf dem man kuratierte Kunst zu fairen Festpreisen kaufen kann. „So manches, was in unserem Versteigerungshaus oder über unsere Internetplattform angeboten wird,

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findet den Weg zu uns nach Hause. Wir verlieben uns leicht.“ Und so ist aus der noblen Villa mit dem strengen Blick eine belebte Herberge geworden, die Kunst und Menschen gleichermaßen willkommen heißt.

Alice Jay von Seldeneck Geboren in Köln. Nach der Ausbildung zur Restauratorin für Gemälde und Skulptur studierte sie Kunstgeschichte in Wien und war in der Generaldirektion der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden tätig. Seit neun Jahren arbeitet sie im Familienunternehmen Auktionshaus Lempertz mit Stationen in München, Zürich und Berlin. Sie ist Mutter von drei Söhnen und lebt in Berlin. „Früher wurden die meisten VIP-Essen im Auktionshaus veranstaltet. Wir laden die Kunden lieber nach Hause ein und mischen sie mit anderen interessanten Gästen.“


Tipps Bunt gemischte Kerzen in einem konservativen silbernen Leuchter wirken frisch und ungewöhnlich. Einladungen kann man inzwischen sehr gut und individuell online gestalten. Die beste Adresse für stilvolle Online-Post: www.eventkingdom.com Immer wieder die Gästeliste verändern und offen sein für Begegnungen aller Art. Jeder Gast sollte den Abend mit einem neuen, interessanten Kontakt verlassen. Der Abend steht und fällt mit der Sitzordnung. Ihr gebührt der meiste Aufwand. Vor dem Essen dürfen die Kinder immer dabei sein. Der Esstisch sollte nicht zu breit sein, damit man sich auch mit seinem Gegenüber unterhalten kann.


ALEXANDRA FREIFRAU VON REHLINGEN PR-Managerin und Networkerin, Hamburg und Berlin

CORPORATE IDENTITY Alexandra von Rehlingen ist die „Networkerin der Nation“. In ihrem Verteiler finden sich über 20 000 aktive Kontakte, etwa 1000 gehören zu ihrem „Inner Circle“. Je nach Anlass und Aufgabe mischt die PR-Pionierin Menschen wie eine kluge Spielerin die Karten. Servicebereitschaft, Professionalität und Motivation sind dabei ihre wichtigsten Trümpfe.


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ALEXANDRA FREIFRAU VON REHLINGEN

ine typische Straße am Prenzlauer Berg in Berlin. Bioläden, Cafés, ein Spielplatz, ein Getränkemarkt. Durch eine unscheinbare Tür geht es in einen düsteren Gang, an dessen Ende ein Lift wartet. In Bewegung gesetzt durch einen geheimen Zahlencode, fährt er langsam und holprig in den fünften Stock. Die Tür zu Alexandra von Rehlingens neuer Berlin-Dependance öffnet sich.

„Ich will dort sein, wo Musik spielt und Kunst lebt.“ Große Fenster lassen das Licht durch den riesigen Raum fluten, es malt filigrane Streifen auf den Boden, strahlt große Bodenvasen mit bunten Nelken an und entflammt die mit neonfarbenem Samt bezogenen Barockmöbel. An der Wand hat ein ausgeflippter Sonnenkönig des Malers Lennart Grau die Szenerie im Blick, mit seinem verklecksten, verfremdeten Kostüm zeigt er den alten Ahnen zu seiner Linken und Rechten, dass neue Zeiten angebrochen sind. Und mittendrin die Pionierin der Public Relations, eine der Erfinderinnen kreativ geplanter Interessengemeinschaften. Von Kopf bis Schuh in Royalblau gekleidet, verschmilzt die Luxusdiplomatin mit den Kissen, die verschwenderisch ausgebreitet neben dem Kamin liegen, und setzt den modernen optischen Kontrapunkt zu einem antiken Konzertflügel. Alles feinsäuberlich geplant? Alexandra von Rehlingen lacht. „Na klar. Wer unterschiedliche Identitäten vermarkten will, braucht einen eigenen, unverwechselbaren Stil.“ Berlin braucht euch … Klare Konzepte und raffinierte Gästemischungen sind das Markenzeichen der PR-Agentur Schoeller & von Rehlingen. Seit die Hamburger Co-Chefin auch in Berlin eine Dependance bezogen hat, muss keiner der internationalen Kunden mehr im Dickicht der Großstadt verloren gehen.

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„Events sind unser PR-Tool.“ Als Andrea Schoeller ihrer Freundin Alexandra im Jahr 1986 vorschlug, eine PR-Agentur zu gründen, konnte diese erst mal nichts damit anfangen. „Ich war mitten im Sinologiestudium und hatte keine Ahnung, was PR bedeutete. Doch dann haben wir in einer Münchner Bar auf einer Papierserviette einfach einen Vertrag geschlossen.“ Bald machte sich das Team dank guter Kontakte, Charme und Ideenreichtum einen Namen, und die ersten Konzerne legten ihnen Produkte ans Herz, um hierfür Markenzeichen zu entwickeln. „Nach zwei Jahren kam der Auftrag, Sponsorenevents für das Schleswig-Holstein Musik Festival zu organisieren. Das Hamburger Standbein war gegründet.“ Seit über 30 Jahren betreuen die beiden Freundinnen als gleichberechtigte Partnerinnen so legendäre Marken wie Mont-blanc, Etro oder Ferragamo und verhelfen neuen Labels zu öf-fentlicher Aufmerksamkeit. Wie schafft man es, sich bei aller Freundschaft nicht ins Gehege zu kommen? „Wir ticken ähnlich, haben aber



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eine klare Aufgabenverteilung“, sagt Alexandra. „Und wir hocken nicht andauernd aufeinander. Andrea kümmert sich um die Kunden in München, ich in Hamburg und Berlin. In-zwischen haben wir 40 Mitarbeiter.“

„So wie ein Retriever Socken apportiert, so stelle ich Menschen einander vor. Das sind genetisch festgelegte Impulse.“ Menschen ins Gespräch zu bringen, die sich füreinander interessieren könnten, ist die Kernkompetenz der Agentur. „Die Mischung muss Sinn machen.“ Macht es Sinn, eine Moderedakteurin neben den alternativen Nobelpreisträger zu platzieren? Einen Manager neben einen Künstler? Oder geht man lieber auf Nummer sicher und gesellt gleich zu gleich? „Hauptsache, man kennt seine Gäste und kann sie einordnen. Wenn sich die Interessen und Lebensgeschichten der Gäste zu sehr ähneln, wird es ein sterbenslangweiliger Abend, der niemanden weiterbringt. Nie kommen nur Vertreter einer einzigen Branche oder einer bestimmten Altersgruppe auf unsere Gästeliste.“

„Je anonymer die Welt wird, desto wichtiger werden reale Kontakte.“ Der Trend zu „privaten, persönlichen Treffen“ liegt für die passionierte Netzwerkerin nah. „Ich glaube, dass es in der unübersichtlichen Welt elementarer ist denn je, offen für inspirierende Begegnungen zu sein.“ So freut sie sich, wenn neue Leute in ihren Verteiler aufgenommen werden möchten, „das belebt die Runde“. Wer allerdings mehrfach unentschuldigt fehlt, wird gnadenlos von der Liste gestrichen. „Desinteresse und schlechte Manieren sind für mich keine Optionen.“

„Von nix kommt nix.“ Alexandra, die omnipräsente Moderatorin zwischen Beruf und Entertainment, Kunde und Konsument ist rund um die Uhr erreichbar. Andauernd klingelt ihr Handy, erscheinen Mails auf dem Display, werden Pakete geliefert oder abgeholt. Wie managt sie die verschiedenen Anforderungen, ohne die Nerven zu verlieren? „Disziplin und gute Kondition sind Voraussetzung“, sagt sie, „zweimal die Woche kommt ein Personal Trainer, ich rauche

Ein Gemälde von Milana Schoeller, der Tochter ihrer Geschäftspartnerin Andrea Schoeller, dominiert die raue Wand in der Küche und weist den Weg nach oben.

nicht, trinke selten Alkohol und esse kein Fleisch, seitdem ich vor 24 Jahren die ersten Berichte über Tiertransporte und Massentierhaltung gesehen habe. Bei mir gibt es übrigens generell keine tierquälerischen Speisen. So etwas wie Gänsestopfleber oder Zuchtlachs kommt nicht auf den Tisch, das muss jeder akzeptieren.“

„Ich mute meinen Gästen kein eigenhändig gekochtes Essen zu, sondern bestelle es bei professionellen Caterern. Ich gehe ja auch zum Friseur und schneide mir die Haare nicht selbst.“ Heute hat Alexandra von Rehlingen Freundinnen zum Lunch eingeladen. Es gibt – passend zum Ambiente – Säfte in Grün und Pink, bunte Brotaufstriche aus Roter Bete mit Sonnenblumenkernen und Staudensellerie mit Apfel und Käse, hergestellt von dem jungen Bio-Caterer Ju’s Bar um die Ecke. „So ein Ladies’ Lunch ist für mich der totale Frischekick“, sagt die Loft-Herrin. Nach einer Stunde zerstreut sich die fröhliche Runde und alle gehen wieder zurück in ihren Alltag. „Wir haben nicht viel Zeit. Und das ist auch gut so.“ Gleich fährt ihr Zug nach Hamburg zum nächsten Termin. „Ich bereite ein kleines Dinner für den chinesischen Klaviervirtuosen Lang Lang vor“, sagt sie und schließt die Tür hinter sich. Wer würde da nicht liebend gern zu ihrem „Inner Circle“ gehören?

Alexandra Freifrau von Rehlingen Geboren in Landshut. Nach Studienjahren der Sinologie und Besuch der Parsons School of Design gründete sie 1986 gemeinsam mit Andrea Schoeller die Agentur Schoeller & von Rehlingen PR. Das Team mit inzwischen 40 Mitarbeitern in München, Hamburg und Berlin ist spezialisiert auf die Organisation von Veranstaltungen und die Betreuung von Kunden aus dem Lifestyle- und Luxusgüterbereich. Alexandra von Rehlingen engagiert sich leidenschaftlich für die Umwelt, den Tierschutz und das Wohl von Kindern. „Besonders gern erinnere ich mich an die inspirierenden Gespräche mit dem Stifter des alternativen Nobelpreises Jakob von Uexküll, für den wir ein Abendessen in Berlin organisiert haben.“

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TIPPS DIE EINLADUNG • Wer auf der Einladungskarte mühsam nach der Botschaft suchen muss, verliert schnell das Interesse. Deshalb kurz und knapp: um was es geht, Datum, Ort und Zeit. Basta. • Die Namenszeile wird immer mit der Hand geschrieben, egal ob 1000 oder zehn Gäste eingeladen werden. • Kleidervorschriften habe ich mir abgewöhnt. In Berlin kommt eh jeder, wie er sich gefällt. • Ich lade am liebsten für Montag, Dienstag oder Mittwoch ein. Der Donnerstag ist für Vernissagen und Konzerte reserviert, das Wochenende für die Landpartie und die Familie. • Eine Richtschnur: Bei privaten Einladungen sagen etwa 50 Prozent der Gäste zu, bei öffentlichen zwischen 30 und 40 Prozent. Man kann also ruhig überbuchen. DAS FREUT MICH ALS GASTGEBERIN BESONDERS • Wenn ein Gast vormittags Blumen schickt. Dann weiß ich, dass er die Einladung nicht vergessen hat. • Interessierte Gäste, die zuhören können. • Wenn ich spüre, dass sich Menschen füreinander begeistern, die sich ansonsten niemals begegnet wären.

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Die Ermahnung „Handle with Care“ hängt nicht nur dekorativ an der Wand, sondern ist der Schlüssel zu Alex’ privatem und beruflichem Leben.




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