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Unsere Geschichte
Angefangen hat die WitteGeschichte im kleinen Rahmen: Theodor, Vater von meinem lieben Mann Klaus, handelte mit Lebendfisch und erzählte eines Tages im Jahr 1985, dass am Münchner Viktualienmarkt ein kleines, alteingesessenes Fischgeschäft möglicherweise zu pachten sei.
MMöglicherweise, weil der Besitzer, ein gewisser Franz Willinger, der von meinem Schwiegervater die Ware bezog, eher unfreiwillig in die Fußstapfen seiner Eltern treten und das Geschäft übernehmen musste. Das war dem Willinger aber wohl gar nicht recht, denn die hohe Kunst der Literatur sagte ihm deutlich mehr zu. So ein Laden, das wäre doch das Richtige für uns, dachte ich und ging spontan auf den Viktualienmarkt zum Willinger Franz. Diesen habe ich dann direkt mit meinem Wunsch konfrontiert: „Können Sie sich vorstellen, dass ich Ihre Nachfolgerin werde?“ (Dann hätte er auch endlich Zeit für seine umfangreiche Büchersammlung …) Wie beinahe erwartet verneinte der überraschte Willinger zunächst. Doch sofort aufgeben war für mich keine Option. Und so folgte ein Klartextgespräch, bei dem ich ihm mein Sparbuch auf den Tisch legte: Diesen Geldbetrag wollte ich ihm anbieten – nicht mehr, nicht weniger. Und, na ja, mein Angebot war wohl überzeugend genug, dass Herr Willinger darauf einging. Im Anschluss an diesen ungewöhnlichen Deal und an die Vorstellung, dass ich nun bald selbst hier hinter der Verkaufstheke stehen würde, musste ich an meine Oma in meinem Geburtsort Miesbach denken. Von ihr habe ich viel gelernt, auch ihre Geschäftstüchtigkeit. Ihre Erfahrungen und Ansprüche würden auch für mich der Motor sein für ein erfolgreiches Geschäft, malte ich mir die Zukunft aus. Doch vorher ging’s erst mal einen Monat ganz praktisch zur Sache: als Mitarbeiterin vom Franz Willinger, mit dem ich mich sehr gut verstanden habe. Professionell hat er mir die Kniffe der Fischverarbeitung und -veredelung beigebracht – zum Beispiel das Filetieren. Und irgendwann war es dann so weit: Er verabschiedete sich endgültig und überließ mir seinen kleinen Laden.
Da stand sie nun, die Hella aus Miesbach, mit eigenem kleinen Geschäft am weltberühmten Viktualienmarkt, voller Enthusiasmus und Tatendrang. Ich hatte ja immer schon den großen Traum, im Verkauf zu arbeiten, denn ich liebe den Umgang mit Kunden. Und wenn es die Option mit dem Fischgeschäft nicht gegeben hätte – wer weiß, wahrscheinlich würde ich heute ein Feinkostgeschäft betreiben. Doch es kam ja zum Glück zur erfolgreichen Übernahme, und meine Zukunft würden nun Fische und Meeresfrüchte bestimmen. Ein verlockender Gedanke, denn schon bald würden meine Lieblinge Atlantikseezunge, Wolfsbarsch, Scampi, Matjes, Bismarckhering und Co. nicht mehr nur auf unseren eigenen Tellern landen, sondern auch bei der Kundschaft, die ich vom ersten Tag an mit bester Ware versorgen wollte.
Doch wie kam es dazu, dass ich mich schon so früh für den Verkauf von Fisch und Meeresfrüchten begeistern konnte? Hierfür verantwortlich ist zum einen mein Vater Heinrich, ein Hanseat durch und durch, und zum anderen meine Frau Mama, „s Lenerl“, mit ihrer Geschäftstüchtigkeit. Durch Papa Heinrich und seine Familie lernte ich früh Hamburg, Bremen und Bremerhaven kennen – Tore in die „große Welt“ und für ein Mädchen aus Bayern, das fast jede Ferien dort verbringen durfte, Highlights einer Kindheit. Naheliegend, dass dort fast nur Fisch auf dem Menüplan stand. Und ich kam das erste Mal
NACH DEM ERSTEN UMBAU
1987: ICH MIT EINEM KAPITALEN DONAUWALLER mit Meeresbewohnern in Berührung: Als ich auf dem Kutter mitgefahren bin und Krabben gepult habe. Das Fischessen war ich also von klein auf gewohnt, auch daheim gab es jeden Freitag welchen. All das hat mich geprägt.
Bei meiner lieben Oma in Miesbach und ihrer alteingesessenen Gastwirtschaft Himmisepp (meinem Geburtshaus!) fühlte ich mich aber genauso wohl und habe dort an den Wochenenden immer gern gearbeitet. Auch meine Mama war in diesem beliebten Wirtshaus tätig. Schon als Kind war ich mit Oma auf den Wochenmärkten unterwegs und habe das bunte Treiben dort beobachtet. Früher waren diese Märkte allerdings anders, als wir sie heute kennen: Die Auswahl war geringer, Hühner und anderes Federvieh sind überall frei herumgelaufen und wurden vor den Augen der Kundschaft geschlachtet. Der Begriff Nachhaltigkeit war auch noch nicht en vogue, und doch repräsentierte ihn meine Oma beinahe in Reinform durch ihre Einstellung und ihr Handeln. Unsere Einkäufe für den Himmisepp stammten von regionalen Erzeugern, die Qualität der Ware war wichtiger als alles andere, kein Lebensmittel wurde weggeworfen, in der Restlküche ließ sich alles verwerten. Heute nennt man das wohl „Zero Waste“. Aber das Wichtigste für sie war: Respekt. Der Respekt vor Tier und Leben. Ein Wert, den auch ich verinnerlicht habe und bis heute hochhalte.
ACHTUNG, GLITSCHIG!
KLAUS BEIM
AALFANGEN, 1987
DER GROSSE CHRISTOPHER
LEE MIT GATTIN, 80ER-JAHRE
Aber zurück zum Fisch … Der Willinger Franz war inzwischen in den Bayerischen Wald gezogen, wo er seine eigene Buchhandlung gründete, und die Aufgabe von Klaus und mir war nun, seiner alte Wirkungsstätte neuen Glanz zu verleihen. Und da gab es einiges zu tun. Erfahrung konnte ich ja dank der Verwandtschaft im Norden bereits sammeln, und auch der Franz hat mir in dem Monat viel beigebracht; doch der Sprung ins (zumindest lauwarme) Wasser war schon noch etwas anderes. An den unvermeidlichen Fischgeruch hatte ich mich schon gewöhnt, den kannte ich inzwischen. Da ich außerdem selber gerne Fisch esse, war für mich als gelernte Drogistin die Umstellung von den Wohlgerüchen der Parfums zum herben Fischaroma keine große Herausforderung. Und der Klaus, der hat durch seinen Vater Theodor ja ein großes Hintergrundwissen parat, was sich für unser Geschäft als sehr hilfreich herausgestellt hat. Glück hatten wir bei den Ämtern: Die Stadt samt Großmarkthalle war kooperativ und dankbar für unsere Zukunftspläne mit dem Fischladen.
Im Jahr 1985 war der Willinger (jetzt ja) WitteLaden noch winzig. Es gab nur den reinen Fischverkauf, kein Bistro, keine belegten Semmeln. Um das Geschäft anzukurbeln, war eine der ersten Amtshandlungen deshalb – neben einer ausgiebigen Reinemachaktion –, zukünftig Fischsemmeln „to go“ anzubieten. Auch am Sortiment wurde vieles verändert: Forellen, Karpfen, Saiblinge und andere klassische Fischsorten wurden bereits an den anderen Fischläden am Viktualienmarkt angeboten, sodass wir uns auf Empfehlung eines Italieners, der eines Tages bei uns auftauchte, Alternativen überlegt haben. Was würde denn gegen Scampi, Tintenfisch und andere „Exoten“ sprechen? Nix, dachten wir übereinstimmend. Und so wurde das Sortiment angepasst. Außerdem kam ich auf die Idee, eine nette ältere Dame, die sich oft am Viktualienmarkt aufhielt und Langeweile hatte, zu mir ins Geschäft einzuladen. Somit war ich nicht mehr allein im Verkaufsraum, hatte außerdem stundenlang eine nette „Kundin“ als Gesprächspartnerin und konnte zwischendurch auch mal raus, zum Beispiel zu den Nachbarstandln oder auf die Toilette – denn ein WC gab es in dem kleinen Laden nicht. Oft stand ich auch einfach vor unserem Geschäft und habe die Passanten freundlich begrüßt, selbst wenn ich diese nicht kannte. In jener Zeit dachte ich oft an einen klugen Spruch meiner Oma: „Wenn ein Kunde im Laden ist, kommt immer ein zweiter nach.“ Ich bin mir sicher: Diese Freundlichkeit, kombiniert mit der älteren Dame als „Dauerkundin“, machte sich bezahlt. Denn immer mehr Neugierige fanden den Weg zu uns.
1987 – unser Fischverkauf lief inzwischen ordentlich – haben wir unser Geschäft ein wenig umgebaut; zu klein war es aber weiterhin. Das änderte sich schließlich im Jahr 1995, als wir direkt neben unserem Laden im selben Gebäude eine Hundemetzgerei übernehmen konnten. Nein, in den Räumlichkeiten wurde kein Hundefleisch angeboten, sondern frisches Fleisch für die Münchner Zamperl …! Somit hatten wir endlich mehr Platz, konnten allerdings noch keine Gäste zum VorOrtVerzehr begrüßen.
Das geschah erst zehn Jahre später, 2005: Uns wurden zwei Metzgereien zur Übernahme angeboten, die sich ebenfalls im selben Komplex, diesmal hinter unserem Fischgeschäft befanden. Natürlich nutzten wir die Gunst der Stunde und griffen zu. Wir wussten, es würde ein enormer finanzieller Aufwand werden, aber es war eine einmalige Gelegenheit für uns, denn durch diese räumliche Vergrößerung sind wir unserem Traum, bald hungrige Fischliebhaber bei uns im Laden zu verwöhnen, ein großes Stück näher gerückt. Was neben dem Platzangebot
EIN HANDGESCHRIEBENES REZEPT, 1993
NEUERÖFFNUNG NACH ERWEITERUNG DES LADENS, 1995