Restauro 03/2018

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ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG

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Geschichte erfolgreich bewahren Das leistet die digitale Rekonstruktion bei beschädigten Tapeten EISZEIT Frischekur für einen Mammutbullen

RENAISSANCE Cuccina-Zyklus von Veronese ist jetzt restauriert

MODERNE Über Neufassungen abstrakter monochromer Skulpturen


INHALT

TITELTHEMA: PAPIERRESTAURIERUNG Kommentar von Mag. dr. hab. Patrica Engel Neues Verfahren gegen Papierzerfall Dipl.-Rest. (FH) Marieluise Nordahl, M.A. John Heartfield und sein Nachlass Erschließung und Digitalisierung des Bestandes

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Prof. Dr. Robert Fuchs Von Dämonen, Kreaturen und Graffiti Dokumentation und Restaurierung illuminierter Chorbücher

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Dr. Ute Strimmer Gemeinsam retten sie weltweit das Kulturerbe Zehnjährige Partnerschaft der Prinz-Claus-Stiftung und der TEFAF

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Dr. Ute Strimmer „Mir ist die Meta-Ebene in der Qualitätssicherung wichtig“ Mag. dr. hab. Patrica Engel und ihr neuer Masterstudiengang in Krems

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Berit Møller Historische Tapeten aus dem Drucker Was digitale Rekonstruktion leisten kann

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Dipl.-Rest. (FH) Lars Herzog-Wodtke Die Muse der Poesie und mehr Zwei Kartons von Moritz von Schwind

Graffito von 1599 in einem Chorbuch

Fotos (v. o. n. u.): Technische Hochschule Köln, CICS Cologne Institute of Conservation Sciences; SKD / Herbert Boswank; Wikimedia Commons / Rafael Fernandes de Oliveira

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MUSEUMSSAMMLUNGEN

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Die „Anbetung der Könige“, um 1571

Uta Baier Warum Veronese teures Cochenille geradezu verschwenderisch verwenden konnte Cuccina-Zyklus in Dresden jetzt neu restauriert

SCHADSTOFFBELASTUNG

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Das Bayerische Nationalmuseum, München

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Kristina Presser M.A. Reifenabrieb und Chloride an der Fassade Schadstoffimmissionen von Baudenkmälern

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Uta Baier „Es gibt ein Problem? Wir können sagen, wir haben eine Lösung!“ Ein Besuch bei „Art Detox“

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RUBRIKEN 6

KUNSTSTÜCK

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BLICKPUNKT Neufassungen abstrakter monochromer Skulpturen ICOMOS-Wahlen auf Schloss Tillysburg Training für syrische Museumsmitarbeiter Symposium zu Kirchenburgen in Siebenbürgen Tagung „Querbeet 2.0“ Egon Schiele-Tagung 2018 Berlin fördert zehn neue Digitalisierungsprojekte Über Farbfassungen mittelalterlicher Bürgerhäuser Messe-Macher Peter Plan über die Cultura Suisse Das Bauvertragsrecht und seine Neuerungen

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BERUF

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QUALITÄTSSCHMIEDE – Römerturm

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FIRMEN & PRODUKTE

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BUCHBESPRECHUNG

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TERMINE Ausstellung Veranstaltungen Impressum Vorschau

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PORTRÄT

THERMO CHROM PIGMENTE

Titelmotiv Das Chinesische Speisezimmer im Kopenhagener Schloss Amalienborg schmückt eine handbedruckte Tapetenverkleidung. 2013 beschädigte ein Wasserschaden diese schwer. Da die Originaltapete nicht mehr erhältlich war, entschied man sich im Rahmen der Restaurierung für eine digitale Rekonstruktion der Schadstellen und einen anschließenden Neudruck.

… ändern bei einer bestimmten Temperatur die Farbigkeit innerhalb eines geringen Temperaturbereiches. Sie lösen sich gut in Wasser und lösemittelbasierten Systemen auf und haben eine Temperaturstabilität bis 200°C.

Foto: Berit Møller

Kremer Pigmente bietet die Thermochrompigmente in vier Farbvariationen an: Purple (#56843), Grün (#56847), Dunkelblau (#56849) und Schwarz (#56854).

www.kremer-pigmente.com

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PAPIERRESTAURIERUNG

John Heartfield und sein Nachlass Der Grafiker John Heartfield (1891–1968) gilt als Begründer der politischen Fotomontage. Sein gesamter bildkünstlerischer Nachlass, rund 6.200 Objekte, wird in der Kunstsammlung des Archivs der Berliner Akademie der Künste verwahrt. Der Bestand wird in Gänze ab 2018 online und zwei Jahre später auch im Rahmen einer Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz präsentiert. Aktuell wird der Nachlass erschlossen und digitalisiert.

John Heartfield: Imperialistische Kinderfürsorge, 1958, Originalmontage (Inv.-Nr. JH 520), Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung

Ein Vogel auf blühenden Zweigen vor vergitterten Gefängniszellen, Adolf Hitler als Waffenjongleur, ein Grüppchen verlassener Kleinkinder vor Trümmerbergen – die Motive der Fotomontagen von John Heartfield (1891–1968) verfehlen auch heute fast 100 Jahre nach Entstehung nicht ihre Wirkung. Im Kampf gegen den Nationalsozialismus

war Heartfield einer der wichtigsten politisch-satirischen Künstler. Seine Innovation, die politische Fotomontage, fand in Form von Plakaten, Buchumschlägen und Zeitungsillustrationen weite Verbreitung. Heute zählen Heartfields Fotomontagen zu den größten Schätzen des Archivs der Akademie der Künste in Berlin, in dem der gesamte

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ENTAR l KOMM b. Patrica Enge

ha ag. dr. von M

Nachlass des Künstlers betreut wird. Er umfasst Zeichnungen, Zeitungen, Bücher, Skulpturen, Fotografien, Dokumente und Fotomontagen. So gewaltig die Motive erscheinen, so filigran und zerbrechlich zeigt sich ihre Materialität. Fotografische Elemente, aufgesprühte Farbretuschen, Bemalungen und verklebte Papierelemente formen

ist wissenschaftliche Leiterin des European Research Centre für Book and Paper Conservation-Restoration an der DonauUniversität Krems.

Neues Verfahren gegen Papierzerfall Ab Mitte des 19. Jahrhunderts produzierte man Papier aus zerfaserten Holzstücken, um es der breiten Masse preisgünstig zur Verfügung zu stellen. Bis zum Beginn der Herstellung von hochwertigerem Papier nach 1945 druckte und schrieb man nahezu alles auf Holzschliffpapier: Bücher, Zeitungen und Briefe. Ein niedriger pH-Wert des Holzschliffpapiers führt bei längerer Lagerung zu einer Zerstörung der Celluloseketten. Außerdem wurde Alaun als Hilfsstoff der Papierproduktion eingesetzt, das führt zur Säurebildung, die den Papierzerfall weiter fördert. Das Papier wird brüchig. Eine unaufhaltsame Alterungsspirale entsteht, die durch schlechte Lagerung, Wärme, Licht und Luftfeuchtigkeit noch weiter beschleunigt wird. Aktuell ist der Bestand vieler Bibliotheken und Archive in unterschiedlich dramatischem Maß von säurebedingtem Papierzerfall betroffen. Um den Erhalt dieser Dokumente zu sichern, haben wir in einem interdisziplinären Team aus Restauratoren und Chemikern der Donau-Universität Krems und der Universität Graz ein neues Verfahren entwickelt. Auf Basis von bisherigen Massenentsäuerungsverfahren, und unter Zuhilfenahme innovativer chemischer und nanotechnologischer Methoden, entsäuert es das Papier, hinterlässt eine alkalische Reserve und macht das Papier wiederverwendbar. Und falls gewünscht, kann man damit gleichzeitig Mikroorganismen desinfizieren – oder modular damit auch nur Mikroorganismen bekämpfen. Das Patent ist angemeldet. Wenn es sich durchsetzt, wird eine Forschungslücke in der österreichischen Papierrestaurierung geschlossen.

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MUSEUMSSAMMLUNGEN

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Warum Veronese teures Cochenille geradezu verschwenderisch verwenden konnte Die Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden hat ihren Cuccina-Zyklus von Paolo Caliari, genannt Veronese (1528–1588) erforscht und aufwendig restauriert.

Paolo Veronese, Die Anbetung der Könige, um 1571

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Veronese hatte Glück. Während der Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden war Platz, Zeit und Geld, um seinen berühmten „Cuccina-Zyklus“ zu restaurieren. Die vier Gemälde „Die Anbetung der Könige“ (205,7 x 455,3 cm), „Die Hochzeit zu Kana“ (207 x 454 cm), „Die Kreuztragung“ (164 x 415 cm) und „Die Madonna der Familie Cuccina“ (167 x 416,3 cm) sind bereits seit

1746 in Dresden. Seit 1956 hingen sie ununterbrochen als Hauptwerke im Veronese-Saal. Entstanden 1571 für den neu gebauten Palast der Wollhändlerfamilie Cuccina am Canal Grande in Venedig, wurden sie bereits 1645 an Francesco I. d’Este, Herzog von Modena, verkauft. Heute heißt der Cuccina-Palast Palazzo Papadopoli und beherbergt ein Luxushotel. „Aufzeichnungen über die 3/2018


MUSEUMSSAMMLUNGEN

Entstehung der Gemälde oder Verträge mit Veronese gibt es nicht“, sagt die Dresdner Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin Christine Follmann. Doch die Gemälde waren schon bald nach ihrer Entstehung bekannt und berühmt. „Schon 1652 schrieb Pietro da Cortona über den Mundschenk der Hochzeit zu Kana, dass dieser allein es schon verdiene, als großes und außerordentliches Wunder der Kunst bezeichnet zu werden“, erklärt Christine Follmann. Immerhin ist die weitere Geschichte der vier Gemälde gut dokumentiert: 1746 erwarb der sächsische Kurfürst und polnische König August III. den Zyklus zusammen mit 96 anderen Meisterwerken aus der Sammlung des Herzogs von Modena. „Schon in Venedig muss es Übermalungen gegeben haben“, sagt Gemälde-Chefrestauratorin 3/2018

Marlies Giebe. Denn die von Veronese verwendete Smalte verbräunte schnell. Giebe fand Hinweise auf frühe zweite Himmelsfassungen, zum Beispiel beim Gemälde „Die Hochzeit zu Kana“. Hier liegt der Nimbus Christi über der Himmelsfarbe. „Seitdem der Zyklus in Dresden ist, gab es Diskussionen um seinen Zustand“, sagt Marlies Giebe. Schon bei ihrer Ankunft seien die Bilder pflegebedürftig gewesen. Um 1830 dublierte der italienische Restaurator Pietro Palmaroli drei der Dresdener Gemälde. Allein die „Kreuztragung“ blieb dauerhaft undubliert. Um 1860 wurden die beiden besonders stark verfärbten Himmel der „Kreuztragung“ und der „Madonna mit der Familie Cuccina“ von Carl Martin Schirmer in Dresden übermalt, erschienen nun wieder blau und den Himmelsfarben der anderen Zyklus-Gemälde angeglichen.

ABSTRACT Why Veronese Could Use Cochineal This Lavishly In Dresden, the Cuccina cycle of Paolo Caliari, called Veronese (1528–1588), has been studied and extensively restored.

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SCHADSTOFFBELASTUNG

Reifenabrieb und Chloride an der Fassade Unsere Baudenkmale in den Städten sind täglich hohen Belastungen durch Schadstoffe ausgesetzt. Ein Forschungsprojekt analysierte den Einfluss verkehrsbedingter Immissionen auf die Denkmalsubstanz. RESTAURO sprach mit den beiden beteiligten Wissenschaftlern Dr. Michael Auras und Dr. Klemens Seelos.

ABSTRACT Tyre wear and chlorides on the facade Our monuments in the cities are exposed to high levels of air pollution every day. A research project analysed the influence of traffic-related immissions on the monument substance. RESTAURO spoke with the two scientists involved Dr. Michael Auras and Dr. Klemens Seelos.

Dass Platz eins nicht immer ein Grund zur Freude ist, erfuhr München zu Beginn des Jahres. Die bayerische Landeshauptstadt belegt für das Jahr 2017 den ersten Rang in einer vorläufigen Auswertung der verkehrsbedingten Luftbelastung mit Stickstoffdioxid durch das Umweltbundesamt. Zwar sank der Schadstoffgehalt deutschlandweit im Vergleich zum Vorjahr, doch noch immer überschreiten die Messwerte in einigen Städten deutlich die seit 2010 einzuhaltenden Grenzen. Eine Gefahr für die menschliche Gesundheit. Aber nicht nur uns belastet das Abgas, das bei Verbrennungsprozessen vor allem in Fahrzeugmotoren entsteht. Unsere Umwelt ist gleichermaßen stark betroffen. Dazu gehören auch die zahlreichen

Denkmäler in Deutschlands Städten mit überwiegend steinernen Fassaden. An ihnen hinterlässt die Lage an verkehrsreichen Straßen Spuren. Aber nicht nur Stickoxide verschmutzen unsere Luft. In ihr sammeln sich verschiedenste Partikel, künstlicher, mineralischer oder organischer Natur (Abb. 2), die durch Wind mehr oder weniger weit transportiert und verlagert werden. Dabei stellt sich die Frage, welche Partikel sind es genau, die sich an den Gebäudeoberflächen niederschlagen? Woher kommen sie, und wie zahlreich sind sie? Das Institut für Steinkonservierung in Mainz nahm sich dieser aktuellen Thematik in einem knapp dreijährigen Projekt an. In Kooperation mit mehreren

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SCHADSTOFFBELASTUNG

getreten und die Feinstaubdiskussion in aller Munde. Das war der Grund, sich damit auseinanderzusetzten, wie wirken diese Schadstoffe heute auf unsere Steinfassaden.“ Neben der Auswertung öffentlicher Daten nahmen die Wissenschaftler rund ein Jahr lang Messungen vor. Die Standortwahl fiel dabei auf die fünf Teststädte Mainz, München, Bamberg, Würzburg und Essen. Dort wurden Passivsammler zur Bestimmung der Stickstoffdioxidkonzentration in der Luft, von anderen Partikeln sowie weiteren Parametern eingesetzt und teils im Zwei-Monatsrhythmus ausgetauscht. Dr. Klemens Seelos vom Institut für Geowissenschaften der Universität Mainz untersuchte mittels

Das Bayerische Nationalmuseum in München ist täglich einer hohen Verkehrsbelastung ausgesetzt

æ Mehr Informationen zu dem Forschungsprojekt unter www.ifs-mainz.de/veroeffentlichungen/ifs-berichte (IFS-Bericht Nr. 49)

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Universitäten, darunter Darmstadt und Mainz, dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, dem Deutschen Bergbaumuseum in Bochum und Prof. Dr. Rolf Snethlage, zuständig für Naturstein, Bauchemie und Bauphysik in der Denkmalpflege, Bamberg, entstand eine groß angelegte, interdisziplinäre Forschungsarbeit. Thema der Studie war „die Auswirkung verkehrsbedingter Emissionen an Denkmalen in Innenstädten und Entwicklung geeigneter Konzepte zu deren Minderung“. „In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Situation sehr stark verändert“, sagt Dr. Michael Auras vom Institut für Steinkonservierung. „Die Stickoxidbelastung in den Städten ist in den Vordergrund

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