Ausgezeichneter Stahlbau 2018

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Ausgezeichneter Stahlbau 2018

Callwey bauforumstahl


Inhalt

START Editorial

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Wettbewerbe

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PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES 2018 UND SONDERPREIS DES BUNDESMINISTERIUM DES INNERN, FÜR BAU UND HEIMAT (BMI) GEWINNER

AUSGEWÄHLTE PROJEKTE

INDUSTRIEBAU

BÜROGEBÄUDE

Trumpf Smart Factory, Chicago

12

SONDERPREIS DES BMI

HanseMerkur-Pavillon, Hamburg

60

Aufstockung Marien Hospital, Herne

88

Friedrich-Ludwig-Jahn-Schule, Wiesbaden

90

BRÜCKEN

BAUEN IM BESTAND

Comeniusbrücke, Jaromer

Erweiterung Verkehrskommissariat, Kißlegg 18

Fußgängerbrücke, Böblingen

62 64

Kraftwerk, München-Obersendling

INDUSTRIEBAUTEN

AUSZEICHNUNGEN

Fabrikationsgebäude 4.0, Bad Berleburg

BÜROGEBÄUDE 50Hertz Netzquartier, Berlin

24

HNA Plaza, Shanghai

28

PET Recycling West, Übach Palenberg

Cecilienallee 5, Düsseldorf

66

BMW Group Classic, München

68

Sanierung Gärtnerplatz-Theater, München

92

70

ÖFFENTLICHE BAUTEN

Raucherunterstand Euronics, Tuttlingen

Haldenzeichen im Lippepark, Hamm Landmarke Duhamel, Ensdorf

Erweiterung Schlossküche, Hannover-Herrenhausen Futurium, Berlin

72

Galerie Café Kapuzinergasse, Düsseldorf

96

Galerie de Kons, Luxemburg

Zentraler Omnibusbahnhof, Hannover

76

100 Eisenbahnhochbrücke, Rendsburg

Zentraler Omnibusbahnhof, Eisenach

102

Waldparkhaus, Mülheim

104

Passerelle de la Paix, Lyon

WOHNBAUTEN FLOW Tower, Köln

106

Stadion Wanda Metropolitano, Madrid

Marina One, Singapur

108

Aussichtsturm am Ebenberg, Landau

78 80 Überdachung über den Kohlebunkern, München 82

WOHNBAUTEN

114 120

Wohnen im Wildparkstadion, Karlsruhe

Gewinner Ingenieurpreis Brückenbau: Allerbrücke, Verden, S. 132

AUSGEWÄHLTE PROJEKTE Markthalle, Stuttgart

190

Sportarena Olympiapark, München

192

Markthalle, Stuttgart

194

Tanzsaal der John Cranko Schule, Stuttgart

196

152

DASt-PREIS In-situ-Spannungsidentifikationsverfahren

128

132

162

ANHANG

3. PREIS

138 Bionisch-kinetische Gebäudehülle, Stuttgart 142

158

2. PREIS Fernbus-Terminal, Berlin West

Bauwerk 118b, Bundesautobahn A 70

SPORTSTÄTTEN

Meixi Urban Helix, Changsha 48

Sartorius, Göttingen

98

SONDERBAUTEN

Warte Haus, Landshut

1. PREIS

GEWINNER BRÜCKENBAU

40

VERKEHRSBAUTEN

GEWINNER HOCHBAU

94

74

36

44

FÖRDERPREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES 2018

VERKEHRSBAUTEN Stadtbahnhaltestelle U5, Frankfurt/Main

32

ÖFFENTLICHE BAUTEN

INGENIEURPREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES 2017

Allerbrücke, Verden Hettich B 7, Kirchlengern

SONDERBAUTEN

Gewinner Ingenieurpreis Hochbau: Sartorius PH, Göttingen, S. 114

Zentralmensa Universität, Kassel 124

BRÜCKEN Rethebrücke, Hamburg

Gewinner Stahlbaupreis: Trumpf Smart Factory Chicago, S. 12

166

LOBE

146 Modularer Wohnungsbau in Santa Monica

Mitgliederverzeichnis

198

Abbildungsnachweise

208

Impressum

209

170

From Frontiers to New Lands, Gibraltar

174

Haftelhof, Schweighofen

178

Kletterhalle im Isartal, Baierbrunn

182

LOB DAST-PREIS 110 Gerüstpfeilerviadukt, Waldheim

186

BAUEN IM BESTAND

4

Wohnhäuser am Saselberg, Hamburg

52

Philosophicum, Frankfurt/Main

84

Frankie & Johnny, Berlin

56

Über den Dächern von Hamburg

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Editorial

Vorwort

Digitalisierung beeinflusst und verändert nachhaltig sowohl Gesellschaft als auch Arbeitswelt. In Bezug auf die Zukunft des Bauens wird dies eine zentrale Schnittstelle in der zukünftigen Wertschöpfungskette darstellen.

Selten gibt es wohl einen Baustoff, der so im Zentrum der Weltpolitik steht wie der Stahl zurzeit. Es geht um Billigprodukte einerseits und Strafzölle andererseits. Ob nun Stahl zum Zankapfel eines Handelskrieges wird und sein Ruf beim Bauen aufs Spiel gesetzt, sei dahingestellt. In jedem Fall waren die Einsendungen zum Stahlbaupreis eine Werbung für das architektonische Potenzial des Baustoffes Stahl. Es ist wichtig, sich darüber klar zu werden, dass die technischen Qualitäten der Spannweiten und der Belastbarkeit nicht das einzige sind, was Stahl ausdrücken kann. Stahl kann auch Atmosphäre prägen – er kann Räume emotional aufladen und mehr sein als rational und clean. Die diesjährigen Preisträger loten die Dimensionen der Ausdrucksmöglichkeiten aus, ohne die technischen Raffinessen zu vernachlässigen.

Solange Fertigungs- und Bauprozesse nicht über Maschinen ausreichend abbildbar sind, können reine Planungsmethoden wie BIM (Building Information Modelling) keine korrekte Abbildung des Baubetriebs darstellen. Da Bautreibende in erster Linie keine Maschinenbauer sind, ist die Entwicklung von Produktionsprozessen und -maschinen nur selten in der Hand einzelner Gewerke, ebenso wenig wie eine entsprechende Softwareentwicklung. Einfache Bedienbarkeit und das Zugänglichmachen von produzierendem Knowhow sind für die Zukunftssicherung der Bauindustrie notwendig. Gefordert wird eine leicht zugängliche und offene Softwareschnittstelle, die es nicht Spezialisten, sondern Technikern ermöglicht, ihre Produktionsprozesse selbst zu entwickeln und auf den zur Verfügung stehenden Maschinen abzubilden. Hier stellt insbesondere der Stahlbau eine potenzielle Zukunftshoffnung dar, zeichnet er sich bereits heute durch einen hohen Vorfertigungs- und möglichen Individualisierungsgrad aus. Flexible Maschinen - beispielsweise Industrieroboter - und flexible Software als Zukunft für intuitiv gestaltbare Produktionsprozesse im Stahlbau sind hier nur eine Vision auf die Frage, wie kann sich der Stahlbau in Richtung Digitalisierung weiterentwickeln. Dass hohe Anforderungen auf Individualisierung und individuelle Modularisierung für ungewöhnliche Orte von der Planung gefordert sind, belegen auch dieses Jahr wieder die erfolgreichen Ergebnisse des Förderpreises des Deutschen Stahlbaues. Von der sechsköpfigen Jury wurden Projekte gewürdigt, die besonders kreativ räumliche und technisch innovative Ausgestaltungen in der Individualisierung des Werkstoffes Stahl herausarbeiten. Der 1.Preis „Wohnen im Wildparkstadion“ beschäftigt sich beispielsweise mit der räumlichen und technischen Lösung einer Stadionüberdachung – einem ungewöhnlichen Ort in luftiger Höhe –, modularen Wohnraum aggregiert zu entwickeln. Der 2. Preis „Fernbus Terminal Berlin West“ zeugt ebenfalls für eine ungewöhnliche mehrstöckige räumliche Nutzung auf beengtem städtischen Raum. Der Busbahnhof wurde über mehrere Geschosse konzipiert, um Fernbusse mittels Schwerlastaufzüge vertikal im Gebäude zu transportieren. Der 3. Preis „Bionische kinetische Gebäudehülle“ nimmt Anleihe in der Bionik in der Beobachtung der Bewegung einer Tierhaut zur Individualisierung und kinetischen Ausgestaltung einer Gebäudehülle.

Mit der Auszeichnung der Trumpf Smart Factory Chicago von Barkow Leibinger geht der Stahlbaupreis 2018 an eine geradezu klassische Bautypologie für Stahl: an eine weitgespannte Halle. Aber wie es in diesem Fall gelungen ist, beim Raumlicht eine kraftvolle und individuelle Sprache zu entwickeln, verdient höchste Anerkennung. Eine ähnliche Grundhaltung findet sich auch bei den kleinen Projekten, die eine Auszeichnung bekommen haben. Das Warte Haus in Landshut etwa, das zeigt, dass Stahl eben nicht immer nur Kontrast zu einem historischen Kontext bedeutet. Es ist dies eine unterschätzte Dimension des Stahls, die alle Preisträger und Anerkennungen ausreizen. Der Sonderpreis dieses Jahr ist an ein Projekt vergeben worden, das einerseits auf den Bestand reagiert, indem es in gewisser Weise die Form des existierenden Baukörpers spiegelt, und andererseits einen eigenständigen Auftritt erhält. Aus vorgefertigten Stahl- und Metallelementen entwickelt es einen wunderbaren Charme, der ganz offensichtlich als Weiterbauen verstanden wird – die Erweiterung des Verkehrskommissariats Kißlegg von brixner architekten: Ein Anbau, den wir tausendfach in Holz gesehen haben, wird nun in Stahl konstruiert und derart inszeniert, dass der Alltagsaufgabe ein kleines Kunstwerk abgerungen wird. Es war eine Freude, mit der Jury aus 68 wirklich guten Einsendungen eine Auswahl zu treffen, die vielleicht auch deshalb hervortritt, weil sie neben der konstruktiven Brillanz auch eine emotionale Aussage hat.

Prof. Johannes Kister Juryvorsitzender

Eine besondere Freude für die sechsköpfige Jury war dieses Jahr, die neue Auswahl des DASt- Forschungspreises zu begleiten, der besonders innovative Ergebnisse in der Nachwuchsforschung würdigt. Aus den eingereichten Arbeiten konnte sich ein äußerst kreatives Verfahren mithilfe schwingungsbasierter experimenteller Untersuchungen zur Bestimmung des Beanspruchungszustandes in fachwerksartigen Stahltragwerken durchsetzen.

Univ. Prof. Sigrid Brell-Cokcan Juryvorsitzende

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Wettbewerbe Seit 1972 lobt bauforumstahl alle zwei Jahre den Preis des Deutschen Stahlbaues aus. Bei ihm stehen die Stahlarchitektur und der Architekt im Fokus. Er ist einer der ältesten und angesehensten Architekturwettbewerbe und setzt Zeichen für die aktuellen Bauaufgaben sowie für die Baukultur in Deutschland. Seit 2010 gibt es zum Stahlbaupreis den Sonderpreis des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) für nachhaltige Stahlarchitektur.

Der Ingenieurpreis des Deutschen Stahlbaues würdigt die Leistungen der Ingenieure beim Erstellen von Bauwerken. Er wird in den Kategorien Hoch- und Brückenbau verliehen. bauforumstahl lobt ihn seit 2012 im zweijährigen Rhythmus aus.

Auch die Förderung des studentischen Nachwuchses liegt bauforumstahl am Herzen. Bereits seit 1974 wird der Förderpreis des Deutschen Stahlbaues alle zwei Jahre ausgelobt. Hier können Studierende der Architektur und des Bauingenieur wesens ihre Studienarbeiten einreichen. Seit 2016 gibt es die neue Kategorie DASt-Forschungspreis, bei der heuer zwei Arbeiten ausgezeichnet wurden.

Jury Preis des Deutschen Stahlbaues 2018

Jurysitzungen Die Jurys bewerten Leistungen im Hoch- und Brückenbau, einschließlich aller Formen des Bauens im Bestand, bei denen der Einsatz von Stahl zur klaren Verbindung von Architektur und Konstruktion führt. Sie beurteilen die gestalterischen Qualitäten, die städtebauliche Einbindung, die konstruktive Raffinesse, die Langlebigkeit und die ressourcenschonende Planung und Ausführung und Betrieb der Gebäude über ihren gesamten Lebenszyklus. Die Jurysitzungen erfolgen nicht öffentlich, die Entscheidungen sind endgültig, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Detaillierte Informationen zu den Wettbewerben befinden sich unter http://bauforumstahl. de/de/awards.

Die Jury 2018 tagt an der Technischen Hochschule Köln

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Jury Förderpreis des Deutschen Stahlbaues 2018

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Preis des Deutschen Stahlbaues 2018


GEWINNER

PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES

INDUSTRIEBAUTEN

Trumpf Smart Factory, Chicago Dass Made in Germany“ ein Qualitätsverspre„ zeigt sich nicht zuletzt im architektochen ist, nischen Auftritt deutscher Unternehmen. Mit seinem Vorführ- und Vertriebszentrum in den USA setzt der schwäbische Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf in dieser Hinsicht neue Maßstäbe: Industriearchitektur als Ereignis. Fabriken und Ausstellungsgebäude – zwischen diesen Bauaufgaben liegen normalerweise Welten. Während bei Industriearchitektur Funktionalität und Kosteneffizienz regieren, geht es bei Kulturbauten vorrangig um ästhetische Qualitäten, sowohl bei der Form als auch bei den Materialien. Das neue US-Vorführ- und Vertriebszentrum für den deutschen Werkzeugmaschinenund Laserhersteller Trumpf befindet sich in der Nähe von Chicago und vereint beide Welten: High-Tech-Maschinen und zukunftsweisende Produktionsprozesse werden hier zum Ausstellungsobjekt. So entstand eine Industrie-4.0-Demonstrationsfabrik mit digital vernetzten Maschinen, in der sich die gesamte Produktionskette von Blechbauteilen besichtigen lässt – von der Beauftragung über die Konstruktion und Herstellung bis zur Auslieferung; als komplexer, smart vernetzter Prozess. Die unmittelbare Umgebung des Neubaus wirkt im Kontext des angrenzenden Industriegebiets beinahe idyllisch: Das in zwei große Volumen gegliederte Gebäude Links: Ansicht der Hauptfassade des Gebäudes

legt sich nach hinten sanft abfallend um einen großen Teich, der in der Aue als Rückhaltebecken dient und von Wiesen mit Rad- und Fußwegen umgeben ist. Auch die Architektur überrascht: Als robuste und zugleich elegante Stahlglaskonstruktion mit Cortenstahl-Verkleidung verbindet sie den suburbanen Strip – geprägt durch Fast-Food-Kultur, Einkaufsmärkte und Tankstellen – mit der Gestaltungssprache klassisch-moderner Industrie- und Campusbauten von Albert Kahn oder Ludwig Mies van der Rohe. So findet die traditionsreiche, zugleich älteste und größte Industrieregion der USA den Anschluss an die computergesteuerten High-Tech-Produktion. Es ist ein Quartett bürgerlich-industrieller Tugenden: Funktionalität und Repräsentation, Pragmatismus und Raffinesse. Dabei geht es dem Entwurf für das Gebäude weniger um aufmerksamkeitsstarke Effekte als vielmehr um eine hohe Qualität der Konstruktion bis ins letzte Detail. Das geschosshohe begehbare Dachtragwerk über dem Showroom überspannt mit seinen elf parallelen Trägern im Abstand von knapp fünf Metern eine Fläche von rund 2.400 Quadratmetern und erlaubt so eine freie Gestaltung der Erdgeschossebene. Es ist dem Brückenbau entlehnt und geht auf ein Konzept zurück, das der belgische Ingenieur Arthur Vierendeel erstmals im Jahr 1897 auf dem Congrès International des Unten: Blick in die Fertigungshalle

Standort Chicago Fertigstellung 2017 Architektur Barkow Leibinger, Berlin Tragwerk Knippers Helbig, Berlin Bauherr Trumpf Inc., Chicago

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GEWINNER

PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES

Transparenz prägt die Konstruktion aus Stahl und Glas

Gestalterische Größe: das begehbare Dachtragwerk Detail Truss

Detail Fassade

Längsschnitt Dachträger

INDUSTRIEBAUTEN

Architectes in Brüssel vorstellte. Vierendeel entwickelte den „Brückenträger ohne Diagonale“ als eine wirtschaftliche Alternative zu dem zur damaligen Zeit statisch nur ungenau erfassbaren und daher sehr aufwändigen genieteten Stahlfachwerkträger.

Nachbearbeitungen erspart. Die Träger weisen ein Konstruktionseigengewicht von circa 75 Kilogramm je Quadratmeter überspannter Fläche auf – ein günstiger Wert für eine begehbare Dachkonstruktion dieser Spannweite. Sie wurden in drei Schüssen zu je circa 15 Meter Länge vorgefertigt und vor Ort in die Einbaulage auf die vorab montierten Pfosten aufgelegt.

Seine 120 Jahre alte Idee wurde beim Dachtragwerk der Smart Factory durch die expressive Konstruktion aus lasergeschnittenen Stahlblechen neu interpretiert. Für die Träger kam Stahl ASTM A50 zum Einsatz, was etwa der Norm S355 entspricht. Die Trägerform leitet sich aus der Beanspruchung unter gleichförmiger Vertikallast ab. Dachträger Entsprechend der Zunahme der Querkraft und der resultierenden höheren Rahmenmomente zu den Trägerenden hin verdichten sich die Abstände der Vertikalstreben, und die Strebenbreiten nehmen kontinuierlich zu. In der Trägermitte sind die Gurtquerschnitte entsprechend dem Normalkraftverlauf maximal hoch. Der in der Feldmitte entsprechend dem Hauptbiegemomentenverlauf aufgeweitete Gurtabstand verringert sich zu den Auflagern hin. Diese affin zur Biegelinie ausgeführte Trägergeometrie führt zur weiteren Homogenisierung der resultierenden Gurtkräfte. So wird eine über den Trägerverlauf homogene Spannungsauslastung bei gleichbleibenden Blechstärken von nur zehn bis 20 Millimetern erreicht. Diese vergleichsweise geringen Blechstärken ermöglichten ein minimiertes Schweißnahtvolumen der aus Segmenten gefügten Stahlhohlkastenkonstruktion. Durch den Überstand der vertikalen Bleche konnten alle Schweißverbindungen als Kehlnähte ausgeführt werden, was aufwändige

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GEWINNER

PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES

INDUSTRIEBAUTEN

Lage des Neubaus vor Ort

Oben: Teile der Trägerkonstruktion vor der Montage

Unten: Hallenkonstruktion im Rohbau

Längsschnitt

Längsschnitt BB

Längsschnitt CC

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LAUDATIO Die Anmutung ist ohne Frage archaisch. Die Stahlträger in der Vierendeel-Konstruktion, aus geschweißten Blechen in drei Stücken zusammengefügt, sind in ihrer unbehandelten Oberfläche ein imposanter räumlicher Abschluss, der zudem in dem dunklen metallischen Glanz der Halle eine architektonische Präsenz verleiht, die so ganz anders ist, als ein Hightech-Showroom auf den ersten Blick vermuten lässt. Dennoch steht eine Produktionstechnik dahinter, die mit lasergeschnittenen Blechen aus dem Hause Trumpf eine sublime technische Raffinesse offenbart, die kombiniert mit einem statischen Gefühl für die lesbaren Kraftflüsse den Industriebau an die tektonisch besten Beispiele der Typologie heranführt. Mit Sicherheit ist die Wirkung, die ein Durchwandern auf dem Skywalk, der durch die Träger führt, noch stärker, als es die Bilder vermitteln. Den Architekten ist es auch gelungen, das Gesamtensemble in allen Aspekten auf einem gleichbleibend hohen Niveau bis in die Details zu entwickeln. Einfachheit ist hier nicht als Minimalismus verstanden, sondern in dem Sinne einer technischen Bildhaftigkeit, die Form entstehen lässt.

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SONDERPREIS DES BMI

PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES

BAUEN IM BESTAND

Erweiterung Verkehrskommissariat, Kißlegg Die Grundstruktur des Neubaus besteht aus einer Stahlskelettkonstruktion, die sich an den Bestand anlehnt. Das Bestandsgebäude gab einen klaren Zweibund mit Mittelflur für die Erweiterung nach Süden vor. Auch der Zuschnitt des Grundstückes sprach für die südlich ausgerichtete Erweiterung. In Fortsetzung der Gebäudeform sollte sich laut Bauaufgabe die Konstruktionsart des Neubaus von der Massivbauweise des Bestands unterscheiden. Die Entscheidung für eine Stahlskelettkonstruktion aus vorgefertigten Bauteilen fiel jedoch nicht nur, um den laufenden Polizeibetrieb möglichst wenig zu stören, sondern auch, um zusätzliche KostenDie vorbildliche, besonders nachhaltige Er wei- sicherheit im Vorfeld zu schaffen. In der Baute rung des Verkehrskommissariats zeich net zeit Juni 2015 bis März 2016 ließ sich die Ersich durch den beherz ten Zugriff auf modulares weiterung im Kostenrahmen von 360.000 Euro Bauen aus. Die Planer setzten dafür auf einen realisieren. sehr hohen Vorfertigungsgrad der einzelnen Bauelemente. So ließen sich die Bauarbeiten Die Decken des Anbaus sind aus relativ dünnen, nicht nur in einer relativ kurzen Zeit erledigen, 160 Millimeter starken Spannbetonplatten (VAauch der Betrieb im Kommissariat wurde nur in RIAX 160) gebildet, für die Fassade wurde eine Aluminium-Pfostenriegelkonstruktion gewählt. geringem Maße durch Baulärm beeinträchtigt.

Der kleine Luftkurort Kißlegg liegt nicht nur an der Oberschwäbischen Barockstraße, sondern auch an der Bundesautobahn 96, und zwar mit eigenem Anschluss. An Verkehr mangelt es dort nicht. Vor dem Hintergrund der Polizeistrukturreform wurde es deshalb ein bisschen eng im Verkehrskommissariat der baden-württembergischen Gemeinde. Die Neuordnung der Autobahn- und Verkehrspolizei erforderte die Einrichtung von vier zusätzlichen Büroeinheiten am Standort.

Links: Fassade des neuen Anbaus

Respektvoll: Der Anbau nimmt die Form des Bestands auf.

Standort Kißlegg Fertigstellung 2017 Architektur brixner architekten BDA, Stuttgart Stahlbau Stahl- und Metallbau Georg Weber, Argenbühl Tragwerk Wilhelm & Partner, Stuttgart Bauherr Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Stuttgart

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SONDERPREIS DES BMI

PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES

Links: Fassadenkonstruktion aus beweglichen PV-Paneelen

Das Primärtragwerk aus T80-Stahlwalzprofilen dient mittels Aufsatzprofil gleichzeitig als Fassadenpfosten. Um den besonderen Sicherheitsanforderungen gerecht zu werden, ist dem Gebäude im Osten sowie im Westen eine starre Sonnen- und Blendschutz konstruktion aus Akustiktrapezblech vorgehängt. Die Lüftung der ver glasten und verkleideten Stahlskelett konstruktion erfolgt ganz einfach über Dreh-Kippfenster. Die Südfassade ist mit einer Front aus rahmenlosen und drehbaren Photovoltaik-Ganzlamellen verkleidet. Damit stehen nun insgesamt 50 Quadratmeter Photovoltaik-Fläche zur Verfügung – mit einem Ertrag von gut 51.000 Kilowattstunden pro Jahr. Das spart etwa 45.000 Kilogramm CO2.

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BAUEN IM BESTAND

Oben: Fassadenansicht mit aufgeklappten PV-Paneelen

Die freistehende Struktur ist ohne Unterkellerung ausgeführt und verfügt lediglich über ein Erd- und ein Obergeschoss. Die vier zusätzlich geschaffenen Büroräume mit jeweils 17 Quadratmetern werden über die vorhandene Haustechnik mitversorgt. Sowohl die Heizungsanlage als auch die Elektro- und Datenversorgung wurden also nur in die neuen Giebelräume verlängert. Notwendig wurde die räumliche Vergrößerung, als das bisherige Autobahnpolizeirevier im Jahr 2012 zu einem von landesweit 14 Verkehrskommissariaten erkoren wurde. Heute arbeiten am Standort rund 50 Beamte. Die Erweiterung des Verkehrskommissariats ist einerseits durch die sachliche Fortsetzung der bestehenden Gebäudestruktur um eine Raumachse gekennzeichnet, andererseits durch einen konstruktiven Bruch. Die Planer wählten ein Stahlskelett anstelle eines konventionellen Massivbaus. Deutlich wird, dass mit den eingesetzten Mitteln – insbesondere der Solartechnik – gestalterisches Neuland im Sinne einer fein ausgewogenen technischen Eleganz betreten wird. Dieser Mut wurde bereits mit dem Hugo-Häring-Preis 2017 des Landesverband Baden-Württemberg des Bundes Deutscher Architekten für vorbildliches Bauen gewürdigt.

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SONDERPREIS DES BMI

PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES

BAUEN IM BESTAND

Das Verkehrskommissariat reiht sich in eine kleine Reihe weiterer Sehenswürdigkeiten ein, die die 9.000-Seelen-Gemeinde Kißlegg, gelegen im Landkreis Ravensburg im Südosten von Baden-Württemberg, ihren Besuchern zu bieten hat. Es gibt ein Altes Schloss (zwischen 1560 und 1570 unter Hans Ulrich von Schellenberg erbaut) und ein Neues Schloss (1721–1727 von Johann Georg Fischer unter Graf Johann Ernst von Waldburg-Trauchburg errichtet), überdies mehrere Kirchen sowie Kapellen. Ein funktionales Wahrzeichen zeitgenössischer Stahlbauarchitektur für den Ort bildet nun die mit dem Sonderpreis 2018 für nachhaltiges Bauen – gemeinsam vergeben von bauforumstahl und dem Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) – ausgezeichnete Polizeidienststelle. Schritt 1: 160 mm starke Spannbetonplatten bilden die Tragstruktur

Schritt 5: Ergänzung Hänger und Gitterroste

Schritt 6: Eindeckung Dach mit Trapezblechen

LAUDATIO Man kann sich nicht sofort entscheiden, ob man dem Projekt aufgrund der ästhetischen Raffinesse in der Verwendung von vorgefertigten Stahl- und Metallelementen hohe Anerkennung zollen möchte oder in dem selbstverständlichen typologischen Weiterbauen eines so normalen Bestandsbaues. Sicher ist, dass der Wert der Arbeit in beidem steckt und beide Haltungen überzeugen.

Schritt 2: L-förmige Stahlauflager und T80-Stützen

Schritt 3: Dachpfetten am Bestand

Schritt 7: Sonnenschutz westliche und östliche Fassade

Die Aufgabe selber ist simpel: Eine Erweiterung von Büroräumen, welche für eine „Allerweltsaufgabe“ steht. Was daraus gemacht wurde, ist eine Meisterleistung, weil alle Bauelemente eine Sichtbarkeit und ästhetische Präsenz erhalten, die zugleich leicht und filigran sind und ein Spiel von Licht und Schatten zaubern. Perforierte Bleche, die nachts von innen strahlen, Glassolarpaneele, die beweglich der Stirnfassade Veränderung in der Erscheinung ermöglichen und ein Dachüberstand, der die Kubatur umschreibt und dem Dach eine verführerische Leichtigkeit verleiht. Ein Konzert von Linearität, das mit der typologischen Grundform eines Satteldachhauses auf frappierende Weise harmoniert und aufzeigt, dass vorgefertigte Produkte sowohl städtebaulich als auch architektonisch für Lösungen geeignet sind, die weit über sich selbst hinausweisen können. Nachhaltig ist hier nicht nur die Integration von Solartechnik in einer Fassade, es ist die grundsätzliche architektonische Haltung, die aus der Aufgabe mit Mitteln der Konstruktion Maßstäbe des Weiterbauens setzt.

Schritt 3.1: Zugstabsystem verbindet Auflager Bestand mit Skelettauflager

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Schritt 4: Einbau Pfosten-Riegel-Fassade

Schritt 8: Einbau drehbare PV-Paneele

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AUSZEICHNUNG

PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES

BÜROGEBÄUDE

50Hertz Netzquartier, Berlin Mit der Diagonale in die Höhe: Ein außen liegendes Tragwerk lässt die neue Berliner Unternehmenszentrale des Netzbetreibers zum Blickfang werden und sorgt für große Flexibilität im Inneren. Das Fachwerk aus druck- und zugbelasteten Stützen entfaltet sich zu einer geometrisch komplex verwobenen Gebäudehülle. Bei Entwurf und Konstruktion spielten jahreszeitliche Temperatureinflüsse eine maßgebliche Rolle. Die 50Hertz Transmission GmbH hat in der Hauptstadt an prominenter Stelle eine neue Zentrale bezogen. Das Unternehmen sorgt für den Betrieb, die Instandhaltung, die Planung und den Ausbau des 380/220-Kilovolt-Übertragungsnetzes im Norden und Osten Deutschlands. Rund 650 Mitarbeiter arbeiten nun mit Blick auf den nahe gelegenen Hauptbahnhof in der Europacity. Das rund um die Heidestraße entstehende Stadtviertel zählt aufgrund seiner zentralen Lage, der guten Verkehrsanbindung und der sich im Umfeld etablierenden Kulturlandschaft zu den interessantesten innerstädtischen Räumen Berlins. Im Süden und Westen grenzt das 50Hertz-Netzquartier an das imposante denkmalgeschützte Gebäude des „Museums für Gegenwart“ im alten Hamburger Bahnhof sowie an das Landessozialgericht. Mit seinen 56 Metern Höhe ist der 50Hertz-Hauptsitz eine prägende Landmarke des neuen Berliner Zentrums. Links: Neubau in prominenter Hauptstadtlage

Schon von weitem fällt das außen liegende und statisch voll wirksame Tragwerk aus weißen Stahl-Verbundstützen ins Auge. Die Diagrid-Bauweise ermöglicht stützenfreie Innenräume entlang der Fassade und somit eine flexible Innenraumnutzung. Dieses Fachwerk bildet ein Netz aus regelmäßig angeordneten diagonalen Stützen, das den Unternehmenszweck von 50Hertz als Netzbetreiber abstrakt symbolisiert und eine Referenz an das weitläufige Eisenbahnareal mit seinen Stahlbrücken und Viadukten rund um den ehemaligen Hamburger Bahnhof und den neuen Hauptbahnhof darstellt. Aus der Struktur wurden einzelne Stützen entfernt. Einzige Bedingung dabei war, dass eine noch leicht zu bewältigende freie Spannweite von rund 8,3 Metern im Kragplattenbereich nicht überschritten werden durfte. Diese spielerische Herangehensweise macht das Fachwerk aus druck- und zugbelasteten Stützen zu einem geometrisch komplex verwobenen Kokon. Da die Tragkonstruktion außerhalb der beheizten Gebäudehülle liegt, hatten jahreszeitliche Temperatureinflüsse maßgeblichen Einfluss auf die Bemessung der geneigt angeordneten stahlummantelten Stützen (Durchmesser 420 Millimeter). Durch deren unregelmäßige Anordnung entstehen zudem komplizierte Lastumlagerungen. Die Decken werden nicht nur von dem äußeren Stabwerk getragen, sondern auch von schlanken Innenstützen sowie den Treppen Unten: Blick von der Dachterrasse über Berlin

Standort Berlin Fertigstellung 2016 Architektur LOVE architecture and urbanism, Graz Tragwerk Inros Lackner SE, Rostock Bauherr 50Hz Transmission GmbH, Berlin

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AUSZEICHNUNG

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BÜROGEBÄUDE

hauskernen. Doch weil die äußeren Stützen diagonal angebracht sind, entstehen zum Teil sehr große Abtriebskräfte innerhalb der Deckenränder (bis zu 6.000 Kilonewton). Diese werden durch umlaufende Zugbänder aufgenommen. Architektonisch präsentiert sich das Bauwerk als Überlagerung von drei verschiedenen Strukturen: dem außen liegenden Tragwerk, dem horizontalen Gefüge der Geschossebenen und den drei innen liegenden orangefarbenen Stahlbetonkernen. Sie beherbergen neben Liften und Treppenhäusern auch Schächte, die Bereiche der Haustechnik und Sanitärräume. Zwei der drei Betonkerne sind leicht gekippt. Die tiefen Geschossplatten bieten Raum für unterschiedlichste Bürokonzepte. So können alle Abteilungen und Teams ihre Räume individuell aufteilen. Jedes Geschoss bietet mehrere Balkone, die sich als Open-Air-Arbeitsplatz, zur Kommunikation oder für eine erholsame Pause unter dem Berliner Himmel nutzen lassen.

Konstruktionsdetail: Deckenknoten

Unten: Detail Stahlkonstruktion

Blick in das Atrium des Gebäudes

Gesamtmodell des Tragwerks

Unten: Dachterrasse Sitzmöbel

Ansicht Grundriss des dritten Obergeschosses

LAUDATIO Im Stadtbild der Berliner Europacity ist diese markante Raumskulptur mit ihren spektakulären Fassaden aus weißem Stahl und Glas nicht zu übersehen. Geprägt von der Überlagerung verschiedener Tragstrukturen wie den auskragenden Geschossebenen in der Horizontalen, vor allem aber in der Vertikalen mit ihrem außen liegenden Netzwerk tragender Diagonalstützen, drängt sie sich selbstbewusst, zugleich diszipliniert und elegant in den Straßenraum. Diese dominante Primärstruktur macht die vertikale Lastabtragung der Stahlkonstruktion überzeugend sichtbar. Nachvollziehbar auch die Idee des Netzes, das den Unternehmenszweck abstrakt interpretiert. Mit ihrer zurückgesetzten Glashaut erlaubt diese Fassade tiefe Einblicke – gleichzeitig von innen für die Nutzer spannende, weitestgehend stützenfreie Ausblicke. Neben seinem ausdrucksstarken Tragwerk sowie dem Energie- und Nachhaltigkeitskonzept hat das Gebäude weitere Qualitäten: unterschiedlichste Arbeitsplatzqualitäten, die ein offenes, flexibles, dialog- und teamorientiertes Arbeiten ermöglichen und Raum für differenzierte, individuelle Bürokonzepte bieten.

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AUSZEICHNUNG

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BÜROGEBÄUDE

HNA Plaza, Shanghai Bei diesem Konzept für ein Bürohochhaus zeigt sich puristische Ästhetik auch von einer effizient-ökonomischen Seite: Stahl und Glas als Dialektik technischer Eleganz, die sich in den weitläufigen Wasserflächen des Außenbereichs widerspiegelt. Doch das sind nicht die einzigen Vorzüge dieser Konstruktion. Shanghai kann mit einer Reihe architektonischer Superlative und ehrgeiziger Wolkenkratzer aufwarten. Die chinesische Unternehmensgruppe HNA hat sich in der chinesischen Metropole ein mit Blick auf die Ausmaße vergleichsweise zurückhaltendes, dafür durch seine intelligente Konstruktion beeindruckendes Bürogebäude errichten lassen. Beim Neubau des HNA Plaza dominieren Glas und Stahl – außen wie innen. Die Gestaltung verleiht dem Bauwerk eine technische Eleganz, die sich in den ruhenden Wasserflächen im Außenbereich praktisch fortsetzt und damit zur prägenden Konstante der Adresse wird. Der Bau setzt sich aus einem 90 Meter hohen Turm mit 20 Geschossen und einem davor liegenden Gebäuderiegel, dem Podium, zusammen. Vom Turm aus blicken Nutzer und Besucher über die Ufer des Huangpu-Flusses, die Shanghaier Altstadt, die Nanpu-Brücke sowie das Areal der EXPO 2010.

menkonstruktion mit Auskragungen von bis zu 4,20 Metern. Die Stahlrahmenkonstruktion ist auch im Inneren sichtbar: Ihre kreuzförmigen Stützen mit vierseitig verstärkten Flanschen sind brandschutzbeschichtet, aber nicht verkleidet, auch an den Decken liegen I-Profil-Träger und Verbundblechdecken frei. Eine Dehnfuge trennt Turm und Podium in zwei unabhängige seismische Einheiten: Die Konstruktion des gesamten Gebäudes hält somit Erdbeben bis zur Stärke 7 stand. Die Gebäudefuge zieht sich bis in das erste Untergeschoss und mündet in einem statisch anspruchsvoll integrierten sogenannten Tiefhof. Die Flachdächer beider Bauten sind begehbar und bieten Zugang zu den überdachten Haustechnikbereichen sowie einer großzügigen Dachterrasse auf dem Podium. Die vorgehängte Glasfassade, bestehend aus einer Aluminiumrahmenkonstruktion in den Regelgeschossen sowie einer Stahlrahmenkonstruktion in der zweigeschossigen Eingangszone, wird mit außen liegenden, horizontalen Aluminiumlamellen verschattet. Die zurückgesetzte Glasfassade in der Gebäudefuge besteht aus einer über 67 Meter hoch gespannten Seilnetzkonstruktion, die mit horizontalen Stahlschwertern den Windlasten entgegenwirkt.

Das Tragwerk des Hochhauses besteht aus zwei Stahlbetonkernen, die im 16-geschossigen Atrium über Stahlbrücken verbunden sind, sowie aus einer biegesteif verbundenen Stahlrah-

Maßgeblich für die Entscheidung des Bauherrn, das Gebäude als sichtbare Stahlkonstruktion zu errichten, waren wirtschaftliche Aspekte: In den gesamten Büroflächen erübrigt sich ein nachträglicher Innenausbau, da alle

Links: Der Neubau ist eine neue Landmarke der Metropole.

Unten: Blick ins Erdgeschoss; Eingangshalle Erdgeschoss

Standort Shanghai Fertigstellung 2015 Architektur gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg Tragwerk CADG China Architecture and Design & Research Group, Shanghai Bauherr HNA Grand China Properties

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AUSZEICHNUNG

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haustechnischen Anlagen konstruktiv integriert wurden. Alle Oberflächen der Konstruktion sind zudem ästhetisch so gestaltet, dass auf Verkleidungen oder abgehängte Decken verzichtet werden kann. Zwischen den Deckenträgern eröffnen sich nicht nur optimale Raumhöhen; die gute Zugänglichkeit der Anlagen minimiert zudem den Wartungsaufwand. Mit Ausnahme der Erschließungskerne erlauben die reine Stahlkonstruktion und die Aluminiumfassaden eine nahezu vollständige Wiederverwertung der verwendeten Materialien. Alle Geschossflächen sind frei unterteilbar und könnten gegebenenfalls auch einer ganz anderen Nutzung dienen: ein Haus für das 21. Jahrhundert.

BÜROGEBÄUDE

Innenansicht der galerieartigen Geschossebenen

Längsschnitt

Oben: Die Etagen umschließen ein luftiges Atrium. Unten: Kristalliner Neuzugang in der Skyline von Shanghai

Lageplan mit Gebäude und Außenanlagen

Unten: Grundriss Erdgeschoss 0

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LAUDATIO Dieses Hochhaus mit seiner durchgehenden Anmutung in Stahl ist ein schönes Beispiel für den Geschossbau. Es sticht mit seiner zurückhaltenden Eleganz aus der Skyline von Shanghai hervor. Bemerkenswert ist die konsequente Sichtbarkeit der Stahlkonstruktion und der technischen Infrastruktur. Diese technische Eleganz wird erreicht durch die dominierende Verwendung von Glas und Stahl. Diese Konsequenz in der Sichtbarkeit bedurfte sicher eines hohen Aufwands bei der Planung und Ausführung einerseits. Andererseits ist offensichtlich beim Bauherrn gerade die Wirtschaftlichkeit für dessen Entscheidung für diese radikale Sichtbarmachung des Stahls ausschlaggebend gewesen. Und: Die hierdurch bedingte gute Zugänglichkeit der technischen Anlagen minimiert deren Wartungsaufwand. Es wäre zu wünschen, wenn eine solche Realisierungsmöglichkeit auch in Deutschland erreicht werden kann.

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AUSZEICHNUNG

PREIS DES DEUTSCHEN STAHLBAUES

BRÜCKEN

Rethebrücke, Hamburg Damit riesige Containerfrachter passieren können, klappen im Hamburger Hafen viele Tausend Tonnen Stahl in die Vertikale, die sonst als Verkehrsverbindung dienen. Die mächtige Rethebrücke ist die größte Doppelklappbrücke Europas, auf der auch Autos und Züge verkehren. Mit der integrierten Überführung von Straße und Schiene in einem Bauwerk ist den Planern ein Meisterwerk der Ingenieurbaukunst gelungen. Die Rethequerung am südlichen Rand des inneren Hamburger Hafengebietes ist eine wichtige Verbindung von und nach Süden. Leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur hat an dieser Stelle große Bedeutung. Aufgrund des schlechten Zustands der bestehenden Rethe-Hubbrücke und ihrer zu geringen Durchfahrtsbreite wurde deshalb entschieden, ein neues und vor allem bewegliches Bauwerk zu errichten. Die parallele Überführung von Straße und Schiene in einem Bauwerk stellte die planenden Ingenieure vor besondere Herausforderungen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Sie wurden alle gemeistert. Mit einer Spannweite von 104,20 Metern ist der Neubau die größte Doppelklappbrücke Europas für den Bahnverkehr - und zugleich eine der größten Flussquerungen für den Straßenverkehr. Das komplexe Bauwerk setzt sich zusammen aus den beweglichen Brücken und den anschließenden Vorlandbrücken. Straße und Hafenbahn erLinks: Luftansicht der aufgeklappten Rethebrücke

hielten getrennte Überbauten, die je Achse auf gemeinsamen Unterbauten aufgelagert sind. Durch die Anlage von vier Brückenklappen können beide Verkehrsträger unabhängig voneinander das Bauwerk nutzen. Die beweglichen Trassen sind als zweiflügelige Klappbrücken in Stahlbauweise ausgeführt und haben ein Gewicht von jeweils rund 1.100 Tonnen. Aufgrund der schiefwinkligen Brückenachse und der nautisch erforderlichen Durchfahrtsbreite von 64 Metern ergibt sich eine Stützweite der beweglichen Brücke von etwa 104 Metern. Die Gesamtbreite der Straßenbrücke zwischen den Geländern beträgt etwa 13,75 Meter, die der Bahnbrücke rund 10,20 Meter. Der Querschnitt der Straßenbrücke ist geschlossen und der Querschnitt der Bahnbrücke offen. Dementsprechend erhielt die Straßenbrücke eine Längsentwässerungsleitung. Die Konstruktionsunterkante der Klappbrücke liegt im geschlossenen Zustand wie bisher bei rund 6,15 Metern über Normalnull. In geöffneter Stellung ist die Durchfahrtshöhe unbegrenzt. Im Bereich der Klappenspitze sind die Hauptträger als Kastenträger ausgebildet. Rund 15 Meter weitet sich der Kastenträger zu einem Fachwerkträger auf. Bis auf die Diagonalen ist der Hauptträger als dichtverschweißter Hohlkasten ausgebildet. Von der Klappenspitze weitet sich die Konstruktionshöhe von zwei auf zwölf Meter am Hochpunkt der Brücke über dem Drehlager auf. Unten: Ansicht der Brücke vom Wasser aus

Standort Hamburg Fertigstellung 2017 Architektur/ Objektplanung Ingenieurbüro GRASSL, Hamburg Stahlbau ARGE Rethebrücke (MCE GmbH Linz und andere) Tragwerk Ingenieurbüro GRASSL, Hamburg Bauherr Hamburg Port Authority (HPA)

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