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STEIN

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ZEITSCHRIFT FÜR NATURSTEIN

DIE REISE DER STEINE

HANDEL IM WANDEL IM LUXUS

IM BILDE

IN INDIEN

Stein-Interieur satt: feinste Materialien im FünfSterne-Plus-Hotel „The Fontenay”

Steinmetze können ihre Unternehmensabläufe heutzutage komplett über den Bildschirm steuern

Vor-Ort-Reportage zu schwierigen Arbeitsbedingungen und der Suche nach fairen Lösungen


INHALT

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Moderne Elemente Im Luxushotel „The können alte Fontenay“ in Friedhöfe Hamburg auflockern, wenn sie unterstreicht der großsich, wie in Altdorf zügige undhier gekonnte bei Nürnberg, zurückEinsatz von Natur nehmen nicht stein den und exquisiten in den Vordergrund Anspruch der neuen drängen. Edelherberge.

Der Steinmetz steuert seine CNC-Maschinen heute vom Bildschirm aus. Nützlich sind dabei eine einheitliche CAMSoftware und auch Schnittstellen zum CAD-Programm.

EinZuge unterder DenkmalIm Digitalisieschutz stehender rung verändert sich Bunker München auch dieinLogistik im wurde behutsam renointernationalen Naturviert und innen mit steinhandel. Zweistufig demdreistufig: NatursteinWer „Fade oder to Grey“ von ausgelegt. profitiert welcher Vertriebsstruktur?

STEIN ONLINE

SCHÖNE WELT DER STEINE

STEIN – auf Facebook Wissenswertes rund um das Thema Naturstein gibt es auf facebook.com/stein.magazin STEIN – die Webseite Fachliches, Interessantes, aber auch Skurriles finden Sie auf unserer Homepage stein-magazin.de STEIN – der Newsletter Regelmäßig Neues aus der Stein-Welt, zu abonnieren auf stein-magazin.de

ZUM SAMMELN Die neue STEINKUNDE In dieser Ausgabe: Travertino Romano Classico

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Schwelgen in Baukunst Im Innenbereich des Hamburger Luxushotels „The Fontenay“ ist edelster Naturstein verbaut.

STEINE BEARBEITEN 14

Quo vadis, Natursteinhandel? Wie die Entwicklung des Transportwesens den Natursteinhandel beflügelt.

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Travertino Romano Classico Die STEINKUNDE stellt einen Naturstein aus Italien vor.

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Sicher verlegen Je dünner Naturstein geschnitten werden kann, desto wichtiger wird das fachmännische Verlegen.

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Produktion per Computer steuern Wie technische Zeichen- und Gestaltungsprogramme in Planung und Produktion passen.

KUNDE

Handelsname:

TRAVERTINO ROMANO CLASSICO ● Petrografische Familie:

Travertin (gemäß EN 12440 Anhang A) ● Typische Farbe:

Hellbeige ● Herkunftsort:

Tivoli/Italien ● Liefernachweis:

Überall im gut sortierten Natursteinhandel erhältlich

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● GEOLOGIE/PETROGRAFIE

● ARCHITEKTUR

Travertino Romano Classico zählt zur Gesteinsgruppe der Sedimentgesteine. Er besteht fast ausschließlich aus Calcit. Seine hellbeige Färbung ist auf Mineral Limonit zurückzuführen. Bei den Bänderungen handelt es sich um Bereiche mit einer stärkeren Konzentration von Limonit, das dispers im Gestein verteilt ist. Der Stein ist durch Ablagerung entstanden. Die meisten Kalksteine sind biogenen Ursprungs. Sie entstanden durch die Ablagerung von tierischen Skeletten, Muschelschalen und ähnlichen biogenen Bestandteilen in maritimen Bereichen. Im Gegensatz hierzu ist Travertin nicht maritimem Ursprungs. Travertin entstand nicht in salzhaltigem Meerwasser, sondern er ist ein Süßwasserkalkstein. Der Stein bildete sich in stark kalkhaltigen Gewässern durch chemische Ausfällung, bedingt durch Temperatur- und Druckunterschiede.

Typisches Merkmal für Travertine sind seine offenen Gesteinsporen. Im Innenbereich werden diese meist durch eine zementäre Spachtelung geschlossen. Dies vereinfacht die Reinigung. Bei polierten Oberflächen wirkt die zementäre Spachtelung im Vergleich zur polierten Oberfläche des Steins matter, da Zement keine Politur annimmt. Wenn der der Einbau im Außenbereich erfolgt, sollte besser keine zementäre Spachtelung erfolgen, um die Frostsicherheit zu erhalten. Spachtelmasse und Travertin verhalten sich bei Minusgraden unterschiedlich. Das Dekor eines Travertin hängt im Wesentlichen vom Anschnitt der Rohblöcke ab. Bei einem Schnitt mit dem natürlichen Lager zeigt der Stein ein gewolktes Bild. Bei einem Anschnitt gegen das natürliche Lager wird eine Bänderung erkennbar. Travertino Romano Classico wird in der Regel gegen

das natürliche Lager gegattert. Neben einer zementären Spachtelung besteht auch die Möglichkeit, Travertin mit einer transparenten Kunstharzspachtelung zu versehen. Dadurch bleibt die offene Porenstruktur auch bei gespachtelten Oberflächen erkennbar und es entsteht ein durchgehender Glanz der Oberflächenpolitur. Die Bandbreite der Produkte reicht von der ein Zentimeter dicken Natursteinfliese bis hin zu massiven Werkstücken. Seit dem Einsatz von Travertin am Getty Museum in Los Angeles erlebt dieser Naturstein eine wahre Renaissance. In dem knapp eine Milliarde US-Dollar teuren Kultmuseum, das im Autrag des 1976 verstorbenen Ölmagnaten und Kunstmäzen J. Paul Getty erbaut wurde, konnte der Travertin seine Ausdruckskraft auch mit gespaltener Oberfläche unter Beweis stellen. Dipl.-Ing. (FH) Detlev Hill www.steinkultur.eu

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Viele indische Steinarbeiter leiden unter Silikose. In den Steinbrüchen wird noch zu selten auf Arbeitsschutz geachtet. Auch Kinderarbeit ist leider noch verbreitet.

KUNDEN GEWINNEN 40

Bessere Preise durchsetzen Wie Steinmetze mit Taktik und Gespür das richtige Angebot für den jeweiligen Kunden erstellen können.

CHANCEN NUTZENEN NUTZEN 48

Auf der Suche nach Fair Stone Naturstein aus Indien ist beliebt. In Europa sollten Verarbeiter streng auf seinen fairen Abbau achten.

NEUE HORIZONTE

PANORAMA 56

Nachbericht 45 Jahre Naturstein Illenberger

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Neues aus der Rechtsabteilung

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Termine, Produkte und mehr

RUBRIKEN 63 72 74

Impressum Vorschau Seitenblicke Alles hat seinen Preis

Die Schönheit von Stein überragt alles – Rossittis zählt zu den Pionieren im Natursteinhandel. Wir sind heute noch in der Welt unterwegs und entdecken für unsere Kunden Neues und kennen wie kein anderer Bekanntes. Erleben Sie echte Vielfalt an unseren drei Standorten in Deutschland.

HOLZWICKEDE | WEYHE | WALLDORF S07| 2018

ROSSITTIS.DE

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SCHÖNE WELT DER STEINE

Am Eingangsbereich des „The Fontenay“ bildet ein kreisrundes Wasserbecken das Zentrum des Vorplatzes. In dessen Mitte befindet sich ein Mosaik aus Granitsteinen, das ein Schattenbild der Bäume darstellt

SCHWELGEN IN BAUKUNST 6

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Foto: Thomas Xxxxxxx Ebert xxxxxxxxx

SCHÖNE WELT DER STEINE

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Luxus aus Naturstein Schon draußen lässt sich erahnen, was einen drinnen erwartet: Organische Formen, edle Materialien, harmonische Farbtöne und zurückhaltender Luxus bestimmen den ersten Eindruck des kürzlich eröffneten Luxushotels „The Fontenay“ in Hamburg. Von Alexandra Nyseth

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STEINE BEARBEITEN

QUO VADIS, NATURSTEINHANDEL? Vertrieb Die Globalisierung des Natursteinmarktes ist kein Phänomen unserer Zeit. Bereits zu Zeiten des Römischen Reiches waren exotische Steine aus den entferntesten Provinzen sehr beliebt. Von Detlev Hill 14

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STEINE BEARBEITEN

Schwimmende Steine: So manches Material hat eine lange Anreise

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s war kein Wunder, dass man schon in der Antike in der Hauptstadt Rom Dekorsteine aus den Pyrenäen oder auch aus Ägypten verbaute. Mehr noch – dekorative Natursteine hatten in römischer Zeit eine derart hohe Imagewirkung, dass Kaiser Nero Natursteinbrüche kurzerhand zum Staatseigentum erklärte. Anders als in der heutigen Zeit, waren die exklusiven Sortierungen nun nicht mehr für jedermann zugänglich, sondern sie blieben ausschließlich dem Kaiser vorbehalten. Seither hat Naturstein das Bauen im mitteleuropäischen Raum entscheidend geprägt und ist aus der abendländischen Architekturgeschichte nicht mehr wegzudenken. Anders als in Rom zu Zeiten des Römischen Imperiums waren in Deutschland „exotische“ Natursteine zwar auch verfügbar, jedoch beschränkte sich ihr Einsatz nur auf einige wenige exponierte Anwendungen. Die meisten Gebäude wurden aus regional verfügbaren Natursteinen errichtet.

Foto: Informationsdienst Naturstein/Trier

DIE ENTWICKLUNG DES TRANSPORTWESENS BEFLÜGELT DEN NATURSTEINHANDEL

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Einer der Hauptgründe für den Einsatz regionaler Natursteine lag im hohen Gewicht der Steine und den damit verbundenen, aufwendigen Transporten. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Verbreitung einzelner Natursteinsorten im Wesentlichen am Verlauf der großen Flüsse orientierte. Hier konnte das schwere Frachtgut problemlos befördert werden. Eine gewaltige Ausweitung erlebte der Natursteinhandel mit dem Aufkommen der Eisenbahn. Lagen Brüche in verkehrstechnisch günstiger Erreichbarkeit der Bahnlinien, so konnten die Steine in alle Teile des Landes und über die Landesgrenzen hinaus verfrachtet werden. In der heutigen Zeit sind Logistiksysteme

derart ausgefeilt, dass der Natursteinhandel auch im überseeischen Bereich kein Problem mehr darstellt. Durch internationale Standardisierung im Transportwesen ist der Austausch von Waren auch über Kontinente hinweg zum Kinderspiel geworden. Die Verpackung in Containern ermöglicht eine optimale Beladung von großräumigen Container-Schiffen und eine schnelle Umsetzung der Fracht von einem zum anderen Verkehrsmittel. Aufwendiges Umpacken ist nicht mehr notwendig. Dies spart Zeit, Kosten und reduziert Transportschäden. Ein weiterer Faktor für die rasante Entwicklung des Natursteinhandels war das Aufkommen der Industriediamanten. Nun konnten die Produzenten Natursteine in großen Mengen schnell und kostengünstig fertigen. Dadurch wurde Naturstein für breite Käuferschichten zugänglich. Heute ist jeder durchschnittlich betuchte Bauherr in der Lage, sein Gebäude mit Naturstein auszustatten. Denn mittlerweile sind Natursteine bereits zu Preisen am Markt erhältlich, die unter denen von keramischen Fliesen liegen, was in früheren Zeiten undenkbar gewesen wäre.

DIE GLOBALISIERUNG BRINGT EINE NOCH NIE DA GEWESENE SORTENVIELFALT Während sich der Markt noch bis etwa in die 1970er-Jahre überwiegend auf regionale und europäische Natursteine beschränkte, kam es in den 1980erJahren zu einer wahren Explosion an Farben und Texturen. Vor allem Brasilien und Indien traten mit ihrer gesamten Sortenvielfalt an. Migmatite, Granulite, Pegmatite, Orthogneise – sprich verschiedenste silikatische Hartgesteine eroberten den Markt. Daneben fanden auch Tonschiefer und metamorph überprägte Schiefer sowie dekorative Sand-

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STEINE BEARBEITEN

SICHER VERLEGEN 24

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STEINE BEARBEITEN

Foto: Foto:Sopro Xxxxxxxxxxxxx Xxxxxxxxxxxxx Bauchemie rr GmbH

Paradebeispiel für gelungene Arbeit: dieser Boden ist perfekt verlegt

Verlegemörtel Bei der Verlegung von Naturwerksteinplatten werden immer wieder Fehler gemacht, die zu Verfärbungen oder gar zu Verformungen des Natursteins führen. Wir zeigen, worauf bei der Verlegung im Dünn- und Mittelbett zu achten ist. Der Boden soll schließlich lange schön aussehen. Von Sebastian Kammerer

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STEINE BEARBEITEN

Das eigentliche Automatisieren übernimmt die Software: In Halle 8 bei Lechner in Rothenburg sorgt ein einheitliches CAM-System der Firma SeKON auf allen Maschinen für eine reibungslose, integrierte Prozessautomation

Software In Steinmetzbetrieben mit mehr als einer CNC-gesteuerten Maschine und – erst recht in solchen mit automatisierter Produktion –, sollten alle Maschinen über eine einheitliche CAM-Software verfügen und über dieselbe Benutzeroberfläche angesteuert werden. Außerdem spielen die Schnittstellen zum CAD-Programm sowie, von diesem zu den Zeichnungen aus digitalen Aufmaßsystemen, eine wichtige Rolle für optimierte Unternehmensabläufe. Von Michael Spohr 32

Foto: SeKON Software GmbH

PRODUKTION PER COMPUTER STEUERN

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STEINE BEARBEITEN

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ine rationelle, bedarfsgerechte Produktion ist auch in der Steinbranche heute nicht mehr ohne Hilfe von IT-Systemen auf der Basis einer modernen Kommunikationstechnik möglich. Hier helfen ganzheitliche PPS- und ERP-Planungssysteme, die eine Vielzahl miteinander kommunizierender Programme in sich vereinen – häufig aufgeteilt in Teil-Systeme (Anwendungsmodule), die je nach Unternehmensbedarf miteinander kombiniert werden können. Ziele der PPS-Systeme sind die Realisierung kurzer Durchlaufzeiten, die Termineinhaltung, die Sicherung optimaler Bestandshöhen und die wirtschaftliche Nutzung der Betriebsmittel. ERP-Systeme (Enterprise Ressource Planning) ergänzen zusätzlich die Planung personeller und finanzieller Ressourcen, übernehmen die Materialbedarfsplanung und können PPS-Systeme dabei integrieren. Auch wenn die Steinverarbeitung anderen Maschinenbau-Branchen hinterherhinkt, haben sich einige Anbieter auf diese Zielgruppe spezialisiert. Sie richten sich an mittlere und große Betriebe, die ihre Produkte planbar, reproduzierbar und automatisch herstellen wollen. Im Unterschied etwa zur Elektronik-, Kunststoff- oder Metallverarbeitung allerdings haben die weitaus meisten Steinverarbeiter die Bedeutung der Software für ihre Betriebe noch nicht erkannt und wollen zwar ihre Produktionsprozesse durch den Kauf komplexer Maschinen automatisieren, sind aber nicht bereit, in adäquate ITSysteme zu investieren. Dieses Missverständnis will der folgende Beitrag ausräumen. n

Foto: SeKON Software GmbH

STEIN stellt folgende Firmen vor: 1. SeKON Software GmbH, Bonn www.sekon.de 2. Naturstein Vertrieb Niederrhein GmbH & Co. KG, Krefeld-Hüls www.nvn-krefeld.de 3. Dietrich GmbH, Volkach www.dietrich-software.de

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1. SOFTWARE ZUR INDUSTRIEAUTOMATISIERUNG Ein branchenorientierter Softwareanbieter, der nicht – wie die meisten Anbieter – nur CAD- und CAM-Systeme anbietet, sondern sich der Industrieautomatisierung verschrieben hat und dafür eine PPS-Komplettlösung bereithält, ist Gert Senel mit seiner Bonner SeKON Software GmbH, wo er seit 1994 Computerprogramme für die Stein verarbeitende Industrie entwickelt und vermarktet.

Überblick über die Produktionsmodule: SePPS von SeKON ist eine Software-Komplettlösung für die automatisierte Fertigung

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er 57-jährige Geschäftsführer sieht in „seiner“ Branche einen enormen Aufklärungsbedarf, dem er sich seit einigen Jahren widmet. Als Enkel und Bruder eines Steinmetz-Meisters, der den Betrieb des Opas übernommen hat, kennt Gert Senel die Steinverarbeitung genau. Der studierte Maschinenbauer war sich bereits Mitte der 90erJahre sicher, dass auch die Steinmetze früher oder später branchenspezifische Software benötigen würden, und startete sein Unternehmen mit der Programmierung technischer Zeichenprogramme, zum Beispiel für die Treppenkonstruktion. Nach dem Vorbild der technologisch führenden Automobilbranche, wo Senel nach seinem Studium in der Fertigungstechnik gearbeitet hatte, entwickelte der DiplomIngenieur seit dem Jahr 2000 nebenbei ein PPS-Programm, welches er 2014 erstmals

in einem automatisierten Betrieb installierte und seither weltweit vertreibt, mit Schwerpunkt in Australien, wo – wie Senel stolz vermerkt – „ein großer Teil der Betriebe mit unserer Software arbeitet“. Die Software SePPS stellt eine Komplettlösung dar, mit der Küchenarbeitsplatten oder plattenförmige Werkstoffe automatisiert gefertigt werden können. SePPS richtet sich an Unternehmen, die eine Industrieautomatisierung für ihre Produkte anstreben. Das Programm ist modular aufgebaut, um den unterschiedlichen Ansprüchen in der NatursteinBranche gerecht zu werden. Es umfasst die Komponenten Zeichnungserstellung, Auftragsverwaltung, Rohtafel-/ Lagerverwaltung, Fotoerfassung, Produktionsplanung/Arbeitsvorbereitung, CAM-Software für alle NC-Maschinen sowie Produktionssteuerung. SePPS steu-

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KUNDEN GEWINNEN

BESSERE PREISE DURCHSETZEN Strategie und Verhandlung Die Konjunktur brummt. Welche Angebote werden akzeptiert? Wie lassen sich höhere Preise durchsetzen? Die Antwort hierauf hat viel mit Psychologie und Taktik zu tun. Von Annette Mühlberger

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reise sind ein komplexes Thema. Betriebe fluchen über den Preiskampf, obwohl es ihn in vielen Branchen kaum noch gibt. Kunden nörgeln über Preise, obwohl sie in Deutschland seit Jahren kaum steigen. Vieles dreht sich um die Frage: Wann ist ein Betrag für eine Leistung angemessen? Doch viele Kunden haben gar keine genaue Vorstellung davon, was ein fairer Preis ist. Gerade bei einmaligen Investitionen oder wenn es um sehr individuelle Leistungen geht, ist die Preiskenntnis lange nicht so groß, wie man landläufig annimmt.

vorstellungen. Deren Preisanker werden online gesetzt. Doch auch hier gibt es Spielräume. Plattformen wie Amazon ändern millionenfach am Tag ihre Preise und passen diese im Sekundentakt der errechneten Zahlungsbereitschaft von Kunden an. Große stationäre Handelsketten machen es genauso. Auch Tankstellen wissen, wann sie mehr oder weniger für den Liter Sprit verlangen können. Ferienflieger sind zur Urlaubszeit teurer, und selbst der vermeintlich günstige Fernbus ist nur dann billig, wenn (statistisch gesehen) niemand fährt.

ONLINE SCHWANKEN PREISE STÄNDIG

WAS IST FAIR?

Umgekehrt hat das Wissen um Preise und deren Vergleichbarkeit extrem zugenommen. Für Handelsware haben die meisten Kunden konkrete Kosten-

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Seit 1776 und Adam Smith gilt: Der Preis wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Die alten Römer bemaßen den Preis noch nach dem Wert, den eine Leistung hat. Sie benutzten für den

Preis und den Wert sogar dasselbe Wort: Pretium, lat. = Preis = Wert. Und wer bestimmt heute, wieviel ein Produkt wert ist? Der Kunde? Sie als Anbieter? Oder Algorithmen wie im Onlinehandel? Heute weiß man: Über den optimalen Preis und die Zahlungsbereitschaft entscheiden die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung im Gehirn. Statt allein den Markt zu beobachten, schaut man deshalb auf den Kunden und versucht herauszufinden, wieso dieser tickt, wie er tickt. Ob ein Angebot als angemessen, zu billig oder als überteuert eingestuft wird, hat also viel mit Psychologie zu tun.

DIE TÜCKEN BEI DER KALKULATION Trotzdem lehnen sich die Preise im Handwerk sehr oft an den Wettbewerb an und orientieren sich an den Kosten.

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KUNDEN GEWINNEN

Foto: Natursteine Mulbach

Hochwertige Natursteinlösungen haben ihren Preis. Wie sie diesen am Markt durchsetzen, zeigt der Beitrag

Die klassische betriebswirtschaftliche Kalkulation und Preisfindung dominiert. An sich kein Fehler. Doch mit ihr alleine bleiben Gewinnpotenziale ungenutzt, die sich nur durch eine mehr am Kunden orientierte Preisfindung heben lassen. Ob wir kaufen oder nicht kaufen, hängt an einer Vielzahl von Faktoren. Sinneseindrücke spielen eine Rolle, die Entscheidungsfindung unter Unsicherheit (lasse ich mir durch den Nichtkauf etwas entgehen oder gewinne ich durch den Kauf etwas dazu) und der Einfluss von Bezugspunkten. Bezugs- oder Ankerpunkte für Preise nehmen wir unbewusst wahr. Kostet zum Beispiel der teuerste Wein im Restaurant 59 Euro, erscheinen die 39 Euro für die nächstgünstigere Flasche billiger, als wenn es gar keinen teureren als den 39-Euro-Wein gibt. Merken Sie etwas? Mit dem Preisleistungsver-

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hältnis hat das überhaupt nichts zu tun. Es geht in beiden Fällen um die gleiche Leistung. Die Beurteilung des Werts wird allein durch den Bezugspunkt, den Preisanker, verändert. Unser Gehirn funktioniert so. Wahrnehmung ist immer relativ.

WICHTIGSTER GEWINNHEBEL Dabei ist der Preis der wichtigste Gewinnhebel. Viel wichtiger als die Mengensteigerung. Und wesentlich effektiver als vergleichbare Kostensenkungen. Sich den Käufer genau anzusehen und zu wissen, was ihn in Sachen Preise bewegt, lohnt sich also. Grundsätzlich gilt: • Kunden vermeiden lieber Verluste, als sie Gewinne erzielen. Machen Sie Kunden deshalb klar, dass sie mit Ihrem Angebot „auf Nummer sicher

gehen“. Erzeugen Sie Vertrauen, geben Sie Sicherheit und Garantien. Dann rückt der Preis in den Hintergrund. Das Verlustprinzip gilt im Übrigen auch für Sie als Anbieter. Auch beim Verkäufer dominiert die Angst vor einem (Auftrags-)Verlust oft die Aussicht auf einen Gewinn (= Verkauf zu einem höheren Preis). Deshalb geben Anbieter in Preisverhandlungen oft unnötig schnell nach oder steigen gleich mit einem zu niedrigen Preis ein. • Belohnungssystem drängelt sich vor. Wenn es darum geht, schnell eine kleine Belohnung zu erhalten, statt auf einen größeren Gewinn zu warten, drängelt sich das emotionale Belohnungssystem gerne vor die Ratio. So funktionieren Kaufaktivierungen über Rabatte. Aber auch die zugesicherte kurzfristige Umset-

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CHANCEN NUTZEN

AUF DER SUCHE NACH FAIR STONE

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CHANCEN NUTZEN

Nachhaltiger Steinhandel Natursteine aus Indien sind in Deutschland beliebt. Doch der Staub, der bei der Förderung entsteht, macht viele Menschen krank – auch, weil oft der Arbeitsschutz unterlaufen wird. Wie können Käufer – trotz undurchsichtiger Handelswege – sicherstellen, dass ihr Stein fair gefördert wurde? STEIN hat sich auf eine Spurensuche nach Indien begeben, verschiedene Steinbrüche besucht und mit den Beteiligten gesprochen. Von Petra Sorge

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enn Buwanu, 50, ein paar Stufen steigen muss, geht ihm schnell die Luft aus. Das Atmen schmerzt ihn. Der 50-Jährige, der seinen ganzen Namen nicht preisgeben will, hat dreißig Jahre in den Minen gearbeitet. Jetzt ist seine Lunge kaputt. Er leidet an Silikose, der Steinstaublunge. In seinem Dorf Karoundi im nordindischen Bundesstaat Rajasthan leben fast alle vom Sandstein, seit Generationen. Und viele sterben daran. Denn der Sandstein enthält giftiges Siliziumoxid. Werden die winzigen Teilchen im Staub eingeatmet, setzen sie sich im Lungengewebe fest und verhärten es. Die Lunge selbst wird wie Stein – die Erkrankten ersticken. Manchmal dauert dieser Prozess drei, manchmal 15 Jahre. Bei Stichproben des Indischen Rats für Medizinforschung wurden bei 16 bis 57 Prozent der indischen Bergmänner Silikose gefunden. Demnach wären rund 800.000 Menschen in dem Bundesstaat gefährdet. Tatsächlich würden aber nur rund fünf bis zehn Fälle pro Jahr in Rajasthan offiziell anerkannt, sagt der Lungenarzt Prahlad Sishodiya, zuvor Mitglied des Medizinrats. 700 Todesfälle habe man in den vergangenen Jahren auf die Steinstaublunge zurückführen können. Sishodiya ist überzeugt: „Silikose wird viel zu selten gemeldet.“ Buwanu hat von seiner Krankheit erst erfahren, als Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Mine Labour Protection Campaign“ (MLPC) in sein Dorf kamen. Sie schickten ihn zum Arzt, ließen seine Lunge röntgen. Pulmologe Sishodiya weiß, dass viele Patienten noch nie von der Berufskrankheit Silikose gehört haben. Er sieht die Arbeitgeber in der Verantwortung, besonders in der Exportindustrie. „Das ist eine ethische Frage.“ Fairen Naturstein – das wollen nicht nur die Arbeiter und Ärzte in Indien, sondern auch immer mehr Importeure und Käufer in Deutschland. Steine aus Indien sind in Europa beliebt, und das nicht nur wegen ihres günstigen Preises. Indien produziert rund ein Viertel des weltweiten Natursteinaufkommens, in unzähligen Formen und Farben.

Khemchand Yadav, 70, zeigt ein Röntgenbild seiner zerfressenen Lunge. Die Diagnose: Silikose. So wie er einst schuften nun auch seine vier Söhne und zwei seiner Enkel in den Steinbrüchen

Foto: Ashish Sharma

UNTERSCHIEDE IM NORDEN UND SÜDEN Aus dem Norden – und hier vor allem aus den Bundesstaaten Rajasthan, Madhya Pradesh und Uttar Pradesh – kommen eher Sandsteine, die beim Abbau besonders viel Staub produzieren. Sie werden zu Pflastern, Palisaden oder Blöcken gehauen, eine Tätigkeit, die oft von Kinderhänden verübt wird. Die Exportware wird dann in Terrassenböden, Gärten, Straßen oder Plätzen verbaut. Aus den südindischen Bergbau-Staaten Andhra Pradesh, Karnataka und Tamil Nadu kommen eher die härteren Gesteinsarten wie Granit, der für Grabsteine und Küchenplatten beliebt ist. Hier ist die Staubbelastung etwas niedriger. Aber es kommt nicht nur auf die Herkunft oder die Gesteinsart an. Oft ist das Problem dort am größten, wo der Arbeitsschutz unterlaufen und Vorschriften für den Staubschutz nicht eingehalten werden. Wo die Löhne so niedrig sind, dass Bildung oder gar ein Leben ohne Steinbruch un-

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