beider Basel
Nr. 2 / 2012
Nachbarn
Wohnen als Armutsfalle Zwei M체tter erz채hlen von Platzmangel, Notwohnungen und Schlafen im Wohnzimmer.
Inhalt
Inhalt Editorial
3
von Christoph Bossart
Geschäftsleiter Caritas beider Basel Kurz & bündig
4
News aus dem Caritas-Netz 1971
12
Platz für viele
Als in Aarau die Grossüberbauung Telli mit dem ersten Gebäude startete. Persönlich
Der einzige Tisch in Maria Ortegas 1,5-Zimmer-Wohnung steht auf dem Balkon, direkt an der Gotthardlinie.
13
«Warum wohnen Sie da, wo Sie wohnen?»
Sechs verschiedene Antworten. Schwerpunkt
Wohnen als Armutsfalle Wohnen wird immer teurer, vor allem in den Städten. Gerade Armutsbetroffene stellen sich jeden Monat neu die Frage, wie sie den nächsten Mietzins bezahlen sollen. Zwei Mütter erzählen von Platzmangel, Notwohnungen und Schlafen im Wohnzimmer. Wir erklären, warum prekäre Wohnsituationen zu Armut führen, und stellen zwei Vorschläge aus der Sozialen Arbeit vor, mit denen wir die Situation von armutsbetroffenen Menschen auf dem Wohnungsmarkt verbessern wollen.
ab Seite 6
Caritas beider Basel
14
16
Wohnungsnot in Basel?
Zur Verminderung der Obdachlosigkeit im Raum Basel bietet die Gemeinnützige Stiftung Wohnhilfe Wohnraum an.
Soziale Wohnberatung der IG Wohnen
Vor 20 Jahren hat Caritas beider Basel die IG Wohnen mitgegründet. Seit 2011 bietet IG Wohnen eine soziale Wohnberatung an.
17
«Generationenwechsel»
Regula Gasser geht in Pension, Renate Kuster ist ihre Nachfolgerin in der Ladenleitung des Secondhand-Ladens von Caritas beider Basel. Kiosk
18
Ihre Frage an uns Gedankenstrich
19
2
Kolumne von Tanja Kummer
Nachbarn 2 / 12
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser Seit 2001 macht das Basler Stadtmarketing mit «Basel tickt anders!» auf die Stadt am Rheinknie aufmerksam … Dass dieser Slogan nicht ganz unberechtigt ist, lässt sich geschichtlich belegen. So lief die Basler Zeit während vier Jahrhunderten – bis 1798 – im Vergleich zu den umliegenden Ländern eine Stunde vor. Nun aber hat die «Tageswoche» in ihrer Ausgabe vom 30. März 2012 den Titel gesetzt: «Basel tickt bald wie Zürich!» Dies hat mich aufgeschreckt – nicht etwa, weil nach gängigem Cliché Basler und Zürcher anders ticken, sondern weil sich die Aussage auf den Wohnungsmarkt bezieht. «Zürich, das tönt nach explodierenden Mieten und Familien, die aufs Land ziehen, weil sie keine zahlbaren Wohnungen mehr finden», heisst es im Arti«Auch in Basel ver- kel. schwinden günstige Ob auch bald in Basel die Mieten bei der Mehrheit der Familien Wohnungen.» mehr als einen Viertel des Haushaltseinkommens ausmachen werden, kann ich nicht beurteilen. Anders als zu den Zeiten, als Caritas beider Basel noch auf die Obdachlosenberatung spezialisiert war und Angebote wie das «Wohnprojekt für Frauen», den «Winterschlaf» und die «Notschlafstelle für Frauen» führte, ist unser Wissen zu solchen Fragen heute nicht mehr so umfangreich und fundiert. Hingegen kommt «Wohnen» immer auch wieder in unserer Beratungstätigkeit zur Sprache. Dann verweisen wir meist auf die entsprechenden Fachstellen und deren Angebote. So möchte ich es auch im Regionalteil dieser Ausgabe des Magazins «Nachbarn» mit dem Schwerpunkt «Wohnen» halten.
Herzlich
Nachbarn 2 / 12
Christoph Bossart Geschäftsleiter beider Basel
«Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen, erscheint zweimal jährlich. Gesamtauflage: 38 500 Ex. Auflage BS / BL: 1 800 Ex. Redaktion: Christoph Bossart (Caritas beider Basel) Ariel Leuenberger (national) Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern Caritas beider Basel Lindenberg 20 4058 Basel Tel. 061 691 55 55 www.caritas-beider-basel.ch PC 40-4930-9
3
Kurz & bündig
Secondhand-Läden
Trouvaillen aus zweiter Hand Kleider, Kunst und Krempel, Möbel und Bauteile: all dies ist zu günstigen Preisen zu kaufen in den Secondhand-Läden der Caritas. Nur allzu oft wird etwas im eigenen Haushalt überflüssig. Da passt plötzlich der schöne Wintermantel nicht mehr, die raffinierte Rüschenbluse ist einem verleidet oder der Kleiderschrank passt nicht mehr in die neue Wohnung.
In der ganzen Schweiz sind sie zu finden. Rund
45
Secondhand-Läden gibt es bei der Caritas.
All dies sind sinnvolle Spenden für die Caritas. In den SecondhandLäden warten sie auf neue Besitzer, die hier ihre Lieblingsstücke zu günstigen Preisen erwerben können. Die Läden in Ihrer Nähe finden Sie auf der Website Ihrer Caritas-Organisation. www.caritas-beider-basel.ch
4
Patientenverfügung
Reden über den eigenen Tod In Würde sterben – was heisst das genau? Hermann Michel ging dieser Frage nach. Und hielt seine Wünsche in der Patientenverfügung fest. Er habe noch nie gesundheitliche Probleme gehabt, sagt Hermann Michel, 72. Die Auseinandersetzung mit dem Tod habe er lange vor sich her geschoben. «Sie hat mir Angst gemacht. Aber eines Tages beginnt das Thema altersbedingt aktuell zu werden, ob man will oder nicht. Ich realisierte, dass ich mich nicht länger davor drücken kann.» Als er im Frühling dieses Jahres las, dass in seiner Region ein Informationsabend zur Patientenverfügung der Caritas veranstaltet wurde, entschloss er sich, daran teilzunehmen. Dies war für Michel der letzte Schritt in einem intensiven Klärungsprozess: Er führte bereits Gespräche mit den Menschen, die ihm nahestehen, mit den Geschwistern, mit den Söhnen, mit der Lebenspartnerin – Gespräche über die letzten Dinge. Denn auch wenn er trocken sagt: «Es sind bisher noch alle gestorben, also wird der Michel das auch können», so ist es für ihn doch sehr beruhigend, zu wissen, dass er alle Fragen, die sich ihm rund um Krankheit, Sterben und Tod stellten – vom Testament über Organspenden bis zur Frage, was mit seiner Asche geschehen solle –, klären konnte. Dank der Patientenverfügung können die Angehörigen nun in seinem Sinne handeln, wenn es so weit ist. www.caritas.ch >Hilfe finden >Alter und Betreuung >Patientenverfügung
Nachbarn 2 / 12
Kurz & bündig
«Eine Million Sterne»
Starkes Zeichen für solidarische Schweiz Auch in diesem Jahr führt die Caritas an über 100 Orten in der Schweiz die Aktion «Eine Million Sterne» durch. So werden am Samstag, 15. Dezember 2012, überall im Land Plätze, Gebäude und Brücken mit Kerzen illuminiert. Jedes Licht steht als Zeichen der Solidarität mit Schwachen und in Not geratenen Menschen.
«Rendez-vous Bundesplatz» In der Stadt Bern wirkt Caritas als Charity-Partnerin der Lichtershow «Rendez-vous Bundesplatz». Diese verwandelt das Bundeshaus vom 26. Oktober bis am 27. Dezember 2012 allabendlich zweimal in ein aussergewöhnliches Kunsterlebnis. Das nach französischem Vorbild gestaltete Licht- und Tonspektakel wird das Thema «Innovation aus Tradition» in den Vordergrund stellen. Als Charity-Partnerin erhält Caritas die Möglichkeit, auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Auch erhält das Publikum die Gelegenheit, durch eine Spende Lichtblicke in den Alltag armutsbetroffener Menschen zu bringen. Die Geldspenden kommen der KulturLegi zugute. www.einemillionsterne.ch, www.rendezvousbundesplatz.ch
NEWS Caritas-Markt neu in Wil Mitte dieses Jahres öffnete der 24. Caritas-Markt in Wil SG seine Tore. Etwa 40 Kundinnen und Kunden werden täglich gezählt – Tendenz steigend. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Schweizerinnen und Schweizer. Der neuste Markt der Caritas St. Gallen-Appenzell wird von der Ladenleiterin Rita Borner geführt, zusammen mit knapp 30 Freiwilligen. Caritas Wohnen in Sursee eröffnet Rund ein halbes Jahr dauerte der Umbau, der zu grossen Teilen mit den eigenen Leuten aus den Beschäftigungsprogrammen der Caritas Luzern realisiert werden konnte. Nun ist aus dem ehemaligen Bauteilmarkt in Sursee der Laden von Caritas Wohnen geworden. Bauteile werden zwar immer noch verkauft. Daneben aber finden sich Kleider und Schuhe – neue wie gebrauchte – in einer eigenen Abteilung, Geschirr und Brockiartikel sind gut präsentiert, und die Abteilung mit gebrauchten Büchern ist nach wie vor ein Geheimtipp. Züriblog von Caritas Zürich Der Züriblog lässt die Menschen hinter Caritas Zürich zu Wort kommen. Armutsbetroffene, Mitarbeitende und Lesende sagen ihre Meinung und schreiben von ihrer Arbeit, ihrem Alltag und ihrem Engagement in der teuersten Stadt der Welt. Hier können Sie mitlesen und kommentieren: blog.caritas-zuerich.ch. Erfolgreiches Projekt «mit mir» Freiwillige Patinnen und Paten für Kinder aus armutsbetroffenen Familien: Was Caritas vor rund zehn Jahren mit einigen Freiwilligen und Familien im kleinen Rahmen startete, ist inzwischen zu einem grossen Netzwerk herangewachsen. 2011 vermittelte das Patenschaftsprojekt «mit mir» in den sieben beteiligten Caritas-Organisationen Aargau, Basel, Bern, Luzern, St. Gallen, Thurgau und Zürich insgesamt 340 Patenschaften.
Aktion «Eine Million Sterne» 2011 auf dem Berner Bundesplatz.
Nachbarn 2 / 12
5
Rubrik
Mit ihrem fünfjährigen Sohn wohnt Maria Ortega in einer 1,5-Zimmer-Wohnung. Sie teilt alles mit ihm – auch das Bett.
6
Nachbarn 2 / 12
Schwerpunkt
Notlösungen für den Wohnalltag Wer wenig Geld hat, wohnt oft in prekären Verhältnissen. Armutsbetroffene müssen nehmen, was sie bekommen: alte, kaum unterhaltene Wohnungen an Orten, wo sonst keiner leben will. Zwei Mütter erzählen. Text: Daniela Schwegler Bilder: Urs Siegenthaler
«H
ier leben wir nicht, sondern sind nur auf der Durchreise», sagt Beatrice Habamunga*. Nachdem die 43-jährige Mutter mit ihren fünf kleinen Kindern im Alter zwischen 3 und 13 Jahren wegen Eigenbedarfs des Eigentümers aus der letzten Wohnung raus musste, fand sie innert Frist keine neue und kam darum in einer Notwohnung der Stadt unter. Hier kann sie zwei Jahre bleiben. Bis im März 2013 muss sie etwas Neues gefunden haben. Nur: wie?
Grau wie der Boden Die jetzige Notwohnung wurde einst zimmerweise vermietet. Die Türen sind mit Ziffern beschriftet wie im Hotel: die 51 ist ein Kinderzimmer, die 55 die Küche, die 56 das Wohnzimmer. In jedem Zimmer gibt es ein Waschbecken mit
Nachbarn 2 / 12
fliessendem Wasser. Das Brünneli in der Stube wurde auf Beatrice Habamungas Wunsch herausgebrochen, ohne dass die Wand danach verputzt worden wäre. Auch im Bad klafft ein Loch unterhalb der Badewanne. Die Atmosphäre ist in etwa so grau wie der abgewetzte Linoleumboden oder die verschmierten, einst weissen Wände. Immerhin bietet die Notwohnung mit ihren sechs Zimmern genügend Platz für die sechsköpfige Familie. Die beiden Ältesten, Francois, 13, und Shirley, 12, haben je selber ein Zimmer, wo sie auch für die Schule lernen können. Die beiden Zwillinge Lea und Lilly, 6, teilen sich gemeinsam einen Raum. Und die Kleine, Aurelie, 3, schläft im Zimmer der Mutter. Wohl fühlt sich trotzdem niemand in der alten, schlecht unterhaltenen Wohnung direkt unter dem Dach. Einen Balkon gibt es nicht. Tageslicht fällt nur von oben durch die Dachluken
in die Wohnung. Im Sommer ist es zu heiss, im Winter zu kalt, da das Dach kaum isoliert ist.
Spielen verboten Der prekäre Zustand der Wohnung ist das eine, die Lage inmitten von Drogenmilieu und Prostitution das andere. «Das Quartier ist nicht gut für die Kinder», sagt Beatrice Habamunga. Einen Spielplatz gibt es weit und breit nicht. Auch keinen Hof, in dem die Kinder spielen könnten. Am Anschlagbrett beim Eingang steht: «Ballspiele im Hinterhof nicht erlaubt.» Und: «Die Türen müssen immer geschlossen sein, sonst schlafen obdachlose Menschen hier im Haus.» Ihre drei Kleinsten fahren im Flur der Wohnung Velo. Es fehlt an einem Veloraum. Vor allem aber hat die Mutter Angst, dass den Kleinen etwas passiert, wenn sie alleine auf der Strasse spielen. «Ich begleite sie immer nach draussen und pas-
7
Rubrik
Die kleine Wohnung ist alles in einem: Küche, Wohn-, Schlaf- und Spielzimmer. Da bleibt kaum mehr Platz für Möbel.
se auf sie auf.» Dass die Wohnung im 5. Stock liegt und es keinen Lift gibt, macht die Sache nicht einfacher. Sie schleppt alles über 100 Treppenstufen hoch: die kleinen Kinder, die Einkäufe und die Wäsche ihrer sechsköpfigen Familie. Beatrice Habamunga stammt aus dem Kongo und ist von der Sozialhilfe abhängig. Sie lebt seit 19 Jahren in der Schweiz und spricht gut Deutsch. Doch die Suche nach einer Wohnung bringt die starke Frau zum Verzweifeln. Sie hat schon Hunderte Formulare ausgefüllt und ebenso viele Absagen erhalten. «Wir spielen weder ein Instrument, noch haben wir Haustiere wie eine Katze, einen Hund oder einen Geparden», betont sie. Doch welcher Vermieter will schon eine afrikanische alleinerziehende Mutter mit
8
fünf Kindern, die von der Fürsorge lebt, im Haus?
Das Bett im Wohnzimmer Nicht gerade komfortabel lebt auch Natalie Matter mit ihren zwei schon bald erwachsenen Kindern. Die Familie wohnt in einer ländlichen Gegend, in einer 3,5-ZimmerWohnung. Wobei die Kinder Dominic, 18, und Nika, 15, noch in der Ausbildung sind. Deshalb haben sie je ein eigenes Zimmer, wo sie auch lernen können. Natalie Matter selber schläft im Wohnzimmer. «Die ersten Monate übernachtete ich auf dem ausziehbaren Bettsofa, bis mir der Rücken so weh tat, dass ich mir etwas einfallen lassen musste», erzählt die 44-jährige Mutter, die sich kürzlich von ihrem Mann hat scheiden lassen. Da sie
sich die Familienwohnung alleine nicht mehr leisten konnte, zog sie innerhalb derselben Gemeinde um in die kleinere Wohnung, die sie gerade noch bezahlen kann. Das Haushaltsbudget ist knapp, hatte sich doch ihr Ex-Mann bis über den Hals verschuldet. Und da Ehepaare solidarisch haften, muss sie auch nach der Scheidung für die Hälfte der Schulden aufkommen, sodass die finanzielle Situation eng ist, trotz ihrer 80-Prozent-Anstellung am Empfang und in der Buchhaltung eines Elektrofachgeschäfts und der unregelmässigen Aushilfseinsätze als Pharmaassistentin. Unvorhergesehenes wie eine Zahnarztrechnung bringen die Haushaltskasse schnell durcheinander. Ferien sind ein Luxusgut und liegen kaum drin, ebenso wenig wie genügend Wohnraum.
Nachbarn 2 / 12
Schwerpunkt
Klare Abmachungen für alle Doch Natalie Matter ist nicht der Typ von Mensch, der sich in Selbstmitleid ergeht und sich beklagt. Im Gegenteil, sie strahlt viel Freude und Zufriedenheit aus, die sich auch in der Wohnung widerspiegeln in Form einer liebevollen Einrichtung mit einfachsten Mitteln. «Als wir einzogen, haben wir die ganze Wohnung erst neu gestrichen», erzählt sie. Sie schläft im einstigen Kinderbett, den Wohnzimmerschrank hat sie aus der Brockenstube, den alten Fernseher von ihren Eltern geschenkt bekommen. Aber dass der Wohnraum knapp ist, schleckt trotzdem keine Geiss weg. Nicht nur die Küche und das Bad sind klein für drei Personen, sondern die Kinder müssen auch immer durchs «Zimmer» der Mutter gehen, wenn sie abends aufs Klo müssen oder noch Durst haben und in der Küche etwas zu Trinken holen wollen. «Viel Privatsphäre bleibt nicht für mich», sagt Natalie Matter. Im Moment gehe das, da sie keinen Partner habe und für alle Familienmitglieder klare Vereinbarungen gelten: Bis 22 Uhr dürfen Freunde in der Wohnung bleiben, dann müssen sie heim. Und Natalie ihrerseits darf erst dann ins Pyjama schlüpfen. «Trotz allem bin ich froh, diese Wohnung gefunden zu haben», sagt sie munter. «Natürlich wünschte ich mir manchmal auch einen Raum, wo ich ganz für mich sein und mich zurückziehen könnte. Ich komme mir manchmal schon ein bisschen ausgestellt vor hier. Aber im grossen und ganzen geht’s mir gut.» Den Freitag, an dem beide Kinder im Ausgang sind, geniesst sie trotzdem sehr. «Dann habe ich sturmfrei und die ganze Wohnung gehört mir.»
KommENtAr Was ist eine angemessene Wohnung? Eine angemessene Wohnung ist frei von Mängeln – Schimmel, Ungeziefer und dergleichen. Zudem ist es von Vorteil, wenn die Kinder Platz zum Spielen haben. Für viele Armutsbetroffene ist dies leider schon Luxus. Sie müssen froh sein, wenn sie eine mehr oder weniger mängelfreie Wohnung haben, in der sie bleiben dürfen. Ich erlebe oft, dass Vermieter behaupten, sie müssten ganze Siedlungen sanieren, weil die Wohnungen nicht mehr den Bedürfnissen entsprechen würden. Aber das stimmt nicht: Die Mieter sind meist sehr zufrieden und wünschen keinen Luxus. Warum gibt es kaum günstige Wohnungen? Mit Liegenschaften kann viel Geld verdient werden. Darum verschwindet günstiger Wohnraum, wenn ganze Siedlungen neuen Wohnungen im oberen Preissegment weichen müssen. Und bestehende günstige Wohnungen werden nicht unbedingt an Armutsbetroffene vermietet, denn viele Vermieter haben Angst. Wenn sie wählen können, wie hier in Zürich, nehmen sie lieber nicht die Familie mit den fünf Kindern. Oder die mit Migrationshintergrund.
«Von staatlicher Seite gibt es kaum Unterstützung für armutsbetroffene Familien.»
Wer hilft armutsbetroffenen Familien, wenn sie keine Wohnung finden? Von staatlicher Seite gibt es kaum Unterstützung für armutsbetroffene Familien. Ich betreue aktuell eine Familie, die wohnt seit über einem Jahr in einer Familienherberge, nachdem sie aus der Notwohnung ausgewiesen wurde. Die Familie findet nichts, wird hin und her geschoben. Es ist ernüchternd: Bei der Arbeitsintegration gibt es Dutzende Stellen, die beraten und weitervermitteln. Wir bemühen uns, armutsbetroffenen Familien zu helfen – zusammen mit Hilfswerken, Kirchgemeinden und der Stiftung Domicil. Doch das ist angesichts der grossen Nachfrage nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Darum setzen wir uns dafür ein, dass diese Familien keine Kündigung erhalten und möglichst da bleiben können, wo sie sind.
Felicitas Huggenberger, Geschäftsleiterin des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich
* Alle Namen von der Redaktion geändert
Nachbarn 2 / 12
9
Schwerpunkt
Hohe Wohnkosten als Armutsfalle Wohnen ist teuer. Vor allem Armutsbetroffene stellen sich jeden Monat neu die Frage, wie sie ihren nächsten Mietzins bezahlen sollen. Text: Pascale Grange Illustration: Gabi Kopp
H
aushalte mit einem monatlichen Einkommen unter 4600 Franken geben im Durchschnitt über 30 Prozent ihres Einkommens für Wohnen und Energie aus. Betrachtet man alle Einkommensklassen, betragen diese Kosten nur gerade 16 Prozent. Der Vergleich zeigt, dass Wohnen für Menschen mit geringem Einkommen zu Problemen führt, die den gesamten Alltag beeinflussen – zu den Sorgen um Mietzins und mangelhafte Wohnung kommen langer Arbeitsweg, enge Platzverhältnisse und schlechte Gesundheit dazu. Und wenn der Alltag zum Problem wird, so hat das Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Ist der Mietzins bezahlt, fehlt das Geld für andere Ausgaben: Zu hohe Mietkosten sind ein Schuldenrisiko
10
und eine Armutsfalle. Sie können der Grund sein, Fürsorgeleistungen in Anspruch nehmen zu müssen. Auch eine günstigere Wohnlage bringt nicht immer eine Besserung der Situation: Es wird teurer, wenn der Arbeitsweg nicht mehr mit dem Fahrrad zurückgelegt werden kann. Ein Abonnement für Bus und Bahn oder ein Auto werden nötig, um der Schicht-, Nacht- oder Abrufarbeit nachgehen zu können. Verändert sich die Haushaltskonstellation, muss die Wohnsituation angepasst werden: Bei der Geburt eines Kindes, bei einer Trennung, beim Älterwerden, nach einem Unfall ist eine grössere, kleinere oder hindernisfreie Wohnung nötig. Eine bezahlbare Anschlusslösung zu finden, ist oft schwierig. Umgekehrt wirkt sich die Wohnsituation auch auf das Zusammenleben
Nachbarn 2 / 12
Schwerpunkt
aus: Bei sehr engen Platzverhältnissen, etwa wenn eine fünfköpfige Familie sich eine 2-Zimmer-Wohnung teilt, oder wenn die Wohnung schlecht isoliert und daher im Winter kalt ist, strapaziert dies das Familienleben und die Gesundheit. Für Menschen mit Mehrfachbelastungen ist alles noch schwieriger: Bei Arbeitslosigkeit, mit Schulden, vielen Kindern, ausländischen Namen, mit Krankheiten oder fehlendem Beziehungsnetz ist es schier unmöglich, eine geeignete Wohnung zu finden.
«Und plötzlich bin ich arm» Wohnfragen werden rasch existenziell. Langzeitarbeitslosigkeit, ein Unfall, eine Krankheit oder eine Scheidung sind Schlüsselmomente, die jede und jeden treffen können. Plötzlich steht einem weniger Geld zur Verfügung und die Wohnung wird zu teuer. Und dann gehört der Haushalt oder die gesamte Familie zur wirtschaftlich und sozial schwachen Gruppe, was das Finden einer Mietwohnung erheblich erschwert. Der Bund sucht Lösungen Dass die Wohnkosten zu Armut führen können, erkennt auch das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) und setzt einen von fünf Forschungsschwerpunkten 2012–2015 unter den Titel «Wohnungsversorgung wirtschaftlich und sozial schwacher Gruppen». Bleibt zu hoffen, dass die Erkenntnisse gesellschaftlich und politisch etwas bewirken können. Denn Lösungsansätze sind in der ganzen Schweiz gefragt. Ausgaben in Prozent des Haushaltsbudgets, nach Monatseinkommen
Steuern, Krankenkasse, Sozialversicherungen Wohnen und Energie
Gesundheit
Übriger Konsum Sparbetrag -40
-30
-20
-10
0
10
20
Unter 4'600
9'000 – 12'300
4'600 – 6'700
Ab 12'300
6'700 – 9'000
Mit zwei Vorschlägen aus der Sozialen Arbeit will Caritas die Situation von armutsbetroffenen Menschen auf dem Wohnungsmarkt verbessern. Günstigen Wohnraum sichern Steht eine Kündigung wegen unbezahlter Mietzinsrechnungen an, hilft die Delogierungsprävention weiter: Sie vermittelt zwischen Vermietenden und Mietenden, damit das Mietverhältnis weiterbestehen kann. Es wird nach Möglichkeiten gesucht, wie der Mietzins regelmässig bezahlt und wie die ausstehenden Mietzinsen beglichen werden können. So wird eine Kündigung abgewendet. Gerade bei einer günstigen Wohnung ist dies lohnenswert, denn eine neue Mietwohnung oder gar Obdachlosigkeit wären teurer – für die Einzelperson und das Gemeinwesen. Sozialmanagement bei Verwaltungen Treten Schwierigkeiten mit Mietenden auf – sie können den Mietzins nicht mehr bezahlen, die Wohnung wird zu eng oder es entstehen Nachbarschaftskonflikte –, ist frühzeitiges professionelles Handeln oft die unkomplizierteste Lösung, denn die Probleme sind noch überschaubar, die Fronten noch nicht verhärtet. Sozialarbeitende bei Immobilienverwaltungen können eine Vermittlungsfunktion einnehmen und mit den Parteien Lösungen erarbeiten. Auch damit werden Kosten gespart.
Links und Publikationen
Verkehr
-50
Lösungsansätze
Zahlen zu den Haushaltsbudgets in der Schweiz. Bundesamt für Statistik, Haushaltsbudgeterhebung HABE www.habe.bfs.admin.ch Forschungsprogramm «Wohnforschung 2012–2015». Bundesamt für Wohnungswesen www.bwo.admin.ch/themen/wohnforschung «Wohnen im Kanton Zürich». Eine Wohnvision zum 6. Zürcher Armutsforum 2011. www.caritas-zuerich.ch/publikationen
(Quelle: BFS, Haushaltsbudgeterhebung 2006–2008)
Nachbarn 2 / 12
11
1 7 19
Mehr Platz für viele Um den stark steigenden Bedarf an Wohnraum abzudecken, wurden vielerorts Grosswohnsiedlungen gebaut. So auch die 19 Stockwerke hohen Telli-Hochhäuser in Aarau, die Platz für 2500 Menschen bieten. Die erste Etappe entstand Anfang der 1970er-Jahre, die letzte 20 Jahre später. Als architektonisches Vorbild gilt die Cité du Lignon in Vernier bei Genf, eine Wohnsiedlung von fast einem Kilometer Länge. Bild: Erste Etappe der Telli-Hochhäuser in Aarau © Kantonale Denkmalpflege Aargau
Persönlich
«Warum wohnen Sie da, wo Sie jetzt wohnen?» Das wollten wir von Passantinnen und Passanten in verschiedenen Städten in der Deutschschweiz wissen.
Andrin Mösch, Sozialarbeiter, Winterthur: Bis im Sommer wohnte ich mit der Mutter und Schwester in St. Gallen, wo ich aufgewachsen bin. Aber jetzt arbeite ich für die kommenden zwei Jahre 60 Prozent in der Nähe von Winterthur und schliesse praxisbegleitend die Ausbildung zum Sozialarbeiter ab. Mit dem Lohn kann ich mir nun eine eigene 1-Zimmer-Wohnung in der Nähe der Arbeit leisten. Das ist für mich ein Schritt in die Unabhängigkeit.
Doris Pironato, Familienfrau, Gossau SG: Es ist eher Zufall, dass wir hier in Gossau wohnen. Aus Platzgründen suchten wir eine grössere Wohnung. Mit drei Kindern wünschten wir uns eine 5,5-Zimmer-Wohnung. Wichtig war für uns, dass wir im Quartier bleiben konnten. Nur wenige Meter neben unserer alten Wohnung wurden Eigentumswohnungen erstellt – wir zogen um. Das Preis-Leistungs-Verhältnis und die Lage stimmen für uns.
Maryse Frey, Studentin, Bern-Bümpliz: Ich wohne in einer 4er-WG in Bern-Bümpliz im 12. Stock. Von Lausanne an die Uni Bern zu pendeln, wäre anstrengend gewesen. Zudem wollte ich mit Deutschschweizern wohnen, um Schweizerdeutsch zu lernen. Die erste Wohngemeinschaft, die ich angeschaut hab, hat sofort gepasst! Trotzdem ist mein Herz im Kanton Waadt geblieben und ich werde später dorthin zurückkehren.
Martina Inauen, pensionierte Gerantin, Zürich: Ich wohne alleine in einer 3-Zimmer-Wohnung in Wollishofen, einem Aussenquartier von Zürich. Die Lage ist wunderbar ruhig: Ich bin schnell in der Natur, aber trotzdem nahe an der Stadt. Die Verkehrsanbindung könnte nicht besser sein und die Nachbarn pflegen einen freundlichen Austausch. Ein idealer Wohnort für mich.
Werner Gautschi, pensionierter Gemeindeschreiber, Aarau: Einfamilienhaus und Garten wurden uns zur Belastung. In Aarau konnten wir eine Eigentumswohnung erwerben, die bietet, was wir für das Wohnen im Alter wünschen: zentral und doch ruhig und im Grünen gelegen, rollstuhltauglich, kulturelle Anlässe und alle Lebensbedürfnisse nur über die Strasse. Und der Tapetenwechsel hat neuen Schwung in unser Seniorendasein gebracht.
Walter E. Gammenthaler, Kursleiter HSL, Luzern: Nach der Trennung von meiner Frau suchte ich in Luzern eine Wohnung, wo die kleinen Kinder auch zu Besuch kommen konnten. Mit 4,5 Zimmern ist die Wohnung ideal, der Wald ist gleich in der Nähe. Die Kinder sind inzwischen gross, ich bin hier geblieben. Die Wohnung gefällt mir, sie ist günstig, und ich bin schnell im Stadtzentrum.
Nachbarn 2 / 12
13
Caritas beider Basel
Wohnungsnot in Basel? Zur Verminderung der Obdachlosigkeit im Raum Basel bietet die Gemeinnützige Stiftung Wohnhilfe Wohnraum an. Ihr Leiter, Daniel Müller-Füllemann, setzt sich im Jahresbericht 2011 mit der Frage des Wohnraums in Basel auseinander. Text: Daniel Müller-Füllemann Bild: Christoph Bossart
Mit den Ansätzen der Sozialhilfe ... Erwachsene Einzelpersonen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, dürfen für ihre Wohnung maximal 650 Franken zuzüglich Nebenkosten aufwenden. Ist ihre Miete höher, steht es ihnen frei, von ihrem Grundbedarf von monatlich 977 Franken den übersteigenden Anteil zu begleichen. Da dieser aber knapp bemessen ist, ist das auf
14
Dauer nicht realistisch. Nun kann man einwenden, dass Sozialhilfe eine Übergangslösung darstellen soll und nicht auf Dauer ausgerichtet ist – die Realität sieht aber leider oft anders aus. Wir begleiten Leute, die seit über zehn Jahren auf die Unterstützung der Sozialhilfe angewiesen sind. Gerade bei Suchtkranken ist eine über Jahre andauernde Sozialhilfeunterstützung nicht selten, begründet doch
die Suchterkrankung allein keinen IV-Anspruch.
... wird die Wohnungssuche schwierig Nun ist es aber in Basel nicht einfach, eine Wohnung zu den Ansätzen der Sozialhilfe zu finden. Hinzu kommt, dass praktisch alle Vermieter von den Bewerbern einen Betreibungsauszug verlangen. Langjährige Sozialhilfebezüger jedoch
Nachbarn 2 / 12
Caritas beider Basel
haben oft Registereinträge, und ist darauf gar eine Liegenschaftsverwaltung als Gläubiger aufgeführt, sinken ihre Chancen auf dem Wohnungsmarkt praktisch auf null. Bei vielen Vermietern genügt schon der Hinweis, Sozialhilfe zu beziehen, um die Wohnung nicht zu bekommen.
Am härtesten trifft es junge Erwachsene Bei jungen Erwachsenen ohne Ausbildung gilt bei der Sozialhilfe ein verminderter Höchstwert für die Miete, sie erhalten maximal 475 Franken pro Monat zuzüglich Nebenkosten. Dies vor dem Hintergrund, dass die Sozialhilfe diese jungen Menschen nicht besserstellen will als einen Lehrling, der von seinem Lehrlingslohn auch keine eigene Wohnung finanzieren kann. Sie werden angehalten, mit anderen Jungen eine Wohngemeinschaft zu bilden. Dass die jungen Leute von ihrem Lebensunterhalt einen zusätzlichen Mietanteil beisteuern, ist völlig unrealistisch, erhalten sie doch lediglich einen reduzierten Unterhalt von monatlich 748 Franken entsprechend dem Anteil in einem Zweipersonenhaushalt. Der in den letzten Jahren immer tiefer fallende Referenzzinssatz, massgebend für die Berechnung der Mietzinse, kommt nur bei langjährigen Mietverhältnissen zum Tragen. Wird eine Wohnung neu vermietet, wird die Miete in der Regel erhöht, sodass Wohnungen generell immer teurer statt billiger werden. So stieg seit 2009 der Mietpreisindex in der Schweiz um knapp 4 Prozent, während der Referenzzinssatz im selben Zeitraum von 3,5 Prozent auf 2,5 Prozent fiel. Die Aufwertung von Quartieren lässt günstigen Wohnraum weichen Wirklich günstiger Wohnraum in sanierungsbedürftigen Altbauten geht in Basel zusehends verloren.
Nachbarn 2 / 12
Im Bereich Voltaplatz mussten die letzten Jahre ganze Strassenzüge Neubauten des höheren Preissegmentes weichen, gefolgt vom Kleinbasler NT-Areal mit der Erlenmattüberbauung. Zwar sind die Planer dieser Überbauungen durchaus an einer Durchmischung verschiedener Preissegmente der dort angebotenen Wohnungen interessiert, ob aber auch ein Sozialhilfebezüger eine solche Neubauwohnung wird beziehen können, ist mehr als fraglich. So erhalten wir immer viele Anfragen von Leuten auf Wohnungssuche, die wir nicht berücksichtigen können, da unser Angebot von etwas über 100 Wohnungen zu 80 Prozent für Personen reserviert ist, die einen Begleitbedarf ausweisen. Der Verein IG-Wohnen bietet Vermittlung von Wohnraum für Leute mit geringen Chancen auf dem Wohnungsmarkt an, jedoch muss dort mit langen Wartezeiten aufgrund der grossen Nachfrage gerechnet werden.
Wohnhilfe Wohnraum Zur Verminderung der Obdachlosigkeit im Raum Basel bietet die Gemeinnützige Stiftung Wohnhilfe Wohnraum an. Vom sehr niederschwelligen «Gassenhaus» (möblierte Zimmer) über niederschwelliges Wohnen in eigener Wohnung bis zu höherschwelligem Wohnen in angemieteten Einzelwohnungen liegt ein breites Angebotsspektrum vor, ausgerichtet auf die jeweiligen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Bewohner/innen. Die Stiftung Wohnhilfe steht als COrganisation unter dem Patronat der GGG (Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige) Basel. www.wohnhilfebasel.ch
Wohnen in der Nordwestschweiz Weitere Informationen Der Artikel der «Tageswoche» vom 30. März 2012 befindet sich auf www.tageswoche.ch/de/2012_13/ basel/411415/basel-stadt-ticktbald-wie-zuerich Über diese Webseite können weitere Informationen zum Thema «Stadtentwicklung, Mieten, Raumplanung» abgerufen werden. Im Artikel selbst wird auf die 120-seitige Studie der Credit Suisse zum Immobilienmarkt 2012 verwiesen. Diese kann heruntergeladen werden bei https://marketdataresearch. credit-suise.com/cs/mdr/p/d/qrr/ oneCMScontent/doc/pdf/Swiss_ Is s u e s _ I m m o b i l i e n _ 2 01 2 _ D E _ webversion.pdf. Die Studie enthält unter anderem interessante Hinweise zu allen Kantonen der Schweiz und bewertet jeweils anhand diverser Indikatoren die Standortfaktoren und Immobilienfakten. Dabei schneidet Basel-Stadt bezüglich Wohnattraktivität auf dem zweitletzten Platz ab. Die Kombination von vergleichsweise hohen obligatorischen Abgaben und hohen Fixkosten schmälert das frei verfügbare Einkommen in BaselStadt markant. Wegen der vergleichsweise hohen Steuerbelastung weist auch der Kanton BaselLandschaft eine unterdurchschnittliche finanzielle Wohnattraktivität auf.
15
Caritas beider Basel
Caritas beider Basel
Soziale Wohnberatung der IG Wohnen Vor 20 Jahren hat Caritas beider Basel die IG Wohnen mitgegründet. Seit 2011 bietet IG Wohnen eine soziale Wohnberatung an. Text: IG Wohnen Bild: Stephan Liechti
→ Was ist die soziale Wohnberatung? Soziale Wohnberatung ist eine öffentliche, kostenlose, allen Interessierten zugängliche Sprechstunde zu Fragen und Anliegen rund ums Wohnen in Basel. → Für wen ist die soziale Wohnberatung? Die Sprechstunden der sozialen Wohnberatung stehen Einwohnerinnen und Einwohnern des Kantons Basel-Stadt zur Besprechung von Wohnanliegen und Fragen rund ums Wohnen zur Verfügung. Mieterinnen und Mieter, Wohnungssuchende, Hauswartinnen und Hauswarte, Nachbarinnen und Nachbarn, aber auch Vermieterinnen und Vermieter sowie Liegenschaftsverwaltungen können sich an die soziale Wohnberatung wenden.
Jeden ersten Montag des Monats: 16.00–18.30 Uhr Kultur- und Begegnungszentrum Union Klybeckstrasse 95, 4057 Basel Jeden ersten Dienstag des Monats: 16.00–18.30 Uhr Städtische Notwohnungen Theodor-Herzl-Strasse 20, 4055 Basel Jeden ersten Mittwoch des Monats: 16.00–18.30 Uhr Quartierzentrum St. Johann Lothringerstrasse 63, 4056 Basel Jeden ersten Donnerstag des Monats: 16.00–18.30 Uhr Quartierkoordination Gundeldingen Güterstrasse 187, 4053 Basel und wöchentlich am Freitag, 16.00–18.30 Uhr IG Wohnen Leonhardsstrasse 38, 4051 Basel
16
→ Für welche Anliegen oder Fragen steht die soziale Wohnberatung zur Verfügung? Während der öffentlichen Sprechstundenzeit gibt es Tipps zur Wohnungssuche, Hilfe beim Ausfüllen von Anmeldeformularen und Lesen von Dokumenten oder Mietvertragsbestimmungen, Unterstützung bei der Verfassung von Kündigungsschreiben oder anderer Korrespondenz mit Vermietern oder Liegenschaftsverwaltungen, Beratung bei Nachbarschaftsproblemen, Hinweise zum Vorgehen bei Mietzinsschulden, Informationen über soziale Institutionen und andere Organisationen bei Mietrechtsproblemen in Basel, allgemeine Informationen zu allen Arten von Wohnproblemen und Fragen rund ums Wohnen. www.ig-wohnen.ch Die soziale Wohnberatung ist ein Angebot der IG Wohnen in Zusammenarbeit mit der Christoph Merian Stiftung und der Bürgergemeinde der Stadt Basel für die Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons BaselStadt. Die IG Wohnen ist ein Verein nach Art. 60 ff. ZGB mit Sitz in Basel. Mitglieder sind ausschliesslich soziale Institutionen. Die IG Wohnen unterstützt die Interessen von Wohnungssuchenden, die auf dem freien Wohnungsmarkt benachteiligt sind, und fördert Projekte und Massnahmen zur Lösung von Wohnproblemen.
Nachbarn 2 / 12
Caritas beider Basel
Regula Gasser geht ...
... Irma Kurt bleibt
… Renate Kuster kommt.
«Generationenwechsel» Regula Gasser geht in Pension, Renate Kuster ist ihre Nachfolgerin in der Ladenleitung. Text: Christoph Bossart Bild: Christoph Bossart
Liebe Regula Als der Laden am Lindenberg 18/20 neu eröffnet wurde, hast du dich als Mitarbeiterin beworben und die 20-Prozent-Stelle erhalten. Dabei wolltest du jeweils an Fasnacht frei haben – nicht, um daran teilzunehmen, sondern für die Skiferien mit deiner Tochter. Der Fasnacht warst du dennoch verbunden: Aus deinem grossen Bekanntenkreis hast du unzählige Einzelmasken und Cliquen dazu bewegen können, ihre Requisiten im Secondhand-Kleiderladen zu besorgen. Deine unkomplizierte Art, auf Leute zuzugehen, hat dir schon beim ersten Grossanlass geholfen: Am 22. Juni 1990 feierte das Kantonale Arbeitsamt seinen 100. Geburtstag mit einer Modeschau. Die Kleider dazu stammten aus dem Caritas-Secondhand-Laden, den grössten Teil der Mannequins hast du angeworben. Mit deinem Charme hast du auch viele Menschen dazu bewegt, sich unentgeltlich im Verkaufsteam zu engagieren – nicht zuletzt deine Mutter, die bis ins hohe Alter als Aushilfe mitwirkte! Wie sagte sie doch 2001 mit einem Augenzwinkern: «Meine Tochter als Vorgesetzte, das war schon speziell. Einzig mit dem Kaffee hätte sie etwas grosszügiger sein können!» Kaum etwas hat dich aus der Ruhe gebracht. Nur einmal bist du erschrocken: als eines morgens ein Mann im Kleidereinwurf lag, nachdem er dort die kalte Nacht verbracht hatte. Nun bist du in den (Un-)Ruhestand getreten. Ich bin sicher, dass es dir nicht langweilig wird. Uns aber wird nicht nur dein Schalk fehlen ... Alles Gute und vielen Dank für dein grosses, jahrzehntelanges Engagement für Caritas, Christoph
Nachbarn 2 / 12
Secondhand-Kleiderladen 1990 ist Caritas beider Basel an den Lindenberg 18/20 umgezogen. Dabei wurde der SeconhandKleiderladen neu eingerichtet und als Beschäftigungsprogramm mit Einsatzplätzen für Erwerbslose konzipiert. Eine «Frau der ersten Stunde» war Regula Gasser-Stebler, welche am 1. 4. 1990 ihre Arbeit aufnahm und ab dem 1. 6. 1996 als Ladenleiterin wirkte. Am 1. 9. 2012 ist sie – nach 22 Jahren und fünf Monaten – in den Ruhestand getreten. Ihre Nachfolge hat Renate Kuster angetreten. Ihr zur Seite steht weiterhin Irma Kurt, die auf den 1. 5. 2013 ebenfalls in Pension gehen wird. Zuvor feiert auch sie am 1. 1. 2013 das 20-jährige Dienstjubiläum.
17
Kiosk
Ihre Frage an uns
AGENDA
Wieso haben Armutsbetroffene oft viele Kinder? Gerade in der Schweiz sind Kinder teuer und grosse Familien tragen ein hohes Risiko, arm zu werden. Sind sie also selber schuld? (Thomas Nesler, Arbon)
Welttag zur Überwindung von Armut
Es stimmt, dass Kinder in der Schweiz sehr hohe Kosten verursachen. Trotzdem bleibt es jedem selbst überlassen, ob er oder sie mittels Verhütungsmittel die Familienplanung steuert. Das heisst, die Entscheidung, Kinder zu zeugen, liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen. Jede Familie, ob arm oder reich, mit vielen oder wenigen Kindern, kann plötzlich in Not geraten. Eine Krankheit, ein Unfall, eine Entlassung, eine Scheidung oder ein Todesfall können das Leben auf den Kopf stellen. Und oft sind es unvorhersehbare Ereignisse, die Familien in die Armut führen. In unserem Land hat jeder Mensch die Freiheit, die Grösse seiner Familie selber zu bestimmen. In der Bundesverfassung steht: «Gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.» Uns von der Caritas ist es ein Anliegen, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben. Die Vorstellung, dass Menschen mit wenig Geld vorgeschrieben werden soll, wie viele Kinder sie haben dürfen, stufen wir als diskriminierend ein. Die Aufgabe der Caritas ist nicht, die Schuldigen zu finden, sondern Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu helfen und Perspektiven aufzuzeigen – mit Beratung, Bildungs- und Betreuungsangeboten –, damit sie bald selber wieder über die Runden kommen.
?
Haben Sie auch eine Frage an uns? Gerne beantworten wir diese in der nächsten Ausgabe von «Nachbarn». Senden Sie Ihre Frage per E-Mail an nachbarn@caritas-zuerich.ch oder per Post an: Redaktion Nachbarn, Caritas Zürich Beckenhofstrasse 16, Postfach 8021 Zürich
Legate zugunsten der Caritas Ein Legat an Caritas beider Basel sichert einen wichtigen Teil der Finanzierung unserer Projekte. Es kann die Lebensperspektive einer von Armut betroffenen Familie grundlegend verändern und hilft so, über das Leben hinaus Gutes zu tun. Bestimmen Sie noch zu Lebzeiten selber, wem Ihr Vermächtnis zugutekommt. Beim Regeln des Nachlasses steht Ihnen der Geschäftsleiter der Caritas beider Basel, Christoph Bossart, gerne zur Verfügung. E-Mail: cbossart@caritas-beider-basel.ch
18
Von Armut besonders betroffen sind Familien und Kinder. Dies muss nicht sein! Kommen Sie und setzen Sie ein Zeichen! An der Kundgebung sind mit dabei: Armutsbetroffene sowie Bettina Zeugin, Pro Juventute b. Basel Emmanuel Ullmann, Grossrat GLP Surprise-Chor Edith Habraken Slagwerker Mittwoch, 17. 10. 2012 16.30 bis 20 Uhr Claraplatz, Basel
«Eine Million Sterne» Mit der Solidaritätsaktion werden in der Schweiz wiederum Plätze, Brücken und Gebäude durch Tausende von Kerzen beleuchtet. Auch Sie können ein Zeichen setzen! Mit dem Kauf eines Glassternes unterstützen Sie die Arbeit von Caritas beider Basel. Als Geschenk bereiten Sie deshalb gleich doppelte Freude. Die Glassterne können Sie bei Caritas beider Basel am Lindenberg 20, 4058 Basel, oder am Anlass selbst kaufen. Samstag, 15. 12. 2012 16 bis 20 Uhr Marktplatz Basel und weitere Orte in der Region
Dreikönigsapéro Auch 2013 sind «Menschen wie du und ich» zum traditionellen Apéro mit Dreikönigskuchen, Glühwein und Punsch eingeladen. Umrahmt wird der Anlass wie immer mit einer Geschichte und Musik. Montag, 7. 1. 2013 18.30 bis 20 Uhr St. Clarakirche, Basel
Weitere Informationen: www.caritas-beider-basel.ch
Nachbarn 2 / 12
Gedankenstrich
Lajlas gute Geister
F
rüher hatten wir keine Zeit für die Nachbarn. Mami hat die Zeit zum Weinen gebraucht. Wir wohnen in drei Zimmern und sind fünf. Mami wollte immer ausziehen und ihr Schatz, der auch bei uns wohnt, sagte immer: Das geht nicht, denk ans Geld! Dann weinte sie und sagte: Das Glück hat uns verlassen. Aber jetzt ist alles anders. Ich bin ein Junge und habe zwei Schwestern. Die Grösste ist Conny. Sie ist nicht gross, aber 18. Sie ist in Alem verliebt. Er wohnt mit seiner Familie unter uns, das sind unsere Nachbarn und wir haben sie besucht. Sie sind sogar sechs mit einer Grossmutter, die heisst Lajla mit j und sie sagte, es wohnen Geister im Haus, es seien gute Geister und die wohnen nur in guten Häusern. Mami sagte: In dieser Bruchbude wohnt sicher kein Geist freiwillig. Wir haben die Nachbarn besucht, weil Conny mit Alem in die Ferien wollte. Das durfte sie dann. Sie ist
Nachbarn 2 / 12
mit Alems Familie und Lajla mit dem Reisebus in die Stadt gefahren, wo sie früher gewohnt haben, die ist weit weg von der Schweiz und heisst Sara und noch ein paar Buchstaben. Wo alle weg waren, war es in der Wohnung unten aber trotzdem nicht still. Die Türen sind zugeschlagen und wir hörten den TV, in der Nacht besonders. Schlaues Pack, sagte Mami, jetzt wohnen die Kollegen von denen da! Stimmen hörten wir aber nicht. Wo die Nachbarn und Conny wieder da waren, konnte Mami mal wieder nicht aufs Maul hocken, hat Schatz gesagt. Weil, sie hat den Nachbarn gesagt, es sei schön, dass man von unten etwas gehört hat, da sei Leben im Haus. Die Eltern von Alem schauten komisch und sagten, es war aber niemand da gewesen und Lajla sagte freundlich: Doch, die Geister. Jetzt habe ich in der Schule gesagt, dass wir Geister haben und alle wollen uns besuchen. Mami macht
das nicht hässig, sie will sogar Kuchen backen. Sie lacht viel mehr und weint weniger. Zu Schatz hat sie gesagt: Dann sind wir halt vom Glück, aber wenigstens nicht von allen guten Geistern verlassen.
Tanja Kummer ist Schriftstellerin. Ihr Erzählband «Wäre doch gelacht» und andere Bücher sind im Zytglogge-Verlag erschienen. 2010 leitete die Autorin die Schreibwerkstatt «wir sind arm» der Caritas. Die so entstandenen Texte können Sie nachlesen auf www.wir-sind-arm.ch. Illustration: Gabi Kopp
19
Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie sozial schwachen Menschen in Ihrer Nähe den Einkauf gesunder und ausgewogener Lebensmittel im Caritas-Markt. Mit 30 Franken unterstützen Sie einen alleinstehenden älteren Menschen. Mit 70 Franken den Wocheneinkauf für eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern.
Helfen Sie mit!
Mit 120 Franken eine vierköpfige, sozial schwache Familie.
PC 40–4930–9 Lebensmittelhilfe