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Thurgau

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Nachbarn

Solidarisch sein J채hrlich setzen Menschen in der Schweiz 체ber eine halbe Milliarde Stunden ihrer Freizeit f체r das Gemeinwohl ein und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zu einer solidarischen Schweiz


Inhalt

Inhalt Editorial

Von Judith Meier Inhelder Geschäftsfßhrerin

Kurz & bĂźndig

News aus dem Caritas-Netz PersĂśnlich

Eine gute Tat am Tag Sechs Antworten

Regional

ÂŤAnderen etwas zuliebe tun das nicht bezahlbar istÂť

Geben macht Freude

Solidarität

Solidarität ist die Basis eines harmonischen Zusammenlebens in der Gemeinscha

Kiosk

Schwerpunkt

Solidarisch sein

ÂŤWie kann ich mich fĂźr Armutsbetroffene engagieren?Âť Gedankenstrich

ÂŤDas bin ichÂť

Solidarität muss nicht spektakulär sein, es nicht in eine Schlagzeile oder an eine Hauswand schaen. Doch ist sie mehr als nur eine WorthĂźlse. Solidarität ist spĂźr- und erlebbar, vor allem in der Freiwilligenarbeit. Jährlich leisten 1,5 Millionen Menschen in der Schweiz Ăźber 600 Millionen Stunden unentgeltlich zum Wohle unserer Gesellschaft. Zwei davon sind Petra Felder und Gabi Holenstein. Die beiden Frauen erzählen, wie und weshalb sie sich fĂźr Familien engagieren, denen es schlechter geht. Und sie machen deutlich, dass jeder von uns einen Beitrag zu einer solidarischen Schweiz leisten kann.

ab Seite

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Editorial

Liebe Leserin lieber Leser In dieser Ausgabe unseres Magazins sprechen wir ßber Solidarität. Sie werden dabei feststellen, dass solidarisch sein nicht fßr jeden Menschen genau dasselbe bedeutet. Heute ist es nicht das Gleiche, wie es frßher war oder in Zukunft sein wird. Eines bleibt aber jeweils unverändert: Es geht immer darum, sich um eine andere Person oder Gruppe zu kßmmern. Ich erlebe privat wie auch bei der Arbeit viele Menschen, die sich solidarisch zeigen und anderen helfen. Auch die Caritas lebt davon, dass sie finanziell und ideell von der Kirche, dem Staat, von Firmen oder Privatpersonen unterstßtzt wird. Lassen Sie beim Durchblättern die Gedanken spielen und Revue passieren. Welche guten Taten haben Sie in den letzten Jahren erlebt, oder wo setzten Sie sich solidarisch ein? War es in Ihrem nächsten Umfeld, beim Einkaufen oder bei der Arbeit? Sie werden feststellen, dass es täglich Situationen gibt, wie zum Beispiel eine Passantin, die plÜtzlich auf den Boden fällt, oder eine Person, die schwer zu tragen hat. Wie geht es Ihnen dabei, fßhlen Sie sich angesprochen, sofort zu helfen, oder zÜgern Sie, weil Sie nicht sicher sind, wie Sie genau reagieren sollen? Ich bin ßberzeugt davon, dass ein reicher Fundus an Erfahrungen vorhanden ist.

Judith Meier Inhelder

Judith Meier Inhelder Geschä sleiterin Caritas Thurgau

ÂŤNachbarnÂť das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen erscheint zweimal jährlich Gesamtauage Ex Auage TG Ex Redaktion Judith Meier Inhelder Leo L Leu Caritas Thurgau Bojan Josifovic national Gestaltung und Produktion Urs Oderma Cyrille Massaux Druck Stämpi AG Bern Caritas Thurgau Franziskus-Weg Weinfelden Tel www caritas-thurgau ch PC - -

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Kurz & bündig

Verantwortungsvoll haushalten

EnergiesparCheck Für Haushalte mit knappem Budget lanciert Caritas Aargau ein neues Projekt. Freiwillige EnergiesparCoachs machen kostenlose Hausbesuche. Mit dem Energiespar-Check verhilft Caritas Aargau Menschen mit wenig Einkommen zu einer Energieberatung. Sie lernen, wie sie ökologisch sinnvoll lüften, stromsparend kochen und sorgsam mit Wasser umgehen können. Der Energiespar-Check läuft in einer Pilotphase von 2015 bis 2017 im Bezirk Baden und versteht sich vor allem als Bildungsprojekt. Die betroffenen Haushalte leisten einen wichtigen Beitrag zur Schonung unserer Umwelt und entlasten gleichzeitig ihren Geldbeutel. Die wichtigsten Projektpartner sind Freiwillige, die vorgängig eine Schulung durchlaufen. Als Energiespar-Coachs nehmen sie Stromrechnungen, Haushaltsgeräte und Heizungen unter die Lupe, geben Tipps und montieren Soforthilfen wie Sparlampen und wassersparende Duschbrausen. Das Projekt wird mit Beiträgen von Bund, Kanton, der Stadt Baden, der Umweltarena Spreitenbach, der ABB und den Elektrizitätswerken der Region unterstützt. www caritas-aargau ch/ energiesparcheck

Neue Wege in der Arbeitsmarktintegration

Caritas scha Perspektiven Im Kanton Bern sollen Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene rascher in den Arbeitsmarkt integriert werden. Caritas Bern hat den Zuschlag für ein entsprechendes Pilotprojekt erhalten. Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene (VAs) werden im Kanton Bern nur unzureichend in den Arbeitsmarkt integriert. Auf Initiative der Privatwirtschaft hat deshalb die Kantonsregierung ein Pilotprojekt lanciert, das von Caritas Bern nun umgesetzt wird und den Namen «Caritas Perspektive» trägt. Ziel: Die Flüchtlinge und VAs sollen schneller in den ersten Arbeitsmarkt gelangen. Dies, indem man die betroffenen Personen direkt im Arbeitsmarkt platziert und sie mittels eines Job-Coachings begleitet, welches über die reine Einarbeitungsphase hinausgeht. Dabei lässt Caritas Bern die eigene langjährige Erfahrung im Bereich der Arbeitsintegration einfliessen und berücksichtigt die Bedürfnisse der Arbeitgeber. Das Besondere an «Caritas Perspektive» ist, dass der Kanton Bern die Ziele vorgibt sowie misst, das Pilotprojekt aber von der Privatwirtschaft finanziert und von Caritas Bern umgesetzt wird. Werden die Ziele erfüllt, profitieren alle Beteiligten. Im anderen Fall müssen die Geldgeber und Caritas Bern mit einem begrenzten Kapitalverlust rechnen. Claudia Babst, Geschäftsleiterin von Caritas Bern: «Eine solche Finanzierungsvereinbarung ist ein Novum für uns. Wir zeigen damit aber, dass uns das Projekt und dessen Ziele ernst sind.» www caritas-bern ch

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Kurz & bĂźndig

Stellenabbau bei Caritas Luzern

Asylau rag verloren Der Kanton Luzern hat der Caritas Luzern den Asylauftrag auf Ende 2015 gekĂźndigt. Das hat fĂźr das Hilfswerk einschneidende Folgen. 30 Jahre lang war die Caritas Luzern fĂźr die Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden zuständig. Ab 2016 Ăźbernimmt dies der Kanton Luzern in Eigenregie und kĂźndigte deshalb den bisher an Caritas Luzern vergebenen Asylauftrag. Das Hilfswerk muss in der Folge 54 Mitarbeitenden kĂźndigen und aufs kommende Jahr hin die Organisation um einen Viertel verkleinern. Caritas Luzern hot, dass die zum Teil langjährigen Mitarbeitenden mit ihrem Fachwissen und ihrer grossen Erfahrung im Umgang mit Asylsuchenden beim Kanton eine Anstellung ďŹ nden. Integration bleibt ein Schwerpunkt-Thema bei der Caritas Luzern. Auch in Zukunft setzt sie sich fĂźr die beruiche und soziale Integration von Armutsbetroenen, Stellensuchenden und die MigrationsbevĂślkerung ein. Dank ihrer GrĂśsse, guter Vernetzung und viel Erfahrung kann sie diese Aufgaben auch wahrnehmen. So bleibt sie im FlĂźchtlingsauftrag tätig, fĂźhrt den Dolmetschdienst Zentralschweiz und engagiert sich in weiteren Integrationsprojekten. Ebenso verfĂźgt Caritas Luzern Ăźber eine Sozial- und Schuldenberatung und betreibt Hilfsprojekte fĂźr Armutsbetroene, Bildungsangebote zur Begleitung in der letzten Lebensphase und eine Fachstelle fĂźr Freiwilligenarbeit. Nicht zuletzt bietet sie eine breite Palette von Programmen zur beruichen und sozialen Integration von versicherten Erwerbslosen und Personen mit wirtschaftlicher Sozialhilfe. Mehr Infos im Online-Jahresbericht: www caritas-luzern-jb ch

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NEWS KulturLegi fĂźr den Kanton Thurgau Die KulturLegi soll neu auch den Thurgauerinnen und Thurgauern den Zugang zu verbilligten Angeboten im Bereich Bildung und Kultur ermĂśglichen Bereits konnten Partner/innen gefunden werden aus Bereichen wie Kino Theater Bibliotheken oder Fitnessstudios Ebenfalls haben einige Supporter/innen die ďŹ nanzielle UnterstĂźtzung zugesichert Zum jetzigen Zeitpunkt werden weitere Partner und Supporter gesucht Das Ziel ist der Start der KulturLegi Thurgau im FrĂźhjahr www caritas-thurgau ch

Finanzielle Bildung durch Caritas Schweiz Caritas Schweiz hat fĂźr Lehrpersonen Hilfsmi el zum Thema Budget entwickelt Dabei erfreuen sich die Materialien zu den ÂŤ goldenen Regeln im Umgang mit GeldÂť einer hohen Nachfrage Caritas wird bei der Verbreitung der Hilfsmi el unterstĂźtzt durch den Berner Bildungsverlag hep sowie durch iconomix das Lehrangebot der Schweizerischen Nationalbank SNB Die Mi el kĂśnnen hier kostenlos heruntergeladen werden www caritas ch/ďŹ nanzkompetenz

mit mir bei Caritas Solothurn Neu gibt es das Patenscha sprojekt mit mir auch bei Caritas Solothurn Das Projekt soll freiwillige Patinnen und Paten mit Kindern aus belasteten Familien zusammenbringen Das Projekt fÜrdert die soziale Integration und entlastet armutsbetroene Familien im Alltag www caritas-solothurn ch/patenscha

Neues Angebot Zßrich unbezahlbar Zßrich zählt zwar zu den teuersten Orten der Welt doch bietet die Stadt erstaunlich Vieles umsonst KulturLegi Kanton Zßrich lanciert den Online-Stadtfßhrer Zßrich unbezahlbar Dieser bßndelt kostenlose Kultur- Sport- und Freizeitangebote beispielsweise Freibäder Openair-Konzerte Lesungen Leihfahrräder Stadtfßhrungen Freilu kinos oder Ausstellungen Damit wird Menschen mit knappem Budget der Zugang zu abwechslungsreichen Aktivitäten ermÜglicht www zuerichunbezahlbar ch


Rubrik

Solidarität heisst Hilfesuchenden unter die Arme zu greifen damit sie bald wieder auf eigenen Beinen stehen können

Ein Leben in Armut bringt Eltern an den Rand der Verzweiflung und lässt Kinderträume platzen


Schwerpunkt

Solidarität zwei Frauen ein Anliegen Sich solidarisch zeigen durch Handeln: Wir haben mit Petra Felder und Gabi Holenstein zwei Frauen getroffen, die freiwillig bei Caritas mitarbeiten. Wir wollten von ihnen wissen, wie sie sich von den tiefen Einblicken in das Leben anderer abgrenzen und was Solidarität im Alltag für sie bedeutet. Text Karin Rechsteiner Bilder Zoe Tempest in Zusammenarbeit mit Barbara Rusterholz

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ls wir an diesem Montag in Escholzmatt ankommen, läuten die Kirchenglocken und ein warmer Sommerabend bricht an. Pünktlich fährt der Zug weiter, es bleibt die ländliche Stille. Zu sehen sind einzig zwei Syrer, die sich leise unterhalten, während in der Schweiz hitzig darüber debattiert wird, was man mit diesen Menschen, den Flüchtlingen, tun soll. Petra Felder ist 42 Jahre alt und Lehrerin von Beruf. Sie arbeitet Teilzeit und wohnt mit den beiden Kindern und ihrem Mann in Escholzmatt. Für sie ist klar: Diesen Menschen soll man helfen. Und das sagt sie nicht nur, sie tut es auch.

Alltag statt Ausnahmezustand Seit fast zwei Jahren begleitet Petra für Caritas eine vierköpfige Flüchtlingsfamilie aus Syrien. Der Anfang war streng, gibt Petra offen zu. Während Vater Hakim* bereits sehr gut Deutsch konnte, sprach die Mutter Alima* nur gebrochen, der Austausch fiel schwer. Pet-

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ra gab nicht auf und hielt an den wöchentlichen Treffen fest. Sie versuchte ihr neues Engagement und ihren Umgang mit der syrischen Familie so natürlich wie möglich zu gestalten und in ihren Alltag zu integrieren. Der gegenseitige Respekt, sich zu achten und zu unterstützen, ist ihr wichtig – denn das ist es, was Petra unter Solidarität versteht. Und so kommen Alima und ihre beiden Söhne einfach mit, wenn Petra mit ihren Kindern in die Bibliothek geht. Sie hilft den dreien beim Lesen und bei der Bücherauswahl, erzählt und erklärt, wie die Bibliothek und die Schweiz funktionieren. Am Wochenende besuchen die beiden Familien manchmal gemeinsam die Fussballturniere der Kinder. Sie sind für Hakim und Alima eine Chance, neue Kontakte zu knüpfen.

Wenn Unwissen schmerzt Die beiden Söhne von Alima und Hakim sind im Dorf integriert. Sie kommen in der Schule mit, lernen fleissig Deutsch und spielen im Fussballclub mit. Etwas schwerer fällt es den Eltern. Hakim arbeitet 80 Pro-


Schwerpunkt

zent, aber die Arbeitszeiten sind unregelmässig, der Arbeitsweg ist lang. Ihn unterstĂźtzt Petra bei der kräftezehrenden Suche nach einer Vollzeitstelle in der Nähe. Alima versucht ebenfalls neue Leute kennenzulernen und ihr Deutsch zu verbessern. Sie geht zum Beispiel regelmässig in den Damenturnverein. Ihre Eltern und BrĂźder, die Menschen, die ihr am nächsten wären, leben jedoch in Syrien. Manchmal hat sie tagelang keinen Kontakt zu ihnen. Das ist nicht einfach auszuhalten – auch fĂźr Petra nicht. ÂŤIch muss mich abgrenzenÂť, sagt sie. ÂŤIch wertschätze jetzt unser Leben bewusster, obwohl ich auf frĂźheren Reisen schon vieles gesehen habe. Wir diskutieren in der Familie darĂźber und ich hoe, ich kann meinen Kindern etwas mitgeben.Âť Ist sie sich bewusst, dass sie solidarisch handelt? ÂŤAm Anfang ja, aber das ist inzwischen in den Hintergrund gerĂźckt.Âť Aus einer Aufgabe, verbunden

mit einem leisen PichtgefĂźhl, wurde eine Freundschaft. Und es ergaben sich viele gute Gespräche im Zusammenhang mit ihrem freiwilligen Engagement, denn sie entschied sich bewusst, Ăźber ihre Erfahrungen zu sprechen. ÂŤAuch als Lehrerin mĂśchte ich meine SchĂźler teilhaben lassen. Ich stelle immer wieder fest, dass wir nicht aufgeklärt sind. Viele denken, die FlĂźchtlinge seien faul, und vergessen dabei, dass sie oftmals gar nicht arbeiten dĂźrfen, dass sie von einem Ort zum nächsten geschoben werden.Âť Die gemeinsame Zeit mit der syrischen Familie empďŹ ndet sie als schĂśn und lehrreich. Und empfehlen wĂźrde sie einen solchen Einsatz ohne Vorbehalt jedem.

Vom Schreibtisch in den Verkauf Wir treen Gabi Holenstein am Bahnhof Bern, quasi auf der Durchreise. Denn die 77-Jährige war am Tag zu-

Wir alle geraten in Situationen in denen wir auf Hilfe angewiesen sind Gut wenn wir auf hilfsbereite Menschen zählen dßrfen

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Schwerpunkt

vor an der Expo in Mailand, und morgen geht’s nach ZĂźrich, wo sie eine krebskranke Freundin besucht. Gabi Holenstein wurde 1938 in Ostpreussen als Tochter von Auslandschweizern geboren. Die Familie ßchtete am Ende des Zweiten Weltkrieges in die Schweiz, wo Gabi Holenstein als ältestes von acht Kindern aufwuchs. Zuletzt arbeitete sie als PersonalcheďŹ n in einem Bundesbetrieb. Seit 16 Jahren ist sie pensioniert und hat heute mehr zu tun als damals, als sie noch berufstätig war. Gabi Holenstein lief im Dezember 2006 zufällig am Caritas-Markt in Bern vorbei und dachte zuerst, es sei ein neues Tearoom, schliesslich stand da ein einladender Tisch draussen. Sie betrat neugierig den Laden und fragte spontan, ob sie mithelfen kĂśnne. Seither arbeitet sie zwei Mal im Monat mit. Solidarität bedeutet fĂźr sie, dass man sich fĂźr andere einsetzt, sie mitträgt, fĂźr sie da ist. Deshalb fĂźllt sie im Caritas-Markt Regale auf, packt Backwaren in Plastiksäcke ab, räumt um und ein, bĂźschelt das GemĂźse, putzt.

Kein Markt der unbeschränkten MĂśglichkeiten Gabi Holenstein erhält Einblicke in fremde Leben und Kulturen. Ihre Kunden kommen nicht nur aus der Schweiz, sondern aus der ganzen Welt. ÂŤDie meisten sind sehr herzlich und offen. Wenn ich länger nicht da war, fragen sie, wo ich war, wie es mir geht.Âť Und wenn aus der Kaeepause eine Deutschstunde wird, gerade wenn die Mitarbeitenden aus dem Arbeitsintegrationsprogramm da sind, gibt es viel zu lachen. Aber nicht nur. Wer im Caritas-Markt einkauft, kämpft mit ďŹ nanziellen Problemen. Dazu gehĂśren BezĂźgerinnen und BezĂźger von Ergänzungsleistungen, Arbeitssuchende oder Working Poor. Ăœber die jeweiligen Lebensumstände wird nicht viel gesprochen. Manches schmerzt aber auch ohne Worte. Es fällt schwer, zu sehen, wie Kunden ihr Geld genau abzählen – und auch mal Einkäufe wieder zurĂźcklegen. ÂŤDas holt mich auf den Boden der Realität zurĂźck und es tut mir Leid. Ich versuche jedoch, mich abzugrenzen und die Erlebnisse nach Feierabend im Laden zu lassen.Âť Warum aber macht sie das, sie, die zeit ihres Lebens berufstätig war? MĂśchte sie sich nicht einfach entspannen? ÂŤEs geht mir gut und dafĂźr bin ich dankbar. Und solange ich noch kann, mĂśchte ich mich denen gegenĂźber solidarisch zeigen, die meine Hilfe brauchen kĂśnnen. Die Zeit totschlagen kann ich später.Âť

ORTE DER MENSCHENLIEBE Ich setze meine eigenen BedĂźrfnisse vor die meiner Mitmenschen Bin ich deshalb ein schlechter Mensch? Ăœberhaupt nicht denn es heisst ja immer noch ÂŤLiebe deinen Nächsten wie dich selbst Âť Auf die BedĂźrfnisse anderer einzugehen trägt in sich die grosse Gefahr sich selber auszubeuten andere abhängig oder mit der Hilfe ProďŹ t zu machen Erst durch das Au anken eigener Energie wird es mĂśglich diese Kra weiterzugeben Auch ich kenne Zeiten in denen ich mich zurĂźckziehen muss um auf mich zu schauen und innezuhalten bevor ich wieder auf andere zugehe und meine Hilfe anbiete

ÂŤUnser Alltag ist geprägt von Abhängigkeiten.Âť Unser Leben ist geprägt von We bewerb Kommt da die Gemeinscha zu kurz? Ob in der Schule bei der Arbeit oder auf dem Fussballplatz Menschen schaen Räume wo zwar We bewerb entsteht aber auch gemeinscha liches Leben erst mĂśglich wird Unser Alltag ist nicht nur von We bewerb sondern vor allem von Abhängigkeiten geprägt Wir leben eine Freiheit in Bezogenheit Diese Bezogenheit aufeinander formt unsere Gemeinscha und lässt Orte von Menschenliebe entstehen Jeder von uns kann einen Beitrag zu einer solidarischen Schweiz leisten indem wir uns darauf besinnen dass unser uneigennĂźtziger Einsatz fĂźr die Allgemeinheit notwendig ist Welchen Stellenwert hat die diakonische Arbeit in der Schweiz? Mit ihren Räumen an bester Lage sind Kirchen Orte der Gastfreundscha und des Schutzes fĂźr FlĂźchtlinge Benachteiligte und Hilfesuchende Mit ihren Freiwilligen in der Schweiz stellen Kirchgemeinden und Pfarreien ein Reservoir zivilgesellscha licher Kra dar ohne die das Pegen von Betagten und Benachteiligten sowie das Hegen von Kultur und Natur gar nicht mĂśglich wären

Christoph Sigrist ist Pfarrer am Grossmßnster Zßrich und Dozent fßr Diakoniewissenscha an der theologischen Fakultät der Universität Bern

* Namen zum Schutz der Personen geändert

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Schwerpunkt

Gelebte Solidarität Jährlich setzen Menschen in der Schweiz über eine halbe Milliarde Stunden ihrer Freizeit für das Gemeinwohl ein. Auch aus eigennützigen Interessen. Text Theres Arnet-Vanoni Präsidentin BENEVOL Schweiz Illustration Achilles Greminger

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er Begriff «Solidarität» bezeichnet das starke Gefühl von Menschen, zusammenzugehören, sei es als Familie, als Gemeinde oder gar als Nation. Das solidarische Zusammenleben ist in der Schweizer Gesellschaft tief verankert und besonders in der Freiwilligenarbeit spürbar, wo sich Bürgerinnen und Bürger unentgeltlich für ihre Mitmenschen einsetzen. Dabei gestaltet sich deren freiwilliges Engagement sowohl vom Umfang als auch von der Art her so vielfältig, wie es unsere Gesellschaft ist. Es gibt keine «typischen

Freiwilligen». Die Bandbreite reicht vom Studenten, der via Internet kostenlose Aufgabenhilfe leistet, über die Mutter, die sich im Sportverein des Sohnes engagiert, bis hin zum Versicherungsfachmann, der Geld für den Tierschutz spendet, und zur jungen Frau, die sich für Kinder in Armut starkmacht.

Grundpfeiler unserer Gesellschaft Wir unterscheiden zwischen zwei Formen des freiwilligen Engagements: Geld- und Zeitspenden. Gemäss Bundesamt für Statistik spenden fast 75 Prozent der

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Schwerpunkt

Wunschkerze Schweizer Bevölkerung Geld oder Naturalien. Noch eindrücklicher: Jährlich leisten 1,5 Millionen Menschen in der Schweiz 665 Millionen Stunden freiwillig und unentgeltlich zum Wohle unserer Gesellschaft. Dies entspricht etwa der Anzahl Stunden, die in der Landwirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung jährlich gearbeitet werden. Zum einen engagieren sich die Personen durchschnittlich 13 Stunden pro Monat für formelle, institutionalisierte Freiwilligenarbeit in Bereichen wie Sport, Kultur, Bildung oder Politik, in kirchlichen oder sozialen Projekten. Zum anderen erbringen sie nochmals so viele Stunden für Hilfeleistungen an Nachbarn, Freunde und Bekannte. Die Freiwilligenarbeit hat in der Schweiz folglich einen hohen Stellenwert. Sie bietet den Freiwilligen eine Plattform, sich für die Gemeinschaft einzubringen und diese mitzugestalten. Diverse empirische Studien belegen zudem, dass das freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger die Armut reduziert, die Gesundheit und das subjektive Wohlbefinden verbessert, die ökonomische Produktivität erhöht und die politische Partizipation fördert.

Zunehmende Professionalisierung Seit fünf Jahren nimmt das ehrenamtliche Engagement der Menschen in der Schweiz stetig zu. Gleichzeitig sind auch die Ansprüche an die Organisationen, Projekte oder Vereine gestiegen. Basierte früher die Motivation der Freiwilligen auf Selbstlosigkeit oder Pflichtgefühl, treten heute verstärkt auch eigene Interessen in den Vordergrund: Die freiwillige Tätigkeit soll Spass machen, Sinn stiften, Kontakte mit Menschen und individuelle Weiterentwicklung ermöglichen. Einsatzorganisationen sind zunehmend gefordert, die Freiwilligenbegleitung zu professionalisieren, um das Potenzial der Freiwilligen auszuschöpfen. Dies bringt für alle Beteiligten Vorteile. So entwickeln Organisationen Angebote, deren Reichweite sie mithilfe von Freiwilligen multiplizieren. Ein konkretes Beispiel: Caritas betreibt seit einigen Jahren das Patenschaftsprojekt «mit mir». Die Führung des Projekts liegt bei Caritas, doch sind es die zahlreichen Freiwilligen, die letztlich benachteiligten Kindern Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Caritas kann auf motivierte Freiwillige zählen; diese wiederum profitieren von sinnvollen Engagements und die betroffenen Familien von solidarischer Unterstützung.

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Am Samstag, 12. Dezember 2015, bringen wir die Schweiz zum Leuchten. Im Rahmen der Aktion «Eine Million Sterne» lassen wir Plätze, Brücken und Gebäude an vielen Orten der Schweiz im Kerzenmeer erstrahlen. Gross und Klein findet zusammen, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Jede Kerze ist ein Bekenntnis für eine Schweiz, die sich für Schwache und Benachteiligte einsetzt.

Ihr persönlicher Wunsch Auf www.wunschkerze.ch erzählen ab November Armutsbetroffene und Freiwillige, die sich für benachteiligte Menschen einsetzen, von ihrem Alltag, ihren Herausforderungen und Wünschen. Weiter können Sie direkt auf der Webseite Ihren Liebsten einen persönlichen Wunsch hinterlassen. Diesen schreiben wir auf eine Wunschkerze und stellen diese dann am 12. Dezember an einem von Ihnen ausgewählten «Eine-Million-Sterne»Veranstaltungsort auf.

Weiterführende Informationen «Eine Million Sterne» Tausende Kerzen leuchten am Dezember als Zeichen für eine solidarische Schweiz Veranstaltungsorte in Ihrer Nähe www einemillionsterne ch BENEVOL BENEVOL Schweiz und die regionalen Fachstellen stehen für Qualität in der Freiwilligenarbeit ein definieren Standards und bieten Beratung im Bereich Freiwilligenarbeit an www benevol ch


PersĂśnlich

Nihada aus Winterthur Ich fahre gerne Inlineskates Vor ein paar Wochen hat mir ein Mädchen dabei zugeschaut wie ich meine Runden drehe Nach einiger Zeit habe ich sie gefragt ob sie auch fahren will Sie ha e aber keine eigenen Inlineskates Also habe ich ihr meine geliehen Sie war sehr glßcklich Das hat mich irgendwie auch frÜhlich gemacht 

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Persönlich

«Eine gute Tat am Tag» lautet das Credo der Pfadfinder Was war Ihre letzte gute Tat? Antworten von Passantinnen und Passanten aus der Deutschschweiz.

Kim Mai Nangsa Mangtshang, Sechstklässlerin, Zürich Ein paar Buben aus meiner Klasse hänselten gestern auf dem Pausenplatz ein Mädchen aus der 1. Klasse, das eine Behinderung an den Händen hat. Das fand ich so fies. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sofort damit aufhören, und habe das Mädchen dann getröstet. Sie hat sich bei mir bedankt und mich angelächelt.

Beate Brodkorb, ehemalige Finanzangestellte, Faulensee Ein sehr guter Freund hatte schwere Bandscheibenprobleme und musste sich deswegen mehrmals operieren lassen. Dann hat sich sein Gesundheitszustand massiv verschlechtert und er befand sich während mehrerer Tage in Lebensgefahr. Ich bin in dieser Zeit seiner Frau zur Seite gestanden und habe sie stark unterstützt.

Gabi Mayer, Pflegefachfrau, Herisau Ich war eine Woche als Küchenhilfe in einem Blauring/Jungwacht-Lager. Weil dort nicht die Erwachsenen den Takt vorgaben, entstand ein organisiertes Chaos. Mich hat beeindruckt, wie selbstverständlich die Grossen die Kleinen unterstützt haben und wie zwanglos die verschiedenen Altersgruppen miteinander umgegangen sind. Es war ein Privileg, dabei zu sein.

Rebar Muhamad, Hilfswerkvertreter, Kreuzlingen Ich habe Kleider aus einer Sammelaktion der Caritas Thurgau erhalten und sie zum Empfangsund Verfahrenszentrum Kreuzlingen gebracht. Die Leute haben sich sehr darüber gefreut. Ich setze mich dort auch für Minderjährige ein, sobald ich sehe, dass sie unzureichend betreut werden. Anderen zu helfen, gibt mir ein gutes Gefühl und ebensolches Gewissen.

Dominik Portmann, Treuhänder, Lohn-Ammannsegg Ich führe unter anderem für gemeinnützige Stiftungen die Buchhaltung. Nebenbei bin ich Präsident eines Fussballvereins. Aufgrund dieser beiden Tätigkeiten habe ich vor kurzem ein Mitglied unseres Vereins, welches sich in einer Notlage befand, an eine dieser Stiftungen weitergeleitet, wo sein Problem professionell angegangen und ihm geholfen wurde.

Noel Wartmann, Schüler, Emmenbrücke In meiner Nachbarschaft wohnt eine ältere Frau, die nicht mehr gut laufen kann. Einmal in der Woche gehe ich zu ihr, dann kaufen wir zusammen ein. Ich schaue, dass sie nichts vergisst und helfe ihr beim Tragen. Und manchmal essen wir auch ein Zvieri zusammen, da erzählt sie mir dann von damls, als sie selbst noch in die Schule ging.

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Caritas Sektion

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Caritas Thurgau

«Anderen etwas zuliebe tun, das nicht bezahlbar ist» Ihre Kindheit war geprägt von Knappheit und Verzicht. Das hat Annalis Müller stark geprägt. Heute hilft sie Menschen, die in prekären Situationen leben, und engagiert sich als Freiwillige bei Caritas Thurgau. Foto Lukas Fleischer Text Judith Meier Inhelder

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nnalis Müller wurde 1947 in Altdorf geboren, wo sie als Älteste von vier Kindern aufwuchs. Sie weiss, was es bedeutet, wenn kein Geld vorhanden ist: Die Verhältnisse, in denen die Familie lebte, waren ärmlich, Annalis Müller musste viel entbehren. Immerhin hatte sie die Möglichkeit, eine Lehre als Damenschneiderin zu absolvieren. Der Lohn war jedoch so tief, dass sie zeitweise in den Service wechselte.

Ihren Mann lernte Annalis Müller in Zürich kennen; damals war sie 25 Jahre alt. Mittlerweile leben die beiden bereits 43 Jahre miteinander. Ihrem Beruf blieb sie trotz Eheleben treu und bildete sich sogar in einer Modefachschule weiter. Aufgrund ihrer neu erworbenen Kompetenzen fand sie kurz darauf eine interessante Arbeitsstelle in der Industrie: Sie entwarf in einer Wäschefabrik diverse Kollektionen von Unterwäsche. Doch kam es erneut zu einer Wende, als die Fabrik 1999 schliessen musste. Annalis Müller fand glücklicherweise eine Anschlusslösung in einem Behindertenheim, wo sie die Wäscherei leitete.

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Engagement als Freiwillige Heute geht es ihr gut, gesundheitlich und finanziell, wie sie sagt. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben. Sie hat aber nie vergessen, wie hart sich das Leben während ihrer Kindheit zeigte. Dies ist ein ausschlaggebender Grund dafür, dass sie sich seit vielen Jahren in der freiwilligen Arbeit engagiert. So wurde sie im Jahr 1997 Vizepräsidentin des Gemeindevereins und 2002 dessen Präsidentin für acht Jahre. Danach entdeckte sie das Patenschaftsprojekt «mit mir» bei Caritas Thurgau und entschloss sich, als Gotte ein Kind aus einer armutsbetroffenen Familie zu betreuen. Als im Rahmen einer Weiterbildung «regionale Vermittlerinnen» gesucht wurden, sagte Annalis Müller sofort zu. Seither führt sie diese fordernde Aufgabe mit viel Begeisterung aus. Sie liebt die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Menschen und Familien und hat dabei viel gelernt über die Kommunikation und wie Menschen miteinander umgehen. Sie sagt: «Wichtig ist, dass wir mitleben, uns für die Menschen interessieren. So können wir auch feststellen, an was es mangelt, und entsprechende Lösungen finden. Die Patenschaften sind nicht nur

für die Kinder ein Gewinn, wir sind auch Ansprechpartner für die ganze Familie.»

Wertschätzung als Lohn Annalis Müller weiss, was es bedeutet, wenn das Geld für Ausflüge oder Spielsachen nicht ausreicht. Als Patin nutzt sie die Möglichkeit, Kindern etwas zu bieten, was sie zu Hause nicht erhalten. Als Vermittlerin gelingt es ihr, Kinder und die passenden Patinnen zusammenzubringen und so ein Fundament für eine gute Beziehung zu legen. Annalis Müller ist es wichtig, solidarisch zu sein mit Menschen, die benachteiligt oder sogar abgeschoben werden. Solidarität bedeutet für sie: «Anderen Menschen etwas zuliebe tun, was nicht bezahlbar ist. Sie unterstützen in ihren alltäglichen Sorgen.» Sie hat viel erreicht und möchte das weitergeben. Den Lohn für ihren Einsatz sieht sie in der grossen Wertschätzung, die ihr von den Kindern und den Familien entgegengebracht wird. Solidarisch zu handeln, heisst für sie auch, das eigene Leben zu bereichern.


Caritas Thurgau

Solidarität Text Leo L Leu Bild Conradin Frei

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er heilige Johannes Paul II. prägte den Satz: «Solidarität ist die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, weil wir für alle verantwortlich sind.» Es geht also um eine Entscheidung. Der Papst aus dem polnischen Krakau sieht zwei miteinander eng verbundene und aufeinander angewiesene Bereiche: den einzelnen Menschen und das Gemeinwohl; Ersterer ist im Letzteren eingebettet und dieses kann nicht ohne das einzelne Individuum bestehen.

Altchinesische Krankenkasse Die allgemeine Grundlage der Solidarität ist im heutigen Versicherungsprinzip besonders deutlich zu erkennen: Der Mensch zahlt regelmässig einen Betrag in eine Schatulle ein, damit er und alle Mitmenschen aus dieser schöpfen können, wenn es notwendig wird; das heisst, dass nicht nur der einzelne Mensch für sich allein steht, sondern alle für alle verantwortlich sind. Bleiben wir einen Augenblick beim Beispiel der Versicherung, nämlich mit einem Exkurs nach Asien, wo es mit der Bezahlung des Arztes umgekehrt war, als es in heutiger Zeit ist: Im alten China versorgte man, so-

lange man gesund war, den Arzt mit allem Lebensnotwendigen; man solidarisierte sich also mit ihm. Sobald nun aber jemand krank wurde, stellte er diese Unterstützung ein, um sie erst dann wieder aufzunehmen, wenn der Arzt ihn gesund gemacht hatte. Somit war gesichert, dass der Doktor sich alle Mühe gab, seinen Patienten rasch gesunden zu lassen, damit er wieder in den Genuss von dessen Zuwendungen kam.

Liberté, Egalité et Fraternité In der Politik wird und wurde das Wesen der Solidarität schon lange ge- und oft auch missbraucht; man denke nur an die so genannte «Umsetzung» von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit oder den «abgetretenen» Slogan «Einigkeit macht stark». Der Gedanke, der hinter dieser Liberté, dieser Egalité und dieser Fraternité steht, wäre also gut; was man hingegen oft aus ihm macht, steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Unter Napoleon III. wurden Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zur Parole, hatten es jedoch schwer, sich als treibende Worte und Mut machende Kraft festzusetzen. Erst nach 1871 etablierte sie sich endlich innerhalb der Dritten Republik, um

dann schliesslich zum Fundament der Fünften Republik ab 1958 zu werden. Heute kann man diese drei Wörter an den Wänden und Mauern aller Ratssäle, Gemeindehäuser, ja sogar in manchen Kirchen Frankreichs lesen.

Kirche und Politik: Solidarność Solidarität gehört – zusammen mit den Begriffen Gemeinwohl, Subsidiarität und Nächstenliebe – zu den eigentlichen und damit klassischen sozialphilosophischen Prinzipien. In der Enzyklika «PACEM IN TERRIS» («Über den Frieden auf Erden», 1963) von Johannes XXIII. und anlässlich des Zweiten Vatikanums in den Jahren 1962 bis 1965 wurde eine weltweite Ausbreitung der christlichen Nächstenliebe –

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Caritas Thurgau

CARITAS! – angestrebt und diese dann in der Enzyklika «POPULORUM PROGRESSIO» («Der Fortschritt der Völker») von Johannes Paul II. als Solidarität aufgenommen, ausgestaltet und durch denselben Papst, der ja einer der ersten Initianten der polnischen Arbeiterbewegung gewesen ist, eben in dieser Solidarność umgesetzt und angewendet. In seiner 1987 erschienenen Enzyklika «SOLLICITUDO REI SOCIALIS» («Die Sorge über die sozialen Anliegen») setzte Johannes Paul II. quasi der päpstlichen Sozialverkündigung die Krone auf: Verkündete und geforderte Solidarität ist der grundlegende Schwerpunkt innerhalb der Maximen der römisch-katholischen Kirche.

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Als Hilfswerk der katholischen Kirche hat sich auch die weltumspannende Caritas Solidarität auf die Fahne geschrieben. Wie aber kann unsere Institution den Solidaritätsbegriff umsetzen, auf welche Art ist es möglich, «karitativ solidarisch» zu werden? Was verstehen die Menschen unter Solidarität und Caritas? • Solidarität kann mit Gediegenheit, Echtheit, Verbundenheit oder Festigkeit erklärt werden; solidarisch sein heisst sich verbinden, zusammentun, für die Allgemeinheit da sein. • Caritas bedeutet «christliche Nächstenliebe», karitativ «von Nächstenliebe bestimmt», «wohltätig sein».

Die Verbindung dieser zwei Begriffe bietet sich allemal an: für den anderen, nächsten Menschen da sein, mit ihm fühlen und ihn verstehen wollen. «Nächste» können allerdings distanzmässig auch sehr weit von uns weg sein: Opfer von Kriegen und Naturkatastrophen, in Armut und Not lebende Menschen, unterdrückte Bevölkerungen. Also: «Nächste Menschen» sind überall dort, wo Menschen sind!


Kiosk

Liebe Caritas, wie kann ich mich als Freiwillige/r fßr Armutsbetroene engagieren?

AGENDA ÂŤEine Million SterneÂť

Vielen Dank, dass Sie uns bei unserem Einsatz fßr armutsbetroffene Menschen in der Schweiz unterstßtzen wollen. Grundsätzlich gibt es drei MÜglichkeiten, wie Sie diesen Menschen direkt oder indirekt helfen kÜnnen:

Im Zeichen der Solidarität werden am Dezember in der ganzen Schweiz Tausende Kerzen leuchten

Kantonale Opfer fĂźr die katholischen Kinder und Jugendhilfe der Caritas Thurgau Sammlung am November

1. Engagieren Sie sich freiwillig fĂźr Familien, die besonders auf Hilfe angewiesen sind. Schenken Sie ihnen Zeit und Aufmerksamkeit. Sie erhalten Einblicke in andere Lebenswelten und erfahren Wertschätzung fĂźr Ihr Engagement. Je nach CaritasOrganisation gestalten sich die Einsätze fĂźr Freiwillige unterschiedlich: vom punktuellen Anpacken an Anlässen Ăźber eine Patenschaft im Rahmen des Projekts ÂŤmit mirÂť bis zur regelmässigen Aushilfe im Caritas-Markt. Mehr dazu erfahren Sie auf der Webseite der Caritas-Organisation in Ihrer Region. 2. Oder unterstĂźtzen Sie uns mit einer Spende. Diese iesst in Hilfsprojekte, mit denen wir Armutsbetroenen unter die Arme greifen. Mit Ihrer Spende ermĂśglichen Sie uns, Familien auf dem Weg aus der Armut zu begleiten und die Lebensbedingungen aller Familienmitglieder dauerhaft zu verbessern. 3. An mehreren Standorten in der Schweiz betreibt Caritas Secondhand-Läden und Caritas-Märkte. Ihre Kleider-, Sachoder auch Warenspenden nehmen wir gerne entgegen. In welcher Form wir diese benĂśtigen, wie wir sie weiterverwenden und wem sie letztlich zugutekommen, erfahren Sie auf www caritas-markt ch oder auf der Webseite der CaritasOrganisation in Ihrem Kanton. Haben Sie eine Frage an uns? Senden Sie diese per E-Mail an nachbarn@caritas-zuerich ch Gerne beantworten wir diese in der nächsten Ausgabe

Finanzielle Patenscha en UnterstĂźtzen Sie Kinder in Ihrer Region Sinnvolle Freizeit fĂźr armutsbetroene Kinder im Kanton Thurgau Ihre ďŹ nanzielle Patenscha macht Klavierunterricht Fussball Aufgabenhilfe oder Kinderbetreuung auch fĂźr Familien in Not mĂśglich

Kurs Passantenhilfe fßr PfarreimitarbeiterInnen Informationen zum Umgang mit Passanten Januar – Uhr Im Zentrum Franziskus Weinfelden Eine Zusammenarbeit der Caritas Thurgau mit der Fachstelle Kirchliche Erwachsenenbildung Tel www keb kath tg ch

Vorschau Jahresversammlung Caritas Thurgau Do April

Patinnen und Paten fßr das Projekt mit mir Paten und Patinnen gesucht im Kanton Thurgau fßr das Patenscha sprojekt Haben Sie Interesse sich ein bis zwei Mal im Monat ein paar Stunden Zeit zu nehmen um diese mit einem Patenkind zu verbringen? Sie sorgen fßr Abwechslung in dessen Freizeit unternehmen kleine Ausßge besuchen ein Museum oder backen einen Kuchen Bei Interesse melden Sie sich bei der Projektleiterin Simone Rutishauser Tel srutishauser@caritas ch

Engagieren Sie sich jetzt Tel PC - - www caritas-thurgau ch

Nachbarn /


Gedankenstrich

Das bin auch ich A

rnold Schwarzenegger färbt sein ProďŹ lbild auf Facebook in Regenbogenfarben ein, die PaziďŹ stin Simone Weil geht 1936 in den Spanischen BĂźrgerkrieg, um fĂźr die kämpfenden Franco-Gegner zu kochen, Menschen reisen ans Mittelmeer, um Frontex zu Ăźberwachen, andere zĂźnden auf dem Bundesplatz Kerzen an, um sich mit den ermordeten Mitarbeitenden von ÂŤCharlie HebdoÂť zu solidarisieren. Aber was heisst das genau: sich solidarisieren? FĂźr mich hat es immer bedeutet, sich neben jemanden zu stellen, an ihre oder seine Seite, jemanden oder einander zu stärken. Nicht aus PichtgefĂźhl oder Erbarmen, sondern aus einer gleichberechtigten Verwandtschaft heraus, im Sinne einer ZusammengehĂśrigkeit, die letztlich mit jedem fĂźhlenden Wesen empfunden werden kann. Manchmal ist diese ZusammengehĂśrigkeit deutlicher: Solidarität mit dem streikenden Supermarktpersonal, Solidarität mit Menschen, die wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden, Solidarität mit von Ausschaffung bedrohten Nachbarn. Aber auch, wenn die Nähe hinsichtlich GeograďŹ e und Lebenssituation geringer

ist, kann man ZusammengehĂśrigkeit fĂźhlen: Solidarität mit den zu Tode Verurteilten in den USA, mit den kolumbianischen Blumenarbeiterinnen, den Wohnungslosen in Griechenland, mit den Inuit, denen der Lebensraum wegschmilzt. Solidarität muss nicht spektakulär sein, es nicht in eine Schlagzeile oder an eine Hauswand schaen. Ich war erst ein paar Monate an einer Arbeitsstelle, da bemerkte ich, dass es der Firma schlecht ging, dass LĂśhne zurĂźckgehalten und Beiträge an die beruiche Vorsorge nicht eingezahlt wurden. Nachdem ich den Chef damit konfrontiert hatte, begann er mich zu schikanieren, bis hin zum Vorwurf, ich hätte ihn bestohlen, und schliesslich der Drohung mit KĂźndigung. Meine beiden Kolleginnen stellten sich – trotz der unsicheren Lage – hinter mich. Wenn sie gehen muss, gehen wir auch. Wir blieben alle nicht mehr lange, aber diese Erfahrung hat mich weit Ăźber die Situation hinaus gestärkt. Es ist nicht leicht, Solidarität abzugrenzen von Nächstenliebe und MitgefĂźhl oder von Protektion, Seilschaft, Interessengemeinschaft. Aber man kann sie fĂźhlen. Sie sagt: Das kĂśnnte ich sein. Das bin auch ich.

Ulrike Ulrich lebt als freie Schri stellerin in ZĂźrich Nach den Romanen ÂŤfern bleibenÂť und ÂŤHinter den AugenÂť ist im Sommer ihr erster Erzählband ÂŤDraussen um diese Zeit“ erschienen Sie ist Mitherausgeberin der Anthologie ÂŤ Jahre Menschenrechte – literarische TexteÂť und engagiert sich fĂźr Schri steller/innen die staatlichen Repressionen ausgesetzt sind www ulrikeulrich ch

Nachbarn /


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