Luzern
Nr. 2 / 2020
Nachbarn
Solidarität in unsicheren Zeiten Die Corona-Krise trifft auch Menschen die bislang auf der sicheren Seite lebten Wir alle sind gefordert
Inhalt
Inhalt 3 Editorial Kurz & bĂźndig
4 News aus dem Caritas-Netz Schwerpunkt
Bild Zoe Tempest
6 Als das Arbeitsleben plĂśtzlich stillstand
Jacqueline Kßnti ist selbstständige Wochenbe begleiterin Im Lockdown konnte sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen und geriet wie so viele in finanzielle Schwierigkeiten
Schwerpunkt
Solidarität in unsicheren Zeiten Die Corona-Krise trifft diejenigen am heftigsten, die bereits vor der Krise wenig hatten. Besonders betroffen sind Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen: Arbeitnehmende im Stundenlohn, auf Abruf, schlecht bezahlt. Deren ohnehin unsichere Lage verschärfte sich oft dramatisch. Die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie treffen aber auch BevĂślkerungsgruppen, die scheinbar sicher unterwegs waren, beispielsweise Selbstständigerwerbende. Jacqueline KĂźnti, Wochenbettbegleiterin aus dem Kanton Bern, konnte nicht mehr zu den jungen MĂźttern nach Hause. Von einem Tag auf den anderen brachen ihr die Aufträge weg. Die Caritas konnte ihr mit einer ĂœberbrĂźckungszahlung durch die ärgste Phase von Unsicherheit helfen. Lesen Sie in dieser Nummer, wie die Caritas dank ihrer Erfahrung und der grossen Solidarität der BevĂślkerung hilft, und was Unsicherheit mit uns allen macht.
Schwerpunkt
10 Prekäre Arbeit: Leben mit der Unsicherheit PersÜnlich
12 ÂŤWann hast du zum letzten Mal jemandem geholfen? Wobei?Âť Caritas Luzern
14 Dank der Soforthilfe konnte ich meinen Kßhlschrank fßllen 16 Solidarität in der Corona-Krise 17 Lieber pragmatisch vorwärts als perfekt stillstehen 18 Neue Geschäftsleitung: Gemeinsam kÜnnen wir viel erreichen 20 Ein zweites Leben fßr Mode, MÜbel und Musik 21 Doppelte Freude mit der Weihnachtskarte von der Caritas Ich will helfen
22 Junge Freiwillige verhindern die Schliessung der Caritas-Märkte Kolumne
23 Das wunderliche GefĂźhl der Gemeinschaft
Spannende LektĂźre wĂźnschen wir!
ab Seite 2
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Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser
Die letzten Monate waren für alle von uns und für uns als Gesell schaft nicht einfach. Umso mehr berührt mich die grosse Solida rität, die die Caritas in dieser schwierigen Zeit erfahren durfte. In dieser Ausgabe erfahren Sie, wie wir dank den grosszügigen Spen den und einfallsreichen Sammelaktionen zahlreichen Menschen in akuten Notlagen rasch und unkompliziert helfen konnten. Ausserdem blicken wir in dieser Ausgabe mit Hans-Peter Widmer-Malatesta auf seine 24 Jahre als Leiter der beruflichen Integration zurück, besuchen einen unserer Secondhand-Läden und präsentieren Ihnen die neuen Caritas-Weihnachtskarten.
Bild: zvg
«Wer ist denn dieses neue Gesicht, dass mir an dieser Stelle entge genblickt?», mögen Sie sich fragen. Mein Name ist Daniel Furrer, am 12. Oktober habe ich die Geschäftsleitung der Caritas Luzern übernommen. Ich freue mich darauf, zusammen mit meinen engagierten Mitarbeitenden die Angebote und Projekte für Armutsbetroffene, Erwerbslose und Migrantinnen und Migranten in der Zentralschweiz weiterzuentwickeln. Mehr zu meiner Person erfahren Sie im Interview ab Seite 18.
Daniel Furrer Geschäftsleiter der Caritas Luzern
«Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen, erscheint zweimal jährlich: im April und im Oktober. Gesamtauflage: 34 200 Ex.
Die Corona-Krise wird uns noch lange begleiten. Tagtäglich wenden sich Betroffene an die Caritas Luzern, die nicht mehr weiterwissen. Wir dürfen diese Menschen nicht im Stich lassen. Wir hoffen deshalb weiterhin auf Ihre Solidarität und Unter stützung. Vielen Dank dafür!
Auflage Caritas Luzern: 8160 Ex.
Herzlich
Gestaltung, Produktion und Druck: Stämpfli AG, Bern
Daniel Furrer Geschäftsleiter der Caritas Luzern
Redaktion: Claudia Blaser, Jasmin Metzger (regional) Roland Schuler (national)
Caritas Luzern Brünigstrasse 25, Postfach 6002 Luzern Tel. 041 368 51 00 www.caritas-luzern.ch PC 60-4141-0 IBAN CH84 0900 0000 6000 41410
PS: Im Sinne der Nachhaltigkeit versuchen wir, möglichst ressour censchonend zu kommunizieren. Falls Sie künftig lieber auf die Papierversion verzichten und unser Magazin digital lesen möch ten, können Sie hier auf ein kostenloses Digitalabo wechseln: caritas-luzern.ch/nachbarn
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Kurz & bündig
Solidaritätsaktion «Eine Million Sterne»
Corona-Hilfe
Dieses Jahr ganz besonders nötig
Caritas unterstützt – in der Krise erst recht
Die Caritas-Solidaritätsaktion «Eine Million Sterne» findet dieses Jahr am 12. Dezember statt. Die Caritas macht dann besonders auf die wachsende Armut in der Schweiz aufmerksam und wirbt für Solidarität mit Betroffenen.
Für viele Menschen an oder unter der Armutsgrenze ist die Caritas in der Corona-Krise eine wichtige Stütze. Mithilfe der Glückske e und vieler grosszügiger Unterstützerinnen und Unterstützer hält Caritas in der Krise die Stellung.
In der Schweiz leben rund 1,2 Millionen Menschen unter oder knapp über dem Existenzminimum. Die Folgen der Corona-Massnahmen treffen diese Menschen besonders hart. Working Poor, Menschen in unsicheren Anstellungsverhältnissen oder in Branchen, die vom Lockdown besonders hart getroffen wurden, müssen noch mehr kämpfen, als dies vor «Corona» ohnehin schon der Fall war. Zurzeit sind die sozialen Folgen noch nicht absehbar. Sicher ist: Menschen in schwierigen Lagen brauchen unsere Unterstützung. Sie brauchen unsere Solidarität. Als Zeichen dieser Solidarität wird am Samstag, 12. Dezember 2020, in der ganzen Schweiz die Aktion «Eine Million Sterne» Kerzen zum Leuchten bringen. Save the date! Machen auch Sie Ihre Solidarität mit benachteiligten Menschen sichtbar, und reservieren Sie sich den 12. Dezember für ein Zeichen für eine faire Schweiz! Auf www einemillionsterne ch finden Sie ab November alle relevanten Informationen. Ebenfalls ab November können Sie Ihre Solidarität wieder mit einer der beliebten Wunschkerzen bekunden: www wunschkerze einemillionsterne ch
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Bild Dominic Wenger
Bild Thomas Plain
Die finanzielle Not von vielen Menschen an der Armutsgrenze wurde mit der Corona-Krise und dem Lockdown noch akuter. Schon früh war klar: Caritas muss trotz unklarer Lage und unter Schutzvorkehrungen für Mitarbeitende und Freiwillige ihre Angebote für Armutsbetroffene möglichst aufrechterhalten – jetzt erst recht. Das gelingt der Caritas dank motivierten Mitarbeitenden und Freiwilligen, der Glückskette und der grossen
Solidarität in der Bevölkerung. Aufgrund der Erfahrung der Caritas als Hilfswerk und der starken regionalen Verankerung konnte rasch und auf die Bedürfnisse in den Regionen abgestimmt reagiert werden. Die Caritas-Regionalorganisationen bieten Unterstützung mit ihren bewährten Angeboten wie den CaritasMärkten und den Sozial- und Schuldenberatungen. Hier wurden zum Teil neue Stellen geschaffen, um die hohe Anzahl Anfragen zu bewältigen. Direkt geholfen wird mit Einkaufsgutscheinen für die Caritas-Märkte, Aldi und Lidl im Wert von über 300 000 Franken sowie mit finanzieller Soforthilfe bei offenen Mietzins- oder Krankenkassenrechnungen im Wert von 2,6 Millionen Franken (Zahlen: Stand Ende August). Auch neue Angebote wurden ins Leben gerufen. www caritas ch/corona
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Kurz & bĂźndig
Caritas Schweiz
NEWS
Peter Marbet wird neuer Direktor
Danke fßr die vielen Meinungen! In der letzten Ausgabe des Nachbarn erfragten wir die Meinung unserer Leserscha zu unserem Magazin Erfreulich viele Leserinnen und Leser nahmen an der Umfrage teil Ganz herzlichen Dank dafßr! Aktuell läu die Auswertung Eine Schlussfolgerung lässt sich heute bereits ziehen Einer grossen Mehrheit gefällt das Nachbarn sehr Das freut uns natßrlich und spornt uns an fßr Sie weiterhin ein informatives und ansprechendes Magazin zu produzieren
Bild zvg
Caritas-Lieferdienst in Baselland
Der neue Direktor von Caritas Schweiz heisst Peter Marbet. Er tritt am 1. November 2020 die Nachfolge von Hugo Fasel an. Dieser geht nach zwÜlf Jahren an der Spitze der Organisation in Pension. Peter Marbet (Jahrgang 1967) stammt aus Bern und studierte neuere Geschichte und Politologie. Später absolvierte er die Ausbildung zum Executive Master of Business Administration in NPO-Management der Universität Freiburg. Der neue Caritas-Direktor bringt viel Management- und Fßhrungserfahrung sowie breite Kompetenzen in gesundheits-, bildungsund sozialpolitischen Fragestellungen mit. Diese erwarb er sich an verschiedenen beruflichen Stationen: als Informationsbeauftragter bei einer grossen Krankenversicherung, als Mitglied der Direktion bei santÊsuisse und Leiter der Abteilung Politik und Kommunikation sowie in seiner letzten Funktion als Direktor des Berner Bildungszentrums Pflege. Als Stadtrat der Stadt Bern (Legislative) und Mitglied verschiedener parlamentarischer Kommissionen ist er auch mit einer Vielzahl von sozialpolitischen Themen vertraut. Peter Marbet ßbernimmt die Leitung von Caritas Schweiz per 1. November von Hugo Fasel, der nach zwÜlf Jahren als Caritas-Direktor in Pension geht.
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Bleiben Sie zu Hause lautete das Gebot der Stunde während des Corona-Lockdowns in der ersten Jahreshäl e vor allem fßr Personen ab oder mit Vorerkrankungen Fßr die Armutsbetroffenen und -gefährdeten in ländlichen Gebieten weit weg vom Caritas-Markt in der Stadt musste eine LÜsung her Die Caritas beider Basel startete in enger Zusammenarbeit mit Pfarreien einen Lieferdienst Dieser läu bis mindestens Ende
Caritas Aargau erÜffnet eine weitere Sozialberatung Im Juni erÜffnete die Caritas Aargau eine neue Sozialberatungsstelle im Pfarreizentrum KleindÜ ingen Der Kirchliche Regionale Sozialdienst KRSD Zurzibiet wird die Seelsorge der Kirchgemeinden ergänzen und ermÜglicht es der Caritas nahe bei den Menschen Hilfe anzubieten Mit dem KRSD Zurzibiet startet bereits die achte Sozialberatungsstelle der Caritas Aargau www caritas-aargau ch/sozialberatung
Caritas Luzern Wechsel in der Geschä sleitung Daniel Furrer tri am Oktober die Nachfolge von Thomas Thali als Geschä sleiter der Caritas Luzern an Der politisch engagierte und gut vernetzte -Jährige wirkte vorher als stellvertretender Geschä sleiter und Leiter Dienstleistungen und Kommunikation beim SAH Zentralschweiz und ist Mitglied des Grossen Stadtrats Luzern Auch neu in der Geschä sleitung ist seit Anfang September Karin Hunziker Leiterin Berufliche Integration www caritas-luzern ch/geschae sleitung
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Rubrik
Der Lockdown verunmöglichte es Jacqueline Künti als Wochenbe begleiterin junge Mü er zu besuchen und sie zu unterstützen Sie geriet in finanzielle Ein Leben in Armut bringt Eltern an den Rand der Verzweiflung Schwierigkeiten Caritas konnte ihr und vielen und lässt Kinderträume platzen anderen helfen 6
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Schwerpunkt
Als das Arbeitsleben plötzlich stillstand Junge Mütter und ihre Neugeborenen zu begleiten, ist mit viel Nähe verbunden. Als Corona kam, fielen bei der freiberuflichen Wochenbettbegleiterin Jacqueline Künti die Aufträge weg. Entsprechend dankbar ist sie für die Unterstützung durch die Caritas. Text Ursula Binggeli Bilder Zoe Tempest
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enn Jacqueline Künti im Garten des Bauernhauses sitzt, in dem sie als Alleinerziehende mit ihren beiden Teenager-Töchtern lebt, umgeben von viel Grün und Blumen, wirkt sie ganz in ihrem Element, ein bisschen elfenhaft und doch geerdet. Der Eindruck täuscht nicht. Jacqueline Künti fühlt sich der Natur und den in ihr waltenden Kräften tief verbunden, ohne sich deswegen von den Menschen abzuwenden, im Gegenteil. Auf ihrer Website schreibt sie: «Begegnung erlebe ich in der freien Natur, im lebendigen Austausch mit offenen Menschen, durch Reisen, Ehren und Feiern verschiedener Kulturen und deren Ritualen.» Unter anderem gestaltet sie freie Willkommens- und Segnungszeremonien für Kinder. Der weite Horizont der früheren Kleinkindererzieherin schlägt sich aber auch in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit nieder.
Sorgsame Arbeit in Familien Jacqueline Künti hat in Deutschland die Ausbildung zur Familienlotsin absolviert und unterstützt nun als freiberufliche Fachfrau für Wochenbettbegleitung Familien mit einem Neugeborenen in der intensiven ersten Zeit zu Hause. «Wichtigste Ansprechperson für die Mütter ist stets die Hebamme, ich arbeite ergänzend.» Jacqueline Künti bereitet vollwertige, stillgerechte Mahlzeiten zu, sie wirft bei Bedarf eine Ladung Wäsche in die Maschine, sie betreut die grösseren Kinder – und sie widmet sich dem Baby und der Wöchnerin. Die Begleitung
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des Beziehungs- und Bindungsaufbaus zwischen Mutter, Kind und der Familie steht im Zentrum ihres Tuns. «Sie sollen gemeinsam wachsen können.» Achtsamkeit und Urvertrauen sind wichtige Stichworte für sie.
Ein harter Frühling 2020 – das fünfte Jahr ihrer Selbstständigkeit – fing gut an für Jacqueline Künti: Die Mund-zu-Mund-Propaganda schien zum Laufen zu kommen. Ihr Einkommen reichte zusammen mit den Alimenten und Kinderzulagen zum Leben. Aber dann kamen Corona und der Lockdown. «Mein Arbeitsleben stand von einem Tag auf den anderen praktisch still.» Laufende Aufträge wurden gestoppt, und neue Anfragen gab es keine. Sehr unsicher sei sie
«Corona hat mich schier zum Verzweifeln gebracht.» gewesen in jenen Wochen, erinnert sich Jacqueline Künti. Hätte sie überhaupt Familien aufsuchen dürfen? «Der Rahmen, in dem ich arbeite, ist doch sehr intim.» Auch als die Lockerungen kamen, blieben die Fragen. Ab wann waren Besuche am Wochenbett wie-
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Schwerpunkt
der vertretbar? Sollte sie mit einem Inserat Werbung für sich machen? Aber das schien ihr in der Zeit des grossen Abstandhaltens zu provokant. Jacqueline Künti und ihre Töchter mussten im März mit 1800 Franken auskommen, auch im April war dem so. «Wir sind es gewohnt, uns einzuschränken – in der Zeit meiner Ausbildung zur Familienlotsin wohnten
Viele sind der Unsicherheit weiterhin ausgeliefert. wir zu dritt in einer 2,5-Zimmer-Wohnung.» Aber Corona habe sie nun wirklich schier zum Verzweifeln gebracht. Mit Zuwendungen von Verwandten konnte sie nicht rechnen. Die Solidarität der älteren ihrer Töchter,
die derzeit in einer Kita ein Praktikum macht und ihr anbot, die Krankenkassenprämien bis auf Weiteres von ihrem kleinen Lohn selbst zu bezahlen, berührte sie tief.
Keine Hilfe vom Bund Wie Jacqueline Künti standen diesen Frühling viele freiberuflich Tätige wegen Corona vor einschneidenden finanziellen Einbussen. Viele sind der Unsicherheit weiterhin ausgeliefert. Während diejenigen, die von den Massnahmen des Bundes direkt betroffen waren und ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben konnten, schon bald wussten, dass sie finanzielle Unterstützung erhalten würden, blieben Freiberufler, die indirekt betroffen waren, bis Mitte April im Ungewissen. Als der Bund beschloss, auch ihnen finanziell unter die Arme zu greifen, war Jacqueline Küntis Freude nur von kurzer Dauer. Ihr Gesuch wurde abgelehnt – der von ihr als Wochenbettbegleiterin erzielte Gewinn lag
Es braucht die Nähe Jacqueline Künti unterstützt junge Mü er in der ersten Zeit nach der Niederkun
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leicht unter dem unteren Limit für den Anspruch auf Unterstützung. «Meine Einnahmen aus den Ritualbegleitungen wurden nicht mitgerechnet, ja, nicht einmal erwähnt, und auch das Ausfallen der von mir für das Jahr 2020 neu aufgegleisten Kurse für Schwangere wurde nicht berücksichtigt.» Der negative Bescheid schmerzte. «Für mich ist er unverständlich. Er hat mich wütend gemacht.»
UNSICHERHEIT BELASTET Prof Dr Christoph Flückiger ist Leiter Allgemeine Interventionspsychologie und Psychotherapie an der Universität Zürich
Bild zvg
Grosse Solidarität Zum Glück hatte Jacqueline Künti schon früh auch nach nicht staatlicher Hilfe Ausschau gehalten. Sie wandte sich an die Caritas. Dort war man auf Anfragen wie die ihre vorbereitet. Dank einem Spendenaufruf
«Ich denke an die jungen Familien, die in der Krise erst recht allein waren.» zusammen mit der Glückskette stehen Gelder zur Verfügung, die für Menschen eingesetzt werden können, die ohnehin in bescheidenen Verhältnissen leben und wegen Corona in akute finanzielle Bedrängnis gerieten. Brigitte Raviele von der Caritas Bern: «Neben freiberuflich Tätigen sind es auch von Kurzarbeit Betroffene mit niederen Einkommen, die an uns gelangen. Bis heute bearbeiteten wir im Kanton Bern mehrere hundert Anfragen.» Die Caritas konnte Jacqueline Künti mit Beratung und einer Überbrückungszahlung direkt helfen. Die Unterstützung durch die Caritas trug wesentlich dazu bei, dass Jacqueline Künti den Boden unter den Füssen nicht verlor. Dass in der ländlich geprägten Ortschaft, in der sie wohnt, viel nachbarschaftliche Solidarität spürbar ist, tat zusätzlich gut. Auch in der grossen, selbst verwalteten Hausgemeinschaft, in der ihre Töchter und sie seit drei Jahren leben, fühlt sie sich aufgehoben. «Ich schöpfte neuen Mut.»
Eine neue Klarheit Die Angst vor einer neuen Corona-Welle stellt Jacqueline Künti bewusst auf die Seite, sie fokussiert den Neustart. Der Weg zu einer Form von Normalzustand sei sicher noch lang, sagt sie, aber langsam gehe es mit Aufträgen wieder aufwärts. «Ich denke an die vielen jungen Familien, die in der Krise erst recht allein gewesen sind, und spüre eine neue Klarheit in mir. Für sie will ich da sein. Ich bin bereit.»
Viele erlebten und erleben Unsicherheit aufgrund von Corona Was löst diese Unsicherheit in uns aus? Es ist emotional belastend wenn wir aus der Routine und den Gewohnheiten geworfen werden und die Dinge nicht mehr so wie gewohnt einigermassen vorhersagbar sind Dies reduziert das Gefühl die Dinge unter Kontrolle zu haben Grundsätzlich sind Menschen ganz allgemein relativ intolerant gegenüber Unsicherheit auch wenn wir das kalkulierbare Abenteuer bis zu einem gewissen Punkt auch gerne suchen Auf gesellschaftlicher Ebene Führt kollektive Unsicherheit zu mehr Solidarität? Ja sicher jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt Solidarität ist immer mit der Frage verbunden gegenüber wem wir uns solidarisch zeigen Interessanterweise übertragen wir die unangenehmen Dinge gerne nach aussen So war die Grippe «spanisch» Corona ist «chinesisch» Was Solidarität zu echter Solidarität macht ist wenn wir uns in andere hineinversetzen und die Welt aus der Sicht der andern in unsere eigene Sichtweise integrieren Sich in Unsicherheit in andere zu versetzen macht uns Menschen menschlich Können wir etwas lernen aus der erlebten Unsicherheit? Mir kommt spontan Wolf Biermanns Lied «Ermutigung» in den Sinn «Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit Die allzu hart sind brechen Die allzu spitz sind stechen Und brechen ab sogleich » Sich Unsicherheit einzugestehen hat wohl immer auch mit Mut zu tun sich seiner eigenen Unzulänglichkeit Weichheit und Verletzlichkeit gewahr zu werden und diese sich selbst und auch andern offenzulegen Unsicherheit stellt immer auch die Frage was mir wichtig ist und von welchen Werten ich mich leiten lasse
www familienlotsinn ch
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Schwerpunkt
Prekäre Arbeit Leben mit der Unsicherheit In der Corona-Krise zeigt sich: Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen sind stark betroffen von den Pandemiemassnahmen. Prekäre Arbeit gibt es in der Schweiz in verschiedenen Formen. Neben finanzieller Unsicherheit bringt sie oftmals eine mangelhafte Absicherung und eingeschränkte Zukunftsperspektiven mit sich. Text Anna-Katharina Thürer Grundlagen Caritas Zürich Illustration Corinne Bromundt
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ie Schweiz verdankt einen Teil ihres wirtschaftlichen Erfolgs einer vergleichsweise liberalen Arbeitsgesetzgebung, die nur einen schwachen Kündigungsschutz bietet und keine obligatorische Krankentaggeldversicherung beinhaltet. Ausserdem sind ganze Sektoren wie die Landwirtschaft oder Hauswirtschaft nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt. Kein Zu-
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fall: Gerade in diesen Sektoren finden sich viele prekäre Arbeitsverhältnisse. Solche sind auch in Arbeitsformen weitverbreitet, die über Online-Plattformen organisiert werden (z.B. Reinigungs- oder Kurierarbeit). Diese wirtschaften arbeitsrechtlich in einem Graubereich. Man kann also sagen: Prekäre Arbeitsverhältnisse werden oft gerade durch fehlende Regulierung begünstigt.
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Schwerpunkt
Arm trotz Erwerbsarbeit Prekäre Arbeit bedeutet für die Betroffenen einen hohen Grad an Unsicherheit und damit verbundene Zwänge. Die Unsicherheit bezieht sich auf Arbeitszeiten (z.B. auf Abruf zu arbeiten oder befristet angestellt zu sein), aber auch auf finanzielle Unsicherheit oder mangelhafte Absicherung gewisser Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Altersarmut. Die Zahlen des Bundes weisen aus, dass sich prekäre Arbeit mehrheitlich in den klassischen Tieflohnbranchen findet, beispielsweise im Gastgewerbe, in der Reinigung, aber auch in der Dienstleistungsbranche und im Kunstbetrieb. Nicht alle Erwerbstätigen tragen ein gleich grosses Risiko für prekäre Arbeit: Betroffen sind besonders häufig
Prekäre Arbeitsverhältnisse wirken sich auf viele andere Lebensbereiche aus. Frauen, jüngere Arbeitnehmende, Personen mit tiefem Bildungsstand und Menschen ohne Schweizer Pass, vor allem solche mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Prekäre Arbeitsverhältnisse wirken sich auf viele andere Lebensbereiche aus und erhöhen das Armutsrisiko.
Wenig Forschung Stellt man jedoch Fragen zu prekärer Arbeit, so zeigt sich schnell, dass es hierzulande nur wenig Forschung zum Thema gibt. Gemäss Zahlen des Bundes sind rund 2,5 Prozent der Erwerbstätigen in prekären Arbeitsverhältnissen tätig. Diese Quote basiert allerdings auf einer sehr eng gefassten Definition von prekärer Arbeit, die einige Betroffenengruppen wie Sans-Papiers und gewisse Arbeitsformen (z. B. gut bezahlte, aber auf kurze Zeit befristete Arbeit) ausschliesst. Eine Erweiterung der Definition wäre wichtig, um das wahre Ausmass unsicherer Arbeit in der Schweiz zu erfassen und die Betroffenen besser zu schützen – und Armut vorzubeugen. Keine Absicherung in der Krise Die Corona-Krise hat uns einerseits vor Augen geführt, wie stark wir als Gesellschaft von prekärer Arbeit abhängig sind. Andererseits wurde ersichtlich, wer besonders schlecht vor Risiken geschützt ist. Deutlich wurde, wie das Schweizer System der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sicherung, das sich stark an einer unbefristeten Vollzeitstelle orientiert, an seine Grenzen stösst. Denn gerade für prekär Arbeitende steigt durch die Corona-Krise das Risiko für Verschuldung und Altersarmut.
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Kommentar
Arbeit muss existenzsichernd sein Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass viele Menschen in der Schweiz in prekären Situationen leben. Das trifft besonders auf Arbeitnehmende in Tieflohnstellen und ungeregelten Arbeitsverhältnissen zu. Tieflohnbranchen wie die Gastronomie, das Reinigungsgewerbe und der Detailhandel sind infolge der Krise stark von Kurzarbeit betroffen. 80 Prozent Lohnersatz ist für die meisten Angestellten nicht existenzsichernd. Kurzarbeit hat Entlassungen auch nicht verhindert. Viele haben ihre Einkommensquelle ganz verloren. In Tieflohnbranchen sind befristete Arbeitsverträge oder Arbeit auf Abruf im Stundenlohn weitverbreitet. Solche Arbeitsverhältnisse bieten keinerlei Sicherheit. Das Gros der auf Abruf Angestellten hat kein garantiertes Minimum an Arbeitsstunden und muss trotzdem jederzeit verfügbar sein. Braucht der Arbeitgeber sie nicht, bietet er sie nicht auf. Kündigen muss er ihnen nicht. Die Betroffenen haben ohne Kündigung aber keinen Anspruch auf Arbeitslosengelder. Die Caritas fordert, dass die Kurzarbeitsentschädigung bei tiefen Einkommen 100 Prozent des Lohnes entspricht. Zudem müssen Arbeitgebende verpflichtet werden, Arbeitsmodelle zur Verfügung zu stellen, die existenzsichernd sind. Dazu muss insbesondere Arbeit auf Abruf gesetzlich besser geregelt werden. Und es braucht einen schweizweiten Mindestlohn.
Aline Masé Leiterin Fachstelle Sozialpolitik Caritas Schweiz
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PersĂśnlich
ChloĂŠ Jahre geht in die Klasse und wohnt in BĂźlach Sie findet es schĂśn dass Kinder an andere Menschen denken Und sich darum kĂźmmern dass diese auch in schweren Zeiten Freude haben 12
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Persönlich
«Wann hast du zum letzten Mal jemandem geholfen? Wobei?» Bei allem Unbill, den das Coronavirus und die Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung für Betroffene bedeutet: In der Krise gab und gibt es viel Solidarität. Mit kleinen und grossen Gesten der Solidarität wird der Alltag für viele leichter. Oft braucht es nicht viel, um Erleichterung zu verschaffen und Freude zu bereiten.
Ismail Mahmoud, Student, Basel Kürzlich bei einer Schnitzeljagd rannte ich auf der Suche nach dem nächsten Posten durch den Bahnhof Basel. Plötzlich sah ich, wie eine Frau beim Einsteigen in einen Zug ausrutschte und zu Boden fiel. Ich half ihr auf, unterhielt mich kurz mit ihr, holte ihren Koffer unter der Eisenbahn hervor und begleitete sie in den Zug hinein. Danach schnappte ich mir den dritten Rang bei der Schnitzeljagd.
Ingrid Breuss, Sekretärin, Freidorf Vor Kurzem hielt vor unserem Haus ein Auto. Die Lenkerin stieg aus. Ich vermutete, dass sie eine Autopanne hatte. Im Wagen sassen eine ältere Frau und ein kleines Kind. Ich ging hin und fragte, ob ich helfen könne. Das verneinte die Fahrerin. Da es sehr heiss war, brachte ich ihnen etwas zu trinken und führte sie zu einem schattigen Platz, wo sie auf den Pannendienst warten konnten.
Patrick Lang, Tramführer, Zürich Eine Bekannte musste zwei defekte Tagesdecken ersetzen. Da sie zur Covid-19-Risikogruppe gehört, zögerte sie, in ein grosses Geschäft zu fahren, um neue Decken zu kaufen. Im Alltag geht sie in ein lokales Geschäft einkaufen, bei dem sie weiss, wann es wenig Leute hat. Als sie mir dies erzählte, bot ich ihr spontan an, die Decken für sie zu besorgen. Das war eine grosse Erleichterung für sie.
Lena Rodriguez, Schülerin, Luzern Wir gestalten im Handarbeitsunterricht gerade ein Kissen. Gestern habe ich einer Klassenkameradin beim Bedrucken geholfen. Sonst wäre sie nicht rechtzeitig fertig geworden und hätte nachsitzen müssen. Dank meiner Hilfe konnten wir beide die Arbeit zum Schluss der Stunde abschliessen. Ich finde es wichtig, dass wir in der Schule zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen.
Seraina Brem, Praktikantin, Berikon Zuletzt geholfen habe ich in den Sommerferien. Als Leiterin war ich zwei Wochen in einem Lager für Kinder und Jugendliche. Dort fallen verschiedene Aufgaben an: Kinder wecken, Programme durch den Tag leiten, Rucksäcke packen, Lagertagebuch schreiben und vieles mehr. Jedes Jahr freue ich mich auf das Lager, da es für mich schon als Kind immer ein tolles Erlebnis war. Nun konnte ich selbst im Team mitwirken.
Sophie Rutishauser, Schülerin, Münsingen Im Flussbad «Schwäbis» habe ich letzthin ein paar Kindern einen Pneuschlauch gegeben. Eigentlich wollte ich ihn selbst benutzen. Doch ich merkte, dass die Kinder ebenso gerne auf ihm den Fluss hinuntertreiben wollten. Ich bin ihnen dann mitsamt dem Pneu flussaufwärts entgegengeschwommen, um ihn zu übergeben. Sie freuten sich sehr über das «Geschenk».
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Caritas Luzern
«Dank der Soforthilfe konnte ich meinen Kühlschrank füllen» Die Corona-Krise stürzt zahlreiche Menschen, die bereits vorher am Existenzminimum lebten, in eine akute Notsituation. Sie wissen nicht, wie sie ihre Miete oder offene Rechnungen bezahlen sollen. Die Caritas Luzern leistet rasch und unkompliziert Hilfe. Doch langfristig sind andere Massnahmen nötig. Text: Claudia Blaser Bilder: Conradin Frei
«I
ch hatte kein Geld mehr für Lebensmittel. Auch die Krankenkassenprämie und die Miete konnte ich nicht mehr bezahlen. Ich wusste nicht, wie ich meine Familie weiter über Wasser halten sollte», erzählt Susanne Moser* bedrückt. Vor der Corona-Kri se kamen sie, ihr Mann und ihre drei Kinder dank ih rem Einkommen als Coiffeuse knapp über die Runden. Doch dann musste sie aufgrund der Corona-Pandemie ihren Salon von einem Tag auf den anderen schliessen und stand plötzlich ohne Einnahmen da. «Eine Zeit lang konnten wir von meinem Ersparten leben. Doch
das Geld war aufgebraucht, bevor die Erwerbsersatz entschädigung ausbezahlt wurde.» Geplagt von quä lender Ungewissheit und Existenzängsten wendete sich Susanne Moser an die Caritas Luzern.
«Für die Hilfe der Caritas Luzern bin ich sehr dankbar.» Ein Lichtblick in schwierigen Zeiten. «Nach einem kurzen Beratungsgespräch am Telefon erhielt ich das Antragsformular und nur wenige Tage später bereits den positiven Bescheid.» Die Sozial- und Schuldenberatung der Caritas Luzern hat in den letzten Monaten Hunderte von Menschen wie Susanne Moser unterstützt, die bereits vorher mit einem engen Budget leben mussten und aufgrund der Corona-Krise in eine akute Notlage geraten sind. Die Überbrückungshilfe umfasst Beratungen, Lebensmittelgutscheine und einmalige Finanzhilfen. Für Susanne Moser und ihre Familie war sie ein Lichtblick in dieser schwierigen Zeit. «Mit dem Notbatzen konnte ich meinen Kühl schrank füllen und die wichtigsten Rechnungen be zahlen, bis ich meinen Salon wieder öffnen durfte. Für diese Hilfe bin ich sehr dankbar.»
Im Caritas-Markt erhält Susanne Moser vergünstigte Lebensmittel für ihre Familie (Symbolbild).
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Über 350 000 Franken für mehr als 600 Betroffene Heidi Ragonesi kennt viele solche Geschichten. Die 60-jährige Sozialarbeiterin arbeitet seit über 20 Jah ren bei der Sozial- und Schuldenberatung der Caritas Luzern. «Viele Betroffene der Coronakrise versuchen zuerst, sich aus eigener Kraft durchzuschlagen und setzten dafür ihre letzten Ersparnisse ein. Weil sie sich schämen, melden sie sich erst bei uns, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sehen.» Die Zahl der Beratungs gespräche und der eingegangenen Unterstützungsge
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Caritas Luzern
«Mit dem Notbatzen der Caritas konnte ich die wichtigsten Rechnungen bezahlen (Symbolbild).»
suche bei der Sozial- und Schuldenberatung hat sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vervielfacht. Vor allem Kleingewerbler, Alleinerziehende, Arbeitneh mende aus dem Gastgewerbe und Leute, die temporär arbeiten, melden sich. Bis Mitte September konnten mittels Soforthilfe 610 Personen mit einem Gesamtbe trag von 343 565 Franken unterstützt werden.
Unterstützung wird noch lange notwendig sein Die aktuelle Entwicklung lässt keinen Zweifel dar an, dass diese Form von Unterstützung auch weiter hin notwendig sein wird, damit nicht immer mehr Menschen in die Armut gedrängt werden. Doch für die längerfristige Abfederung der Konsequenzen sind andere Massnahmen nötig. Die Caritas Luzern appel lierte deshalb bereits ans Kantonsparlament und for derte die Verdoppelung der Prämienverbilligung und bei Kurzarbeit eine hundertprozentige Lohnfortzah lung für Beschäftigte im Niedriglohnbereich. Heidi Ragonesi bedauert sehr, dass sämtliche Vorstösse in diese Richtung abgelehnt wurden. «Die Schwächsten unserer Gesellschaft dürfen in dieser Krise nicht ver gessen gehen. Tagtäglich kommen Menschen zu uns, die einfach nicht mehr weiterwissen. Wir werden für sie einstehen und sie nicht alleine lassen.»
«Die Schwächsten unserer Gesellschaft dürfen nicht vergessen gehen.»
HELFEN SIE MIT Die Lage ist für viele Menschen, die bereits vor der Corona-Krise am Existenzminimum gelebt haben, dramatisch. Das Team unserer Sozial- und Schuldenberatung hilft den Betroffenen während dieser Ausnahmesituation über die Runden zu kommen – mit einmaligen Finanzhilfen, Lebensmittelgutscheinen, einer Budgetberatung und weiteren Sofortmassnahmen. Damit wir unser Angebot aufrechterhalten können, sind wir dringend auf Ihre Spenden angewiesen. Setzen Sie ein solidarisches Zeichen für die Schwächsten unserer Gesellschaft. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung. www.caritas-luzern.ch/coronahilfe
* Name zum Schutz der Person geändert.
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Caritas Luzern
Solidarität in der Corona-Krise Die Corona-Krise hat in der Schweiz eine Welle der Solidarität ausgelöst. Die Spenderinnen und Spender der Caritas Luzern zeigen sich in dieser schwierigen Zeit sehr grosszügig. Einige haben sich ganz besondere Solidaritätsaktionen einfallen lassen – so etwa Hans und Erika Koch und Christel Müller. Text: Claudia Blaser Bilder: Claudia Blaser/zvg
Hans und Erika Koch mit der Marktleiterin Daniela Bürki (Mitte) im Caritas-Markt Luzern.
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ie Corona-Krise stellt den Alltag in der Schweiz auf den Kopf. Doch sie bringt auch Positives hervor. Verschiedenste Unternehmen, Vereine und Privat personen haben in den letzten Mo naten Projekte und Aktionen lan ciert, um die von der Corona-Krise Betroffenen zu unterstützen.
Frische Backwaren Hans und Erika Koch aus Weggis halfen mit ihrer Spendenaktion gleich doppelt: Sie versorgten die Caritas-Märkte in der Zentral schweiz wochenlang mit frischer Backware und unterstützten gleich zeitig den Bäckereibetrieb ihres Sohnes, der stark unter den Auswir kungen des Lockdowns litt. «In den Medien hörte ich, wie gross der Be darf in den Caritas-Märkten war», erzählt Hans Koch. «Meine Frau und ich wollten etwas für die Men schen in Not in der Zentralschweiz unternehmen, also machten wir dem Hilfswerk folgendes Angebot: Die Caritas Luzern kauft Backwaren für einen mittleren fünfstelligen
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Betrag in der Bäckerei Koch und wir übernehmen die Rechnung.» Dem Ehepaar war es sehr wichtig, dass ihre Spende direkt bei den Betroffe nen ankommt und möglichst vielen Menschen in der Region hilft. «Es freut uns sehr, dass wir das Budget von armutsbetroffenen Menschen in der Zentralschweiz entlasten und ihnen diese schwierige Zeit mit Gipfeli, Nussstangen und Birnen weggen etwas versüssen konnten.»
Hoffnungsvolle Märchen Auch Christel Müller, einer Märchen erzählerin aus Meggen, war es ein grosses Anliegen, Menschen in Not zu unterstützen. «Weil meine Mär chenabende während des Lockdowns nicht stattfinden durften, verschick te ich jede Woche ein Märchen per
E-Mail», erzählt Christel Müller. «Märchen sind immer auch Hoff nungsgeschichten, die uns auf zeigen, wie wir mit schwierigen Lebenssituationen umgehen und Lösungen finden können», ist sie überzeugt. Da das Echo so überwäl tigend war, entschied sie sich, ihre klugen Märchengeschichten auch als kleines Büchlein herauszuge ben. «Ein Märchenfreund, Mitgrün der der historischen Druckwerk statt im Kloster Einsiedeln, war mir bei der Realisation des Büchleins eine grosse Hilfe, denn alleine hätte ich dies nicht bewerkstelligen kön nen.» Anstatt die Büchlein zu ver kaufen, baten die zwei die Leserin nen und Leser um eine Spende an die Caritas Luzern. «Das ist unser Beitrag für all jene, die aufgrund der Corona-Krise in Not geraten sind.»
Christel Müller mit ihrem Märchenbüchlein.
Ein herzliches Dankeschön! Während der letzten Monate durften wir viele grosse und kleine Spenden entgegennehmen. Ohne diese Hilfe hätten wir unsere Angebote nicht aufrechterhalten können. Es berührt uns sehr, dass sich in diesen schwierigen Zeiten so viele Menschen solidarisch gezeigt haben. All unseren Unterstützerinnen und Unterstützern danken wir ganz herzlich!
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Caritas Luzern
«Lieber pragmatisch vorwärts als perfekt stillstehen» Hans-Peter Widmer-Malatesta hat die berufliche Integration bei der Caritas Luzern mit aufgebaut. Nun verabschiedete sich der langjährige Bereichsleiter in seine wohlverdiente Pension. Wir haben mit ihm auf 24 bewegte Jahre zurückgeschaut. Text: Claudia Blaser Bild: Raphael Wicki
Stillstand war für Hans-Peter Widmer-Malatesta nie eine Option.
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or knapp einem Vierteljahr hundert startete Hans-Peter Widmer-Malatesta seine Tä tigkeit bei der Caritas Luzern mit der Errichtung des Bauteilmarktes in Sursee. Kurz darauf wurde er von der Geschäftsleitung damit beauf tragt, alle Beschäftigungsprogram me unter einem Dach zusammen zulegen und zu koordinieren. Vier Jahre später, im Jahr 2000, begann er als Bereichsleiter und Geschäfts leitungsmitglied, den heutigen Be reich der beruflichen Integration mit aufzubauen. «Damals war noch vieles möglich. Konzepte schrieben wir meist erst, wenn das Angebot schon stand», erklärt er augenzwin kernd.
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Bereits im Spätsommer 2000, fast schon übermütig, konnte er die Geschäftsleitung von einem neuen Standort, der Bleicherstrasse in Lu zern, überzeugen. Das war ein rich tungsweisender Entscheid für die Gesamtorganisation. «Der Mietzins war nicht gerade niedrig. Ich sehe heute noch das bleiche Gesicht von Werner Riedweg, dem damaligen Geschäftsleiter, vor mir, als ich den Antrag einreichte.» Über die Jahre kamen viele weitere Standorte und Geschäftsfelder dazu. Stillstand war nie eine Option für WidmerMalatesta. «Es war sicher nicht im mer für alle einfach, mit mir, mei nen verrückten Ideen und meiner Getriebenheit umzugehen», gibt er lachend zu. Doch sein ausserordentliches Engagement zeigte Wir kung: Heute ist die Caritas Luzern die grösste Anbieterin von Ange boten in der beruflichen Integra tion in der Zentralschweiz. Bis zu 300 Plätze stehen Menschen, die stellenlos sind oder von Sozial hilfe leben, zur Verfügung: Die Ar beitsplätze befinden sich in Velo werkstätten, Restaurants, in einer Schreinerei oder im Räumungsund Abholservice in Luzern, Hoch dorf, Sursee, Baar und Kerns. «Vor allem für ältere Berufsleute, die ihre Stelle verloren haben, und für Ungelernte ist der Wiederein stieg schwierig», so die Erfahrung von Hans-Peter Widmer-Malatesta. «Unsere Aufgabe ist es, die Teilneh menden der Arbeitsintegrationspro
gramme so gut wie möglich auf den Wiedereinstieg in den ersten Ar beitsmarkt vorzubereiten. Sie sollen viel lernen und wichtige Erfahrun gen mitnehmen können. Wir möch ten konkrete Arbeit anbieten, nicht einfach nur ‹beschäftigen›.» In den letzten 24 Jahren hat sich in der beruflichen Integration viel ver ändert – vor allem gesetzlich. Die Anforderungen der Arbeitslosenver sicherung wurden verschärft, die Stellensuchenden haben immer we niger Taggelder zur Verfügung. Auch lastet ein massiver Spardruck auf den Gemeinden. «Es wird ge spart auf dem Buckel der Erwerbs losen und Ausgesteuerten», bedau ert Hans-Peter Widmer-Malatesta. Die grossen Herausforderungen für die Zukunft sieht er in der Zusam menarbeit mit der Wirtschaft: «Wir wären natürlich froh, wenn alle Leute eine Stelle finden und es uns nicht mehr geben müsste. Doch das ist illusorisch. Darum müssen wir noch enger mit der Wirtschaft zu sammenarbeiten.» Diese Aufgabe übergab er per An fang September der neuen Leiterin Karin Hunziker. Nun freut er sich darauf, mehr Zeit mit seiner Frau und seinen Enkelkindern zu ver bringen. «Hoffentlich geht mein al ter Leitspruch auch nach meinem Abschied nicht vergessen», fügt er abschliessend an. «Lieber pragma tisch vorwärts, als perfekt stillste hen.»
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«Gemeinsam können wir viel erreichen.» Seit dem 12. Oktober besteht die Geschäftsleitung der Caritas Luzern aus Daniel Furrer (Geschäftsleiter), Karin Hunziker (Leiterin Berufliche Integration) und Doris Nienhaus (Leiterin Soziale Integration). Die beiden Neuzugänge Daniel Furrer und Karin Hunziker stellen sich im Interview vor. Interview und Bild: Jasmin Metzger
Daniel Furrer, Geschäftsleiter, und Karin Hunziker, Leiterin Berufliche Integration, im Interview.
Hattet ihr vor eurem Antritt bereits Berührungspunkte mit der Caritas? Daniel Furrer: Witzigerweise erfolgte mein erster Schritt ins Berufsleben bei der Caritas. 1988 absolvierte ich ein Praktikum im Asylzentrum Emmenbrücke. Seit her habe ich die Entwicklung der Caritas aus der Ferne mitverfolgt. Als ich vor rund sieben Jahren zum SAH Zentralschweiz wechselte, intensivierte sich natürlich mein Interesse sowie der Austausch mit der Caritas. Karin Hunziker: Die Caritas kenne ich seit vielen Jahren, auch als Leserin des Sozialalmanachs, die re gionale Caritas durch meine beruflichen Tätigkeiten.
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Vor fünf Jahren konnte ich im Rahmen einer Weiter bildung einen Praxistag in der Caritas Luzern mitma chen und habe so den Betrieb an der Grossmatte Ost kennengelernt.
Was hat euch motiviert, diese Aufgabe zu übernehmen? DF: Die Caritas Luzern ist in der öffentlichen Wahr nehmung in der Zentralschweiz nach wie vor die Num mer eins der sozialen Institutionen, eine Organisation mit Gewicht und Relevanz. Damit lässt sich viel Posi tives bewirken für Menschen in schwierigen Lebenssi
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tuationen. So klischeehaft das vielleicht daherkommt, aber «etwas Gutes tun» ist ein zentraler Grundpfeiler für meine persönliche Motivation. KH: Mein Wunsch war, weiterhin in der Arbeitsinte gration tätig zu sein, diese Aufgaben liegen mir auch persönlich am Herzen. Besonders gefällt mir, dass ich mit den Werkstätten und Betrieben wieder nah «am
«Gutes tun ist ein zentraler Grundpfeiler für meine persönliche Motivation.» Puls» bin. Spannend ist auch das breite Wirkungsfeld der Caritas Luzern und ihr damit verbundenes Knowhow. Beides ergibt für mich ein spannendes Arbeits umfeld.
Welche Stärken und Erfahrungen bringt ihr mit? DF: Was mir in dieser Position sicher hilft, ist, dass ich auf ein breites Spektrum an Berufs- und Lebenser fahrung zurückblicke. Das gibt mir Gelassenheit und eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung. KH: Meine Erfahrungen in der Arbeitsintegration, Kenntnisse der Systeme der sozialen Sicherheit und Projektmanagement sind sicher hilfreich für meine Funktion. Ich bin Macherin, Entwicklerin, Vernetze rin aus der Überzeugung, dass wir gemeinsam viel er reichen können. Was macht euch am meisten Mühe, wenn ihr an Armutsbetroffene in der Zentralschweiz denkt? DF: Armut wird in unserer reichen Schweiz von vielen Menschen schlicht nicht wahrgenommen. Dabei ist auch in der Zentralschweiz rund jeder zehnte Mitmensch von Armut betroffen. Dass die alleinerziehende Mutter von nebenan oder der Kol lege im Fussballverein in relativer Armut leben und sich nicht oder nur sehr beschränkt am gesellschaft lichen Leben beteiligen können, sind sich die meisten Zentralschweizer*innen nicht bewusst. Und gerade deshalb geraten die Rechte dieser Menschen immer wieder unter Druck, und soziale Errungenschaften werden in Frage gestellt. Das darf nicht sein, und ge gen dieses «Wegschauen» setzt sich die Caritas Luzern zum Glück ein. KH: Armutsbetroffene haben wenig Lobby und sind wenig sichtbar, weil sie sich oft für ihre Situation schämen. Das macht es als Gesellschaft einfacher, zu schweigen oder das Thema damit abzutun, dass alle erwerbsfähigen Menschen genug verdienen können, «wenn sie dann nur wollen». Beim Thema «Arbeit ge gen Armut» wäre es wünschenswert, über Rahmen
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bedingungen und Voraussetzungen zu diskutieren anhand von Beispielen wie den Klassiker Öffnungszei ten der Läden (=Arbeitszeit) und der Kitas oder neue Arbeitsmodelle zu entwickeln.
Wo kann die Caritas aus eurer Sicht etwas gegen Armut tun? DF: Die Caritas Luzern leistet bereits vieles, um Men schen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstüt zen. Angebote wie die KulturLegi oder die Sozial- und Schuldenberatung sind enorm wichtig. Aber auch un sere Arbeit in der beruflichen Integration und im Be reich Bildung ist zentral. Dabei geht es darum, Men schen zu befähigen, sich nachhaltig aus ihrer prekären Situation zu befreien, und sie zurück in die Mitte unse rer Gesellschaft zu holen. Wir haben auch die Aufgabe, Armut öffentlich zu thematisieren und den betroffenen Menschen damit eine Stimme und Lobby zu geben. Weshalb ist die berufliche Integration im Kampf gegen Armut so wichtig? DF: Wer Arbeit hat, die notabene auch fair entlöhnt wird, ist einem viel geringeren Armutsrisiko ausge setzt. Arbeit stellt in unserem Kulturkreis zudem eine wichtige Grundlage für die soziale Integration dar. In sofern ist eine nachhaltige Arbeitsintegration ein zen traler Faktor im Kampf gegen Armut. KH: Die erste Frage beim Kennenlernen ist: «Und was machst du?» Damit ist in der Schweiz immer die Arbeit gemeint und nicht das Hobby. Arbeit ist in un serer Gesellschaft zentral. Erwerbsarbeit verringert Abhängigkeiten, ermöglicht eigenständige Entschei dungen und fördert die gesellschaftliche Teilhabe.
«Arbeit ist in unserer Gesellschaft zentral.» Was möchtet ihr mit der Caritas Luzern erreichen? DF: Ich möchte die Stellung der Caritas Luzern als die zentrale Organisation für Menschen in schwierigen Lebenssituationen in der ganzen Zentralschweiz festi gen und ausbauen. Dabei spielen Partnerschaften mit privaten Organisationen, den Kantonen, aber insbe sondere auch mit der Wirtschaft eine wichtige Rolle. KH: Die berufliche Integration und die Bildung sollen ihre Wichtigkeit behalten, indem die Angebote ent sprechend dem Bedarf des Arbeitsmarktes und den Anforderungen an die Arbeitsmarktfähigkeit weiter entwickelt werden. Ein gutes Netzwerk und die Zu sammenarbeit mit den entsprechenden Akteuren sind für mich Voraussetzung.
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Ein zweites Leben für Mode, Möbel und Musik In der Schweiz werden tagtäglich Unmengen an intakten Waren entsorgt. Mit den Secondhand-Läden setzt die Caritas Luzern ein Zeichen gegen diese Verschwendung und haucht gebrauchten Gegenständen neues Leben ein. Schnäppchenjäger werden ebenso fündig wie Sammlerinnen und Vintage-Liebhaber. Text: Claudia Blaser Bilder: Conradin Frei
Das vielfältige Angebot der Secondhand-Läden steht allen Menschen offen – ob mit kleinem oder grösserem Budget.
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ereits kurz nach Ladenöffnung herrscht im Se condhandladen an der Bleicherstrasse in Luzern geschäftiges Treiben. Schnäppchenjäger, Samm lerinnen, Umweltbewusste und Zeitvertreiber stöbern durch das gut sortierte Sortiment. Auf über 1200 Qua dratmetern präsentiert die Caritas Luzern mitten in der Stadt Secondhand-Artikel wie Kleider, Schuhe, Möbel, Bücher, Geschirr und elektrische Geräte. Zwei weitere Secondhand-Läden befinden sich in Hochdorf und Sur see.
Nichts, was es nicht gibt Es gibt fast nichts, was Kundinnen und Kunden beim Streifzug durch den Laden nicht finden. «Sollte das Ge wünschte einmal nicht erhältlich sein, lohnt es sich, bald wieder vorbeizuschauen, denn täglich trifft neue Ware ein», erklärt Petra Hodel, Ressortleiterin Flohmarkt. Ge rade wurde an der Warenannahme wieder eine Tasche voller gebrauchter Gegenstände abgeben. Der Inhalt wird sogleich geprüft, sortiert und je nach Artikel direkt in den Verkauf oder zuerst an den Standort Luzern-Lit tau gebracht. Dort wird ein grosser Teil der Ware instand gestellt, gereinigt und schliesslich an die verschiedenen Secondhand-Läden der Caritas Luzern verteilt. Secondhand für alle Das vielfältige Angebot der Secondhand-Läden steht allen Menschen offen. «Bei uns kaufen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten ein», weiss Petra Hodel. Das zeigt sich auch im Gespräch mit den Kun
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dinnen und Kunden. Familien mit kleinem Budget, Stu dierende, die nachhaltig einkaufen möchten, Sammler auf der Suche nach Raritäten und Modebewusste, die nach schönen Vintage-Stücken Ausschau halten: Sie alle kommen regelmässig in den Laden. «Ich persönlich finde es den besten Secondhandladen der Stadt», erzählt eine Kundin. «Er ist sehr sauber, aufgeräumt und bietet eine grosse Auswahl an Produkten.» Auch die schöne Präsentation und die gut sortierte Auswahl an Büchern, DVD und CD wird sehr geschätzt. Ein anderer Kunde schwärmt: «Das Geschäft ist eine wahre Fundgrube.» Die Secondhand-Läden der Caritas Luzern sind jedoch nicht nur ein toller Ort zum Stöbern, die Käuferinnen und Käufer unterstützen mit ihrem Einkauf gleichzei tig einen guten Zweck.
Neue Chance für Erwerbslose Neben den festangestellten Mitarbeitenden, den EBALernenden, Zivildienstleistenden und Freiwilligen arbeiten in den Secondhand-Läden auch versicherte Erwerbslose und ausgesteuerte Personen. «Wir bieten den Teilnehmenden unserer Arbeitsintegrationspro gramme einen sinnvollen, realitätsnahen Arbeitsplatz, an dem sie fachlich gefördert werden und ihre sozialen Kompetenzen erweitern können», erklärt Petra Hodel. Ziel ist immer die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt. Und der positive Kreislauf geht noch weiter: Mit dem Erlös aus dem Verkauf der SecondhandArtikel unterstützt die Caritas Luzern wiederum Hilfs projekte für Armutsbetroffene in der Zentralschweiz.
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Doppelte Freude mit der Weihnachtskarte der Caritas Auch dieses Jahr haben aufstrebende Talente von drei Schweizer Kunsthochschulen in einem Wettbewerb Motive für die Caritas-Weihnachtskarten eingereicht. In einer öffentlichen Abstimmung wurden die vier beliebtesten Motive gewählt und können nun als einzigartige Weihnachtskarten bestellt werden. Text: Claudia Blaser
«Es ist wunderbar, wenn ich durch meine Kunst die Welt ein Stückchen besser machen kann.»
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amantha Fleming, die zurzeit einen Bachelor in Illustration Fiction an der Hochschule Lu zern – Design und Kunst absolviert, gehört be reits zum zweiten Mal zu den Gewinnerinnen des Wettbewerbs. «Ich habe mich riesig gefreut, dass meine Illustration auch dieses Jahr als eines der Weihnachtskartensujets der Caritas ausgewählt wurde. Es ist schön zu wissen, dass meine Motive berühren», erzählt die Künstlerin. «Ich konnte mei ner Kreativität bei der Gestaltung der Weihnachts karte freien Lauf lassen. Da Weihnachten das Fest der Nächstenliebe ist, stand für mich dieses Thema in beiden Motiven an erster Stelle», ergänzt sie. Die Zusammenarbeit mit der Caritas bietet Schweizer Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform zur Prä sentation ihres Könnens und gleichzeitig die Möglich keit, mit ihrer Arbeit Gutes für Menschen in Not zu tun. Auch Samantha Fleming gefiel der Gedanke, ihre Kunst für einen guten Zweck einzusetzen: «Ich kann mir gut
vorstellen, Hilfswerke auch in Zukunft mit meinen Illustrationen zu unterstützen». Den Erlös aus dem Kartenverkauf setzt die Caritas Luzern ein, um die Lebenssituation von armutsbetrof fenen Menschen in der Zentralschweiz zu verbessern. Mit den Weihnachtskarten werden also nicht nur gute Wünsche verschickt, sondern auch eine solidarische Geste für benachteiligte Menschen, die von Freun den, Verwandten oder Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern sehr geschätzt wird.
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Ich will helfen
Junge Freiwillige verhindern die Schliessung der Caritas-Märkte Ein einziger Aufruf genügte: Dank dem spontanen Einsatz von vielen jungen Freiwilligen konnten die Caritas-Märkte in St. Gallen und Wil auch während des Lockdowns geöffnet bleiben. Text Susanna Heckendorn Bild Gregor Scherzinger
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er holt das Brot bei den Bäckereien in der Umgebung, kontrolliert die Waren, füllt Gestelle auf und steht an der Kasse, wenn die Freiwilligen von einem Tag auf den andern zu Hause bleiben müssen, weil sie aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe gehören? «Uns war klar, dass der Lockdown unsere Kundinnen und Kunden besonders hart treffen würde», erinnert sich Philipp Holderegger, Geschäftsleiter der Caritas St. Gallen-Appenzell. «Es stand deshalb ausser Frage, die Caritas-Märkte zu schliessen. Aber wer, das war die grosse Herausforderung, sollte die Läden betreiben?» Mit einem Aufruf auf Facebook fanden sich innert weniger Tage viele junge Freiwillige, die, anstatt im Lockdown zu Hause herumzusitzen, etwas Sinnvolles tun wollten. Für Verena Keller, die sonst als Hotelfachfrau arbeitet, war es eine völlig neue Erfahrung, dass jemand so froh ist, sie dabei zu haben und ihr das auch zeigt. «Diese unerwartete Wertschätzung war enorm motivierend.» Ein paar ernüchternde Erkenntnisse gewann Fabian Balmer. Nie hätte er gedacht, dass es so viele armutsbetroffene Schweizerinnen und Schweizer gibt. «Es war sehr hart mitzuerleben, wie jemand etwas zurücklegen muss, weil ihm an der Kasse 40 Rappen fehlen.» Dass er der Person nicht einfach zwei Zwanzigrappenstücke
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Zahlreiche junge Freiwillige hielten den Caritas-Markt während der Corona-Krise am Laufen
in die Hand drücken durfte, was nicht gestattet ist, fiel ihm sehr schwer. Jael Dahinden und Desirée Stuck studieren beide Soziale Arbeit. Die Mutter von Jael arbeitet jeden Mittwoch im Caritas-Markt und gehört zur Risikogruppe. Spontan entschied sich Jael, ihre Stellvertretung zu übernehmen. «Die Arbeit im Caritas-Markt hat mir viele wertvolle Begegnungen ge-
schenkt.» Desirée wollte sich solidarisch zeigen und war beeindruckt, wie viele Menschen mit sehr wenig zufrieden sind. «Es war schön, die grosse Dankbarkeit der Kundschaft zu spüren und mit den Freiwilligen Solidarität zu leben.» Sich zu engagieren und miteinander etwas zu bewirken, so die einhellige Meinung der temporären Freiwilligen, ist eine tolle Erfahrung, die sie nicht missen möchten.
WOLLEN SIE SICH AUCH FREIWILLIG ENGAGIEREN? Als Freiwillige oder Freiwilliger lernen Sie Menschen mit anderen Perspektiven kennen Sie helfen im Alltag und machen Integration möglich Sie können Ihr Wissen weitergeben und Neues dazulernen Die Freiwilligenangebote unterscheiden sich von Region zu Region Bi e informieren Sie sich auf der Website der Caritas-Organisation in Ihrer Region
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Kolumne
Das wunderliche GefĂźhl der Gemeinscha Text Christoph Simon Illustration Corinne Bromundt
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nsichere Zeiten haben auch ihre reizvollen Seiten. Es lebe die Improvisation! Fahren wir die Tage freihändig und gegen den Wind! Winnetou hat schliesslich auch keinen Sattel gebraucht! Wenn uns der Frßhling 2020 etwas gelehrt hat, dann dies: Wie man das Beste draus macht. Kommende Generationen werden von unseren Erfahrungen profitieren, denn in der Beschränkung auf Heim und Zoom sind wir keine Amateure. Im Lockdown haben wir den Leistungsdruck auf 110 Prozent runtergefahren, den Lohn auf 80 Prozent gesenkt und den Alkohol auf 40 Prozent hochgefahren. Wir haben viele neue Fähigkeiten erlernt: Wie man in der Badewanne mit einem Didgeridoo das Jacuzzi-Feeling herbei bläst. Meine Kulturkollegen hauten Podcasts raus und Instagram-Livesessions, sie twitterten Romane und erfanden alle mÜglichen digitalen Formate, alles vom Liegestuhl aus, in der Frßhlingssonne auf dem Balkon. Ich schmirgelte Speckstein (was gut fßr die Seele sei) und liess mir von einem Studenten die Lebensmittel bringen. Ich sei Risikogruppe und so. Der Student putzte sogar meine
Fensterscheiben. Ich hätte vom Specksteinschmirgeln was an der Schulter und so. War ein lieber Kerl, der Student. Vermutlich studiert er jetzt wohl wieder sinnlos und vermisst die Zeit, wo er einem Menschen in Not beistehen konnte. Und dann die Erleichterung, als (fast) alles wieder aufging! Die alten Paare sind ohne Streit zusammen Gartenstßhle einkaufen gegangen. Die Affen im Zoo konnten wieder Menschen beobachten. Das Autokino wurde wiedererfunden: Die Leute reisten mit dem Zug an und nahmen am Bahnhof ein Mobility, um dabei sein zu kÜnnen. Eines Morgens werden wir aufwachen und feststellen, dass es Masken und Abstandsregeln nicht mehr braucht. Fßr die einen werden die letzten Monate nur noch eine Erinnerung sein, ein ferner Klang. Fßr andere werden die Folgen der Krise zur Dauerkrise. Manche werden behaupten, dass dies alles gar nie stattgefunden hat. Und nur eine Minderheit wird sich an dieses Gefßhl erinnern, dieses wunderliche und erhebende Gefßhl der Gemeinschaft, das uns fßr kurze Zeit geeint und getragen hat.
Bild zvg
Christoph Simon * lebt als freier Schri steller und Kabare ist in Bern
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Ich helfe – auch nach meinem Tod Meine letzten Dinge bewirken viel: Mit einem Legat helfe ich armutsbetroffenen Familien in der Zentralschweiz. www.caritas-luzern.ch/legate
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