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ob nicht Sancho mit seinen Hoffnungen auf eine insula bzw. der Enttiiuschung dariiber, da/3 diese so lange auf sich warten Iii/3t, so vie! Druck auf Don Quijote ausiibt, da/3 dessen zuniichst rein idealistische Bestrebungen immer mehr mit materiellem Erfolgsstreben verkniipft werden6. Durch die hier zum Ausdruck gebrachte ausftihrliche Kritik sollte nicht der Eindruck entstehen, da/3 die Thesen der vorliegenden Untersuchung pauschal abgelehnt wiirden. Deshalb sei abschlie/3end nochmals in Erinnerung gerufen, da/3 die ersten heiden Kapitel (mit Ausnahme der erwiihnten Relativierung des Stellenwerts des Liebesideals) und auch das sechste Kapitel einige richtige Einsichten enthalten, denen sich der Rezensent durchaus anschlie/3en kann. Roodt-sur-Syre, im September 1993 Heinrich Merkl
Carmen R. Rabell- Lope de Vega. El arte nuevo de hacer «novellas» (Colecci6n Tamesis. Serie A - Monografias 150). London, Tamesis Books Ltd., 1992. 86 Seiten. Der fiktive Titel, den C. Rabell fiir ihre Studie wiihlte und nach dem man vergeblich im CEuvre Lopes forscht, wei! er als Analogon zum Arte nuevo de hacer comedias gebildet wurde, impliziert eine Deutung der Nove/as a Marcia Leonarda als Theorie einer neuen Praxis der Novelle. Rabell gliedert ihre Arbeit in zwei Teile. Im ersten Teil (S. I -42) widmet sie sich den Schwierigkeiten, welche die Eingliederung fiktiver Erziihlungen den spanischen Renaissance- und Barockpoetiken bereitete, wobei sie im ersten Kapitel auf den Modus zur Rechtfertigung literarischer Fiktionen in der Renaissance eingeht (S. 5-23), sich sodann mit der Aristotelisierung der im Siglo de Oro vorkommenden Literaturtypen beschiiftigt (S. 23-33), urn im dritten Kapitel Parallelen und Divergenzen zwischen Exempel, klassischer Rhetorik und Novelle aufzuzeigen (S. 33-42). In der Absicht, den modemen Roman (nove/a) gegen die Literaturformen der Renaissance abzugrenzen, definiert sie die Novelle (nove/a corta o ejemplar) italianisierend als novella und den Ritter-, Schafer- und byzantinischen Roman als romance, was weder originell 1 noch notwendig ist, da die Termini in ihrer differenzierenden Funktion kaum wiederaufgenommen werden (wenn von Lopes . Novellen die Rede ist, werden sie als NML abgekiirzt) und dort, wo sie Verwendung finden, der Kontext keine Interferenzen erlaubt. Im zweiten Teil (S. 43-80) will die Vf. die Ersetzung des aristotelischen Regelkanons durch rhetorische Praktiken unter Beweis stellen, indem sie vier Teilanalysen der Novellen Lopes vomimmt. Las fortunas de Diana gilt ihr als Modell der Unschliissigkeit zwischen Beachtung und Mi/3achtung der aristotelischen Poetik (S. 44-51 ). Pluralitiit und das Aufeinanderprallen verschiedener Diskursebenen, die in La desdicha por Ia honra dem Einheitsprinzip widerpsrechen (S. 51 -59), lassen sich auch in La prudente venganza finden, doch scheint der Vf. hier eher die Anwendung rhetorischer Praktiken konstitutiv zu sein 6
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Im Zusammenhang damit sei auch auf die durch Sancho veranlaBte Wandlung Don Quijotes vom Feudalherrn zum Arbeitgeber hingewiesen (vgl. dazu den in Anm. 3 genannten Aufsatz von Frey). Vgl. C. Vaillo, Historia y critica de Ia /iteratura espanola, hrsg. F. Rico, Bd. 3: Sig/os de Oro: Barraco, Barcelona 1983, S. 174, 456fT.
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Bd. 3: Siglos de Oro:
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(S. 60-70). Die Analyse von Guzman e/ bravo als der Novelle, welche die Kunst des MiJ3fallens kultiviere, bildet den AbschluJ3 der Einzeluntersuchungen (S. 70-77). Das flinfte Kapitel ist einem summarischen, literaturkritische Positionen auf unzulassige Weise verkiirzenden Oberblick gewidmet (S. 77- 80), der die Beriihrungspunkte zwischen rhetorischer Praxis und modemem Roman in den Novellen Lopes erhellen soli. Die Ergebnisse der Studie werden am SchluJ3 kurz und pragnant resiimiert (S. 81 f.). Der Zusammenstellung der Bibliographie (S. 83- 86) lieJ3en sich wenigstens zwei Standardwerke hinzufligen, die in engem Zusammenhang mit dem Thema der Studie stehen 2 • Anhand der einleitenden Worte Lopes zu Las fortunas de Diana, in denen er eine konfuse Genealogie des Genre anbiete, in welchem er sich versuchen will, stellt sich Rabell die (rhetorische?) Frage, ob der Grund flir das Durcheinander die Ignoranz Lopes sei, oder ob es sich nicht vielmehr urn ein generelles Problem der Renaissancepoetiken handle, das in der Eingliederung literarischer Gattungen hestand, die es in der Antike noch nicht gab. An diese schlieJ3t sich eine zweite (rhetorische?) Frage nach der Provenienz des Rechtfertigungszwangs durch die Regeln der Klassik an. Die von RabeJI konstatierte Antinomie zwischen Literaturtheorie und -praxis ist nicht neu. Sie beschiiftigte bekanntlich zahlreiche Verfasser von Renaissancepoetiken in der Romania. Das Bestreben, neue Gattungen, die haufig aus dem « dunklen » Mittelalter stammten, in die des klassischen Kanons der « strahlenden >> Antike zu integrieren, basiert auf der Intention, jene zu dignifizieren. Der Versuch, die neuen Gattungen als Produkt des neuen Zeitgeschmacks zu rechtfertigen, entspringt dem emanzipatorischen Geist der Debatten urn die Wertigkeit der eigenen Sprache 3 • Die Vf. widmet sich der Beantwortung ihrer Fragen im ersten Kapitel, indem sie zunachst die Werke der spanischen Literaturtheorie periodisiert: von 1450 bis 1550 gilt das Interesse der Theoretiker (exemplifiziert anhand poetologischer AuJ3erungen von Juan del Encina, Alejo de Venegas, Sancho Mufi6n, Sanchez de Lima) der Definition und Verteidigung sowohl der zeitgenossischen als auch der antiken Literatur, welche das Mittelalter als unmoralisch bzw. heidnisch diskreditiert hatte. Nachdem urn 1550 die klassische Literatur hinliinglich legitimiert zu sein scheint (didaktische Funktion, allegorische Lektiire, gottliche Inspiration), zeichnet sich ab 1550-1650 die Tendenz zur Entwicklung pseudoaristotelischer Theorien ab (dargestellt anhand von Lomas Contoral, Diaz Rengifo, Lopez Pinciano, Carballo, Juan de Ia Cueva, Pedro Soto de Rojas), die Aristoteles, Horaz, die Rhetoriker (Cicero, Quintilian), christliche Autoritiiten und die Bibel zu einem Konglomerat vereinen und ein Bild der « heterogenidad y yuxtaposici6n »4 des literaturkritischen Diskurses Spaniens liefem. Im allgemeinen wird dabei die Schulung von kausaler und rationaler Logik im Sinne Aristoteles' durch den horazisch-christlichen Diskurs moralisierend umfunktioniert, dem aristotelischen Wahrscheinlichkeitsprinzip der Handlung die horazische, eher rhetorisch gepriigte Stimmigkeit (« guardar el dec oro») der Charaktere aufgedriickt, die Mimesis als Imitatio rhetorischer Provenienz interpretiert und ftir die jeweils eigene Theorie modifiziert. Die von der Vf. stiindig wiederholte These von der Heterogenitiit des literaturkritischen Diskurses in Spanien, welche ihr als Bestlitigung der Widerspriichlichkeit der spanischen Renaissance schlechthin gilt, findet zum einen in der generell zu konstatierenden Heterogenitiit einen homogenen Zug und ist zum anderen ebensowenig spezifisch spa-
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J. de Entrambasaguas, Una guerra literaria del Siglo de Oro: Lope de Vega y los preceptistas aristotelicos, in: J. de E., £studios sobre Lope de Vega, 3 Bde., Madrid 1946-1958 (Bd. I, S. 77580; Bd. 2, S. 7-235); F. Ynduniin, Lope de Vega como novelador, Santander 1962. Vgl. W. Pabst, Novellentheorie und Nove/lendichtung. Zur Geschichte ihrer Antinomie in den romanischen Literaturen, Hamburg 1953. Als Ausgangspunkt, Objekt und Ergebnis der Studie werden diese Termini so hiiufig zitiert, daJ.I wir auf eine Seitenangabe verzichten.
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nisch wie das Bemiihen, die neuen Gattungen mittels der aristotelischen Poetik zu dignifizieren5. Im zweiten Kapitel, welches die fortschreitende Aristotelisierung der Genres analysiert, stellt Rabell in einer extrapolierenden Aristoteles-Lektiire die Kongruenz von Tragiidie, Epos und Komiidie im Hinblick auf die causa materia/is und die causa formalis fest. Die causajinalis werde in den Poetiken didaktisch-moralisch interpretiert, auf Epos und Komodie ausgedehnt und von der spanischen Literaturkritik als Mittel der Verteidigung neuer Genres umfunktioniert. Die aristotelische Poetik erfahre eine Manipulation und Fragmentarisierung durch die selektive Auswahl jener causa, welche fiir die eigene Theorie zweckdienlich ist. Gleichzeitig erleichtert die rhetorische Tendenz, den Stil stii.rker zu bewerten, die Einordnung der neuen Gattungen. Lopes exhibitionistische und materialistische Haltung, die sich im Arte nuevo und in den Nove/as spiegle, widerspreche sowohl der aristotelischen Poetik (Mi/3achtung des Gebots der Handlungseinheit und der Wahrscheinlichkeit) als auch den pseudoaristotelischen Priimissen der Renaissance (Zeit-Ort-Einheit bzw. Distanz) durch seine Ablehnung einer homogenen Natur und seiner Orientierung am Publikumsgeschmack. Die spanische Literaturkritik dieser Zeit schaffe durch die Pseudoaristotelisierung der profanen Literatur << monstruos » (S. 33), welche denen der literarischen Praxis entspriichen. Die Bedeutung des Arte nuevo fiir das Verstiindnis der Nove/as a Marcia Leonarda basiere auf der Gleichsetzung Lopes von nove/a und comedia, welche nur dadurch erreicht werde, dal3 Lope die causa materia/is iiberbewerte, den Typus der Handlung vom Sozialprestige der Protagonisten abhiingig mache. Der Verwandtschaft zwischen Novelle und mittelalterlichem Exempel, welche in der gezielten Auswahl rhetorischer Mittel bestehe, urn komplizierte Sachverhalte einem einfachen Publikum zugiinglich zu machen, sowie den Gemeinsamkeiten zwischen Novelle und forensischem Diskurs, die auf der Publikumsorientierung, dem Neuheits- und dem Varietiitsprinzip beruhen, ist das Schlul3kapitel des ersten Teils gewidmet. Abgesehen davon, da/3 die Skizzierung der Geschichte der spanischen Literaturkritik vor Lope die interkulturellen Beziehungen Spaniens, insbesondere die italienischen Einfliisse bagatellisiert 6 , ist auch die Feststellung, die aristotelische und die horazische Poetik seien miteinander· vermischt und urn den kirchlich-biblischen Diskurs erweitert worden, nicht neu. Es driingt sich femer der Eindruck auf, dal3 die Vf. an einigen Stellen der Beweisbzw. Nachweispflicht nicht Geniige getan hat 7 bzw. falsch paraphrasiertS oder ungeniigend legitimiert 9 .
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Vgl. A. Buck/K. Heitrnann!W. Mettrnann, Dichtungslehren der Romania aus der Zeit der Renaissance und des Barock (Dokurnente zur europiiischen Poetik 3), Frankfurt!M. 1972. Vgl. u. a. E. Miiller-Bochat, Lope de Vega und die italienische Literatur, Wiesbaden 1956. Etwa bei der Differenzierung zwischen aristotelischer probabilidad und horazischer verosimilitud (S. 7) oder bei der ldentifikation der Kunstmittel, des Gegenstands und der Art und Weise der Mimesis mit den aus Aristoteles' Metaphysik gewonnenen vier causae (S. 16). So behauptet sie z. B., Horaz habe entweder niitzen oder erfreuen wollen; das « oder>> sei in Spanien durch ein « und » ersetzt worden. Sie beruft sich dabei (S. I 0) auf eine englische Ausgabe der Ars poetica. Wir zitieren aus dern Original, urn zu zeigen, daB das « et » keine spitzfindige Kreation der Spanier, sondem irn Text selbst angelegt ist: «aut prodesse volunt aut delectare poetae I aut simul et iucunda et idonea dicere vitae» (V. 333 f.) und « ornne tulit punctum, qui miscuit utile dulci I Iectorern delectando pariterque monendo » (V. 343 f.). Die Maxime der horazischen Poetik entstand nicht nur durch eine rnoralisierende Interpretation ihres Autors, sondem geht auf Neoptolemos von Parion zuriick. Lopes Parallelisierung von comedia und nove/a im Hinblick auf die lnventio, Stilmischung und Publikumsorientierung interpretiert sie als seinen Dignifikationsversuch, da die Komodie in die aristotelische Poetik Eingang gefunden habe (S. 3), ohne zu bedenken, daB Lope auf seine eigenen comedias verweist, die er schon im Arte nuevo gegen die akademische Tradition verteidigte.
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Der zweite Teil bietet in den Kapiteln 1-4 eine Inha1tsangabe der jeweiligen Novelle und trachtet danach, die Ersetzung der aristotelischen Wahrscheinlichkeit, der Schicklichkeit und der Einheit durch rhetorische Praktiken nachzuweisen: Facettenreichtum und die Konstruktion einer ereignisreichen Fabel werden a1s Zugestiindnis an das Rezeptionsverhalten des Lesers gewertet. Die Kenntnis der (pseudo-)aristotelischen und rhetorischen Regeln stellt Lope durch mannigfaltige Zitate hinreichend unter Beweis. Die Vf. weist jedoch iiberzeugend nach, dal3 Lope aber, indem er diese umdeutet oder reduziert und ihre Konventionalitiit aufzeigt, sie nicht nur des Effektes beraubt, den sie erzielen wollen, sondem diesen sogar in sein Gegentei1 verkehrt: Die aristotelische Wahrscheinlichkeit wird parodiert und dadurch quasi neutralisiert, dal3 der Erzlihler z. B. in einer Intervention ausdriicklich darauf verweist, er lasse Silveria sich in die verkleidete Diana verlieben, weil dieses das vermeintlich Wahrscheinliche sei und das, was man von ihm erwarte. In La desdicha por Ia honra wird die Wahrscheinlichkeit durch Pseudohistorizitiit (« Augenzeuge ») ersetzt, die Vorstellung von der Einheit der Handlung und der Stimmigkeit des Stils zugunsten der Vielfalt (Nebenhandlungen, Erziihlerinterventionen, Einschub von Liedem und Gedichten, Sprachvielfalt) aufgegeben, welche der Pluralitiit des Publikums Rechnung trage, wodurch dieser Text eine gr5/3ere Nlihe zur klassischen Rhetorik als zur aristotelischen Poetik aufweise. Die Episodenhaftigkeit und die gewollten Zufalle in La prudente venganza, welche anstatt des Fehlurteils des Heiden die Peripetien verursachen, und die parodistische Verzerrung von Sentenzen, Hypothesen und Schlu/3folgerungen als rhetorische Mittel der Oberzeugung bestiitigen der Vf. den schon weiter oben gewonnenen Eindruck der ambivalenten Position des Erzlihlers. Die Parodierung der rhetorischen Mittel dient der Abschwiichung der moralischen Position, da diese der Intention des Erziihlers entgegenliefe, seine Leserin Marcia Leonarda verflihren zu wollen. Guzman el bravo ist nicht nur eine anti-aristotelisch konzipierte Geschichte, die keine Einheit und keine Wahrscheinlichkeit aufweist, die paralogisch Absurditiiten zu bewahrheiten sucht, sondem sei dariiber hinaus ein Racheakt des Erzahlers, der das Mi/3fallen seiner Leserin erregen wolle, weil diese sich seinen Verfiihrungsstrategien verweigerte. Die negative Kritik, die Guzman el bravo erfahren habe, resultiere aus dem Mi/3verstiindnis der Intention des Erziihlers sowie aus der Identifikation mit Marcia Leonarda. Voraussetzung fiir Rabells Hypothese ist die Negierung einer biographisierenden Interpretation der Novellen Lopes. Den Abschlu/3 der Studie bilden die Parallelisierungen zwischen Lopes Novellen und dem modemen Roman, aufgrund derer Lope, zusammen mit Cervantes, den Vertretem der Pikareske und des byzantinischen Romans, zum Verkiinder modemen Erzahlens wird, weil in seinen Novellen die Ambivalenz Lukacs' und Kristevas, die Historizitiit und Individualitiit Benjamins, die Heteroglosse und der Dialogismus Bakthins angekiindigt wiirden. Hier kiindigt sich u. E. eine Fragrnentarisierung und ein kombinatorischer Eklektizismus moderner Positionen an, wie ihn die Vf. im Hinblick auf die Aristoteles-Rezeption konstatierte, indem sie die bekannten Romantheoretiker des 20. Jh., aus dem Zusammenhang gerissen, in einem Nebensatz einfiihrt, urn auf zwei Seiten die Modemitiit des pseudolopischen Arte nuevo de hacer «novellas» zu beweisen. Der geringe Umfang der Studie ist sicherlich in erheblichem Ma/3 verantwortlich zu machen ftir die Verkiirzung zahlreicher Perspektiven, doch weist der Text viele Redundanzen auf und entbehrt dadurch der graBen Dichte, die aus einer quantitativ bescheidenen eine qualitativ hochwertige Studie macht. Koln, im Oktober 1993 Gudrun Wogatzke-Luckow