Atelierhaus Wiesenstraße 29
SLAM 01
2006 - 2013
S L A
so lange als möglich
SLAM so lange als mรถglich
Inhalt / Content
Exposé / Synopsis
7
Jörg Bürkle
Rundgang / Tour Essay / Essay
9 19
Ronald Berg
Rundgang / Tour
29
Künstler / Artists
47
Beiblatt / Supplement
48
Impressum / Imprint
49
SLAM so lange als möglich
Eine konzeptuelle künstlerische Intervention in Echtzeit für mindestens 99 Jahre in der Wiesenstraße 29, Berlin-Wedding / A conceptual artistic intervention in real-time for at least 99 years in Wiesenstraße 29, Berlin-Wedding von / by: Achim Borsdorf, Katja Brinkmann, Jörg Bürkle, Claudia Gansz, Fabian Ginsberg, Jonas Hofrichter, Jennifer Jordan, Susanne Jung, A. Paola Neumann, Wolfgang Schlegel, Judith Schwinn, Matthäus Thoma, Alexander Wolf und allen künftig mitwirkenden Künstlern / and all artists participating in future Konzept und Leitung /Concept and direction: Jörg Bürkle und /and A. Paola Neumann
Exposé zur erstmalig dokumentierten Zeitspanne von 1.1.2006 bis 31.7.2013
Synopsis of the first period from 1.1.2006 until 31.7.2013
Mit der Direktvergabe des Grundstücks an die Schweizer Stiftung Edith Maryon und dem anschließenden Erbbauvertrag mit der Genossenschaft Wiesenstraße 29 eG finden die jahrelangen politischen Bestrebungen der Mieter zur langfristigen Erhaltung der kulturellen Nutzung des industrie- und architekturgeschichtlichen Baudenkmals im Jahr 2009 einen Neuanfang.
With the direct transfer of the property to the Swiss Edith Maryon Foundation and the subsequent heritable building right contract with Genossenschaft Wiesenstraße 29 eG, the political efforts of the tenants extending over many years to preserve the cultural use of the listed industrial building and architectural monument reached a new stage in 2009.
Die Bewirtschaftung und Instandsetzung des im Jahr 1957 durch Otto Block für den Druckmaschinenhersteller Rotaprint errichteten Gebäudekomplexes erfolgt in einem konstruktiven Diskurs mit bildenden Künstlern und in Abstimmung mit dem Berliner Denkmalschutz.
The operation and repair of the building complex erected in 1957 by Otto Block for the printing machine manufacturer Rotaprint are being implemented in constructive dialogue with artists and in consultation with the Berlin authority for the protection of historic monuments.
Intention des grundlegenden künstlerischen Konzepts von A. Paola Neumann und Jörg Bürkle ist es, den Wandel der Zeit durch partielle künstlerische Interventionen in dem behutsam neu zu definierenden Erscheinungsbild des Bauwerks exemplarisch sichtbar zu machen. Dazu werden nicht zuletzt auch ästhetisch anspruchsvolle handwerkliche Tätigkeiten von Künstlern für Künstler entwickelt und ausgeführt, um vergegenständlichte geschichtliche Zusammenhänge zum Sprechen zu bringen.
The primary artistic concept of A. Paola Neumann and Jörg Bürkle aims to render the passage of time visible by partial artistic interventions in the appearance of the building, which is to be newly defined. This will be achieved by aesthetically ambitious craftsmanship developed and implemented by artists for artists to lend expression to objectified historical relationships.
Alle bisher mitwirkenden Künstler setzen sich in ihrer Arbeit originär und entschieden mit der Faktur und den konzeptuellen Kompo-
In their work, all currently participating artists engage in original and incisive form with the methods and conceptual components in art production. Their shared aim is to develop the work SLAM continuously as a gradually evolving creation by different artists in
nenten des Kunstschaffens auseinander. Ihre gemeinsame Intention ist es, das im Lauf der Jahrzehnte in geteilter Urheberschaft allmählich entstehende Werk SLAM in einem offenen Prozess kontinuierlich zu entfalten, so dass es sich in jedem Moment und in jedem Detail als spezifischer, multidimensional gestalteter Selbstzweck manifestiert.
an open process, which will manifest itself at any time and in every detail as a specific multidimensional aesthetic end in itself. The first implementation stage will be completed by 31.7.2108. The successive realisation of the conceptual artwork SLAM in Wiesenstraße 29 in Berlin-Wedding will be documented at appropriate intervals.
Der erste Realisierungsabschnitt erstreckt sich bis 31.7.2108. Die schrittweise Verwirklichung des konzeptuellen Kunstwerks SLAM in der Wiesenstraße 29 in 13357 Berlin-Wedding wird in loser Folge dokumentiert. Jörg Bürkle
Diese erste Dokumentation zu SLAM wird vom Berufsverband Bildender Künstler Berlin e.V. unterstützt.
This first SLAM documentation is supported by the Professional Association of Visual Artists Berlin (bbk berlin e.V.).
I
IIa
II b
III
IV
V
VI
Die Kunst, etwas anders zu machen
The art of doing things differently
Zum Langzeitprojekt SLAM im Atelierhaus Wiesenstraße 29
The long-term project SLAM in Atelierhaus Wiesenstraße 29
Disposition
The concept
Man hat ja schon vieles gesehen und manches erlebt, was den Anspruch auf Kunst erhebt: Nun aber kommt die Behauptung hinzu, bei Reparatur, Sanierung und baulichem Unterhalt eines denkmalgeschützten Hauses handele es sich um einen künstlerischen Akt. Das ist neu und doch ziemlich ungewohnt. Allerdings – und das macht die Sache noch komplizierter – fallen durchaus nicht alle anfallenden Maßnahmen in und am industrieund architekturgeschichtlichen Baudenkmal in der Wiesenstraße 29 in die behauptete Sphäre des Künstlerischen. Es betrifft nur einige Gebäudedetails. Bislang handelt es sich etwa um die Ertüchtigung der Fenster, den Erhalt von Heizkörpern oder die Reinigung des Keramikfußbodens im Erdgeschoss. Hier befanden sich bis in die 1980er Jahre die Labors des Druckmaschinenherstellers Rotaprint.
Everyone has seen and experienced many things that claim to be art. But now, we see a new phenomenon: the claim that the repair, rehabilitation and maintenance of a listed building are an act of artistic creation. That is new and fairly unusual. Nevertheless – and that complicates the matter even more – by no means all planned measures in and on the industrial and architectural monument in Wiesenstraße 29 are artistic in nature. That only applies to some architectural details. So far, these are, for example, the repair of the windows, preservation of radiators and cleaning of the ceramic floor tiles on the ground floor. This was where the laboratories of the printing machine manufacturer Rotaprint were located until the 1980s.
Es werden sicher noch andere Dinge und Gegebenheiten im Haus einer künstlerischen Behandlung unterzogen, denn das Projekt ist tatsächlich auf die Dauer von 99 Jahren angelegt. Also genau so lange, wie das aktuelle Erbbaurecht der Genossenschaft Wiesenstraße 29 eG gilt, die den Gebäudekomplex bewirtschaftet, hauptsächlich indem sie Künstlern Atelierräume vermietet. Viele der im Haus ansässigen Künstler haben sich
There will surely be other details and processes within this house that will undergo artistic treatment because this project is indeed scheduled to extend over 99 years, reflecting the duration of the heritable building right of the Genossenschaft Wiesenstraße 29. It operates the building, mainly by renting studio areas to artists. Many resident artists have already participated in the building’s artistic rehabilitation. That artists are performing the work usually executed by professional service providers or craft firms is a
bereits an dem besonderen künstlerischen Umgang mit dem Gebäude beteiligt. Dass Künstler mit den Arbeiten befasst sind, die im Normalfall professionelle Dienstleister oder Handwerksfirmen ausführen, ist übrigens ein wesentlicher Aspekt von SLAM und deutet schon darauf hin, dass hier etwas anders gemacht wird als sonst. Ja, etwas anders zu machen, ist Konzept. Der Titel der künstlerischen Langzeitintervention in der Wiesenstraße 29 lautet SLAM1. Die Buchstabenfolge steht als Abkürzung für „so lange als möglich“ und referiert auch auf ein Musikstück des amerikanischen Avantgardisten John Cage2 mit dem Titel ASLSP („as slow as possible“). Cage hatte die Komposition 1987 ursprünglich für Klavier geschrieben, eine Umarbeitung im Jahre 1989 für die Orgel dauerte bei der Uraufführung 29 Minuten. Seit 2001 wird Cages Spielanweisung „as slow as possible“ in radikaler Weise ernst genommen. In Halberstadt wird das Orgelstück nun für eine Aufführungsdauer von 639 Jahren umgesetzt – also bis ins Jahr 2640. Cage, der 1992 starb, würde sich wahrscheinlich über eine solche Interpretation seines Stückes freuen, war er doch stets dem Prinzip der Originalität verpflichtet. Und was da in der eigens für die Komposition gebauten Orgel in der Sankt-Burchardi-Kirche in Halberstadt erklingt, ist schlicht noch nicht dagewesen: Es ist das längste Musikstück der Menschheitsgeschichte.
Produktion und Rezeption Im Sinne der Originalität steht SLAM also im Geiste der eines John Cage. Anderseits ist das Prinzip von SLAM durchaus auch
defining feature of SLAM and already indicates that something out of the ordinary is happening here. Yes, doing things differently is the concept. The title of the long-term artistic intervention in Wiesenstraße 29 is SLAM1. In German, the acronym stands for “so lange als möglich” (as long as possible) and also refers to a composition by the American avantgarde musician John Cage2 entitled ASLSP (“as slow as possible”). Cage originally composed it for piano, but rewrote it in 1989 for organ, a piece that lasted 29 minutes at its world premiere. Cage‘s instruction “as slow as possible“ has been taken very seriously since 2001. In Halberstadt, this organ piece is now implemented in a performance time of 639 years – i.e. until the year 2640. Cage, who died in 1992, would be delighted by this interpretation since he always committed to the principle of originality. And what is played there by the organ specifically built for this composition in Saint Burchardi Church in Halberstadt has never been heard before: the longest piece of music in human history.
Production and reception In terms of provenance, SLAM is a tribute to John Cage. But the principle of SLAM can also be understood as traditional, albeit in a tradition less committed to the work aesthetic of western art than to an approximation of far eastern perception aesthetics. The artistic intervention in the substance of a building is – this at least is the intention – to open a different and new perspective on the house and perhaps also beyond it.
traditionell zu verstehen, auch wenn solche Traditionen eben weniger die einer Werkästhetik der westlichen Kunst verpflichtet sind, sondern eher einer fernöstlichen Wahrnehmungsästhetik sich annähern. Was als künstlerische Intervention an der Substanz eines Hauses passiert, soll – das ist zumindest die Absicht – die Möglichkeit zu einem anderen und neuen Blick eröffnen – auf das Haus und vielleicht auch darüber hinaus. Dieses Andere ereignet sich – nach den Maßstäben westlicher Logik vielleicht auf paradoxe Weise – im Alltäglichen. Auch hier gibt es eine gewisse Nähe zu John Cage, dessen Kunst vom Geist des Zen stark beeinflusst war.3 Im Zen ist der Weg das Ziel. Nicht auf das Was sondern auf das Wie kommt es dabei an. Als Anhänger des Zen-Weges macht man nichts anderes als andere Menschen auch, etwa Sitzen, Teetrinken oder Bogenschießen. Diese an sich völlig alltäglichen Handlungen haben im Zen einen besonderen Charakter. Sie sind – in der buchstäblich richtigen Haltung vollzogen – im Grunde nichts als meditative Übungen auf dem Weg der Erleuchtung. Das kann gelingen, wenn man beim Sitzen nichts tut als zu sitzen, oder beim Teetrinken nichts tut als Tee zu trinken. Das heißt, wenn man die Tätigkeit als eine Art von Meditation ansieht – als vom Wesen des Tees oder Bogenschießens erfüllte Tätigkeit. Um erfüllt zu sein bedarf es aber der Leere, die in sich alles aufzunehmen in der Lage ist.4 Unter Umständen kann man dann den ganzen Kosmos aus einer Tasse Tee herausschmecken. Nicht dasselbe, aber etwas Ähnliches versucht SLAM. Für die Künstler ist es eine Praxis im Umgang mit einem Haus. Es handelt sich
This “other” is – perhaps paradoxically by the standards of western logic – to occur in everyday life. Here too, there is a certain affinity with John Cage whose art was influenced strongly by the spirit of Zen.3 In Zen, the road is the goal. It is not what that matters, but how. As a follower of Zen, you do the same things all people do, like sit, drink tea or practice archery. These per se entirely mundane activities have a special character in Zen. Performed in the right posture, they are meditative exercises on the road to enlightenment. This can be so if we do nothing but sit when sitting or nothing but drinking tea when drinking it. Or, in other words: if we look at the activity as a kind of meditation – as an activity fulfilled by the essence of tea or archery. But to be fulfilled requires emptiness that can absorb everything into itself.4 Then we may taste the entire cosmos in a simple cup of tea. SLAM is trying to do not exactly the same thing, but something similar. For the artists it is a certain way of relating to a house. There is work to be done on the house that would become necessary in any case due to the weather and wear and tear. But the artists are approaching these activities in a way that differs from what usually happens. Their attitude is an artistic one. This means above all that they are devoting themselves to things in a manner that Immanuel Kant called “disinterested contemplation”5 and that constitutes the very essence of beautiful, i.e. free art. This is where free or autonomous art differs from craft or applied art which always focuses on ends – ends (e.g. utility, income, prestige) for which artistic skill is only a means. This is the productive side of SLAM, the aspect of acting in disinterested artistic intentionality
um Arbeiten am Haus, wie sie auch sonst durch Abnutzung oder Verwitterung notwendig würden. Nur begegnen die Künstler diesen Arbeiten auf eine andere Art und Weise als das sonst üblicherweise passiert. Ihre Einstellung ist eine künstlerische. Das heißt vor allem und in erster Linie, sie widmen sich den Dingen in einer Art Leere, die seit Immanuel Kant „interesseloses Wohlgefallen“5 heißt und das Wesen der schönen, d.h. der freien Kunst ausmacht. In diesem Sinne unterscheidet sich die freie bzw. autonome Kunst vom Handwerk und Kunstgewerbe, bei denen stets Zwecke im Vordergrund stehen – Zwecke (etwa des Gebrauchs, des Verdienstes, der Anerkennung etc.) zu denen eine Kunstfertigkeit nur Mittel ist. Das also ist die produktive Seite von SLAM, die Seite des Tuns in zweckfreier künstlerischer Intentionalität und Produktivität (im Unterschied zur utilitaristischen oder instrumentellen Produktion als Normalfall der gewöhnlichen Arbeitsverhältnisse). Diese Seite von SLAM ist manifest und kann beschrieben werden: So werden die originalen Stahlrahmenfenster von Grund auf überarbeitet, mit eigens an die alten Profile angepassten neuen Flachstahlleisten versehen und so für neue Isolierverglasungen mit Weißglasscheiben ertüchtigt. Die Arbeiten erfolgen ohne Gerüst. Vielmehr arbeiten die Künstler an den jeweiligen Fenstersegmenten angeseilt wie Bergsteiger, gesichert durch im Mauerwerk verankerte Spezialbolzen. Allein das ist in mancherlei Hinsicht schon ein Kunststück für sich. Die rezeptive Seite von SLAM, die Seite der Wahrnehmung durch den Betrachter, ist komplizierter und lässt sich kaum verallge-
and productivity (in contrast to utilitarian or instrumental production, which is the normal situation in work relationships). This aspect of SLAM is manifest and can be described: For example, the original steel-framed windows are being fundamentally restored with new flat steel bars specifically adapted to the old profiles and thereby reinforced to accommodate new insulation glazing with white glass panes. The work is being executed without scaffolding. Instead, the artists are working on the respective window segments like mountaineers secured by special bolts anchored in the brickwork. This alone is already an artistic feat in many respects. The reception aspect of SLAM, i.e. its perception by observers, is more complex and cannot really be described in general terms. The best precondition for assessing SLAM is sharpened awareness and a free spirit which permits seeing things differently than in their customary contexts. Nonetheless, visitors of the house may not even notice that they encounter certain situations in it that owe their appearance to artistic action. A radiator remains a radiator, even if it is painted in fresh colour. That the old radiators are even staying in the building at all is already part of the idea of SLAM. Preserving them was an artistic decision. Economically, it may have made more sense to replace them by newer radiator models. And the same applied to the windows. The preservation of the original windows from the 1950s when the building was erected was an artistic option which also pleased the conservators. Replacement of the windows by newer ones with plastic or aluminium frames might
meinernd beschreiben. Beste Voraussetzung zur Beurteilung von SLAM ist eine geschärfte Wahrnehmung und ein freier Geist, der es erlaubt, die Dinge auch anders zu sehen als in den gewohnten Kontexten. Dennoch wird der Besucher des Hauses vielleicht gar nicht bemerken, dass er im Haus bestimmten Situationen begegnet, die ihre Gestalt einer künstlerischen Herangehensweise verdanken. Eine Heizung bleibt eine Heizung, auch wenn sie mit neuer Farbe gestrichen wird. Dass die alten Heizkörper aber überhaupt im Hause bleiben, ist schon Teil der Idee von SLAM. Sie zu erhalten, war eine künstlerische Entscheidung. Vielleicht hätte es nach ökonomischen Prämissen mehr Sinn gemacht, die alten durch neuere Heizkörpermodelle zu ersetzen. Die Frage stellte sich im Falle der Fenster genauso. Der Erhalt der originalen Fenster aus der Bauzeit des Rotaprint-Gebäudes in den 1950er Jahren war eine künstlerische Option, die auch die Denkmalpflege erfreute. Unter wirtschaftlichen Prämissen wäre der Austausch der Fenster gegen solche mit Plastik- oder Alurahmen vielleicht die sparsamere Lösung gewesen. Allein, aus ästhetischer Perspektive ist das nun gefundene Ergebnis sicher das bessere. Dass SLAM keine Plastik- oder Alufenster zulässt, lässt sich wohl nachvollziehen, stellt man sich vor, wie sehr solche Fremdkörper die Atmosphäre des Künstlerhauses beeinträchtigen würden und wie sehr sie die im Material substantialisierte Aura aus den Zeiten der industriellen Produktion vertrieben hätte. Dennoch: Es hängt sehr von der Sensibilität (vielleicht auch vom Geschmack) des
have been a more cost-efficient solution. But aesthetically, the decision taken is certainly the better one. That SLAM does not permit plastic or aluminium windows is probably understandable, considering how such alien objects would impair the atmosphere of the artist house and how thoroughly they would have destroyed the aura from the epoch of industrial production substantialised in its material. Nonetheless, it does very much depend on the sensitivity (or perhaps taste) of observers or users whether they recognise or experience the “other” of SLAM in the way it deals with the building. This is not guaranteed because what matters to SLAM is not the reified work character of the measures taken in the house, but the potential effect of these interventions on the perceiving subject. This special effect may occur when a user lets the ceramic stones laid in fishbone pattern in his or her studio and now also cleaned sufficiently for residential purposes exercise their optical effect by leaving the floor naked, as it were. But an inhabitant may possibly also simply cover it with a carpet because he simply finds the graphic effect or hard floor unappealing. In either case, this would certainly be a reaction to the perceived effect of the decision to preserve the floor. What also interferes in perception would naturally be the knowledge that the floor owes its existence and aesthetic treatment to an artistic concept. Knowing that the floor is the product of an artistic intention makes it more than just an aesthetically beautiful or functional acid-resistant floor. Being charged with aesthetic intention permits thinking about the floor in an entirely different way. The floor
Betrachters oder des Benutzers ab, ob er das Andere von SLAM im Umgang mit dem Haus erkennt oder erfährt. Eine Gewähr dafür gibt es nicht. Denn worauf es bei SLAM ankommt, ist nicht in erster Linie ein verdinglichter Werkcharakter der Maßnahmen am Haus, sondern die potentielle Wirkung der Interventionen beim wahrnehmenden Subjekt. Diese besondere Wirkung stellt sich möglicherweise dann ein, wenn der Nutzer in seinem Atelier die im Fischgrätmuster verlegten, und nun auch für Wohnzwecke ausreichend gereinigten Keramiksteine optisch zur Geltung kommen lässt, indem er den Fußboden gleichsam nackt belässt. Möglicherweise wird der Bewohner aber auch einfach einen Teppich darüber legen, weil ihn die grafische Wirkung oder der harte Boden einfach stören. In beiden Fällen wäre jedenfalls sein Tun eine Reaktion auf eine wahrgenommene Wirkung der Maßnahme, den Boden zu erhalten. Was bei der Wahrnehmung zudem interferiert, wäre natürlich das Wissen darum, dass der Fußboden seine Existenz und seine ästhetische Behandlung einer künstlerischen Idee verdankt. Im Wissen, dass es sich beim Boden um das Resultat einer künstlerischen Intention handelt, wird aus diesem Boden mehr als ein bloß ästhetisch schöner oder praktisch säurefester Untergrund. Die Aufladung mit künstlerischer Intention lässt über das Wesen des Bodens ganz anders reflektieren. Der Boden ist nun als Aussage zu verstehen, zu der der Betrachter selbst eine Haltung einnehmen kann. Je nach seinen Fähigkeiten, seinem Wissen und seinem Geschmack wird er sich also zum Fußboden, oder vielmehr zu der mit und im Boden ausgesagten Botschaft, geistig
can now be understood as a statement to which the observer can adopt a position. Depending on his capabilities, knowledge and taste, he will adopt a particular intellectual position towards the floor or, rather, towards the message communicated in and by it. How and with which results will differ for each individual and cannot be predicted.
Temporality To imagine the temporal dimension of SLAM, a comparison with non-representational painting may be appropriate. It is certainly no coincidence that the initiators of the SLAM concept, Jörg Bürkle and A. Paola Neumann, paint non-representational pictures, whereby the painting process for some of them may last up to several years. So, when the work begins it is often not really foreseeable in detail how the form of the painting will develop and how many layers of colour will accumulate on top of each other over the course of time. The developing (re)design of the house at Wiesenstraße 29 in the sense of SLAM can be understood as an analogy. The process is important, and time participates in creating the form that is worked on. The house will change during the 99 years initially scheduled. What it may look like in future cannot be predicted in detail since decisions will keep being taken which respond to a given situation and will be the result of events that already occurred. Just as in the course of the creation of one of the non-representational paintings by Bürkle and Neumann where the picture assumes, as it were, control over the direction in which its form is developing. In this context, we may think again of John Cage: His compositions consist not only of
positionieren. Wie und mit welchen Ergebnissen wird wohl individuell verschieden ausfallen und lässt sich nicht vorhersagen.
Zeitlichkeit Um sich die zeitliche Dimension von SLAM vorstellen zu können, liegt der Vergleich mit der ungegenständlichen Malerei nahe. Es ist sicher kein Zufall, dass die Urheber des Konzepts von SLAM, Jörg Bürkle und A. Paola Neumann, ungegenständliche Bilder malen, wobei der Malprozess für manche ihrer Bilder mitunter bis zu einigen Jahren dauern kann. Am Beginn des Arbeitens ist also noch gar nicht genau abzusehen, wohin sich die Form des Bildes entwickeln wird und wie viele Schichten übereinander gelegter Farbe im Laufe der Zeit zustande kommen. Ähnlich muss man sich die werdende (Um-) Gestaltung des Hauses Wiesenstraße 29 im Sinne von SLAM denken. Der Prozess ist wichtig, die Zeit arbeitet mit an der Gestalt dessen, woran gearbeitet wird. Das Haus wird sich innerhalb der zunächst angesetzten 99 Jahre verändern. Wie das Gebäude in Zukunft aussehen wird, lässt sich nicht exakt vorhersagen, da immer wieder Entscheidungen getroffen werden, die situativ passieren und Ergebnis bereits eingetretener Ereignisse sein werden. Wie beim Herstellen eines der ungegenständlichen Bilder von Bürkle und Neumann, wobei das Bild sozusagen selbst im Laufe der Zeit immer mehr die Regie über das übernimmt, wohin seine Gestalt sich entwickelt. Und in diesem Zusammenhang kann man auch wieder an John Cage denken: Seine Kompositionen bestehen nicht nur aus dem Klang der Töne einer Melodie, sondern er-
the sound of the notes of a melody, but also permit an experience of silence or of sounds beyond music. In terms of notes, his famous 4’ 33” consists only of a pause, but this does not mean that there is nothing to hear during its performance: there is the audible beyond the music, the opening and closing of the concert piano, the audible silence of the room during the respective performance, members of the audience clearing their throats and the blowing of one’s own breath. It would be beautiful if SLAM could achieve something comparable. Because this is also part of the artistic offer of SLAM: to not only see, hear or experience what the artists did in and on the house de facto, but also how these actions differ from those without artistic intent.
Effects Will it happen like that? There is nothing certain about that. SLAM can only offer suggestions in that regard. “I believe that only the response to the work completes it”, Cage said.6 The reactions of the audience to ASLSP in Halberstadt have certainly been strong. Although people keep hearing the same note or chord over months and years, every change in tone, for which the organ pipes have to be replaced, becomes a special event that is celebrated like a festival in the church. In ORGAN2/ASLSP7 by Cage, too, something has moved to the centre that is otherwise present in music too, but has never been perceived in the same intensity and sensitivity: the change of tones from one to the next in a melody. The most mundane musical fact suddenly becomes an event of unprecedented presence.
möglichen ebenso die Erfahrung der Stille oder von Klängen jenseits der Musik. Cages’ berühmtes 4’ 33“ besteht zwar notentechnisch gesehen nur aus einer Pause, aber das heißt nicht, dass in der Aufführung des Stückes nichts zu hören wäre: Es gibt das Hörbare jenseits der Musik, das Auf- und Zuklappen des Konzertflügels, die hörbare Stille des Raums der jeweiligen Aufführung, das Räuspern des Publikums und das Wehen des eigenen Atems. Nun wäre es schön, wenn SLAM etwas Ähnliches vollbringen könnte. Denn auch das gehört zur künstlerischen Offerte von SLAM: Nicht nur das zu sehen, zu hören oder zu erleben, was de facto am Haus durch die Künstler gemacht wurde, sondern auch das, worin sich diese Maßnahmen von solchen ohne künstlerische Intention unterscheiden.
Wirkungen Wird das so eintreten? Eine Gewissheit dafür gibt es nicht. SLAM kann auch da nur Anstöße geben. „Ich glaube, die Reaktion auf das Werk vollendet es erst“, sagt Cage.6 Die Reaktionen des Publikums auf ASLSP in Halberstadt jedenfalls sind stark. Zwar hört man über Monate und Jahre immer denselben Akkord oder Töne, doch wird jeder Tonwechsel, zu dem die Orgelpfeifen eigens ausgetauscht werden, zu einem besonderen Ereignis, das vor Ort wie ein Fest begangen wird. Auch in ORGAN2/ASLSP7 von Cage scheint etwas in den Mittelpunkt gerückt, was in der Musik zwar auch sonst vorhanden ist, was aber noch nie in gleicher Intensität und Sensibilität wahrgenommen wurde: der Wechsel der Töne von dem einen zum anderen innerhalb einer Melodie. Das Allerge-
It is to be wished that SLAM can lead to similar effects, that something can be newly seen that was never before perceived in the same intensity: windows, radiators, floors, an entire house and perhaps the space around us which is called the life world. Ronald Berg
wöhnlichste in der Musik wird plötzlich zum Ereignis nie dagewesener Präsenz. Es ist zu wünschen, dass SLAM zu vergleichbaren Wirkungen führen kann, dass etwas neu gesehen werden kann, was bisher in gleicher Sensibilität nie wahrgenommen wurde: Fenster, Heizkörper, Fußböden, ein ganzes Haus und vielleicht der Raum um uns herum, der Lebensraum genannt wird. Ronald Berg
Anmerkungen
Notes
1 „to slam“ (engl.) ließe sich übersetzen mit: zuknallen, zuschlagen, hart anpacken, steht aber auch umgangssprachlich für kritisieren, miesmachen oder herunterputzen. Diese englischsprachige Bedeutungsebene war nicht unbedingt intendiert, zeigt aber, dass die semantische Dimension von Kunst im Grunde unausschöpflich ist.
1 In German, SLAM is an acronym for “so lange als möglich” which may be translated as “as long as possible” The English meaning (to shut hard, criticize or disparage) was not necessarily intended, but does show that the semantic dimension of art is essentially inexhaustible. 2 *1912 Los Angeles
2 *1912 Los Angeles
+
1992 New York
1992 New York
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3 Cage begann ab ca. 1946 sich mit Zen zu beschäftigen und besuchte Anfang der 50er Jahre an der New Yorker Columbia University für zwei Jahre Zen-Kurse bei Daisetz Teitaro Suzuki, dem wohl einflussreichsten Vermittler der Zen-Lehre im Westen. 4 Erleuchtung bedeutet für alle Buddhisten, also auch für die aus Japan stammende Zen-Richtung des Buddhismus, Eingang ins Nirwana, in die erfüllte Leere.
3 Cage began to study Zen since app. 1946 and visited Zen courses under Daisetz Teitaro Suzuki, probably the most influential teacher of Zen in the West, at Columbia University in New York for two years in the 1950s. 4 For all Buddhists and hence also for the originally Japanese Zen school of Buddhism, enlightenment means entry into nirvana, into fulfilled emptiness.
5 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Berlin/Libau 1790, zitiert nach der dritten Originalausgabe, 1799, S. 179.
5 Viz. Immanuel Kant, Critique of the Power of Judgement, Berlin/Libau 1790, cited here from the third German original edition of 1799, p. 179.
6 Richard Kostelanetz, John Cage im Gespräch, Köln 1989, S. 157.
6 Richard Kostelanetz, John Cage im Gespräch, Cologne 1989, p. 157.
7 So der offizielle Titel des 639 Jahre währenden Stückes.
7 So the official title of the piece which lasts 639 years.
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
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XVII
XVIII
XIX
XX
XXI
XXII
Bislang mitwirkende Künstler / Participating artists
Achim Borsdorf
http://achimborsdorf.de
Katja Brinkmann
www.katjabrinkmann.de
Jörg Bürkle Claudia Gansz
www.joerg-buerkle.de www.wiesenstrasse29.de
Fabian Ginsberg Jonas Hofrichter Jennifer Jordan Susanne Jung
www.jonas-hofrichter.de www.jenniferjordan.de www.susannejung.de
A. Paola Neumann
www.a-paola-neumann.de
Wolfgang Schlegel
www.wolfgangschlegel.eu
Judith Schwinn Matthäus Thoma Alexander Wolf
www.judithschwinn.de www.matthaeusthoma.de
Beiblatt Die Printversion des Kataloges SLAM wurde im 4-Farb-Offset-Verfahren von PinguinDruck GmbH Berlin hergestellt. Die kartonierte, klebegebundene Broschüre im A5-Format ist zum Preis von 12 EUR erhältlich. Begleitend haben wir in der Druckwerkstatt im Kulturwerk des bbk berlin GmbH eine Fine-Art-Edition gedruckt. Sie umfasst 23 digitale 10-Farben-Pigmentprints auf Hahnemühle Photorag 308 g/qm in einer einmaligen Auflage von jeweils 18 signierten Exemplaren im Format 27 x 37 cm. Die Motive der Fine-Art-Edition sind in römischen Ziffern unter den Abbildungen dieser Webversion des Kataloges SLAM angegeben. Die Drucke der Fine-Art-Edition kosten 150 EUR pro Blatt. Die Fine-Art-Edition dient keinem kommerziellen Interesse. Mit dem Erlös sollen die immensen Rechts- und Verfahrenskosten gedeckt werden, die A. Paola Neumann und Jörg Bürkle privat tätigen mußten, um die Weiterführung des Atelierhauses Wiesenstraße 29 und der künstlerischen Langzeitintervention SLAM in der bewährten Form zu sichern. Die Rahmenwerkstatt Rahmensalon unterstützt die Präsentation der Fine-Art-Edition. So ist bspw. eine erstklassige Rahmung in Archivqualität (Eiche, 40,2 x 50,2 cm, Passepartout, Distanzleiste, entspiegeltes UV-Museumsglas) zum 15 % ermäßigten Sonderpreis von 83,87 EUR erhältlich. Die Printversion des Kataloges SLAM und die Drucke der Fine-Art-Edition können dort besichtigt und erworben werden: Rahmensalon, Gartenstr. 113, 10115 Berlin Tel. 030-81 01 7 171, www.rahmensalon.de Di - Fr zwischen 11 und 18 Uhr Eine Besichtigung der Fine-Art-Edition ist auch in den Ateliers von A. Paola Neumann und Jörg Bürkle nach vorheriger Absprache möglich. Kontakt: Jörg Bürkle, Wiesenstraße 29, 13357 Berlin, Tel. 0157-82 50 65 14, joergbuerkle@web.de Alle genannten Preise verstehen sich inkl. Mwst., ggf. zzgl. Versandkosten.
Impressum A. Paola Neuman, Jörg Bürkle Wiesenstraße 29 13357 Berlin Tel. 030 - 461 23 43 joergbuerkle@web.de www.wiesenstrasse29.de Besonderer Dank an / Special thanks to Berufsverband Bildender Künstler Berlin (bbk berlin e.V.) www.bbk-berlin.de Redaktion / Editor: Jörg Bürkle, Claudia Gansz (Text) Übersetzung / Translation: Textbüro Reul GmbH, Frankfurt am Main www.textbuero-reul.de Fotos / Photos: A. Paola Neumann (S. / p. 4, 6 unten/below, 14, 30, 31, 43) Jörg Bürkle Gestaltung / Design: Jörg Bürkle © 2013 Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. / All rights reserved by the authors and editor. Reprint only by written authorization by the editor. Haftungshinweis: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für Inhalte externer Links. Für Inhalte anderer Internetseiten ist allein der jeweilige Betreiber verantwortlich.