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Zeitschrift der überkonfessionellen Bewegung Campus für Christus Schweiz

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Gott – Warum?


I N H A L TE D I T O R I A L gott – warum? | inhalt

gott – warum? | editorial

Inhalt

Editorial «Gott beantwortet keine Warumfragen!»

ZUM THEMA

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Warum Menschen leiden müssen

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Herausforderung für den Glauben

Eine Bibelbetrachtung von Andrea-Giorgio Xandry

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«Doch, es ist wahr!»

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Nur den nächsten Schritt Marlies Zindel beschreibt ihren Weg aus der «Krise»

REPORTAGE

«Sucht mich, so werdet ihr leben!»

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Aus der Komfortzone gerissen

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Persönlich Christus verheisst uns nicht Problemlosigkeit, aber Freude im Heiligen Geist. Von Hanspeter Nüesch

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Bücher Mit Rezensionen zum Thema

Verzweiflung und Hoffnung Zwei schwere Unfälle prüfen eine Familie

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Mich zumindest regen vorschnelle Pau­schalantworten auf. Ist es wirklich so sicher, dass Gott keine Warumfragen be­antwortet? Ist der Rat, nach dem Wo­zu zu fragen, nicht manchmal nur eine fromme Ausflucht? Es könnte ja sein, dass wir uns insgeheim mit dem Schmerz und dem Leiden anderer nicht wirklich auseinander setzen wollen. Und wenn es wahr ist, dass Gott Warumfragen nicht beantwortet, an wen sollen wir uns denn sonst wenden?

FÜR SIE NOTIERT

Vieles verloren – alles gewonnen Ein persönlicher Lebensbericht von Vreni Engelhard

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Tsunami Auf der Suche nach dem Warum; von Urs Iten

Stefan Meier, arbeitslos – wie weiter?

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Brigitte Eggmann

«Gotte beantwortet keine Warumfragen!» Wurden Sie auch schon mit dieser «Weisheit» abgespeist, als Sie sich – vielleicht mit Wut im Bauch – gefragt haben, warum Gott so etwas zulässt? Oder wurden Sie dazu angehalten, nach dem Wozu zu fragen?

«Gott allein kann uns helfen!» Hungerkatastrophe und Genozid im Sudan. Von Daniel Gerber

Gesundes Gottesbild – geheiltes Selbstbild. Von Peter Höhn

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Eine harte Gnade Wie aus Dr. Dominik Klenk durch Leiden ein anderer Mitstreiter Christi geworden ist

Wenn das Kind behindert ist ... Tom Sommer über den schwierigen Weg der Familie Schwaninger

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Trauma

Stelleninserate | Ausbildung | Veranstaltungen | Einsätze | Medien | Termine | Impressum

Krisenintervention Menschen begleiten Menschen

Natürlich ist es wahr: «Solange uns nicht die Gnade zuteil wird, dass wir uns in

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«Hört uns jemand anders zu», schreibt Rohr weiter, «beginnen wir selbst zu hören.»

wendet hat. Sein Fazit: Nicht Gott ist der Verursacher von Hunger und Sklaverei, sondern der Mensch. Urs Iten stellt fest, dass der Tsunami von Ende Dezember 2004 seine Weltsicht auf den Kopf gestellt hat. Er findet keine Logik, warum wer starb und warum wer überlebte. Die Menschen in Sri Lanka brauchen materielle Hilfe. Sie brauchen auch Menschen, die mit ihnen schweigen, trauern und ihnen zuhören. Sie brauchen jemanden, der sich für ihre Geschichte interessiert.

Es ist unser Anliegen, mit dieser Ausgabe beizutragen, dass Christen sorgfältiger hinhören lernen: auf Gott, aber auch auf Menschen, wie sie in diesem Heft zu Wort kommen. Auf Menschen, die Schweres hinter sich oder noch vor sich haben. Auf Menschen, deren Glaube in eine Krise geraten ist.

Gott interessiert sich auch für Ihre und meine Geschichte. Dass wir ihm den Raum lassen, unsere Fragen zu beantwor­ten, so wie er es möchte, ist viel­leicht das Einzige, was wir tun können. Mögli­cherweise braucht Gott nicht mal viel Raum dazu. Nur so wenig wie ein Senfkorn.

Auf Menschen wie das junge Ehepaar, welches die Diagnose bekommt, dass ihre zwei kleinen Söhne an einer unheil­baren Muskelkrankheit leiden und eine Lebens­erwartung von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren haben.

Brigitte Eggmann

die Lage des Leidenden hineinversetzen können, oder solange uns die Umstände nicht selbst einmal in eine vergleichbare Lage gebracht haben, bleiben unsere Antworten hohle akademische Phrasen», schreibt Richard Rohr in seinem Buch «Hiobs Botschaft. Vom Geheimnis des Leidens».

Daniel Gerber hat sich nach Afrika aufgemacht und an einem Ort hingehört, von dem sich die Welt bis heute abge-

Peter und Barbara Höhn befinden sich im wohlverdienten Weiterbildungsurlaub. Aus diesem Grund ist Brigitte Eggmann für das Editorial der Ausgabe 3/2005 und Tom Sommer für jenes der Ausgabe 4/2005 verantwortlich.

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gott – warum? | warum menschen leiden müssen

an allen Opfern. Aber, und auch das soll uns zu denken geben: Gott ist gerecht. Er richtet alles mit Mass und Ziel und verhängt keine unendliche Strafe für ein endliches Verbrechen. Da kann man nur mit David und Paulus sagen: Wohl dem Menschen, dem seine Sünden nicht zugerechnet werden, weil er darauf vertraute, dass Jesus seine Stra­fe trug (frei nach Psalm 32,1-2; 2. Korinther 5,20-21).

GOTT – WARUM?

Warum Menschen leiden müssen

Eine Bibelbetrachtung Vor einiger Zeit las ich wieder einmal systematisch das ganze Neue Testament im griechischen Urtext durch – eine für mich beglückende Ferienlektüre! Dabei stiess ich auf die Aussage von 2. Thessalonicher 1,4-5: «... eure Verfolgungen und Drangsale (sind) ein offenbarer Beweis des gerechten Gerichtes Gottes, dass ihr würdig geachtet werdet des Reiches Gottes, um dessentwillen ihr auch leidet.» Das Leiden der Christen in Thessaloniki ist «ein offenbarer Beweis des gerechten Gerichtes Gottes». Der hier genannte, nicht leicht verständliche Aspekt des Leidens erhellte meinen Geist und gab mir den Anstoss, der Frage, weshalb Menschen überhaupt leiden, anhand weiterer Bibelstellen auf den Grund zu gehen.1

Andrea-Giorgio Xandry

Mir wurde neu bewusst, dass es zunächst Jesus selbst war, der «von Anfang an» litt, von Grundlegung2 der Welt an war er «das geschlachtete Lamm» (Offen­ barung 13,8). Somit war Jesus der erste Leidende. Danach litten auch die Seinen, die sich zu Gott haltenden Menschen. Sie litten seit Abel (Matthäus 23,35), oft sogar freiwillig (Hebräer 11,35), weil sie die geistlichen Zusammenhänge erkannten. Paulus schreibt in Römer 8,36, dass die Gläubigen täglich und überall «wie Schlachtschafe» behandelt würden. Dieser Hinweis ist in eine der schönsten Doxologien (Lobpreisungen Gottes) der Welt eingegangen und tröstet bis heute Millionen Leidende.

Gottes gerechtes Gericht Gott wird eines Tages alles Leiden vor Gericht bringen. Im letzten grossen Gericht (Offenbarung 20,11 ff.) wird jeder 4

Sünder zu einer «gerechten» Leidenszeit verurteilt. Ein Sünder wird nie sagen kön­nen, dass Gott es sich von der Höhe seines Thrones aus anmasse, Strafe und Leid zuzumessen, ohne zu wissen, was er da dem Sünder «zumute». Denn Gott selbst litt in Jesus Christus mit. Unaussprechliches Leid nahm Gott auf sich selbst. Und er erfuhr umso mehr Qua­len, als da ein Unschuldiger (Jesus, sein Sohn) für die Schuldigen (alle Menschen, alle Geschöpfe) litt (Jesaja 53,1-6). Offenbarung 13,8 lässt erkennen, dass Jesus (hier das «Lämmlein», das «Opfer­ tier» genannt) schon seit Beginn von diesem kommenden Leiden wusste. Er nahm es im Voraus auf sich. Er schuf die Menschen als mit freiem Willen begabte Geschöpfe, die ihren Schöpfer entweder ehren oder sich von ihm abwenden und der Sünde und dem Verursachen von Leid zuwenden konnten! Von diesem Leiden verschonte Gott auch diejenigen

Das eingangs zitierte Wort aus 2. Thessalonicher 1,5 ist somit ein entscheidender Grund, warum alle Menschen, ob sie mit oder ohne Gott leben, leiden müssen: Damit Gottes Gerechtigkeit beim letzten grossen Gericht offenbar werde. Die Bibel gibt noch eine ganze Reihe weiterer Gründe an, weshalb und wozu Menschen leiden. Im Folgenden sind einige von ihnen stichwortartig aufgelistet.

nicht, die ihn ehrten und den Mitmenschen Gutes taten, selbst wenn sie unter denselben litten. Daran wird der im letzten Gericht zum Leiden verurteilte Sünder die Integrität und Gerechtigkeit Gottes erkennen. Und somit auch anerkennen müssen, dass er nach dem gerechten Gesetz Gottes verurteilt wird. Dieses gerechte Gesetz Gottes erklärt sich in grösster Kürze mit «Auge um Auge, Zahn um Zahn» (2. Mose 21,24). Das heisst, alles verursachte Leiden muss durch den Verursacher, den «Sünder», mit demselben Leiden erstattet werden. So muss er durch hundert-, ja tausendfaches Leiden hindurch gehen, in dem Masse, wie er Hunderten, Tausenden Menschen während seines ganzen Lebens Leiden zugefügt hat. Unvorstellbar, was ein Tyrann, der millionenfaches gros­ ses und kleines Leid verursachte, dann durchleiden muss: Von der kleinsten Demütigung bis zum grausamsten Mord cz 3|05

Sündenaufzählungen nennen, die zum Leiden führen (Römer 1,26-32; Galater 5,19-21; 2. Timotheus 3,1-5 und auch 1. Timotheus 1,5-11). Die Luther-Übersetzung spricht in 1. Timotheus 5,10 von «heilsamer»3 Lehre. Weil Menschen reich werden wollen (1. Timotheus 6,9): Wer nicht das Wort Agurs in Sprüche 30,8-9 beherzigt, der wird unnötiges Leiden auf sich, seine Familie und Mitmenschen bringen. Dort steht: «Armut und Reichtum gib mir nicht, speise mich mit dem mir beschiedenen Brote; damit ich nicht satt werde und dich verleugne und spreche: ‹Wer ist Jahwe?›, und damit ich nicht verarme und stehle und mich vergreife an dem Namen meines Gottes.» Viele Menschen

Überall, wo Gottes Wahrheit ersetzt, aufgehalten oder verzerrt wird, beginnt das Leiden.

Leben (wollen) ohne Gott Weil Menschen die Wahrheit durch Un­ gerechtigkeit aufhalten und somit ihr unverständiges Herz verfinstert wird (Römer 1,18.21 im Kontext): Überall, wo Gottes Wahrheit ersetzt, aufgehalten oder verzerrt wird, beginnt das Leiden. Es schleicht sich langsam ins Leben ein und wird, wie die Römerstelle zeigt, je länger, je weniger als Konsequenz der Gottesferne erkannt. Aus der Verfinsterung des eigenen Herzens kann nur noch ein Gnadenakt Gottes auf den richtigen Weg zum Licht der Umkehr leiten. Weil Menschen Gottes Gebote zum Le­ben missachten (Markus 10,22): Das Beispiel des reichen Jünglings weist uns zu den Ge­boten Gottes. Dazu gehören das grösste Gebot (Markus 12,30) und die Zehn Gebote, dort besonders ersichtlich an der Verheissung eines langen Lebens beim Gebot «Ehre Vater und Mutter» (2. Mose 20,5). Ferner könnte man alle cz 3|05

wissen nicht, dass es ein Mass gibt an Reichtum (oder Armut). Wer dies überschreitet, der richtet sich seelisch – und oft auch physisch – zugrunde. Wer kennt nicht die Beispiele der Lottomillionäre, die ein bis zwei Jahre nach ihrem Ge­winn verarmt waren! Aber es gibt auch Menschen, die im Hinblick auf wirtschaft­liche Vorteile ihren geistlichen Stand verlieren oder ihre Ehe und Familie vernachlässigen und manchmal ganz zerstören. Weil Menschen ohne Erkenntnis sündigen (Lukas 12,48): Hier bleibt die Frage offen, warum man sich nicht nach dem Willen Gottes erkundigt hat. Oder warum man sich wenigstens nicht nach dem allgemein gültigen Grundsatz richtete: «Alles nun, was immer ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, also tut auch ihr ihnen; denn das ist das Gesetz und die Propheten» (Matthäus 7,12). Gut, manch einer lebt einfach vor sich hin und weiss

nicht viel von gut und schlecht. Aber schuldig ist er dennoch und fügt sich selbst und anderen Leiden zu.

Verstellte Sichtweisen und Prioritäten Weil man sündigt, obwohl man Gottes Willen kennt (Lukas 12,47): Wie viele Ma­le weiss man genau, was Gottes Meinung zu einer Sache wäre, und tut dennoch das, was nicht richtig ist! Bei kleineren Dingen des Alltags fällt es «nur» mit Unannehmlichkeiten als Konse­quenz ins Gewicht. Bei grösseren allerdings kann es «böse» Folgen haben (Hebräer 10,29-31)! Auch Paulus kennt sehr wohl die Schwierigkeiten zwischen Wollen und Tun (Römer 7). Weil man sich nicht um Gottes Sache kümmert, zwar viel arbeitet und dabei doch wenig herausschaut (Haggai 1,6): Haggai beschreibt ein geistliches Prinzip: Weil sich die Israeliten nur um ihr eigenes Wohlergehen kümmerten und nicht um «das Haus Gottes» (Gottes Reich, seine Gemeinde, seine Anliegen), zerrann ihnen alles unter den Fingern. Ähnliches erleben viele Menschen von Monat zu Monat: Viel Arbeit und vielleicht sogar guter Verdienst – und es reicht nur ge­ rade, um (fast) alles zu bezahlen. Zu viel mehr reicht es nicht. Und man wollte doch noch für die Ferien oder für eine grössere Anschaffung etwas zurücklegen! Es ist ein Leiden, das von denen, die am Existenzminimum leben, noch stärker erfahren wird. Weil sich Menschen falsch ernähren – zum Teil aus religiösen Gründen (1. Timotheus 5,23): Timotheus neigte wahrscheinlich zu einem asketischen Lebensstil. Er verzichtete auf Wein, eventuell auch aus Gründen des Glaubens, da Wein in Fest­ge­­ lagen und in Götzenopfern missbraucht wurde. Doch «ist dem Reinen alles rein» (Titus 1,15), und «nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen 5


gott – warum? | warum menschen leiden müssen

wird» (1. Timotheus 4,4). Wein, mit Mass genossen, gehört zu einer gesunden, aus­ gewogenen Ernährung. Dies lässt sich zum Beispiel erkennen an der tieferen Zahl von Herz- und Kreislauf­­er­krankungen in mediterranen Gegenden im Vergleich zu den nordeuropäischen Ländern. Ausserdem wurde der Wein von Gott ge­schaf­fen, «damit er des Menschen Herz er­­freue» (Psalm 104,15). Unzählige andere Ernährungseinseitigkeiten oder ein Zuviel oder ein Zuwenig von etwas bringen körperliche Leiden. Weil man denkt, Gott habe sich aus dem Leben zurückgezogen (Psalm 77,6-11): Asaph hat in seinem Psalm 77 gesagt: «Das ist mein Kranksein, das ist mein Weh ... die Güte Gottes, seine Zusagen ... hören sie auf?» Seelsorger werden oft konfrontiert mit diesen Fragen. Es ist das Leiden der sensiblen Gläubigen.

Schmerzen als allgemeine Folge der gefallenen Schöpfung Weil man Schmerz empfindet, zum Beispiel bei einer schweren Geburt (1. Mose 3,16): Seit dem Sündenfall gibt es Schmerzen. Gebärschmerzen sollen zu den heftigsten überhaupt zählen. Auf einer statistisch erfassten Schmerzskala kamen sie vor Zahnschmerzen und heftigem Kopfweh. Schmerz ist Schmerz, der eine erträgt ihn besser, der andere schlechter. Bei einer Geburt ist der grosse Schmerz meist von grosser Freude über das Neugeborene gekrönt. Aber auch die Schmerzen harter Arbeit «im Schweisse unseres Angesichtes» gehören dazu. Es ist das Leiden derer, die Verantwortung für sich und das Leben anderer übernehmen (1. Mose 3,19).

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Weil Beziehungen nicht richtig verlaufen (1. Mose 3,16): Beziehungsschmerzen sind nicht messbar. Sie treiben Menschen in schlimme Depressionen, in Abhängigkeit, in vielerlei Leid und oft auch in den Tod. Da wir sozial angelegte Wesen sind, haben Beziehungsfragen höchste Priorität im Leben der meisten Menschen. Deshalb nimmt das Thema der Vergebung einen so zentralen Stellenwert in der Bibel ein, damit wir nicht im Gefängnis der Unvergebung und Bitterkeit den Peinigern überlassen bleiben müssen (Matthäus 18,21-35). Weil finstere Mächte Menschen gegen Menschen missbrauchen (Epheser 6,12): Menschen gegen Menschen im Kampf – nicht nur mit tödlichen Waffen, sondern auch mit den vielen Ungerechtigkeiten und Gemeinheiten im Alltag! Man wehrt sich, weil man angegriffen wurde. Man bekämpft sich, weil man bekämpft wur­de, – und man übersieht so häufig dabei, dass Menschen oft nur Werkzeuge böser Mächte sind. Bevor wir Leiden mit Leiden vergelten, sollten wir die Hintergründe des uns zugefügten Leidens zu erkennen versuchen. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig Römer 12,18-20 anwenden! Weil man sich den Nichtigkeiten, Sün­den und der ganzen Weltentwicklung ge­genüber machtlos fühlt (Prediger 1,18; Psalm 77,6): Zu wissen, wie ohnmächtig man den meisten schlechten Entwicklungen zusehen muss, bringt manchen in Traurigkeit und in fatalistische Lähmung der Seele. Gefahren zu erkennen und machtlos zuschauen zu müssen, wie War­nungen in den Wind geschlagen werden, ist eine grosse Last! Den Lug und Trug und die Manipulation der Mächtigen zu durchschauen, ihnen bewusst zu begegnen und dabei unbeschwert zu bleiben, ist eine Gnade, die nur Gott geben kann. cz 3|05

Weil die Schöpfung der Vergänglichkeit und Nichtigkeit unterliegt und auf die Enthüllung der Söhne Gottes wartet (Römer 8,18-23): Diese Stelle kann als eine der allgemeinsten Aussagen zum Leiden überhaupt angesehen werden, weil es die ganze Schöpfung betrifft. Die Überwindung der Vergänglichkeit findet in Abteilungen statt, wie es in aller Kürze in 1. Korinther 15,20-24 steht. Vers 23: «Ein jeder aber (wird auferstehen) in seiner eigenen Ordnung: der Erstling Christus, sodann die, welche des Christus sind bei seiner Ankunft; dann das Ende, wenn er das Reich dem Gott und Vater übergibt.» Mit «Ankunft» ist die Wiederkunft Jesu gemeint. Auferstehung schliesst Verwandlung mit ein. Die im Text erwähnte «Enthüllung» der Söhne Gottes nun ist identisch mit der Verwandlung der Gläubigen in einen Herrlichkeitsleib gemäss 1. Korinther 15,51-54 mit dem zentralen Vers 51: «Wir werden aber alle verwandelt werden.» Alle, das sind die an Jesus Christus Gläubigen, alle «Söhne des Sohnes»! Wenn sie bei Jesu Wiederkunft die Vergänglichkeit überwinden, wird die Schöpfung aufatmen können; auch sie kommt bald «an die Reihe», ihr Leiden wird ein Ende haben.

Damit man die rechte Weisung und Hilfe bei Gott suche Damit man, wie Jesus selbst, durch Lei­den Gehorsam lerne (Hebräer 5,8-9): Wenn man zwei Möglichkeiten vor sich hat und weiss, dass eine davon mehr auf Gottes Wort beruht als die andere, was dann? Man wird sich oft für den selbstsüchtigeren Weg entscheiden. Entscheidet man sich aber gegen den eigenen Vorteil, weil man erkannt hat, dass Gottes Wort anderes rät, dann ist auch dieser Entscheid ein Stück Leiden. Damit man Gott suche und bete (Jakobus 5,13): Im «gut funktionierenden» Tages­ ablauf kommt das Gebet oft zu kurz. cz 3|05

Erst im Erkennen und Erfahren von Not und Leiden gewinnt das Gebet wieder an Wichtigkeit und Kraft. Darum weist wohl Jakobus auf die Empfindungen oder Gemütsbewegungen des grossen Propheten Elia hin. Selbst dieser brauchte eine äussere Notlage als Anstoss zum «ernstlichen» Gebet! Damit man Sünden bekenne und Gottes Heilung erfahre (Jakobus 5,16): Gegensei­ tiges Bekennen von Sünden, Schwächen und Vergehungen in der Gegenwart Gottes erzeugen Mut, Zuversicht und manchmal auch Heilung. Man sieht, dass auch andere ihre Kämpfe und Lei­­den haben und wir miteinander auf Gottes Gnade angewiesen sind. Damit einem Gottes Gnade genüge (2. Korinther 12,9): Der Textzusammenhang zeigt eine Leidenssituation, aus der sich Paulus durch dreimaliges Flehen zu Gott zu befreien suchte. Gott befreite ihn aber nicht, sondern wies auf seine Gnade hin und darauf, dass Gottes «Kraft in Schwachheit zur Vollendung kommt». In anderen Situationen, wie zum Beispiel nach einer Steinigung, hatte Gott Paulus jedoch augenblicklich von den schwersten Wunden geheilt (Apostelgeschichte 14,19-20). Es gibt bei den Gnadenerwei­ sungen Gottes, bei Heilungen oder Nicht­ heilungen keine Regel. Damit man mit der Sünde abschliesse (1. Petrus 4,1): Leiden «bremst» das Sündigen oder bringt die (Tat-)Sünde zum Abschluss. Wer leidet, hat weniger oder keine Lust zum Sündigen, weil Sündigen ja lustvoll sein und einen Genuss bringen soll. Allerdings «leiden» notorische «Genusssüchtige» auch gerade dann, wenn sie wegen ihres Leidens ihre Sucht nicht mehr befriedigen können. Andere wiederum sind froh, dass ihnen das Leiden die Augen für die Konsequenzen öffnet, und sie hören auf, ihren Körper oder ihre

Seele zu schädigen. Ein Bekannter notierte hierzu folgende Erfahrung: «Nach einigen Kämpfen hatte mich Gott vom Zigarettenrauchen befreit. Da dieses Kapitel somit für mich abgeschlossen war, hatte ich damit nicht mehr weiterzukämpfen. Somit litt ich auch nicht mehr darunter. Dagegen kann eine attraktive Dame, die sich in meiner Nähe nur sehr knapp bedeckt bräunen lässt, in mir noch Gedanken auslösen, die nicht gut sind. Ich kämpfe und sehe auch eine Art Leiden dabei. Warum? Weil ich in die­sem Punkt offenbar mit der Sünde noch nicht abgeschlossen habe.» Damit man – um des Gewissens vor Gott willen – Gottes Gnade erfahre (1. Pe­t­­rus 2,19): Es scheint, dass das Gewissen durch Leiden geschärft, gestärkt und somit so­­­gar gereinigt wird. Genau be­trachtet, sagt der Text, dass es Gnade sei, wenn man im Gewissen Gott gegen­über Beschwerden tragen könne. Norma­l­erweise ist das Gewissen an Kultur, an Erfahrungen, an gesellschaftliche und reli­giöse Normen gebunden und darin oft verbo­gen. Das kann je nach dem zu Gesetz­­lich­keit bis hin zu religiösem Fana­tismus mit den uns bekannten Auswüchsen führen. Wenn das Gewissen aber an den wahren Gott der Liebe und an sein geoffenbartes Wort in der Bibel gebunden ist, dann ist es wahrhaftig «wohlgefällig», deswegen auch ungerechtes Leiden tragen zu können. Damit man Gottes Willen im Leiden er­ kenne (1. Petrus 4,19): Nach Gottes Willen leiden! Das heisst zuallererst, dass man auch ohne (ausserhalb von) Gottes Willen leiden kann. Deshalb ist es von grös­ster Wichtigkeit, zuerst im Leiden heraus­­zufinden, woher es kommt und was es bezwecken könnte. Dies müsste vor dem Gebet für Heilung oder gar vor dem Ruf nach dem Arzt geschehen! Körperliches, seelisches oder geistliches 7

Erst im Erkennen und Er­fahren von Not und Leiden ge­winnt das Gebet wieder an Wichtig­ keit und Kraft.


gott – warum? | warum menschen leiden müssen

Leiden, in das hinein Gott uns das Warum und Wozu offenbart, lässt auch eine eventuelle Heilung in einem anderen Licht erscheinen. Es gibt und gab schon immer Menschen, die eine Heilung oder eine Beendigung des Leidens aus diesen Gründen ablehnten. Ein starkes Beispiel: Ein durch Unfall erblindeter Prediger be­­tete nach Jahren eines gesegneten Dienstes heiss um Wiedergewinnung seines Augenlichts. Und Gott gab es ihm tatsächlich zurück – in seinem Gebetskämmerlein. Die Freude war gross! Doch dann sagte ihm Gott, wie sein Dienst von nun an mit weniger Segen weiter­ gehen werde – es sei denn, er wähle wieder das Blindsein! Der einsame Kampf im Herzen des Predigers in dieser Ge-

Die Vergebung – das Erlassen der verdienten Strafe, laut Gottes Gesetz – erhalten wir geschenkt, wenn wir uns Jesus Christus zuwenden und ihn darum bitten. betskammer ist kaum vorstellbar. Der Diener Gottes wählte – nach Stunden – wieder die Blindheit. Nicht viele müssen durch ein solch extremes Beispiel hindurch. Aber schon ein paar Tage Grippe wären bei manch einem arbeitsamen Menschen besser im Bett verbracht worden (und dabei mit Gott!) als mit Tabletten im Büro.

Leiden trotz eines Lebens mit Gott Weil manchmal noch die Konsequenzen der Jugendsünden zu tragen sind (Jeremia 31,19): Vergebung der Sünden und Konsequenzen aus Sünden sind zwei verschiedene Sachen. Die Vergebung – das Erlassen der verdienten Strafe, laut Gottes Gesetz – erhalten wir geschenkt, wenn wir uns Jesus Christus zuwenden und ihn darum bitten. Die Konsequenzen der Sünden stehen auf einem anderen Blatt: Sie können mit der Vergebung auch «erlassen» werden (bei Gott ist alles 8

möglich), können aber auch noch jahrelang unser gesamtes Leben beeinflussen. Ein leichtsinniges, ungezügeltes Leben in der Jugend kann den Körper so nachhaltig schädigen, dass man bis ins Alter da­­runter zu leiden hat. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Weil man mit Gottes Geboten leben möch­­te (Psalm 34,19; 2. Timotheus 3,10-13): Wer hat es nicht selbst schon erlebt: Jemand kehrt um von seinen schlechten Wegen und versucht nach Gottes Geboten zu leben – und man denkt, dass sich alle da­ rüber freuten! Leider sieht die Reali­tät oft anders aus. «Alle, die gottselig (im Ein­ klang mit Gott) leben wollen in Christo Jesu, werden verfolgt werden» (2. Timotheus 3,12). Leider wird diese Art Leiden oft nicht richtig im Leben erkannt, verdrängt oder anderen Ursachen zugeschrieben. Weil man Kraft für das Neue gewinnt (1. Mose 37,34): Der Erzvater Jakob litt viele Tage lang unter dem (vorgetäuschten) Tod seines lieben Sohnes Josef. Trauern, im Masse der göttlichen Führung und der menschlichen Kraft, bringt der Seele Ruhe und Kraft für einen Neuan­ fang. Die masslose Trauer, die vom Feind der Seelen unterstützt wird, bringt nur grösseres Leid. In 2. Korinther 4,17 steht: «Denn das schnell vorübergehende Leich­ te unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Massen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit.» Weil man für den Namen Jesu einsteht (Apostelgeschichte 5,41; 9,16): Nicht nur in den frühchristlichen Zeiten mussten unsere Glaubensgeschwister viel leiden. Die Bedrängnisse um Christi Namen willen ziehen sich als blutige Spur durch die Geschichte bis in unsere Tage. Man sagt, das Blut der Märtyrer sei der Same der Kirche. Wie wahr! Im Römischen Reich hörte man unter anderem darum mit den Christenverfolgungen auf, weil

es trotz grausamer Pogrome immer mehr Christen gab. Man konnte ja schliess­lich nicht den Grossteil des eigenen Volkes opfern! Heute lassen viele Christen in islamischen, hinduistischen und buddhistischen Ländern ihr Leben. In der westlichen Hemisphäre sieht das Leiden um Jesu willen anders aus. Man hat eher gesellschaftliche Nachteile zu erdulden, oder man wird von der Familie verachtet und ignoriert, wenn man offen für Christus, für seine Ideale eintritt. Auch das kann wehtun. Weil es Freude bringt (1. Petrus 4,13; He­ bräer 12,2): Die Apostel «gingen aus dem Hohen Rat fort, voller Freude, dass sie ge­würdigt worden waren, für den Namen Schmach zu leiden» (Apostelgeschichte 5,41). Den Leiden des Christus teilhaftig zu werden, heisst, auch an seiner Herrlichkeit teilzuhaben, wenn er sich dieser Welt offenbaren wird. Gläubige, die sich biblisch gut auskennen, können sich auch besser auf kommende Ereignisse freuen! Die Schmerzgrenze wird dadurch erweitert werden. Weil man eine starke Offenbarung hatte (Daniel 8,27; 2. Korinther 12,7): Nicht vielen geschieht heute eine so starke Offen­ barung, wie sie ein Daniel oder Paulus hatten. Und doch haben Menschen Gottes immer wieder «umwerfende» Erfahrungen, in denen Gott sich souverän zeigt. Freude und Schwachheit liegen oft nahe beieinander, je nach Art der Offenbarung natürlich.

Tieferes Verbunden- und Einswerden mit Jesus und seinem Leib Weil man so als Glied am Leibe Jesu Mit­gefühl für andere Glieder erfährt (1. Korin­ ther 12,26): Es ist schwierig, sich wirklich in Freud oder Leid eines anderen Menschen hineinzuversetzen. In Sprüche 14,10 steht: «Das Herz kennt seine eigene Bitterkeit, und kein Fremder kann sich in cz 3|05

seine Freude mischen.» Und doch lehrt uns 1. Korinther 12,12-27, dass wir als Glie­der am Leibe Christi ähnlich reagieren sollten, wie es unsere eigenen Leibesglieder lehren: mitleiden und sich mitfreuen! Haut man sich auf eine Hand, deckt reflexartig die andere die schmerzende Stelle zu. «Vor allen Dingen aber habt untereinander eine anhaltende Liebe, denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden» (1. Petrus 4,8). Meist tut man das Gegenteil: Man deckt mög­lichst viele Sünden des anderen auf. Richtig mit­fühlen kann man nur durch den Geist Gottes. Damit noch fehlendes Leiden des Christus «ergänzt» werde (Kolosser 1,24): Wenn im Neuen Testament der Ausdruck «der Christus» gebraucht wird (siehe Elberfelder Übersetzung), kommt darin oft die Verbundenheit von Christus, dem Haupt, mit den Gläubigen als Glieder des Leibes Christi zum Ausdruck. Als Jesus am Kreuzespfahl «Es ist vollbracht!» rief, hatte er den Sieg über Sünde und Satan, als er auferstand, den Sieg über den Tod errungen. Dieser Sieg aber gilt nicht für das Leiden: Sein Leiden als Mensch war zwar mit seinem Sterben vorüber, dennoch geht sein Leiden – als geistliches Haupt seiner Glieder auf Erden – in den Gläubigen, in der Gemeinde weiter. Viele Stellen zeigen das Leiden der Christen als Konsequenz ihrer Christusnachfolge, wie 1. Petrus 4,1 es besagt. Weil Leiden ein Teil unser aller Berufung zur Nachfolge Christi ist (1. Petrus 2,20-21): Leiden, nachdem man Unrecht getan, hat mit «verdienter» Strafe zu tun. Die meisten Menschen begrüssen eine solche Strafe. Aber es tut doppelt weh, zu leiden, nachdem man Gutes oder weil man Gutes getan hat! Jesus erging es so, und dass wir als seine Nachfolger Ähnliches erleben, darf uns nicht verwundern. cz 3|05

Damit Gottes Gerechtigkeit, Weisheit und Werke allen offenbar würden Damit sich Satans Verklagungen als un­ wahr oder verkehrt erwiesen (Hiob 1,9-12; 42,10): Satan verklagte Hiob bei Gott, er sei nur deshalb so gottesfürchtig, weil Gott ihn so gesegnet habe. Und Gott mutete Hiob zu, einem schweren, vom Satan verursachten Leiden ausgeliefert zu werden, damit sich Satans Argwohn als falsch erweise, was sich im Verlauf des Buches Hiob dann auch zeigt. Seit je war es der Gläubigen Auftrag, Gottes vielfarbene Weisheit den Engeln zu zeigen. Dazu Paulus in Epheser 3,10: «... auf dass jetzt den Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Örtern durch die Gemeinde kundgetan würde die mannigfaltige (griechisch ‹vielfarbige›) Weisheit Gottes.» Und zu dieser vielfarbigen Weisheit Gottes gehört auch unser Umgang mit dem Leiden und mit den Verklagungen Satans und seiner An­hängerschaft. Denn Satan, der Verkläger, wurde mit seinen Engeln aus dem Himmel auf die Erde geworfen! Gott hat dem Satan einen gewissen Spielraum auf der Erde gegeben. Es wäre nützlich und wichtig, in der aktuellen Verkündigung davon zu hören, was der Auftrag der Gemeinde an der unsichtbaren Welt, an der bösen und der guten Engelswelt ist und was nicht. Das würde die Lehren der «geistlichen Kampfführung» verfeinern und bereichern.

Menschen Grosses vollbracht. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist Beethoven: In schwersten Verhältnissen aufgewachsen, später taub, wurde er zu einem der grössten Komponisten der Weltgeschichte! Im heutigen Alltag sieht man mit Staunen, wie Menschen mit Behinderungen ihr Leben meistern. Diese Kraft gibt Gott. Ob sie als von ihm kommend erkannt wird oder nicht, spielt nur eine nebensächliche Rolle. Behindert und aus Glauben an Jesus lebend – das ist ein grosses Zeugnis für Gottes Werk.

• Andrea-Giorgio Xandry ist verheiratet mit Eva und Vater von fünf Kindern. Nach ei­nem Kunststudium arbeitete er sieben Jahre bei einer Werbeagentur, danach zwan­zig Jahre als Pastor. Heute ist er tätig als Mentor, Bibel- und Griechischlehrer.

1 Mein Dank geht auch an Walter Nussbaumer,

Markus Schildknecht und Regula Schudel, die mir zu dieser Studie weitere Anregungen gesandt haben. 2 Das hier für «Grundlegung» oder «Schöpfung»

gebrauchte griechische Wort «katabolä» be­ deutet eigentlich «Herabwurf» und könnte auch den «Fall der Schöpfung nach dem Sündenfall» bedeuten. Das Leiden Jesu zeigte sich seit eh und je im Mitleiden mit allen leidenden Geschöpfen.

Damit die Werke Gottes offenbar seien (Johannes 9,1-3): Dass in Schwachheit und Behinderungen Gottes Werke offen­ bar werden, liegt nicht auf der Hand. Und doch haben gerade behinderte

3 Das griechische Wort im Urtext ist «hygiai-

nousä didaskalia». Es lässt einen weiteren Wortzusammenhang erkennen, nämlich jenen des deutschen «hygienisch»! Darum übersetzt wohl die Elberfelder mit «gesunder» Lehre.

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S C H R I T T

gott – warum? | nur den nächsten schritt

Rücksprache mit meinem Mann habe ich den Eindruck, es wäre gut, zusammen mit meiner ältesten Tochter zu verreisen. Schon zwei Tage später halten wir einen Schlüssel und eine Wegbeschreibung in der Hand. Meine Tochter freut sich genauso wie ich auf das Unbekannte. Ich sehne mich nach Rückzug und Stille; ich sehne mich danach, mit Gott Zeit zu verbringen, auf ihn zu hören. Eigentlich gibt es keine «Gott, warum?»-Frage in mir, denn mein Vertrauen war und ist tief. Aber, ich brauche die richtige Interpretation unserer Umstände aus seiner Hand! Aus erster Hand, nicht «secondhand»!

Nur den nächsten Schritt Der Weg aus der «Krise» Das Leben stellt stets neuartige Herausforderungen. Neuartig, weil wir als Menschen einem unaufhörlichen und oft schmerzvollen Veränderungsprozess unterworfen sind. Meistens tauchen solche Herausforderungen in einem Moment auf, wo wir uns nicht bereit dazu fühlen oder die Umstände nicht passend sind. Wir geraten unter Druck, und mühsame Fragen quälen uns, die beantwortet werden wollen. Wie können wir Gott in diese Prozesse einbeziehen? Dazu habe ich letztes Jahr einiges gelernt!

einiges abverlangen. Mein Part ist es, drei Wochen lang – genau während der Sommerferien – auf die gemeinsame Zeit zu verzichten. Als dann im August der Alltag wieder einkehrt, versuche ich das normale Leben wieder aufzunehmen.

• Marlies Zindel-Müller: Familienfrau, 48-jährig, 3 Kinder im Alter von 13 – 18 Jahren, seit 22 Jahren verheiratet mit Tho­mas, Sozialpädagogin HFS, begleitet seit 18 Jahren innerhalb der Sportlerbewegung «Athletes in Action» Frauen im Sport. Ihr Herz schlägt dafür, Frauen durch Beratung und Coaching in schwierigen Prozessen zu begleiten und freizusetzen, damit sie ihr Potential und ihre Berufung erkennen können.

Marlies Zindel Im Sommer 2004 sind unsere Kräfte völlig aufgezehrt: Im Frühling die Kündigung unseres Hauses, die endlose Lehrstellensuche unserer ältesten Tochter und dann die Olympischen Spiele 2004 in Athen, die meinem Mann Thomas so 14

Aber irgendetwas in mir steht auf der Bremse: Ich komme kaum vom Fleck. Eines Morgens erledige ich einen Einkauf im Dorf. Ich treffe eine bekannte Frau, und sie fragt mich nach der Lehrstelle unserer ältesten Tochter. Ja, auch die letzte Möglichkeit hat sich eben wieder in Luft aufgelöst, und so erzähle ich tapfer, dass zurzeit nichts mehr in Aussicht sei. «Ja, das sind schon verlorene Jahre!», kommentiert sie. Ihre Worte bleiben wie Pfeile in meinem Herzen stecken. Ja, verloren für wen? Fürs Leben? Ich kann zwar Nachsicht empfinden, dass sich viele Menschen beim Thema «Jugendarbeitslosigkeit» ganz einfach hilflos fühlen. Aber mich bewegen viele Fragen, die nach einer Antwort lechzen. Wo wird unsere Tochter endlich eine Lehrstelle be­ kommen? Wo sollen wir als fünfköpfige

Im Tessin angekommen, suchen wir am Bund den richtigen Schlüssel, um das Tor zu öffnen. Ein wunderschöner Park er-

Familie eine Wohnung finden? Eigentlich hätten wir unser Haus schon verlassen sollen, aber wohin? Ich frage mich, ob ich in einer echten Krise stecke. Dabei ist doch Krisenintervention mein berufliches Fachgebiet als Sozialpädagogin. Brauche ich selber eine Intervention? Meine Gedanken verlieren sich, und ich erkenne zunehmend, wie entscheidend es ist, auf wen ich hören will. Ja, auf wen will ich eigentlich hören?

Antwort aus erster Hand Ich merke, dass ich in meiner Krise die richtige Interpretation brauche, damit es dem Feind nicht gelingt, mich gedanklich in die Sünde hineinzudrängen. Am Nachmittag habe ich eine Beratung bei mir zu Hause; die Frau erkundigt sich, wie es mir so gehe, ob ich schöne Ferien gehabt hätte. «Eigentlich bräuchte ich jetzt Ferien», sage ich. Sie bietet mir kurzerhand das Haus ihrer Eltern im Tessin an, und irgendwie spüre ich: Das ist genau das Richtige für mich! Nach cz 3|05

«Ja, darum geht es – einen Schritt nach dem andern, ich muss gar nicht den ganzen Weg kennen, und das gilt auch für meine Tochter. Nur den nächsten Schritt!» streckt sich vor unseren Augen: Palmen, ein Pool, Liegestühle, wir fühlen uns einfach so richtig geliebt! Denn wie der Ferienort aussehen würde, wussten wir nicht, ich hatte nur einen tiefen Frieden darüber, dass es der richtige Ort für uns sein werde. Meine Tochter kann es kaum fassen, dass wir das Ganze für uns allein geniessen dürfen. Die Tage der Ruhe, der Stille und der abgestellten Aussenreize helfen mir, vieles im Hören auf Gott zu bewegen, ihm die Chance zum Reden zu geben. Wie oft habe ich Gott schon Fragen gestellt! Hatte ich mich da wirklich auch abgesondert zum Hören? In diesen Tagen wird für mich das Hören auf Gott ganz einfach: Draussen in der Natur bewegen mich viele Bilder. An einem Morgen entdecke ich eine steile cz 3|05

Steintreppe, die den Rebberg hinaufführt. Gott redet, und ich merke: «Ja, darum geht es – einen Schritt nach dem andern, ich muss gar nicht den ganzen Weg kennen, und das gilt auch für meine Tochter. Nur den nächsten Schritt!» Ich erinnere mich an Abraham. Gott zeigte ihm den Weg, indem (oder während) er auszog. Nicht vorher. Ja, ich will mich aufmachen, ohne den ganzen Weg zu kennen. Die Treppe des Weinberges ist steil; links und rechts hängen mir die reifen Trauben beinahe in den Mund. Ich rede mit Gott, er redet mit mir, und die Zeit vergeht. Oft wachsen gerade dort Früchte, wo ich es nicht erwarte, am Rand, wo ich mir den Weg nicht selbst ausgesucht habe. Jesus spricht weiter. Ich sei in einem Reifungsprozess und nicht in einer Krise. Und gerade dieser Prozess werde reife Früchte hervorbringen. Beim Anblick dieser Trauben spüre ich grosse Freude. Ich gehe bis zum obersten Tritt, wo der Weg nicht mehr weitergeht, drehe mich um, und mein Blick schweift über den Rebberg, über die Pinien, auf den See, zu den Bergen. Ich bin wie auf einer höheren Ebene angelangt, habe plötzlich Weitsicht und Ausblick und fühle mich von Gott zutiefst beschenkt. Ich spüre, wie meine Seele in den letzten Monaten irgendwie nicht mehr mitgekommen ist. Auf dieser obersten Treppe danke ich Gott und preise ihn von ganzem Herzen, mit ganzer Seele. Mein Bibelstudium zum Thema «Seele» beginnt an diesem Morgen. Als ich vom Rebberg wieder hinuntersteige, entdecke ich die Schuhe des Weingärtners: keine Turnschuhe, keine Flipflops – Schuhe für ein intensives Handwerk, für alle Wetterlagen. Durch viele Bilder spricht Gott weiter zu mir, er zeigt mir, wie ich diese Tage mit meiner Tochter nutzen soll, um nochmals

Rückblick auf ihre Pubertätszeit zu halten. Gibt es noch Dinge, die gesagt oder vergeben werden sollten? Für uns beide werden diese Tage zu einer Gnadenzeit, und es wird mir wichtig, wie Gott doch Freude hat, wenn wir uns einmal abmelden von einer Welt, die vieles, was sie nicht einordnen kann, einfach als «Krise» oder als «verlorene Zeit» erklärt. Mit Gottes Reden im Herzen kehre ich in meinen Alltag zurück. Ich fühle mich befreit, mich nicht mehr länger auf Menschenworte abstützen zu müssen, nur weil ich persönlich die Umstände nicht verstehe. Diese Tage sind für mich zu einer tiefen Gotteserfahrung geworden; ich halte an diesen Bildern fest und integriere sie in meinen Alltag, denn ich habe dieses Panorama mit eigenen Augen gesehen. Es ist keine SecondhandGeschichte. «Wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen» (2. Petrus 1,16). Was Gott mir offenbart oder zeigt, will ich nicht wieder vergessen, sondern im Glau­ ben festhalten. Unterdessen hat uns Gott den übernächsten Schritt gezeigt: Wir sind als Familie gut umgezogen. Für alles andere nehmen wir den nächsten Schritt, weil Gott den ganzen Weg kennt. 15


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gott – warum? | «sucht mich, so werdet ihr ...»

«Sucht mich, so werdet ihr leben!» Gesundes Gottesbild – geheiltes Selbstbild Um es gleich vorwegzunehmen: Ich glaube nur zum Teil an Gott. Denn, was ich von ihm bis heute erfasst habe, ist nur Stückwerk. Was habe ich von Gott schon wirklich begriffen? Würde ich überhaupt (noch) an ihn glauben, wenn mein Leben anders verlaufen wäre? Wenn mir grausames Leiden und Missbrauch zugemutet worden wären? Oder wenn ich anderseits im Geld und Erfolg schwimmen würde, so dass ich gar keinen Grund sähe, nach Gott zu fragen?

Peter Höhn Oder würde ich vielleicht noch viel inniger an ihm hängen? Wie auch immer: All diese Fragen zeigen schliesslich nur, wie stark unsere persönliche Geschichte und unser Glaube an Gott miteinander verwoben sind.

Umgekehrt gilt: Unser Bild, das wir von Gott haben, prägt uns viel mehr, als wir denken. Im Grunde hat jeder Mensch ein Gottesbild, selbst wenn es darin besteht, kein Gottesbild zu haben. Aber irgendetwas wird immer den Platz Gottes einnehmen. Wie die Erfahrung zeigt, lebt jeder Mensch mehr oder weniger bewusst in

einem solchen Dreieck. Und wenn es aus dem Gleichgewicht geraten ist, sucht er neue Deutungen und Erklärungen – über Gott, die anderen, sich selbst.

Welches Gottesbild prägt mich? Je nach Biographie kristallisiert sich in jedem Menschen über die Jahre

Was Leben und Verhalten prägt

Mein Gottesbild (oder das, was den Platz Gottes einnimmt) • Mein tägliches Leben und Verhalten wird wesentlich davon beeinflusst, wie ich

Mein Selbstbild Mein Menschenbild Mein Denken und Handeln

Meine Erfahrungen (Biographie, Kultur, Familie, Verkündigung, Umwelt ...)

über mich, über andere Menschen und über Gott denke. Alle diese Bilder hängen untrennbar miteinander zusammen, beeinflussen sich gegenseitig und wurzeln in meiner familiären und religiösen Herkunft, meiner Umwelt und meinen Erfahrungen.

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gott – warum? | «sucht mich, so werdet ihr ...»

ein Gottesbild heraus, das ihm am einleuchtendsten scheint, das ihm dabei hilft, sein bisheriges Leben erklären und bewältigen zu können. Dazu einige Beispiele: Manchen Menschen scheint es am besten, wenn Gott einfach «ein höheres Wesen» ist, mit dem sie möglichst wenig zu tun haben müssen, etwa aus Angst vor zu viel Frömmigkeit. Andere haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen Beten oder gewisse religiöse Übungen wirklich helfen: «Ich stelle dich

Wir fragen selten oder nie: «Warum lässt Gott nur all das Gute zu?» zufrieden, du stillst dafür meine Bedürfnisse.» Eine mir bekannte Missionarin erzählte, wie sie eines Tages im Gebet erkannt habe, dass sie mit Gott in einer solchen Art Kuhhandel-Beziehung stand. Sie war mit der Einstellung ausgereist, dass sie jetzt zwei, drei Jahre in der Mission diene und Gott ihr nachher zur Belohnung einen Mann schenken werde. Es gibt noch andere Gottesbilder, die in gewissen Situationen durchaus angebracht sind, zum Beispiel der Gott, der mich erfolgreich macht (Jabez in 1. Chronik 4,10). Auf der anderen Seite der Gott, der das Schwache erwählt hat (1. Korinther 1,27). Es gibt den «Glaubens-Gott», der auf den richtigen Glauben antwortet (Johannes 14,12). Es gibt Gott, den «ganz Anderen, Unverfügbaren» (Jesaja 55,8-9). Alle diese und noch viele weitere Gottes­ bilder sind in der Bibel belegt. Prob­le­­matisch wird es nun, wo jemand eines davon zum einzig wahren Gottesbild erhebt.

Krisen schärfen das Gottesbild Deshalb müssen wir eigentlich froh sein, wenn Gott im Laufe unseres Lebens – er tut das meist ungefragt – unsere einseitigen Gottesbilder über den Haufen 18

wirft. In diesen Krisen fangen wir an zu schreien: «Gott, warum?» Es ist übrigens bemerkenswert und beschämend zugleich, dass wir diese Frage immer nur dann stellen, wenn es schlecht läuft. Wir fragen selten oder nie: «Warum lässt Gott nur all das Gute zu?» Gott führt uns in die Wüste, um uns «zu Herzen zu reden» (Hosea 2,16), «um dich zu demütigen, um dich zu prüfen (und) um zu erkennen, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht, ... um dich erkennen zu las­sen, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt. Sondern von allem, was aus dem Mund des HERRN hervorgeht, lebt der Mensch» (5. Mose 8,2-3).

Damit zutage tritt, was in unseren Herzen ist Zwei Dinge werden aus dieser Stelle klar: Gott lässt Krisen zu, damit zutage tritt, was in unserem Herzen ist. Was da noch an einseitigen, noch unausge­reiften Sicht­weisen von Gott oder von uns selbst herumgeistert. Was sich an falschen Götzen in unserem Leben breit gemacht hat, die uns vom wirklichen Leben und von der Liebe Gottes fernhalten (siehe Kasten «Das Bild des Vaters»).

Das Bild des Vaters Mit 4 Jahren: «Mein Papi kann alles!» Mit 8 Jahren: «Mein Paps weiss vieles! Eine ganze Menge!» Mit 12 Jahren: «Mein Vater weiss nicht wirklich alles.» Mit 14 Jahren: «Natürlich, Vater weiss das auch nicht.» Mit 16 Jahren: «Vater? Er ist hoffnungslos veraltet.» Mit 18 Jahren: «Dieser alte Mann? Der ist schon lange von gestern!» Mit 25 Jahren: «Okay, es kann sein, dass er ein wenig darüber Bescheid weiss.»

Gott lässt die Krisen auch zu, damit wir zutiefst erfassen lernen, dass wir ohne ihn schlicht und einfach nicht leben können. Dass wir seinen Zuspruch, sein Reden, sein Wort brauchen, um überhaupt am Leben zu bleiben und zum Leben durchdringen zu können, gerade auch dort, wo es um Schwachheit und Sterben geht.

Vielschichtige Ursachen Die Bibel zeigt, dass Krisen und Leiden entweder vom Menschen, von Satan oder von Gott selber ausgehen können. Stellen wie Jesaja 45,7 dürfen wir nicht ausblenden, wo es von Gott heisst, dass er es sei, «der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Frieden wirkt und das Unheil schafft. Ich, der HERR, bin es, der das alles wirkt.» Oft sind die verschiedenen Ursachen von Unheil und Leiden sogar untrennbar miteinander verknüpft: Das ZDF brachte Anfang Jahr eine Sendung über Gebiete in Alaska, wo sich als Folge von Klimaerwärmung und Gletscherschmelze das «entlastete» Land jährlich bis zu vier Zentimetern hebt. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis weitere schwere Erd- oder Seebeben folgten. Wer ist nun daran

Mit 35 Jahren: «Bevor wir entscheiden: Lasst uns Vaters Meinung hören.» Mit 45 Jahren: «Wie würde Vater da­ rüber gedacht haben?» Mit 65 Jahren: «Ich wünschte, ich könnte dies mit Vater besprechen ...» Autor unbekannt

schuld? Der Mensch als Verursacher der globalen Klimaerwärmung – oder Gott, von dem es in Amos 5,8 heisst: «... der die Wasser des Meeres ruft und sie ausgiesst über die Fläche der Erde: Jahwe ist sein Name!» – oder der Widersacher, der alles daransetzt, «zu rauben, zu schlachten und zu zerstören» (Johannes 10,10)? Es gibt auf diese Fragen keine letzten Antworten. Es gibt im Grunde genommen nur die Herausforderung, die Amos unmittelbar vor der oben genannten Stelle schreibt: «Sucht den Herrn und lebt» (Amos 5,6).

Gott selbst ist das Ziel Ob wir uns in einer individuellen oder kollektiven Wüste befinden, ob wir uns mit selbst- oder fremdverschuldeten Nöten herumschlagen oder gar im Gerichtshandeln Gottes1 stehen: Wir sollen und dürfen ihn suchen, uns demütig zu ihm wenden, und er wird uns das lebensschaffende Wort, das aus seinem Munde kommt, zusprechen. Er wird uns unsere Fragen vielleicht nicht beantworten, was er aber sagt und uns hören lässt, wird uns weiterhelfen und uns zurechtbringen. Hiob bekam auf seine quälenden und bohrenden Fragen keine Antwort. Aber er hörte schliesslich Gottes souveränes Reden aus erster Hand (Hiob 38-41). Das bewirkte in ihm eine solche Umwandlung, dass alle seine Fragen gar keine Bedeutung mehr hatten. Hiobs Gottesbild veränderte sich von einem Gott, der besänftigt werden muss (Hiob 1,5), zu einem Gott, dem er sagen konnte: «Nun hat mein Auge dich gesehen» (Hiob 42,5).

nehmen alle Schuld auf sich. Dritte sehen überall den Feind am Werk. Und ab und zu gibt es auch Mutige, die sich lauthals bei Gott beschweren, warum er

Ein gesundes Gottesbild entwickeln heisst, immer mehr zum wahren Leben zu kommen. Das ist das Wichtigste, und das ist der tiefste Sinn der ersten Bitte im Unservater: «Geheiligt werde dein Name!» nicht besser aufpasse. Ursacheanalysen dieser Art waren für mich nie wirklich förderlich. Was mir jedoch weiterhalf, war, Gott im Gebet zu suchen, ausgehend von folgenden Grundannahmen: • Gott ist gut (Psalm 119,68) • Gott hat letztlich gute Absichten (Hebräer 11,6) • Der andere ist in Gottes Hand (Psalm 118,6) • Ich bin in Gottes Hand (Römer 8,31) • Die Situation ist in Gottes Hand (1. Chronik 29,12) Was könnte es sein, das Jesus in dieser Situation, in dieser Not, in diesem Lei­den, in dieser Stresssituation, mit diesem «schwierigen Menschen» mich lehren oder mir zeigen möchte?

Was erkenne ich? Was empfinde ich? Welches Bild (Gefühl) von mir selbst, von anderen Menschen, von Gott prägt mich jetzt? – Wovor habe ich im Tiefsten Angst?

Was sagt Gottes Wort? Annahme: Gott ist gut

So wie sich das Bild eines irdischen Vaters verändert, wandelt sich im Laufe unseres Lebens auch unser Bild von Gott. Ziel ist, dass unsere Beziehung zu ihm an Reife und Tiefe gewinnt.

Immer wieder treffe ich Christen, die sich mit der Frage nach den Ursachen von Not und Leid herumquälen. Je nach Typ tendieren die einen dazu, jeweils alle Schuld auf andere Menschen und auf Umstände zu schieben. Andere cz 3|05

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Welches Schriftwort zeigt der Heilige Geist in dieser Situation, um mir zu erklären, wie Gott ist? – Welche Situation aus dem Evangelium kommt mir vor Augen? – Welche Zusage gibt mir Gott damit? – Wo fordert Gott mich heraus, umzusinnen (umzukehren)?

Gottesbild-Entwicklung als Lebensaufgabe Ein gesundes Gottesbild entwickeln heisst, immer mehr zum wahren Leben zu kommen. Das ist das Wichtigste, und das ist der tiefste Sinn der ersten Bitte im Unservater: «Geheiligt werde dein Name!» Es ist die Bitte, dass Gott sich uns offenbaren möge, wie er wirklich ist. Dass er unsere falschen Bilder, die wir uns von ihm machen (und deshalb von uns selber haben), heilen mö­ge. Dass unser kindischer Glaube erwachsen werde. Und dass wir lernen, durch Sterben zum Leben durchzu­dringen. Denn Gott selbst ist uns da vorausgegangen.

1 Jesaja 26,8: «Selbst auf dem Pfad deiner

Gerichte, HERR, haben wir auf dich gewartet. Nach deinem Namen und nach deinem Lobpreis (ging) das Verlangen der Seele.»

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KOMFORTZONE

gott – warum? | aus der komfortzone gerissen

Tom Sommer Das Wort «Schicksal» hat Stefan Meier, ehemaliger Geschäftsführer einer Firma für Entwicklung und Vermarktung elektronischer Geräte, in unserem Gespräch allerdings nicht verwendet. Im Rückblick

Aus der Komfortzone gerissen

«In dieser Zeit wurde ich mit der Forderung konfrontiert, wirklich Verantwortung für mein Leben zu übernehmen.»

Stefan Meier, arbeitslos – wie weiter? «Was ist eine Komfortzone?», frage ich Stefan Meier. «Hat das mit Bequemlichkeit zu tun?» - «Nein, nicht unbedingt, aber es geht um die Frage, ob ich wirklich bereit bin, auf Gottes Zubereitung für seine weiteren Pläne mit mir einzusteigen!» Das Porträt von Stefan Meier1 offenbart Einsichten, die einen das sogenannte «Schicksal Arbeitslosigkeit» mit anderen Augen sehen lassen.

eigentlich folgerichtig, ist doch dieses Wort mit einem negativen Beigeschmack behaftet. Heute ist Stefan Meier, Jahrgang 1951, seit bald zwei Jahren arbeitslos. Doch diese Zeit gehört für ihn «zu den intensivsten und lehrreichsten meines Lebens».

beauftragt, als Laborleiter eine Arbeitsgruppe zu führen, ein erster Schritt ins mittlere Management. Innerhalb der nächsten elf Jahre folgen zwei weitere Stellen – mittlerweile in der Schweiz, wo er für den Aufbau technischer Infrastrukturen verantwortlich ist. Schon in dieser Zeit, so erinnert sich Stefan Meier, taucht immer wieder mal die Frage auf, wie es denn wäre, die Arbeitsstelle zu verlieren, da solch kleine Firmen wie jene, in der er sich engagiert, viel eher Hochs und Tiefs des Marktes zu spüren bekommen. Das Arbeitsvolumen ist allerdings so gross, dass er sich über diese Dinge wirklich keine Gedanken machen müsste. Die Pflege internationaler Kontakte führt ihn oft schon früh morgens von zu Hause weg, so dass die beiden Buben ab und zu anmerken: «Papi geht ins Flugzeug, um zu frühstücken ...»

Auf der Karriereleiter

«Will ich wirklich den Ort erreichen, den Gott für mich vorgesehen hat?» – «Bin ich bereit, es das kosten zu lassen, was es eben kostet?» – «Bin ich bereit, Gottes Wege mit mir als Vorbereitung zu sehen, auch wenn ich sie nicht verstehe oder damit gar nicht einverstanden bin?»

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Stefan Meier ist gelernter Rundfunk- und Fernsehtechniker. Die Grundausbildung absolviert er bei einem Lehrmeister im Norden Deutschlands. An einer Fachhochschule vertieft er später seine Kennt­ nisse und studiert Elektro- und Nachrichtentechnik. Mit dieser Ausbildung ist er dann prädestiniert, seinen Militärdienst im Bereich der Wartung von Radaranlagen für die Flugraumsicherung zu leisten. Zurück im Zivilleben erhält er bei der Siemens AG in München eine Stelle als Sachbearbeiter im Bereich Gross­computeranlagen. «Sachbearbeiter war für mich die treffende Bezeichnung, denn ich wollte einfach ein guter Ingenieur sein, ohne viel Verantwortung übernehmen zu müssen. In dieser Zeit lernte ich durch die Bekanntschaft mit Christen auch Gott kennen und wurde dadurch mit der Forderung konfrontiert, wirklich Verantwortung für mein Leben zu übernehmen.» Kurze Zeit später wird er, inzwischen Fachmann für technisches Management und CAD («computer-aided design»), cz 3|05

Die Realität der Ohnmacht Welch eine Chance und Herausforderung, zum Geschäftsführer berufen zu werden! Stefan Meier erhält durch einen Hochschulprofessor das Angebot, aus einer bestehenden Forschungsabteilung eine eigenständige Firma aufzubauen und das Produkt zur Marktreife zu führen. Diese Aufgabe ist allerdings der An­fang vom Ende der bisherigen Karriere­ leiter. Mit viel Elan und Vorschussvertrauen vertieft er sich in die Arbeit und verlässt sich auf die ihm mitgeteilten Rahmenbedingungen der zu entwickeln­

«Und an diesem Punkt machte ich einen grossen Fehler: Ich kommunizierte meine Bedenken nicht klar und deutlich genug.» den Produkte. «Es dauerte allerdings nicht lange, bis ich realisierte, dass sowohl die bereits geleistete technische Vorentwicklung als auch der abgeschätzte Personalaufwand langfristig

ungenügend sein würden. Und an diesem Punkt machte ich einen grossen Fehler: Ich kommunizierte meine Bedenken nicht klar und deutlich genug. Stattdessen entschied ich mich, die Sache mit Einsatz und Herzblut erfolgreich zu Ende zu bringen.» Fatal, denn die Produktentwicklung verschlingt mehr und mehr Zeit und damit auch finanzielle Mittel, so dass Stefan Meier sich selber zu fragen beginnt, wie lange wohl die Investoren noch mitmachen würden. Wöchentlich trifft er sich zum Mittag­ essen mit dem Hauptinvestor, um die Lage zu besprechen. Und dann plötzlich der Hammerschlag: «Herr Meier, Sie sind von Ihrer Aufgabe freigestellt.» Ein neuer Investor tritt auf den Plan, der auch gleich als Geschäftsführer das Heft in die Hand nimmt. Stefan Meier versteht die Welt nicht mehr. Keine Ankündigung oder Vorwarnung, nichts. Nach der mündlichen Kündigung folgt einen Monat später dann die schriftliche Bestätigung mit der Begründung, dass unter anderem das Personal nicht hinter ihm stehe. Für Meier, der aufgrund seiner Beziehungen zur Belegschaft weiss, dass dieser Grund nur vorgeschoben wird, ist das Vertrauen zerstört. Er verspürt tiefen Schmerz gegenüber dem Verwaltungsrat und hat gleichzeitig starke Schuldgefühle: «Ich habe das Projekt in den Sand gesetzt!» Der Schock sitzt tief, Fragen türmen sich auf: Hätte er wohl Jahre zuvor doch nicht in die Schweiz kommen sollen? Hatte Gott damals überhaupt zu ihm gesprochen? Oder hatte er Gottes Signale auf seinem Weg nicht erkannt oder gar missachtet? Und, und, und ...

Die Familie als Stütze Es ist bekannt, dass Arbeitslosigkeit für das familiäre Zusammenleben eine grosse Herausforderung darstellt. Können Paare diesen Stress nicht angemessen 21


gott – warum? | aus der komfortzone gerissen

Der Umstand, nun schon so lange keine richtige Arbeitsstelle mehr zu haben, scheint für Meier rein gefühlsmässig jedoch die Redensart vom alten Eisen zu bestätigen. Er berichtet von Momenten, in denen er sich gesellschaftlich nicht recht zugehörig fühlte. Auch von Mitchristen werde ihm zuweilen mehr Hoffnungslosigkeit als Ermutigung entgegen­gebracht – «wie wenn da in dieser Situation Gott nicht dabei wäre!», emp­findet Stefan Meier «Ja, wie lange habe ich doch selber zumindest unbewusst diesen dualistischen Blick gehabt: Privates, Familie und der Sonntag gehören Gott. Gesellschaft, Beruf und die Werktage haben mit ihm eher wenig zu tun.» Solche Überlegungen führen ihn zur Frage, wie gross denn nun sein Gott wirklich sei. Er entscheidet sich, dass Gott auch die Zeit seiner Arbeitslosigkeit voll und ganz im Griff haben solle. • Auch das Leben ist oft eine Baustelle.

bewältigen, kann diese Zerreissprobe sogar zur Trennung führen. Meier und seine Frau Judith sind es gewohnt, miteinander zu beten, gemeinsam vor Gott Sorgen und Freuden auszubreiten. In Zeiten der emotionalen Niedergeschlagenheit, gerade auch bei Bekanntwerden der Kündigung, ist seine Beziehung zu Jesus Christus die zentrale Stütze, und darin ermutigt ihn Judith immer wieder. Stefan Meier: «Sie wusste immer sehr klar, und hat das auch entsprechend ausgedrückt, dass Gott die Übersicht hat. Es habe sicher sogar etwas Gutes für die ganze Familie, wenn Gott es so zulasse.» Diese positive Einschätzung kann Meier allerdings erst im Laufe der Zeit auch emotional nachvollziehen. Trotzdem: Die ganze Situation festigt den Familienzusammenhalt mit

den beiden Teenagern. Gerade ihre Zeit der pubertären Entwicklung und beginnenden Berufsfindung erlebt Meier nun intensiver mit. In ihrer Vierzimmerwohnung empfinden sie als Ehepaar die permanente Anwesenheit des anderen nicht als Zerreissprobe, sondern als eine Bereicherung ihres Lebens.

Die Perspektive entscheidet Zwei Personen aus Meiers Bekanntenkreis sind ihm zu Beginn des Verlustes seiner Arbeitsstelle eine besondere Ermutigung. Sie haben nämlich, obschon älter als er, nach einer Kündigung relativ schnell wieder eine Stelle gefunden. Es ermutigt ihn somit, dass bei Gott doch noch andere Gesetze herrschen als nur, man gehöre ab einem gewissen Alter zum alten Eisen.

Für Stefan Meier ist klar, dass folgende Gleichung zu einfach ist: Wenn es einem gut geht, ist das eine Bestätigung für Gottes Weg, und umgekehrt, wenn es einem schlecht geht, kommt darin Gottes Missbilligung einer Situation zum Aus­ druck. Seine eigene Wüstenerfahrung durch die Arbeitslosigkeit führt ihn zur

Grundentscheidung, jene Wege zu ge­­­hen, die Gott für notwendig hält. Er spürt, wie sein Glaube durch die Situati­on nicht nur getestet, sondern tatsächlich aufgebaut wird. Er spricht von einem neuen Fundament in seinem Leben: «Kurz formuliert – Gott ist wirklich gut; eine Gewissheit, so tief wie ein Geheimnis. Und wenn ich weiss, dass Gott wirklich gut ist, dann kann ich auch glauben, dass er mich nicht einfach hängen lässt. So schickte Jesus seine Jünger auch nicht auf den See Genezareth, um sie dort im Sturm umkommen zu lassen!» Das Studium der Bibel ist für Stefan Meier zu einer ganz neuen Lebensquelle geworden. Das schärft gleichzeitig seinen Blick für weitere Literatur, immer mit dem Ziel, alles aufzunehmen, was Gott ihm bereithält. Dazu gehört ein

«Eines Tages realisierte ich, dass der Wunsch nach Komfort in meinen Leben der Feind meiner Träume war.»

Lektionen aus Gottes Wort Zur Zeit des Aufstiegs auf der Karriere­ leiter hat Stefan Meier ab und zu den Wunsch nach einem Time-out verspürt, um einmal zur Ruhe zu kommen und nicht nur als kleines Teil im grossen Räder­werk funktionieren zu müssen. Nun ist eine solche Zeit – unfreiwillig – gekommen, und Stefan Meier verbringt viel Zeit mit dem Studium der biblischen Botschaft. «Ich habe ein Muster entdeckt, das in der Bibel immer wieder auf­­taucht: Da ist dieses Volk Gottes, die Israeliten. Sie werden aus Ägypten herausgeführt, um ins verheissene Land zu gelangen. Aber es ist nicht der kür­zeste Weg, sondern ein Weg durch die Wüste – ein notwendiger Weg. Und vorher schon musste Josef entsprechende Wüstener­ fahrungen machen, mit dem Ergebnis, dass sein Charakter schliesslich sehr stark umgestaltet wird. Er kann beim Zusammentreffen mit seinen Fami­lien­ angehörigen sagen, dass es Gott in alledem gut gemeint habe (1. Mose 50,20).»

Buch von Bruce Wilkinson mit dem Titel «The Dream Giver» («Schöpfer der Träume»). Hier findet er seinen bisherigen Lebensweg Stück für Stück bestätigt, da einfach Hoffnung und noch einmal Hoffnung in allem Unbekannten, Unbequemen und Schweren vermittelt werde. Stefan Meier beginnt neu zu träumen, zu träumen von etwas, was nur mit Gottes Kraft und seiner Führung erreicht werden kann.

• Bambusgerüst in Hongkong. Sieht labil aus, aber funktioniert.

Er wird auch bereit, sich unbequemen Fragen zu stellen: «Will ich wirklich den Ort erreichen, den Gott für mich vorgesehen hat?» – «Bin ich bereit, es das kosten zu lassen, was es eben kostet?» – «Bin ich bereit, Gottes Wege mit mir als Vorbereitung zu sehen, auch wenn ich sie nicht verstehe oder damit gar nicht einverstanden bin?»

«Gott, warum?» Diese Frage stellt sich Stefan Meier nicht mehr. Für ihn ist die Josef-Geschichte zu einem Schlüssel geworden: Die Pläne, nämlich die Wege Gottes, als höher anzusehen und zu akzeptieren. Deshalb sagt er: «Gott ist gut und meint es gut mit mir. Ich glaube mich so von Gott geführt, wie es damals bei Josef der Fall war.» So jäh, wie der Träumer Josef aus seinem bequemen Leben gerissen wurde, so jäh wurde Stefan Meier arbeitslos. Er fühlt sich von Gott aus der Komfortzone herausgeschubst, um am inneren Menschen aufgebaut zu werden. Ein Satz aus «The Dream Giver» hilft ihm, mit der ganzen Situation versöhnt zu leben: «Eines Tages realisierte ich, dass der Wunsch nach Komfort in meinen Leben der Feind meiner Träume war. Dieser Wunsch nach Komfort kam zutiefst aus meiner Selbstbezogenheit.» – «Und auch die Angst», so ergänzt Stefan Meier das Buchzitat, «ist etwas, was wir unter Umständen überwinden müssen, um einen ungetrübten Blick für Gottes Perspektiven zu bekommen.» Die im Frühling 2005 geschenkten Ferien am Roten Meer lassen diese Erkenntnis äusserst plastisch werden: Meier kann sich zunächst nicht vorstellen, mit Schnorchel ausgerüstet auf Tauchtour zu gehen – aus Angst. Nach anfäng­lichem Zögern sagt er ja und überwindet seinen inneren Widerstand. «Eine ganz neue Welt tut sich da vor meinen Augen auf – davon habe ich vorher nur träumen können!»

Vermittlungsangebot Wenn jemand aus unserer Leser­schaft ein Vermittlungs­angebot für Stefan Meier hat, bitten wir Sie, sich bei der Redaktion zu melden.

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PERSÖNLICH Christus verheisst uns nicht

gott – warum? | persönlich

Problemlosigkeit ...

... aber Freude im Heiligen Geist Hanspeter Nüesch In den letzten Wochen ist mir eine biblische Wahrheit neu wichtig geworden, dass nämlich Christus nachzufolgen immer wieder auch mit Leid und Schmerz verbunden ist.

Zum Mann der Schmerzen ja zu sagen, heisst auch, ja zu sagen zum Schmerz.

«Er (Jesus) rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich und sagte: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach» (Markus 8,34). «Gedenkt des Wortes, das ich (Jesus) euch gesagt ha­be: Ein Sklave ist nicht grösser als der Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen» (Johannes 15,20a). Zum Mann der Schmerzen ja zu sagen, heisst auch, ja zu sagen zum Schmerz; dem Mann der Schmerzen nachzufolgen, heisst auch, den Schmerz in Kauf zu nehmen, der mit der Christusnachfolge verbunden ist. In einer leidensscheuen,

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auf Selbstverwirklichung getrimmten Zeit müssen wir wieder neu lernen, was es heisst, sich zu verleugnen und auf scheinbar berechtigte Wünsche zu verzichten. In der Überfülle der Konsum- und Überflussgesellschaft ist es wichtiger denn je, auf allerlei Weise zu fasten, Verzicht zu üben und Prioritäten zu setzen für das Wesentliche, das Ewigkeitswert hat. Wir können nicht Christus nachfolgen und gleichzeitig überall beliebt sein wollen.

leicht als unverbesserliche Fundis verschrien, am Arbeitsplatz gemobbt oder einfach nicht ernst genommen. Das gehört aber zum Business von uns Christen; Leid und Schmerz ist gemäss Jesus Bestandteil unserer Nachfolge, wenn sie echt ist. Nicht, dass wir den Schmerz suchen oder gar provozieren sollen, aber wir dürfen ihm auch nicht ausweichen, allein schon deshalb nicht, weil Gott in den Schwachen und Angefochtenen besonders mächtig ist.

Das Salz hat zwar eine heilende, antiseptische Wirkung, tut aber auch weh. Das Ärgernis des Kreuzes darf nicht durch eine allzu eingängliche Verpackung abgeschwächt werden. Es kann wehtun, in einer zunehmend unheiligen Umwelt den Weg der Heiligung zu gehen. Im Westen werden wir vielleicht für unseren Glauben nicht ins Gefängnis geworfen oder gar getötet, aber wir werden viel-

«Glücklich zu preisen seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird gross sein» (Matthäus 5,11 f.). Kürzlich erzählte uns ein leitender finnischer Christ, wie er über längere Zeit von zwei Geschwistern attackiert worden war; wie sie seine guten Motive in Frage gestellt und gegen ihn intrigiert hatten. In dieser schweren Zeit habe er täglich längere Zeit Gottes Angesicht gesucht und seine Anliegen vor ihm ausgebreitet. Da sei ihm bewusst geworden, dass Gott diese zwei Geschwister in seinem Leben brauche, um sein Gebetsleben zu stärken. Sie seien für ihn wie Aaron und Hur gewesen, die Mose die Hände beim Gebet gestützt hatten (vgl. 2. Mose 17,12). Das alles sei zwar ziemlich schmerzlich gewesen, habe aber in seinem Leben und cz 3|05

Dienst viel Segen bewirkt. Sollen wir nun angesichts der Probleme den Miesepeter raushängen? Jesus weist uns an, gegenteilig zum «normalen» menschlichen Verhalten zu reagieren: «Freut euch und jubelt, wenn ihr verachtet, verfolgt und verleumdet werdet,

Uns Schweizern hätte Jesus vielleicht zugerufen: «Jauchzt und jodelt vor Freude, denn euer Guthaben auf der Himmelsbank ist riesig!» weil ihr mir nachfolgt. Ja, freut euch und jubelt, denn im Himmel werdet ihr dafür reich belohnt werden» (Matthäus 5,11 f.). Uns Schweizern hätte Jesus vielleicht zu­gerufen: «Jauchzt und jodelt vor Freude, denn euer Guthaben auf der Himmelsbank ist riesig!» Petrus gibt noch einen anderen Grund an, warum wir uns bei allem Schweren, das Gott in unserem Leben zulässt, freuen können: «Achtet es für lauter Freude, wenn ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müsst. Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als Gold» (1. Petrus 1,6 f.). Wenn wir in Schwierigkeiten auf Jesus schauen, entscheiden wir uns für die Freude – trotz allem. Dann erleben wir die Wahrheit von Nehemia 8,10: «Seid cz 3|05

nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn, sie ist euer Schutz!» Diese Freude können wir jedoch nicht selber produzieren, sie ist eine Gabe des Heiligen Geistes. Wo dem Heiligen Geist Raum gegeben wird, erfüllt er uns auch in schwierigen Situationen mit unerklärlicher Gelassenheit und Freude (vgl. die Frucht des Geistes in Galater 5,22). Freude ist das Markenzeichen eines geist­erfüllten Christen. Heiliger Geist und Freude werden in der Bibel beinahe sy­no­nym gebraucht: «Die Jünger ... wurden mit Freude und Heiligem Geist erfüllt» (Apostelgeschichte 13,52). Bei Pfingsten waren sie geradezu vor Freude trunken; deshalb vergleicht Paulus in Epheser 5,18 ff das Erfülltsein mit dem Heiligen Geist mit der Betrunkenheit, wobei er klar macht, welche Art Freude nachhaltiger ist! Die Freude des Heiligen Geistes ist eben auch in schwierigen Zeiten erfahrbar, solange wir auf Gott schauen und uns seine biblischen Verheissungen vor Augen führen: «Obwohl ihr schwere Anfechtungen ertragen musstet, habt ihr die Botschaft mit der Freude des Heiligen Geistes aufgenommen» (1. Thessalonicher 1,6b).

wie kürzlich in London, pervertierte Religion Auslöser dafür ist. «Erschrecket nicht, wenn diese Dinge passieren», sagt Jesus zu seinen Jüngern, «denn das muss geschehen» (Lukas 21,9). Jesus Christus weist seine Jünger aber auch an, zu wachen und zu beten, damit sie nicht selber von den Ereignissen überwältigt werden, sondern für sein Erscheinen (Lukas 21,36) bereit sind. Letztlich sind Katastrophen Weckrufe, die Gott zulässt, damit Gläubige wie Ungläubige aus ihrem Schlaf beziehungsweise Dämmerdasein erwachen und von Herzen zu Gott und seinen biblischen Geboten umkehren. Deshalb wollen wir keinen Tag mehr zuwarten, sondern heute unsere Hingabe erneuern und Jesus Christus den ersten Platz in unserem Leben einräumen. Er soll unsere grosse Liebe sein. Täglich wollen wir die Gemeinschaft mit ihm suchen. Dann sind wir auch gewappnet für die Dinge, die gemäss dem Worte Gottes kommen werden.

• Hanspeter Nüesch, Leiter von Campus

Die Bibel sagt, dass in der Zeit vor der Wiederkunft Jesu mit der wachsenden Gesetzlosigkeit auch Katastrophen und Stürme aller Art massiv zunehmen werden. Besonders schlimm ist es, wenn,

für Christus.

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T R A U M A

gott – warum? | krisenintervention

gott – warum? | trauma – herausforderung ...

Angehörige an den Rand gedrängt und ausgeschlossen. Je kleiner und enger eine Gemeinschaft sei, umso deutlicher würden diese negativen Eigenschaften hervortreten, meint er.

Was man nicht sagen sollte «Aussagen wie ‹Ich weiss, wie es dir geht› oder ‹Es wird schon wieder› sind nicht nur bei Einsätzen in der Krisenintervention zu vermeiden. Auch im zwischenmenschlichen Bereich machen sie es uns schwer, dass wir uns angenommen fühlen», betont Nikendei ausdrücklich und fährt fort: «Sie nehmen dem Geschehen etwas von seiner Einmaligkeit, und die Gefahr ist gross, dass sie das Ereignis entwerten. Besser ist, zuzuhören und Raum zu lassen für die Gefühle, die herausbrechen. Den Betroffenen so das Gefühl vermitteln, dass man ganz für sie da ist. Denn letzt­lich tauchen durch schwere Unglücksfälle riesige Fragezeichen auf, die sich auf alle Lebensbereiche ausdehnen können. Die Frage, warum Gott das zulässt, steht im Raum. Manchmal jahre­lang, in denen man sich von aller Welt und von Gott verlassen fühlt», sagt Nikendei und fährt vorsichtig weiter, «oder es vielleicht auch ist. Das wissen wir nicht.»

Belastende Einsätze Besonders bedrückend findet er Einsätze, bei denen Kinder betroffen sind: Wenn sie sich umgebracht haben, bei plötzlichem Kindstod, bei Verkehrsunfällen oder Flugzeugabstürzen. Als nach dem Zusammenstoss einer Frachtmaschine und eines russischen Passagierflugzeuges bei Überlingen klar wurde, dass niemand überlebt hatte, brauchte ein Teil der offiziellen Einsatzkräfte Hilfe von Nikendeis Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die einen, weil sie Schreck1 Aus der Einsatzstatistik des Deutschen liches gesehen Roten Kreuzes, Kreisverband Bodensee, hatten, die anwww.drk-kv-bodenseekreis.de. deren, weil sie 34

sich schwer taten mit einem aussichtslosen Einsatz und niemandem mehr helfen konnten. Von 2000 bis 2004 wurden seine Helferinnen und Helfer durchschnittlich alle drei Wochen nach einem Suizid hinzu­ge­zogen, betreuten alle vierzehn Tage Hinterbliebene nach einer erfolglosen Reanimation. Mehr als die Hälfte der fast zwei­tausend Einsatzstunden in diesem Zeitraum entfielen auf die Betreuung im Rahmen des Flugzeugunglückes in Überlingen.1 Diese immer wiederkehrende Konfrontation mit Tod, Gewalt und Leiden zehrt an der Substanz. Über- und Fehlreaktionen im Einsatz, Probleme in der Partnerschaft, Burn-outs können Anzeichen einer Überlastung sein, die bis zur Dienstunfähigkeit führen kann. «Es gibt wenig Schönes zu sehen. Manch­ mal Witziges, ja, oder Skurriles, das sich nicht zum Erzählen eignet», räumt er ein.

Aber eine mitmenschliche Begleitung im Alltag ist auch ohne Ausbildung mög­lich und nötig. «Die meisten Krisen wer­den immer noch vor der professio­nel­len Türe abgefangen und tauchen gar nicht im offiziellen Hilfssystem einer Krisen­inter­­vention auf, sondern werden von Familie und Freundeskreis aufgefangen», schliesst Nikendei seine Ausführungen. Friedrich von Bodelschwingh hat dies folgendermassen ausgedrückt: «Wir können alle helfen, Orte zu schaffen, von denen der helle Schein der Hoffnung in die Dunkelheit der Erde fällt.» Die technischen und organisatorischen Abläufe, wie sie oben beschrieben sind, entsprechen dem Vorgehen beim Deutschen Roten Kreuz. Für die Schweiz können andere Abläufe gelten. Aber das Zwischenmenschliche, die Betreuung vom Du zu Du, bleibt sich gleich.

Im medizinischen Bereich bedeutet «Trauma» ganz einfach eine Verletzung, eine Wunde körperlicher oder seelischer Art. Im Alltag wird «Trauma» oft als Modewort für allgemein belastende Erfahrungen wie Stress, Konflikte oder Katastrophen benutzt. In Abgrenzung dagegen gewinnt der Begriff «Psychotrauma» für den seelischen Bereich an Gewicht. Das Wort steht dann zum Beispiel für einen Schock oder eine Erschütterung.

Hans-Ulrich Oggenfuss

Was ist ein Psychotrauma?

• Alexander Nikendei (35), wohnhaft in Deutschland, ist Diplompädagoge und ehemaliger Mitarbeiter des Tübinger «Arbeitskreises Leben e. V. – Beratungsstelle für Menschen in Lebenskrisen und bei Selbsttötungsgefahr». Er lacht gerne, kann schnell um- und abschalten und hat einen stabilen Freundeskreis. All das hilft ihm, mit dem Grauen seiner Einsätze umgehen zu können. Er ist Dozent in der

Die Ansprüche an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gross. Auf eine ausreichende Aus- und Weiterbildung sowie Supervision kann nicht verzichtet werden.

Herausforderung für den Glauben?

Ein Psychotrauma ist gekennzeichnet durch • ein Überwältigtsein von unerträglichen Ereignissen, • ein Ohnmachtsgefühl, wo weder Flucht noch Kampf möglich ist, • einen Zusammenbruch des Grund­ sicherheitsempfindens, • eine nicht beeinflussbare Veränderung der Wahrnehmung.

Wann ist ein Einsatz zu Ende? Krisenintervention ist zeitlich begrenzt. Diese externe Hilfe ist nicht mehr nötig, wenn die anfängliche Hilflosigkeit und das erste Entsetzen überwunden sind und die Helfenden den Eindruck haben, dass sie eine betroffene Person sich selbst überlassen können; wenn Nachbarn, Freunde oder Angehörige die Betreuung übernehmen, die nächsten Schritte geklärt sind oder auf weiterführende Hilfe verwiesen ist. Zur Sicherheit wird noch eine Visitenkarte mit der Telefonnummer der Rettungsleitzentrale hinterlassen. Doch selten rufen Betroffene zurück. Nach der Anspannung sind sie müde und erschöpft und möchten sich zurückziehen.

Trauma –

Ausbildung für Krisenintervention, arbeitet als Rettungsassistent und war Leiter eines Kriseninterventionsteams des Deutschen Roten Kreuzes.

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Präzis gesagt ist ein Psychotrauma nicht das belastende Ereignis selbst, sondern die individuelle persönliche Reaktion da­rauf: Eine Überlastungsreaktion des Gehirns des Betroffenen. Dabei wird die Wahr­nehmung aufgesplittert und in Bruchstücken gespeichert (fragmentiert). Die einzelnen Sinneseindrücke können nicht mehr zusammengesetzt werden und gehen scheinbar vergessen. Je nach Anteil des Erinnerungsverlustes spricht man von einer Teil- oder Ganzamnesie. Diese Reaktion ist ein sinnvoller Selbstschutz. Sie hilft, die hoch emotionale cz 3|05

Erlebnisqualität (zum Beispiel Todesangst) zu isolieren und damit das Persönlichkeits-Selbst zu schützen. Die im Traumagedächtnis abgespeicherten schlimmen Erlebnissplitter können zum einen nicht verarbeitet werden, doch zum andern bleiben dafür die Alltagsfunktionen einigermassen erhalten. Typische unmittelbare Kennzeichen einer Fragmentierung sind • Verstörung, • man fühlt keinen Schmerz, spürt keine Gefühle mehr, • man nimmt Sinneseindrücke nicht mehr wahr, • man kann das Geschehen nicht mehr zeitlich und örtlich einordnen.

Wie entsteht ein Psychotrauma?

grosse Peinlichkeit, Erschrecken. Religiöser Machtmissbrauch mit einem Ohnmacht erzeugenden Gottesbild kann eben­falls ein Psychotrauma verursachen.

Zu den Ereignissen, die ein Psychotrau­ma verursachen können, gehören plötz­liche Verluste vertrauter Menschen, Krieg, Natur­katastrophen, Verkehrsun­ fälle, Krank­­heiten, Spitalaufenthalte, kri­mi­nelle Gewalt, sexuelle Gewalt; wirtschaftlich-soziale Gewalt wie Mobbing oder psychische Gewalt wie Erniedrigung,

Ob aus einer Belastungserfahrung ein Psychotrauma wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Diese sind Art und Stärke des Erlebnisses, die Situation des Geschehens und die persönlichen Ressourcen, über die die betroffene Person verfügt. Dasselbe Ereignis kann vom 35


gott – warum? | trauma – herausforderung ...

gen, Hals- und Rückenprobleme, Asthma und Süchte, Depression, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch können auftreten. Man spricht von «dissoziativen Störungen» verschiedenen Schweregrades bis hin zur multiplen Persönlichkeit, die man heute als «dissoziative Identitätsstörung» (DIS) bezeichnet.

einen Menschen bewältigt werden, während ein anderer ein Psychotrauma erleidet.

Die persönliche Unfähigkeit, das Geschehen verarbeiten zu können, führt zu Versagensgefühlen. Die bruchstückhafte Erinnerung nährt den Zweifel, ob man nicht hätte an­ders – besser – reagieren können, und fördert damit zusätzlich noch Schuldgefühle.

1 Das limbische Ge-

hirn ist das Randgebiet zwischen Grosshirn und

Das Trauma entsteht dann, wenn in der belastenden Situation weder Hilfe noch Flucht noch eine Verteidigung mög­lich sind und das Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein bleibt. Diese «trau­ma­tische Zange» heisst: No flight, no fight – freeze (keine Flucht, kein Kampf – Lähmung).

Gehirnstamm, das die hormonale Steuerung und das vegeta tive Nervensystem beeinflusst und von dem gefühlsmässige Reaktionen auf Umweltreize aus-

In diesem Erregungszustand betätigt das limbische Gehirn1 einen Stress-Schalter: Der Mandelkern unterbricht als «emo­tionale Feuerwehr» die Verbindungen zum Gedächtnisarchiv, zum Sprachzentrum und zum Grosshirn, das für raumzeitliche Einordnung verantwortlich ist. Die Folge sind eine Art geistiges Wegtreten und Orientierungslosigkeit.

gehen. Der Mandelkern ist Teil des limbischen Systems.

Bilder, Geräusche, Gerüche, Körperwahr­ nehmungen wie auch körperliche und emotionale Reaktionen wie Energiestau 36

oder Angst werden als Einzelteile ge­spei­­chert und können nicht im biographi­schen Gedächtnis integriert werden. Diese sogenannte «peritraumatische Disso­ziation» hilft zum Überleben, aber die Puzzleteile sind «Trauma-Material». Sie werden durch Auslösereize als überflutende Schreckbilder oder Alpträume akti­viert und wieder nacherlebt, wie ein schlimmer Film, der sich zur Unzeit abspielt.

Die posttraumatische Belastungsstörung Der emotionale Schock, die Erschütterung der kognitiven Funktionen, der Affektsteuerung und der Körperregulati­on führen häufig zu dauerhaften psy­chisch­en und körperlichen Schäden, die als «posttraumatische Belastungsstörung» (PTSD) einen Namen gefunden ha­ben. Angstzustände, Panikanfälle, quä­len­des Wiedererleben von belastenden Erinnerungen, eine erhöhte Erregbarkeit, Kon­ zentrationsstörungen, Schlafstörungen, übertriebene Wachsamkeit (Hyper-Vigi­lanz), Störungen im Bereich der Leistungs­fähigkeit, der Impulskontrolle, Gefühle der Entfremdung oder Losgelöst­seins vom eigenen Körper oder der Umge­bung sind Kennzeichen möglicher Schäden. Auch psychosomatische Erscheinungen wie Kopfschmerzen, Ver­dauungs­stö­run­-

Zu diesem leidvollen Sachverhalt kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Die per­­sönliche Unfähigkeit, das Geschehen verarbeiten zu können, führt zu Ver­sa­ gens­gefühlen. Die bruchstückhafte Erinnerung nährt den Zweifel, ob man nicht hätte anders – besser – reagieren können, und fördert damit zusätzlich noch Schuldgefühle. Die Belastung für die andern und der Verlust der inneren Sicherheit führen zu sozialem Rückzug. Das Umfeld ist bei einem Trauma überfordert und reagiert nach anfänglichem Verständnis und Sympathie alsbald mit Beruhigung und Verharmlosung, dann folgen Ungeduld, Vorwürfe, Ausgrenzung und Aggressionen. Das Verhalten eines traumatisierten Menschen wird von der Umwelt meist weder verstanden noch toleriert – zum Leid und den Selbstzweifeln kommt eine Bestrafung von aussen hinzu. Auch Behörden und Justiz sind häufig überfordert: Die Opfer geraten durch ihre fragmentierte Erinnerung in Widersprüche und werden bei der Konfrontation mit Tätern durch den Verlust der inneren Sicherheit eingeschüchtert und retraumatisiert. So kommt es zum Beispiel vor Gericht zur Mitverdächtigung des Opfers, gar zu einer Teilverurteilung – und somit zu einer Entlastung des Täters!

stellung, bei der die Fragmentierung auf­gelöst, die Dissoziation abgebaut und die abgespalteten Erinnerungsanteile wie­der in die Persönlichkeit integriert werden. Aber zum Erkennen und Behandeln von Traumata braucht es Fachkenntnis und Erfahrung. Das einfache Hervorholen und Erinnern eines belastenden Erlebnisses kann die schützende Dissoziation durchbrechen und zur Überflutung und Retraumatisierung führen. So kann auch die christliche Seelsorge gefährlich sein, wenn ein Trauma nicht als solches erkannt und der betroffenen Person mangelnder Glaube oder fehlende Bereitschaft zur Vergebung vorgeworfen wird. Da dieser Mensch ohnehin schon durch die Frage belastet ist, warum Gott das zugelassen habe, kann der innere Boden endgültig einbrechen und die Gefahr zu einem Suizid entsteht. Der christliche Seelsorger und Anthropologieprofessor Charles H. Kraft weist in seinem Buch «Tiefe Wunden heilen» (S. 223 und 241) ausdrücklich darauf hin, dass für die Trauma-Heilung die Hilfe von Psychotherapeuten beigezogen werden sollte. Bei der Traumaheilung muss zuerst die Persönlichkeit des Betroffenen stabili­ siert werden, erst dann darf man mit Auf­lösung und Synthese der Fragmentierung beginnen. Als wirksame Methoden bewähren sich die Bildschirmtechnik (Screening) und die wechselseitige Stimulation von Hirn­arealen zum Beispiel durch Augenbewegungen (EMDR). Der Einbezug von Atmung und Körperwahrnehmungen ist wichtig.

Die Behandlung von Traumata

Psychotrauma und Glaube: Gibt es Heilung?

Das Ziel der Heilung von Psychotraumata ist eine ganzheitliche Wiederher-

Auf der Ebene der Vorarbeit hält das christ­­liche Weltverständnis einen einzig-

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artigen Schatz an Ressourcen und einen unerschöpflichen Fundus an Bildern zur Stabilisierung bereit. Alles was die Psychotherapie diesbezüglich in der letzten Zeit entdeckt hat, liegt in der christlichen Tradition reichlich vor. Eine unvergleichliche Kraftquelle ist das biblische Menschenbild: Der Mensch als «Ebenbild» von Gott ist sehr gut geschaffen und als wertgeschätztes Geschöpf eingeladen in eine mündig-verantwortliche Beziehung als Tochter oder Sohn. Für stabilisierende Imaginationsübungen wie «sicherer innerer Ort» oder «innere Helfer» kann aus einer Fülle von wirkungsvollen Bildern, Metaphern und meditativer Praxis ausgewählt werden. So sind uns zum Beispiel Musik und Rhythmen als «Lobpreis» und Volkstanz der feiernden Gemeinde im Alten und Neuen Testament als wirksame Elemente der Trauma-Heilung bekannt. Das heilende Wirken von Jesus Christus gegenüber Kranken und Versehrten galt mit Sicherheit auch Trauma-Opfern. Inwiefern diese Heilpraxis, der christlichen Gemeinde anvertraut, genügend sorg­sam weitergegeben wurde, möchte ich hier nicht beurteilen. Das gilt auch für die Kraft der Imagination. Indem Jesus spricht: «Wenn ihr zu diesem Berg sagt: ‹Heb dich empor und wirf dich ins Meer!›, so wird es geschehen.» (Matthäus 21,21) zeigt er, dass Glaube und bildhafte Vorstellungskraft untrennbar zusammen­ge­­hören. Dasselbe gilt für die Stelle: «Glau­­­be ist ein Überzeugtsein von Dingen, die man (äusserlich) nicht sieht» (Hebräer 11,1).

«meine Kraft ist in den Schwachen mächtig» war für ihn aber eine Stabili­ sierung, mit der er leben konnte. Abschliessend möchte ich festhalten, dass dank der fortschreitenden Erkennt­nis in Gehirnforschung und Psychotrau­ ma­tologie ein immer tieferes Verständnis von Traumata und deren Behandlung möglich ist. Diese Fortschritte und die ressourcenorientierte Tragkraft des christ­ lichen Weltbildes erlauben ein fruchtbares Zusammenwirken von Wissenschaft und Glaube – eine begründete Hoffnung zugunsten aller Trauma-Opfer.

• Hans-Ulrich Oggenfuss, geb. 1952, verheiratet, drei Kinder, Praxis für systemische Beratung in Zürich, Theologe mit Ergänzungsstudium der PsychotherapieWissenschaften sowie Weiterbildungen in Traumatologie.

Literaturhinweise • Huber, Michaela; Trauma und die Folgen, Teil 1, Junfermann, Paderborn 2003 • Kraemer, Horst; Das Trauma der Gewalt, Kösel, München 2003 • Kraemer, Horst; Trauma-Bewältigung,

Grundsätzlich gibt es keine Garantie für eine Heilung, weder in der Therapie noch in der Seelsorge. Selbst Paulus war nicht von allen Leiden geheilt: Er litt an einem Problem, das mit grosser Wahrschein­ lich­keit auf einen traumatischen Hinter­ grund hindeutet. Die Antwort Gottes

Orell Füssli, Zürich 2005

Christliche Literatur: • Kraft, Charles H.; Tiefe Wunden heilen, Koinonia 2000 (dieses Buch bietet eine hilfreiche Differentialdiagnose zu Disso­ ziation und Belastung). 37


HARTE GNADE Eine harte Gnade Wie aus Dr. Dominik Klenk durch Leiden ein anderer Mitstreiter Christi geworden ist Eine Kämpfernatur sondergleichen: Als Kind, Jugendlicher und junger Erwachsener scheinen weder körperliche noch intellektuelle Herausforderungen zu gross. Sowohl Wettkampf und Abenteuer als auch totales Engagement im Kampf um mehr Gerechtigkeit in den Slums von Argentinien prägen seine Lebensgeschichte. Ein erfolgreiches Studium inklusive Promotion und die Gründung einer eigenen Firma scheinen da nur folgerichtig. Aber dann kommt es anders: Er wird konfrontiert mit der Anfrage nach einer grossen geistlichen Verantwortung und erlebt zeitgleich nie gekannte körperliche Schwächeanfälle. Dr. Dominik Klenk, der heutige Gesamtleiter der «Offensive Junger Christen» (OJC) in Reichelsheim (DE), berichtet, wie er auf schmerzhaftem Weg ein Mitkämpfer an der Seite Jesu wurde.

Dr. Dominik Klenk Der Kämpfer von einst ist zerschlagen und kennt nicht einmal seinen Gegner. Trotz des Zerbrechens in diesen Tagen haben mich innerlich leise die Ausdauer und der Wille, zu leben und gesund zu werden, durchgetragen. Aber es gab in der tiefsten Krise Tage der Entscheidung, bei denen mir der Würgegriff der Krankheit schier den Atem nahm. Ich spürte, wie der Geist der Entmutigung bis ins Mark vorgedrungen war. Und ich wusste: Wenn du jetzt innerlich den Willen zum Leben loslässt, bist du in ein paar Tagen nicht mehr da. Entscheidend für mein Überleben waren das Ringen mit Gott und das Gespräch mit Jesus. Es war ein Marathon auf Knien.

Eine harte Gnade Die Frage nach dem Warum hat mich am wenigsten weitergebracht. Eher schon 38

war es die Frage nach dem Wozu, die ein paar Lichtblicke in dunkler Zeit hervorlockte. Gerade im Krank- und Schwachsein verdichtete sich die Gewissheit, dass es Gott ein Anliegen war, meinen Weg zu begleiten und mir in dieser un­­ge­wohnten Rolle zu begegnen. Das eigentliche Geschenk aber war, dass vor allem ich ihm ganz neu begegnen konnte, entkleidet von der Grundkonstante meines bisherigen Lebens: schier grenzenloser Kraft und Energie; entkleidet aber auch vom Panzer des Geistes und der starken Worte, die ich wie eine Rüstung zu tragen und glänzend oder auch handfest einzusetzen gelernt hatte. In diesen Tagen wurde mir zum allerersten Mal klar, dass es Gott um mich ging, nicht um meine Unversehrtheit, um meine Kraft, nicht um meine Gaben und meine Souveränität. Im Gegenteil: Eben dies hatte mich cz 3|05

gott – warum? | eine harte gnade

immer wieder unnahbar gemacht für ihn, aber auch für andere. Meine eigene Bedürftigkeit war der Hebelpunkt Gottes in meinem Leben, ausgerechnet dieser am schwächsten entwickelte Punkt in meiner Geschichte! Es war die überragende Erfahrung in den Tagen der Krankheit und Kraftlosigkeit, dass Gott spricht: «Widersetze dich der Zucht des Allmächtigen nicht, denn er verletzt und verbindet, er zerschlägt und seine Hand heilt» (Hiob 5, 17; so in der Losung am Tag meines 30. Geburtstags). Und dazu am gleichen Tag das Gebet von Dietrich Bonhoeffer: «Vater im Himmel, Lob und Dank sei dir für alle deine Güte und Treue in meinem vergangenen Leben. Du hast mir viel Gutes erwiesen. Lass mich auch das Schwere aus deiner Hand annehmen. Du wirst mir nicht mehr auferlegen, als ich tragen kann.» So ernüchternd diese Bibelworte für mich waren, so hoffnungsvoll waren sie auch. Denn ich wurde zutiefst gewiss, dass Gott mit mir im Gespräch ist, dass er mich sucht und dass Jesus, der gegen­wärtige und nahbare Gott, sich tatsächlich hineinstellt und meine Not und meinen Schmerz mitträgt. Die Zeit der Krankheit und der Schwäche war meine Schule der Ernüchterung oder, wie C. S. Lewis schreibt, «eine harte Gnade». Nicht aus eigener Kraft und nicht mit dem eigenen Kopf, sondern nur im Riskieren meines eigenen Herzens konnte ich den Weg zurück ins Leben und in die Berufung an Gottes Seite finden. In dieser existentiellen Krise ging es

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hintergründig nicht um Gesundheit, sondern um Vertrauen, wenn das nicht sowieso dasselbe ist. Gott hat um mein Vertrauen und um die Öffnung meines Herzens zu ihm hin gerungen, und es ist das Geschenk meines Lebens, dass er sich darin als zuverlässig erwiesen hat.

Das Geheimnis der Kämpfer Gottes Um auf dem Weg ein Hörender und «Ge-horch-samer» zu bleiben, ist mir das Halten von Zeiten der Ruhe wichtig geworden. Solche stille Momente und Stunden sind nicht die Zeit des Nachdenkens über mich oder Gott, sondern der Beziehungspflege mit Jesus selber: «Erzähle Jesus dein Leben – sprich mit ihm wie mit einem Freund», riet mir ein weiser Freund. Stille Zeit ist nicht zuerst die Zeit der Introspektion, des Auslotens der eigenen Seele, des Sauberschrubbens der eigenen Phantasien und Gedanken. Es ist die Zeit, in der ich meinem Freund Jesus, dem ich ähnlicher werden will und den ich in mein Herz schauen lasse, dieses Herz ausschütte. Ich erzähle ihm meine Freuden und meinen Ärger und meine Enttäuschung. Ich danke ihm für das, was gelungen ist, und spreche meine offenen Fragen vor ihm aus. Indem ich sie aus der Stummheit befreie und vor Jesus ausbreite, öffne ich ihre Zukunft – eine neue Dimension: Jesus selbst nimmt meine Nöte mit aufs Herz. Heute, sechs Jahre nach Beginn dieser existentiellen Krise, kann ich sagen: Das

Geheimnis der Kämpfer Gottes liegt nicht in ihrer Stärke, sondern im Wissen um ihre Bedürftigkeit. Gott kann nur dort besonders und dauerhaft hineinund hindurchwirken, wo ihm Platz einge­räumt und die eigene Armut signali­ siert wird. Und eben hierin liegt auch das Geheimnis der Menschen, die wirksam bleiben: Sie wissen, dass sie nur ausgeben können, wenn sie immer wieder selber empfangen. Die Kämpfer, die Gott braucht, sind die starken Schwachen, die wissen, dass es inmitten ihrer eigenen Unheiligkeit Christus ist, der sie zu wirksamen Zeugen der Frohen Botschaft macht. Mir ist sehr bewusst: Für eine Kämpfernatur hat es etwas grundlegend Demü­ tigendes, die eigene Bedürftigkeit zuzu­lassen. Genau hier aber liegt der Zugang für den Geist Gottes, die Mauer meiner Selbstbestimmung und Autonomie zu durchbrechen und mir meine Ergänzungs­bedürftigkeit zu zeigen. Gott will unsere Kämpfernatur verwandeln und für sich tauglich machen. Nur wer alles von ihm erwartet und nicht von sich, wird letztlich sein Werk ausrichten, seine Ehre im Blick behalten und nicht auf eigene Rechnung leben.

Der vorliegende Artikel ist ein Auszug aus: Klenk, Dominik; Riskiere dein Herz, SALZ­KORN März – April 2/2005, S. 128 – 131

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• Dominik Klenk


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reportage | «gott allein kann uns helfen!»

«gott allein kann uns helfen!» Hungerkatastrophe und Genozid im Sudan

REPORTAGE

Der längste Krieg Afrikas ist zwar offiziell beigelegt: Der Norden hat mit dem Südsudan einen Friedensvertrag abgeschlossen. Doch im grössten Land Afrikas steht es nicht zum Besten: Im Süden und in Darfur (Westen) droht weiterhin Millionen von Menschen der Tod. Eine Hungersnot steht bevor, die durch den fehlenden Regen und die machthabende Bevölkerung im Norden des Landes verursacht wird. Die einheimischen Christen hoffen auch nach Jahren des Elends ungebrochen auf Gott – und auf unsere Hilfe. • Smail Adam war jahrelang

Daniel Gerber Auf den ersten Blick ist das Wetter schuld. Schuld daran, dass mitten in der Buschidylle mit Rundhütten und Lagerfeuern eine verheerende Hungerkata­ strophe ihre hässliche Fratze zu zeigen be­ginnt. Das zehntgrösste Land der Welt, siebenmal so gross wie Deutschland, steht vor einem unbeschreiblichen Desaster. Denn im Süden des Sudan hat die Regenzeit im letzten November und damit viel zu früh aufgehört. Das kniehohe Gras war bereits im Januar dürr. Die Kühe fanden auf den Feldern gewachsenes Heu. Die nie gereiften Getreidepflanzen boten höchstens Nahrung für ein Buschfeuer, nicht aber für Menschen.

• Das Klima ist trocken geworden im Südsudan. Diese Aufnahme stammt vom Januar. Mittlerweile sind weitere regenlose Monate ins Land gezogen.

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Erst versklavt, dann ins Hungergebiet Salva Kiir, der Vizepräsident der «Sudan People Liberation Movement» (SPLM, sudanesische Volksbefreiung), freut sich zwar über den Friedensvertrag, den der Südsudan am 9. Januar 2005 mit dem Norden abschliessen konnte. Jetzt cz 3|05

kehren Ex-Sklaven und Flüchtlinge aus dem Norden zurück. Doch sie kommen in ein Gebiet, das viel zu wenig Lebensmittel hat. Kiir, der hinter John Garang die Nummer zwei im Süden ist: «Wenn die alle kommen, haben wir hier ein Desaster.» Doch im Norden können und wollen sie nicht bleiben. Rund 300 000 Südsudanesen waren und sind im Norden versklavt. Rund 84 000 von ihnen kaufte das Schweizer Hilfswerk «Christian Solidarity International» frei (siehe CZ 3/2003: «Schweizer kauft Sklaven frei»). Der damit erzeugte Druck auf die Regierung führte dazu, dass man aus eigenem Antrieb Tausende Sklaven in die Freiheit entliess. Und mit dem Friedensvertrag kommen nun weitere frei – und strömen ins Hungergebiet. Wie zum Beispiel der 15-jährige Piol Ngong Chioc. Er musste für seinen Besitzer Vieh hüten. Erhalten hat er Essen und Schläge. Lohn nicht. «Ich hungere lieber hier, als dass ich dorthin zurückgehe.»

Hunger in der Kornkammer Normalerweise würde genügend Regen

fallen. Der Süden gilt als Kornkammer des Landes, und aus den Vorjahren müssten somit genügend Vorräte vorhanden sein, so dass dieses Dürrejahr ganz einfach überbrückt werden könnte. Doch dem ist nicht so. Denn der «Friedensvertragspartner» im Norden Sudans ist für die Hungerkatastrophe wesentlich mitverantwortlich. Und hier kommt Sudans Regierung ins Spiel: Seit 1983 plünderte Khartum den Süden systematisch. Bomber der Regierung liessen ihre tödliche Fracht auf die Dörfer fallen, Milizen drangen dann mit Pferden in das heillose Durcheinander ein. Sie raubten, mordeten und brannten nieder. Kinder und Frauen wurden als Sklaven entführt, die Vorräte und das Vieh geraubt. Was man nicht mitnehmen konnte, wurde zer­stört. Nach diesem Muster ging der Norden bis 2003 gegen den Süden vor. Von diesem zwanzig Jahre dauernden Genozid des arabisch-muslimischen Nordens hat sich der Süden bis heute nicht erholt. Rund zwei Millionen Südsudanesen starben, fünf Millionen mussten flüchten, und rund 300 000 wurden 41

versklavt.


reportage | «gott allein kann uns helfen!»

• CSI-Mit­­-

• Die Gebiete

arbeiter Gunnar Wiebalck mit einem einheimischen Pastor und Empfänger von Hilfsgütern.

im Südsu-

versklavt. Vorwiegend aus drei Gründen: 1. Das Regime von Omar al-Bashir wollte den christlichen und animistischen Süden zwangsislamisieren und die Scharia einsetzen. 2. Die riesigen Erdölvorkommen des Landes, die rund zur Hälfte im Süden liegen, wollte der Norden für sich beanspruchen. Vor dem Friedensvertrag wurde die schwarzstämmige Bevölkerung aus den Fördergebieten vertrieben, und das Geld floss in den Norden. 3. In al-Bashirs Vision von einem grossarabischen Reich haben Schwarzafrikaner keinen Platz. Selbst dann nicht, wenn sie Muslime sind. Dies mussten die muslimischen Bewohner der Nuba-Berge genauso schmerzlich zur Kenntnis nehmen wie heute die muslimischen Schwarzafrikaner in Darfur.

Flucht ins Hungergebiet Im Süden hat man heute Frieden. Und Hunger. Dafür drangsalieren al-Bashir und sein Regime nach dem Süden nun den Westen des Landes, die Region Darfur. Hier kämpfen die Milizen aus dem Norden mit aller Härte und nach dem gleichen Muster gegen die Zivilbevölkerung. Millionen von Menschen sind zurzeit auf der Flucht. Sie flüchten in um­ liegende Länder und auch ins südsudanesische Hungergebiet, wo sich die Situation dadurch noch verschärft. 42

Der Friedensvertrag sieht zwar vor, dass der Süden in sechs Jahren über seine Unabhängigkeit entscheiden darf. Longer Awar, Lehrer von Beruf, befürchtet dann aber den nächsten Militärschlag gegen sein Volk. «Wir im Süden wollen alle die Unabhängigkeit. Wir wollen ein eigener Staat sein.» Aber allein schon wegen des Öls, so Longer, werde es der Norden wohl nie zur Unabhängigkeit kommen lassen. So gesehen komme dem Norden die Hunger­situation im Süden ganz gelegen.

«Nie wieder?» 1994, nach dem Genozid in Ruanda mit über einer Million Toten, hatte die UNO versprochen: «Nie wieder!» Damals lief der Genozid im Südsudan bereits seit elf Jahren. Und er sollte, von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeachtet, nochmals neun Jahre weitergehen. Auch 2005 ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. Khartum hat nur die Region gewechselt. Statt im Süden geht der systematische Angriff nun in Darfur gegen die schwarzafrikanische Bevölkerung weiter. Flüchtlinge aus Darfur berichten, dass auch dort Menschen versklavt würden. Dies ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die UNO wäre damit zum Einschreiten gezwungen. Aber lange hat sie gar nicht reagiert. Und inzwischen hat das Kinderhilfswerk UNICEF die Dialektik

Khartums übernommen und spricht lediglich von «Verschleppten».

Genozid geht weiter Der Genozid in Sudans Süden geht somit schleichend weiter. Mit den bis zu zwei Millionen Menschen, die vom Hungertod bedroht sind, könnten nochmals so viele Menschen ums Leben kommen wie während des Genozids in den letzten 20 Jahren zusammen. Und das alles, ohne dass sich das Regime in Khartum vor der Weltöffentlichkeit die Finger schmutzig macht. Im Gegenteil: Es hat ja einen Friedensvertrag unterzeichnet. Die UNO hat nicht genug Rückgrat, die Geschehnisse als «Genozid» zu bezei­ch­nen. Sie hat und hatte es schon im Süden nicht. Und auch heute in Darfur werden die Dinge nicht beim Namen genannt, obschon der Völkermord im Süden rund doppelt so viele Opfer forderte wie derjenige in Ruanda. Kofi Annans Worte von einem «Nie wieder!» hatten eine kurze Halbwertszeit. In Khartum sitzt noch immer einer der grössten Menschenrechtsverbrecher an der Spitze.

«Wir sind dankbar für jede Hilfe» Wenn nichts geschieht, sterben in den nächsten Monaten weitere Millionen Menschen. Trotz Friedensvertrag für den Süden und Waffenstillstandsbeteueruncz 3|05

gen in Darfur. Dr. Justin Yaac Arop, SPLMRepräsentant: «Wir brauchen Hilfe wie beim Tsunami. Dort hat jeder geholfen. Auch wir brauchen sie jetzt, um diese Herausforderung zu überstehen.» Es ist bereits seit Monaten trocken und staubig hier in Rumbek, der noch nicht offiziellen Hauptstadt des Südens. Wird Justin da nicht vergeblich warten? Beim letzten Mal hatte doch auch niemand geholfen. «1998 war eine andere Situation. Da konnte man niemandem trauen.» Und heute verteile die internationale Gemeinschaft überall Hilfsgüter: im Irak, in Afghanistan, beim Tsunami. «Ob wir genug kriegen oder nicht, wir sind dankbar für das, was wir erhalten. Wir sind auch dankbar für das, was wir in den früheren Jahren erhalten haben.»

Weihnachten im Hungergebiet Wie gehen die Christen im Südsudan mit dieser für westliche Begriffe unvorstell­ baren Not um? Sie hatten bereits Ende letzten Jahres nichts und feierten trotz­dem Weihnachten. So zum Beispiel Helena Adelino. Sie war während acht­zehn Jahren versklavt gewesen. Im Alter von sechs Jahren gekidnappt, kam Helena Adelino Anfang 2004 wieder frei – und dies mit den vier Kindern, die ihr Besitzer mit ihr gezeugt hatte. Der Patron wollte der jungen Christin den Islam einprügeln, cz 3|05

sie wollte sich aber keinen anderen Glauben aufzwingen lassen. Das erste Mal seit Jahren konnte sie nun wieder Weihnachten feiern. «Weihnachten ist die Geburt von Jesus. Am 24. Dezember gehe ich zur Kirche. Der Gottesdienst und die Feier dauern die ganze Nacht. Das ist die einzige Zeit im Jahr, in der wir die ganze Nacht in der Kirche sind.» Wenn sie et­was Geld habe, kaufe sie sich Mehl und mache Kekse. «Und ich kaufe Süssigkeiten. Ich mache dann Gebäck für die Kinder. Und wenn die Kinder frohe Weihnachten wünschen kommen, erhalten sie Süssigkeiten.» Dies hätten schon ihre Eltern so gemacht, als sie noch ein Kleinkind gewesen sei. Ihre Umstände sind schwierig. «Ich habe nur ein Kleid. Dasjenige, das ich jetzt trage, habe ich von einer Freundin ausgeliehen. Ansonsten waschen wir einfach die alten Kleider. Meine Kinder haben nicht alle etwas anzuziehen.» Trotzdem feiert sie Weihnachten. «Weil ich glaube, dass es Gottes Wille ist, dass wir Weihnachten feiern. Gott segnet mich und meine Kinder. Das ist mein einziger Glaube. Solange ich an Gott glaube, segnet er mich und meine Kinder. Und wir können durch ihn überleben. Er hilft uns in jedem Bereich.»

Weihnachten im Krieg Weihnachten bedeutet im Krisengebiet

Hoffnung. Auch vor der Friedensperiode dan sind war das schon so. Dr. Luka Deng, der nur schwer eine Klinik führt: «Die Menschen sehen zugänglich. Hoffnung. Wir sind nun sogar mehr Gläubige als vorher. Durch die Bibel und Jesus erleben wir viel Frieden und Rettung. Und wir glauben, dass Gott allein uns aus dem Leiden heraushelfen kann. Darum wird auch Weihnachten gefeiert. Und immer wenn etwas passiert, beten die Leute: ‹Gott, du bist da, um uns zu helfen. Wir sind unter Druck. Wir werden geplagt. Aber in deinem Namen wollen wir überleben!› Wenn man in einen Gottesdienst geht, ist «Gott, du bist da, um uns die Kirche überzu helfen. Wir sind unter füllt. Man hat Druck. Wir werden geplagt. keinen Platz zum Aber in deinem Namen Sitzen. Die Leute wollen wir überleben!» sagen, wenn Frieden kommt, ist das nur wegen Gott. Man fürchtet neue Überfälle, und die Situation ist unglaublich. Aber die Leute vertrauen auf Gott. Und immer mehr Leute kommen zum Glauben an ihn. Und ich hoffe, dass dies so bleiben wird, wenn der Frieden kommt.» – «Wenn hier je­mand kein Weihnachtsgeschenk kriegt, beklagt er sich nicht», sagt Pfarrer Matthew Garang. Denn das grösste Geschenk sei, «dass wir dieses Fest ohne Furcht vor Verfolgung feiern können.» 43


reportage | «gott allein kann uns helfen!»

• Oben: CSI-Mitarbeiter Gunnar Wiebalck zeigt der regionalen Führung Fotos. • Mitte: Helena Adelino: Im Alter von sechs Jahren wurde sie entführt. Achtzehn Jahre musste sie als Sklavin dienen. Ihr muslimischer Besitzer wollte die junge Christin mit Gewalt zum Islam konvertieren. Im Januar 2004 gelang ihr mit ihren vier Kindern, deren Vater ihr ehemaliger Besitzer ist, die Flucht aus dem Norden in den Süden. Das Buch «Fünfzehn Dollar für ein Leben» ist beim Brunnen Verlag erschienen und schildert ihre Lebensgeschichte. • Rechts: Asha Hamed Abdelaj (30) mit Abdelaj (4), Asha (3) und Mamed (1). Die Mutter flüchtete als Muslimin aus Darfur in den Südsudan und wurde von den Christen gut auf­ genommen.

Aktion «Nothilfe Sudan» Die Aktion «Nothilfe Sudan» ist zu finden unter: www.sudan.livenet.ch. Diese Aktion wird von drei Schwei­zer Werken unterstützt: «Christian Solidarity International» (CSI), «Frontiers» und «Vision Africa». Letztere ist nicht selber in diesem Land tätig, unterstützt diese Aktion aber publizistisch. Die Hilfsaktion «Nothilfe Sudan» läuft gemeinsam mit den christlichen Internetportalen «Livenet.ch» und «Jesus.ch». Wir bitten Sie um eine Spende.

«Christian Solidarity International» (CSI) CSI ist in fünfzehn Ländern tätig. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks richtete sich ihr Augenmerk auf die Unterdrückung der Religionsfreiheit, die vom Islam ausgeht. CSI setzt sich auch für Glaubensverfolgte in China ein, für notleidende Kinder in Peru, Ägypten, Indien, Russland und Vietnam sowie im Sudan gegen die Sklaverei. Stückelberger: «In Pakistan unterstützten wir eine christliche Menschenrechtsbewegung. In Peru kam eine ganze Serie von zu unrecht inhaftierten Christen frei.» CSI ist seit 1992 im Sudan tätig, kauft mit dem gesammelten Geld Hirse und verteilt diese an die vom Hunger­ tod bedrohte Bevölkerung. Karawanen bringen die Lebensmittel zum Beispiel in die Marktstadt Warawar im Südsudan, wo jedes bisschen Nahrung ein Menschenleben retten kann. Die Einkäufe werden vom Werk getätigt und überwacht.

Statistik zum Genozid im Südsudan

Warum Gott unschuldig ist – ein Kommentar

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«Gott, warum?» Diese Frage war von keinem einzigen Einheimischen zu hören. Dr. Luka Deng sagt, dass während der Kriegszeit viele Menschen in die Kirchen geströmt seien. Sie haben gebetet. Sie haben Gott ihr Leiden geschildert. Und sie haben um Hilfe gebeten. «Ich hoffe, dass die Menschen im Glauben bleiben, wenn der Frieden kommt», sagte Dr. Luka wenige Wochen vor der Unterzeichnung des Friedensvertrages. Der arabische Norden hingegen muss angeprangert werden! Die schwarzafrikanischen Muslime, die von Darfur in den Süden strömen – sie flüchten vor der arabisch-muslimischen Regierung des Nordens –, werden von den Christen im Süd­ sudan aufgenommen. CSI-Mitarbeiter Gunnar Wiebalck sagte einem einheimischen muslimischen Helfer: «Wenn es umgekehrt wäre und ihr als Christen zu den Muslimen flüchten würdet, massakrierten sie euch womöglich.» Jedenfalls die Muslime im Norden. Der Angesprochene zuckt mit den Schultern. Im christlichen Süden hilft man den Bedürftigen. So sagten mir zwei aus Darfur geflüchtete Frauen: «Wir sind hier gut aufgenommen worden. Wenn man uns unterrichtet, können wir uns vorstellen, Christen zu werden.» Denn die Existenz der beiden

Tote: über 2 Millionen Menschen Vertriebene: 5 Millionen Menschen Versklavte: rund 200 000 Menschen

Der Genozid begann 1983 und wird seit Januar 2005 durch die Hungerkatastrophe fortgesetzt.

Statistik zum Genozid in der Region Darfur (Westsudan) • Tote: über 350 000 Menschen (gemäss «Washington Post») • Vertriebene: 1,8 Millionen Menschen (gemäss UN-Schätzung) • Versklavte: noch keine Angaben (gemäss ARD und anderen geschehen «Verschleppungen») Der Genozid geschieht seit 2003.

Weitere Infos unter: www.csi-int.ch und www.csi-int.org

Homepages der beteiligten Organisationen, inklusive Spendemöglichkeit CSI: www.csi-schweiz.ch Frontiers: www.frontiers.ch Vision Africa: www.visionafrica.ch

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schwarzafrikanischen Muslimfrauen ist von arabischen Muslimen vernichtet worden. Bei mir selber stellt sich die Frage «Gott, warum?» ebenfalls nicht. Das wäre ganz einfach eine Scherzfrage. Jawohl, eine Scherzfrage. Denn es sind Menschen, die verantwortlich sind für dieses Desaster. Allen voran die UNO. Denn man weiss seit Jahren um die Menschenvernichtungen in diesem Land, im Süden wie in Darfur. Doch die Organisation, die sich die Menschenrechte auf die Fahne geschrieben hat, steht dem Diktatoren-Regime von Omar al-Bashir unterwürfig zu Diensten. Man übernahm zum Beispiel folgende Dialektik: «Sklaverei ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die UNO müsste bei einem Verstoss einschreiten.» Die Regierung stritt deshalb den Besitz von Sklaven ab. Nach Jahren der Vertuschung räumte man dann ein, dass man «Verschleppte» habe. Und schon sprach auch die UNO von «Verschleppten». Aber auch sonst ist man bei den Vereinten Nationen stets zu heuchlerischen Spässen aufgelegt: Nach dem Friedensvertrag sandte man 10 000 UNO-Soldaten in den Südsudan. Diese sollen nun den Frieden beobachten. In Darfur, wo die Vernichtungsmaschinerie weiterläuft (inzwischen 350 000 Tote), sieht man aber von einem

Einsatz von UNO-Soldaten ab. Ein Witz! Dort, wo es die Soldaten wohl am dringendsten auf der Welt bräuchte, sendet man sie nicht hin, und dort, wo es sie nach 21 Jahren nun nicht mehr brauchen würde, ja, genau dorthin sendet man sie. Warum also sollte man Gott anklagen? Es sind Menschen, die von Frieden reden. Und nicht handeln. Es waren Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg sagten: «Nie wieder!» Und es waren Menschen, die an den Gräbern von Ruanda sprachen: «Nie wieder!» Das freilich war 1994. Und somit wohl eher ein schlechter Scherz. Denn das «Schon wieder» lief genau drei Länder weiter nördlich (Burundi, Uganda, Sudan) seit exakt elf Jahren (seit 1983). Und es wird nun in Darfur weiterlaufen. Und weiterlaufen. Und noch weiter. «Gott, warum?» Man kann ihn schon fragen. Seine Antwort könnte lauten: «Weil ihr nicht hinschaut. Weil ihr eure Verantwortung nicht wahrnehmt. Weil ihr nicht einschreitet. Weil ihr in den ersten christlichen Jahrhunderten Denominationskrisen gepflegt habt, statt dass ihr euch um meinen Sohn Ismael gekümmert hättet.» Und ich persönlich würde noch anfügen: «Weil die UNO stets für neues Heucheln zu haben ist.» Daniel Gerber

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T S U N A M I

reportage | tsunami

Urs Iten Obwohl uns durch Fernsehen und Presse die Bilder dieser Katastrophe ins Haus geliefert worden waren, sprengte die Di­mension der Zerstörung unsere Vorstellungskraft. Etwa drei Viertel der dicht besiedelten Küste Sri Lankas sind betroffen, über 40 000 Tote zu beklagen; und mehr als 200 000 Häuser wurden zerstört, mehr als eineinhalb Millionen Menschen obdachlos.

Tsunami Auf der Suche nach dem Warum Der Tsunami hat unsere oft einfache Weltsicht auf den Kopf gestellt. Seit mehr als zehn Jahren arbeite ich neben meiner Hauptaufgabe als Pastor nebenamtlich bei der «Schweizer Allianz Mission» (SAM) mit. Ich leite die Supportgruppe für Sri Lanka. Unsere Mission hat keine eigenen Leute vor Ort, sondern kooperiert mit einheimischen Partnern, vor allem in den Bereichen Ausbildung und Literaturarbeit. Schon vor dem 26. Dezember 2004 war eine Reise für Februar 2005 geplant gewesen. Durch den Tsunami bekam der Aufenthalt aber eine ganz andere Prägung. Und um das viele gespendete Geld verantwortungsvoll einzusetzen, reisten wir mit einem Team im April dieses Jahres nochmals nach Sri Lanka. Auch Monate nach dem Desaster überfordert der Tsunami alle.

Noch längst nicht verarbeitet Diese Zahlen bekommen spätestens dann ein Gesicht, wenn man in den Trümmerfeldern von Dörfern steht, in denen Menschen lebten und Kinder spielten. Man kann sich diesem Ereignis emotio­nal nicht entziehen, wenn

Menschen berichten, wie sie die mörderische Welle erlebt hätten; wenn sie unter Tränen erzählen, dass ihre Kinder umge­ kommen oder mehr als zwanzig Personen der erweiterten Familie tot seien. Die traumatischen Erlebnisse sind längst nicht verarbeitet. Viele Leute sind noch wie gelähmt. Im Gespräch mit einer Frau, die inmitten eines Trümmerfeldes im noch erhaltenen Haus lebt, fliessen auch nach drei Monaten sofort die Tränen, wenn sie zu erzählen beginnt. Viele Betroffene leben noch immer in teils menschenunwürdigen Auffanglagern. Dazu kommt die Konfusion, die durch die widersprüchlichen Informationen über ihre Zukunft hervorgerufen wird. Es gibt Gebiete, in denen die Regierung recht gute Arbeit leistet; es gibt

aber auch Verantwortliche, die nur da­rauf zu warten scheinen, dass andere den Job machen, den sie eigentlich tun sollten. Nach sechs Monaten will die Regierung Sri Lankas die Überlebenshilfe für die Betroffenen stoppen. Aber was dann? Der Tsunami überfordert alle.

Wo war Gott? Natürlich taucht sofort auch die Frage auf: «Gott, wo warst du? Warum hast du die Menschen nicht vor einem solchen Ereignis bewahrt?» Diese Fragen wurden auch uns gestellt. Der Tsunami hat unser oft verengtes Weltbild, dass die Guten belohnt und die Schlechten bestraft werden, über den Haufen geworfen. Weil der 26. Dezember 2004 ein Feiertag war, trafen sich viele Kirchen und Gemeinden zum Gottesdienst. Der Tsunami hat

Das tiefblaue und ruhige Meer, welches die Nerven der Menschen entspannt. Die sich kräuselnden Wellen bewegen sich sanft wie Seide, wenn der Wind darüber bläst. Ununterbrochen wogen die Wellen hin und her, zum Ufer hoch und zurück. Was hast du dort gesucht und konntest es nicht finden? Es kann sein, dass du nach gerechten Menschen in unserem Land Ausschau gehalten hast. Oder du hast um Gottes Barmherzigkeit für uns gebetet. Aber du konntest sie nicht finden. Doch da, an jenem zweiten Weihnachtstag, stiegen die Wasser überaus hoch und sie stürzten auf uns herunter mit solcher Macht, verursachten Tod und Zerstörung. Und jetzt, du bist wieder das tiefblaue und ruhige Meer und beruhigst die Nerven der Menschen. Aber wir werden dir nie mehr trauen können. Wir werden kaum je vergessen, dass du solches Elend in uns verursacht hast. Sumithra Gnanasekeram 46

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reportage reportage | sherpas | tsunami für jesus

viele Gemeindehäuser weggerafft und mit ihnen viele Gläubige. Zahlreiche Christen starben, weil sie im Gottesdienst waren. Andere aber überlebten, weil sie im Gottesdienst waren, – und als sie nach dem Kirchenbesuch in ihre Häuser zurückkehren wollten, waren diese nicht mehr da. Es gibt Dörfer, da standen Kirchen, Buddha- oder Hindutempel und Moscheen nahe beieinander. In einem Dorf stand nur noch die Kirche, in einem andern nur noch die Moschee und im dritten nur der Hindutempel. An einem Ort wurden die Häuser des Dorfes alle weggerafft, nur die Methodistenkirche und das zugehörige Pfarrhaus blieben stehen, die Schwiegermutter des Pastors aber ertrank in der Kirche, weil das Wasser das Gotteshaus füllte.

Ohne Logik

• Unten: Tote werden geborgen. Rechts: Die

So gibt es keine Logik, warum wer starb und warum wer überlebte. Etlichen Frau­en wurden durch die Wellen die Kleider vom Leib gerissen. Wegen des Scham­ ge­fühls wollten sie verständlicher­weise nicht aus dem Meer heraus und warteten, bis ihnen jemand Kleider brächte. Als die zweite Welle kam, wurden sie von ihr in den Tod gerissen. Ich sprach mit einem Mann aus Battica-

loa an der Ostküste Sri Lankas, der von der Welle mitgerissen worden war. Er hatte keine Chance gehabt, sich gegen sie zu wehren. Irgendwie war es ihm gelungen, sich an einem Baum festzuhalten und hatte so überlebt. Wie durch ein Wunder war auch seine Frau dem Tod entgangen.

Was im Menschen ist Diese Welle spülte auch alle Facetten des menschlichen Herzens an die Oberfläche. Es wurde uns berichtet, dass Soldaten der Armee nach tamilischen Kindern ge­rannt seien, die von der Welle mitge­rissen wurden. Sie bezahlten ihren Einsatz mit dem Leben. Raja, ein ehe­ maliger Drogensüchtiger, der jetzt selber eine Drogenstation im Süden des Landes leitet, erzählte, dass eine Frau von vier Männern gerettet worden sei. Nach der Rettung wurde diese von ihren Rettern sexuell missbraucht. Sie fragte, warum sie nicht habe sterben können, als nach dieser Rettung einen noch grausameren Tsunami zu erleben.

Strafe Gottes? Es gibt keine einfache Antwort auf all diese Fragen. In einem Artikel der chris­t­lichen Zeitschrift Direction Magazin in

Sri Lanka heisst es: «Dieses Desaster ist eine Bestrafung für uns. Es ist wegen unserer Fehler, wegen der Sünde unserer Nation: Bestechung und Korruption, Mord, Kindesmissbrauch, Drogensucht und Drogenhandel. Die meisten der Drogenplätze und Orte der Pädophilen wurden weggeschwemmt, wir bräuchten einen solchen Tsunami auch im Zentrum des Landes, nicht nur an der Küste.» Wir sollten diese Sicht nicht zu schnell vom Tisch wischen, aber warum geschieht ein solches Strafgericht nicht auch an andern Orten, wo diese Dinge ebenfalls stattfinden? Auch mit dieser Antwort bleiben viele Fragen offen.

ihn kaum wieder. Da brachen sie in Tränen aus, sie zerrissen ihre Kleider, schleuderten Staub in die Luft und streuten ihn sich auf den Kopf. Dann setzten sie sich zu Hiob auf den Boden. Sieben Tage und sieben Nächte sassen sie da, ohne ein Wort zu sagen, denn sie spürten, wie tief Hiobs Schmerz war.»

Hiob

Was die Tsunami-Betroffenen nebst der materiellen Hilfe brauchen, sind Menschen, die mit ihnen schweigen, trauern und ihnen zuhören. Obwohl es ihnen oft sehr schwer fällt, über die Erlebnisse zu reden, weil der Schmerz sich wieder meldet, ist es gerade das, was viele brauchen. Sie brauchen jemanden, der sich für ihre Geschichte interessiert, die sie schon x-mal erzählt haben. Viele bedankten sich bei uns, dass wir uns für ihre Geschichte interessiert hatten. So fühlten sie sich nicht mehr allein gelassen.

Nachdem Hiob seinen persönlichen Tsunami erlebt hatte, bekam er einige Zeit darauf Besuch von seinen Freunden. Er sass in der Asche als Ausdruck seines Schmerzes und seines Leides. Wir lesen in Hiob 2,1-13: «Hiob hatte drei Freunde: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama. Als sie von dem Unglück hörten, das über ihn hereingebrochen war, vereinbarten sie, Hiob zu besuchen. Sie wollten ihm ihr Mitgefühl zeigen und ihn trösten. Schon von weitem sahen sie ihn, aber sie erkannten

Wir können auf viele Fragen keine Antwort geben, aber wir können eine Antwort sein. Hiobs Freunde sassen da, sieben Tage und Nächte, ohne ein Wort zu sagen. Vielleicht war das der beste Teil ihres Besuches. Sie schwiegen und litten mit Hiob.

«Versöhnung» mit dem Meer Durch die Vermittlung der SAM besuchten Peter und Uta Vessey aus England verschiedene Camps. Sie sind Spezialisten in Traumaseelsorge. Seit dem Tsunami waren die Menschen eines Camps nicht mehr ans Meer gegangen, und das war schon zwei Monate her. Sie hatten einfach zu viel Angst vor dem Ozean, der ihnen zum Feind geworden war. Gemäss dem biblischen Grundsatz, sich mit den Feinden zu versöhnen, machte sich das englische Ehepaar mit rund vierzig Hindus auf, um mit ihnen ans Meer zu gehen. Als sie mit dieser Gruppe ankamen, erlebten sie ganz verschiedene Reaktionen: Viele zitterten vor Angst, andere sprangen ins Wasser. Für alle war es aber eine Art Befreiung, dass jemand sie zurück ans Meer begleitet hatte. Das Ehepaar berichtete, wie sie auf dem Rückweg zum Camp eine richtige Partystimmung erlebt hätten.

«Gott ist mir näher» Pastor James Shanthakumar aus einem Dorf in der Nähe Batticaloas, der seine zwanzigjährige Tochter und auch sein Haus und die Kirche durch den Tsunami verloren hat, erzählte auf meine Frage hin, wie sich sein Glaube an Gott verän-

dert habe. «Es ist nicht so, dass ich nä­her zu Gott gekommen bin, aber Gott ist näher zu mir gekommen. Er hat mein Herz berührt, er hat mein Leben verändert, und er hilft mir, dass mein Leben langsam wieder zurückkehrt.» Seit dem Tsunami hat sich seine Gemeinde, die sich jetzt in einem gemieteten Haus versammelt, fast verdoppelt, und er konnte schon einige Leute taufen. Viele Menschen wurden offen für das Evange­lium, weil die Hilfe der Christen zur ersten vor Ort gezählt hatte. Es hilft mir, zu wissen, dass jedes einzelne Leben in Gottes Hand ist. Als ich die Bilder der Massengräber sah – wie ganze Wagenladungen mit Leichen ausgekippt wurden –, fiel es mir schwer, an die Würde jedes einzelnen Menschen zu glauben. Ich komme nur im Vertrauen auf die Worte des 139. Psalms zur Ruhe, dass Gott jeden Tag unseres Lebens in seiner Hand hält. Er ist der gerechte Gott, der auch Tsunamis im Griff hat. Und das zeigt mir, dass es auf dieser Welt letztlich keinen sichereren Ort gibt als bei Gott selber.

• Links: Häuser, Wohnungen und Küchen sind zerstört: Die Menschen stehen vor der Mahlzeiten­ ausgabe Schlange. Unten: Pastor

Urs Iten (50) ist Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde (FEG) Zürich-Trittligasse.

James Shanthakumar auf

Wucht der

den Trümmern

Zerstörung.

seiner Kirche.

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Rezensionen

FÜR SIE NOTIERT

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Afflerbach, Horst (Hrsg.)

! Die andere Seite Gottes edition Wiedenest 2004, 115 Seiten ISBN 3-935707-25-8 Wir lesen und hören von Terroranschlägen, Entführungen, von Menschen, die sich umbringen oder unsägliches Leid erfahren. Viele fragen sich, was das für ein Gott sei, der all das zulässt. Ob man ihm überhaupt vertrauen kann? Gott ist oft so anders, als wir ihn uns vorstellen. Die drei Autoren Wolfgang Klippert, Ulrich Neuenhausen und Horst Afflerbach zeigen in ihren Beiträgen auf, wie wir die Spannung zwischen Gottes Nä­he und Ferne begreifen und praktisch damit umgehen können. Sie sind Dozenten an der Bibelschule Wiedenest und haben aufgrund der Bibel in drei Beiträgen Gottes Wesen und Handeln herausgearbeitet.

Wolfgang Klippert erklärt in «Der nahe und der ferne Gott» verschiedene Grün­ de, warum Gott in vielem der grosse Un­bekannte bleibt. In Jesus Christus wurde er ganz Mensch und überbrückte die Distanz zwischen unserer sichtbaren und seiner unsichtbaren Welt, und der Heilige Geist wohnt in uns. Trotzdem sind und bleiben wir Menschen, die sündigen. Die Tatsache, dass Gott so nahe gekommen ist, könne uns auch dazu verführen, dass wir den Respekt vor ihm verlieren. 50

... wir enttäuscht und/oder verletzt wurden? ... wir in Versuchung geraten? ... wir Gott nicht mehr erleben?

Ulrich Neuenhausen betont in «Gott, das Unheil und die Gewalt», dass Gott der Herrscher auch über Finsternis und Gewalt sei und somit entscheide, wo Gewalt und Finsternis stattfinde. Natürlich handle Gott nicht böse, schreibt Neuenhausen, natürlich wolle er kein Unheil. Aber Gott bekenne sich weder im Alten noch im Neuen Testament zur Gewaltlosigkeit. Er kämpfe um diese Welt. Neuenhausen warnt vor einem dualistischen Glauben, bei dem die Angst vor dem bösen Gott regiere. Gott übe nicht Gewalt, weil er seine Güte aufgegeben habe, sondern deshalb, weil er gütig sei, – auch wenn wir nicht sehen könnten, wohin der Weg Gottes führe. Horst Afflerbach stellt sich in «Zu wem sollen wir gehen?» der Frage, wie Christen angesichts zum Teil unvorstell­ baren Leides und harter Wegführungen, die sie erleben müssen, noch an Gott festhalten, ihm vertrauen können. Afflerbachs Ausführungen bewegen sich auf zwei Ebenen: auf der Beziehungsund auf der Glaubensebene. Beziehungen können belasten und belastet werden. Enttäuschungen zum Beispiel können uns am Vertrauen hindern oder eine Beziehung zerbrechen lassen. Im Johannesevangelium, Kapitel 6, wird berichtet, dass sich einige Jünger über Jesu Worte ärgerten, murrten und hinfort nicht mehr mit ihm weitergingen. Jesus stellte seinen übrigen Jüngern da­ rauf die Vertrauensfrage: «Wollt auch ihr weggehen?» Die nachfolgende Frage bzw. Aussage des Petrus: «Herr, zu wem sollten wir denn gehen? Du hast Worte ewigen Lebens», ist die Antwort des Glaubens. Afflerbach überträgt diese Frage auf unseren Alltag: Wo können wir hingehen, wenn ... ... wir versagen und in Sünde fallen? ... wir Leid und Not erfahren?

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Gottes Nähe und Ferne sind die zwei Seiten derselben Münze. Die eine vorzuziehen und die andere abzulehnen, bringe uns in Gefahr, einen völlig einseitigen Glauben mit schiefen Gottesbildern zu haben. Gott ist mächtig, souverän und gut. Diese besondere Mischung mache Gott aus, sind die Autoren überzeugt. Mir hat das Büchlein geholfen zu verstehen, dass Gott eine Persönlichkeit ist und seine Reaktionen unseren ähnlich sind. Eigentlich nicht verwunder­ lich: sind ja wir nach seinem Bilde geschaffen. (be)

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Yancey, Philip

Von Gott enttäuscht. Durch Leiden an Gott in der Liebe zu ihm wachsen Ernst Franz Verlag 1990, 253 Seiten ISBN 3-7722-0205-5 «Sind wir selber schuld, wenn wir von Gott enttäuscht sind?», fragte ich mich und nahm zögernd, aber zugleich interessiert das Buch zur Hand und begann zu lesen. Durch die ersten Seiten quälte ich mich. Was mir entgegenkam, bestätigte meine Befürchtung. cz 3|05

! Mit der Zeit stellte ich aber fest, dass mich hie und da eine Erklärung, ein Zi­tat, eine Überlegung des Autors an­­sprachen. Mir fiel auf, dass ich mich innerlich auf einer Reise befand, die noch nicht zu Ende war. Enttäuschungen über Gott, Zweifel an ihm, Widerstand und Aufbegehren gegen sein – vielleicht auch nur vermeintliches – Schweigen sind nicht Symptome (m)ei­nes schwachen Glaubens, sondern Reaktionen, die in der Bibel weder verharmlost, verschwiegen noch beschönigt werden. Als Paradebeispiele der Warum-Fragesteller gelten Hiob, die Autoren der Psalmen, die Propheten und, man staune, Jesus Christus. Es scheint, so der Autor, dass Gott mit all diesen Reaktionen rechne, als wisse er, was es koste, am Glauben festzuhalten. Der Wechsel von der sichtbaren Gegenwart Gottes im Dornbusch, der Wolkensäule, dem Licht in der Nacht zur unsichtbaren Gegenwart des Heiligen Geistes mache uns Glauben und Vertrauen nicht leicht, und Yancey schreibt, dass Zeichen und Wunder niemals Glauben hervorbrachten. Wie auch nicht freiwillige Liebe, Nachfolge und Gehorsam.

wir uns diese Fragen überhaupt stellten, wenn wir so weit kämen.

Es geht ihm um zwei Arten von Glauben, die häufig verwechselt oder vermischt werden: den kindlichen Glauben aus einem Psalm 23 und den Glauben wie in Psalm 22 beschrieben: Ein Glaube aus Treue, selbst wenn er das eigene Leben kostet.

Nur einmal appelliert Yancey an unseren Glauben: Wenn alle Tröstungen nichts bringen, der Schmerz, das Leid bleiben – dann sollten wir versuchen, das Gesamtbild der göttlichen Sicht unseres Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. Wir Menschen sind so in Raum und Zeit gefangen, dass alles, was wir wahrnehmen, begrenzt ist. Gott als Schöpfer hingegen steht ausserhalb dieser Begrenzungen, sieht das ganze Bild und weiss, dass wir, wie Hiob, zur Hauptfigur in einer unsichtbaren Auseinandersetzung werden können.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil geht es um Gottes Sicht der drei Fragen, die, nach Yancey, so niemand zu stellen wage: «Ist Gott ungerecht? Warum schweigt er? Warum verbirgt er sich?» Im zweiten Teil legt er die Sicht der Menschen dar. Zum Beispiel, warum cz 3|05

Bibelgerecht und einfühlsam bietet er Erklärungen und Antworten zu den oft unverständlichen und rätselhaften Umgangsweisen Gottes mit den Menschen. Immer wieder aktualisiert und vergegenwärtigt durch eigene Lebenserfahrungen und die moderner Menschen. Er geht auf die unterschiedliche Einstellung zum Leiden im Alten und Neuen Testament ein: von der Entrüstung im Alten Testament ist in den Evangelien und Briefen nichts zu finden. Gott selbst hat bewiesen, dass die Leiden eines Karfreitag nicht das letzte Wort haben. Bibelverse, Gedichte und Zitate bekannter Schriftsteller und Denker fassen zusammen, erhellen oder bieten eine Atempause im Fluss der Ausführungen. Ein paar Fussnoten erläutern uns Europäern Ausdrücke und Begebenheiten aus der US-Kultur, die Yancey beim Erklären verwendet. Das Buch liest sich gut. Es ist keine trockenen Abhandlung, sondern lebendig und frisch geschrieben.

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für sie notiert

Das Buch kann in einem Hauskreis durchgearbeitet werden, sofern – aus meiner Sicht – gewährleistet ist, dass die ebenfalls nicht immer nachvollzieh­ baren Erkenntnisse und Gedanken eines Menschen auf seinem Weg mit Gott, wenn auch nicht verstanden, so doch ihren Platz haben können und wir uns nicht wie die Freunde Hiobs benehmen. Sonst empfehle ich, das Buch in einer Zweier- oder Mentorenbeziehung oder alleine durchzuarbeiten. Barmherzigkeit und Grosszügigkeit auch da vorausgesetzt. (be)

Rohr, Richard

! Hiobs Botschaft. Vom Geheimnis des Leidens Claudius Verlag 2000, 223 Seiten ISBN 3-532-62250-5 Richard Rohr schreibt, dass die biblische Offenbarung im Buch Hiob ihren Höhepunkt erreiche und gleichzeitig in die Sackgasse gerate. Es sei für fast alle Menschen einfach zu viel. Hiob sei eben keine erfundene Geschichte zerstreuter Menschen, sondern eine Geschichte, die von allen Glaubenden unter Schmerzen neu entdeckt und nachgelebt werde. Der Autor ermutigt, die Geschichte Hiobs «als Weg» zu betrachten, als eine «sich immer mehr vertiefende Begegnung mit Gott», als «die Antwort jenseits aller Antworten, die Nicht-Lösung, die alles löst». 51


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Rezensionen

«Wir im Westen sind ganz oben, und wer ganz oben ist, kümmert sich nicht so sehr um Wahrheit, weil er sowieso am Gewinnen ist ...»

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Gott nimmt Hiob alle Selbständigkeit und Unabhängigkeit, damit er wirklich Freiheit erfahren kann. Hiob kommt am Ende zu äusserster Sicherheit, weil ihm Gott persönlich begegnet. Hiob ist damit nicht mehr von den Gottesund Glaubenserfahrungen anderer Menschen abhängig. Hiob zeigt uns, dass es auf die Begegnung des lebendigen Gottes mit uns ankommt. Das «Second­hand-Christentum», wo die Kirche über Gott lehrt ..., der Pfarrer von Gott redet ..., die Bibel über Gott sagt ..., wird reformiert im wahrsten Sinne des Wortes. Im Unterschied zu Philip Yancey schildert Richard Rohr hier nicht eine Einszu-eins-Beziehung eines Menschen mit Gott und umgekehrt, sondern das Beziehungsnetz und die Wechselbeziehungen von uns als einzelnen Menschen, als Teil der Menschheit. Wie ich mit Gott umgehe, wie er mich sieht, wie ich ihn erfahre, hat Auswirkungen auf die Gesellschaft. So kommt Rohr auch zu recht provokanten Aussagen: «Wir im Westen sind ganz oben, und wer ganz oben ist, kümmert sich nicht so sehr um Wahrheit, weil er sowieso am Gewinnen ist.» Oder «Mit leerem Magen hört sich das Evangelium ganz anders an.» Rohrs Leseart ist keine theologische, klassische Auslegung oder Predigt über das Buch Hiob, wie ich es am Sonntag­ vormittag erwarten würde oder gewohnt bin. Denn Hiob bezieht seine Befriedigung weder aus der Hoffnung auf Belohnung noch aus der Angst vor Strafe im Jenseits, sondern aus Wahrheit und Gerechtigkeit. Er regt sich zwar masslos darüber auf, nicht am Hebel zu sitzen, ist am Ende aber heilfroh, dass Gott 52

ihn ernst nimmt. Obwohl ihm Gott keine einzige seiner Fragen beantwortet, kann er sagen, wie Rohr schreibt: «Ich weiss, das sind alles keine Antworten, aber du sprichst, und es ist mir egal, was du sprichst, solange wir nur miteinander reden.» Hiob wird wieder ganz hergestellt. Aber seine materielle Wiederherstellung täuscht mich nicht darüber hinweg, dass ich, wenn Gott es will, alles verlieren kann. All meine Gerechtigkeit, all meine Gebete, aller Lopreis und Worship wird nicht verhindern, dass ich mit dieser so anderen Seite Gottes Bekanntschaft machen kann. Vielleicht ist das für uns alle, die wir materiell und intellektuell-philosophisch so viel zu verlieren haben, das Beängstigendste am Buch Hiob: Vor der Auferstehung kommt das Sterben. Rohrs Auslegung könnte helfen, diese Angst vor dem Sterben etwas zu verlieren. (be)

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Stelleninserate

Glauben an einen liebenden Gott vereinbaren lässt. Ein Interview mit Charles Templeton, einem ehemaligen Mitarbeiter und engen Freund des Evangelisten Billy Graham, dient dabei als Leitlinie. Templeton, der sich selber als Agnostiker bezeichnet, kam zur Überzeugung, dass es für eine intelligente Person genügend Beweise gebe, die Existenz eines liebenden Gott abzustreiten: Krankheiten, die ganze Erdteile heimsuchen, menschliche Leid, das durch den Verlust eines geliebten Menschen ausgelöst wird und vieles mehr. Im Verlaufe eines Gesprächs mit dem Philosophen Peter Kreeft wird aber klar, dass es Argumente gibt, die auch eine andere Sprache sprechen: Gott mutet uns Leid zu. Das, gerade weil er ein persönlicher Gott ist. Durch Leid und Versuchung kann unsere Gottesbeziehung wachsen und an Tiefe gewinnen. Die Mischung aus philosophischen und verstandesmässigen Argumen­ten, die mit vielen bildhaften Beispielen untermalt werden, überzeugt. Das Büchlein «Warum?» ist leicht lesbar und nimmt die Leserin bzw. den Leser mit hinein in ein zentrales Thema des Lebens, das oft Unsicherheit und Rat­losigkeit verursacht – nicht erst seit dem Terroranschlag in New York vom 11. September 2001.

Strobel, Lee

! Warum?

Wie kann ein liebender Gott Leid zulassen? Projektion J 2002, 80 Seiten ISBN 3-89490-417-8 In diesem Büchlein setzt sich der Autor Lee Strobel mit der Frage auseinander, ob sich das Leid, das ganz offensichtlich in dieser Welt existiert, mit dem

Wenngleich der Autor zuweilen etwas weit ausholt, um seine Gesprächs­ partner einzuführen, gibt das Werk wertvolle Denkanstösse und regt mit überraschenden Argumenten dazu an, die eigene Sichtweise zu hinterfragen und sich von festgefahrenen Denkmustern zu trennen. Auch für nicht direkt Betroffene ist es durchaus lesenswert. (cb) cz 3|05

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Ausbildung

Bei den Finanzen Gottes Güte erleben! Per sofort oder nach Vereinbarung suchen wir für unser Buchhaltungsteam eine/n

Buchhalter/in Ihre Aufgaben: • Selbständige Führung unserer Buchhaltung (Finanzbuchhaltung, Kreditoren, Debitoren, Lohnbuchhaltung, Spendenwesen) • Einführung der neuen Rechnungslegung für Non-Profit-Organisationen, FER21 • Monats- und Jahresabschlüsse erstellen • Abwickeln des internationalen Zahlungsverkehrs mit unseren Partnern in verschiedenen Ländern • Leiten des Buchhaltungsteams Wir erwarten: • Persönliche Beziehung zu Jesus Christus • Fachausweis Finanz- und Rechnungswesen (oder auf dem Weg dazu) • Versierter Umgang mit MS-Office-Anwendungen • Englischkenntnisse, Französisch von Vorteil • Lernbereitschaft und Flexibilität Wir bieten: • Berufliche Mitarbeit im Reich Gottes zusammen mit einem motivierten Team • Verantwortungsvolle Tätigkeit in einem professionellen Arbeitsumfeld • Möglichkeit der persönlichen Entfaltung und geistlichen Entwicklung Für diese verantwortungsvolle Aufgabe wünschen wir uns eine loyale, belastbare Fachperson, die Freude hat am Mitdenken und Mitplanen. Bewerbung: Könnte diese Stelle der nächste Schritt in Richtung Ihrer Berufung sein? Dann richten Sie Ihre vollständige Bewerbung zusammen mit einem Kurzbeschrieb Ihres geistlichen Werdegangs an: Brigitte Anderes, Campus für Christus, Josefstrasse 206, 8005 Zürich, 044 274 84 24, banderes@cfc.ch

Per sofort suchen wir für das Administrationsteam an unserem Hauptsitz in Zürich eine/n

Kauffrau / Kaufmann Ihre Aufgaben: • Unterstützen der verschiedenen Arbeitszweige von Campus für Christus in vielfältigen administrativen Belangen • Telefonisches Beraten von Interessierten und Kunden von Campus für Christus • Bearbeiten von Bestellungen und Anfragen Wir erwarten: • Persönliche Beziehung zu Jesus Christus • Kaufmännische Grundausbildung (KV) oder gleichwertige Berufserfahrung • Freude an administrativen Arbeiten • Sicherer Umgang mit MS-Office-Anwendungen • Hohe Dienstbereitschaft und Flexibilität • Gute Englischkenntnisse Wir bieten: • Training on the Job • Einblick in die vielfältigen Dienste unserer Arbeitszweige • Berufliche Mitarbeit im Reich Gottes zusammen mit einem motivierten Team • Attraktive interne Weiterbildungsangebote Für diese Aufgabe wünschen wir uns eine kommunikative, belastbare Person, die sauberes, selbständiges Arbeiten gewohnt ist. Bewerbung: Könnte diese Stelle der nächste Schritt in Richtung Ihrer Berufung sein? Dann richten Sie Ihre vollständige Bewerbung zusammen mit einem Kurzbeschrieb Ihres geistlichen Werdegangs an:Brigitte Anderes, Campus für Christus, Josefstrasse 206, 8005 Zürich, 044 274 84 24, banderes@cfc.ch

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für sie notiert

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Küre Zumbach wurde am 31. Juli 1967 in Bern geboren. Der gelernte Buchhändler arbeitet zurzeit in einem Brockenhaus in Basel. Seit zwei Jahren lebt er in der Lebensgemeinschaft «Ensemble» in Riehen.

Wie kam ich zum Gedichteschreiben? Schon seit Jahren lese ich regelmässig Gedichte und habe vor etwa drei Jahren begonnen, selbst Texte zu schreiben, nicht zuletzt aus einer inneren Not heraus, sozusagen als Ventil, um schwer Auszudrückendes in einer knappen Form wiederzugeben. Es war und ist immer wieder ein Suchen, ein Fragen nach Gott, wie wir es auch in den Psalmen finden. Zugleich ist es für mich auch eine Spielerei mit Worten, die mir Spass macht. Oftmals landet das Papier bald im Abfalleimer, doch manchmal ist schon der erste «Wurf» zufriedenstellend. Meistens geht es nach ersten Notizen um eine intensive Nachbearbeitung, ein Ringen um die treffenden Worte.

du DU ...

Du, der du das Versunkene hervorholst, längst Vergangenes in Deiner Liebe tränkst. Du, der Du hervorliebst ohne Schranken leise wie der Stern in der Nacht aufblitzt, der nach Jahren die Erde mit Strahlen erreicht. Du, zu wenig Geliebter, Verachteter Du, der Du blutend die Welt erträgst und auch mich. Du Gott der Götter Urkraft und Weltensinn Dich will ich loben und erheben. Du zärtlicher Vater, der seinen Sohn ziehen lässt, wenn er auch weiss, dass er in der Gosse landet. Du, der Du Dich seiner annimmst, als wäre nichts gewesen. Deine offenen Arme umschliessen den tiefsten Bruch. Du, ja Du bist König.

h

Herauskristallisiertes Leben in Schwachheit Nach langem Schatten aufgetaucht zur Oberfläche – noch schmerzhaft, aber siehe Gott steht noch da. Er lächelt. «Ich war schon immer da, aber Deine Umwege waren nicht umsonst.» Bleib jetzt bei mir, da bist Du sicher.


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