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Zeitschrift der 端berkonfessionellen Bewegung Campus f端r Christus Schweiz

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A u f K re u z r s t e h u n g


I N H A L T kreuz und auferstehung | inhalt

Inhalt ZUM THEMA

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«Warum tragen Sie ein Kreuz um den Hals?»

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Eine Strassenumfrage von Tom Sommer rund um schöne Schmuckstücke

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Tom Sommer über das «Aktionskomitee für verfolgte Christen»

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Der Kreuzmacher Monika Blatter auf Besuch beim Bildhauer Karl Imfeld

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... doch das war nicht alles. Von Peter Rettinger und Brigitte Eggmann

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The Passion of the Christ

Anspruch und Zumutung: Kosten der Nachfolge Was heisst es, Jesus nachzufolgen? Eine Umfrage

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Historische Forschung und Auferstehung Carsten Peter Thiedes Forschung und Indizien zur Auferstehung Christi. Von Hans-Joachim Hahn und Tom Sommer

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Am Glauben verzweifelt Die persönliche Auferstehungsgeschichte von Lucia Ewald

«Der Preis, der auf uns wartet» Der Preis wird für Hansjakob und Elisabeth Bernath zum Lohn. Von Veronika Schmidt

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Das Recht auf sich selbst Peter Höhn über selbstverwirklichtes oder mitgekreuzigtes Leben

Das Opfer von Jesus als Ärgernis. Von Martin Forster

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Dietrich Bonhoeffer: Ende und Faszination Eberhard Bethge, Heinz Rüegger und andere

Der Kampf des Vergebens Wie Hugo Frutig seine traumatische Kindheit überwand. Von Renate Blum

Das Licht scheint in der Finsternis am hellsten Das persönliche Wort des Missionsleiters Hanspeter Nüesch

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«Ich war eine Goth»

«Ich bring dich um, wenn du noch mal kommst!»

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«Wäre die Auferstehung nicht geschehen, gäbe es den christlichen Glauben gar nicht» Fritz Imhof im Gespräch mit Johannes Heinrich Schmid

Der Mensch denkt – Gott lenkt Ein Ehepaar kann dem Ruf Gottes nicht ausweichen. Von Monika Blatter

FÜR SIE NOTIERT

Im Kreuzfeuer der Öffentlichkeit

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Wenn Christsein zum Ärgernis wird. Von Veronika Schmidt

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EDITORIAL kreuz und auferstehung | editorial

Editorial Vom Kreuz her leben

Peter Höhn

Biblisch gesinnte Christen dürfen sich freuen: Moritz Leuenberger will dieses Jahr verstärkt mit der Konkordanz arbeiten ...! Spass beiseite. Ich schreibe diese Zeilen in den ersten Tagen des neuen Jahres 2006. Natürlich meint der Bundespräsident nicht das biblische Nachschlagewerk, sondern das gemeinsame Suchen nach politischen Lösungen, die gemeinsam getragen und umgesetzt werden. Trotzdem, die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten vor dem grossen Schweizerkreuz hat mich gefreut und für unser Heftthema inspiriert. Leuenberger: «Nicht alle haben dieselbe Vorstellung über die Schweiz. Dennoch arbeiten wir gemeinsam an ihrer Zukunft. Für diese Gemeinsamkeit steht das Schweizerkreuz.» Gelten diese Worte nicht sinngemäss auch für die Christen aus all den unterschiedlichen Kirchen, Gemeinschaften und Bekenntnissen? Wo anders als unter

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dem Kreuz Jesu können sie sich finden? Dort, wo nicht mehr Erfolgsmeldungen, theologisches (Besser-)Wissen oder gute Werke ins Feld geführt werden, sondern nur die eigene Schwachheit, Armut und Sünde. Erst auf diesem Boden können wirklich Versöhnung, Miteinander und tätige Liebe wachsen. Erst wo Christen einander unter dem Kreuz begegnen, können Gottes Auferstehungskraft und sein Geist kommen. Kreuz und Auferstehung: In den vergangenen Jahren haben sich viele Kirchen und Gemeinden redlich bemüht, Christsein mit zeitgemässen, (post)modernen Mitteln ihren Mitmenschen nahe zu bringen. Das ist gut so und soll auch weiter mit aller Kraft und Kreativität gesucht werden. Doch gleichzeitig dürfen wir vor lauter Verpackung den Inhalt nicht vergessen. Das Kreuz und die Auferstehung sind das Herzstück unseres Glaubens. Wir müssen beides neu erfassen oder besser: davon ergriffen werden – in den Tiefenschichten unseres Mensch- und Christseins. Lassen Sie sich in dieser Ausgabe mit auf einen Kreuz- und Auferstehungsweg nehmen: Er führt von der Strassenumfrage mit Kreuzchenträgern bis zum Martyrium Dietrich Bonhoeffers, dessen

100. Geburtstags wir dieses Jahr gedenken. Von Schweizer Christen bis zu verfolgten Glaubensgeschwistern, die erzählen, was es für sie bedeutet, «ihr tägliches Kreuz zu tragen». Vom Archäologen Carsten Peter Thiede bis zum Theologieprofessor Heinrich Schmid, die erläutern, warum unser Glaube festen Grund hat. Vom Bildhauer über die ExGoth bis zur Journalistin, denen Gott auf ihre Glaubenszweifel konkret und persönlich geantwortet hat. Ich wünsche es mir, und wir möchten mit diesem Heftthema dazu beitragen: dass Christen in unserem Land neu lernen, von der gewaltigen und vielgestaltigen Wahrheit des Kreuzes her zu leben. Dass sie falsche Kreuze niederlegen, aber den notwendigen Kreuzesprozessen im eigenen Leben nicht ausweichen. Dass sie des Kreuzes wegen Versöhnung leben und Frieden stiften. Dass sie so selbstverständlich, wie Moritz Leuenberger am Neujahr vor dem Schweizerkreuz stand, zum Christuskreuz stehen. Und sich in freier Anlehnung an Leuenbergers Rede bewusst sein dürfen: «Nicht alle haben dieselbe Vorstellung über das Christsein. Dennoch arbeiten wir gemeinsam an seiner Zukunft. Für diese Gemeinsamkeit steht das Kreuz Christi!» Peter Höhn

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REUZ UND AUFERSTE

WA R U M ?

« Wa r u m t r a g e n S i e e i n K r e u z u m

Strassenumfrage rund um die schönen Schmuckstücke Weit offen trug er sein Hemd, das schöne goldene Kreuz glänzte auf der stark behaarten Brust wie ein ehrlich verdienter Orden. Er, der gut Mittfünfziger, kenne zwar die Bedeutung des Kreuzes, aber für ihn habe es keine Bedeutung. Schade, dachte ich, und versuchte, mit ihm – und mit weiteren Kreuzträgern – ins Gespräch zu kommen.

Tom Sommer Als müsste er sich für dieses besondere Abzeichen schämen, begann er, mit seinen grossen Fingern an dem kleinen Hemdknopf zu manipulieren. Damit war bald klar, dass ich keinen auch noch so kleinen Hemdausschnitt fotografieren durfte. «Nein, auf keinen Fall!» Andere Passanten waren da weniger zugeknöpft. Meist bereitwillig stellten sie sich ins Licht, um anschliessend auf dem Display der kleinen Digitalkamera noch bestätigt zu finden, dass nicht zu viel auf dem Foto abgebildet war. Natürlich ist mit einigen zufällig befragten Personen auf einem Schweizer Bahnhofgelände keine Verallgemeinerung möglich. Trotzdem, die Antworten der Passanten auf unsere Fragen scheinen eines aufzuzeigen: Das Kreuz um den Hals ist vor allem ein gern getragenes Accessoire. Auch wenn die tiefere Bedeutung teilweise bekannt ist, führt das nicht automatisch zu einer vertieften Auseinandersetzung damit und schliesslich auch nicht zu einer aktiven Hinwendung 4

zu diesem Jesus Christus. Immerhin: Vielleicht ist es doch nicht ganz gleichgültig, was man um den Hals trägt?

Ich trage das Kreuz, weil ich an Jesus Christus glaube und glaube, dass er auferstanden ist. (Frau, 60)

Dieses Kreuz ist für mich ein ägyptisches Schutzsymbol. (Frau, 20)

Ich trage das Kreuz am Ohr als Clip, weil ich an Gott glaube. (Mann, 18)

Ich trage das Kreuz einfach, ich weiss auch nicht genau, warum. (Frau, 65)

Das Kreuz ist ein Erbstück der Familie; ich trage es, weil es schön ist. Mit Glauben habe ich nichts am Hut. Meine Eltern allerdings schon, sie sind katholisch. (Mann, 20)

Ich glaube an Jesus, und er ist die bedeutendste Person in meinem Leben. Aber ich mag das Kreuz auch als schönes Schmuckstück. (Frau, 45) Gott – Jesus Christus – Heiliger Geist. (Mann, 25) Das Kreuz zeigt, dass ich an Gott glaube. Und es ist ein Schmuckstück für mich. (Frau, 30) Ich trage das Kreuz, weil ich rumänischorthodox bin; schon auch ein wenig wegen dem Glauben, aber nicht extrem. (Mann, 55) Ich trage das Kreuz, weil ich es gerne habe. (Frau, 50)

Das Kreuz ist ein Geschenk meiner Frau, die katholisch ist. Sonst hat es keine Bedeutung. (Mann, Alter nicht bekannt) Das Kreuz ist mein Glücksbringer und beschützt mich. (Mann, 20) Warum soll ich das Kreuz nicht tragen?! Ich bin katholisch, wissen Sie! (Frau, 20) Ich trage das Kreuz als Goldschmuck, es hat sonst keine Bedeutung. Nachgefragt: Kennen Sie denn die Bedeutung? – Im Prinzip ja. – Aber? – Da gibt es kein Aber. Ich trage es. (Mann, 55) cz 1|06


kreuz und auferstehung | warum tragen sie ...

m den Hals?»

Das Kreuz — Sonderzeichen und Skandal1 Ein Kreuz um den Hals zu tragen ist keine Selbstverständlichkeit. Das wird vielen wieder bewusst, da das Kreuz heute mehr und mehr aus dem öffentlichen Raum entfernt wird. Der Film «The Passion of the Christ» hat wieder bewusst gemacht, welch grausame Art der Hinrichtung die Kreuzigung war. Die alten Römer haben die, vermutlich von den Persern der Antike erfundene, Todesfolter wegen ihrer Brutalität nur an Nichtrömern, Schwerverbrechern und Sklaven vollzogen. Für die Menschen der damaligen Zeit war das Kreuz kein frommes, kein göttliches Zeichen, sondern ein Zeichen der Verworfenheit, der Schande, der Ehrlosigkeit.Wenn wir von «Kreuz» und dem «Gekreuzigten» reden, müssen wir das mitbedenken. Jesus ist an jenem ersten Karfreitag in Jerusalem das Opfer menschlicher Brutalität

geworden. An ihm hat sich die Sünde der Menschen in ihrer ganzen finsteren Vielfalt ausgetobt: Verrat, Hass, Verleugnung, Feigheit, Grausamkeit, Spott ... Zerschunden und wehrlos hängt Jesus zwischen Himmel und Erde. Es wäre mehr als verständlich, würde der Gekreuzigte jetzt seine Peiniger verfluchen, wie das andere unschuldig Verurteilte oft getan haben. Aber vom Kreuz des Nazareners kommt kein Fluch. Wir hören ganz anderes: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun» (Lukas 23,34). Der christliche Glaube kennt keine philosophische Erklärung für das Leid. Auf die oft gestellte Frage, warum ein liebender Gott all das Furchtbare in der Welt zulassen könne, weiss er keine befriedigende Antwort. Er darf bescheiden bekennen: Ich stehe nicht an der Stelle Gottes. Ich durchschaue Gottes Wege nicht und muss sie daher auch nicht rechtfertigen. Christlicher Glaube «weiss» aber: Gott

steht an meiner Stelle. Er ist in Jesus von Nazaret tatsächlich einer von uns geworden. Christen wagen zu sagen: Gott kennt das Menschsein nicht nur «von aussen», sondern «von innen», aus eigener Erfahrung. Er hat ein echtes Menschenleben durchlebt und «durchliebt», gerade auch die dunklen Seiten unserer Existenz: das Abgelehntwerden, die Enttäuschung, die Angst, die Einsamkeit, die Ohnmacht, das Leiden, das Sterben und – so paradox es klingen mag – sogar die Gottverlassenheit. «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» In diesem Schrei Jesu am Kreuz sammeln sich die lauten und leisen Schreie aller Gequälten aller Zeiten. Gott zaubert die Leiden nicht einfach weg aus der Welt. Aber er versteht jeden Leidenden, nimmt jedes Leid in sein Herz und – so darf der Christ glauben – pflanzt ihm den Keim des ewigen Ostermorgens ein.

1 Von uns betitelterAuszug aus «Der Skandal des Kreuzes» und «Das Kreuz – Zeichen mitAnspruch» von Karl

Veitschegger, katholischer Theologe aus Graz (http://members.surfeu.at/veitschegger/index.htm).

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K R E U Z Der Kreuzmacher Auf Besuch beim Bildhauer Karl Imfeld Schon als Kind wollte er Bildhauer werden. In seinem Heimatdorf Lungern, wo Karl Imfeld bis heute lebt und arbeitet, erlernte er dieses Handwerk. Kalksteine aus dem hiesigen Bach, Holz aus heimischen Wäldern finden den Weg in seine Werkstatt und werden dort zu Skulpturen, Grabmälern, Möbeln und Kreuzen gestaltet, um mit starker Aussagekraft in die Welt hinauszugehen. Nicht nur einzelne Skulpturen gestaltet der Künstler, er entwickelt auch ganze Raumkonzepte. Etliche Chorräume von Kirchen in der Schweiz und in Deutschland tragen seine Handschrift.

Monika Blatter Karl Imfeld, warum findet man unter deinen Werken häufig sakrale Kunst? Karl Imfeld: Zum einen hat dies mit der Tradition der einheimischen Bildhauerei zu tun, zum andern mit meiner bewussten Hinwendung zu Gott. Als ich in Lungern die Tür, die Fenster und das Kreuz der Friedhofs-

«Was wäre, wenn ich als Erster in diese neue Kapelle getragen würde?» kapelle gestalten durfte, stieg in mir der Gedanke auf: «Was wäre, wenn ich als Erster in diese neue Kapelle getragen würde?» Das stimmte mich nachdenklich, und ich begann in der Bibel zu lesen. Kurz darauf erlebte ich eine radikale Umkehr. Auf einmal begriff ich, dass die Bibel wie eine Gebrauchsanleitung Gottes Worte an uns Menschen weitergibt, damit ich weiss, wie ich mein Leben handhaben soll. Eines Tages stiess ich auf die Worte: «Habt 6

ihr denn vergessen, dass euer Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist? Der Geist, den Gott euch gegeben hat, wohnt in euch, und ihr gehört nicht mehr euch selbst. Gott hat euch als sein Eigentum erworben; denkt an den Preis, den er dafür gezahlt hat! Darum geht mit eurem Körper so um, dass es GottEhremacht!» (1.Korinther6,19-20). Nun war mir klar, dass der Glaube eine ganzheitliche Sache ist. Vieles ordnete ich in kürzester Zeit; unter anderem konnte ich von einem Tag auf den anderen das Rauchen aufgeben. Das war für mich Befreiung pur! Einige Freikirchen hatten damals Bauvorhaben. Es erreichten mich diverse Anfragen für die künstlerische Raumgestaltung. Noch heute arbeite ich häufig für Freikirchen. Meine innere Überzeugung widerspiegelt sich in meinem künstlerischen Schaffen, sei es in Arbeiten für Privatkunden oder auch Firmen.

Was bedeutet für dich das Kreuz? Es ist ein Zeichen dafür, dass Jesus Christus den Tod überwunden hat, ein Zeichen der Hoffnung, der Freiheit und Gnade. Auf keinen Fall ist es nur ein Symbol für den Tod. Und die Auferstehung? Nur der Körper stirbt, der Tod ist überwunden. Es ist der Durchbruch vom Tod ins Leben, vom Schweren in die Leichtigkeit, Schwerelosigkeit. Diese Sicht soll mein ganzes Schaffen durchdringen. Was geht in dir vor, wenn du den Auftrag bekommst, ein Kreuz zu kreieren? Ich frage jedes Mal nach der Notwendigkeit des gegenständlichen Kreuzes. Wenn dieses vom Kunden gewünscht wird, versuche ich herauszufinden, welche Motivation dahintersteckt. Das Kreuz als Symbol ist heute in. Häufig wurde und wird es als Kultgegenstand missbraucht: Der Gegenstand selber soll Heil und Heilung bringen. Das ist cz 1|06


kreuz und auferstehung | der kreuzmacher

• Nicht nur Kreuze: Karl Imfeld gelingt es, die Botschaft der

jedoch nichts anderes als eine äusserliche Form von Frömmigkeit und letztlich Götzendienst. Durch das Aufstellen eines Kreuzes werden weder Raum noch Menschen geschützt. Du hast mir erzählt, dass du kein Kreuz mit dem Korpus gestaltest. Ja, denn dadurch wird der Tod vermittelt. Jeder sieht: Jesus ist tot. Ich will die Auferstehung, das Leben und die Hoffnung weitergeben. Es liegt mir ferne, durch die Gestaltung eines Kreuzes Gedanken an Leid und Tod zu wecken. Das ist nicht die primäre Botschaft des Evangeliums. Du willst also eigentlich Leben vermitteln, wenn du ein Kreuz herstellst? Unbedingt! Denn das Kreuz soll keine Dekoration sein – das ist nicht nach meinem Sinn. Der Betrachter soll zum Nachdenken angeregt werden. Die Botschaft der Freiheit und Gnade muss sichtbar werden. Ich sehe das Kreuz als etwas, was «Zwischen-Räume» cz 1|06

schafft. Das Reich Gottes ist durch das Kreuz, beziehungsweise durch Jesus gekommen, und doch ist es noch nicht da. Es ist die Verbindung zwischen Gott und den Menschen. Es bricht Verhärtetes, Schweres auf, es verschafft Luft, Raum zum Leben. Es kündigt das ewige Leben im goldenen Jerusalem an.

Hoffnung bei jedem seiner Werke zu vermitteln, sei es bei Skulptur, Brunnen, Tisch oder Rednerpult.

andere oder leicht veränderte Vorschläge ein. Das ist in der Regel kein Problem, und es kommt vor, dass auch schon mal ein Architekt seine Pläne ändern musste.

Wie läuft bei dir als Bildhauer der kreative Prozess ab? Die Natur ist für mich Inspirationsquelle, doch entstehen meine Werke aus der Stille und dem Gebet. Ich bete um Führung, dass ich die richtige Botschaft vermitteln darf. Meist sehe ich ein klares Bild vor meinem inneren Auge, das ich anschliessend umsetze. Und wie ist es mit den Auftraggebern: Wie konkret sind ihre Vorstellungen? Ab und zu haben sie schon klare Wünsche. Ich höre zu, überdenke dann alles, gehe wie gesagt auch in die Stille und bringe je nach dem auch

• «DieFreudederSchöpfungsprichtausallseinenWerken.» So steht es im Porträt der Homepage von Karl Imfeld. Karl Imfeld, Brünigstrasse 41, 6078 Lungern,Telefon 041 678 18 65, www.karl-imfeld.ch

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KREUZIGUNG The Passion of the Christ Das Opfer von Jesus als Ärgernis Er hat die Gemüter ziemlich erhitzt, der Film von Mel Gibson. Die einen sahen in diesem Film eine gute Gelegenheit, um mit Zeitgenossen über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Die anderen waren entsetzt über die dargestellte Gewalt und sahen in diesem Film einen Rückfall ins Mittelalter. Eines ist klar, «The Passion of the Christ» hat die Diskussion um das Kreuz wieder neu entfacht.

Martin Forster Wenn wir nach dem Kreuz Jesu fragen, dann haben wir es mit zwei Fragen zu tun. Zunächst mit einer historischen: Wie und warum kam es überhaupt zur Kreuzigung Jesu? Und einer theologischen: Was bedeutet Jesu Tod am Kreuz?

Warum kam es zur Kreuzigung? Aus Distanz betrachtet war Jesus eine Art charismatischer Wanderprediger. In gewisser Hinsicht sah er anderen prophetischen Figuren zum Verwechseln

Die Römer erkannten in Jesus keinen Terroristen, denn einen gefährlichen Aufrührer hätten die Machthaber längst beseitigt. ähnlich, die damals wirkten und das Joch der Römer abschütteln wollten. Deshalb musste sich eine Person wie Jesus früher oder später mit der Frage auseinander setzen, wie er sich zu den damaligen Messiaserwartungen der Menschen stellte. Für die Evangelisten und alle frühchristlichen Schriftsteller war es klar, dass Jesus der Messias, der Christus, war. Auch 12

Jesus hat sich als Messias verstanden. Damit geriet er in einen Konflikt mit den jüdischen Führern, der sich immer mehr zuspitzte. Und die Frage war: Welches Ende würde sein Leben nehmen? Ein gewaltsames Ende zeichnete sich ab. 30 n. Chr. kam es zur Hinrichtung durch das Kreuz. Es war die grausamste, eine äusserst schmerzhafte und demütigende Todesstrafe, welche die Römer nur an staatsgefährdenden Verbrechern und an rebellischen Sklaven und Räubern vollzogen. Das führt uns zur brisanten Frage, welchen Anteil die vier Parteien am Tode Jesu hatten: die Römer, die jüdische Obrigkeit, das Volk, Jesus selbst. Die Römer Die Gebiete, in denen sich Jesus bewegte, waren von den Römern besetzt und verwaltet. Die Juden hatten eine gewisse Autonomie, aber die Kapitalgerichtsbarkeit lag bei den Römern. Das bezeugen übereinstimmend die Evangelien und Josephus.1 Da Jesus hingerichtet werden sollte, mussten die Römer einen

wichtigen Part im Prozess übernehmen.2 Die Römer erkannten in Jesus keinen Terroristen, denn einen gefährlichen Aufrührer hätten die Machthaber längst beseitigt. In den ausserbiblischen Quellen wird Pilatus weder als sehr kompetent noch als besonders anständig bezeichnet. Im Gegenteil, er galt als äusserst korrupt.3 Im Verlauf des Verhörs erkannte Pilatus, dass er in Jesus keinen gewöhnlichen Verbrecher vor sich hatte. Um den jüdischen Anklägern eins auszuwischen, wollte er Jesus wieder freilassen. Dieser Versuch wurde aber vom Volk vereitelt, indem es sich für Barabbas entschied. Pilatus wollte nicht als Verräter an der römischen Sache dastehen und beim Kaiser angeschwärzt werden, deshalb liess er Jesus kreuzigen. Der Titulus über dem Kreuz zeigte die Schuld,

1 Josephus, Flavius: Geschichte des jüdischen

Krieges, II,8.1. Siehe auch Johannes 18,31. 2 Das Verhör vor Pilatus kann als ordentliches

römisches Verfahren verstanden werden. 3 Philo:

Legatio ad Gaium, 301 + 302. cz 1|06


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kreuz und auferstehung | the passion of the christ

aufgrund der die Römer Jesus zum Tod verurteilt hatten: Der König der Juden. Der römische Historiker Tacitus bestätigt, dass Jesus durch Pontius Pilatus hingerichtet wurde.4 Für ihn liegt die Verantwortung bei Pilatus. Vielleicht kommt Pilatus in den Evangelien tendenziell etwas zu gut weg. Er und seine Folterknechte hatten einen wesentlichen Anteil an der Kreuzigung Jesu. Die jüdische Obrigkeit Die Evangelien zeigen, wie sich der Konflikt zwischen den jüdischen Führern und Jesus zuspitzte. Im Verhör vor dem Hohen Rat kamen zwei Tatbestände zum Vorschein, die für die Verurteilung Jesu herangezogen wurden: Jesu Haltung gegenüber dem Tempel und sein Anspruch, der Messias zu sein (Markus 14,55-65). Der Tempel war für die Juden ein wesentliches Symbol ihrer Identität. Er war der Ort der göttlichen Gegenwart.5 Im damaligen Judentum gab es verschiedene Erwartungen, die sich auf einen Messias richteten. Jesus entsprach aber keiner von diesen. In den Augen der Ankläger war Jesus ein Verführer des Volkes. Solche Menschen konnten im labilen Verhältnis mit den Römern schädlich wirken. Ein Verführer musste nach 5. Mose 13 mit dem Tod bestraft werden. Das waren die jüdischen Straftatbestände. Doch wie konnten nun die Ankläger diese Straftatbestände vor den römischen Behörden geltend machen? Denn innerjüdische Konflikte interessierten die Römer nicht. Doch da waren der Messiasanspruch von Jesus und die damit verbundene königliche Würde. Für die Römer konnte Jesus cz 1|06

also ein Rivale um die Macht sein. Auf machthungrige Hitzköpfe reagierten die Römer allergisch. Die jüdischen Behörden überlieferten Jesus also als politischen Aufrührer an den römischen Statthalter. Das Volk Im Prozess vor Pilatus spielte das jüdische Volk eine wichtige Rolle. Doch warum sollte das Volk Jesu Tod wollen? Nach den Evangelien hatte Jesus im Volk auch viele Sympathisanten gefunden. Als er in Jerusalem einzog, jubelte ihm die Menge zu (Markus 11,1-11). Es gibt zwei mögliche Erklärungen für den Meinungsumschwung. Erstens: Das Volk hoffte auf einen Messias in der Art von Barabbas. Einen, der die Römer im Kampf schlagen konnte. Diese Hoffnung sahen die Menschen enttäuscht. Zweitens: Wer war denn überhaupt «das Volk» bei der Verhandlung? Beim öffentlichen Prozess vor Pilatus war vor allem die Jerusalemer Bevölkerung anwesend. Die Jerusalemer Aristokratie und die Hohepriester hatten bestimmt einen grossen Einfluss auf das Volk. Wenn sie plausibel machen konnten, dass Jesus gegen das jüdische Gesetz verstossen hatte, dann konnten sie mit der Unterstützung im Volk rechnen. Und diese Unterstützung fanden sie auch. Jesus Wie schon angedeutet musste Jesus mit einem gewaltsamen Tod rechnen. Sicher muss sich Jesus wohl selber auch nach dem Sinn seines Todes gefragt haben. Ein Jude im ersten Jahrhundert, der sich bewusst war, am Wendepunkt

der Geschichte zu stehen, musste von einer Leidenszeit ausgehen.6 In seinen Endzeitreden hat Jesus selbst mit einer Leidenszeit, die dem Ende vorausgeht, gerechnet (Markus 13,7-8). Leiden gehörte also zur letzen Zeit vor dem anbrechenden neuen Zeitalter. In der Verhandlung vor den jüdischen Behörden und vor Pilatus verteidigte sich Jesus nicht. Im Gegenteil, er bekannte sich vor den jüdischen Behörden zu seiner Messianität und vor den römischen Behörden zu seinem Königtum. Man könnte sagen, er habe das Todesurteil provoziert und sei bewusst in den Tod gegangen. So sehen es die Evangelien. Doch das führt uns zur zweiten eingangs erwähnten Frage: Was ist der Sinn dieses Todes?

Was bedeutet Jesu Tod am Kreuz? Wenn wir die Evangelien auf dieses Thema hin befragen, dann sehen wir, dass Jesus den Jüngern Hinweise auf seinen baldigen Tod gegeben hat.

4 Tacitus,

Cornelius: Annalen, 15.44

(siehe TUNT, Seite 16 f.). 5 Schon in einem früheren Fall gingen die jüdischen Behörden

äusserst grausam gegen einen Tempelkritiker vor (siehe Josephus, Flavius: Geschichte des jüdischen Krieges,VI.5.3, Seite 595 ff.): Jesus, der Sohn des Ananus, wurde für sein Unheilsgeschrei hart geschlagen, aber später vom römischen Statthalter wegen Geisteskrankheit freigelassen. 6 Zum Beispiel äth. Henoch 47.1-4: Jüdische Hoffnungen auf die

endgültigeErlösungwarenverbundenmitderErwartungeiner schweren Notzeit.

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Die Leidensankündigungen Die synoptischen Evangelien bringen Worte von Jesus, in denen er sein bevorstehendes Leiden ankündigte (Markus 8,31-33; 9,30-32; 10,32-34). Jesus deutete sein Leiden noch nicht, sondern kündig-

Jesus verband das Passahfest – nicht den Versöhnungstag – mit seinem Tod. Beim Passah erinnern sich die Juden bis heute an den Auszug aus Ägypten. te es als unausweichlich an. Jesus rechnete also nicht nur mit dem Tod, sondern er sah ihn als Teil seines Auftrages. Es gibt auch noch andere Hinweise in den Evangelien, die zeigen, dass Jesus mit seinem Tod rechnete (Lukas 13,33; Markus 2,20; Matthäus 12,40).7 Die Leidensdeutung bei Jesus Warum Jesus sterben musste, wird in den Evangelien nur ansatzweise beantwortet. Die bedeutsamste symbolische Handlung im Zusammenhang mit dem Leiden Jesu ist das letzte Mahl mit seinen Jüngern. Zuerst müssen wir jedoch etwas klären: Das Passahfest war nicht der Versöhnungstag. Das Passahlamm war nicht der Sündenbock, der die Sünden wegträgt. Jesus verband das Passahfest – nicht den Versöhnungstag – mit 7 Im Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Markus 12,1-12)

spricht Jesus von der Ermordung des Sohnes des Weinbergbesitzers. Damit will Jesus wohl sein eigenes Geschick andeuten. Als Jesus in Bethanien von einer Frau gesalbt wird, bezeichnet er diesen Akt als Salbung für sein Begräbnis (Markus 14,8). Die Leidensankündigungen stehen also auf einem soliden Fundament in der Evangelienüberlieferung. 8 Pes.

10.5/SB IV.1, Seite 68.

9 DieseTexte wurden seit der Zeit des zweitenTempels im Juden-

tum messianisch und auf das stellvertretende Leiden gedeutet. Jesus hat sich und seinen Auftrag von Jesaja her verstanden. 10Dunn, James D. G.:TheTheology of Paul theApostle.Wm. B.

Eerdmans, Seite 212. 14

seinem Tod. Beim Passah erinnern sich die Juden bis heute an den Auszug aus Ägypten. Es ist das Fest der Befreiung. Was damals beim Auszug aus Ägypten geschah, das sollte jetzt durch Jesus Christus geschehen. Nach jüdischer Tradition wurden beim Passahmahl die Worte «Passah, Mazzen (ungesäuertes Brot) und Bitterkräuter» gedeutet.8 Uns ist die Deutung des Brotes und des Weines überliefert. Jesus deutet das Brot auf seinen Leib, der für andere hingegeben wird. Den Kelch deutet er auf sein Blut, das für viele vergossen wird. Das Blut ist das Blut des Neuen Bundes. Der Tod Jesu verschafft den Menschen im Deutungsrahmen des Passah Befreiung. Jesus sollte für die vielen sterben, damit Gott seine Geschichte fortsetzen konnte. Jesus deutet seinen Tod auf dem Hintergrund von Jesaja 40-55.9 Dabei sind besonders die sogenannten Gottesknechtslieder zentral (Jesaja 42,1-4; 49,1-6; 50,4-9; 52,13-53,12).NachdiesenTextenversteht Jesus seinen Tod als stellvertretend, ja man kann sogar sagen, als ein Opfer für die Menschen. Doch erst im Epheserbrief (5,2), im Hebräerbrief (9,26) und in der Offenbarung (5,9) wird Jesu Tod am Kreuz ausdrücklich als «Opfer» bezeichnet.

Die Deutung des Kreuzes bei Paulus Für einen antiken Menschen und besonders für einen Juden war etlicher Erklärungsbedarf vorhanden gegenüber einer Bewegung, in deren Zentrum das Kreuz stand. Das Kreuz war ein Zeichen der Schande und der Niederlage. Aber das Kreuz auf Golgatha und der Mann, der daran hing, bildeten das Zentrum von Paulus‘ Theologie. Paulus brauchte eine ganze Palette von Bildern, um das Kreuzesgeschehen zu erklären. Und das war auch nötig, denn das Kreuz gehörte in die Welt der römischen Justiz und nicht in die Welt der jüdischen Opferterminologie.

Der Tempel: Im Römerbrief bezeichnet Paulus Jesus als «hilasterion» (Römer 3,25). Die genaue Deutung dieses Ausdrucks ist umstritten. Auf jeden Fall stammt er ursprünglich aus dem Umfeld des grossen Versöhnungstages (3. Mose 16,15). Dort bezeichnet er den Deckel der Bundeslade. Wenn Paulus weiter sagt, dass wir durch Jesu Blut (Römer 5,9) gerecht gemacht worden seien, dann benutzt er einen Begriff aus der Opfersprache. Die beiden Metaphern (bildhafte Vergleiche) für das Kreuz, «Deckel der Bundeslade» und «Blut», stammen aus der Welt des jüdischen Tempels. Paulus sieht in Jesus am Kreuz das Opfer, das uns gerecht gemacht hat. Was Jesus am Kreuz vollbrachte, entspricht dem, was am Versöhnungstag im Tempel geschieht. Die Sünden der Menschen wurden vergeben. Diese Metapher war für einen Juden vor 70 n. Chr. naheliegend. Mit heiliger Ehrfurcht wohnten sie den täglichen Opfern in Jerusalem bei. Hier geschah etwas Zentrales für den Glauben eines Juden. Für uns Mitteleuropäer des 21. Jahrhunderts ist diese Welt fremd. Die Tradition hat das Ihre dazu beigetragen, diese Metapher zu desavouieren. Es wurden Vorstellungen von einem zornigen Gott damit verbunden, der Blut sehen will. Das ist jedoch eine zynische Karikatur dessen, was die Metapher für einen antiken Menschen bedeutete. Bis in die Neuzeit hinein hatte die Opferterminologie eine wesentliche Rolle im Verständnis des Todes Jesu gespielt. Erst die Aufklärung und die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts brachen mit dieser Tradition. James D. G. Dunn, ein englischer Neutestamentler, bezeichnet das kultische Opfer als eines der stärksten Bilder, das Paulus brauchte, um die Bedeutung des Todes Christi zu erklären.10 Wir sollten uns nicht einfach aus moderner Überheblichkeit von diesem ungewohnten Bild verabschieden. Wir können es aber wohl auch nicht ohne Erklärung gebrauchen. cz 1|06


kreuz und auferstehung | the passion of the christ

Die Wirtschaft: Ein anderes Bild stammt aus der antiken Wirtschaft. Sklaven waren damals eine Ware, die man kaufen und verkaufen konnte. Auch eine Welt, die uns fremd ist. In dieser Welt kann das Kreuz mit dem Freikauf eines Sklaven verglichen werden. Freigekauft werden – das war ein grosser Moment im Leben eines rechtlosen Sklaven! Paulus nimmt diese Metapher Jesu vom Lösegeld (Markus 10,45) auf und redet an verschiedenen Stellen vom «Loskaufen» (1. Korinther 6,20; 7,23; Galater 3,13; 4,5). Jesus hat das Lösegeld bezahlt, das für unsere Freiheit notwendig war. Familie und Politik: Die Bedeutung des Verbs «versöhnen» ist die «Wiederherstellung einer gestörten Beziehung». Dies konnte im öffentlichen oder im privaten Leben geschehen. So wie Familienmitglieder oder Politiker Frieden schliessen, so hat Gott mit dem Menschen Frieden geschlossen durch Jesus Christus. Paulus braucht diese Metapher an verschiedenen Orten, am prägnantesten in 2. Korinther 5,16-21. Der Initiant der Versöhnung ist immer Gott. Er versöhnt den Menschen mit sich durch Jesus Christus. Nicht der Mensch leistet die Versöhnung, sondern Gott selbst. Die Justiz: Der Mensch lebt in Feindschaft zu Gott und steht deshalb als Schuldiger vor dem himmlischen Gericht. Dieses Bild zeichnet Paulus in Römer 1-3. Juden und Griechen stehen schuldig vor Gott. Jesus ist in dieser ausweglosen Situation für uns eingetreten. Durch Jesu Tod sind wir ohne unser Zutun gerecht gemacht worden. Hinter diesem Gedanken des cz 1|06

Römerbriefes steht die Vorstellung eines Rechtsverfahrens, welches Paulus im Römer- und im Galaterbrief breit entfaltet. Das daraus folgende neue Verständnis der Gerechtigkeit Gottes war in Luthers Leben ein entscheidender Wendepunkt und ist bis in die neuere evangelische Theologie hinein sehr bedeutsam. Diese Tradition hat die anderen Bilder, die Paulus auch gebraucht, fast verdrängt. Das Militär: Im Kolosserbrief wird vom Sieg Jesu gesprochen (Kolosser 2,15). Jesus hat in einem Machtkampf die Gewalten am Kreuz besiegt. Auch mit dieser Metapher aus der militärischen Sprache kann man das, was Jesus am Kreuz vollbracht hat, ausdrücken. Manche halten das für die Grundmetapher. Das Haus: Paulus braucht noch eine weitere Metapher, die auch in den Bereich der Familie oder des Sklavenwesens gehört: Jesus hat am Kreuz einen Akt des Gehorsams geübt. Durch seinen Gehorsam wurden die vielen gerecht (Römer 5,19). Im wunderbaren Philipper-Hymnus wird das Werk Christi auch als Gehorsamstat verstanden (Philipper 2,5-11). Jesus wurde Sklave und als Sklave gehorsam bis zum Tod. Diese Tat hat ihn zum Herrn über alles gemacht.

Mel Gibson hat in seinem Film «The Passion of the Christ» die Metapher des Opfers verwendet und von dort her versucht, die Leidensgeschichte von Jesus darzustellen. Vom Neuen Testament her

Jesus ist am Kreuz gestorben, und das heisst: Es ist für uns geschehen. Der Tod und die Auferstehung Jesu sind das Fundament, auf dem unser Glaube steht. haben wir mehrere Bilder zur Verfügung, um über das Kreuzesgeschehen zu reden. Es ist gut, wenn wir die vielfältigen Vergleiche und Metaphern ausschöpfen. Jede Zeit wird wohl einen anderen Schwerpunkt setzen, um das Kreuz den Zeitgenossen zu erklären. Das ist gut so. Aber das Zentrum muss unter allen Umständen gewahrt bleiben. Jesus ist am Kreuz gestorben, und das heisst: Es ist für uns geschehen. Der Tod und die Auferstehung Jesu sind das Fundament, auf dem unser Glaube steht. Das historische Ereignis von 30 n. Chr. bildet dafür die Grundlage.

MartinForster(geboren1962), Theologe VDM, verheiratet mit Anna Maria. Er studierte Theologie an der Universität Basel und am Regent College in Vancouver,

Allen Bildern, mit denen Paulus den Tod Jesu am Kreuz deutet, ist eines gemeinsam: dass Jesus am Kreuz stellvertretend für uns etwas erworben hat. Die Bilder ergänzen sich und zeigen verschiedene Aspekte dessen, was am Kreuz für uns geschah.

Kanada. Er ist Dozent am Theologischen Seminar Bienenberg, Liestal, und wissenschaftlicher Mitarbeiter im VBG-Institut. Der Volltext dieserArbeit kann unter www.vbginstitut.ch heruntergeladen werden.

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NACHFOLGE Anspruch und Zumutung:

Kosten

Jesus sagt: «Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.» Manchmal meinen wir, eine schwierige Situation sei ein Kreuz, das wir zu tragen hätten. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Kreuz als Joch, das wir uns selber auflegen. Aber auch das Umgekehrte kommt vor: Ein Kreuz erscheint uns als Joch, und wir tun alles, ihm auszuweichen. Wie können wir nun unterscheiden lernen zwischen dem Preis, den uns die Nachfolge Jesu wirklich kostet, und den Lasten, von denen uns Jesus Christuseigentlichbefreienmöchte?VierFragendazustelltenwirganzunterschiedlichen Personen. Zu ihrem Schutz haben wir deren Antworten anonymisiert und nur Alter und Berufsbezeichnung offen gelegt.

Christliches Zeugnis: Können Sie etwas darüber sagen, was es Sie kostet, Jesus nachzufolgen? Und wo Sie wirklich einen Preis gezahlt haben oder zahlen? «Mich kostet es jeden Tag aufs Neue etwas, mein Vertrauen auf Jesus zu setzen und nicht auf meine eigene Kraft», sagt ein 21-jähriger ehemaliger Skinhead, der letztes Jahr die Matura abschloss. «Früher war ich in der satanistischen Szene. Als ich zum Glauben an Jesus kam, musste ich mein Leben von Grund auf neu gestalten. Es hat mich viel Überwindung und Kraft gekostet, mich vom Bisherigen zu lösen und darauf zu vertrauen, dass ein Leben mit Jesus wirklich besser ist. Heute bin ich mir dessen sicher, aber es gibt immer noch Situationen, in denen ich lieber wie ein Skinhead reagieren würde denn als Christ.» Für einen 42-jährigen Kaufmann heisst der Preis schlicht «dranbleiben». 16

Dranbleiben an Jesus, sich immer wieder bei ihm einklinken statt aufgeben oder vor schwierigen, herausfordernden Situationen davonlaufen. Ein 25-jähriger Student zählt eine ganze Liste auf: «Die Nachfolge Jesu kostet mich Vertrauen. Vertrauen, Dinge oder Menschen nicht so zu ändern zu suchen, dass es für mich stimmt, sondern zu vertrauen, dass Gott mir zur rechten Zeit gibt, was ich brauche. Jesus nachzufolgen kostet mich die Sünde, mein früher ausschweifendes Leben, meine ‹Freiheit›. Es gibt immer wieder Momente, in denen ich – wie gerade heute – durch die Uni laufe und all die schönen Frauen sehe und die Blicke, die mir manche zuwerfen. In solchen Momenten denke ich manchmal, dass mich die Nachfolge doch einiges kostet, auch wenn es ‹nur› ein begehrlicher Blick auf die eine Frau ist. Nachfolge

fängt schon dort an, dass ich bestrebt bin, mich nicht schlechten Gedanken über Mitmenschen oder sexuellen Phantasien hinzugeben, sondern immer meine Mitmenschen durch Gottes Augen zu sehen suche und ganz auf die Befriedigung durch seine Liebe traue. Die Nachfolge Jesu bringt mich auch um meine selbst aufgebauten Schutzmauern und -masken. Manchmal bringt die konsequente Nachfolge Jesu Unverständnis, ja sogar Feindseligkeiten anderer mit sich. Besonders unter Menschen, die Gott nicht kennen, bin ich manchmal der Sonderling, bei dem man vielleicht Rat sucht, den man aber je nachdem eher nicht ‹dabeihaben› will.» Für eine 60-jährige Fürbitterin, die auch in der Seelsorge tätig ist, heisst der Preis der Jesus-Nachfolge «Feindesliebe»: «Wenn Gott sagt, dass ich cz 1|06


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Nachfolge

meinen ‹Feinden›, das sind Menschen, denen ich lieber ausweichen würde, statt ihre Nähe zu suchen, nicht nur vergeben, sondern sie sogar ‹lieben› soll, dann ist das ein ganz konkreter Preis in einem ganz konkreten Fall.» Sich auf dem Weg der Nachfolge immer wieder entsprechend zu entscheiden waren die Kosten für ein Ehepaar, das seit 45 Jahren verheiratet ist. Für den Ehemann, von Beruf Maschineningenieur und Projektleiter, der christlich erzogen wurde und christliche Schulen besuchte, hiess das zum Beispiel, dass seine Ehepartnerin gläubig sein und er nicht alle Energie in die berufliche Karriere stecken sollte. «Suchet zuerst das Reich Gottes ... », war sein Wegweiser. Die Forderung Jesu, im Kleinen treu zu bleiben, hat dagegen seine Ehefrau begleitet. Einen 40-jährigen Geschäftsmann in der Gastronomiebranche und einen Lehrling, der letzten August seine Ausbildung begonnen hat, kostet es das Gleiche: Freunde. «Wenn ich anfange, vom Glauben zu sprechen, sind viele einfach gerade unmotiviert oder es ‹bölzt› sie an», erzählt der Lehrling. «Mit vielen neuen Klassenkameraden habe ich gesprochen, aber es sind alle bis auf einen weggelaufen.» – Der Geschäftsmann: «Wenn es konkret um Jesus geht, dass er gekreuzigt wurde und sein Blut für uns geflossen ist, cz 1|06

dieses ganze Thema trifft die Leute schon, und es ist hart zu ertragen, wie man dann angeschaut wird. Zum Beispiel von guten Freunden, mit denen ich früher oft im Ausgang war und die ganz bewusst atheistisch leben, aber immer noch gute Freunde von mir sind. Diese fragen mich dann, warum ich so stur sei. Das ist für mich ein Kreuz, das ich tragen muss, weil sie mich eigentlich als lockeren Typen kennen, der flexibel ist. Doch in diesem Punkt bin ich es eben nicht.» Gibt es Erfahrungen in Ihrem Leben, die zeigen, dass Sie ein falsches Kreuz oder Lasten tragen, die Jesus Ihnen gar nicht aufgegeben hat? Lehrling: «Lange habe ich einfach die Bibel gelesen und gedacht, das sei Quatsch. Mit den Kollegen baute ich viel Mist und dachte nie daran, was ich gelesen hatte. Wie ein richtiger ‹Ego› habe ich immer nur für mich gehandelt. Eine Kollegin nahm mich dann ins ‹Youth-Planet› mit, und da ging mir ein Licht auf: Ich merkte, dass die Kollegen mich voll unter Druck gesetzt hatten und ich gar nicht mehr selber entscheiden konnte.» Geschäftsmann: «Die Gefahr, ein falsches Kreuz auf sich zu nehmen, ist täglich da. Dann, wenn man irgendetwas nicht aus der Gnade heraus macht und in Gesetzlichkeit abrutscht. Ich bin froh, dass ich aus der Gnade

leben kann. Deshalb denke ich, dass die Gefahr, ein falsches Kreuz zu tragen, bei mir nicht so gross ist.» Fürbitterin: «Ich habe oft geglaubt, dass ich für die Veränderung von Menschen zuständig sei. Um mich zur Fürbitte zu bewegen, schenkt mir Gott Einblicke in deren Leben. Nachdem ich dann vom Beten aufgestanden war, war ich versucht, dem Gebet auch recht praktisch ‹nachzuhelfen›, was jeweils im Unrecht, in der Sünde endete. Wenn Gott mir einen Auftrag zum Beten gibt, ist das die Last, die er mir zumutet. Dass daraus eine spürund sichtbare Veränderung des Nächsten in einer bestimmten Zeit oder in einer bestimmten Art erfolgen muss, ist aber gewiss nicht meine Sache und damit auch keine Last mehr für mich.» Ehefrau: «Lasten, die Jesus mir gar nicht aufgetragen hat, sind Erwartungen von Aussenstehenden oder Ungläubigen, aber auch von Mitchristen darüber, ‹wie ein Christ sein sollte›.» Kaufmann: «Es fällt mir schwer, mich auf eine gesunde Art von schlechten Gefühlen und Ängsten der Menschen in meinem Umfeld abzugrenzen. Wenn ich mich abgrenze, habe ich das Gefühl, meine Identität zu verraten. Nur dann mich selbst zu sein, indem ich die Lasten anderer trage, ist aber auch nicht besser.» 17


Ehemaliger Skinhead: «Tatsächlich gehen mir Arbeiten und Projekte, die Gott mir wirklich aufs Herz legt, leicht von der Hand. Sobald ich dann aber, ohne Gott nach seinem Willen zu fragen, meine eigenen Wege gehe, wird mir alles zu viel, und ich breche fast zusammen. Das sind aber immer Lasten, die ich mir selbst auferlege.» Wie haben Sie unterscheiden gelernt zwischen dem wirklichen Preis der Nachfolge, den Jesus von Ihnen fordert, und einem falschen Joch, von dem Jesus Sie befreien möchte? Fürbitterin: «Natürlich durch viele Fehler, die ich gemacht habe. Das waren zum Teil schmerzhafte Erfahrungen, die mir sehr klar meine Schieflage vor Augen führten. Da habe ich in Gesprächen mit Mentoren viel dazugelernt, ebenso durch gute, klare Lehre und nicht zuletzt durch das Wort Gottes

«Hier muss ich mich nun ganz konkret von einigen meiner Wünsche verabschieden und hoffen, dass Gottes Alternative wirklich besser ist.» Ehemaliger Skinhead selbst, das mich immer wieder überführt und auf den richtigen Weg gebracht hat.» Lehrling: «Das Unterscheiden ist für mich noch schwierig. Meistens merke ich es einfach zu spät, dass ich auf dem falschen Weg bin. Aber zum Glück kann ich immer noch zurück. Wenn ich den richtigen Weg gewählt habe, bin ich einfach immer ‹happy›.» Maschineningenieur: «Die Unterscheidung liegt im Verständnis vom Wort Gottes verborgen. Es gilt zu unterscheiden, ob wir Menschen oder Systemen, auch ‹kirchlichen› Systemen, gehorchen wollen oder Gott, wie er sich uns in seinem Wort offenbart.» 18

Dessen Ehefrau: «Ich bin immer noch daran, zu realisieren, dass ich schliesslich nur Gott und nicht den Menschen Verantwortung schuldig bin.» Ehemaliger Skinhead: «Ich erwarte viel zu viel von mir. Der einzige Weg, herauszufinden, welchen Preis Gott von mir fordert, ist für mich das Gebet. In der Zeit, die ich mit meinem himmlischen Vater verbringe, wird vieles klein, und was er wirklich von mir will, kommt zum Vorschein.» Kaufmann: «Ich kann noch nicht in jedem Fall unterscheiden. Aber ich lerne, diffuse und konkrete Ängste Gott zu bringen, wage kleine Schritte in die Ablösung und lerne, meine Wut und meinen Frust in diesem Prozess Gott zu bringen, mit ihm über alles zu reden und auch mit mir selber Geduld zu haben.» Geschäftsmann: «Ich merke es, wenn ich den Kontakt zu Gott verliere. Was schnell passiert, wenn ich mich zum Beispiel aufrege, mich etwas nervt oder nicht so läuft, wie ich es möchte. Ich laufe dann wie gegen Wände.» Wo erfahren Sie in der gegenwärtigen Lebensphase konkret, was es bedeutet, sich zu verleugnen und sein Kreuz auf sich zu nehmen? Ehemaliger Skinhead: «Ich habe vor einem Jahr die Mittelschule abgeschlossen und muss jetzt nach dem Militärdienst die Weichen für mein späteres Leben stellen. Ich glaube daran, dass Gott einen guten Plan für mein Leben hat. Trotzdem fällt es mir schwer, auf seine Führung zu vertrauen. Hier muss ich mich nun ganz konkret von einigen meiner Wünsche verabschieden und hoffen, dass Gottes Alternative wirklich besser ist. Es gibt vieles, von dem ich denke, dass

ich nicht der ideale Typ dazu bin. Oft passiert es aber, dass Gott genau so etwas von mir fordert. In diesen Momenten muss ich mich wirklich selber verleugnen, von meiner Angst absehen und hoffen, dass Gott weiss, was er tut. Ein Beispiel erlebte ich an der ‹TeenEXPLO›: Ich war im Gebetsraum, wo ein Mädchen echt verzweifelt zu Gott betete und weinte. Ich bin nicht gerade ein gefühlsbetonter Mensch und habe Mühe, mit solchen Situationen umzugehen. Ich sass also da und betete, dass doch Gott ihr helfen solle. Wohl als Antwort darauf bekam ich das Gefühl, mit ihr sprechen zu müssen. In mir sträubte sich alles dagegen, und ich suchte tausend Gründe, weshalb ich der falsche Mann für den Job sei. Nach einer Viertelstunde voller mehr oder weniger guter Argumente war Gott immer noch nicht umgestimmt, und ich fügte mich mit schlotternden Knien meinem Schicksal. Es stellte sich heraus, dass ich wohl doch der Richtige war, und dieses Gespräch ist bis heute etwas vom Schönsten und Eindrücklichsten, was ich mit Gott erleben durfte. Ich glaube, es ist meistens so, dass das, was uns am schwersten fällt, oft eigentlich das Beste für uns wäre. Eher ernüchternd ist da die Tatsache, dass es mir trotzdem immer wieder fast unmöglich scheint, nach Gottes Willen zu handeln.» Maschineningenieur: «Mich selber zu verleugnen bedeutet für mich heute, mich selber nicht so wichtig zu nehmen. Obwohl Begabungen oder Berufungen erkennbar sind, gehören diese Gott, und er bestimmt deren Einsatz. Grundsätzlich ist dies kein ‹Kreuz›, kann es aber werden, wenn ich mich selber zu verwirklichen suche. Es gibt immer wieder bestimmte ‹Kampffelder›, wo ich immer wieder cz 1|06


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mein Kreuz auf mich nehmen und mich selber verleugnen muss. Tue ich dies, zahle ich keinen Preis, sondern werde mit einer neuen Freiheit beschenkt.» Seine Ehefrau: «Ich möchte es mit Sprüche 3, Vers 5 beschreiben: Wenn es mir an Vertrauen und Glauben fehlt, ist es für mich eine Herausforderung, mich nicht von Einflüsterungen und schönem Schein beeinflussen zu lassen, sondern von ganzem Herzen auf den Herrn zu vertrauen!» Kaufmann: «Jesus nachfolgen ist bei mir zurzeit stark von einem inneren Heilungsprozess bestimmt. Lieber würde ich in einem sogenannt ‹geistlichen› Auftrag stehen, eine Gemeinde leiten, auf dem Missionsfeld sein und dort lernen, mich zu verleugnen und mein Kreuz auf mich zu nehmen. Es fällt mir schwer, diesen Preis zu zahlen; sei es nun im Geschäft, bei Kollegen oder in der Gemeinde.» Geschäftsmann: «Dass ich den Willen Gottes suche und nicht meinen Willen. ‹Dein Reich komme, dein Wille geschehe!›, ist mein wichtigstes Gebet. Dass ich das wirklich von Herzen suche und mein Fleisch, meinen Willen, meinen Stolz und das, was ich alles könnte, bewusst loslasse und durch die Gnade ersetze, im Bewusstsein, dass alles Entscheidende von Gott kommt. Ich muss betonen, dass mir das nicht immer gelingt. Wenn es gelingt, dann bin ich mit Gott in Kontakt, der direkte Draht ist da, die Linie offen und nicht unterbrochen. Vor ein paar Tagen hatte ich ein schwieriges Gespräch mit einem Kunden. Der Grund lag teilweise auch in einem Fehler unsererseits. Irgendwann im Gespräch hatte ich den Eindruck, dass ich zu ihm sagen solle: ‹Vergib uns cz 1|06

unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.› Das Gespräch nahm eine völlig andere Wende und ging schliesslich sehr gut aus.» Fürbitterin: «Durch den Wechsel meines Arbeitsplatzes musste ich auch in eine andere Ortschaft ziehen. Nun bin ich an einem Ort gelandet, der eine wesentlich schlechtere Wohn-

«MeinemHerrnJesusChristus nachzufolgen kostet mich alles und nichts.» Student und Lebensqualität hat als mein vorheriges Zuhause. Es ist mir ausserordentlich schwer gefallen, zu dieser Führung ja zu sagen und mich auf das so ganz andere bewusst einzustellen. Nach vielen Tränen und manchem Murren und Jammern habe ich dann eines Tages sehr deutlich die Stimme Gottes gehört, der mich ermahnte aufzustehen, mir meine Nase zu putzen und mit Danken zu beginnen. Seither übe ich das täglich, und es ist erstaunlich, welcher Friede über die ‹ungeliebte

Situation› in meinem Herzen ist. Früher war ich so ein typischer ‹Selbstversorger›: Ich habe mich alleine um meine Dinge gekümmert und mein Leben selbst bestimmt. In Drucksituationen gerate ich heute noch in Gefahr, auf dieses alte Muster zurückzugreifen. Das sind Momente der Versuchung, wo es mir schwer fallen kann, den Preis des Gehorsams und des Vertrauens zu bezahlen.» Student: «Meinem Herrn Jesus Christus nachzufolgen kostet mich alles und nichts. Es kostet mich alles in dem Moment, wo ich das, was ich festhalte, aufgebe; es kostet mich nichts, wenn ich weiss und meinem Vater im Himmel vertraue, dass alles zu meinem Guten dient und ich mit dem Verlust falscher Stützen und falscher Quellen der Erfüllung nichts verliere – ausser meine Versklavung. Es kostet mich nichts, wenn ich weiss, dass Jesus durch all das meine Gerechtigkeit wirkt, damit ich mit ihm ohne Beschämung in seinem Reich leben und alles mit ihm teilen kann.»

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DER PREIS «Der Preis, der auf uns wartet» Nur, wenn das Weizenkorn stirbt, bringt es Frucht Hansjakob und Elisabeth Bernath sind Geschäftsleute und haben drei erwachsene Kinder. Im Gespräch erzählen sie, wie sie verschiedene Sterbeprozesse in ihrem Leben durchlitten und bewältigt haben. Sie haben dabei gelernt, nicht nur besser auf Gott, sondern auch besser aufeinander zu hören. In ihrem Leben ist anstelle des oft einsamen Kampfes um Erfolg eine echte Freundschaft mit Jesus getreten. Der Preis des Verzichtes wurde zum Lohn des Verzichtens.

Von Veronika Schmidt Hansjakob: Ich bin Geschäftsmann. Also muss ich investieren und einen Preis zahlen, sonst bekomme ich nichts. Es ist eine normale menschliche Regel, dass man einen Preis für alles bezahlt. Das ist für mich nichts Negatives. Die Frage ist nur, was ich für den Einsatz bekomme. Jesus nachfolgen bedeutet für mich, dass ich mich im Umgang mit Mitarbeitenden und Geschäftspartnern sowie bezüglich meiner Verantwortung gegenüber dem Staat an klare Regeln halte. Dafür erhalte ich Vertrauen, Treue, Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit und natürlich Aufträge. Ohne zu geben, zu verzichten oder zu verlassen entsteht nichts Neues. Mir gefällt deshalb das Bild vom Sterben des Weizenkorns, aus dem neues Leben entsteht. Elisabeth: Wenn ich verliebt bin, bezahle ich jeden Preis und bin bereit, manches aufzugeben, damit ich mit meinem Geliebten zusammen sein kann. Übertragen auf mein Leben heisst das: Je tiefer mir verständlich wird, was es sich Jesus 20

kosten liess, mich zu erlösen, umso mehr bin ich bereit, auch meinen Preis zu bezahlen. Von Menschen abgelehnt oder belächelt zu werden, weil ich zu den Frommen gehöre, tut immer noch weh und kostete sogar schon Freundschaften. Aber im Vergleich zu dem, was Jesus getan hat, ist es nicht viel.

bin ich beinahe zerbrochen. Gott hat mich aber durch die Situation sehr verändert. Ich machte gewaltige Gotteserfahrungen. Rückblickend könnte ich sagen, dass ich diese Last nie auf mich hätte nehmen sollen. Aber vielleicht wäre mir Gott dann auch nicht auf diese Art und Weise begegnet.

Eigene Wege – eigene Lasten

Elisabeth: Den Entscheid, die Familienfirma zu übernehmen, betrachtete ich lange als falsches Kreuz. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass Gott gerade diesen Entschluss dazu nutzte, meinen Charakter zu verändern. Er schliff an mir und prägte Eigenschaften in mir, die mich veränderten. Zum Beispiel musste ich lernen, Unangenehmes zu überwinden – in der Gewissheit, dass mir Jesus doch Auferstehungskraft gegeben hat und noch Kraft hat, wo meine zu Ende ist. Mir ist dieses vermeintlich falsche Kreuz inzwischen lieb geworden, weil ich dabei viele Erfahrungen mit Gott machte und ihm dafür dankbar bin.

Hansjakob: Persönlich habe ich in meinem Leben viele falsche Entscheidungen gefällt, aus denen Gott etwas Gutes machte. Das veränderte mein Denken über Falsch und Richtig. Zum Beispiel merkte ich, dass ich trotz Fehlentscheiden von Gott nicht fallen gelassen werde, ich bei ihm in der Lebensschule bin und er trotz meiner Umwege mit mir zum Ziel kommt. Gott liess mir schon Kreuze, die ich mir selbst auferlegte, zum Segen werden. Ein solches Kreuz war die Verantwortung im Stiftungsrat eines Werkes, das in der Krise steckte. Es war eine schwere Last, die ich mir auflud, und ich dachte, ich müsse sämtliche Konflikte lösen. Das war reine Selbstüberschätzung. Daran

Hansjakob: Um nicht zu verletzen, wagte ich oft nicht, Situationen von Anfang an cz 1|06


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kreuz und auferstehung | «der preis, der auf uns ...»

zu klären, wahr zu sein und Grenzen zu setzen. Ich liess die Dinge einfach schlittern. Diese ungeklärten und ungelösten Situationen wurden mir zu falschen Lasten. Vor allem in der Personalführung musste ich mich dadurch mehrmals von Leuten trennen. Ich musste oft schmerzhaft lernen, nicht aus religiösen Motiven oder Mustern heraus etwas zu tun, was Gott gar nicht wollte.

Lasten werden abgeworfen Elisabeth: Als ich jung war, habe ich nach dem Was-ich-gerne-tue-und-wozu-ichLust-habe-Prinzip entschieden.Als Folge überschätzte ich mich gerne und schadete auch meiner Familie. Im Laufe der Zeit entdeckte ich die Ursachen meiner ungesunden Motivationen. Dieses Lustprinzip hat nach und nach der Freundschaft und Gemeinschaft mit Jesus Platz gemacht. Ich kann nicht mehr anders, als aus der Verbundenheit mit ihm zu leben, als alles mit ihm zu besprechen. Dabei erfahre ich, dass er mich nie überfordert. In mir ist die Fähigkeit gewachsen zu unterscheiden, was dran ist und was nicht. Hansjakob: Ich brauchte lange, bis ich akzeptieren konnte, dass meine Frau einen ebenso direkten Draht zum Himmel hat wie ich. Ich lernte zu unterscheiden, indem ich auf meine Frau zu hören lernte. Bis es so weit war, lud ich mir einige Male falsche Joche auf. Die jüngste dieser Erfahrungen ist noch ganz frisch: Gegen den Willen meiner Frau übernahm ich im Ausland eine Firma. Nach einem energieraubenden Kraftakt musste ich die Firma aber wieder abstossen. Ich habe auch gelernt zu warten und Unsicherheiten auszuhalten und so auf das Reden Jesu zu achten.

damit, mehr auf den anderen zu schauen als auf sich selber, sowie mit dem Verzicht, an erster Stelle stehen zu wollen. Das fällt mir immer leichter, weil ich erfahren habe, dass mich Gott nicht zu kurz kommen lässt. Er hat gute Gedanken über mich. Ein Beispiel: Mir fiel es schwer, von der Stadt weg aufs Land zu ziehen. Ich kämpfte darum, dass Gott mir zeigt, wofür und wozu. Im Nachhinein erkenne ich mit Staunen, was gewachsen ist. Wir gründeten verschiedene Gebetsgruppen, und ich erlebe mit, wie die Freude am Gebet zunimmt und Menschen in neue Freiheiten hineinwachsen. Ich bin froh, auf Gott gehört zu haben, aber der Preis bestand darin, nicht mehr in der Stadt zu wohnen, von alten Freunden wegzugehen und Kontakte zu verlieren. Hansjakob: Früher hatte der Vers «Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!» einen bitteren Nachgeschmack. So im Sinn von: «Als Christ darfst du nur ein Niemand sein.» Heute spricht der Vers zu mir über die Beziehung: «Gott ist mein Vater, Jesus mein Freund; er will, dass ich in seine Freiheit und sein Licht komme und seine Herrlichkeit erlebe.» Das ist die Basis. Wenn ich das erkenne, bekomme ich in der Frage des Verzichtens oder des Hintanstehens eine andere Sicht. Es geht dann um einen andern Preis: nämlich um den «Preis», der auf uns wartet.

Der Preis, der auf uns wartet Elisabeth: «Sich zu verleugnen» hat mit dem Blick nach oben zu tun. Ebenso cz 1|06

• Elisabeth und Hansjakob Bernath

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GOTT LENKT Der Mensch denkt – Gott lenkt Wenn man Gottes Ruf nicht ausweichen kann «Ich werde nie wieder nach Rumänien reisen», erklärte Heidi Burgener nach dem Besuch dieses Landes. Die Armut und die eigene Hilflosigkeit bei deren Anblick konnte die Frau fast nicht ertragen, und noch heute geht ihr die Armut unter die Haut. «Da müsste man was tun», dachte Walter Burgener nach seinem ersten Einsatz als Helfer bei einem Hilfsgütertransport. Diese Gedanken waren der Anfang einer Reise, die nicht in den Köpfen der Burgeners geplant worden war.

Monika Blatter Die drei eigenen Kinder sind erwachsen, und somit haben Walter und Heidi Burgener, als sie um die fünfzig sind, mehr Freiraum für sich. Ein Alter, in dem man hierzulande beruflich etabliert ist, Wohlstand aufzubauen beginnt und sich auf Enkelkinder freut. In dieser Lebensphase, das war 1990, schliesst sich Walter als Helfer einem Hilfsgütertransport nach Rumänien an. Ein zweites Mal fährt er 1992 mit einem Lastenzug voll Waren. Diesmal begleiten ihn seine Frau Heidi und fünf weitere Personen. Walter findet: «Ja, zwanzig Jahre jünger sollte man sein, dann könnte man hier etwas unternehmen ...»

Es kommt anders als man denkt Im selben Jahr lassen sich die Burgeners in der «Schule für Gemeindemitarbeit» von Campus für Christus herausfordern, für sie neue Dinge zu entdecken. Sie lernen, sensibler auf Gott zu hören statt gedankenlos und gemütlich in den Tag hineinzuleben. Ob es diese Lektion ist, 22

die Heidi den Entschluss fassen lässt, nur noch das zu tun, was Gott von ihr möchte, als sie im Sommer 1993 mitten in dem von einem Gewittersturm zerstörten Camp Josua steht, das auf dem Gelände des Flugplatzes St. Gallen-Altenrhein von Christen verschiedener Gemeinden und Werken organisiert worden ist?

Die Stimme In jenem Sommer, gerade als sie wieder einmal Giesskanne für Giesskanne in ihren vertrockneten Garten schleppt, vernimmt sie hinter sich eine Stimme: «Und – wie hast du‘s jetzt mit Rumänien?» Sie dreht sich um, aber es ist niemand da. Erneut hört sie die Stimme. Nun stellt sie sich die Frage selbst und fasst diese als Auftrag auf. «Doch wie sag ich‘s meinem Manne?», denkt sie und schiebt das Gespräch lange hinaus. Als sie darüber sprechen, ist Walter nicht unbedingt überrascht und denkt laut darüber nach, was sie denn eigentlich hindern sollte, nach Rumänien zu gehen. «Ja, warum sollte ich denn zwanzig Jahre jünger sein? Jetzt bin ich doch wieder unabhängig!» Der

geplante Hausausbau scheint vorerst ein Hindernis zu sein, aber nach dem Abwägen, ob überhaupt, und nach einem Hin und Her mit den Behörden wird klar, dass es möglich wäre, zu erweitern und trotzdem Richtung Rumänien zu ziehen. Doch im Wissen, dass Heidi eine spontane, ideenreiche Frau ist, will das Ehepaar zuerst noch die Herausforderung «der Stimme» durch Gespräche mit einigen Vertrauten prüfen, unter anderem auch mit ihrem Pastor aus der Chrischona-Gemeinde, in welcher sie viele Jahre aktiv waren. So pflegen die beiden mit von Gott Gehörtem umzugehen: Prüfen im Gespräch mit anderen und sehen, was sich als Nächstes ergibt. Eins nach dem anderen, nur nichts überstürzen. Das ist heute noch so und drückt sich auch in ihrer Arbeitsweise aus. Dann werden sie durch eine Begegnung mit dem Leiter von «Licht im Osten» auf eine Arbeit in einem neu gegründeten Kinderheim im Norden Rumäniens aufmerksam. Sie beschliessen eine Zusamcz 1|06


kreuz und auferstehung | der mensch denkt ...

«Sollen wir wieder nach Hause? Haben wir doch nicht richtig gehört? War es doch keine richtige Berufung?» Und was sollte aus dem Haus und dem grossen Gelände werden, das sie auf wunderbare Weise erhalten hatten? «Sind wir gescheitert?»

• Heidi Burgener mit Pflegetochter Ileana

menarbeit mit dem Werk. Das Ehepaar Burgener beginnt, einen Unterstützerkreis aufzubauen, damit sie in diesem Kinderheim unter rumänischer Leitung mitarbeiten können. «Es war für uns immer klar, etwas mit Kindern zu machen», erzählt Heidi, denn sie betreute neben ihren drei eigenen jahrelang Tageskinder. Walter lernte ursprünglich Huf- und Wagenschmied, arbeitete später im Landmaschinenbereich, in der Spedition und viele Jahre bei der Berufsfeuerwehr und -sanität am Flughafen Kloten. Er ist ein handwerklicher Allrounder, der viele Talente besitzt, «ausser Reden und Evangelisieren», wie er selber behauptet. Mithilfe in einem Kinderheim ist das Richtige für sie. ImApril 1995 reisen sie nach Rumänien aus, in die 18 000 Einwohner zählende Stadt Viseu de sus.

Das Scheitern Doch die Zusammenarbeit mit der rumänischen Leitung erweist sich als schwierig. Verzweifelt erkennen die Burgeners, dass ihre Zeit in diesem Heim zu Ende geht. «Sollen wir wieder nach Hause? Haben wir doch nicht richtig gehört? War es doch keine richtige Berufung?» Und was sollte aus dem Haus und dem grossen Gelände werden, das sie auf wunderbare Weise erhalten hatten? «Sind wir gescheitert?» So kommt es ihnen zumindest vor. Eines Tages besuchen sie im Nachbarort das ihnen gut bekannte Leiterehepaar cz 1|06

des kleinen Spitals und bringen, wie schon öfter, Hilfsgüter vorbei. Im Wartezimmer begegnen sie einer Frau, der sie auch schon Hilfe gebracht haben. Auf Heidis Frage, was sie hier mache, erzählt die Mutter von ihrer Tochter, die mit einer Spina bifida, einem offenen Rücken, geboren wurde und nun hier in Behandlung sei. Sie als Mutter habe jedoch Mühe, dies mit anzuschauen. Heidi kennt die beengende Wohnsituation der Familie und schlägt der Mutter vor, das Kind für einige Zeit zu sich nach Hause zu nehmen, um es zu pflegen, was der Arzt ebenfalls unterstützt. Denn die Mutter hat noch vier weitere Kinder zu versorgen, der Vater ist ohne feste Arbeit, und ihre gesamte Wohnfläche beträgt knapp zwölf Quadratmeter. Nach einigen Tagen Bedenkzeit entschliesst sie sich schweren Herzens, ihr Kind für längere Zeit oder für immer wegzugeben. So haben Burgeners plötzlich ein Pflegekind.

• Kinder beim Spielen

Die Familie

• Kinder auf dem Schulweg

Ileana, das behinderte, kleine Mädchen, ist der Anfang einer eigenständigen Arbeit. Nein – «Arbeit» ist nicht der richtige Ausdruck. Das Schweizer Ehepaar versteht sich einfach nur als Familie, damals mit einem Kind, schon sehr bald mit mehreren und heute mit dreizehn Kindern. Diese sind zwischen vier und zehn Jahre alt. Auch wenn sie heute für Küche, Gartenarbeit und Betreuung siebenAngestellte haben und den Betrieb durch eine Stiftung institutionalisieren mussten, sehen sie sich trotzdem einfach als

• Kinder auf dem eigenen Spielplatz

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Grossfamilie. Es gibt keine Spezialprogramme oder Therapien. Die Kinder besuchen eine deutsche Schule, da in dieser Region Rumäniens vor langer Zeit viele Deutschsprachige lebten. Mama und Papa sprechen Schweizerdeutsch mit den Kleinen, die sich untereinander in Rumänisch unterhalten. Vor sechs Jahren baute die Familie dank grosszügiger Spenden aus der Schweiz ein neues, grosses Haus. Es gibt mehr Platz für alle, und im ursprünglichen Häuschen werden ausländische Prakti-

«Die Schwachen brauchen besonders Hilfe, die Starken kommen schon irgendwie durch». Heidi Burgener

• Die Landwirte in Rumänien sind unter Druck: Viele arbeiten noch mit alten

kantinnen oder Gäste untergebracht. Dank dem benachbarten Bauernhof, den sie zwei Jahre später erwerben und der von einem Einheimischen weitgehend eigenständig betrieben wird, können sie sich selbst versorgen.

Technologien.SiesindSelbstversorger, doch subventionierte Fleisch- und Getreideimporte machen ihnen das Leben schwer.

Die Kinderärztin des Spitals fragt bei Burgeners ab und zu an, ein im Spital zurückgelassenes Kind aufzunehmen. Zudem spricht sich herum, dass Burgeners offene Arme für verlorene oder «überzählige» Kinder haben. Eine Frau mit sieben Kindern bringt zum Beispiel ihr achtes zu Burgeners, das diese nur nehmen, weil sein Bruder schon bei ihnen lebt. Es soll für den Moment das letzte sein. Walter und Heidis eigene Kapazitätsgrenze ist nun erreicht.

Die Schwierigkeiten Gut, dies zu erkennen. Denn schon einmal wurde diese Grenze überschritten. Durch einige schwierige Umstände und die Arbeitsüberlastung kam Heidi in Not, musste aussteigen und für zwei Monate in die Schweiz zurückkehren. Das war eine sehr schwierige Zeit, in

• Eine rumänische Familie lebt in ihrer Notunterkunft, bis ihr neues Zuhause fertiggestellt ist.

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der niemand wusste, ob das Ehepaar aufgeben musste. Einmal mehr sah es aus, als sei die Sache zum Scheitern verurteilt. Doch es kommt nicht so weit, denn soeben reisen sie von einem Heimaturlaub zu ihrer rumänischen Grossfamilie zurück. Ihre Berufung fällt denn Heidi und Walter manchmal auch schwer. Sie müssen ihre leiblichen Kinder und Enkel zurücklassen, um sich dem tagtäglichen Hochbetrieb in ihrem Heim in Viseu de sus auszusetzen. Es braucht Energie, immer wirbelnde Kinder um sich zu haben. Mit den Angestellten sei das auch so eine Sache: Rumänen habe eben eine kommunistisch geprägte, rumänische Arbeitsweise, die sich nicht mit schweizerischem Perfektionismus messen lasse. Doch Kinder und Pflegeeltern sind auf zuverlässige Hilfe angewiesen, und so braucht es eine starke Hand, die die Angestellten führt. Somit gilt es nicht nur, die Disziplin der Kinder zu stärken, sondern auch die der Angestellten. Darauf könnte Walter liebend gern verzichten ... Vor zwei Jahren starb Ileana, das erste rumänische Pflegekind, in der Schweiz. Heidi liebte die Kleine wie ein eigenes Kind und nahm sie überhall hin mit. Hier in der Schweiz, am Sterbeort der Kleinen,

• Walter und Heidi Burgener, seit 1997 mit

und ohne den Betrieb der anderen Kinder befällt sie in einem Heimaturlaub darum ab und zu wieder Trauer um das verlorene Kind. Dieses war und ist nicht das einzige, das behindert ist. Immer wieder hat sich im Nachhinein herausgestellt, dass ein angenommenes Kind zum Beispiel autistisch oder stark zurückgeblieben oder chronisch krank ist. Einerseits findet Heidi, «das wäre nun wirklich nicht auch noch nötig», andererseits spürt man ihre gottgegebene Fähigkeit, mit ebensolchen Personen umzugehen. «Die Schwachen brauchen besonders Hilfe, die Starken kommen schon irgendwie durch», findet sie.

• Neubau im Winter

Die Kraft Ohne das tägliche Gebet um die Auferstehungskraft Gottes und um Ruhe könnten sie nicht überleben, ist sich das Ehepaar einig. Mehr als einmal hätten sie den «Bettel hinschmeissen» wollen. Was hält sie davon ab? Die Fortschritte der Kinder zum Beispiel: Kürzlich hat ein Siebenjähriges doch noch Sprechen gelernt, obwohl unsicher war, ob es dies jemals tun würde. Solche kleinen und grossen Wunder und die Überzeugung, dass sie eben doch von Gott berufen sind, und der Frieden, den sie dabei immer wieder spüren, lassen sie treu an ihrem Platz bleiben. Das bedeutet für Walter, das Kreuz täglich auf sich zu nehmen: Der Stimme Gottes Folge leisten und den Weg gehen, den Gott bereitet hat. «Sei stark und mutig. Erschrick nicht und fürchte dich nicht! Denn mit dir ist der Herr, dein Gott, wo immer du hingehst.» Dieser Vers aus Josua 1,9 begleitet und stärkt Walter, seit sie vor zehn Jahren losgezogen sind.

• Skifahren vor dem Haus

• Kinder hören die Weihnachtsgeschichte

ihrer Grossfamilie der «Osteuropa Mission» angeschlossen. Weitere Infos und Unterstützung: Stiftung Osteuropa Mission, Postfach 43, 8624 Grüt

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Trotz allem wünschen sich Walter und Heidi einen Generationenwechsel. Sie möchten gerne die Grosseltern der Familie werden und die Hauptverantwortung jüngeren Leuten übergeben.

• Eigener Käse aus der Milchproduktion vom erworbenen Bauernhof

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Kreuzfeuer Im Kreuzfeuer der Öffentlichkeit Wenn Christsein zum Ärgernis wird Mitten im Wahlkampf zu ihrer viertenAmtsperiode starrte Kathrin schockiert auf die Plakatwand mit ihrem Konterfei: Auf ihrer Wange prangte ein Judenstern. Noch ahnte sie nicht, dass diese Kampagne das Dorf und die Christen auseinander reissen und sie als Familie in denAbgrund stürzen würde. Erst nach und nach wurde sie des ganzenAusmasses gewahr. Viele ihrer Plakate waren verunstaltet, eine wahre Medienschlacht wurde losgetreten und böseste Verleumdungen machten die Runde. Doch wie kam es dazu?

Zu den porträtierten Personen Kathrin A. (51), kaufmännische Assistentin, 4 Jahre Schulaktuarin, 8 Jahre Schulratspräsidentin, 7 Jahre Frauenvertreterin eines christlichen Verbandes, Vorstandsmitglied einer Kantonalpartei. DavidA. (55), Standesbeamter, Präsident einer Ortspartei. David und Kathrin sind verheiratet, haben vier erwachsene und vier Enkelkinder. Die Namen wurden zum Schutz der Persönlichkeit geändert.

Veronika Schmidt Seit bald 12 Jahren war Kathrin für die Schulpflege tätig. Gerade weil sie nicht viel über ihren Glauben sprach, hatte sie einen guten Zugang zu den Menschen und ihren Nöten. Schon bald nach ihrem Eintritt in die Schulpflege kam ein Lehrer mit grossen Problemen auf sie zu, der wissen wollte, was sie hatte, das er nicht kannte. «Ich erzählte ihm von meinem Glauben. Kurz darauf entschied er sich 26

für Jesus und kam zu uns in den Hauskreis.» In den folgenden Jahren entstand ohne Zutun von Kathrin innerhalb des Lehrerteams eine geistliche Arbeit mit bis zu zwölf gläubigen Lehrern und drei Kindergärtnerinnen.

Das verschmähte Geschenk Die Schwierigkeiten begannen anfangs ihrer dritten Amtsperiode bei der Einweihung des neuen Schulhauses. Von der katholischen Kirche erhielt die Schule ein Kreuz mit Widmung geschenkt. Kathrin erzählt: «Voller Freude habe ich dieses Kreuz in die Einweihungsansprache einbezogen. Dies löste einen riesigen Eklat und Schreibereien aus. Die Lehrerschaft packte darauf das Kreuz in einen Plastiksack, übergab es mir an einer Sitzung mit der Begründung, sie könnten damit nichts anfangen und wollten es nicht mehr sehen.» Die Schulpflege hielt protokollarisch fest, dass Kathrin das Kreuz nach Hause nehmen solle. «Es hängt immer noch in meinem Hausgang. Der neue Präsident wollte es auf keinen Fall zurücknehmen.»

Die Situation schien sich wieder zu beruhigen, wohl auch weil Kathrin ausgezeichnete Arbeit leistete und sowohl bei Lehrerschaft als auch bei Behörden und Eltern sehr geschätzt war. Doch zwei Jahre später sollte der Schwelbrand wieder aufflackern. Aber dann in einer Weise, die Kathrin nie für möglich gehalten hätte. Nach einer wüsten Schlammschlacht verlor sie die Wahl in die vierte Amtsperiode um 16 Stimmen. Das Dorf war gespalten, ebenso die Christen. Bitter für Kathrin war, dass ihre grössten Widersacher aus der Lehrerschaft, aus engstem gläubigem Freundeskreis und aus der Kirchenpflege kamen. Kathrin vermutet heute dahinter eher einen allgemeinen Frust gegen die christliche Szene als gegen ihre Person. Als das Feuer lichterloh brannte, entschuldigten sich diese Menschen bei ihr, doch die Dinge waren nicht wieder gutzumachen. Kathrin ist noch heute betroffen über die Folgen für ihre Familie: «Für unsere jüngste Tochter war diese Zeit sehr schlimm. Die verunstalteten Plakate setzten ihr zu. Das Geschehene stellte ihren Glauben total in Frage cz 1|06


kreuz und auferstehung | im kreuzfeuer der ...

• Die Dornenkrone: Das Zeichen, dass

und löste eine grosse Krise aus. Sollte so Gott sein?!» Damals rechneten alle damit, dass Kathrin ihren Bettel in der Schule hinschmeissen würde. Doch sie beendete ihre Amtszeit. «Alle staunten, woher ich diese Kraft nahm. Die bekam ich wirklich von Gott.» Das christliche Werk, bei dem Kathrin teilzeitlich arbeitete, übernahm mit

was ich da in Händen hielt. Der Vers aus Matthäus 5,11-12 begleitete mich: ‹Glücklich könnt ihr sein, wenn ihr verachtet, verfolgt und verleumdet werdet, weil ihr mir nachfolgt. Ja, freut euch und jubelt, denn im Himmel werdet ihr dafür reich belohnt werden! Genauso haben sie die Propheten früher auch verfolgt.› Ich hatte damals keine Ahnung, was sonst noch auf uns zukom«In der Rückschau ist das Entgegennehmen des men sollte.»

KreuzeswieeinprophetischesZeichen.Zujenem Zeitpunkt war mir jedoch überhaupt nicht bewusst, was ich da in Händen hielt.» Freuden ihre frei werdende Kapazität. Diese Aufgabe erfüllte Kathrin mit Befriedigung.

Ein prophetisches Zeichen? Das Leiden sollte noch kein Ende haben. Kathrin: «In der Rückschau ist das Entgegennehmen des Kreuzes wie ein prophetisches Zeichen. Zu jenem Zeitpunkt war mir jedoch überhaupt nicht bewusst, cz 1|06

Ein fatales Angebot

David A. war seit 28 Jahren mit Freude Standesbeamter. Er liebte die Möglichkeit, Menschen in ihren schönsten, aber auch leidvollsten Momenten zu begleiten. Schon bald merkte er, dass die Paare eine persönliche Gestaltung der Trauung schätzten, aber auch Trauerleute seine Trostworte gerne annahmen. Ein gläubiges Paar wünschte sich zum Schluss ein Gebet. Bald kamen Pärchen von überall her,

JesusChristusalleSchuld,Anfeindung undVerletzungunsererGedankenwelt auf sich genommen hat.

um sich bei David trauen zu lassen, weil sich herumgesprochen hatte, dass er auf Wunsch bei der Trauung auch beten würde. David: «Das tat ich in der Folge jahrelang, drängte mich aber nie auf. Es gab keine Reklamationen, und ich erhielt viele Dankesbriefe.» Infolge einer Restrukturierung wurde aus dem Ein-PersonenStandesamt ein mehrköpfiges Team mit einer Vorgesetzten. In dieser Zeit machte David, aus seiner heutigen Sicht, einen Fehler: Er bot von sich aus einem ihm bekannten gläubigen Pärchen das Gebet an. Sie wollten es sich überlegen und Bescheid geben. Ihre Rückmeldung landete bei einer Kollegin und von dort bei der Vorgesetzten. «Darauf wurde ich zitiert und das Gebet in den Trauungen verboten. Auch den Trauernden Mut und Trost zusprechen durfte ich nicht mehr, 27


nur noch beraten. Obwohl ich mich sofort an dieses Verbot hielt, begannen Schikanen. In der Folge musste ich die Traurede vorlegen. Aus Angst, meinen Job zu verlieren, wehrte ich mich nicht. Trotzdem wurde mir nach einer zermürbenden Zeit gekündigt.»

Verbote, Kontrollen und Mobbing Dieser erneute Tiefschlag warf Kathrin zu Boden. Erst jetzt überrollte sie ihr eigener Schmerz. «Ich bin eher eine kopflastige Realistin. Die Gefühle kommen erst hinterher, wenn es zu viel wird. Was jetzt mit David passierte, setzte mir total zu.» David fiel in eine Depression. Wollte sich das Leben nehmen. Ihre

«Ich konnte keine Gebete mehr selber formulieren. Aber ich las die Klagepsalmen. Ich bat Gott, meinem Unglauben zu helfen. Aber auf die Frage, was das alles soll, fand ich keine Antwort.» Beziehung litt. David sieht es heute als Prüfstein: «Ich stellte mich total in Frage. Ich hatte mich in meine Arbeit voll reingegeben. Sie war für mich ein Stück Leben gewesen. Ich wusste nicht mehr, wer ich war und was ich konnte. Die Verbote, Kontrollen und das Mobbing waren eine grosse Demütigung. Es schmerzte mich sehr, da ich ja niemandem wehgetan hatte. Nach einer Zeit der Erholung und einer mehrwöchigen geistlichen Schulung bin ich wieder neu zu Würden gekommen. Wir erlebten viel Ermutigung durch andere. Das half uns, nicht aufzugeben. Mein Glauben wurde gestärkt, und ich kam Gott näher. Heute habe ich das Vertrauen, dass Gott hinter uns steht und mir auch eine neue berufliche Zukunft geben wird.»

Keine Antworten Auf die Frage, wie diese Erlebnisse ihre 28

Beziehung zu Gott prägten, meint Kathrin, dass es manchmal fast nicht auszuhalten war: «Ich hatte grosse Schwankungen. Bei Gott bleiben oder ihm davonlaufen? In aller Verzweiflung landete ich immer wieder bei der Erkenntnis: ‹Herr, wohin sollte ich denn sonst gehen?› (Johannes 6,68) Ich konnte keine Gebete mehr selber formulieren. Aber ich las die Klagepsalmen. Ich bat Gott, meinem Unglauben zu helfen. Aber auf die Frage, was das alles soll, fand ich keine Antwort.» Kathrin hat auch heute keine Ahnung, was Gott damit bezwecken könnte. Sie meint, sie stünden auf einem geistlichen Schlachtfeld, auf dem sie auch Verluste in Kauf nehmen müssten. Zum Beispiel den Verlust des Glaubens ihrer vier Kinder. Diese beobachteten nun ganz genau, was Gott aus dieser Situation machen würde. Sie erwarteten von Gott eine Wiederherstellung ihrer Eltern und prüften daran ihren Glauben. Manchmal denkt Kathrin zurück an unheimliche Ereignisse während ihrer letzten Amtszeit oder an das grosse Chaos, das zurückblieb im Dorf: die eingestürzte Hauskreisarbeit, die Angriffe auf Gesundheit und Existenz von Glaubensgeschwistern aus ihrem Hauskreis. Wie Kathrin damit umgeht? «Der Schmerz ist da und geht nicht weg. Noch heute macht es mir Mühe, ins Dorf zu gehen. Ich trage eine tiefe Wunde für Jesus, die sehr wehtut. Aber in mir wächst inzwischen ein Ja zu dieser tiefen Wunde. Ich bete oft: ‹Herr, lass all diese Menschen nicht die Früchte dieser Saat ernten. Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.› Das kann ich vom Verstand her, aber mein Herz funktioniert noch nicht. Bis heute halten wir an der Verheissung fest, dass Gott etwas Neues schaffen wird.» – Und David? «Heute habe ich wieder die Sicherheit, dass Gott keine Fehler macht und mir neue Chancen und Möglichkeiten geben wird. Diese Sicherheit kam wieder zurück durch die Liebe und Unterstützung meiner Frau und meiner

Kinder, aber auch durch Gespräche mit anderen und durch das Wissen, dass sie für mich beten.»

Wem nachfolgen? Würden sich Kathrin und David heute anders verhalten? David würde sich an einer neuen Stelle auf jeden Fall absichern, was er tun darf und was nicht. Trotzdem fragt er sich auch, ob er unter gleichen Voraussetzungen noch Standesbeamter sein könnte. Vor allem im Umgang mit Trauerfamilien spürt er, dass er von seinem Glauben nicht schweigen kann, weil manche richtiggehend danach lechzen. «Die Leute sind sehr offen und dankbar für Trost. Ich musste nie nach Worten suchen. Gott gab sie mir einfach.» Kathrin ist überzeugt, sich nichts vorwerfen zu müssen. Noch heute bekommt sie Rückmeldungen, wie qualitativ gut sie über die Jahre hinweg ihren Job gemacht habe. «Da ich mich mit meinem Glauben nie exponierte, wurde ich auch bis zu den Wahlen nie angegriffen.» Was man ihr damals vorwarf, war an den Haaren herbeigezogen. Nie wurde ihre Arbeit abqualifiziert, auch wenn sie in ihrem Glauben mehrfach herausgefordert war. Zum Beispiel als sie gegen ein okkultes Theater Stellung nahm oder eine Lehrerin entliess, nachdem diese sich wiederholt über das Verbot hinweggesetzt hatte, den Kindern Bachblütentropfen zu verabreichen. Das schlug natürlich Wellen, doch handelte Kathrin immer in Absprache mit den Behörden.

Weise sein, nicht dumm Kathrin ist der Meinung, dass sich Christen in öffentlichen Ämtern und Arbeitsstellen an Richtlinien halten und Hausregeln respektieren müssten. Alles andere ist für sie naiv und die Folgen daraus sind selbstverschuldet. Kathrin sieht einen grossen Unterschied zwischen dem, was wir uns selber zumuten, und dem, was cz 1|06


kreuz und auferstehung | im kreuzfeuer der ...

Gott uns zumutet. Sie würde nie mit dem Glauben «hausieren». Sie hätte sich in der Schule auch nie an der Gründung einer geistlichen Gruppe beteiligt. «Aber ich betete im Stillen: ‹Herr, ich will ein Zeugnis sein für dich; hilf mir, das zu leben, bring mir die Leute.› Mein Leben sollte ein Wandel von Evangelisation sein. Das, glaube ich, ist mir gelungen. Ich betete in den zwölf Jahren, dass jedes Jahr jemand zum Glauben komme. Gott hat das gemacht. Aber der Glaube war nie ein öffentliches Thema.» Kathrin bemühte sich auch immer um Weisheit im Umgang mit den verschiedenen Lehrergruppen. Sie wollte für alle da sein und alle unterstützen. Deshalb hielt sie Abstand zur Gebetsgruppe. Sie ergriff nie Partei für die Frommen.

Nie hätte ich gedacht, dass es in meinem Leben zu einem Gebäudeeinsturz kommen könnte. Mein Hauptliedvers, der mich seit zwei Jahren begleitet, lautet: ‹Auch wenn ich gar nichts fühle, führst du mich doch zum Ziele ...›»

Anmerkung der Redaktion: Drei Wochen nach dem Gespräch erhielt David die Zusage einer neuen Stelle als Standesbeamter.

Das Fundament bauen, solange es geht Im Moment wissen David und Kathrin nicht, wie es weitergeht. Sie haben keine Antwort auf ihre Fragen. Kathrin: «Leute sagen: ‹Fragt nicht, warum, sondern wozu.› Aber im Moment frage ich auch nicht, wozu, sondern klage: ‹Herr, wie lange noch?› Ich mag nicht mehr. Es ist genug.» Sie beide erwarten, von Gott wiederhergestellt zu werden, damit dadurch andere zum Glauben kommen, in erster Linie ihre Kinder. Aus ihrer Erfahrung möchte Kathrin anderen ans Herz legen: «Sammelt euch Schätze in den guten Zeiten! Es ist wie mit den sieben fetten und den sieben mageren Jahren. Du hast nichts, wenn du keinen Vorrat angelegt hast. Oder wie in der Geschichte von Haggai und Esra: Wenn du dir keine Zeit nimmst, um Material zu sammeln und ein Fundament zu bauen, stürzt alles ein. Das, was ich in guten Zeiten an Bibelworten und Liederschatz in mich aufgenommen habe, wird jetzt abgerufen, sogar wenn es Jahrzehnte zurückliegt. Das ist mein Überleben. cz 1|06

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PERSÖNLICH • Denkmal in Magadan für die Millionen im Gulag umgekommenen Menschen: Auf dass wir nie mehr die Augen verschliessen vor dem Unrecht!

Das Licht scheint in der Finsternis am Das persönliche Wort des Missionsleiters Was ich am Ende der Welt von den sibirischen und nordkoreanischen Christen lernte, hat mein geistliches Leben tief geprägt.

Hanspeter Nüesch Es war vor fünf Jahren: Ich war zusammen mit Roland Kurth an einer Pastorenkonferenz in Blagoweschensk engagiert, einer grösseren sibirischen Stadt an der chinesischen Grenze. Pastoren, die von ganz Ostsibirien zum Teil in einer mehrtägigen Reise herkamen, schulten wir in Evangelisation und geistlicher Vaterschaft. Materiell gesehen waren sie sehr arm. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes genossen sie zwar eine grössere religiöse Freiheit, dafür hatten viele ihrer Gemeindeglieder keinen Job mehr; oder sie hatten einen Job, bekamen aber schon seit Monaten keinen Lohn mehr ausbezahlt.

Blagoweschensk heisst «Gute Nachricht». Aber Trost- und Hoffnungslosigkeit regierten diese im äusseren und inneren Zerfall stehende Stadt. Männer mit Wodkaflaschen bewaffnet, sassen stundenlang am Fluss Amur, während sich die Frauen beklagten, dass es in ihrer Stadt keine richtigen Männer mehr gebe: Alle sauften und seien total haltlos. Einige Frauen verkauften ihren Körper an chinesische Touristen, um das Nötige zum Überleben zu beschaffen. Und gerade an diesem tristen Ort hörte ich den bis anhin schönsten und kräftigsten Lobpreis. Viele Anwesende wurden während der Anbetungszeiten gesund, ohne dass wir für ihre Krankheiten

gebetet hätten, einfach weil es stimmt, dass Gott in den Lobgesängen seines Volkes wohnt (vgl. Psalm 22,4). Diejenigen, die uns abwechslungsweise in der Anbetung leiteten, waren Christen von Blagoweschensk selber sowie von Magadan. Magadan ist der berüchtigte Ort, ganz im Nordosten Sibiriens, wohin Stalin Millionen von Menschen verschleppen liess, die in den dortigen Lagern bei Temperaturen von teilweise minus 50 Grad vegetierten. Viele überlebten diese Lager nicht. Später hatte ich selber einmal die Gelegenheit, die Anbeterinnen und Anbeter Gottes in Magadan zu besuchen: strahlende Leute, obwohl viele von ihnen noch die Narben der Schreckenszeit an sich trugen, die sie

• Pastorenkonferenz inBlagoweschensk: Pastoren aus ganz Nordostsibirien erfahren Gottes heilende Gegenwart in der Anbetung.

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kreuz und auferstehung | persönlich

m hellsten selber oder ihre Vorfahren durchlitten hatten. Obwohl es in Russland nicht üblich ist, die Freude offen zu zeigen, wurden wir gerade in den Anbetungszeiten von einer solchen Freude erfüllt, dass es gar nicht anders ging, als von Herzen zu tanzen oder wenigstens zu hüpfen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal in Russland lernen würde, was Freiheit im Geist bedeutet. Aber es sollte noch besser kommen. Im Anschluss an die Pastorenkonferenz nahm ich die Gelegenheit wahr, den Amur zu überqueren und mit der Eisenbahn an die chinesisch-nordkoreanische Grenze zu fahren – ein Abenteuer für sich. Mein Ziel war es, nordkoreanische Flüchtlinge zu treffen, von denen ich mir genauere Informationen über die Situation in den Teilen Nordkoreas erhoffte, wohin unsere Mitarbeiter nicht gelangen konnten. Noch im chinesischen Inland traf ich einige total verschüchterte Nordkoreaner, die von einer christlichen Gemeinde aufgenommen worden waren. Ihre Haltung war begreiflich, da sie Schreckliches durchgemacht haben: Alle hatten während der Hungersnot von 1995 bis 1998 enge Verwandte verloren. Es war mir geradezu peinlich, Fragen zu stellen. Aber ich erhielt viele wertvolle Auskünfte über die Nahrungsmittelsituation cz 1|06

• Christen aus Magadan führen Anbetungstänze auf.

im entlegenen Norden Nordkoreas und über die Situation der Christen im Land. Ich fühlte mich recht überfordert und fragte mich, wie ich diesen geschundenen Menschen helfen sollte. Auf der Weiterreise an der nordkoreanischen Grenze lernte ich dann noch eine zweite Gruppe von Flüchtlingen kennen, und die war ganz anders als die erste. Die Menschen hatten die gleichen furchtbaren Geschichten zu erzählen: ausser einer Person hatten alle enge Verwandte verloren. Aber in ihren Augen war ein unbeschreibliches Strahlen. Eigentlich wollte ich sie ermutigen und stärken; aber sie waren es, die mich aufstellten. Ihr Zeugnis haute mich um. Ihre Begeisterung für Jesus Christus und ihr evangelistischer Eifer waren total ansteckend. Sie meinten: «Wir sind froh, dass wir das alles durchmachen mussten, denn nur dadurch haben wir Jesus gefunden. Er hat uns ein völlig neues Leben geschenkt. Und nun möchten wir so schnell wie möglich zu unseren Landsleuten in Nordkorea zurückkehren, um auch ihnen von unserem Freund Jesus zu erzählen.»

• Viele Männer haben keineArbeit und sitzen stundenlang am Ufer des Amur.

worden. Er zeigte ihnen, wie sie täglich die Kraft und Fülle des Heiligen Geistes im Glauben beanspruchen konnten. Er lehrte sie, immer vorwärts auf Gott zu schauen und nach seinem Willen zu fragen. Und diese Geschwister hatten diese Lektionen wirklich gut gelernt. Wir konnten ihnen ein paar tausend dringend benötigte Dollar geben – eine grosse Gebetserhörung für sie. Ich aber hatte eine unschätzbare Lektion demonstriert bekommen: Gottes Auferstehungskraft macht den Unterschied aus. Auch in der geistlichen Welt stimmt es, dass die schönsten Blumen oft auf dem Mist wachsen, dass Menschen, die ein schwereres Kreuz auf sich nehmen müssen, oft auch die Gegenwart des Auferstandenen am stärksten erleben. Wir westlichen Christen möchten Leid und Schwierigkeiten möglichst aus dem Weg gehen. Wir sind recht leidensscheu geworden. Könnte es sein, dass wir damit auch oft dem Segen Gottes aus dem Weg gehen?

Einer von ihnen, ein etwa 20-jähriger Mann, hatte in knapp einem Jahr bereits mehrmals die ganze Bibel durchgelesen. Diese Nordkoreaner waren von einem chinesischen Pastor aufgenommen

• Hanspeter Nüesch, Leiter von Campus für Christus Schweiz

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BONHOEFFER Teil 1 Das Ende Dietrich Bonhoeffers «Für mich der Anfang des Lebens» Es war Sonntag nach Ostern, der 8.April 1945. Bonhoeffer hatte eben noch einigen Mitgefangenen die Losung des Tages ausgelegt und mit ihnen gebetet. Jesaja 53,5: «Durch seine Wunden sind wir geheilt», und 1. Petrus 1,3: «... der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten». Dann wurde dieTür aufgerissen, Bonhoeffer herausbefohlen und ins KZ Flossenbürg abtransportiert. Dort sollte er im Morgengrauen des folgenden Tages mit fünf anderen, «die unter keinen Umständen überleben sollten», hingerichtet werden.

Eberhard Bethge* Einer der überlebenden Mitgefangenen, der englische Journalist Payne Best, hat die letzten Tage und Stunden Bonhoeffers festgehalten. «Bonhoeffer war ganz demütige Bescheidenheit und Freundlichkeit; er schien immer eine Atmosphäre von Glück zu verbreiten, von Freude an jedem kleinsten Ereignis des Lebens und von tiefer Dankbarkeit für die blosse Tatsache, dass er lebte. In seinen Augen war etwas von dem treuen Blick eines Hundes und der Freude, wenn man ihm zeigte, dass man ihn gern hatte. Er war einer der ganz wenigen Männer, die ich je getroffen habe, für den sein Gott real und ihm immer nahe war ... Tatsächlich waren meine

*

AusBethge,Eberhard:DietrichBonhoeffer.EineBiographie.

Quelle:Text u. Bilder © by GütersloherVerlagshaus, Gütersloh, in derVerlagsgruppe Random House GmbH, München, gekürzt von Jens Kaldewey (www.jenskaldewey.ch). 36

Empfindungen viel stärker, als diese Worte andeuten. Er war, ohne Ausnahme, der lauterste und liebenswerteste Mann, den ich je getroffen habe. Alle klagten, mit Ausnahme von Falkenhausen und Bonhoeffer ... Bonhoeffer war anders; einfach ruhig und normal, offensichtlich ganz entspannt ... seine Seele leuchtete in der dunklen Verzweiflung unseres Gefängnisses ... wir befanden uns in voller Übereinstimmung, dass unsere Wächter und Aufseher viel mehr Mitleid brauchten als wir und es absurd war, sie für ihre Handlungen zu tadeln. Auf dem langen Transport nach Flossenbürg in einem stickigen kleinen Lastwagen fand Bonhoeffer noch ein wenig Tabak in seinen Utensilien und verteilte ihn an die Mithäftlinge: Er bestand darauf, dies zum allgemeinen Wohl beizutragen ... er war ein guter und frommer Mensch. Auf der Fahrt nach Flossenbürg machte man in einer Schule Rast, einer der Mitge-

fangenen schrieb später an Bonhoeffers Schwester: ‹Er tat eine ganze Menge, um die schwächeren Brüder von Depressionen und Sorgen abzubringen. Er verbrachte viel Zeit mit Wasily Wasiliew Kokorin, Molotows Neffen, der, obwohl Atheist, ein erfreulicher junger Mann war. Ich glaube, Ihr Bruder teilte seine Zeit so mit ihm auf, dass er ihm die Grundlagen des Christentums einprägte und selbst Russisch lernte.› Später wurde Bonhoeffer von Soldaten aus der Menge der Mitgefangenen herausgerufen und alleine weitertransportiert nach Flossenbürg. Wir sagten ihm auf Wiedersehen. Er zog mich auf die Seite: ‹Dies ist das Ende›, sagte er, ‹für mich der Anfang des Lebens›, und dann gab er mir eine Botschaft, falls ich sie überbringen könnte, für den Bischof von Chichester mit, einen Freund aller evangelischen Pastoren in Deutschland. ‹Teilen Sie ihm mit›, sagte er, ‹dass dies für mich das Ende, aber auch der Anfang des Lebens ist.›» cz 1|06


kreuz und auferstehung | das ende dietrich ...

In Flossenbürg, am Morgen der Hinrichtung, sah der Lagerarzt Bonhoeffer, ohne damals zu ahnen, mit wem er es zu tun hatte. Zehn Jahre später schrieb er: ‹Am Morgen des betreffenden Tages etwa zwischen fünf und sechs Uhr wurden die Gefangenen, darunter Admiral Canaris, General Oster ... und Reichsgerichtsrat Sack aus den Zellen geführt und die

kriegsgerichtlichen Urteile verlesen. Durch die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im Barackenbau sah ich vor der Ablegung der Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knien. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebets dieses ausserordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert.

Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefasst die Treppe zum Galgen. Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast 50-jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.›»

• Bonhoeffer im Hof des Untersuchungsgefängnisses der Wehrmacht im Frühsommer 1944, zusammen mit gefangenen Offizieren der italienischen Luftwaffe • Bonhoeffer im Gefängnishof Tegel: «Ich

• Dietrich Bonhoeffer, geboren am 4. Februar

glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so

1906 in Breslau, dem heutigen Wroclaw in

vielWiderstandskraft geben will, wie wir

Polen,gestorbenam9.April1945inFlossen-

sie brauchen.Aber er gibt sie nicht im Vo-

bürg, Nordbayern. (Bild vom Jahr 1941)

sowie Oberfeldwebel Napp, der die Aufnahmen veranlasste.

raus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.» («Rechenschaft an derWende zum Jahr 1943»,

• DerpreisgekrönteSpielfilm«Bonhoeffer–

imGefängnisBerlin-Tegel,in:Bonhoeffer,

DieletzteStufe»vonEricTill,DVD,86Mi-

Dietrich: Widerstand und Ergebung.

nuten. «Der Film zeigt, wie man sich als

Briefe undAufzeichnungen aus der Haft,

Mensch in einer unerhörten Situation

Gütersloh:GütersloherVerlagshaus2005)

verhalten kann und verhalten sollte. Denn darin ist Bonhoeffer beispielgebend.» (HauptdarstellerUlrichTukurimGespräch mit Oliver Vorwald, «Welt am Sonntag» vom 16.4.2000)

Bonhoeffer-Gedenkjahr 2006 Aus Anlass des 100. Geburtstags des bedeutenden Theologen sind Kirchen und Gemeinden weltweit eingeladen, sich mit Bonhoeffers Leben, Denken und Werk auseinander zu setzen. Die

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Website www.bonhoeffer.ch, die laufend ergänzt wird, liefert Materialien, Hintergrundartikel, Bilder, Lieder, Referenten, Multimediatipps, weitere Weblinks und vieles mehr für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Bonhoeffer. Viele dieser

Infos findet man im 12-seitigen Bonhoeffer-Dossier, das man dort herunterladen oder gratis in schriftlicher Form bestellen kann: Kirchlicher Informationsdienst kid, Homepage: www.zh.ref.ch

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BONHOEFFER Teil 2 Zur ungebrochenen Faszination eines grossen Theologen Dietrich Bonhoeffers Erbe noch lange nicht ausgeschöpft Auch in der Schweiz wird in diesem Jahr Dietrich Bonhoeffers gedacht. Was seine Faszination und Bedeutung ausmacht und warum Bonhoeffer aktuell bleibt.

Heinz Rüegger Dietrich Bonhoeffer ist wohl derjenige deutschsprachige Theologe des vergangenen Jahrhunderts, der bis heute die grösste und auch die breiteste weltweite Ausstrahlung gewonnen hat. Die Faszination, die sein Schaffen und sein Lebensweg auslösen, hat längst alle Sprach- und Konfessionsgrenzen überschritten. Dabei ist

«Nicht durch Begriffe, sondern durch Vorbild bekommt das Wort der Kirche Nachdruck und Kraft.» für Bonhoeffer besonders charakteristisch, dass manche seiner Schriften auch theologisch nicht vorgebildete Leserinnen und Leser ansprechen. Mir fällt immer wieder auf, wie viele Menschen Bonhoeffer bereits als Teenager zu lesen begonnen haben und von ihm beeindruckt waren. Was ist es, das Bonhoeffers Faszination ausmacht?

Bonhoeffer als Märtyrer Dass Bonhoeffers Leben und Werk einen so nachhaltigen Einfluss hinterliess, hängt gewiss damit zusammen, dass er sich am 38

politischen Widerstand gegen Hitler beteiligte, deswegen am 5. April 1943 verhaftet und dann zwei Jahre später hingerichtet wurde. Seine in «Widerstand und Ergebung» zusammengefassten und postum von Eberhard Bethge herausgegebenen Briefe aus dieser Gefängniszeit, die auf ergreifende, authentische Weise seine Situation menschlich-persönlich und theologisch-spirituell reflektieren, haben nach dem Kriegsende dazu beigetragen, Bonhoeffer für viele zu einem glaubwürdigen Zeugen des christlichen Glaubens zu machen. In einem Vortrag vor Vikaren der Bekennenden Kirche hatte Bonhoeffer 1935 die These aufgestellt: «Der eigentliche Anstoss der Welt an der Verkündigung der Kirche liegt gar nicht an der Verständlichkeit derWorte undTexte von Kreuz undAuferstehung, sondern an der Glaubwürdigkeit.Weil Kirche und Pfarrer anderes sagen, als sie tun. Die Existenz des Verkündigens ist aber das Medium der Vergegenwärtigung (des Evangeliums).» Die Art, wie Bonhoeffer immer wieder aus seiner theologischen Überzeugung praktische Konsequenzen nicht nur postulierte,

sondern mit seinem eigenen Leben zog – bis hin zur Bereitschaft, sein Leben aufs Spiel zu setzen –, ist wohl der zentralste Grund für seine Ausstrahlung. Ein knappes Jahr vor seinem Tod schrieb er aus dem Gefängnis: «Nicht durch Begriffe, sondern durch Vorbild bekommt das Wort der Kirche Nachdruck und Kraft.» Bonhoeffer hat durch die glaubwürdige Verbindung von Denken, Reden und Leben in schwierigen Zeiten etwas von dieser Vorbildlichkeit und Glaubwürdigkeit gewonnen, die auch heute noch bewegen und für das Suchen nach eigenen, heutigen Formen des Christseins hilfreich sein können.

Das Fragmentarische und Spannungsvolle Bonhoeffers Werk – gerade in seiner letzten Phase – und sein Leben, das noch vor Erreichen des 40. Geburtstags gewaltsam abbrach, blieben offenkundig unvollkommen, fragmentarisch, ein Torso. Er selber hat es so empfunden und reflektiert. Aber gerade dieses Unabgeschlossene seiner Überlegungen, seines Suchens und Handelns erschliesst denen, die sich auf ihn einlassen, ein Stück Freiheit; es motiviert zu eigenem Weiterdenken und bewahrt vor cz 1|06


kreuz und auferstehung | zur ungebrochenen ...

«Ich bin keine religiöse Natur. Aber an Gott, an Christus muss ich immerfort denken, an Echtheit, an Leben, an Freiheit und Barmherzigkeit liegt mir sehr viel. Nur sind mir die religiösen Einkleidungen so unbehaglich.» (Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, im Zug nach München am 25.6.1942).

der Versuchung, ein geschlossenes dogmatisches System unkritisch zu übernehmen. Vielleicht hat es darum in der Theologie nie so etwas wie eine «Bonhoeffer-Schulrichtung» gegeben, wie es zum Beispiel Barthianer oder Bultmannianer gab. Die Bedeutung des Fragmentarischen, Unabgeschlossenen in Bonhoeffers Werk kommt uns Menschen der Postmoderne besonders entgegen, die wir kritisch geworden sind im Blick auf die «grossen Erzählungen» und geschlossenen theoretischen Entwürfe. Dazu kommt, dass Bonhoeffer auf faszinierende Weise Akzente miteinander verbindet und in einer spannungsvollen Ganzheit zusammenzuhalten vermag, die wir im westlichen Protestantismus weiterhin in ein fragwürdiges Entweder-oder auseinander dividiert haben: das Akademisch-Intellektuelle und das EinfältigFromme; die Konzentration auf die Kirche und die radikale Weltzuwendung; den Pazifismus der Bergpredigt und die Teilnahme am gewaltsamen Widerstand gegen Hitler; die Hochschätzung des Monastischen und die Freude an sinnlichen Genüssen, die Herkunft aus noblem Professorenhause und die Arbeit mit Berliner Proletarier-Jugendlichen; das Insistieren auf einer strengen Christusnachfolge mit einer geregelten Frömmigkeitspraxis und die Skepsis gegenüber allem «Religiösen», die ihn zur Vision einer nichtreligiösen Gestalt eines künftigen Christentums führte (dargelegt etwa in «Entwurf einer Arbeit» in «Widerstand und Ergebung», 1944). Gewiss, Bonhoeffer vollzog im Verlauf seines cz 1|06

Lebens Akzentverschiebungen im theologischen und im spirituellen Bereich. Dennoch konnte er auch später noch frühere Akzente in ihrer bleibenden Gültigkeit stehen lassen und in seine Position integrieren. Anders als manche seiner späteren Interpreten war Bonhoeffer im Rückblick der Meinung, «dass mein Leben völlig ungebrochen verlaufen ist».

Unterschiedliche Rezeptionslinien Es verwundert darum nicht, dass Bonhoeffer von ganz verschiedenen theologischen und frömmigkeitsmässigen Richtungen auf ihre je einseitige Weise vereinnahmt worden ist. Pietisten und Evangelikale beriefen sich vor allem auf den Bonhoeffer der mittleren Phase, wie er in den Büchern über die «Nachfolge» und das «Gemeinsame Leben» fassbar wird, konnten aber wenig mit der Idee eines religionslosen Christentums anfangen. Progressiv-liberale Kreise im Umfeld der Gott-ist-totTheologie inspirierten sich umgekehrt gerade an Bonhoeffers Kirchen- und Religionskritik in «Widerstand und Ergebung» und versuchten sich in einer nichtreligiösen Interpretation biblischer Begriffe, während sie den «frommen» Bonhoeffer eher für eine überholte Vorstufe hielten. Deutsche Universitätstheologie rezipierte Bonhoeffer lange Zeit schwerpunktmässig im Bereich auf die hermeneutischen Fragestellungen, während Bonhoeffer in der amerikanischen Theologie stärker unter ethischen Fragestellungen interpretiert wurde. Die in «Gemeinsames Leben» festgehaltenen Erfahrungen mit dem Versuch kommunitären Lebens unter Pfarrvikaren fanden starke Beachtung im Aufbruch

evangelischer Kommunitäten in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Sie alle liessen sich von Bonhoeffer – oder besser: von bestimmten Akzenten seines Denkens und Lebens – inspirieren und fanden bei ihm Ermutigung und Orientierung für ihre je eigenen Projekte. Die spannungsvolle und spannende Vielschichtigkeit von Bonhoeffers Weg und Werk könnte, als zusammenhängendes vielfältiges Ganzes verstanden, viel dazu beitragen, falsche Polarisierungen zu überwinden und zu einem ganzheitlicheren, facettenreicheren und evangelischeren Christsein zu gelangen. In diesem Sinne lohnt sich eine intensive Auseinandersetzung mit Dietrich Bonhoeffer auch heute. Wir sind jedenfalls weit davon entfernt, Bonhoeffers theologisches und praktisches Erbe in seinen kritischen Anfragen und in seinem anregenden Potential ausgeschöpft zu haben. Aus «notabene», der Zeitschrift für Mitarbeitende der evangelisch-reformierten Zürcher Landeskirche.

• «Wer bin ich?» Handschriftliches Original des berühmten Gedichts. Entstanden im Juni 1944.

• Dr. theol. Heinz Rüegger ist Leiter Stabsstelle Theologie und Ethik der Stiftung «Diakoniewerk Neumünster – Schweizerische Pflegerinnenschule» und Autor verschiedener Veröffentlichungen zu Dietrich Bonhoeffer, darunter: Seelsorgerliche Gemeinschaft. Bonhoeffers Seelsorgeverständnis im Rahmen seiner bruderschaftlichen Ekklesiologie. Bern: Lang 1992.

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R E C H T Das Recht auf sich selbst Selbstverwirklicht oder mitgekreuzigt leben? Still und leise hat es sich aus unseren Gottesdiensten verabschiedet: dasWort vom Kreuz. Dabei will die Skandalpredigt vom gekreuzigten Christus nicht nur glaubensferne Mitmenschen betreffen, sondern vor allem auch die, die zu Christus gefunden haben. Denn: «Ihr seid mit Christus gekreuzigt!»Was Paulus den Römern, Korinthern und Galatern ins Buch schrieb, klingt jedoch in zeitgenössischen Christenohren fremd, altväterisch, überholt. Empfinden wohl darum viele das Christsein als anstrengend und den Glauben als irrelevant, weil ihnen das Kreuz-Wort ein Rätsel geworden ist?

Peter Höhn Das Kreuz Jesu bringt für alle, die glauben, die Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott (Römer 5). Das Kreuz Jesu bedeutet aber noch viel mehr, nämlich Leben durch Sterben! Das ist tatsächlich ein Rätsel. Wie können wir es für unsere heutige Zeit lösen und deuten? Es ist

nicht leicht. Denn das Kreuz ist nicht nur von opfertheologischer Seite her angefochten. Auch gestandene Christen wenden sich eher anderen Themen zu. Man ist froh, die strenge Leidenstheologie unserer geistlichen Väter überwunden zu haben. Christen fragen heute lieber: «Wie mach‘ ich mehr aus mir? Wie werde ich für Gott brauchbarer, für das Reich Gottes effizienter, für die Welt attraktiver?»

Verurteilt zum Drehen um sich selbst Statt Leiden ist heute Leidenschaft gefragt. Heilung erscheint dringlicher als Heiligung. Die eigene Weiterbildung für Gott und Beruf wichtiger als der Dienst am Nächsten. Das Abholen des prophetischen Wortes attraktiver als das gehorsame Tun des nächsten Schrittes. Und wenn es doch irdisch-konkret sein muss, dann sucht man das erfüllte Leben eher im «Mehr» und der Kreuzfahrt als im «Weniger» und dem Gang zum Kreuz. Dabei ist es heute gar nicht so, dass Christen nicht leiden würden. Aber man 40

leidet eher am Berufsstress, an den Finanzen, am (vorhandenen oder fehlenden) Ehepartner, an der Gemeinde, an Gott – nur scheinbar an sich selber nicht. Vielleicht liegt genau hier das Problem: Dass wir vergessen haben, was es heisst, vom Kreuz her zu leben. Stattdessen pflegen wir mehr das Ego, auch das fromme. Und deshalb sind wir verurteilt zu dem, was auch die Welt um uns herum tut: Drehen um uns selbst – bis uns schwindlig wird und wir Mühe haben, im Leben geradeaus zu schreiten.

Was ist das Kreuz? Zugegeben: Früher war es um die Christen und ihr Verhältnis zum Kreuz nicht besser bestellt. Oswald Chambers beklagt schon vor 100 Jahren, dass statt dem Kreuz der Dienst für Gott betont werde, und fährt fort, dass viele und gerade eifrige Christen bereit seien, «alles für Gott zu tun, ausser dem einen, nämlich ihr Recht an Jesus abzugeben.» Chambers weiter: «Das Kreuz ist die bewusste Anerkennung dessen, was unserem Ich zukommt, nämlich dass cz 1|06


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kreuz und auferstehung | das recht auf sich selbst

• Mitgekreuzigt sein heisst ab-hängig sein (im wahrsten Sinn desWortes) Nur als Mitgekreuzigter kann ich lernen und frei sein, «dem Heiligen Geist im Gleichschritt zu folgen» (Galater 5,25).

es an Jesus ausgeliefert wird und wir dieses Kreuz täglich auf uns nehmen und dadurch anzeigen, dass wir nicht mehr uns selbst gehören.»1

Gib dein Recht auf! «Gib deine Rechte auf! Du gehörst nicht mehr dir selbst!» Können wir solche Sätze noch hören? Sind sie nicht anstössig? – Ja, sie sind anstössig! Sie wollen uns anstossen, zum wirklichen Leben durchzubrechen. Doch um zu erfahren, zu welcher Qualität von Leben wir eigentlich berufen sind, müssen wir lernen, neu hinter die anstössigen Worte vom Kreuz zu hören. Dazu müssen wir eines wissen: Gottes Worte – auch die hart klingenden Worte vom Gekreuzigtsein mit Jesus – sind zutiefst lebensbejahend. Sie wollen weder in die Zerknirschung noch zu freudloser «Stierheit», sondern in die Freiheit führen, um endlich so leben zu können, wie wir es uns zutiefst wünschen, aber weder können noch uns trauen. Denn nur das Kreuz hat die Kraft, die anderen Kräfte zu entmachten, die uns Anerkennung, Einfluss, Erfüllung und Sicherheit versprechen, aber letztlich das wirkliche Leben rauben.

«Aussergewöhnlich in den gewöhnlichen Dingen» WirsindzurFreiheitberufen(Galater5,1.13). In aller Freiheit Gott zu ehren und unseren Nächsten zu lieben (Galater 5,6). Zur Freiheit, der lebendige Mensch zu sein und cz 1|06

zu werden, der ich vor, durch und in Gott sein soll, und mich als dieser Mensch in die Welt senden zu lassen, egal wie der Auftrag lautet. In dieser Freiheit und Fülle zu leben, ist aber nur möglich in der totalen Abhängigkeit von Jesus. In einem täglichen, innigen, existentiellen Verbundensein mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus. Im kindlichen Vertrauen, dass er allein meine Sehnsucht nach Leben kennt und zu stillen vermag. Dieser «persönliche Kreuzesweg» ist ein Prozess, ein Üben, ein Lernen, ein Sterben – und ein permanentes Auferstehen und Erfahren, wie das nichtmachbare Leben von Gott her hereinbricht. Das Ziel dieses Weges ist weder das eigene Recht noch das Aussergewöhnliche für Gott, sondern wie es Chambers sagt, «aussergewöhnlich zu sein in den gewöhnlichen Dingen».

Vom Kreuz her leben Diese Perspektive ist uns irgendwie abhanden gekommen. Stattdessen sind wir fixiert auf unser Können oder Nichtkönnen, auf unser Haben oder Nichthaben, auf unser Sein oder Nichtsein. Wir erfüllen christliche Pflichten und Ansprüche, aber managen letztlich unser Leben allein. Es kommt uns nicht in den Sinn, Jesus in jede Situation unseres Lebens hereinzulassen. Wir müssen das Geheimnis unseres MitJesus-gekreuzigt-Seins neu entdecken

und willkommen heissen. Die Auferstehungskraft Jesu können wir nur als Mitgekreuzigte erfahren. Aber wir können nur auferstehen, wenn wir zuvor tot gewesen sind, indem wir unser Recht auf uns selbst an Jesus abgeben. Wenn wir dazu stehen, dass wir aus eigener Kraft zwar vieles fabrizieren, aber nichts zum Leben bringen können. Wir brauchen eine neue, tiefgreifende Offenbarung des Heiligen Geistes, der uns lehrt und zeigt, was es heisst, «mit Jesus gekreuzigt und mit ihm auferstan-

«Das Kreuz und der Herr am Kreuz sind einem nie so nahe wie in den Augenblicken, in denen einem der Boden dieser Welt unter den Füssen entgleitet.» Rudolf Alexander Schröder den zu leben» (Römer 6,5-8), und zwar jeden Tag. Ein erster Schritt dazu könnte sein, konsequent in diese Richtung zu beten. Drei Stellen im Galaterbrief können uns dabei helfen:

Meinem Können und Nichtkönnen gekreuzigt Galater 2,19-20: «Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe; ich bin mit Christus gekreuzigt; 1 Chambers,

Oswald: Was ihn verherrlicht.

Wuppertal: Blaukreuz-Verlag 41


nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.» Gebetsvorschlag: «Jesus, du Gekreuzigter und Auferstandener, du kennst mein Können und Nichtkönnen. Du kennst meine Vorstellungen von Richtig und

«Jesus hat heutzutage viele Nachfolger, die sein himmlisches Königreich lieben, aber nur wenige, die sein Kreuz tragen.» Thomas von Kempen Falsch. Und ich komme zu dir als einer, der im Grunde nicht weiss, wie‘s geht. Ich kann meine Arbeitsstelle nicht allein managen; ich kann meinen Chef nicht ändern; ich kann meinen Mitarbeiter nicht ändern; ich kann meinem Ehepartner aus mir selber nicht genügen – und er mir auch nicht; ich kann meiner Gemeinde oder meinem Hauskreis nicht aus der Krise helfen. Ich gebe dir mein Gutsein und mein aus eigener Anstrengung alles Richtigmachenwollen ans Kreuz. Ich gebe dir mein Recht auf mich selbst ab. Gemäss deinem Wort bekenne ich: Ich bin der eigenen Unabhängigkeit und den eigenen Vorstellungen gegenüber, ‹was man als Christ alles sollte›, gekreuzigt. Ich gebe zu, dass ich nicht so aus mir selber leben kann, wie ich eigentlich möchte, ja im Grunde nicht einmal weiss, wie ich sollte: Was für ein Mitarbeiter ich am Arbeitsplatz sein sollte; was für ein Gegenüber ich meinem Ehepartner sein sollte und er mir; was du, Jesus, in der Gemeinde wirklich von mir forderst und was nicht. Ich will mich auch nicht selber vor meinen Mitmenschen schützen, gegen sie kämpfen oder mich ihnen entziehen! Aber ich glaube und vertraue, dass du, Jesus, in mir lebst. Deine Treue trägt mich. Ich bin mit dir durch die Taufe mitgekreuzigt, schicksalhaft verbunden und zusammengewachsen. In der Abhängigkeit von dir werde ich frei, loszulassen und frei zu handeln. Ich erlaube dir, du gekreuzigter 42

und auferstandener Jesus Christus, in mir zu können und zu wollen, aber auch nicht zu können und nicht zu wollen. Ich will die Grenzen, die du mir setzt, akzeptieren; und ich vertraue dir, dass ich dadurch zum Leben komme!»

Meinem Haben und Nichthaben gekreuzigt Galater 5,24: «Die aber dem Christus Jesus angehören, haben das Fleisch samt den LeidenschaftenundBegierdengekreuzigt.» Gebetsvorschlag: «Jesus, du siehst mein Haben und Nichthaben. Du kennst mein Fleisch mit all seinen Begierden und Leidenschaften. Ich danke dir zunächst dafür, dass all diese Kräfte ein Zeichen sind, dass ich ein Mensch aus Fleisch und Blut bin! Ein Mensch mit Bedürfnissen, Wünschen und einer Sehnsucht nach Leben. – Und nun, Jesus, komme ich zu dir und bekenne: Ich kann meine Sehnsucht nach Leben nicht selber stillen! Und wenn ich es selber versuche, verselbständigen sich meine Bedürfnisse und beherrschen mich.

«Es gibt kein anderes Gesetz wahrhafter Fruchtbarkeit als den Weg, der durch das Sterben führt. Nur in dem Mass, wie wir bereit sind, uns selber loszulassen und uns in Gottes Hände zu geben, werden wir Träger des Lebens für andere.» Oswald Sanders Im Vertrauen auf dein Wort erkläre ich diese selbstsüchtigen ‹Begierden und Leidenschaften des Fleisches› und meines Egos als mit dir gekreuzigt: alle Art von Habsucht nach Geld, materieller Sicherheit, Sucht und Gebundenheit in jeder Form, aber auch die fromm getarnte Habsucht, dass ich von dir, Jesus, erwarte, dass du mir zum Erfolg verhilfst, zum Aussergewöhnlichen, zur anerkannten Nützlichkeit, zum Nullproblemleben. Ich bringe dir, Jesus, mein Haben und

Nichthaben ans Kreuz, mein Hab und Gut, meine Zeit, mein Geld, meine Beziehungen, meine Schwachheit und das Mass, wie stark ich beachtet oder missachtet werde. Ich höre auf, dir zu misstrauen, dass du mir etwas vorenthalten willst. Ich vertraue, dass du meine Sehnsucht nach Leben auf deine Art und zu deiner Zeit stillen wirst. Ich kann mich nicht selber sättigen, aber du kannst es! Lehre mich ein Antwortender und Empfangender zu sein in dem, was du mir täglich begegnen lässt. Lehre mich, im Gleichschritt des Heiligen Geistes vorwärts zu gehen (Galater 5,25).»

Meinem Sein und Nichtsein gekreuzigt Galater 6,14: «Mir aber sei es fern, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.» Gebetsvorschlag: «Jesus, du weisst um mein Sein und Nichtsein vor der Welt. Ich bringe dir mein Eifern, ‹jemand› sein zu müssen – vor dir, vor anderen, vor mir selbst –, und meine Ängste, es am Ende doch nicht zu schaffen. Ich bekenne im Vertrauen auf dein Wort: Was ich bin, mein Ansehen, mein Einfluss, meine Position in der Welt – auch in der frommen Welt –, soll nicht (mehr) mein oberster Massstab sein. Die Welt sei mir gekreuzigt und ich der Welt. Ich will mich nicht mehr den Menschen zuliebe ‹beschneiden lassen›, aus Angst, sonst nicht mehr dazuzugehören. Ich will mich nicht in ein weltliches, gesellschaftliches oder religiöses System einspannen lassen, das mich in meinem Innersten von dir, Jesus, und von deinem Ruf auf meinem Leben wegzieht. Ich will aber auch nicht aus Stolz und Rebellion von dem Platz davonlaufen, wo du mich hingestellt hast. Ich bitte dich, Jesus, dass ich den Unterschied erkenne. Ich gebe auch alle meine Versuche auf und kreuzige sie, andere Menschen zu cz 1|06


kreuz und auferstehung | das recht auf sich selbst

kontrollieren, Menschen an mich selbst, an ein Lehrsystem oder an eine Gemeinde zu binden, sondern sie in allem zu dir, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, zu führen. Ich vertraue dir Jesus, dass du selbst jedem Menschen selber durch deinen Geist zeigst, was in den Tod gehört und was zum Leben kommen soll. Ich bekenne auch: Ich werde meine Identität und Persönlichkeit nicht durch mein Sein vor der Welt und vor den Menschen finden, sondern nur in der neuen Schöpfung (Galater 6,15)! Lass mich dein Neuschaffen jeden Tag in jeder Situation erkennen!»

Die Sehnsucht nach Leben Leben vom Kreuz her heisst durch Sterben zum Leben kommen. Um an den Anfang zurückkommen: Es geht nicht darum, Leiden gegen Leidenschaft, Heilung gegen Heiligung, Weiterbildung gegen Dienst am Nächsten oder das prophetische Wort gegen das konkrete Tun auszuspielen. Es geht, wie Chambers sagt, «nicht darum, die Sünde aufzugeben, sondern mein Recht auf mich selbst aufzugeben, meine natürliche Unabhängigkeit und meine Anmassung». Es geht nicht darum, Sünden und Fehler zu minimieren, den eigenen Genuss zu optimieren oder die Nützlichkeit für

Gott zu maximieren. Es geht darum, meinen eigenen Vorstellungen von einem erfüllten und Gott wohlgefälligen Leben zu sterben. Mich auf Gedeih und Verderb an

«Als Jünger Jesu lerne ich nicht notwendigerweise all das zu tun, was Jesus tat. Aber ich lerne, wie ich das, was ich tue, in der Haltung tue, in der Jesus es getan hat.» Dallas Willard Jesus zu hängen. Und mich täglich überraschen zu lassen, wie er sein Auferstehungsleben durch mein irdisch-schwaches Lebensgefäss strömen lässt.

Dietrich Bonhoeffer

Lydia Prince

Oswald Chambers

Drei persönliche Erfahrungen

• Oswald Chambers: «Das Kreuz ist das

• Lydia Prince: «Meine Beziehung zu Sören

• DietrichBonhoeffer:«KreuzistnichtUn-

Geschenk Jesu an seine Jünger. Es kann

hatte uns beiden viel gegeben. Gehörte

gemachundschweresSchicksal,sondern

nur eines aussagen: ‹Ich gehöre nicht

auch sie zu dem alten Leben, das ich verlie-

es ist das Leiden, das uns aus der Bin-

mehr mir selbst.›» – Chambers hatte in

ren musste, ehe ich das neue finden konnte,

dung an Jesus Christus allein erwächst.»

London Kunst studiert, schlug dann aber

zu dem Gott mich hinführte?» – Als Lydia

– Obwohl sich Bonhoeffer mehrere Male

ein weiteres Kunststipendium aus, nicht

Christensen, als gutsituierte Frau aus Kor-

hätte ins Ausland absetzen können,

weil er gegen die Kunst an sich gewe-

sor, Dänemark, gab sie ihre sichere Stelle als

schloss er sich dem Widerstand in Nazi-

sen wäre, sondern weil er Respekt davor

Lehrerin auf und löste die Beziehung zu ih-

deutschland an, kam 1943 ins Gefängnis

hatte,seingeistlichesLebenzuverlieren,

rem Kollegen. Sie hatte erkannt, dass ihr

und wurde am 9. April 1945 hingerich-

und weil er spürte, dass sein Weg anders

Weg von einem Höheren bestimmt wurde.

tet. Wäre er ins Exil gegangen, hätte

verlaufen sollte. Er gründete eine Bibel-

Sie wanderte aus Dänemark aus und grün-

Bonhoeffer mit seinem brillanten Geist

schule und diente dann im Ersten Welt-

dete im Jerusalem der dreissiger Jahre ein

für dieTheologie vielleicht viel mehr tun

krieg als Militärpfarrer in Ägypten, wo er

Waisenhaus. Später heiratete sie Derek

können, aber hätten seine Worte heute

43-jährig starb. Seine Gedanken («Mein

Prince. Sie war seine erste Ehefrau. Drei

für uns dieselbe Kraft?

Äusserstes für sein Höchstes») haben bis

Jahre nach ihrem Tod heiratete er erneut.

heute Millionen von Christen bewegt und geprägt.

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IDEOLOGIE Teil 1 Darf man beim Forschen ehrlich sein? Ideologiestreit der Theologen und Carsten Peter Thiedes Verdienst um die historische Glaubwürdigkeit des Neuen Testaments Sein Leben war der fröhliche und mutige Kampf einesAussenseiters gegen die Phalanx der etablierten liberalen Universitätstheologie. Professor Carsten Peter Thiede, der in Berlin geborene Literaturwissenschaftler, Historiker und Papyrologe, ist im Dezember 2004 überraschend imAlter von 52 Jahren gestorben. Sein kurzes Leben war lang genug, um vielen ehrlich suchenden Menschen, Wissenschaftlern und Theologen einen neuen Zugang zur Bibel zu eröffnen, einen Zugang, der Glauben und Forschen vereint.

Hans-Joachim Hahn «Zum ersten Mal durfte ich Carsten Peter Thiede Mitte der 80er Jahre begegnen», berichtet der Altphilologe Dr. Heinz Lothar Barth in seinem Beitrag der «Kirchlichen Umschau» im Februar 2005 zum unerwartet frühen Tod des Paderborner Wissenschaftlers Thiede. Barth war einer der Dozenten, die bereit waren zuzugeben, dass man vielleicht doch mehr aus der historischen Leben-Jesu-Forschung wisse, als man bislang für möglich zu halten bereit gewesen sei.

Der bekehrte Dozent In der Universität Bonn war ein Vortrag angekündigt, der sich mit dem Qumran-

1 Thiede,

Carsten Peter: Die älteste

Evangelien-Handschrift. Ein Qumran-Fragment wird entschlüsselt. Brockhaus 1997. 44

Papyrus 7Q5 beschäftigen sollte.Aufgrund der Plakate der Evangelisch-theologischen Fakultät, die Carsten Peter Thiede eingeladen hatte, wurde klar, dass der Referent anhand dieses Papyrus eine Frühdatierung des Markusevangeliums vornehmen wollte. Als junger Dozent der klassischen Philologie besuchte Barth diesen Vortrag über eine wichtige Frage der Textkritik des griechischen Neuen Testamentes gleichsam ex officio (von Amtes wegen), aber mit der Absicht – wenn möglich – diese These zu widerlegen. Das für Thiede mit einer Frühdatierung der Evangelien verbundene Glaubensanliegen konnte Barth damals überhaupt nicht teilen. Allerdings, so sagt er persönlich: «Im Lauf der Ausführungen des Vortragenden wurde ich von Thiedes Darlegungen immer mehr überzeugt, so dass ich bei der anschliessenden Diskussion – völlig entgegen meiner ursprünglichen Absicht – ihm zustimmte und ihn sogar mit einem zusätzlichen Argument unterstützen durfte.»1

Der Ketzer «Ich war schockiert», so der Wissenschaftler Dr. Heinz Lothar Barth, «welch menschlich abstossende Aufnahme dem Referenten von Seiten der grossen Mehrzahl der anwesenden Theologen widerfuhr, trotz seiner soliden Argumentation. Man kann sagen, dass ihm – diesem sachlich argumentierenden Wissenschaftler und gleichzeitig liebenswürdigen Menschen – teilweise sogar blanker Hass entgegenschlug.» Eine Frühdatierung der Evangelien in der heutigen Exegese kam einer Ketzerei gleich. Es ging nicht um Argumente! So nahm Barth von dieser ersten Begegnung mit Carsten Peter Thiede den Eindruck mit, dass es in der modernen Theologie nicht mit rechten Dingen zugehen könne.

Die Unbelehrbaren Diese unwissenschaftliche Art der Reaktion auf neue, nicht zur gängigen Lehrmeinung passenden Forschungsergebnisse cz 1|06


kreuz und auferstehung | darf man beim ...

war kein Einzelfall: Der Schweizer Neutestamentler Oscar Cullmann, dessen «Einführung ins Neue Testament» zur Pflichtlektüre für Theologiestudenten gehörte, schrieb in einem Brief an Thiede zurück: «Wissen Sie, Herr Thiede, wenn man etwas so lange gelehrt hat, ändert man seine Meinung nicht mehr.» Thiede hatte Cullmann nachgewiesen, dass neuere Forschungsergebnisse dessen These unhaltbar machten, der zweite Petrusbrief sei erst Anfang des dritten Jahrhunderts von späteren Anhängern einer PetrusSchule verfasst worden. Die klaren Verweise auf einen Augenzeugenbericht im Text selbst (2. Petrus 1,16) wurden von Cullmann und anderen Theologen als literarischer Kunstgriff gedeutet, der den Lesern die Wichtigkeit des Briefes vermitteln solle. Ein weiteres Beispiel offensichtlicher Unwilligkeit und Selbstgefälligkeit, die althergebrachte Meinung nicht revidieren zu wollen, wird auch beim Turiner Grabtuch sichtbar: Auf den vorsichtigen Hinweis des evangelischen Theologen Hans von Campenhausen, das Turiner Grabtuch könnte möglicherweise doch echt sein, reagierte ein Kollege: «Wenn das so wäre, dann sofort ins Feuer damit! Wir wollen doch keine historischen Nachrichten und Urkunden über die Auferstehung haben!»2 Warum aber, so stellt sich die Frage, wehren sich Theologen so vehement gegen Fakten, die doch den Glauben, den sie erforschen und vermitteln sollten, stärken und begründen?

Lehrmeinungen, die zu Dogmen wurden Hier offenbart sich ein Dilemma, das nicht nur die moderne Theologie, sondern weite Teile unserer universitären Wissenschaft prägt: Sie haben sich selbst in das Gefängnis des Rationalismus und Naturalismus eingesperrt, in dem die menschliche Vernunft meint, alles erklären und cz 1|06

somit beherrschen zu können. Fakten und Gegenstände, die etwas als echt und real beweisen könnten – hier die Auferstehung Jesu –, sind unerwünscht. Unversehens entsteht auf diesem philosophischen Boden eine neue Variante der alten Hybris aus Stolz und Überheblichkeit: die menschliche Vernunft sei die höchste Instanz und die eigene gewonnene Erkenntnis wie auch die Lehrmeinung einer Gruppe seien unantastbar. «Wunder und ausserirdische Eingriffe in dieses räumlich-zeitlich begrenzte Universum gibt es nicht», formulierte der für die liberale Textkritik grundlegende Marburger Theologe Rudolf Bultmann. Vor diesem «wissenschaftlichen» Hintergrund müssen natürlich alle Ereignisse, die nicht zur Lehrmeinung passen, wegerklärt werden – wie die Wunder Jesu, die Auferstehung oder seine Prophezeiung, dass Jerusalem zerstört werde. Bildlich gesprochen: Genau wie das Bett des Prokrustes in der griechischen Sage, wo die Übernachtungsgäste in diesem Bett auf die Länge des Bettes angepasst wurden, wird also eine Lehrmeinung entsprechend gekürzt oder gedehnt. Für unvoreingenommene Literaturwissenschaftler ist die erwähnte Prophezeiung Jesu in den Evangelien ein deutlicher Hinweis, dass diese vor dem Datum der Zerstörung verfasst wurden, denn jüdische Geschichtsschreibung hat die wichtige Tradition, über die Erfüllung von Prophetien zu berichten. Das Fehlen des auch nur leisesten Hinweises auf die Erfüllung dieser schockierenden Prophezeiung Jesu ist eines der stärksten innertextlichen Argumente, dass alle Evangelien vor dem Jahre 70 geschrieben wurden – also zu einer Zeit, in der noch viele Augenzeugen am Leben waren, die die Predigten Jesu selbst gehört hatten.

• Zusammen mit dem Biologieprofessor Georg Masuch hat Carsten PeterThiede ein spezielles Lasermikroskop und ein Verfahren zur Analyse der Papyri entwickelt.

allgemeinen Vorhersagen Christi als vaticinia ex eventu verkaufen, als Prophezeiungen also, die erst nachträglich erfunden worden sein sollen», betont Dr. Heinz Lothar Barth. In der Theologie sei dies jedoch leider seit vielen Jahrzehn«Good news: Scholars ten üblich – ein say time is on the side of Dogma geworden. believers.» («Gute Nach«Wer von solchen richten: Wissenschaftler ‹Dogmen› – und sagen, die Zeit arbeite für zwar nicht nur in die Gläubigen.») The Daily der Exegese – Telegraph, 27.3.1996 abweicht, dessen akademische Karriere ist gefährdet. Das ist die vielgepriesene Toleranz der Liberalen!» Dr. Barth kennt zahlreiche Betroffene dieses «Gesinnungsterrors» in der liberalen Theologie. Die erwähnte Hybris verführt die Theologen aber nicht nur zu einem willkürlichen Umgang mit den Texten des Neuen Testamentes – will heissen: Wer legt fest, welche Aussagen von Jesus selbst stammen und welche Aussagen ihm von späteren Redaktoren «in den Mund gelegt» wurden? Diese Haltung öffnet auch Tür und Tor für den Angriff auf zentrale Themen, die unbequem erscheinen und nicht zum Zeitgeist passen. So konnte der Tübinger Lehrstuhlinhaber Käsemann, ein Bultmann-Schüler, in Flugblättern, die er

Die Intoleranz der Toleranten «Kein seriöser Altertumswissenschaftler könnte seinen Kollegen die mehr

2In:ForumkatholischeTheologie,7/1991,104,Anm.33;zitiert

bei Heinz Lothar Barth. 45


mit seinen Studenten verfasste, schreiben: «Was ist denn das Kreuz Jesu anderes als der Ausdruck sadomasochistischer Schmerzverherrlichung?»3 Zusammen mit seinem evangelischen Kollegen Ulrich Wickert kämpfte der damalige katholische Lehrstuhlinhaber Professor Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI., auf einsamem Posten gegen die Vereinnahmung der Bibel durch derartiges Gedankengut. Die liberale Textkritik hatte die Tür für die verrücktesten Umdeutungswünsche des biblischen Wortes geöffnet.

David gegen Goliath Der langjährige Göttinger Lehrstuhlinhaber Professor Gerd Lüdemann ist sicher ein Extrem, doch wirkt seine Aussage, die leibhaftige Auferstehung Jesu Christi sei die «grösste Lüge der Kirchengeschichte» vor diesem Hintergrund nicht mehr allzu weit hergeholt. Thiede war der Einzige, der es wagte, ihn in öffentlichen Debatten anzugreifen und zu widerlegen4. Als Experte derAltertumsforschung, Literatur und Papyrologie war er nicht von der Anerkennung eines Theologieprofessors abhängig und konnte daher unverblümt diese Missstände aufgreifen und anprangern.

Wie alles begann

• Thiedes engagiertesAuftreten in den Hörsälen der Universitäten brachte ihm Beliebtheit und Anfeindung zugleich.

3

Ratzinger, Joseph: Salz der Erde. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1996, Seite 82.

4

In einer Dokumentation des Brunnenverlages ist das Streitgesprächfestgehaltenworden:Thiede,CarstenPeter, Lüdemann, Gerd: Die Auferstehung Jesu – Fiktion oder Wirklichkeit?EinStreitgespräch.Giessen:Brunnen2001.

5Nachzulesenin:Thiede,CarstenPeter:DasJesus-Fragment–

WaswirklichüberdemKreuzstand.Giessen:Brunnen2004. 46

Carsten Peter Thiedes Weg als Kämpfer für einen sachlichen, ideologiefreien Umgang mit den neutestamentlichen Quellen begann mit unserer ersten Begegnung in Berlin im Oktober 1974. Er war Student der vergleichenden Literaturwissenschaft an der Technischen Universität, ich selbst war frischgebackener Mitarbeiter von Campus für Christus. Wir sprachen über Jesus, seine Bedeutung für die Menschheitsgeschichte und unser persönliches Leben. «Warum unbedingt Jesus, warum nicht Buddha oder Mohammed oder einer der Philosophen?», warf er ein, als ich behauptete, Jesus sei einzigartig und verdiene unsere volle Loyalität. «Für mich ist der springende Punkt seine Auferstehung von den Toten. Damit

beweist er, dass er stärker ist als der Tod und anders als alle anderen. Du bist doch vom Fach, geh in die Bibliotheken und prüfe nach, ob nicht die Auferstehung zu den bestbezeugten historischen Ereignissen gehört und das Neue Testament weit zuverlässiger ist als andere historische Quellen, denen wir vertrauen», forderte ich ihn heraus. Diese Herausforderung traf ins Schwarze. Wir verabschiedeten uns, und Carsten Peter Thiede vertiefte sich ins Studium der Quellen. Nach einigen Wochen traf ich ihn wieder: einen sehr nachdenklich gewordenen Studenten. Er hätte ja nie für möglich gehalten, dass das Neue Testament historisch so zuverlässig und die Auferstehung so glaubwürdig sei, gestand er mir. Noch einige Wochen dauerte es, dann war seine Entscheidung zur Konsequenz gereift: Er betete, um Jesus Christus als seinen persönlichen Herrn und Erlöser anzunehmen.

Gelebte Jüngerschaft mit Potenzial In den nächsten Wochen verbrachten wir viel Zeit zusammen: Ein morgendlicher Lauf am Teltowkanal in der Nähe seiner Wohnung mit anschliessendem Frühstück und Bibelstudium waren das Standardprogramm. Gespräche über die Konsequenzen unseres Glaubens und mögliche Aufgaben, die für uns daraus erwachsen könnten, folgten. Im Februar 1975 erschien ein Artikel im Wochenmagazin «Der Spiegel» über die liberale Theologie mit ihrer Textkritik und der sogenannten «historisch-kritischen Methode». Tenor des Artikels war, dass man bald ganze Bibliotheken theologischer Literatur werde getrost dem Feuer übergeben können, wenn die archäologischen Funde so weitergingen und die historische Zuverlässigkeit der neutestamentlichen Texte bestätigten. Wir waren fasziniert. Das war eine Perspektive! Damals ahnte ich nicht, welche Auswirkungen diese Erlebnisse und Eindrücke für den Lebensweg von Carsten Peter Thiede haben würden. cz 1|06


kreuz und auferstehung | darf man beim ...

Das Vermächtnis Professor Herbert Hunger, ehemaliger Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zitiert einen Neutestamentler, der ihm am Rande des Eichstädter Universitäts-Symposiums «Christliches in Qumran?» gestand: «Wenn diese Papyrusfragmente (7Q5 = Markus 6,52-53 und 7Q4 = 1. Timotheus 3,16-4,3) in die Jahrzehnte 40-60 zu datieren sind, bricht unsere ganze Einleitungswissenschaft zusammen». Und genau das hatte Professor Thiede mit seiner unermüdlichen Forschungsarbeit nachgewiesen. Das etablierte Denksystem war erschüttert, das selbst vielen protestantischen Theologiestudenten und suchenden Menschen den Glauben zerstört oder beschädigt hatte. Inzwischen wächst die Zahl der Theologen, die die Vorgaben der etablierten liberalen Orthodoxie nicht mehr einfach akzeptieren. Sie gehen möglichst unvoreingenommen an die Glaubenstexte heran und finden

Carsten Peter Thiede Der Historiker und PapyrologeProfessor Carsten Peter Thiede (1952-2004) war nach seinen Studien in Berlin, Genf, Oxford und Cambridge Leiter des Instituts für wissenschaftliche Grundlagenforschung Paderborn in Deutschland sowie Professor im Fachbereich Geschichte der Ben-Gurion-Universität des Negev in Beer-Sheva (Israel); er wirkte als Professor für Umwelt und Zeitgeschichte des Neuen Testaments in Basel, hatte einen Lehrauftrag für die Literatur der Spätzeit des Zweiten Tempels und für die Schriftrollen vom Toten Meer an der Ben-Gurion-Universität des Negev in Beer-Sheva. Daneben leitete er die Kommission für Schadensanalyse der Schriftrollen vom Toten

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• Carsten PeterThiede pflegte viele internationale Beziehungen: hier mit Philosophieprofessor Qiuling Li aus PekingmitEhefrau.AufdemBildlinksvonCarstenPeterThiede:seinlangjährigerFreundundMentorHans-Joachim Hahn, Mitarbeiter von Campus für Christus Deutschland und Initiator und Koordinator des Professorenforums.

einen Zugang, der Glauben und Forschen vereint, ohne den Verstand auszuschalten. Sie dürfen wieder glauben, dass Kreuz und Auferstehung keine peinlichen Verirrungen einer schmerzverherrlichenden und wun-

Meer bei der Israelischen Antikenbehörde, Jerusalem. Thiede war auch als anglikanischer Militärkaplan der britischen Streitkräfte in Paderborn tätig. Auf Angebote, Direktor der Handschriftenabteilung der Bibliotheca Vaticana zu werden oder einen Lehrstuhl für Papyrologie an einer Schweizer Universität zu übernehmen, verzichtete er. Carsten Peter Thiede gelang die archäologische Lokalisierung des im Neuen Testament erwähnten Dorfes Emmaus. In seinen Arbeiten über den Text des Neuen Testamentes konnte er auch immer wieder die Historizität der Texte und ihrer Inhalte nachweisen. Internationales Aufsehen erregte Thiedes Buch «Der JesusPapyrus». Darin behandelt er die drei Stücke des in England aufbewahrten

dersüchtigen orientalen Religion sind, sondern der Dreh- und Angelpunkt der Welt geschichte, der historische Ort der Menschheitserlösung und die einzige Basis für eine begründete Zukunftshoffnung.

• Carsten Peter Thiede, 1952-2004.

Magdalen-Papyrus (P64), die bisher auf das Jahr 200 n. Chr. datiert worden waren. Aufgrund von Handschriftenvergleichen forderte Thiede eine Neudatierung um das Jahr 70 n. Chr. Thiede untersuchte auch die in Rom aufbewahrte Holztafel vom Kreuz Jesu Christi mit der Aufschrift «INRI» und wies deren Echtheit nach.5 In seinem letzten Buch «Jesus und Tiberius. Zwei Söhne Gottes» plädiert er für eine Beschäftigung mit der Bibel in den Ursprachen.

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TAT S A C H E

Teil 2 Die Auferstehung Jesu Christi – eine histo Indizien, die dafür sprechen IstdieAuferstehungJesuwirklichgeschehen?WillmaneineFragewiediese beantworten, müssen – wie bei historischer Forschung üblich – verschiedene wissenschaftliche DisziplinenzuHilfegenommenwerdenwieRechts-undGeschichtswissenschaft,Archäologie sowie Sprach- und Literaturwissenschaft. Nachfolgende Indizienliste basiert auf dem Text «Historizität derAuferstehung Jesu Christi» von M. und C. Rall (www.mc-rall.de).

Tom Sommer Direkte Beweise, wie eine aktuelle Befragung eines Augenzeugen, sind sehr oft nicht möglich. Es gibt jedoch auch für die vorliegende Fragestellung viele gut abgesicherte Einzelhinweise, sogenannte «Indizien» («Indiz», lat. «Anzeichen»), die zusammengenommen einen Indizienbe-

Es gab viele Augenzeugen, die behaupteten, Jesus nach seiner Kreuzigung und Auferstehung lebendig gesehen zu haben. weis bilden können, dass es sich bei der Auferstehung Jesu um ein tatsächliches historisches Ereignis in Raum und Zeit handelt. Gerade die Tatsache, dass verschiedene Quellen die gleiche Schlussfolgerung zulassen, ist für Historiker von grosser Bedeutung.

Indiz 1: Die Kreuzigung ist in ganz verschiedenen Schriften bezeugt Die Kreuzigung Jesu wird im Neuen Testament oft erwähnt. In allen Evangelien, in verschiedenen Briefen und in der Apostelgeschichte wird sie bezeugt. 48

Später verweist zum Beispiel Kirchenvater Justin (100-166 n. Chr.) in seinen Ausführungen auf Prozessakten, die unter Pontius Pilatus angefertigt wurden. Der römische Historiker und Senator Cornelius Tacitus (55-115 n. Chr.) und der jüdische Feldherr und Geschichtsschreiber Flavius Josephus (37-100 n. Chr.) berichten als ausserbiblische Zeugen einheitlich über die Hinrichtung dieses Jesus und dass dessen Anhänger ihm gegenüber doch nicht untreu geworden seien.

Indiz 2: Das leere Grab Die jüdische Kultusgemeinde behauptete (Matthäus 28,11-15), der Leichnam sei von den Jüngern Jesu gestohlen worden – es war ihr Erklärungsversuch, weshalb das Grab plötzlich leer war. Das Grab war also leer! Von einem nichtleeren Grab ist nirgends zu lesen. Die Jünger hingegen verkündeten die frohe Nachricht, dass Christus aus dem Grabe auferstanden sei – und das taten sie in der Nähe dieses Grabes. Jeder Zuhörer hätte das Grab besuchen können. Ist es vorstellbar, dass sich einfache Leute, Priester und auch Pharisäer den Jüngern angeschlossen

hätten, während der Leib dessen, den sie als auferstandenen Herrn verkündigten, die ganze Zeit über in Josefs Grab verweste? Wenn man alle Zeugnisse sorgfältig und fair abwägt, ist es nach den Gesetzen der historischen Forschung tatsächlich gerechtfertigt zu schliessen, dass das Grab, in dem Jesus bestattet worden war, am Morgen des ersten Ostertages wirklich leer war. Nicht die Spur eines Beweises ist bisher in den literarischen Quellen, Inschriften oder in der Archäologie gefunden worden, die diese Feststellung widerlegen würde.

Indiz 3: Der Gesinnungswandel der Jünger Es gab viele Augenzeugen, die behaupteten, Jesus nach seiner Kreuzigung und Auferstehung lebendig gesehen zu haben: die erwähnten 500 Zeugen, der ehemalige Erzfeind der Gemeinde Jesu, Saulus aus Tarsus, und die zwölf Jünger als geschlagene Mitläufer dieses Jesus. Für den Gesinnungswandel und das Engagement der Anhänger Jesu wird oft die sogenannte «Halluzinationstheorie» angeführt. Angesichts der Tatsache, dass cz 1|06


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kreuz und auferstehung | die auferstehung jesu ...

«Das Matthäusevangelium wäre also nicht, wie bisher vermutet, ein nachträglich verfasster Bericht, sondern das Zeugnis eines möglichen Zeitgenossen des Zimmermanns aus Nazareth.» Die Zeit, 12.03.1996, zu den Forschungsergebnissen von C. P. Thiede

orische Tatsache? es über 500 Menschen waren, die alle zugleich eine solche Halluzination hätten haben müssen, wirkt dieser Erklärungsversuch allerdings unglaubwürdig. Wer würde für eine Halluzination im Angesicht erbitterter Verfolgungen durch die Römer in den Tod gehen wollen? Die Jünger kannten zudem die Bedeutung der Kreuzigung als römische Höchststrafe für Schwerverbrecher und als Fluch Gottes. Jesus schien sowohl persönlich wie auch mit seiner Botschaft gescheitert zu sein – und damit auch seine Jünger. Gott selbst hatte ihn scheinbar fallen lassen. Konnten sich die Jünger nach dieser abgrundtiefen Enttäuschung einfach so versammeln und mutig auf Verkündigungstour gehen? Einfach mit einer selbst erfundenen Geschichte? Ohne tiefste Überzeugung, Jesus wieder lebendig gesehen zu haben, ist diese schnelle und tiefgreifende Wende nicht denkbar! Unmöglich, eine Bewegung, die in der Antike ihresgleichen sucht, so schnell und allen Widerwärtigkeiten zum Trotz entstehen zu lassen.

Indiz 4: Umkehr von Skeptikern Als Pharisäer hasste Saulus aus Tarsus alles, was die Traditionen des jüdischen Volkes störte. Für ihn war die neue Gegenbewegung, das sogenannte «Christentum», wohl der Gipfel der Ketzerei. So verfolgte er Christen und liess sie hinrichten, wann immer er die Gelegenheit cz 1|06

dazu hatte. Aber plötzlich entspannte sich sein Verhältnis zu den Christen, ja er trat ihrer Bewegung sogar bei! Wie konnte das geschehen? Im Brief an die Galater beschreibt er, was ihn dazu gebracht hatte. Als Paulus nun schreibt er eigenhändig, dass er den auferstandenen Christus gesehen habe und von ihm in seine Nachfolge gerufen worden sei. Auch von Jakobus, dem Bruder Jesu, ist bekannt, dass er und seine Familie skeptisch waren in Bezug auf das, was Jesus von sich behauptet hatte. Später berichtet der römische Historiker Flavius Josephus, dass dieser Jakobus als Leiter der Gemeinde in Jerusalem wegen seines Glaubens gesteinigt worden sei – gemäss Paulus war Jesus ihm erschienen.

Indiz 5: Tiefgreifende Änderungen sozialer Strukturen und religiöser Überzeugungen Trotz Zerstreuung und Verfolgung bewahrten sich die Juden ihre nationale Identität. Glaube, Gesetz, Lebensstrukturen und Rituale unterschieden sie von heidnischen Völkern. Obwohl Jesus Christus als Sohn Gottes in dieses Unterscheidungs- wie Überlebenssystem hineinbrach, waren kurze Zeit nach seiner Kreuzigung Juden bereit, soziale Strukturen aufzugeben oder zu verändern, deren soziologische und theologische Bedeutung ihnen schon mit der Muttermilch eingegeben wurde:

• Tieropfer darbringen als Sühne für ihre Übertretungen: Nun brauchten sie das nicht mehr. • Gehorsam gegenüber den Gesetzen, die Gott ihnen durch Mose anvertraut hatte: Auf einmal sagten Juden, dass es nicht ausreichte, das Gesetz von Mose einzuhalten, um als rechtschaffenes Mitglied ihrer Gemeinschaft zu gelten. • Die jahrhundertlange Tradition, den Sabbat zu halten, begann sich zu ändern: Der Sonntag als besonderer Tag des Herrn bekam immer grössere Bedeutung. • Die Erwartung, dass der Messias ein politischer Führer sein werde: Seine Nachfolger erkannten diesen Jesus als den, der für die Vergehen der Welt stellvertretend gestorben war und erst noch wieder lebte.

Indiz 6: Das Entstehen der Kirche trotz erbitterter Verfolgung Ein Blick auf das erste Jahrhundert kann diesbezüglich sehr aufschlussreich sein. Wem hätte man wohl eher eine Chance gegeben: dem Römischen Reich oder der zusammengewürfelten Schar von Leuten, deren Hauptbotschaft lautete, dass ein gekreuzigter Handwerker aus einem kleinen Dorf über den Tod triumphiert habe? Botschaft und Lebenszeugnis von Jesus Christus breiten sich – trotz Christenverfolgung – bis heute über die ganze Erde aus. 49


VERZWEIFELT Am Glauben verzweifelt Eine persönliche Auferstehungsgeschichte Eigentlich wollte ich mich davor drücken, einen Artikel zum Thema «Auferstehung» zu schreiben ...

Lucia Ewald «Zu viel zu tun. Eine Reise in die USA noch kurz vor Weihnachten. Viel zu persönlich.» So lauteten meine Ausreden. Dann fand ich mich in der Lounge des Frankfurter Flughafens und hatte noch gut zwei Stunden Wartezeit zu überbrücken: Mein Flug hatte Verspätung. Jetzt

Also, mal ganz ehrlich, glauben Sie wirklich daran, dass Jesus am Jüngsten Tag wiederkommt, auf der Wolke schwebt, zuerst die bereits Verstorbenen aus den Gräbern auferweckt und dann uns, seine Anhänger? galt keine meiner Ausreden mehr. In meiner 17-jährigen Laufbahn als Christin kam ich öfter an den Punkt, wo ich drängenden, zweifelnden Fragen nicht mehr ausweichen konnte, so wie jetzt mit diesem Text. Die Auferstehung steht im Zentrum eines jeden Christenlebens. Wenn ich nicht wirklich daran glaube, dass Jesus

1 «Das ist der Strand. Das ist das Meer und das da der Himmel

mit den Wolken. Und das ist der Himmel und diese Leute sind im Himmel, weil sie Jesus Christus kennen.» 50

Christus von den Toten auferstanden ist und mir – als gläubiger Frau – vorausgegangen ist, was macht dann diesen Jesus noch so besonders? Was hebt ihn heraus aus all den anderen «Gurus», die vielleicht auch Wunder vollbracht haben? Die Auferstehung ist das zentrale Thema, durch das sich der christliche Glaube von allen anderen Religionen unterscheidet. Also, mal ganz ehrlich, glauben Sie wirklich daran, dass Jesus am Jüngsten Tag wiederkommt, auf der Wolke schwebt, zuerst die bereits Verstorbenen aus den Gräbern auferweckt und dann uns, seine Anhänger? Vor gut zehn Jahren kam ich an eine Wegkreuzung, wo ich dieser Frage nicht mehr ausweichen konnte. Ich lebte damals in Florida, meine Tochter war in der Schule und mein etwa vier Jahre alter Sohn spielte in seinem Zimmer, während ich still im Gebet mit Gott redete. Intellektuell kam ich mit diesem Thema «Auferstehung» nicht zu Rande, obwohl ich alle Bibelstellen dazu kannte. Schliesslich legte ich Gott meinen Zweifel vor seinen Thron. Ich flehte ihn an, mir dieses wahnsinnige Phänomen zu erklären, es mir zu offenbaren. Und wenn nicht? Dies wäre das Todesurteil für mein Christsein

gewesen. Die Auswirkungen wären hart gewesen: Denn alles, was ich damals tat, was und wie ich dachte und wie ich meine beiden Kinder erzog, war auf meinen christlichen Glauben gegründet. So wie Paulus schreibt, wenn er an die rettende Botschaft erinnert und bestätigt: «Ihr habt sie angenommen und darauf euer Leben gegründet» (1. Korinther 15,3). Während ich mit Gott um diese Frage rang, ging ich weiter meiner Hausarbeit nach. Etwa eine halbe Stunde später bat mich mein Sohn, in sein Zimmer zu kommen, er wolle mir etwas zeigen. Das passte mir gerade weniger, aber ich ging trotzdem. Er hatte mit Fenstermalkreide ein Bild auf sein Fenster gemalt. Eigentlich war ich innerlich mit meinen tiefgehenden Zweifeln beschäftigt, aber ich hatte das «Gefühl», ich sollte nachfragen, was er gemalt habe. So fragte ich ihn, und er erklärte mir, auf seinem Bett stehend, bereitwillig sein Werk. Mein Sohn sprach damals ausschliesslich Englisch. Und das war gut, da es im Englischen zwei verschiedene Bezeichnungen für «Himmel» gibt. Mit «sky» ist der irdische Himmel mit den Wolken gemeint und mit «heaven» der «himmlische Ort». Er begann1: «This is the beach. cz 1|06


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kreuz und auferstehung | am glauben verzweifelt

This is the ocean and this the sky. And this is heaven. And these – », jetzt drehte er sich um und schaute mir direkt in die Augen, «these people are in heaven, because they know Jesus.» Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich diese Begebenheit erzähle. Gott hat meinen kleinen, vierjährigen Jungen gebraucht, um mir das Phänomen der Auferstehung zu erklären. Das Zimmer meines Sohnes verwandelte sich in einen heiligen Ort, weil Gott sich herabgelassen hatte, mir in meinen schlimmsten Zweifeln persönlich zu

Und noch etwas ... Gott hatte Humor: Vor meiner Abreise in die USA wurde es sehr eng, ich hatte alles geschafft bis auf den Auferstehungsartikel. Am Flughafen angekommen, erfuhr ich, dass mein Flieger zwei Stunden Verspätung hatte, ich setzte mich also in die Lounge, bestellte mir einen Capuccino und ein

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begegnen. Ich machte sogar ein Foto von dem «Gekritzel» meines Kindes. Es war das erste Mal, dass er ein Bild mit religiösem Inhalt gezeichnet hatte. Heute kann ich mir mit meinem begrenzten Gehirn immer noch nicht vorstellen, wie ein verklärter, auferstandener Körper aussehen wird, aber ich glaube seither ganz fest – ohne den geringsten Zweifel –, dass ich und alle, die an Jesus Christus glauben und ihn bekennen, mit ihm auferstehen werden. Es geht nicht darum, an einen Gott zu glauben, einer Religionsgemeinschaft anzugehören. Es geht da-

Glas Wasser und fing an zu schreiben. Das heisst, ich wollte. Denn zu allem Überdruss fragte die Bedienung auch noch, was ich denn schreibe. Sie war aus dem ehemaligen Osten und hatte als Atheistin noch nie etwas von Auferstehung gehört. Eine gute Gelegenheit, ihr das Evangelium zu erklären ...

rum, Jesus zu kennen und eine persönliche Beziehung zu ihm zu haben. Wer Jesus hat, der hat das ewige Leben. «Am Anfang war das Wort. ... und das Wort war Gott selbst. ... Das Wort wurde Mensch und lebte unter uns» (Johannes 1,1-18). Daher kann ich heute voll Zuversicht mit Paulus sagen: «Wir glauben doch, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Darum vertrauen wir auch darauf, dass Gott alle, die im Glauben an Jesus Christus gestorben sind, auferwecken wird. Wenn er kommt, werden sie dabei sein» (1. Thessalonicher 4,14). Ja, das glaube ich.

• Lucia Ewald ist Chefredaktorin des Magazins «Impulse», unserer Schwesterzeitschrift von Campus für Christus Deutschland.

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G L A U B E N

«Wäre die Auferstehung nicht geschehen Jesu Auferstehung – Symbol oder Tatsache? Die Auferstehung Jesu ist schon immer bestritten und abgelehnt worden. Was ist der Grund dieser Ablehnung, und wie können wir ihr als Christen begegnen? Ein Gespräch mit Johannes Heinrich (Heini) Schmid, emeritierter Honorarprofessor für Systematische Theologie an der Universität Bern.

Fritz Imhof Herr Professor Schmid, Sie haben ein Buch über dieAuferweckung Jesu aus dem Grab geschrieben. Warum ist Ihnen persönlich die Auferstehung Jesu wichtig? Heini Schmid: In der Auferstehung von Christus geht es um etwas Grundsätzliches, ja eigentlich um das Ganze des christlichen Glaubens. Man kann nicht einfach auch noch an die Auf-

Mit der Auferweckung Jesu wurde eine Dimension eröffnet, die nicht mehr zum gewöhnlichen Leben gehört. Sie war ein Durchbruch der Macht Gottes in die Todeswelt hinein. erstehung glauben. An Jesus Christus glauben heisst, an ihn als den Gekreuzigten und Auferstandenen zu glauben. So gesehen ist die Auferstehung Jesu eine Grundtatsache des christlichen Glaubens. Wäre die Auferstehung nicht geschehen, gäbe es den christlichen Glauben gar nicht. Mich fasziniert auch der Zusammenhang zwischen Wirklichkeit und Wahrheit, zwischen Geschehen 52

und Bedeutung. Denn in der Auferweckung Jesu liegt das sehr nahe beieinander. Wir können nicht an die Auferweckung Jesu glauben, ohne zu sehen, dass Gott darin gehandelt hat. Er hat seinen Sohn körperlich auferweckt und damit auch gerechtfertigt. Er hat damit das ganze Leben Jesu und sein Sterben und den Sinn seines Sterbens als Sühnetod für uns bestätigt. In der Auferstehungs-Botschaft ist darum immer auch die Kreuzesbotschaft mitenthalten. Schon früh wurde dieAuferstehung heftig bestritten. Ist sie eine Provokation? Sie durfte für die Juden nicht wahr sein, und die Griechen fanden sie unmöglich und lächerlich. Mit der Auferweckung Jesu wurde eine Dimension eröffnet, die nicht mehr zum gewöhnlichen Leben gehört. Sie war ein Durchbruch der Macht Gottes in die Todeswelt hinein. Und damit wurden auch die Kategorien, in denen wir denken, gesprengt. Schon früh wurde die Frage nach der Analogie, nach einem entsprechenden

Ereignis gestellt. Celsus hat ums Jahr 180 eine Streitschrift geschrieben, in der er fragt: «Hat man das irgendwann erlebt, dass ein Toter zu unvergänglichem Leben auferweckt wurde?» Und seine Antwort hiess: «Nein!» Wenn es aber keine Analogie gab, konnte auch Jesus nicht auferstanden sein. Auch die ersten Jünger haben gezweifelt. Ja, sie hatten zwar viel mit ihm erlebt und waren Zeugen seiner Wunder und Auferweckungen. Aber alles, was sie zuvor erlebt hatten, war daran gebunden, dass Jesus mit ihnen lebte. In ihm hatte sich die Macht Gottes kundgetan als Macht des Heils, der Vergebung, der Heilung, der Gemeinschaft und als Macht der Liebe. In der Kreuzigung mussten sie erleben, dass der Träger der Macht Gottes selbst nicht mehr lebte, und man muss sich vorstellen, wie tief das ihr Leben berührte. In der Auferweckung Jesu und in seinen Erscheinungen machten sie dann eine Erfahrung, die für sie völlig neu war. Die Erscheinung seiner leiblichen, konkreten Gegenwart überzeugte sie: Gott hat cz 1|06


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kreuz und auferstehung | «wäre die auferstehung ...»

n, gäbe es den christlichen Glauben gar nicht»

an Jesus in einer bisher unbekannten Weise gehandelt. Die Hinterfragung und Umdeutung der Auferweckung erleben wir auch in der Neuzeit. Die Aufklärung verursachte einen starken Bruch in der Weltsicht, zu der bisher der Glaube an einen Himmel und eine Hölle gehört hatte. Glaube und Wissen gehörten bislang zusammen. Die Aufklärung richtete dagegen die Herrschaft der Vernunft auf. Was man nicht beweisen und sehen konnte, daran durfte man jetzt zweifeln. Man begann, am Transzendenten zu zweifeln, und es entstand eine Weltanschauung des rein Diesseitigen. In einem solchen Weltbild hat eine Auferweckung keinen Raum mehr, auch die Wunder nicht. Der deutsche Theologe Gerd Lüdemann behauptet, der tote Jesus sei im Grab geblieben und seine Auferweckung habe bloss im subjektiven Erleben seiner Anhänger stattgefunden. Die Forschung stellte fest, dass das Ostergeschehen in den damals beteicz 1|06

ligten Menschen viel bewirkt hat. Es gibt keinen Zeugen der Auferweckung Jesu, der nicht zum Glauben gekommen wäre. Im Zusammenhang mit

Wir erleben einen radikalen Wandel in unseren Herzen, wenn wir die Furcht vor dem Tod verlieren und Jesus der absolut Massgebende für uns wird. der Auferweckung Jesu kam es zu fundamentalen Umwälzungen. Die moderne Zeit, in der die Psychologie eine grosse Rolle zu spielen begann, fokussierte nicht mehr den objektiven Tatbestand der Auferweckung, sondern die subjektive innere Erfahrung. Das Erleben konnte man viel weniger bestreiten als die objektive Tatsächlichkeit. Dafür haben wir ja unwiderlegbare Zeugnisse wie etwa jenes von Paulus. Auch an Aposteln wie Petrus, der zu einem unerschrockenen Zeugen wurde, ist diese Umwälzung sichtbar. Lüdemann ist gerade darin radikal: Er anerkennt, dass in den Menschen etwas geschehen ist und

sie eine andere Sicht von Jesus bekamen. Psychologisch erklärbar ist das durch Visionen, die eben nicht objektive Tatbestände in Raum und Zeit sind, sondern innerseelische Phänomene bei Menschen, die eine Umwandlung erlebten. Wie antworten Sie darauf? Lüdemann macht uns darauf aufmerksam, dass wir nicht von der Auferstehung Jesu reden sollten, ohne das Augenmerk auf diejenigen zu richten, die Augenzeugen der Auferweckung wurden. Es gibt die Erstzeugen, die den Auferstandenen gesehen haben. Und es gibt Zweitzeugen, zu denen wir selbst gehören, wenn uns Gott durch seinen Geist die Wirklichkeit der Auferweckung Jesu zeigt. Wir erleben einen radikalen Wandel in unseren Herzen, wenn wir die Furcht vor dem Tod verlieren und Jesus der absolut Massgebende für uns wird. Lüdemann hat allerdings nicht erkannt, dass Kreuz und Auferstehung Jesu unauflöslich zusammengehören. Für Paulus ist ja das Kreuz Jesu als Geschehen zu unserer Versöhnung 53


• Professor Dr. Heini Schmid vor einemBild vonAlois Carigietmitdem gekreuzigten und auferstandenen Christus vor einer Bßndner Kulisse.

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kreuz und auferstehung | «wäre die auferstehung ...»

mit Gott untrennbar mit der Auferstehung verbunden. Weshalb wird vor allem die leibliche Auferstehung geleugnet? Man kann Begriffe wie «Tod», «Sterben» und «Auferstehung» auch im übertragenen Sinne brauchen. Wichtig ist: Bei Tod und Leben handelt es sich nicht um Symbole, sondern um Realität. Jesus wurde mit seinem Leib gekreuzigt und ist in seinem Leib gestorben und begraben worden. Wenn der Tod den Leib nimmt, muss die Auferstehung ebenso konkret sein.

Der Tod muss dort besiegt werden, wo er zugeschlagen hat, und er hat am Körper Jesu zugeschlagen. Man kann nicht einem körperlichen Geschehen ein rein symbolisches Geschehen entgegensetzen. Das Schwierige an der Auseinandersetzung ist: Während die frühere liberale Theologie die Auferstehung grundsätzlich bestritt, reden moderne Theologen von Auferstehung, verstehen sie aber bloss symbolisch. Zum Beispiel als ein «Auferstehen der Botschaft Jesu von der Liebe Gottes und seiner Vergebung». «Jesus ist ins Wort hinein auferstanden», sagt moderne Theologie zum Beispiel. Was ist Ihre Antwort darauf? Wo die leibliche Auferstehung geleugnet wird, werden auch das Königtum von Jesus, seine Himmelfahrt, seine leibliche Wiederkunft und sein Sühnetod geleugnet. Jesu Tod wird dann nur als Märtyrertod verstanden. Dazu ist zu sagen: Der Tod muss dort besiegt werden, wo er zugeschlagen hat, und er hat am Körper Jesu zugeschlagen. Man kann nicht einem körperlichen Geschehen ein rein symbolisches cz 1|06

Geschehen entgegensetzen. Wenn Jesus nur symbolisch auferstanden wäre, gäbe es für uns keine Auferstehungshoffnung. Lüdemann meint, an den Wirkungen festhalten zu können, ohne dass es dafür eine objektive Ursache gebe. Das ist schon rein wissenschaftlich fragwürdig. Er verwechselt die Ursache mit der Wirkung, er zäumt das Pferd am Schwanz auf. Jesus ist bei ihm im Grunde genommen nur noch der grosse Lehrer. Als Leugner der Auferstehung kann Lüdemann auch das Kreuz nicht richtig deuten. Lüdemann pocht sehr auf die «Erfahrung» – wie eigentlich viele Christen heute auch ... Das stimmt. Erfahrung an sich ist aber kein Wahrheitsbeweis. Vieles ist schon erfahren worden, was auf Illusionen beruhte. Denken wir nur an die Begeisterung im Nazireich oder bei der kommunistischen Revolution. Ich plädiere nicht generell gegen Erfahrungen. Es kommt aber darauf an, was die Erfahrung verursacht hat und wie sie interpretiert wird. In der Bibel gibt es viele starke Erfahrungen, aber über der Erfahrung stehen das Wort und das wirkliche Geschehen. Ostern war für die Jünger nicht in erster Linie eine Erfahrung, sondern reale Begegnung mit dem Auferstandenen in Raum und Zeit. Er kam zu ihnen mit dem Friedensgruss und beauftragte sie, Zeugen seiner Auferstehung zu sein. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass wir in den Osterberichten der Evangelien nur Frauen als ersteAuferstehungszeugen haben. Schon das allein ist ein Zeugnis für die Glaubwürdigkeit des Ostergeschehens. Laut allen vier Evangelien ist ausserdem die Auferweckung am dritten Tag geschehen. Es ist ein Beweis für die Nüchternheit der biblischen Erzählung, dass

Die Macht des Todes hängt eng mit der Macht der Sünde und der Schuld des Menschen zusammen. die Evangelien nichts über das Geheimnis des Auferstehungsvorgangs sagen. Inwiefern ist die Auferstehung für uns heute so wichtig? Wir leben in einer Todeswelt, die für viele mit Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit erfüllt ist. In diese Welt hinein kommt die Osterbotschaft: Gott will das Leben des Menschen, nicht seinen Tod. Zu jeder Osterpredigt gehört das Zeugnis: Jesus ist auferstanden – auch du wirst auferstehen zu einem ganzheitlichen neuen Leben nach Körper, Seele und Geist. Ähnlich wie der Auferstehungsleib Jesu wird auch unser Körper einer neuen Dimension angehören. Die Auferstehungsbotschaft macht dem Menschen Hoffnung, dass Gott ein vollständiges Ja zum Leben hat und dass die Macht des Todes durch den Tod Jesu besiegt ist. Die Macht des Todes hängt eng mit der Macht der Sünde und der Schuld des Menschen zusammen. Aufgrund der Auferweckung und im Glauben an den Auferstandenen dürfen wir wissen: In Gott ist alles gut, du darfst mit ihm versöhnt sein, zur Gemeinde der Erlösten, zur Auferstehungsgemeinde gehören, und du wirst mit andern Augen in diese Welt, in welche die Herrlichkeit Gottes noch nicht voll durchgebrochen ist, hineinblicken.

Dieses Interview erschien erstmals am 10.4.2004 auf «Livenet». Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und Professor Dr. H. Schmids. 55


Du bist als Stern uns aufgegangen Text: Jochen Klepper, 1939

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Du bist als Stern uns aufgegangen, von Anfang an als Glanz genaht. Und wir, von Dunkelheit umfangen, erblicken plötzlich einen Pfad. Dem Schein, der aus den Wolken brach, gingen wir sehnend nach. Am Ende unserer weiten Fahrten gabst du uns in dem Stalle Rast. Was Stroh und Krippe offenbarten, ward voll Erstaunen nur erfasst. Die Zeichen blieben nicht mehr Bild, Verheissung war erfüllt. Und über Stall und Stern und Hirten wuchs Golgatha, dein Berg, empor. Nah vor den Augen der Verirrten trat aus der Nacht dein Kreuz hervor. Dort neigtest du für uns dein Haupt. Da haben wir geglaubt. Vor deines Felsengrabes Höhlung ward hart und schwer ein Stein gestemmt. Am Morgen kamen wir zur Ölung und fanden nur dein Totenhemd. Kein Fels hat deinen Weg gewehrt. Wir folgten, Herr, bekehrt. In deines Herzens offene Wunde hast selbst du unsere Hand gelegt, uns bis zu deiner Abschiedsstunde mit Brot und Wein bei dir gehegt. Die Wolke, die dich aufwärts nahm, trug uns aus Angst und Scham. Als eine Taube, lichtumflossen, hast du dich sanft herabgesenkt, uns mit dem Feuerglanz begossen und die Verlassenen beschenkt. Denn weil der Himmel offen steht, gabst du uns das Gebet. Durch Stern und Krippe, Kreuz und Taube, durch Fels und Wolke, Brot und Wein dringt unaufhörlich unser Glaube nur tiefer in dein Wort hinein. Kein Jahr vor unserer Zeit verflieht, das dich nicht kommen sieht.

Jochen Klepper (1903-1942) war Journalist, Schriftsteller und einer der bedeutendsten geistlichen Liederdichter des 20. Jahrhunderts. Kurz nach seiner Eheschliessung mit Johanna Stein, die Jüdin war und zwei Kinder in die Ehe mitbrachte, wurde die Familie durch die Nazis zunehmend verfolgt. Als der Frau und der jüngeren Tochter die Deportation drohte, schied die Familie 1942 freiwillig aus dem Leben.


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