08_1_Liebe

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Zeitschrift der 端berkonfessionellen Bewegung Campus f端r Christus Schweiz

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LIEBE


I N H A L TE D I T O R I A L liebe | inhalt

liebe | editorial

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Inhalt

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ZUM THEMA

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Agape-Liebe: Ein zu hoher Anspruch? Vier Wahrheiten von Andrea-Giorgio Xandry

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Wie würde Jesus mit Esoterikern umgehen? Lernen von seinen Begegnungen mit Samaritern

Samaritergeschichten «Wir werden das nie vergessen» Obdachlose Teenager vor der Tür

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Adrian Hofmann als Esel im Einsatz Spontaner Tragauftrag im Bahnhof Liebe verteilen, nicht verwalten Besuch bei Bruder Benno-Maria Kehl

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Mann nach Herzinfarkt wiederbelebt Corina und Mark Bertschi leisten Nothilfe

Entscheide über Sieg oder Niederlage

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«Wenn nur der andere endlich ...!» Peter Höhn betet um «Feindesliebe» im Alltag

Das Beste für Gott geben Historisches Beispiel von Waisenvater Georg Müller

«Kennst du eine intakte Familie?»

Peter Höhn

Christliches Theater auf säkulare Bühnen!

Kolumnen «Filmtipp» und «Gedanken zwischen Büchern»

Zurück ins Leben auf der «Granja Agape» Resozialisierung harter Jungs in Argentinien

Fredy Staub und Andreas Boppart schreiben

HINWEISE

Gemeinden mit Herz Wie Nächstenliebe praktisch wird

Kolumnen «Medien» und «Farbe bekennen»

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Markus Baumgartner und René Bregenzer

Schwierige Liebes-Lektionen

CFC National Einsätze für Eisenbahner, Studierende und Familien

CFC International

«Liebst du die Menschen?» Pfarrer Urs Hitz vor seiner Schlüsselfrage Wenn Liebe auf Granit stösst Ein Flüchtling lernte, Mitarbeitende zu lieben

Kolumne «beziehungsweise» Sabine Fürbringer über Beziehungen im Quartier

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Für Sie gelesen zum Thema

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Agenda/Inserate /Impressum

Vier Buchrezensionen der Redaktion

RÜCKSEITE

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Eigentlich wäre die Liebe das Herzstück des christlichen Lebens und Glaubens. Aber es scheint mir, dass Christen zunehmend von anderen Kräften bewegt, gezerrt und gestossen werden. Kräfte, um der Welt gerecht zu werden, wie Professionalisierung, Säkularisierung, Politisierung, Globalisierung – oder dann Kräfte, die dem Ego zudienen wie Hedonisierung (Lustmaximierung), Individualisierung, Psychologisierung, Spiritualisierung (Vergeistlichung). Viele dieser Kräfte bestimmen «christliches» Leben und Tun oft mehr als die einfache Liebe. Vielleicht ist gerade das der Grund, weshalb vieles in unseren Ehen, Familien, Gemeinden, Werken zurzeit einfach nicht mehr so läuft, wie wir es gerne hätten. Bemerkenswert finde ich, dass die (fehlende) Liebe kaum je genannt, gesucht oder verzweifelt im Gebet erbeten wird. Sie scheint auf der Strecke zu bleiben. Besonders dann, wenn Nöte, Konflikte oder Sachzwänge so laut schreien, dass weder Glaube noch Kraft bleibt, an die Option «Liebe» überhaupt zu denken.

Newsticker und Pilgerprojekt am Jakobsweg

Gott weiss immer einen Weg Meiers Neustart in der Beziehung und im Glauben

Editorial Der Option «Liebe» trauen

Das Wort des Missionsleiters Hanspeter Nüesch

REPORTAGE

Kolumnen «von Wegen!» und «New Generation»

«Wartet nicht, bis es zu spät ist» Spielfilm über die Vater-Kind-Beziehung

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Interview mit Dr. med. Kirstin Arp und Dr. med. Lukas Kiener

Andy Schindler-Walch und Manuela Richard

Alle haben wir etwas zu geben Brigitte Eggmann begegnet einem «Junkie»

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Vergebung und Versöhnung nähren die Liebe

Gebet von Franziskus von Assisi Herr mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens

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Wenn die Liebe aber Raum bekommt, dann wird sie zur stärksten lebensverändernden Kraft, wie das Ehepaar Meier im Porträt bezeugen kann. Meiers und andere Menschen, die in diesem Heft zu Wort kommen, haben aber auch erfahren: Liebe ist ein gottgegebenes Potenzial, das wie ein künstlerisches Talent unter viel Schweiss und Tränen entfaltet, geübt und in die rechte Bahn gelenkt werden will. Liebe ist keine Schleuderware, sondern muss, wie Kirstin Arp und Lukas Kiener im Interview zeigen, situationsgerecht eingesetzt werden und manchmal auch klare Grenzen setzen.

Liebe lernen beginnt damit, immer wieder im Alltag innezuhalten und Gott zu fragen, was denn hier und jetzt Nächstenliebe überhaupt heisst.

Aber jeder von uns ist berufen, auf seine eigene Weise ein Liebender zu werden. Lassen Sie sich von Regula Schudel, Urs Hitz, Fernando Orellano und anderen inspirieren, in welcher Weise Gottes Geist auch Ihr Lehrmeister in Sachen Nächstenliebe sein kann. Die zwischenmenschlich zuweilen frostige Grosswetterlage in Kirche und Gesellschaft ruft die Christen mehr als zu allem anderen zu einem neuen Frühling der Nächstenliebe. Wollen wir nicht gerade da, wo es kälter geworden ist, Gott bitten, dass es in den Beziehungen zu unseren Nächsten wärmer und erlöster wird? Denn wenn Christen der Welt etwas zu bringen haben, ist es weder Fachwissen noch «Besserwissen», sondern schlichte, tätige Nächstenliebe. Peter Höhn

Die Botschaft dieser Ausgabe lautet deshalb zum einen: Christen, wagt es, der Liebe zu trauen! Zum andern: Seid bereit, Liebe zu lernen, so wie Jesus sagte: «Geht hin und lernt, was es heisst: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer» (Matthäus 9,13; 12,7). Liebe lernen beginnt damit, immer wieder im Alltag innezuhalten und Gott zu fragen, was denn hier und jetzt Nächstenliebe überhaupt heisst. Natürlich hat nicht jeder von uns die Berufung, wie ein Bruder Benno zu leben. 3


ERLEICHTERT

liebe | agape-liebe: ein zu hoher anspruch?

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Vier Arten der Liebe im Neuen Testament:

Eros

Agape-Liebe: Ein zu hoher Anspruch? Wie können wir die Liebe Gottes besser verstehen? Weder bei Gott, noch beim Nächsten, noch bei mir selbst gelang mir die Agape-Liebe der vielen «Du-sollst-Predigten». Bis ich vier Wahrheiten entdeckte, die mich erleichterten und auf einen neuen Weg wiesen.

Andrea-Giorgio Xandry Eigentlich leuchtete mir schon lange ein, was im Markus-Evangelium 12,29-31 steht: «Höre, Israel ... du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und von allen deinen Kräften ... und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.» – Und so wollte ich es auch tun. Warum nur gelang es mir auf keiner Ebene so, wie ich dachte, es hätte zu sein? In meiner Not beschloss ich, tiefer in Gottes Wort zu forschen, und fand vier überraschende Einsichten:

Ich werde! Im griechischen Text des grössten Gebots steht nicht «du sollst lieben», sondern «du wirst lieben»! Interessant, der göttlich inspirierte Bibeltext sagt mir also, dass ich es – wann auch immer es sein wird – tun werde. Vielleicht nimmt das Lieben auch so zu, dass ich es kaum bemerke? Oder werde ich es «so nebenbei» tun, wie es der gute Samariter tat, der sich neben seinen Geschäften um den Überfallenen kümmerte? Oder ist es die Hoffnung auf die Zeit, in der ich nicht mehr in diesem Körper lebe, sondern in der Herrlichkeit? Ich weiss es nicht. Ich weiss sowieso nicht, wann ich so liebe, 4

wie Christen es tun sollten. Aber es tröstet mich, dass es nicht nur mir so geht, sondern auch vielen anderen Menschen, die ich kenne. Und dass es sogar ganzen Völkerschaften so ergeht, wie wir in Matthäus 25,31-46 lesen. Diese wussten nicht einmal, wann sie den Mitmenschen – und somit dem Herrn – Gutes taten. Ich werde Gott lieben, und ich werde den Nächsten lieben wie mich selbst – eine gute Botschaft!

Was werde ich tun? Ich werde lieben aus Achtung (siehe Kasten). Das stärkste griechische Wort im Neuen Testament, agapao, weist uns ja auf eine göttliche Komponente hin. Lieben lässt mich zuerst einmal Achtung empfinden. Ich werde Gott achten, den Nächsten achten – und mich selbst. Diese «aus Achtung entstandene Liebe» kann ich sogar auf meine Feinde übertragen. Jemand sagte: «Von meinen Feinden kann ich oft mehr lernen als von meinen Freunden!» Zum Achtung-Empfinden gesellt sich das Staunen. Ich darf über Gott staunen, über meinen Nächsten staunen – und sogar über mich selbst! Wenn ich dazu jeden Moment meines bewusst gelebten Lebens bereit bin, werde ich aus der Agape-Liebe nicht mehr herauskommen!

Eine zweite Entdeckung machte ich in der Bergpredigt, in Matthäus 5,44-48. Allerdings erschlug es mich jeweils fast beim Lesen, besonders bei Vers 48, und ich fragte mich, wie ich das je erreichen sollte: So «vollkommen sein wie Gott in den Himmeln»? Jedoch dachte ich mir: Wenn Jesus es sagt, muss es auch einen erreichbaren, praktisch anwendbaren Sinn haben. Ich forschte weiter im Worte Gottes, aktivierte meinen Denksinn und fand schliesslich Folgendes: 1. Vollkommenheit ist laut dem Text gebunden an Liebe. 2. «Vollkommen», teleios im Urtext, wird an anderen Stellen (Epheser 4,13) als «erwachsen, reif» bezeichnet. 3. Also muss ein Weg dazu existieren, weil ja keiner von uns Menschen ausgereift geboren wird. – Wir finden diesen Weg bei Lukas: Jesus ergänzt hier seine Aussagen der «Matthäus-Bergpredigt» mit seiner «Predigt in der Ebene» (vgl. Lukas 6,17). In Lukas 6,32-36 sagt er nach seinen Worten über die Liebe nicht mehr: «Seid nun vollkommen wie euer Vater ist!», sondern «Werdet barmherzig wie euer Vater barmherzig ist!» SEID VOLLKOMMEN ist laut der Matthäus-Aussage ein zu erstrebender zukünftiger Zustand. Und WERDET BARMHERZIG wäre laut der Lukas-Aussage ein Weg dazu. Und das führte zur dritten Einsicht. cz 1|08

Wo fange ich damit an? Bei der Barmherzigkeit! Barmherzig sein heisst nur in einer Bedeutung «Almosen geben». Meistens fängt die Barmherzigkeit woanders an: Im Alltag meines Denkens und Redens. Zum Beispiel, dass ich Gott nichts unterstelle und meinem Nächsten nichts unterstelle. Mir selbst unterstelle ich ja auch nichts. Verstehe ich etwas von Gott her nicht, denke ich «barmherzig» bei der Sache. Ich denke: Gott wird es schon gut meinen und es gut zum Ende führen. Höre ich etwas über meinen Nächsten oder sehe ihn – meiner Ansicht nach – gar etwas Unverständliches oder Schlechtes tun, dann will ich «barmherzig» sein und ihm erst einmal nichts Schlechtes unterstellen. Das wird mein Reden über ihn stark beeinflussen. Meine eigene Agape-Liebe ist nur sehr schwer – wenn überhaupt – messbar für mich. Aber meine Barmherzigkeit kann ich erkennen. Und darin zunehmen, wenn ich will. – Schliesslich half mir eine vierte Entdeckung.

ins Leben zurück, fuhr gen Himmel und sandte den Heiligen Geist auf die Erde. Dieser Geist kommt nun IN die Menschen, die an die Erlösung Jesu glauben. Der Heilige Geist ist der Geist von Jesus. Somit wohnt Jesus IN den Gläubigen. Jesus liebt in und durch uns, mit seiner Agape-Liebe. Es «geschieht in uns» – es «liebt in uns durch ihn», etwas seltsam ausgedrückt. Er hilft uns, sein neues Gebot aus Johannes 13,34 zu erfüllen: «Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe ...» Und genau das tut er selbst in uns, wenn wir Johannes 15,4 beherzigen: «Bleibt in mir und ich in euch.» Lassen wir Jesus in uns anderen gegenüber Achtung zeigen – und staunen! Und geben wir der Barmherzigkeit im Denken und Reden über Gott, über andere – und uns selbst – Raum. Achten wir auf diesen inneren Werdegang. Er wird uns Schritt für Schritt aus dem Dilemma heraushelfen, selbst – und allein – lieben zu müssen!

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Storgä storgä ist die kindliche und elterliche Liebe oder Zuwendung. Sie kommt im Neuen Testament nur in zusammengesetzten Eigenschaftswörtern vor: astorgos, «lieblos» (Römer 1,31; 2. Timotheus 3,5) oder philostorgos, «geschwisterlich zugewandt»(Römer 12,10) – so solle nämlich, schreibt Paulus, unsere Bruderliebe (philadelphia) sein.

Philia philia ist die freundschaftliche Liebe (Jakobus 4,4). Das dazugehörige Adjektiv heisst philos, mit «lieb, freundlich, befreundet, teuer, wert» und «Freund» (Jakobus 2,23)übersetzt. Der Wortstamm phil- wird im Neuen Testament häufig gebraucht und bezeichnet das Lieben der natürlichen Neigung, zum Beispiel in der Menschenliebe (philanthropia, Apostelgeschichte 28,2, Titus 3,4), der Geldliebe (philargyria, 1. Timotheus 6,10) oder in der Gastfreundschaft oder Fremdenliebe (philoxenia, Römer 12,13; Hebräer 13,2).

Agape

Liebe geschieht in mir! Jesus hat das ganze Gesetz erfüllt (Matthäus 5,17) durch seinen Tod (Kolosser 1,22). Da steht nichts mehr gegen mich, wenn ich dies für mich annehme. Das wird den meisten bibeltreuen Christen bekannt sein. Ist jedoch ebenso bekannt, dass Jesus das GANZE Gesetz erfüllt hat, somit auch das der Liebe? «Du sollst/wirst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst» ist ein Teil des Gesetzes, das kein Mensch halten konnte oder kann – sonst hätte es Jesus nicht für uns halten und erfüllen müssen. Nach seinem Tod kam er

Der Ausdruck eros kommt als einzelnes Wort nicht im griechisch geschriebenen Urtext des Neuen Testaments vor. Wir finden eros nur versteckt im Namen Erastos, in Apostelgeschichte 19,22; Römer 16,23 und 2. Timotheus 4,20. Ausgerechnet der heutzutage fast allgegenwärtige Eros ist nur in einem Namen eingebettet! Die erotische Liebe können wir bestenfalls in Texte wie Epheser 5,28-31 oder 1. Thessalonicher 4,4-5 oder 1. Korinther 7,2-5 hineindenken – ausdrücklich finden wir sie aber dort nicht!

• Andrea-Giorgio Xandry, Jahrgang 1944, verheiratet mit Eva, fünf erwachsene Kinder, Kunststudium, sieben Jahre Werbeagentur, zwanzig Jahre Pastor. Heute tätig als Mentor,

agape ist das stärkste und wichtigste Wort für «Liebe» im Neuen Testament. Das dazugehörige Verb heisst agapao (lieben) und weist direkt auf Gottes Liebe hin, nämlich auf «die sich hingebende, aufopfernde, göttliche, sittlich hochstehende Liebe», besonders von Gott zu Mensch, aber auch umgekehrt. Das Schulwörterbuch Benseler betont agapao als «hochschätzen»; ergänzt mit dem Verb agapazo «liebreich aufnehmen», entwickelt sich seine Bedeutung zu «lieben infolge von Achtung». Das Wörterbuch von Schirlitz sieht bei agape/ agapao eine Verwandtschaft mit agamai «staunen, sich wundern» und betont agape als «die aus Achtung entspringende Liebe».

Bibel- und Griechischlehrer (www.xandry.ch). 5


A LT E R N AT I V E

liebe politisches | wie würde engagement jesus mit | wir esoterikern leben heute umgehen? und …

Wie würde Jesus mit Esoterikern umgehen? Lernen von seinen Begegnungen mit den Samaritern

In sozialen Berufen arbeiten sie beide gerne: Bekennende Christen und Menschen, die ganz anders denken, Menschen, die offen sind für esoterisches Gedankengut und alternative Heilmethoden. Wie sollen sich die Christen verhalten?

Regula Schudel «Ihr Leute aus dem christlichen Umfeld habt immer Mühe mit diesen Dingen!», ärgerte sich ein Arbeitskollege. Es ging an meiner neuen Arbeitstelle um alternative Heilmethoden. Man erwartete von mir Offenheit dafür. Das war vor einigen Jahren, und ich weiss nicht mehr, wie ich reagierte. Aber ich beschloss, in der Bibel zu forschen und dort eine gute Wegleitung zu finden. Doch zunächst fand ich an meiner Arbeitsstelle Menschen, die sich vom

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Schicksal anderer Menschen betreffen lassen, feine Kolleginnen, mit denen ich gerne zusammenarbeite. Und ich musste dem Mitarbeiter recht geben: Christen haben oft Mühe mit Menschen, die alternative oder esoterische Heilmethoden anwenden, und reagieren selbst weder hilfreich noch liebevoll.

in den Samaritern Menschen, die nicht richtig glaubten. Sie mieden tunlichst jeden Kontakt mit ihnen. Nun fragte ich mich: «Wie begegnet Jesus den Samaritern? Was kann ich diesbezüglich von ihm lernen?» Als Erstes schaute ich mir die Begegnung von Jesus mit der Samariterin in Johannes 4,4 ff. näher an.

Wie die Samariter 1

Hilfe annehmen

In der Bibel stiess ich auf die Samariter und erkannte plötzlich viele Parallelen zum Verhältnis zwischen gläubigen Christen und Menschen mit esoterischer Prägung. Die frommen Juden sahen damals

Müde von seiner Reise setzt sich Jesus an einen Brunnen. Da kommt eine samaritische Frau. Jesus bittet sie um Wasser. Sie reagiert völlig erstaunt, weil Juden mit Samaritern keinen Kontakt pflegen.

Samariter im Alten Testament: Nach der Wegführung der Israeliten in die babylonische Gefangenschaft wurden Assyrer im entvölkerten Gebiet angesiedelt. Diese hatten ihre eigenen Götter und vermischten sich mit den zurückgebliebenen Israeliten. Daraus entstanden die Samariter. Sie durften unter Serubabel nicht mithelfen am Tempelbau. Es bestand Feindschaft zwischen den Juden und den Samaritern. Ein Streitpunkt war der Ort der Anbetung. 2. Könige 17,23-41; Esra 4,1-3.

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liebe politisches | wie würde engagement jesus mit | wir esoterikern leben heute umgehen? und …

Unterschied. Ihr betet an, was ihr nicht kennt. Das kann sich unter anderem in einer starken Betonung der verschiedensten alternativen, aber auch herkömmlichen Heilmethoden zeigen. Wir wissen, was wir anbeten. Wir kennen – manchmal nur beschränkt, aber dennoch – einen persönlichen Gott, der zu mir eine Beziehung sucht und mich als unverwechselbare Persönlichkeit kennt und liebt und für mich sorgt. Darum geht es doch, das ist das Wichtigste. Die Frau ist begeistert. Sie scheint ein gutes Beziehungsnetz zu haben, denn sie erzählt ihrem Umfeld so mitreissend von

Wunden2. Jesus ehrt die Samariter, weil er in seinem berühmten Gleichnis ausgerechnet einen Vertreter von ihnen als Beispiel barmherzigen Handelns benutzt!

Dankbarkeit Es gibt noch die Geschichte in Lukas 17,11: Jesus ist auf seiner Reise nach Jerusalem. Unterwegs durchzieht er Galiläa und kommt durch Samaria. Da begegnen ihm zehn aussätzige Männer. Sie rufen Jesus um Hilfe an und bitten ihn, sich ihrer zu erbarmen. Jesus heilt sie. Doch nur ein einziger kehrt zurück und bedankt sich bei Jesus, und das ist ausgerechnet ein Samariter!

Ich wünsche mir, dass wir uns anstecken lassen von der Freiheit und Klarheit, die Jesus im Kontakt mit diesen Menschen zeigte.

Jesus aber bittet sie als Samariterin um Hilfe. Dies öffnet die Türe für das nachfolgende Gespräch.

verurteilt sie wegen ihres Lebenswandels in keiner Weise. Das wirkt. Die Frau sagt: «Ich sehe, dass du ein Prophet bist.»

Ich wünsche mir, dass auch bei uns Christen das Gute, Ermutigende, Aufbauende durchdrückt und nicht das Verurteilende …

Wie komme ich mit Andersgläubigen in Kontakt? Zeige ich mich ihnen gegenüber bedürftig, oder lässt es mein Stolz nicht zu, sie um Hilfe zu bitten? Meine ich, sie müssten in erster Linie von mir Hilfe annehmen? Jesus ist mir da ein Vorbild.

Das Gute sehen und darüber reden Jesus sieht das Positive. Er sagt der Samariterin, dass sie wahr spricht. Die Frau lügt nicht. Sie erzählt, dass sie keinen Mann hat, aber mit einem zusammen ist, der nicht zu ihr gehört. Und vor ihm hatte sie fünf andere Männer. Sie spricht wahr, das bestätigt ihr Jesus. Jesus sieht das Positive. Er sieht, dass sie sich und ihm nichts vormacht. Er 8

Bei Jesus drückt das Prophetische durch, nicht das Moralische. Die Türe bleibt offen. Es ist die Frau, die auf geistliche Dinge zu sprechen kommt, und zwar auf eine trennende Thematik. Jesus nimmt sie als Gesprächspartnerin ernst. – Ich wünsche mir, dass auch bei uns Christen das Gute, Ermutigende, Aufbauende durchdrückt und nicht das Verurteilende, Moralische.

Fragen stellen lassen Die Frau will es wissen: «Unsere Väter beteten auf diesem Berg an, doch ihr sagt, in Jerusalem ist die Stätte, wo man anbeten muss.» Was gilt nun? Das gleiche Thema könnte heute lauten: «Wir schicken gute Gedanken, doch ihr sagt, dass

nur das Gebet nützt; wir gehen in die Natur, doch ihr sagt, dass nur in der Gemeinde richtiger Gottesdienst möglich ist.» Schon stecken wir mitten in einer Diskussion. Wie macht es Jesus nur, dass die Frau am Schluss des Gesprächs den anderen Samaritern so begeistert von dieser Begegnung erzählt, dass diese ihn gar bitten, bei ihnen zu bleiben? Jesus hatte ihre Herzen gewonnen. Wie?

Nicht verurteilen Jesus sagt der Frau nicht, dass sie etwas falsch macht, weder in moralischer noch in geistlicher Hinsicht. Die Frau muss nicht zuerst ihr Leben in Ordnung bringen! Eine herzliche und loyale Kollegin erzählte mir, dass ihr Mann vor ihrer Heirat mit einem Prediger in Kontakt kam. Dieser riet ihm, er solle die Beziehung beenden, weil die Frau begeistert von ihrer Reise nach Indien erzählt hatte. Der Mann konnte diesen Rat weder verstehen noch befolgen.

Jesus hätte der Samariterin doch aufzeigen können, wo sich ihre Väter mit anderen Religionen vermischt hatten, im Sinne von «löse dich von der falschen Lehre der Samariter»; doch er macht es nicht.

Nicht recht haben müssen Wie gut kenne ich den Druck, «als Christ» klar Stellung beziehen zu müssen, auch wenn ich nicht genau weiss, wie. Wie gut kenne ich, wenn ich es nicht tue, das leicht schlechte Gewissen. Wie befreiend ist es doch, Jesus zuzuschauen, wie er spricht. «Es kommt die Stunde, da ihr den Vater weder auf diesem Berg noch in Jerusalem anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir aber kennen, was wir anbeten.» Jesus vertritt weder den einen noch den anderen Standpunkt, noch lässt er sich auf ein Streitgespräch ein! Er betont etwas anderes: Es geht nicht um äussere Formen, sondern um die innere Haltung. Beide beten an, und doch gibt es einen 2

dieser Begegnung, dass sich die anderen Samariter selber ein Bild von diesem Jesus machen wollen.

Wertschätzung Doch nicht alle Samariter sind Jesus wohlgesinnt. Einmal reist er an Samaria vorbei, doch die Bewohner nehmen ihn nicht auf (Lukas 9,53). Darauf möchten die Jünger als Strafe prompt Feuer vom Himmel regnen lassen! Aber Jesus lässt es nicht zu, sondern zeigt ihnen einen Weg, diesen Menschen zu begegnen, nämlich mit Wertschätzung und Ehre. Gleich darauf in Lukas 10,25 erzählt Jesus von einem Samariter, der einmalig demonstriert, was Nächstenliebe ist.

Ich wünsche mir, dass wir als Christen, die wir vielleicht Mühe haben mit der einen oder anderen Therapie oder mit Verhaltensweisen von Andersgläubigen, dennoch respektvolle Begegnung zulassen. Dass wir uns anstecken lassen von ihrer Hilfsbereitschaft (Frau am Brunnen), Barmherzigkeit (barmherziger Samariter) und Dankbarkeit (Aussätziger). Aber auch von der Freiheit und Klarheit, die Jesus im Kontakt mit diesen Menschen zeigte.

Tätige Liebe Der Samariter ist innerlich bewegt und betroffen. Dem lässt er eine Handlung folgen, keine Worte. Der barmherzige Samariter nähert sich dem Verwundeten, sieht hin, tut Unangenehmes, verbindet

• Regula Schudel ist Hobbybibelforscherin und arbeitet in einer Institution für Menschen mit geistiger Behinderung.

Der Ausdruck «Wunde verbinden» kommt übrigens nur hier vor und ist einmalig. Die Wunden jedes Menschen sind persönlich, einmalig, immer wieder anders, genau auf den jeweiligen Menschen zugeschnitten, ebenso wie der Verband.

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SAMARITER Lydia und Lukas Marty

GESCHICHTEN

festen und feiern | heiligabend auf der gasse liebe | samaritergeschichten

Als Esel im Einsatz Spontaner Tragauftrag im Bahnhof Als der barmherzige Samariter einen verletzten Mann vor sich liegen sah, reagierte er anders, als ein Priester und ein Levit kurz zuvor. Statt achtlos an diesem Menschen vorüberzugehen, stellte er seine persönlichen Pläne für kurze Zeit zurück. Er desinfizierte und verband die Wunden des «Liegengebliebenen» und hob ihn auf seinen Esel. Hatte der Esel, nachdem er seine Last losgeworden war, wohl Muskelkater?

Adrian Hofmann

«Wir werden das nie vergessen» Ein Paar beherbergt ausgerissene Teenager bei sich zuhause «Ihr könnt euch bedienen, aber bitte lasst nichts mitgehen.» Lydia und Lukas Marty aus dem Zürcher Oberland nehmen zwei verzweifelte Teenagermädchen für eine Nacht bei sich auf.

Johanna Vollenweider Die Kleingruppe von Lydia und Lukas Marty aus Tann ZH betet gerade, als sie um halb elf abends ein lautes Schluchzen hört. Vor der Türe stossen Martys auf zwei Teenagermädchen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die völlig durchnässt sind und weder ein noch aus wissen. Die Mädchen erzählen, vor eineinhalb Monaten seien sie von zu Hause ausgerissen, weil ihr patriarchalischer Vater sie geschlagen habe. Die beiden Mädchen wehren sich dagegen, wie ihre ältere Schwester zwangsverheiratet zu werden. Die jüngere der beiden hat das letzte Schuljahr abgebrochen, die ältere ihre Lehre. Nachdem sie einen Kaffee getrun10

ken und ihre Geschichte erzählt haben, fragen Lydia und Lukas, ob sie mit ihnen beten dürfen. Sie sind einverstanden. Es wird eine lange Gebetszeit. Alle sind berührt. Eine der jungen Frauen ist zu Tränen gerührt und offen. Sie erzählt der Gruppe, dass sie einen Jesus-Film, den ihr Vater geschenkt bekam, mehrmals angesehen habe und dass sie Jesus kenne. Strahlend erzählt sie: «Der Jesus-Film ist mein Lieblingsfilm. Ich bin sicher, dass Jesus genau so war wie in diesem Film.» Spät verabschiedet sich die Gruppe von Lukas und Lydia. Martys beschliessen, die jungen Frauen bei sich übernachten zu lassen. Am nächsten Morgen müssen Martys früh zur Arbeit und sagen ihren

Schützlingen: «Ihr könnt euch bedienen, aber bitte lasst nichts mitgehen.» Sie empfehlen ihnen, heimzukehren und das Sozialamt zu kontaktieren, und schenken ihnen das Alphalive-Buch «Kurs nehmen auf Gott». Als Lukas und Lydia abends nach Hause kommen, ist alles aufgeräumt. In einem Brief bedanken sich die Gäste: «Wir werden den Abend nie vergessen!» Lydia und Lukas kennen es aus ihrem eigenen Elternhaus, dass fremde Menschen im Wohnzimmer übernachten. «Als wir noch Kinder waren, schauten wir jeweils neugierig auf dem Zettel der Wohnzimmertüre nach, wer wieder übers Wochenende bei uns übernachten sollte», erzählt Lydia. cz 1|08

Zurück aus dem Urlaub, wollen meine Frau und ich die beleuchteten Schaufenster anschauen und anschliessend unser Feriengepäck am Bahnschalter abholen. Als wir uns dem Ziel nähern, entdeckt Sandra eine schwankende Gestalt. «Siehst du diese Frau da vorne? Die kann ja kaum noch gehen», sagt sie zu mir. «Komm, wir haben jetzt etwas anderes vor, als uns um fremde Menschen zu kümmern. Der Gepäckschalter hat nicht mehr lange geöffnet», antworte ich und schiebe sie an der mir peinlichen Situation vorbei. Wir erreichen den Schalter gerade noch rechtzeitig, um unser Gepäck auszulösen. Vollbepackt mit Taschen und Skiern, machen wir uns auf zur Bushaltestelle. Ich denke nur noch an Heimkehr. Sandras Blick fällt wieder auf die schwankende Frau. Sie ist inzwischen keine fünf Meter weit gekommen. «Jetzt halte ich das nicht mehr aus!», protestiert Sandra gegen meine Gleichgültigkeit, als wir die Bushaltestelle erreicht und das Gepäck abgestellt haben. «Ich will wissen, was mit dieser Frau los ist!» Ehe ich reagieren kann, ist sie bereits um die Hausecke verschwunden. In meinen Gedanken hin- und hergerissen, bleibe ich mit dem Gepäck zurück. Was soll ich machen, wenn plötzlich der Bus auftaucht? Warten? Ohne Sandra nach Hause fahren? Oder soll ich etwa unser Gepäck unbewacht zurücklassen und meiner Frau nachlaufen? Wie ich so ratlos dastehe, hält ein Wagen neben mir. Der Fahrer dreht die Fensterscheibe herunter und cz 1|08

fragt lachend: «Kann ich dich mitnehmen?» Es ist unser Nachbar. Ich sage: «Nein, meine Frau ist da um die Ecke mit jemandem beschäftigt, und ich bin hier an unser Gepäck gebunden. Wenn du unseren ganzen ‹Karsumpel› mitnehmen und bei uns zu Hause in den Garten stellen könntest, wäre das eine grosse Hilfe.» – «Das ist doch klar», lacht er und springt aus dem Auto.

nickt und reicht Sandra ihre Tasche. Ich bücke mich ein wenig, und sie steigt auf meinen Rücken. So machen wir uns zu dritt auf den Heimweg. Wir sind erst wenige Meter weit gekommen, als sie fröhlich zu lachen beginnt. Sie winkt den Leuten zu und ruft: «Schaut alle her. Ich werde nach Hause getragen! Ha, ha, so etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nie passiert!»

Kurz danach geselle ich mich zu Sandra und der Frau. Ihr ausgemergeltes Gesicht und das stumpfe Haar erzählen eine eigene Geschichte. Wenn sie sich bewegt, klirren Glasflaschen in ihrer Plastiktasche. «Oha», denke ich, «Bier ist auch eine Mahlzeit.» Sie ist zwar nicht betrunken, aber unfähig, richtig zu gehen. Krampfhaft versucht sie, sich mit kleinen Schritten vorwärtszubewegen. Die Frau ist in der vergangenen Viertelstunde keine zwanzig Meter weit gekommen. «Guten Abend, ich heisse Adrian. Wie geht es Ihnen?», frage ich. «Mir geht es gut. Ich kann nur nicht so schnell laufen», tönt es zurück. «Wo wollen Sie hin?», fragt Sandra. «Nach Hause natürlich.» – «Ist das weit von hier entfernt?» «Nein, nein, da vorne bei der Kreuzung rechts und dann noch dreihundert Meter die Johannesstrasse hinunter», erwidert sie. «Wenn Sie so weitergehen, sind Sie in zwei Stunden noch nicht zu Hause», gebe ich ihr zu bedenken. «Wissen Sie was, Sie steigen einfach auf meinen Rücken. Ich trage Sie nach Hause. Was halten Sie davon?» – «Das können Sie doch nicht machen», wehrt sie ab. «Wieso nicht? Haben Sie eine bessere Lösung?» Sie denkt nach,

Offensichtlich geniesst sie den Ausflug auf meinem Rücken. Ich hingegen habe keine Energie für weitere Gedanken. Die Frau wird langsam schwer. Ihr Gewicht drückt mir den Schweiss auf die Stirn. Die gute Frau hat leichter ausgesehen. «Hier vorne rechts ist der Eingang», sagt sie plötzlich. Sandra rennt die paar Schritte voraus und hält uns die Türe auf. Ich blicke in ein kahles Treppenhaus. «Können Sie mich noch tragen?», fragt sie lachend. «Ja, ja. Wenn ich es bis hierher geschafft habe, werde ich es wohl noch bis zu Ihrer Wohnung schaffen», keuche ich. Vielleicht ist meine Antwort vorschnell gewesen. Aber wie soll sie die Treppe hinaufkommen, wenn sie nicht einmal geradeaus gehen kann? «Hui, Sie sind aber stark», sagt sie anerkennend. Aber dass sie im vierten Stock wohnt, flüstert sie mir erst im dritten ins Ohr. Endlich oben angekommen, setze ich mich völlig ausser Atem und klatschnass geschwitzt auf die Treppe. «Danke, danke, das war super! Zum Glück gibt es heute noch barmherzige Menschen», ruft sie uns noch zu, bevor sie ihre Wohnungstür hinter sich schliesst. Ob der Esel des barmherzigen Samariters Muskelkater hatte, weiss ich nicht. Aber durch Sandras Hilfsbereitschaft und meinen Idealismus habe ich Esel mir einen zünftigen geholt. 11


S A M A R I T E R G E S C H I C H T E N

liebe | samaritergeschichten

Liebe verteilen, nicht verwalten Besuch bei Bruder Benno-Maria Kehl auf der Insel Werd Der unkonventionelle Franziskaner-Mönch Bruder Benno-Maria Kehl strahlt Freude, Liebe und Vertrauen aus. Wie schafft er das trotz schwieriger Umstände, Not und Leid in seiner Gassenarbeit unter Drogensüchtigen und Obdachlosen? Ein Interview im Franziskaner-Kloster auf der Insel Werd bei Stein am Rhein.

Manfred Kiener CZ: Bruder Benno, du strahlst Freude aus. Weshalb bist du so fröhlich, obwohl du auf der Gasse viel Leid und Not siehst? Bruder Benno: Jesus sagt: Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan. Wer den Geringsten der Gesellschaft dient, dem fliesst Freude zu. In welchen Texten spricht die Bibel von Freude? In jenen, in denen es darum geht, Verlorene zu suchen. Jesus fordert uns auf, hinauszugehen an die Hecken und Zäune zu den Randständigen, zu den Huren und Zöllnern. Wir sollen sie zu Gottes Festmahl einladen. Die Drogensüchtigen, die Obdachlosen und die Aidskranken sind die modernen Aussätzigen. Es gelingt uns nicht, Freude und Liebe passiv für uns zu verwalten. Wer egoistisch der Freude und dem Glück nachjagt, der wird süchtig. Wer einen lieben, sauberen, reichen und schönen Jesus will, der wird ihn verlieren. Wie erlebst du Gottes Liebe im Alltag? Manchmal überfallen mich Erwartungen, Termine, Verpflichtungen, Nöte und Anfragen wie Krokodile einen Schwimmer im Wasser. Diese

Bruder Benno im Klostergarten vor den Symbolen für Glaube, Liebe und Hoffnung 12

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Situation träumte ich letzthin: Ich erwachte, als mich die Krokodile unter Wasser zogen. Erschrocken setzte ich mich auf. Im Geist verband ich mich mit Jesus. Ich blieb bei ihm in der Kontemplation. Er nährte mich mit Liebe und Vertrauen. Ruhig schlief ich wieder ein und schwamm im Traum mitten durch die Krokodile ans andere Ufer. In der Stille bei Jesus erhalte ich Liebe. In der Hektik gelingt es vielen nicht, in die Ruhe bei Jesus zu gelangen. In der Stille gewinne ich innere Sicherheit. Welches ist die schwierigste Form der Liebe? In stiller Kontemplation bei Jesus zu bleiben – das ist wohl die schwerste und schwierigste Form der Liebe. Es ist schwierig, bei ihm auszuharren, zu verweilen, nichts zu leisten, nichts zu tun. Doch genau dieses Sein bei Gott legt einen inneren Boden, den wir uns mit äusseren Sicherheiten nicht erschaffen können. Es gilt, aus dem Sein bei Jesus zu leben und nicht aus dem Tun für ihn oder für Menschen. Was meinst du mit äusseren Sicherheiten? Aus innerer Unsicherheit heraus richten Menschen äussere Sicherheiten auf.

Sie versuchen, Sicherheit durch Regeln zu erreichen, wie: in unserer Gruppe sind alle rechts oder alle links, oder in unserer Kirche sind alle keusch oder alle auf diese oder auf jene Art fromm, oder alle sind bürgerlich, oder alle gehören dem Mittelstand an. Andere suchen Sicherheit im Besitz. Doch ein Besitzer ist nie glücklich. Aus seiner Sicht besitzt er immer zu wenig. Hat er mehr, befällt ihn Angst, seinen Besitz zu verlieren. Im Reich Gottes ist es besser, als geistlich armer Verwalter die Gaben und Güter Gottes so zu verwalten, als wären wir Besitzer. Ich kannte eine Witwe, die im Alter gegenüber Menschen geiziger und misstrauischer wurde, weil sie vermutete, alle seien nur nett zu ihr wegen ihres Vermögens. Was hätte ihr geholfen? Menschen, die ihren Besitz, ihre Gaben und Güter für sich behalten, werden einsam. Die Gnade und Liebe Gottes halten wir nicht aus, wenn wir sie für uns konservieren. Als Mensch muss ich immer wieder aus der Komfortzone, aus der Sofaecke aufbrechen. Vom Ufer abstossen und raus zu den Menschen schwimmem. Dort muss ich Gottes Liebe verteilen. Doch 13


S A M A R I T E R G E S C H I C H T E N Schwimmen wirst du nie lernen, solange du nur einen Finger ins Wasser streckst. Es gilt, Liebe zu wagen und rauszuschwimmen. Damit wir dazu fähig sind, müssen wir bei Gott geerdet sein. Wir brauchen Regeln zum Leben. Welche Regeln empfiehlst du? Meine Erfahrungen aus der Beratung und Seelsorge lassen mich auf fünf Bereiche fokussieren: Erstens: Versöhne dich in der Familie! Die Bibel fordert uns auf, unsere Eltern zu ehren. Das gilt auch nach einer schlimmen Kindheit, wenn Vater oder Mutter mich verletzten, missachteten, schlecht behandelten oder mir ihre Liebe versagten. Sei deinen leiblichen sowie geistlichen Eltern dankbar für das Geschenk des Lebens und für den Glauben. Einige grenzen sich ab: «Jesus genügt mir, ich brauche keine Kontakte zu meinen Eltern.» Diese Haltung führt zu einem kranken, isolierten Glauben. Jesus ehrte seine Eltern sogar noch am Kreuz. Zweitens: Pflege Freundschaften! Hast du Freunde? Bist du selber ein Freund, eine Freundin? Entscheide dich, selber ein Freund zu sein! Drittens: Pflege ein Hobby! Übst du leidenschaftlich etwas aus, das kein Geld abwirft, sondern dir Spass macht? Das kann im Garten sein, in der Kultur, im Theater, in einem Verein oder im Sport. Du brauchst soziale Kontakte und Grenzerfahrungen mit anderen Menschen. Viertens: Hast du eine Aufgabe oder eine Arbeit im Bereich deiner Berufung? Wenn du aus deiner Berufung lebst, muss eine Aufgabe nicht unbedingt gut bezahlt sein. Sinnvolle Aufgaben gibt es für jede und jeden. Fünftens: Pflege eine gesunde Spiritualität! Jesus pflegte seine Spiritualität bewusst. Er zog sich zurück in die Einsamkeit der Berge oder Wüste. 14

Sind Entscheide so wichtig? Die Traumaforschung bestätigt meine Erfahrungen aus der Seelsorge: Ein Mensch steht selbst nach traumatischen Erlebnissen und nach einer Krise wieder auf. Doch er muss sich dafür entscheiden! Es braucht eine Entscheidung, seinem Vater zu vergeben. Nach der Versöhnung fliesst Segen von einer Generation zur anderen. Das war bereits bei Abraham, Isaak und Jakob so. Entscheide dich, ein Hobby, Freundschaften und Beziehungen zu pflegen, die Spiritualität zu pflegen. Sogar wenn Aufgaben sich türmen, wenn Obdachlose auf Hilfe warten, will ich die Beziehungen zur Familie, zu Freunden und zu Gott pflegen. In der Beratung gehe ich mit einem Menschen nicht weiter, bevor er nicht anfängt, die fünf Punkte umzusetzen. Der schwierigste Punkt ist die Versöhnung mit den Eltern, besonders mit dem Vater. Wer zur Veränderung motiviert ist, den begleite ich. Ich frage: Welche nächsten Schritte kannst du auf deinen Vater, auf deine Eltern, auf andere Menschen und auf Gott zu tun?

Bruder Benno-Maria Kehl geboren 1966, lernte Schreiner und bereiste die Welt, bevor er sich zum Franziskaner berufen fühlte. Er studierte Theologie und Sozialtherapie. Heute arbeitet er als Guardian im Franziskanerkloster auf der Insel Werd bei Stein am Rhein. Ausserdem engagiert er sich mit Franziskanern in der Dritten Welt in der sozialen und kirchlichen Entwicklungshilfe. In der Schweiz hält er Vorträge, leitet Seminare, dient als Seelsorger und hilft als Streetworker in der Franziskanischen Gassenarbeit in Zürich. Ausgangs- und Treffpunkt dafür ist das «Chrischtehüsli» im «Haus Zueflucht» an der Zürcher Fabrikstrasse. Links: www.zueflucht.ch, www.fraga.ch, www.chrischtehuesli.ch. Bücher von Bruder Benno-Maria Kehl: Das Lied des Lichts. Der Sonnengesang des Franz von Assisi. München: Hugendubel H. Verlag. Meditationen der Stille. Franziskanisch geprägte Spiritualität für unsere Zeit. Kreuzlingen, München: Hugendubel H. Verlag.

Brigitte Eggmann im Shopville in Zürich

Alle haben wir etwas zu geben Wie ein «Junkie» zum Segen wird Eine Begegnung im Shopville des Hauptbahnhofs in Zürich entwickelt sich anders als vorgesehen.

Brigitte Eggmann In wenigen Minuten fährt mein Zug, und ich beeile mich. Kaum bin ich an ihm vorbeigegangen, zieht es mich zurück. Bleich, mager und verfroren steht er da neben dem Eingang zur Migros. Sein Alter ist schwer zu schätzen. «Hast du Hunger, kann ich dir etwas kaufen?», stottere ich aufgeregt. Auch wenn seine Not, oder das, was ich dafür halte,nicht mit einem Hamburger aus der Welt zu schaffen ist. Er druckst herum und nuschelt: «Nein, ehrlich gesagt, ich brauche Geld für Stoff.» Seine Offenheit rührt mich, aber die Vorstellung, dass er sich mit meinem Geld Stoff reinzieht, ist mir zuwider. Trotzdem frage ich: «Wie

Die Brücke zum Kloster Werd cz 1|08

liebe | samaritergeschichten

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viel brauchst du?» «Zwanzig Franken.» «Uh, das ist mir zu viel», flüstere ich erschreckt. «Ich gebe dir zehn, und – ich würde noch gerne für dich beten.» Ich beabsichtige nicht, erst später zu Hause für ihn zu beten. Ich will jetzt beten. Aber vor all den Leuten, die da vorbeiströmen? Er steht mit dem Rücken zu den Passanten. «Dir haben sicher schon viele mit Jesus den Kopf vollgequatscht?» Ich habe Angst vor meinem eigenen Mut und denke: «Wenn er kein Gebet will, bin ich fein raus.» Aber er murmelt ein Ja. Auf welche Frage bloss? Ich frage nach, und ich will loslegen. Da fällt mir ein, dass ich noch gerne seinen Namen kennen würde. «Wie heisst du?» «Alex» (Name geändert). Ich lege ihm meine Hand auf den Arm.

Mit schlechtem Gewissen, weil ich ihn eigentlich zuerst fragen sollte. Aber ich will doch auf den Zug. Ich bitte Jesus, dass er sich Alex offenbart und ihm zeigt, wie einzigartig er ist, wie wertvoll sein Leben. Ich bete weniger darum, dass Alex vom Stoff loskommt. Von mir selber überrumpelt, krame ich zehn Franken hervor und drücke sie Alex in die Hand. Als ihm zwei Bahnmitarbeiter der SBB ebenfalls Geld zustecken, staunt er. Den Zug habe ich noch rechtzeitig erreicht. Aber die Begegnung mit Alex geht mir nicht aus dem Sinn. Ich fühle mich gesegnet, weil er mein Gebet zugelassen hat. 15


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Wo ist mein Schatz?

Mann nach Herzinfarkt wiederbelebt Corina und Mark Bertschi leisten Nothilfe am Strassenrand Am Samstag vor Ostern 2006 fahren Corina und Mark Bertschi im Auto. Da sehen sie einen Mann regungslos neben einem Velo im Gras liegen. Sie halten an und leisten Nothilfe. Der Mann überlebt den Herzinfarkt und hat seine Retter inzwischen mehrmals eingeladen.

Corina und Mark Bertschi

Manfred Kiener Samstagnachmittag vor Ostern 2006. Corina und Mark Bertschi aus Wetzikon sind mit ihrem Auto unterwegs, um Corinas Eltern zu besuchen. Sie sind zu spät dran. Plötzlich sehen sie einen Mann, der regungslos neben seinem Velo in der Wiese liegt. Corina und Mark halten an, steigen aus und rennen zu dem Fremden hin. Krankenschwester Corina spürt bei dem Mann keinen Puls mehr. Wahrscheinlich hat er einen Herzinfarkt erlitten und ist gestürzt. Corina beginnt mit Beatmen und Herzmassage. Mark ruft die Ambulanz an. Eine weitere Krankenschwester stösst «zufällig» dazu. Als ein Notarzt kommt, führen sie die Reanimation zu dritt weiter. Schliesslich kommt auch die Ambulanz. Die Rettungssanitäter helfen mit, den Verletzten mit Sauerstoff und Medikamenten zu versorgen. Der Einsatz der Retter, die Gebete von Mark und die Reanimation wirken. Das Leben kehrt zurück. Die Ambulanz bringt den Verunfallten ins Spital. Corina und Mark geben der Polizei ihre Personalien an und fahren geschafft weiter. Was, wenn sie pünktlich unterwegs gewesen wären? Für beide ist klar: 16

Anneliese ist eine hübsche, junge Frau. An einem schönen Nachmittag wird ihr von einem «Passanten» die Handtasche samt Ausweisen und mehreren hundert Franken Bargeld entrissen. Geschockt, irritiert und total aufgewühlt, erinnert sich Anneliese an Sarah. Sarah ist eine Kollegin, die Anneliese am Tag zuvor an unseren heutigen Abendgottesdienst eingeladen hat. Anneliese meldet den Überfall der Polizei. Darauf ruft sie Sarah an. Abends sitzen Anneliese und Sarah unter den Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern. Am Ende des Abends findet die bestohlene Frau einen unbezahlbar

A Generation N D R New

eine Gebetserhöhrung! Herr M. erzählt, im Spital habe eine Blutvergiftung ihn beinahe sterben lassen. Nach schwierigen Wochen sei es ihmbesser gegangen. Bertschis sehen darin Gottes Eingreifen. Sie berichten, sie hätten täglich für ihn gebetet, und weisen ihn auf Jesus als grössten Retter hin. Herr M. lädt sein Helferteam im April 2007 zum «einjährigen Jubiläum» ein. Sie bleiben in Kontakt. Corina und Mark feiern im September 2007 den 60. Geburtstag von Herrn M. im Kreis seiner Familie und Freunde. Bertschis beten weiter, dass Herr M. und seine Partnerin Jesus als Heiland erkennen. cz 4|07

Manchmal überfallen sie mich wieder unverhofft, die Symptome einer der weitverbreitesten Krankheiten. Es ist weder die Vogelgrippe noch die Maul- und Klauenseuche, nein, es ist: die Hilfe-ich-kommezu-kurz-Verstopfung. Sie fühlt sich an wie jene Erfahrung in meiner Jugendzeit, als ich mit einem Freund am Mittwochnachmittag eine Tüte Paprikachips zu teilen hatte. Während ich genüsslich jede gebrutzelte Kartoffelscheibe einzeln herauspickte, sie mir einverleibte und möglichst den vollen Geschmack eines jeden guten Stücks im Gaumen entfalten liess, schaufelte er gleich ganze Hände voll in die Backen. Hilfe, ich komme zu kurz! Die HIKZK-Krankheit gleicht einer Pandemie, die sich durch alle Altersschichten hindurch hartnäckig hält und den Lebenskanal verstopft. Und tatsächlich, der Mensch kommt zu kurz – er kriegt nie genügend Liebe, ausser er zapft an der wahren Liebesquelle an! Während meiner Arcz 4|07

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wertvollen Schatz, den ihr kein Mensch nehmen kann: Jesus Christus, ihren Erlöser. Sarah, die Anneliese in ihrer Entscheidung für Christus begleitet hat, schenkt ihr beim Verabschieden spontan hundert Franken. Ohne Handtasche und ohne Ausweise zwar, aber überglücklich und mit der Gewissheit, dass ihr Name im unvergänglichen Buch des Lebens steht, nimmt Anneliese reich beschenkt ihren Weg nach Hause unter die Füsse. Manchmal geschieht uns Unrecht. Aber nicht annehmen, was Gott uns schenken will, ist auch nicht recht. Haben Sie das schon angenommen, was Ihnen kein Mensch stehlen kann?

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Hilfe, ich komme zu kurz!

Das war Gottes Zeitplan! Am nächsten Tag dankt ihnen die Lebenspartnerin des Verunfallten am Telefon für ihre Hilfe. Corina und Mark erzählen der Frau, was abgelaufen ist und dass sie für ihren Partner hoffen und beten. Bertschis bleiben mit der Frau in Kontakt. Sie schreiben den beiden mal eine Karte. Die Frau telefoniert ihnen zwischendurch und schildert, wie es ihrem Partner geht. Im August 2006 klingelt das Telefon erneut. Herr M. lädt seine Retter zum Essen ein. Das erste Wiedersehen mit Herrn M. berührt Bertschis: Ihn sprechen zu hören, ihn strahlen zu sehen und seine Partnerin kennen zu lernen ist für Corina und Mark

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Pfarrer Fredy Staub erzählt in seiner Kolumne von Wegen! wahre Geschichten aus seinem Erleben mit Menschen. Die Namen sind von der Redaktion geändert.

B O P P A R T

beit in einem Justizheim wurde mir bewusst, was diese «harten» Jungs wirklich hatten – hart gewordene Herzen, die sich danach sehnten, durch Liebe aufgeweicht zu werden! Wöchentlich begegne ich Jugendlichen, die in einer Gesellschaft aufwachsen, in der nicht Wasser, Geld oder Materielles Mangelware ist – sondern Liebe! Jugendliche, die daran zerbrechen, dass ihr Bedürfnis nach Liebe nicht gestillt wird, weil Eltern damit beschäftigt sind, ihr eigenes Leben auf die Reihe zu kriegen. Nicht zufällig ist eine der häufigsten Fragen, die ich zu hören bekomme: «Wo soll da noch ein liebevoller Vater im Himmel sein?» Wir leben in einer Gesellschaft, die das Lieben verlernt hat. Kein Wunder, wenn sie den, der Liebe ist, so weit wie möglich von sich fernhält! Und wir Christen? Wie HIKZK-verstopft sind wir? Sind wir nicht oft so beschäftigt, uns gegenseitig «liebevoll» zurechtzuweisen, dass wir keine Zeit zum Lieben finden? Nichts mit «an eurer Liebe wird man euch erkennen» (Johannes 13,35).

Die Menschen brauchen weder krassere Predigten noch perfekteren Worship. Sie brauchen weder Vorzeigekirchen noch weitere Problemlösung-in-fünfzig-Schritten-Schmöker. Die Welt braucht einfach wieder Christen, die in jeder Beziehung entstopft sind, Christen, die die Liebe Gottes ungehindert in die Gesellschaft hineintragen – und sie weder in ihren Gemeinden bunkern noch sich gegenseitig um die Ohren klatschen.

Andreas Boppart ist Eventprediger und Autor und arbeitet im Arbeitszweig campus generation von Campus für Christus. 17


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liebe | wie wird gottes liebe konkret?

Wie wird Gottes Liebe konkret? Beispiele praktischer Nächstenliebe Die Liebe Gottes bleibt für uns abstrakt, bis wir sie durch andere Menschen erleben. Doch wie wird diese Liebe praktisch? Ein Bericht über Initiativen aus Ittigen, Liestal und Zürich.

• Solche Sammelboxen für alte Brillen stellte

• Mittagessen jeden Freitag seit 1991: Gäste im Imbis 54 im Untergeschoss der Evangelisch-methodisti-

die Reformierte Kirchgemeinde Ittigen auf.

Manfred Kiener «Wie helfen wir als Kirchgemeinde Menschen konkret?» Das fragt sich Tobias Weyrich immer wieder. Der ehemalige Lehrer hat am IGW in Zürich Theologie studiert und ist im Sommer 2007 mit seiner Familie nach Ittigen gezogen. Als Diakon in der Reformierten Kirchgemeinde Ittigen ist er seither zuständig für Familienarbeit, Diakonie und Mission. Seit Jahren gibt die Kirchgemeinde zwar bereits zehn Prozent ihrer Steuereinnahmen sowie alle Kollekten weiter an Initiativen im In- und Ausland. Doch nun soll die Liebe Gottes in der Region Ittigen erlebbarer werden. «Wir wollen Gutes tun mit Wort und Tat», erklärt Tobias Weyrich. «Ich habe mich gefragt: Wo lebt das in unserer Gemeinde?» Seit Januar 2008 propagiert Weyrich mit einem Team der Kirchgemeinde jeden Monat ein anderes 18

diakonisches oder missionarisches Projekt. Als erstes riefen sie im Januar 2008 die Bevölkerung auf, alte Brillen zu spenden. Sie stellten Sammelboxen in vier Optikergeschäfte. Eine Firma steuerte gleich zahlreiche ausgediente Brillen bei. Die gesammelten Brillen gehen an die Aktion «Lunettes sans Frontière». Um Synergien zu nutzen, pflegt Tobias Weyrich Kontakte mit der politischen Gemeinde und der Jugendfachstelle Bolligen-Ittigen. In der Seniorenarbeit organisiert die Kirchgemeinde den Mahlzeitendienst und lädt Interessierte zu gemeinsamen Essen ein. Vermehrt rufen Menschen aus Ittigen und Umgebung die Kirchgemeinde an, wenn sie einen Hilfsdienst benötigen, sei es im Haushalt oder bei Problemen in Ehe und Familie.

Ein Clochard gibt zu denken Es war an einem kalten Winterabend vor etwa 18 Jahren an der Stauffacherstrasse 54 in Zürich: Auf der Treppe der Evangelisch-methodistischen Kirche wärmte sich ein Clochard an der warmen Abluft der Heizung. Drinnen in der Kirche sangen und beteten junge Christen und diskutierten, wie sie ihren Glauben in der Welt leben wollen. Als die Jugendlichen nach dem Programm die Kirche am Clochard vorbei verliessen, gab dieser frierende Mann einigen zu denken. Pfarrer Christof Schluep erinnert sich: «An jenem Abend brach zwar keine Erweckung aus, aber ein Erwachen. Es war ein Erwachen aus einem Dornröschenschlaf, den diese Kirchgemeinde wie viele andere Gemeinden seit Jahren geschlafen hatte.» Der Aufbruch kam zum richtigen cz 1|08

Zeitpunkt, schien anfangs der 90er Jahre doch bereits das Ende der Gemeinde besiegelt zu sein. Sie war überaltert und ihre Mitgliederzahl gesunken. Die Liegenschaft konnte finanziell nur noch knapp gehalten werden. Die Kirchenleiter planten, die Gemeinde mit ihrer Schwestergemeinde in Zürich Altstetten zusammen zu legen. Da öffnete der frierende Clochard vielen die Augen. Er wurde zu einem Symbol für das soziale Elend im Zürcher Kreis 4, bekannt als «Chreis Cheib». Aufgerüttelt beschloss die Gemeinde, sich sozialdiakonisch zu engagieren. Als erste Aktion entstand 1991 der «Imbiss 54», ein Spaghetti-Mittagessen jeweils am Freitag im grossen Kellerraum unter der Kirche an der Stauffacherstrasse 54. Alkoholiker, Drogensüchtige, Arbeits- und cz 1|08

• Nach dem Mittagessen dürfen die Gäste kostenlos Lebensmittel auswählen und mitnehmen.

schen Kirche in Zürich.

Obdachlose fanden einen Platz am Tisch, ein warmes Essen und ein offenes Ohr. Als ausländische Jugendliche im Imbiss 54 auftauchten, entschloss sich die Gemeindeleitung, für sie einen separaten Mittagstisch anzubieten. Daraus wuchs eine Jugendarbeit mit Freizeitprogramm, Aufgabenhilfe, Ferienlagern, Jugendtreff und Jugendgottesdienst. Aus diesem Jugendgottesdienst entstand um Jugendpfarrer Markus Giger die «streetchurch», die inzwischen unter dem Patronat der Reformierten Zürcher Landeskirche läuft.

Kinderclub An einem Fest der Methodistenkirche standen plötzlich Kinder da, die spielen wollten. So entstand der Kinderclub mit einem Programm am Samstag-Nachmittag und später ein Mädchen- und ein Bubenclub. An der Bezirksversammlung vom

Mai 2005 beschloss die Evangelisch-methodistische Kirche des Bezirks Zürich 4, ihre sozial-diakonischen Aktivitäten juristisch eigenständig zu organisieren: Sie gründete den Verein «NetZ4» als sozialdiakonischen Zweig innerhalb der Kirche.

Gottes Gegenwart im Milieu Bei einem Besuch im Imbiss 54 treffe ich Diakon Jürg Geilinger, Leiter der Erwachsenenarbeit im NetZ4. Er berichtet von aktuellen Aktionen: «Immer am ersten Mittwoch im Monat gehen wir im Rahmen einer Outreach-Aktion auf die Strasse. Ein Gospelteam singt, andere beten und proklamieren die Gegenwart Gottes im Rotlichtmilieu», erzählt Geilinger. Rund 100 Freiwillige aus zwölf verschiedenen Kirchen hätten im Dezember 2007 an der Gassenweihnacht mitgeholfen und 200 Gäste betreut. 19


K O L U M N E ( n ) M ARKUS BAUMGARTNER Medien Die neuen Heiligen Jesus war ein Popstar seiner Zeit und hätte es mit seinen Taten oft auf die Frontseite des «Blick» geschafft – wenn es diesen damals schon gegeben hätte. Weshalb wird heute über Pete Doherty, Amy Winehouse oder Britney Spears so viel berichtet? Die drei Popmusiker geniessen höchste Aufmerksamkeit, obwohl – oder weil – sie neben ihrer Musik vor allem durch Abstürze und Skandale bekannt sind. Der englische Autor Harry Shapiro, der als Drogenexperte der Rockgeschichte gilt, schreibt dazu in seiner «Drogenchronik der Populärmusik des 20. Jahrhunderts»: «Es gehört zum Anforderungsprofil des Popstars, anstelle von • Die kostenlosen Lebensmittel zum Mitnehmen im Imbiss 54

• Der erste Koro Shop der Schweiz in Liestal.

bringt jeweils die Organisation «Schweizer Tafeln»

uns schlecht zu sein.» Stars im Exzess übernehmen eine Art Stellvertreterfunktion und laden sozusagen Schuld und Sünde auf sich. Das Publikum kann nach einem Konzert scheinbar geläutert in den Alltag zurückkehren. Sind die Stars also die neuen Heiligen? Oft blieben sie in den Projektionen der Fans gefangen, erklärt Shapiro weiter: «Sie transferieren die Erwartungen des Publikums in ihr eigenes Leben.» Wenn den Popstars die eigene Popularität in die Quere kommt und sie vom hohen Seil fallen, belustigt dies die Meute. Das beschrieb schon Nietzsche in «Also sprach Zarathustra»: «Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrund.

Der Seiltänzer, der hoch über der Menge seiner risikoreichen Disziplin nachgeht, wird von einem dämonischen Possenreisser verhöhnt und in die Tiefe gestossen.» Das war bei Jesus nicht anders. Doch er ist auferstanden. Fragt sich nur, wo die Popstarfähigkeiten seiner Nachfolger geblieben sind.

Markus Baumgartner ist PR-Profi und Präsident von cnm (www.cnm.ch).

• Roger und Debora Keller, Leiter der Vineyard Aarau und Liestal.

RFarbeEbekennen N E Ferien, Feste und Feiern nutzen Häuser öffnen und Zeit teilen

Gastfreundschaft üben

«Was fördert die Liebe?» fragt sich Roger Keller (44), Leiter der Vineyard-Gemeinden in Aarau und in Liestal, bei neuen Projekten. Selber teilweise in Heimen aufgewachsen, hat Roger Keller ein Herz für Menschen mit Brüchen im Lebenslauf. Er und seine Frau Debora Keller bieten neben ihren eigenen vier Kindern zwei bis drei weiteren Personen Unterschlupf im eigenen Haus. «Neben Verkündigung und Seelsorge helfen wir in den Gemeinden in Aarau und Liestal den Gästen praktisch wie etwa in der Schuldensanierung», erzählt Roger Keller. Im Rahmen des «Foodbank»-Projekts bringen Besucher Lebensmittel und Alltagsgegenstände in den Gottesdienst. Diese erhalten Bedürftige kostenlos. «Wir helfen Armen und unterstützen Leute in einer Notlage.»

Doch Roger Keller spürt dabei eine Spannung: «Wo ist echte Not und wo unterstützen wir eine Liederlichkeit von Personen, die fähig wären, mehr Verantwortung zu übernehmen?» Materielle Not sei oft nicht einmal das Schlimmste, meint Roger Keller. Menschen seien heute meist einsam. Sie sehnten sich nach Beziehungen und Freundschaft. «Deshalb ermutigen wir unsere Leute in der Vineyard, ihre Häuser zu öffnen und Zeit in Beziehungen zu investieren.» Es sei oft sozialer, so Keller, Gastfreundschaft zu üben und seine Zeit zu teilen, als Geld zu spenden.

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Secondhand-Laden eröffnet Der Secondhand-Laden «Koro Shop» öffnete im November 2007 am Wasserturmplatz 9 in Liestal seine Türen. Mit diesem

jüngsten Projekt will die Vineyard Liestal weltweit Armut bekämpfen. Die Hälfte der Einnahmen des Koro Shops fliesst in Projekte von Tearfund, dem Hilfswerk der Schweizerischen Evangelischen Allianz. In den Monaten November und Dezember 2007 kamen über 7000 Franken zusammen. «Die Kontakte im Laden sind toll», freut sich Roger Keller. «Ausländer und Schweizer haben sich gemeldet, um ehrenamtlich im Laden mitzuhelfen.» Debora Keller präsidiert den Trägerverein. Ein Gönnerkreis bezahlt die Ladenmiete, die Werbung und weitere Kosten. «koro» heisst übrigens «Herz» in der EsperantoSprache. Wie sagte es doch Diakon Jürg Geilinger vom Verein NetZ4 in Zürich? «Wir brauchen die Bereitschaft, uns auf die Not einzulassen. Wer uns einmal zu einem Einsatz ins Milieu begleitet, kommt vielleicht betroffen zurück.» cz 1|08

Kürzlich hielt ich eine Predigt in der Baptistengemeinde St. Gallen. Die Gemeinde hatte gerade zum achten Mal ihre herbstlichen Jugendcamps durchgeführt. Was ich hörte, begeisterte mich: Über zweihundert junge Menschen waren am Kids‘ Camp und an sieben Sportlagern mit von der Partie. Sie hatten viel Spass, erlebten Gemeinschaft und kamen lebensnah mit christlichem Gedankengut in Berührung. Über siebzig Prozent der Kinder kennen Jesus noch nicht persönlich. Was für eine wunderbare Gelegenheit, ihn in jungen Jahren kennenzulernen! Ein Team von Athletes in Action mit einem Profibasketballer aus den USA unterstützte die Camps mit ausgewiesenen Leiterinnen und Leitern. Was könnte in unseren Gemeinden noch geschehen, wenn wir uns so engagiert wie die St. Galler Baptisten um die junge Generation kümmern würden! Aber auch die älteren Semester sind aktiv: cz 1|08

B R E G E N Z E R Ruth und Dieter Förster von Campus für Christus zogen zum dritten Mal mit einem kleinen Team vor das Zürcher Stadthaus. Dort begrüssten sie die frisch eingebürgerten Einwohner, als diese um halb acht Uhr abends zur Feier im Stadthaus eilten. Försters und Co. machten ihnen ein Willkommensgeschenk: Jede Einzelperson oder Familie erhielt eine feine Schokolade, ein Rezept für Älplermakronen und eine DVD mit dem Jesus-Film. EVP-Gemeinderat Ernst Danner stand dem Team mit Rat und Tat zur Seite. Laut Dieter Förster war das Echo durchwegs positiv, wie etwa bei dem jungen, südländisch aussehenden Paar: «Herzlichen Dank für diese Überraschung!» Von fünfundvierzig verteilten Geschenken sind nur zwei abgelehnt worden. Möglich, dass der Dezembereinsatz der letzte dieser Art gewesen ist, denn nach der Abstimmung vom 25. November 2007 geht die Kompetenz für die Einbürgerungen nun an den Stadtrat über. Schade!

Bald geht es auf Ostern zu. Wir haben letztes Jahr den Kindern unserer Nachbarn, die aus acht verschiedenen Herkunftsländern stammen, den Jesus-Film in ihrer eigenen Sprache weitergegeben. Auch hier erhielten wir das ganze Jahr über immer wieder gute Echos. Deshalb: Nutzen wir die Chance, nutzen wir Ferien, Feste und Feiern – und bringen wir unseren Jungen, Neubürgern, Neuzuzügerinnen und Nachbarn die Botschaft des auferstandenen Christus!

René Bregenzer ist Mitglied der Missionsleitung von Campus für Christus Schweiz. 21


L E K T I O N

liebe | schwierige lektionen

«Wartet nicht, bis es zu spät ist»

Szenenbilder aus dem Film «Bruchstein»

Spielfilm von Jörg Reichlin über die Vater-Kind-Beziehung Ende November 2007 zeigte Jörg Reichlin seinen ersten Spielfilm «Bruchstein» an der Premiere in Wetzikon. Der Regisseur spielt darin die Rolle des Managers Strasser. An seiner Seite stellt Sohn Jannis Reichlin Strasser‘s Sohn Louis dar, der im Verlauf der Handlung stirbt.

Schauspieler Johanna Vollenweider CZ: Sind Sie zufrieden mit Ihrem Film? Jörg Reichlin: Ich bin froh, dass wir den Film mit so wenigen Mitteln realisieren konnten. Sehr zufrieden bin ich mit den Reaktionen der Leute, die an der Filmpremiere waren. Die wichtigen Botschaften sind bei ihnen angekommen. Das ist für mich Belohnung genug dafür, dass wir durchgehalten und den Film fertig produziert haben. Welche Note geben Sie dem Film? Ich habe bereits viele Theaterstücke inszeniert. Persönlich gebe ich jeweils halb aus Spass, halb im Ernst eine Prozentbeurteilung ab. Eine Bewertung von siebzig Prozent würde bedeuten, dass ich sehr zufrieden bin. «Bruchstein» gebe ich fünfundsechzig Prozent. In welcher Szene spielen Sie Ihre Rolle am authentischsten? Ich bin beeinflusst von meinem Sohn Jannis. Die Szene, in der ich mit meinem Chef im Gang spreche, findet er am besten. Da sei ich ganz in der Rolle des Managers Strasser, meint er, und nicht mehr Jörg Reichlin. Mir gefallen 22

einige Szenen, die ich mit meinem Sohn im Auto spiele. Die wichtigste Szene des Films ist aber der Moment, als er im Steinbruch stirbt. Wie ist es Ihnen während dieser Szene ergangen? Das ging mir unheimlich nahe. Je extremer eine Handlung ist, die man spielt, umso mehr muss man sie persönlich an sich heranlassen, sonst wirkt sie nicht authentisch. Seit Beginn der Geschichte ging es mir nur um diesen Moment. Die Botschaft dahinter ist: «Wartet nicht, bis es zu spät ist, eine Beziehung mit eurem Kind aufzubauen.» In diesem Moment ist der Vater seinem Sohn nahe, doch es ist zu spät. Für diese Szene hatten wir viel zu wenig Zeit. Die Crew war den gesamten Tag hindurch im Rückstand. Zwölf Minuten bevor die Sonne hinter dem Steinbruch versank, begannen wir zu drehen. Wenn du nicht absolut vorbereitet bist, misslingt es. Das war hart, da es die Schlüsselszene werden sollte, die den tiefsten Eindruck hinterlassen musste. Emotional war das sehr intensiv. Ich kam an den Punkt, an dem ich am liebsten mein Leben gelassen hätte, um meinen Sohn zu retten.

Ihr Sohn Jannis ist mittlerweile siebzehn Jahre alt und möchte Schauspieler werden. Natürlich freue ich mich darüber. Als Erstes muss er jedoch eine Lehre machen. Leider ist er etwas lesefaul, und die Schauspielerei ist ein Handwerk, das viel Training erfordert. Momentan ist es ihm wichtiger, mit seinen Kollegen auszugehen; doch im Grunde weiss er, was es braucht, um Schauspieler zu werden. Der Wunsch und die Leidenschaft sind bei ihm stark genug. Auf dem Set von «Bruchstein» hat er sich sehr gut geschlagen. Wir hatten oft vierzehnstündige Drehtage, und Jannis hat durchgehalten und Eigenes eingebracht. Auf dem Titelbild des DVD-Covers von «Bruchstein» steht ein Kreuz im Zentrum. Der Kameramann hat dieses Bild aufgrund des Filminhaltes ausgewählt. Ein Kreuz bringen die Menschen mit dem Tod in Verbindung. Es fordert uns heraus, darüber nachzudenken, woher wir kommen, wohin wir gehen und was nach dem Tod kommt. Wenn jemand sein Kind verliert, steht diese Frage zentral im Raum. Was für einen Sinn hat das? Ist es überhaupt an uns, cz 1|08

zu fragen und zu beurteilen, wann das Leben anfängt und wann es aufhört? Ich lebe seit Jahren mit Gott und weiss nicht, ob ich es aushalten würde ohne ihn. Vieles im Leben ist nicht erfreulich, doch daneben hat es wunderbare Seiten. Der Tod seines Sohnes hat Strasser herausgerissen aus seinem Leben des Erfolges, des Geldes und der Macht. Im Film wird das vorsichtig gezeigt mit dem Baum, den er nach dem Tod von Louis pflanzt. Der Baum gibt ihm wieder Hoffnung und erinnert ihn an seinen Sohn. Seine Handlung erinnert an Luthers Satz: «Ginge morgen die Welt unter, so pflanzte ich heute noch einen Apfelbaum.» Das Leben geht weiter, es ist stärker als der Tod.

Jörg Reichlin, Regisseur von «Bruchstein», arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Schauspieler im In- und Ausland. Er stand in unzähligen Rollen auf der Bühne, war sieben Jahre Theaterdirektor in Deutschland, spielte in über vierzig TV- und Kinofilmen, («Tatort», «Ernstfall in Havanna») und hat diverse Preise für sein dramatisches Schaffen erhalten.

Bruchstein

Sie machen Theater, Comicfilme und Hör-CDs. Was tun Sie am liebsten? Ich bewege mich seit bald vierzig Jahren in dieser Branche. Es ist der Wechsel, den ich mag. Was ich spiele, passt sich dem Leben an: manchmal ist es tragisch, manchmal komisch, tief oder ernst. Ich bin dankbar, dass ich in meinem Leben verschiedenste Dinge tun konnte. cz 1|08

Jörg Reichlin

Zum Film Sein Managerjob droht Strasser aufzufressen. Er nimmt seinen Sohn Louis in seiner kindlich-intuitiven Welt nicht mehr wahr. Er vergisst ihn sogar, lässt ihn auf der Treppe vor seinem Heim stundenlang warten. Strasser erkennt schliesslich auf einer Fahrt in den Schwarzwald zu Louis‘ Mutter, wie Zeitmangel und Stress eine Beziehung zu Louis verunmöglicht haben. Doch in der gleichen Nacht stirbt Louis in seinen Armen. Zu spät spürt Strasser, wie sehr er ihn geliebt hat. Von dem Tag an ändert sich Strassers Leben.

Weitere Informationen: www.richlin-production.ch 23


L E K T I O N Gott weiss immer einen Weg Wie Meiers nach der Scheidung zu Gott und zueinander fanden Nach ihrer Scheidung, der Hinwendung zu Gott und ihrem Beziehungsneustart sind Willi und Heidi Meier nun seit zehn Jahren wieder zusammen. Mit Gottes Hilfe legten sie einen Weg der Vergebung und Versöhnung zurück. Sie lernten, sich mit Gottes Augen zu sehen und das Alte hinter sich zu lassen.

liebe | schwierige lektionen

immer eine offene Türe bei mir und kannst jederzeit zurückkommen.» Das löst gewaltige Kämpfe in ihm aus. Über Mittag geht er hinüber ins Landesmuseum und schreit zu Gott: «Ich halte es nicht mehr aus! Greif ein!» Heidi weiss: Jesus hat Willi vergeben, und auch sie hat ihm verziehen. Trotzdem kehren ihre Gedanken immer wieder zu den Erlebnissen mit Willi‘s Exfreundin zurück. Sie lernt, diesen Gedanken entgegenzutreten. «Das ist Vergangenheit. Gott macht etwas Neues.» Mit dieser Gewissheit schaut sie nach vorne. Obwohl sie noch hundert Fragen hat, vertraut sie auf Gott. Die Angriffe in ihren Gedanken lassen mit der Zeit nach.

Schmetterlinge im Bauch Johanna Vollenweider Im Interview erzählt Heidi Meier: «Als ich hörte, dass mein Mann den Alphalive-Kurs besuchte, dachte ich: ‹Das ist schön. Sollen sich andere um ihn kümmern. Ich habe jetzt zehn Jahre gelitten.› Sie selber hat ebenfalls einen AlphaliveKurs besucht und ihr Leben Jesus übergeben. Dieser Schritt hat ihr geholfen, loszulassen und die gescheiterte Ehe Jesus zu übergeben. Davor hatte sie sich für Willi‘s Leben und Wohlergehen verantwortlich gefühlt. Sie wollte ihm helfen. Jetzt ist sie frei und spürt eine tiefe Ruhe. Heidi weiss, Gott hat einen Plan mit ihrem Leben und mit dem von Willi. Wie sich seine Frau verändert hat, ist Willi nicht entgangen. Nach ihrem letzten Gespräch vor dem Scheidungstermin an einem neutralen Ort scheint es ihm, als gehe er in die Dunkelheit zurück und Heidi gehe mit dem Licht weg. Seine fünfzehn Jahre jüngere Freundin gibt ihm nicht die Anerkennung, nach der er sich sehnt. Er ist todunglücklich. Schliesslich überwindet er seinen Stolz und ruft Pfarrer Dominik Reifler in Winterthur an, um sich für den Alphalive-Kurs anzumel24

den. Das Gespräch mit dem Pfarrer tut Willi gut. In der Alphalive-Gruppe fühlt er sich angenommen. Niemand verurteilt ihn. Er geht vorwärts mit Jesus und kommt in eine Freiheit, die ihm die Kraft gibt, sich von seiner Freundin zu trennen. Er nimmt sich ein Zimmer in Zürich.

Zurück nach Hause Nach Willi‘s Bekehrung rät ihm Pfarrer Reifler, die Wohnung in Zürich nicht lange zu behalten, um sich nicht unnötigen Versuchungen auszusetzen. «Nach dem Alphalive-Kurs solltet ihr wieder zusammenleben», meint er. Dieser Ratschlag erweist sich als prophetisch, wie sich wenig später zeigt: Willi läuft nach einem Geschäftsessen über den Parkplatz zu seinem Auto. Da klingelt sein Handy. Seine Exfreundin bittet ihn, zu ihr zu kommen. Sie sei traurig und fühle sich alleine. Als Willi in seinen Wagen steigen und zu ihr fahren will, gelingt es ihm einfach nicht, die Autotüre aufzuschliessen. Augenblicklich wird ihm klar, dass Gott die Macht hat, einzugreifen. Eine tiefe Traurigkeit erfüllt ihn. Plötzlich spürt er die Schmerzen, die er seiner Frau und seinen Kindern zugefügt hat. Lange sitzt Willi Meier neben seinem Auto und weint. Da-

bei heilt vieles in ihm. In seinem Herzen spürt er: «Jetzt gehe ich nicht mehr zurück in mein Zimmer oder zu meiner Exfreundin. Es ist an der Zeit, nach Hause zu gehen.» Es ist zwei Uhr morgens, als er anruft. Heidi schläft in dieser Nacht nicht. Sie spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie hat gerade gebetet, als das Telefon klingelt. Sie hebt augenblicklich den Hörer ab: «Wo bist du?» – «Hier vor der Haustüre», sagt Willi. «Darf ich nach Hause kommen?» Heidi ist einverstanden.

Der Kampf geht weiter Gemeinsam beanspruchen sie Seelsorge. Gemeinsam und jeder für sich kämpfen beide um eine neue Chance für ihre Ehe. Jesus, die neue dritte Person in ihrer Beziehung, wird zum Dreh- und Angelpunkt. Heidi weiss: Mit Jesus können sie einen Neuanfang versuchen. Nur im Vertrauen auf ihn wagt sie diesen Schritt. Immer wieder empfindet Willi Sehnsucht nach der anderen Frau. Herzschmerzen plagen ihn. Er erzählt Heidi davon. Die älteste Tochter Prisca schlägt vor, gemeinsam zu beten. Die Schmerzen lassen nach. An der Arbeitsstelle in Zürich kommt Willi‘s Exfreundin auf ihn zu und sagt: «Du hast cz 1|08

Anfangs spüren Willi und Heidi eine gewisse gegenseitige Distanz. Die Gefühle, die sie früher füreinander empfanden, fehlen noch. Dann geschieht das schier Unmögliche: die Liebe wächst langsam wieder. Heidi und Willi lernen sich neu kennen. Sie fühlen Schmetterlinge im Bauch. «Es ist ein Phänomen, das schwierig zu beschreiben ist», versucht Willi zu erklären, und Heidi meint: «Man muss es einfach erleben!» Nach einigen Monaten ist Willi gerade dabei, die Wand im Gang neu zu streichen, als er ein Bild erhält: Gott nimmt ihn aus seinen Armen, mit denen er ihn bisher getragen hat, und stellt ihn auf seine Füsse. «Jetzt kannst du selber laufen, Willi.» Schon oft hat Willi von diesem Moment erzählt. Wie jedes Mal treten ihm auch jetzt Tränen in die Augen. Der Prozess ist schmerzhaft, doch mit der Zeit heilen die Wunden. Willi versöhnt sich mit seiner Geschichte als drittes cz 1|08

und unerwünschtes Kind. All diese Schritte stellen die Beziehung zwischen Heidi und Willi wieder her. Je mehr sie sich auf Gott zubewegen, desto näher kommen sie sich als Ehepaar.

Reaktionen Die meisten Leute reagieren positiv, wenn Meiers ihre Geschichte erzählen. Doch einigen ist das zu einfach. «Ich hätte Willi in die Wüste geschickt», schimpft eine Frau in Meiers Weinladen «Me Vino» verbittert im Gespräch mit Heidi. Zu vergeben fällt der Kundin schwer. Ihr Leben hat sie hart und bitter werden lassen. Viele Kunden im Weinladen, den Meiers vor zwei Jahren in Pfungen bei Winterthur eröffneten, erzählen von persönlichen Schwierigkeiten. Im Nachhinein sind sie erstaunt, dass sie so offen waren. «Bei euch ist uns einfach wohl», sagen sie. Eigentlich wollten sie nur feinen Wein einkaufen.

sich zu haben. Er freut sich, wenn sie ihm zuliebe ins Wallis oder in die Westschweiz mitfährt. Unterwegs haben sie Zeit, miteinander zu reden; der Gesprächsstoff geht ihnen nie aus. Wenn sie geschäftlich oder privat über einen Punkt diskutieren, über den sie sich uneinig sind, gehen sie zusammen oder alleine vor Gott und legen ihm die Situation hin. Es kommt ab und zu vor, dass Heidi Jesus bestürmt wegen etwas, das ihr Mühe bereitet, und wenig später kommt Willi wegen dieser Sache auf sie zu oder umgekehrt. Beiden ist es wichtig, den Glauben auszubauen, damit er Frucht bringen kann. Es ist erlaubt, mal über das Ziel hinauszuschiessen, um umzukehren und einander um Vergebung zu bitten. «Wir sind zu einer Burg geworden, und das spüren viele Menschen.»

Zeit zu zweit Meiers betrachten ihre Zusammenarbeit im Weinladen als ein riesiges Geschenk. Willi geniesst es, seine Frau um

• oben: Heidi und Willi Meier • linke Seite: Meier‘s in ihrem vor zwei Jahren in Pfungen bei Winterthur eröffneten Weinladen «Me Vino» 25


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festen und feiern | wenn krippen erzählen

«Liebst du die Menschen?»

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Eine Schlüsselfrage Urs Hitz Als jungem Pfarrer in meiner ersten Kirchgemeinde stellte mir ein vertrauter Freund, der schon manchen Gottesdienst in unserer Kirche besucht hatte, eines Tages die Frage: «Sag, Urs, hast du die Menschen, die zum Gottesdienst kommen, eigentlich lieb?» Mir war schlagartig klar, worauf diese Frage abzielte: Ich hatte mich nämlich ab und zu dabei beobachtet, wie ich beim Predigen unterschwellig, und manchmal auch ganz offenkundig, gewisse Aggressionen gegenüber Menschen auf die Kanzel trug. Dies hat sich offensichtlich in Unter- und Nebentönen meines Predigens bemerkbar gemacht. Ich habe die Frage, ob ich die Menschen lieb habe, in mich aufgenommen. Weil sie mir ein guter Freund stellte, von dem ich

Die ersten beiden Jahre arbeitet Fernando nonstop ohne Ferien, weil er das Schweizer Arbeitsgesetz noch nicht kennt. «Ich glaubte den Arbeitgebern, dass es in der Schweiz so sei. Wieso sollten sie mich belügen?» Doch dann beginnt Fernando sich zu wehren. Zudem bekennt er sich im Betrieb zum Christentum. Damit wird er zur Zielscheibe seiner Arbeitskollegen, die ihn herausfordern und ihre Fehler auf ihn schieben. Eines Tages kann Fernando nicht mehr und flüchtet sich in den Keller. Dort weint er. Er legt Gott alles hin und bittet ihn um Kraft, damit er weitermachen kann. Er beginnt, Gedichte zu schreiben über das, was er erlebt. Auch als man ihn während Tagen bei brütender Hitze alleine arbeiten lässt. 26

R I N G E R

Es war vor neun Jahren. Hochschwanger mit dem zweiten Kind und frisch eingezogen, lernten wir unsere Nachbarn kennen. Schon beim ersten gemeinsamen Kaffeetrinken stellte sich heraus, dass wir alle vier Christus nachfolgen und Erfahrungen in der Mitarbeit in christlichen Werken haben. Wir arbeiten bei Campus für Christus, sie hatten sich bei Operation Mobilisation kennengelernt. Wenige Wochen später kam unsere Tochter zur Welt.

wusste, dass er mich als Person und als Pfarrer schätzte, fiel mir das nicht schwer. Und das Wertvolle an der Frage war, dass sie mich nun seit über 25 Jahren im Pfarrdienst begleitet. Ich kann gar nicht sagen, wie oft sie mir speziell auf der Kanzel in den Sinn kam. Ich habe gelernt, mich zu beobachten und mir selber gut zuzuhören. Wenn ich die alten Gefühle von damals ab und zu noch wahrnehme, steht mir immer sofort der Freund mit seiner Frage vor Augen: «Hast du die Menschen lieb?» Schon oft haben sich auf und neben der Kanzel meine Haltung und Ausdrucksweise sowie auch mein Tonfall und meine Gefühlslage auf der Stelle verändert. Dafür bin ich meinem Freund, der gut zugehört und mutig gefragt hat, bis heute unglaublich dankbar. Und übrigens: Ich habe meinen Freund nach einem knappen Jahr gefragt, ob er eine Veränderung wahrgenommen habe. Er bejahte.

• Urs Hitz ist evangelisch-reformierter Pfarrer in Oberdiessbach

Wie ein Flüchtling lernte, Mitarbeitende zu lieben Als Fernando Orellano 2002 mit seiner Frau Gisela aus Argentinien in die Schweiz nach Rüti ZH kommt, freut er sich über die Chance auf ein besseres Leben. Er findet bald Arbeit, vertraut jedoch Menschen, die ihn im Stich lassen. Er lernt, seinen Groll mit Gottes Liebe zu überwinden.

F Ü R B beziehungsweise Liebe deine Nachbarn

Wenn Liebe auf Granit stösst Johanna Vollenweider

K O L U M N E

Schliesslich spricht er seine Arbeitskollegen auf ihr Verhalten an und sagt: «Wenn ich euch irgendetwas angetan habe, dann tut es mir leid.» Doch damit stösst er auf Granit, und das tut ihm sehr weh. Trotz allem spürt Fernando, dass Gott bei ihm ist und ihm hilft. Worte aus der Bibel wie Matthäus 11,29: «Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen» helfen ihm durch schwierige Situationen. Die Beziehung zu einem der Mitarbeiter normalisiert sich mit der Zeit, eine andere bleibt weiterhin schwierig und unberechenbar. Während der vergangenen sechs Jahre hat Fernando gelernt, die Menschen zu lieben, ohne etwas zu erwarten. Er weiss, dass er nicht mehr tun kann, als sein Stück des Weges auf andere zuzugehen. Alles Weitere liegt nicht in seiner Hand. «Gott hat mir die Gabe gegeben, sie zu lieben, sodass ich in meinem Herzen keinen Groll empfinde. Er ist mein Freund, zu dem ich jederzeit laufen und bei dem ich mein Herz ausschütten kann.» cz 1|08

• Fernando und Gisel Orellano mit Eilén cz 1|08

Wie es gesellschaftlich angebracht ist, gratulierten sie uns zur Geburt des Prachtmädels. Zu den guten Wünschen kam ein Geschenk hinzu, und zwar ein ausserordentliches: eines, das für unseren dreijährigen Sohn bestimmt war. Wir staunten nicht schlecht: Ein Trettraktor samt Anhänger, grün, gross und der Traum jedes Buben! Wir freuten uns natürlich, aber da war so ein mulmiges Gefühl in der Magengegend: Wie kamen die dazu, uns als fast Fremden ein so grosses Geschenk zu machen? Ich fragte nach und lernte eine Glaubenslektion: Zunächst war es ihre Missionsvergangenheit, die sie für die finanzielle Situation von «Vollzeitern» sensibilisiert hat, und der Wunsch, dass die Kinder Grosszügigkeit erleben. Aber dann kam der Knüller: In der Bibel stehe, man solle allen Menschen Gutes tun, zuallererst aber den «Glaubensgenossen» (Galater 6,10). Nach dieser Devise leben sie, denn sie wollen den verheissenen Segen in der eigenen Familie erleben. Seit neun Jahren darf ich jetzt schon unter diesem nachbarlichen Liebeseinfluss leben. Wir haben keine WG zusammen gegründet, gehen nach wie vor in unterschiedliche Gemeinden und pflegen unsere eigenen Beziehungsnetze. Dennoch gibt es da eine verlässliche Basis; dieses Einander-in-Liebe-zugewandt-Sein hat schon in Hunderten von konkreten Aktionen und 27

Diensten aneinander seinen Ausdruck gefunden und auf mich abgefärbt. Wurzeln geschlagen hat bei mir die Haltung, dass Nächstenliebe eine Selbstverständlichkeit ist und ich mich für den anderen so einsetze, wie er es brauchen kann und nicht so, wie ich es gerne hätte. Als Psychologin bin ich immer wieder mit Menschen konfrontiert, die lernen müssen, sich abzugrenzen. Tatsächlich gibt es Menschen, die einem Helfersyndrom verfallen und es allen recht machen wollen, vielleicht auch, um so die dringend benötigte Liebe und Anerkennung zu erhalten. Hier ist es gut, den wahren Motiven auf die Spur zu kommen und auch mal Nein sagen zu lernen. Doch wie so oft kippt die Balance leicht ins Gegenteil. Plötzlich wird die Innenschau das Mass aller Dinge: «Hauptsache, es stimmt für mich!» Aber weder in mir drin noch in der erhofften Reaktion meiner Nächsten liegt der Massstab, an dem ich mein Handeln überprüfen kann. Der Auftrag von Jesus, unsere Nächsten zu lieben, ist gesetzt, und ich bin herausgefordert, ihn umzusetzen. Das kann schon mal wehtun, anstrengend sein, etwas kosten – auch monetär –, aber es ist Segen ausgeschrieben auf so ein Leben. Und sowieso: Grössere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.

Sabine Fürbringer ist Psychologin, Familienfrau und arbeitet bei Campus für Christus als Referentin, Autorin und Beraterin.


T H E R A P I E

liebe | vergebung und versöhnung nähren …

Manfred Kiener

Dr. med. Kirstin Arp und Dr. med. Lukas Kiener

Vergebung und Versöhnung nähren die Liebe Interview mit Dr. med. Kirstin Arp und Dr. med. Lukas Kiener Bleibt die Liebe in unseren Beziehungen, Freundschaften, in unserer Gesellschaft auf der Strecke? Wie kompensieren Menschen fehlende Aufmerksamkeit, Anerkennung und Liebe? Die Psychotherapeuten Dr. med. Kirstin Arp und Dr. med. Lukas Kiener äussern sich über Zerrbilder der Liebe sowie über Ansätze zur Veränderung und Heilung der eigenen Liebesfähigkeit.

CZ: Psychiatrische Kliniken sind voll und Psychotherapeuten führen Wartelisten. Was ist nur mit unserer Gesellschaft los? Dr. med. Kirstin Arp: Unsere Gesellschaft richtet sich nach dem Humanismus statt nach der Bibel. Der Mensch überschreitet seine Kompetenzen und spielt sich zum Richter auf über das Leben, wie in der Sterbehilfe oder bei der Tötung ungeborenen Lebens. Hilfesuchende erhalten wenig Hilfe, wenn sie nicht auf die Hilfe von Jesus hingewiesen werden. Der Individualismus ist bei uns grösser als in anderen Kulturen und die sozialen Verpflichtungen, einander beizustehen, sind bei uns kleiner. Dr. med. Lukas Kiener: Therapeutische Hilfe zu beanspruchen, ist heute kein Tabu mehr. Manche Menschen kennen niemanden, auf den sie zählen können, wenn es hart auf hart kommt. Sie bleiben mit ihrer Not alleine. Bleibt die Liebe in unserer Gesellschaft auf der Strecke? Kiener: Zum Teil ist Liebe da, zum Teil nicht. Ich weiss von Angehörigen und Arbeitgebern, die sich die Unterstützung kranker Personen viel kosten lassen. Andere Patienten fühlen sich alleine gelassen und stossen auf wenig Verständnis. Im Geschäftsleben ist das Klima härter geworden. Personalchefs reagieren erst, wenn Mitarbeitende ausfallen. Arp: Ja, andere Werte wie zum Beispiel Selbstverwirklichung sind wichtiger geworden, als sich füreinander Zeit zu nehmen. So bleibt die Liebe auf der Strecke. Welche Zerrbilder der Liebe beschäftigen Sie? Kiener: Man benutzt einander, so lange es einem gelegen kommt. Wenn jemand

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nicht mehr passt, stösst man ihn zurück oder lässt den Partner hängen. Zudem treffen wir unreife Beziehungsmuster an: der eine ist dominant und kontrollierend, die andere abhängig und unsicher. Aus Angst, den Partner zu verlieren, wagt sie es nicht, etwas anzusprechen. Viele hängen in krankhaften Beziehungsmustern fest. Arp: Erotik wird mit Liebe verwechselt, geniesst einen hohen Stellenwert und wird idealisiert. Treue und Verbindlichkeit sind keine hohen Werte mehr. Viele haben Lebensabschnittspartner anstelle von verbindlichen Beziehungen. Wie sollen Kinder Liebe, Treue und Verbindlichkeit lernen, wenn nicht von ihren Eltern? Weitere Zerrbilder im therapeutischen Alltag sind: Zuwendung suchen durch Leistung, sexueller, ritueller und geistlicher Missbrauch, Pädophilie, Homosexualität und Ehebruch. Ist Liebe ein Gefühl oder ist sie eine Entscheidung? Kiener: Die Liebe beginnt nicht ohne Gefühle. Später braucht es eine Entscheidung, an der Beziehung zu arbeiten, damit die Liebe nicht erlischt. Arp: Gefühle kommen und gehen. Liebe ist eine Entscheidung, ein Geschenk und eine Verpflichtung füreinander und vor Gott. Was taugt ein Eheversprechen, das Treue nur so lange verspricht, wie die Liebe hält? Welche Tendenzen stellen Sie in Ihrer Praxis im Blick auf die Liebe fest? Arp: Nebst hoch motivierten Patienten mit Bereitschaft zur Veränderung haben einige Mühe mit Konfrontation. Wenn sie nicht das hören, was sie erwarten, wechseln sie den Therapeuten. Manche fühlen sich in ihrer Gemeinde mit ihren Problemen unverstanden, vermissen die Fachkompetenz und suchen deshalb einen Psychotherapeuten auf. Kiener: Ich erlebe viel Bereitschaft, sich

der eigenen Persönlichkeit zu stellen und zu wachsen. Bei Paaren ist einer der Partner dafür oft bereiter als der andere. Wie kompensieren Menschen fehlende Liebe? Kiener: Einige verwechseln «gebraucht werden» mit «geliebt werden». Anstatt wahrzunehmen, wo ihm selber Liebe fehlt, kümmert sich ein Helfertyp umso mehr um andere. Andere kompensieren fehlende Liebe mit Leistung, mit Materialismus, mit Konsum oder mit Esoterik. Das können Ersatzbefriedigungen sein. Arp: Ja, ebenso wie Süchte, Sex, Unterhaltung und Beziehungsabhängigkeit. Das Bedürfnis nach Liebe wird über den Einsatz für andere befriedigt, oder andere Menschen werden für eigene Zwecke missbraucht. Wie kann ich mich für mehr Liebe engagieren? Kiener: Indem ich bereit werde, zu wachsen und mich zu entwickeln. Es gilt, Räume zu schaffen, wo Begegnungen und Liebe möglich werden. Es ist wertvoll, wenn Besucher einer Kirche nach dem Gottesdienst miteinander essen, reden, Beziehungen pflegen und füreinander beten. Liebe wächst dort, wo Begegnung und Betroffenheit geschieht und wir uns Zeit füreinander nehmen. Achte auf das, was Gott tut. Wenn du dich daran beteiligst, geschieht Liebe praktisch. Wenn Gott Menschen heilt und wiederherstellt, blühen Beziehungen auf. Fang bei dir an. Leg dir Rechenschaft ab: Auf wen bist du wütend? Vergebung und Versöhnung nähren die Liebe. Wenn wir einen Konflikt oder Bitterkeit jahrelang mitschleppen, erkaltet die Liebe. Arp: Paulus definiert im 1. Korintherbrief, Kapitel 13, was Liebe heisst. Durch Intimität mit Gott und Hingabe an ihn 29


liebe | vergebung und versöhnung nähren …

erfahre ich Gottes Liebe für mich und andere. Ich tanke bei ihm auf. Er macht mich liebesfähig. In der Bibel heisst es, die Liebe werde in vielen erkalten, wenn die Ungerechtigkeit überhandnehme. Wir wappnen uns dagegen durch die Liebe zum Wort Gottes und wenden uns als Folge von der Gesetzlosigkeit ab. Wie kommt es so weit, dass die Liebe erlischt? Kiener: Die Unfähigkeit, Konflikte auszutragen und zu lösen, wird so lange überspielt und kompensiert, bis es nicht mehr geht. Der eine Partner will nicht hören, was schiefläuft. Er ändert so lange nichts an seinem Verhalten, bis der andere Partner genug hat. Enttäuschungen summieren sich. Der eine Partner wehrt sich. Der andere reagiert mit Verachtung und Geringschätzung. Irgendwann hält die eine Seite das nicht mehr aus, zieht sich zurück und schützt sich. Es braucht Demut, sich zu fragen: «Wo habe ich falsch gehandelt und Signale überhört?» Es braucht Reife, zu eigenen Fehlern zu stehen. Arp: Zum Erlöschen der Liebe führen zu hohe Erwartungen an den Partner. Negative Beziehungsmuster aus der Ursprungsfamilie prägen. Es braucht Mut anzusprechen, was nicht läuft. Ich empfehle, zurückzugehen an jenen Punkt, wo etwas aus dem Ruder zu laufen begann. Frage dich: «Was ist dort eigentlich in mir vorgegangen?» Bezahlen Menschen Therapeuten, damit jemand sie liebt? Kiener: Ja, wenn Liebe wie folgt verstanden wird: zuhören, ernst nehmen, mitdenken, ermutigen, konfrontieren und Bereitschaft haben, gemeinsam einen Weg zu bewältigen. Es gibt Menschen mit chronischen Schmerzen, denen niemand mehr zuhören will mit Ausnahme ihres Therapeuten. Leute 30

kommen eher aus einem Leidensdruck heraus zu uns und weniger aus Beziehungshunger. Wobei manchmal das eine mit dem anderen zu tun hat. Wer als Christ fällt, traut sich manchmal nicht mehr, in die Gemeinde oder zu seinem Seelsorger zu gehen, weil er fürchtet, abgelehnt, gerichtet oder verurteilt zu werden. Sünder haben sich bei Jesus vielleicht wohler gefühlt als unvollkommene Christen heute in mancher Gemeinde. Arp: Wir sind als Therapeuten gefordert, jene zu lieben, die sonst niemand liebt. Es gibt zudem Patienten, die durchaus Freunde haben, aber deren Problem zur Lösung kompetente Hilfe braucht. Jeder Mensch benötigt sowohl Liebe als auch Fachkompetenz. Man muss unterscheiden zwischen geistlichen und seelischen Ursachen. Weshalb ist Liebe so schwierig in unseren Beziehungen? Kiener: Im Weg stehen eigene Prägungen, Stolz und der Unwille, eigene Defizite anzuschauen. Weiter blockieren Angst vor Nähe und unverarbeitete Enttäuschungen. Ein Partner packt ein Problem nie an, weil er befürchtet, davon überschwemmt zu werden. So gärt das Problem weiter, bis der Partner fremdgeht. Wir benötigen Heilung, um liebesfähiger zu werden. Die Möglichkeiten, wie Gott in einer Beziehung wirken kann, werden unterschätzt. Bete für deine Beziehung! Eine Frau erzählte, sie teile ihre Anliegen im Gebet Gott mit, wenn ihr Mann nicht zuhören wolle. Gott wecke darauf ihren Mann nachts und bringe es ihm bei. Es nützt mehr, wenn ich zu einem perfekten Partner werden will, als wenn ich einen perfekten suche. Arp: Wir erwarten oft zu viel von Menschen und zu wenig von Gott. Wir kämpfen um unser Recht, statt Gott zu suchen, der uns Recht schaffen wird. Die Hingabe füreinander fehlt.

Dabei sollte doch der eine den anderen höher achten als sich selbst. Wie werden wir frei zu lieben? Kiener: Indem wir Liebe erleben, indem Gott uns heilt und befreit. Indem wir unsere blockierenden Überzeugungen infrage stellen. Die Erfahrung einer therapeutischen Beziehung kann ein Element sein auf dem Weg zur Liebesfähigkeit. Dietrich Bonhoeffer schrieb: «Der Christus im eigenen Herzen ist schwächer als der Christus im Worte des Bruders ...» Manchmal brauchen wir die Liebe eines Glaubensbruders oder einer Glaubensschwester, um Gottes Liebe zu erfahren. Wenn sich jemand für mich engagiert, erlebe ich Wertschätzung. Arp: Verbindliche Beziehungen helfen, Liebe zu lernen. Es hilft, in Lebensgemeinschaften zu leben, das Leben und die Arbeit zu teilen. Es fördert die Liebe, wenn wir Rechenschaft ablegen, echt werden und Begegnungen wagen. Gott zeigt mir seine Liebe oft durch Mitmenschen. Wenn ich als Ebenbild Gottes lebe, zeigt Gott seine Liebe anderen auch durch mich. Jesus will durch mich Mensch werden. Wir dienen einander mit unseren Gaben und erfahren Liebe. Die Liebe sollte das Erkennungszeichen der Christen sein. Deshalb ist es zentral, Liebe zu lernen. So trage einer die Last des anderen. Wenn jemand zum Beispiel für mich kocht, überzeugt mich das mehr als ein Traktat. Sie arbeiten als Psychotherapeuten mit einem christlichen Menschen- und Weltbild. Welche Rolle spielt für Sie die Liebe im therapeutischen Alltag? Kiener: Ich bete vor und nach einer Sitzung für Ratsuchende. Ich rechne mit Jesu Liebe im Kontakt mit Menschen, die wenig liebenswürdig oder eher stachelig wirken. Für Gott gibt es keinen cz 1|08

hoffnungslosen Fall. Er kann jede und jeden zur Liebesfähigkeit führen. Ich bitte Gott, er solle sich um jene Bedürfnisse des Patienten kümmern, die er vielleicht noch nicht formulieren kann. Die Liebe Gottes erreicht verschüttete und vernarbte Bereiche im menschlichen Herzen, die ich als Therapeut weder sehen noch erreichen kann. Arp: Gott gibt mir Ideen, Impulse und Liebe für Menschen. Manchmal erhalte ich Eindrücke in der Fürbitte für eine Person. Ich schaffe die Basis- und Rahmenbedingungen, damit Menschen sich öffnen. Ich zeige Interesse und Wohlwollen und hole Leute dort ab, wo sie sind. Gott hilft mir, die Patienten so zu sehen, wie er sie sieht. Es ist für mich ein Geschenk und eine Ehre, als Therapeutin zu erleben, wie Gott Menschen berührt und wie ich sie begleiten darf. Ich staune immer wieder über Gottes Liebe zu den Menschen. Es entlastet mich, einfach zuschauen zu können, wie letztlich Gottes Liebe Menschen verändert. Kiener: Wir sind wie Geburtshelfer: Wir schwitzen – und Gott schenkt das Leben. Wir kennen das Dreifachgebot der Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu uns selber. Wie sieht eine gesunde Selbstliebe aus? Kiener: Mit einer gesunden Selbstannahme fühle ich mich von Gott geliebt, gewollt und bestätigt. Ich akzeptiere meine Grenzen und stehe zu mir. Ich bejahe, was ich gut kann, und entwickle das. Ich kann Nein sagen und mich abgrenzen. Arp: Als Mensch muss ich Gottes Wahrheiten über mich hören und Lügen über mich aufdecken. Gott nimmt mich an und zeigt mir seine Liebe durch andere Menschen, die er mir ins Leben stellt. So empfange ich seine Liebe und Annahme. Er heilt mich von Ablehnung und Verletzungen aus Beziehungen.

Heisst lieben auch, Grenzen zu setzen? Kiener: Wir müssen Grenzen setzen gegenüber destruktivem Verhalten, gegenüber symbiotischen Versuchen, uns zu vereinnahmen. Wenn ich mich verausgabe und in ein Burn-out gerate, diene ich niemandem. Also grenze ich mich ab, wenn etwas über mein Vermögen geht. Es ist besser, kurzfristig Nein zu sagen und dafür langfristig zur Verfügung zu stehen. Arp: Ich handle nicht nur aus den Bedürfnissen der Menschen heraus. Not ist keine Berufung. Ich prüfe mit Gott, auf welche Not ich eingehen soll. Wo ist mein Auftrag? In der Therapie ist es wichtig, herauszufinden, welche Ratsuchenden zur Veränderung motiviert sind und wo ich ebenfalls motiviert bin. Jesus hat nur das getan, was er den Vater tun sah. Ich versuche, vom Herzen Gottes und nicht von der Not her zu handeln. Wo sind Christen gefährdet, in krankmachende Zerrbilder der Liebe abzudriften? Kiener: Wenn sie sich selber nicht mehr wahrnehmen und nur noch Gottes Reden suchen. Wenn sie sich verausgaben im Helfen und zynisch werden oder sich dort engagieren, wo sie nicht begabt sind. Wir dürfen nicht zulassen, dass Enttäuschungen über Menschen uns verbittern. Das führt zu Zerrbildern. So machen wir Gott klein und die Fehler der Geschwister gross. Arp: Zerrbilder entstehen, wenn Leiter idealisiert werden. Man vertraut ihnen unkritisch und macht sich eventuell von ihnen abhängig. Diese Haltung führt unweigerlich zu Enttäuschungen und Christen wechseln die Gemeinde. Wir sollen nicht bei Menschen Liebe und Anerkennung suchen, sondern bei Gott.

Zur Person Dr. med. Kirstin Arp ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Paar- und Familientherapeutin sowie christliche Beraterin (Ignis). Sie führt eine Praxis im Kanton Zug. Gegenwärtig wirkt sie für drei Monate als Beraterin in Jerusalem/Israel.

Zur Person Dr. med. Lukas Kiener ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH für Erwachsene. Er führt eine Praxis in Küssnacht am Rigi.


PERSONLICH Entscheide über Sieg oder Niederlage

liebe | entscheide über sieg leben und niederlage politisches engagement | wir heute und …

Hanspeter Nüesch

Das Wort des Missionsleiters Billy Graham bezeichnete es als grössten geistlichen Sieg in seinem Leben, dass der Teufel ihn nie in Streit mit Kritikern verwickeln konnte. Das hätte ihn nur von seinem evangelistischen Auftrag abgelenkt. Je mehr er für seine Kritiker segnend betete, desto mehr erfüllte ihn Liebe für sie.

Hanspeter Nüesch Es sei manchmal hart gewesen, schreibt Billy Graham, sich angesichts verletzender und die Fakten verzerrender Kritik nicht zu verteidigen, sondern die Angelegenheit Gott zu überlassen. Wie gross die inneren Kämpfe waren und wie schwer es ihm fiel, sich nicht auf die Ebene seiner Gegner zu begeben, zeigen seine Tagebuchnotizen. Am schlimmsten traf ihn die Kritik der Christen. Billy Graham brachte diese Kritik jeweils unverzüglich vor Gott und bat ihn um seine Meinung. Wenn er sich keines Fehlers bewusst war, bat er um Frieden in seiner Seele und um Gottes Segen für seine Widersacher. Er erlebte Erstaunliches: Je mehr er segnend für seine Kritiker betete, desto mehr erfüllte ihn Liebe für sie, sodass er nicht mehr negativ über sie dachte. Gleichzeitig fiel manche Last von ihm ab. Das erlaubte ihm, Herausforderungen mutig und fröhlich anzupacken und Tausende und Abertausende von Menschen in die Nachfolge Jesu zu rufen.

Segnend für andere beten Normale Christen wie du und ich erleben, dass uns unerklärliche Liebe, Gottes 32

Agape-Liebe, geschenkt wird, wenn wir unsere «Feinde» segnen. In seinem kürzlich erschienenen autobiografischen Buch «Wunder dauern manchmal länger ...» schreibt Kurt Spiess, langjähriger Prediger der Freien Evangelischen Gemeinden und ehemaliger Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz, offen und ehrlich über seine Auseinandersetzungen mit Geschwistern. Er steht dazu, dass er sich manchmal in unnötige Auseinandersetzungen verwickeln liess. Er beschreibt aber auch den Segen, der im gegenseitigen Vergeben liegt. Kurt Spiess bezeugt, dass Gott ihn mit Liebe und Wertschätzung für seine Widersacher erfüllte, sobald er im segnenden Gebet für sie einstand. Dadurch wurde Kurt Spiess zu einem wichtigen Brückenbauer und Erneuerer im Leibe Christi in der Schweiz. Gott gab mir früh «Lobe Gott, segne Menschen» als Motto für schwierige Situationen und Menschen auf den Weg. Ohne diese Leitlinie hätte ich die gesegnete und angefochtene Zeit während der «Aktion Neues Leben» in den Achtzigerjahren wahrscheinlich emotional und geistlich nicht überlebt. Obwohl unzählige

Menschen in Bibelgesprächskreisen zum Glauben fanden, kritisierten viele Geschwister die «Aktion Neues Leben» wegen der Breite der mitarbeitenden (Kirch-)Gemeinden. Heftiger waren die Kritiken aus Deutschland. Ein Theologe schrieb in «ideaSpektrum»: «Mit Campus für Christus geht es bachab, wie die Schweizer sagen würden.» Vor kurzem traf ich diesen Bruder. Wir hatten eine gute Zeit zusammen!

Aus Widersachern werden Freunde Rückblickend empfinde ich diese schwierige Zeit als Segen in meinem Leben und Dienst. Gott lehrte mich, von ihm allein abhängig zu sein. Erst in einer königlichen Unabhängigkeit von den Meinungen der Mitmenschen können wir neue Wege beschreiten, wie es Billy Graham oder Kurt Spiess immer wieder taten. Ich erlebte, dass nicht wenige meiner früheren Widersacher mit den Jahren zu echten Freunden wurden, mit denen zusammen ich von Herzen vor Gott für unser Land einstehen kann. Gott zeigte mir, dass ich oft mitschuldig war, dass Geschwister Mühe mit mir und Campus für Christus hatten. Ich hätte dem Wort Jesu «Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und cz 1|08

von Herzen demütig» (Matthäus 11,29) mehr nachleben müssen. Wie oft habe ich meine Überzeugung nicht im nötigen Respekt für meine Mitchristen kundgetan und diese so blockiert. Ich bin froh, dass Gott mir manche Lieb- und Taktlosigkeiten vergeben hat und immer noch vergibt, weil ich diesbezüglich immer wieder versage. Wir entscheiden, ob wir als Resultat schwieriger Situationen und erlittener Verletzungen bitter werden oder daran wachsen. Mir gefällt das englische Wortspiel «bitter or better». Ja, es gibt wirklich keine Alternative. Entweder wachsen wir geistlich als Folge von Konflikten, oder wir werden bitter, mit allen unheilvollen Nachwirkungen für unser geistliches Leben, unseren seelischen Zustand und unsere körperliche Gesundheit. Es gibt kaum etwas Zerstörenderes als Unversöhnlichkeit.

Das Kriegsbeil begraben Es ist interessant, dass auf die Aufforderung Jesu, von ihm Sanftmut und Demut zu lernen, die Verheissung folgt: «So werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.» Wie viel friedlicher wäre es in uns und unseren Gemeinden, wenn wir uns alle an die Aufforderung Jesu hielten und die Kleinkriege ad acta legten. Für Konflikte braucht es immer mindestens zwei. Wir sind nur für unseren Teil verantwortlich. cz 1|08

Vielleicht hegen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, noch Groll gegen jemanden oder haben einer Person nicht vergeben. Bitten Sie in diesem Fall Gott, dass er Ihnen Kraft gibt, dieser Person zu vergeben. Beginnen Sie, wenn es Ihnen schwerfällt, als Akt des Gehorsams gegenüber Gott, für diese Person im segnenden Gebet einzustehen. Danken Sie für ihre positiven Seiten, die Ihnen in den Sinn kommen.Sie werden erleben, wie Gott Sie mit zunehmender Liebe für diese Menschen erfüllt, sodass Sie kaum mehr warten können, das Kriegsbeil zu begraben. Je mehr Sie die Sache im Gebet vor Gott bewegen, desto bewusster wird Ihnen gleichzeitig, wie Sie selber auf Gottes Barmherzigkeit und Gnade angewiesen sind; denn in Konflikten werden wir alle irgendwann schuldig. Es ist mein tiefster Wunsch, noch mitzuerleben, wie wir Christen in der Schweiz zusammenstehen, unseren wahren Feind erkennen und vereint mit aller Entschlossenheit unser Land mit dem Licht des Evangeliums Jesu Christi füllen. Erste Anzeichen in diese Richtung sind sichtbar. Ein Beispiel sind die regelmässigen Austausch- und Gebetszeiten unter geistlichen Leitern, die mehr und mehr von gegenseitiger Liebe und Wertschätzung geprägt sind. Die Zeit ist vorbei, in der wir einander durch Kritik und Verdächtigungen verletzten und schwächten. Die

Situation in unserem Land ist zu ernst, die Verheissungen Gottes sind zu gross. Jetzt ist die Zeit, in der wir einander die Hand zum Segen reichen und angetan mit der geistlichen Waffenrüstung und im kindlichen Vertrauen auf die biblischen Verheissungen dem Feind unserer Seelen entgegentreten! Machen Sie mit? Ich schliesse mit Worten Jesu, die mich seit längerer Zeit begleiten:

«Segnet die, die euch beschimpfen, betet für die, die euch lieblos behandeln ... Ihr aber sollt eure Feinde lieben und ihnen Gutes tun ... Seid barmherzig, wie es auch euer Vater euch gegenüber ist» (Lukas 6,28.35). «Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast» (Johannes 17,20 f.). «Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt» (Johannes 13,34 f.). 33


FEINDESLIEBE

politisches liebe | engagement «wenn nur der | wir ander leben endlich heute…!» und …

haben wir es immer wieder erlebt: Jesus vermittelt, wenn wir ihn dazu einladen.

Sackgasse 2: Umerziehen und Verbündete suchen

«Wenn nur der andere endlich ...!» Beten um «Feindesliebe» im Alltag Wir wissen es: Jesus ist Mittler zwischen Mensch und Gott. Was viele nicht wissen: Jesus ist auch Mittler zwischen Mensch und Mensch. Für mich eine Erkenntnis, die den Umgang mit meinen «Feinden» im Alltag entscheidend verändert hat.

Peter Höhn «Feinde» im Alltag: Sie sind uns oft näher, als wir gerne zugeben: Die Quasseltante im Hauskreis, der Besserwisser im Arbeitsteam, der Diktator in der Chefetage, die Nervensäge in der Familie, der Eisklotz in der Ehe. Ich habe in meinem Leben viele solcher «Feinde» vergeblich bekämpft und viele nutzlose Kämpfe um Veränderung meiner selbst geführt. Meist bin ich in der Sackgasse gelandet. Aber es gab immer dann einen konstruktiven Ausweg, wenn ich meine Feinde und Feindbilder nicht mehr ins Pfefferland wünschte, sondern – und das war der grösste Kampf – bereit war loszulassen, zu Jesus ging und fragte, was ich denn aus seiner Sicht in dieser Situation lernen soll. Von drei Sackgassen und ihren Auswegen möchte ich hier erzählen.

Sackgasse 1: Anklagen und Selbstanklagen Es ist unglaublich, wie gerne auch bestandene Christen darüber klagen, wie schwierig es doch mit diesem Mann oder jener Frau oder in diesem Team sei. Dabei wüssten sie genau, wie‘s ginge. Was «ginge», geht aber in der Praxis meist nicht. Im 34

Lauf der Jahre ist mir aufgefallen, dass es zwei Sorten Klagechristen gibt: solche, die andere anklagen und solche, die sich selbst anklagen; solche, die Erwartungen haben und solche, die ständig Erwartungen erfüllen; solche, die Schuldige suchen und solche, die sich immer schuldig fühlen. Beide Strategien führen in die Sackgasse, weil es immer Ankläger und Rechtfertiger gibt, Besserwisser und Nochbesserwisser, Gewinner und Verlierer. Und letztlich regiert auf beiden Seiten der Stolz, der laut oder leise sagt: «Ich wüsste, was die Lösung wäre, wenn nur der andere endlich ...!»

Ausweg 1: Jesus als Mittler einladen Vor Jahren stiess ich bei Bonhoeffer in «Nachfolge» auf diesen Gedanken. Er hat bei mir wie ein Blitz eingeschlagen: «Zwischen Sohn und Vater, zwischen Mann und Weib, zwischen Einzelnen und dem Volk steht Christus, der Mittler ... Alle unsere Versuche, die Kluft, die uns von anderen Menschen trennt, die unüberwindliche Distanz, Andersheit, Fremdheit des anderen Menschen durch Mittel natürlicher oder seelischer Verbindung zu überwinden, müssen scheitern.

Es führt kein eigener Weg von Mensch zu Mensch.»1 Jesus ist der Mittler zwischen Mensch und Mensch! Das hat mir eine völlig neue Sicht im Umgang mit anderen Menschen eröffnet. So habe ich mir angewöhnt, Jesus im Gebet in meine Beziehungen einzuladen, gerade dort, wo ich an meine Grenzen kam: «Jesus, komm, sei du unser Mittler. Bringe dein Licht und deine Wahrheit in unseren Nebel. Vermittle zwischen uns, dass wir einander so sehen und verstehen, wie es in dieser Sache notwendig ist.» – Meine Frau und ich fuhren einmal zu einer Seminarwoche in das Tessin. Unterwegs hatten wir einen schlimmen Streit. Im Gotthardtunnel hatten wir den Tiefpunkt erreicht. Innerlich und äusserlich wurde es schwarz. Unsere Kehle war zugeschnürt, unsere Köpfe rauchten, unsere Herzen weinten. Auf der Höhe von Biasca fassten wir uns und beteten: «Jesus, komme du und vermittle ...!» Ich erinnere mich noch, wie sich etwas löste. Beiden wurde leichter ums Herz, ohne dass wir jedoch wussten, wie es mit dem Konflikt weitergehen sollte. Zwei Tage später fanden wir dann Zeit, in aller Ruhe und Sachlichkeit den Konflikt anzuschauen und zu lösen. Plötzlich verstanden wir uns. So cz 1|08

Den Mitmenschen nachhelfen, sie umerziehen, wer hat das nicht oft versucht? Natürlich immer auf die feine Tour und mit den «besten Absichten». Ich höre das auch von anderen. Eine Bekannte erzählte mir, wie sie ihren Chef umerziehen wollte. Zwar hielt sie grosse Stücke auf seine Dynamik, seine Zielorientierung, seinen Durchhaltewillen, hatte aber auch Angst, dass er es irgendwann einmal nicht mehr im Griff haben würde. Als Mitglied der Leitung beschloss sie, eine Mitarbeiterfraktion zu bilden mit dem Ziel, die Kompetenzen des Chefs einzugrenzen, wollte aber als gute Christin nochmals im Gebet fragen, was denn Jesus dazu denke.

Ausweg 2: Loslassen und um Gottes Sicht bitten Im Gebet bekam sie den Eindruck, sie solle bei Hiob 39,9 nachschlagen, ohne zu wissen, was dort stand. Sie war nicht wenig verblüfft, als sie Folgendes las: «Wird dir der Wildstier dienen wollen ...? Hältst du am Seil ihn in der Furche ...?» – Sie wusste, was Gott ihr sagen wollte: «Gib deine Kontrolle auf! Du kannst die Energie deines Chefs nicht zähmen, aber vertraue mir: ICH habe ihn geschaffen, ICH habe ihn so gewollt und ICH kann mit seiner Energie umgehen. Sorge du dafür, dass du deinen Teil zu seiner Ergänzung beiträgst und ihn gut aussehen lässt; so wird es auch der Firma gut gehen.» Die Frau hatte verstanden. Sie konnte ihr Umerziehen loslassen, begrub den Plan des Mitarbeiterkomplotts und fing an, ihrem Chef und der Firma mit einer veränderten Haltung zu dienen. Gott segnete ihren Schritt: Das Klima im Team, die Zusammenarbeit und schliesslich auch die Ergebnisse wendeten sich frappant zum Guten. cz 1|08

Sackgasse 3: Feinde zufrieden stellen Eine dritte Falle liegt darin, Menschen, deren «Energie» wir fürchten, in falscher Weise zufriedenzustellen. Etwas, das ich gut kenne: Wo ich in meinem Umfeld Erwartungen spüre, tat und tue ich fast alles, dass sie erfüllt werden und Menschen zufrieden sind. Mit meinem ausgleichenden und verständnisvollen Wesen kriege ich das noch lange ganz gut hin. Was aber tue ich, wenn jemand trotz meines Einsatzes immer noch nicht zufrieden ist? Ich habe lange gebraucht, um die Falle in meiner Stärke zu entdecken: Wenn ich denke, ich müsse jemanden zufriedenstellen, entmündige ich ihn. Ich drücke hintergründig aus: Du bist eine anspruchsvolle, schwierige Person, aber keine Angst, ich sorge dafür, dass du zufrieden bist. Aber bitte, mach mir und den anderen Leuten möglichst keine weiteren Probleme! Ich habe schmerzhaft lernen müssen, dass ich mit dieser Einstellung mehr meinem Ego gedient, falsche Verantwortung auf mich geladen und dem Nächsten nicht wirklich gedient habe.

Ausweg 3: Gottes Wort zur Stunde suchen Statt meinem automatischen Reflex zu folgen, immer gleich die anderen zufriedenzustellen, pflege ich als Erstes zu beten: «Jesus, was ist es denn, das ich in dieser Situation aus deiner Sicht lernen

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soll?» Dieses Fragegebet und ein Hinhören auf Gottes Stimme in meinem Herzen hat mich immer wieder überraschend «ins Weite» und zu konstruktiven nächsten Schritten geführt. So habe ich über die Jahre von meinen «Feinden» mindestens ebenso viel gelernt wie von meinen Freunden. Die betende Auseinandersetzung damit, was denn mein Lernschritt ist, hat meinen Horizont erweitert, mein Rückgrat gestärkt und mir mehr Gelassenheit gebracht. Wenn wir Jesus um «Gottes Wort zur Stunde» bitten, statt falsch verstandenes «christliches» Zufriedenstellen zu üben, wird er uns zeigen, welche Art von Liebe in dieser Situation dran ist: Ja sagen oder nein sagen, andern helfen oder Jesus zu Füssen sitzen, etwas unternehmen oder einfach die Dinge reifen lassen. So wie es Zinzendorf in seinem Lied schrieb: «Die Liebe wird uns leiten, den Weg bereiten ob‘s etwa Zeit zu streiten, ob‘s Rasttag sei ...» Zwischenmenschliche Beziehungen sind ein Feld geworden, in dem ich viele Gebetserhörungen erlebt habe, so viele wie nirgends sonst. Ich erlebe sie nicht immer, aber immer öfter. Und ich habe bei mir und anderen gesehen: Wer die Feindesliebe wenigstens mit seinen zeitweiligen «Feinden» übt, nämlich seinen Nächsten, dem gelingt das echte Friedenstiften auch im grösseren Stil.

Vgl. dazu 1. Korinther 8,6; 1. Johannes 4,9; Römer 15,5 35


liebe | das beste für gott geben

• In den ehemaligen Wohnhäusern ist heute das City of Bristol College untergebracht, und die Georg Müller Foundation führt nach Müllers Grundsätzen seine Arbeit fort.

Ein Gott, der Gebete erhört Zwei Jahre nach der Heirat bat ihn Henry Craik, mit ihm nach Bristol zu kommen. Neben Liverpool war auch Bristol ein Zentrum des Sklavenhandels gewesen. Das Verbot des Sklavenhandels liess Bristol wirtschaftlich zurückfallen. Die sozialen Missstände, die Müller in Bristol antraf, setzten ihm zu. Im Jahr 1835 gab er öffentlich seinen Plan bekannt, ein Waisenhaus zu eröffnen. Dazu hatte er sich von Gott ein Haus, Hilfe für die Betreuung der Kinder und 20 000 Mark erbeten. Das war ein immenser Betrag, verdiente eine einfache Näherin pro Woche doch gerade mal dreieinhalb Mark. Doch vier Monate später, am 1. April 1835, war alles bereit: Haus, Personal und Einrichtung. Müller hatte an alles gedacht und für alles gebetet – nur nicht für Kinder. Keine einzige Anmeldung war eingetroffen. Erschüttert zog er sich zum Gebet zurück. Er war bereit, alles wieder loszulassen. Am nächsten Tag traf das erste Aufnahmegesuch ein. Nach einem Jahr lebten in drei Häusern bereits 81 Kinder. In der Sonntagsschule sassen 320 Kinder und in der Alltagsschule 350. 38

Immer öfter beklagten sich Anwohnerinnen und Anwohner über den Lärm der spielenden Kinder. Während zwölf Jahren, von 1848 bis 1870, errichtete Müller ausserhalb Bristols, in Ashley Down, fünf neue Häuser für 2000 Waisen. Dabei kümmerte ihn der geistliche Zustand der Kinder weit mehr als die fehlende Kleidung oder Nahrung. In erster Linie wollte er ihren Glauben stärken und zeigen, dass Gott Gebete erhört.

Whitefield. Francke hatte rund hundert Jahre vor Müllers Geburt in Halle an der Saale das damals grösste Heim für Waisenkinder eröffnet. Wenn Müller in dessen Freiquartieren für arme Studenten übernachtete, bekam er bereits etwas von Franckes Geist mit. In England las Müller dessen Biografie. Das brachte ihn dazu, sich zu fragen, ob er nicht mit Gottes Hilfe ebenfalls einen Platz für elternlose Kinder finden könnte. John Newton war ein Sklavenhändler, der zum Christentum konvertierte und sich darauf gegen die Sklaverei aussprach. Wie Newton in seinen Tagebüchern wollte auch Müller Zeugnis von den Taten Gottes geben. Die Erfahrungen Georg Whitefields ermutigten ihn zu grosser Treue und Ernst in der Verkündigung des Wortes und zu mehr Vertrauen auf die Macht des Heiligen Geistes.

Einfluss und Prägung Bereits am Anfang ihrer Ehe versprachen sich Mary und Georg Müller, nie Schulden zu machen und immer alles bar zu bezahlen. Konsequent baten sie Aussenstehende weder um Geld noch um Hilfe. Der lebendige Gott musste alleinige Hilfsquelle bleiben. Drei Männer prägten Müller: August Hermann Francke, John Newton und Georg

Auf die Probe gestellt Jahrelang waren die Mittel so knapp, dass «es verhältnismässig selten war, dass wir für drei Tage im Voraus das Nötige für die Waisenkinder hatten», schrieb Müller in sein Tagebuch. «Doch nur einmal war ich in Versuchung, im Glauben schwach zu werden.» Als die Hilfe kam, stellte Müller fest, dass es nur cz 1|08

auf eine Glaubensprobe hinauslief. Diese Erkenntnis stärkte und ermutigte ihn so, dass er dem Herrn nie mehr misstraute und selbst in der grössten Armut nie niedergeschlagen war. Oft warnte Müller andere davor, ohne eigenen Glauben seinem Beispiel zu folgen. Für sich selber unterschied er zwischen der «Gabe des Glaubens» und der «Gnade des Glaubens». Müller sagt sinngemäss zur «Gabe des Glaubens», dass wir üblicherweise in unserem Glauben frei seien: «Wir können unseren Glauben auf eine Sache richten und etwas tun, was keine Sünde ist. Zum Beispiel dieses oder jenes zum Frühstück essen. Egal, zu was wir uns entschliessen, es ist keine Sünde, wenn wir es nicht tun.» Anders verhält es sich mit der «Gnade des Glaubens»: Hier verpflichtet sich die Person zu tun, was sie glaubte, weil nicht zu glauben oder nicht zu tun für sie eine Sünde gewesen wäre, entsprechend dem Wort aus Römer 14,23: «Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde.»

häufig bis sechs oder sieben Uhr im Bett. Er stand in der Gefahr, um Frieden, Kraft und Autorität zu kommen. Die Predigt eines Freundes über das Opfer im Hebräischen Testament rüttelte ihn dermassen auf, dass er sich entschloss, nicht mehr länger seine besten Stunden im Bett zu verbringen. Nach sieben Stunden Schlaf stand er auf und nahm sich wieder Zeit fürs Gebet. Müller starb mit dreiundneunzig Jahren. Als sein Testament eröffnet wurde, stellte sich heraus, dass er nichts besass als die Einrichtung seiner Wohnung und sechzig Pfund. • Die Jungen lernten ein Handwerk, die Mädchen erhielten für ihren Dienst die nötige Ausbildung.

Das Beste für Gott Als junger Mann war Müller ein Frühaufsteher. Mit zunehmender Verantwortung, der nach aussen gerichteten Arbeit und körperlichen Beschwerden lag er cz 1|08

• Noch mit 90 Jahren wies Müller auf den Zusammenhang zwischen dem Gebet und einem Leben in Heiligkeit hin und predigte darüber. 39


K U L T U R Provokativ fragen zwei Frauen auf der Bühne nach einer intakten Familie. Die Situation von Patchworkfamilien steht im Zentrum der Tragikomödie «Last Minute – oder ‹Einmal Familie retour›», mit der die Schauspiel «GmbH» seit Herbst 2007 die Theaterszene bereichert.

Mancher Zuschauer nickt bei Sätzen wie «Wer redet schon gerne über seine Probleme?» oder «Wenn diese Frau nicht gewesen wäre, dann wäre alles anders». Geballt, gekonnt und authentisch kommt die Handlung der acht Schauspielenden im Team daher. Sie fühlen sich sichtlich wohl in ihren Rollen als Ehefrau, Tochter, Hausfreund oder Beraterin. Sie zeigen den normalen Wahnsinn in Beziehungskonstellationen, in Patchworkfamilien eben. Autorin Patricia Gotsch und Regisseur Beat Müller beobachteten gut, um postmoderne Beziehungskisten abzubilden.

Leider kein Spiel Ich frage mich: «Ist das Scheiden einfacher geworden?» Steigende Scheidungszahlen scheinen dieses Fazit zuzulassen. Neuerdings gibt es neben den Hochzeits- sogar Scheidungsmessen. Helfen diese, in Beziehungskrisen schneller und einfacher «Schluss zu machen»? Vordergründig vielleicht, doch wie sieht es in der Seele der Betroffenen aus? Autorin Patricia Gotsch schrieb dieses Stück, «um aufzurütteln und einen Blick hinter die scheinbare Leichtigkeit einer Trennung 40

Die Zuschauer scheinen sich selbst zu erkennen. Ich frage mich, weshalb bringt das Schauspielteam Gott nicht mehr ins Stück? Die Freundin von Sara erwähnt zwar, mit Gott sei ein Neuanfang möglich und es gehe weder um Schuld noch um Verurteilung. «Tiefer», so Regisseur Beat Müller, «wollten wir nicht gehen, um auch Nichtchristen offen zu begegnen.» Es gehe schliesslich darum, lieber für eine Beziehung als mit deren Folgen zu kämpfen. Ich wünsche solchem Theaterschaffen, auf öffentlicheren Bühnen als «nur» in Kirchgemeindehäusern wahrgenommen zu werden. Es braucht mutige Promotoren, die Kunst und Spiritualität für ein breites Publikum fördern.

Christliches Theater? Kopfschütteln, Lachen und Weinen liegen in diesem Theater nahe beieinander.

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• Szene aus «Last Minute – oder ‹Einmal Familie retour›». cz 1|08

«Wenn‘s um die Liebe geht, zitierst du wahrscheinlich ein Sonett. Hast dich aber beim Anblick einer Frau noch nie wehrlos gefühlt, weil sie dich mit den Augen in ihren Bann gezogen hat, wo du dann das Gefühl hast, Gott hat dir einen Engel geschickt, der dich aus den Tiefen der Hölle rettet ... für den auch du mal der Engel wirst.» Das sagt der Psychologe Sean McGuire (Robin Williams) in «Good Will Hunting» zum jungen Will Hunting (Matt Damon), einem mathematischen Genie, emotional aber unnahbar und mit einer Neigung zu kriminellen Taten und Gewaltausbrüchen.

In diesem Film geht es um die Liebe, um Nächstenliebe und um die Fähigkeit, sich selber mit all seinen Stärken und Schwächen anzunehmen. Das macht diesen Streifen so aussergewöhnlich. Das Beste daran sind die starken Dialoge zwischen Sean und Will in den Therapiesitzungen, die für beide Folgen haben werden. Zwar ist Will hochbegabt und intellektuell Sean wohl überlegen, doch an Lebenserfahrung ist dieser ihm weit voraus. Er hat schon einige Höhen und Tiefen in seinem Leben erlebt und daraus seine Lehren gezogen. So sagt Sean dann auch seinem jungen Klienten: «Du weisst nicht, was ein wirklicher Verlust

M A Nzwischen U Büchern E L A Gedanken Den Kaffee ans Bett bringen? Wissen Sie, was mir seit einigen Jahren auffällt? Zum Thema Liebe gibt es bereits Hunderte von Büchern – und es erscheinen immer wieder neue. Sehr wahrscheinlich, weil die meisten von uns Fragen haben wie: Kann ich Jesus noch mehr lieben als mit meinen 86,5 Prozent? Wenn ich meinem Mann den Kaffee ans Bett bringe, mache ich es aus Liebe oder stecke ich bereits in einer ungesunden Abhängigkeit? Liebt mich Gott noch, wenn ich am Sonntagmorgen mal ausschlafe, anstatt in die Kirche zu gehen? Kennen Sie das? cz 1|08

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politisches engagement liebe | | kultur wir leben heute und …

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«Good Will Hunting»

Christliches Theater auf säkulare Bühnen!

oder Scheidung zu werfen». Es sei zwar ziemlich normal geworden, dass Familien auseinanderbrechen. Die Folgen seien aber komplex und schmerzhaft geblieben. Das wird in der zweistündigen Aufführung deutlich. Die Hauptperson Sara – von der Autorin gespielt – versucht nach einer Trennung von ihrem Ehemann die Situation in einer neuen Beziehung zu kontrollieren. Ihre Überforderung wird offensichtlich: Verpasste Termine, Missverständnisse, Klagen aus der Schule bis hin zum Schlagen ihrer Kinder – ein Handeln, das sie bei sich nie für möglich gehalten hätte. Verzweiflung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Daneben drücken die Männer in dieser Beziehungskiste – je für sich nicht unsympathisch – die egoistische und zuweilen ignorante Haltung des starken Geschlechts aus. Am Schluss des Stücks schafft es Sara im Männerdilemma wenigstens, zunächst das Richtige zu tun. Sie verzichtet auf eine Ferienreise mit dem «Neuen» und besucht ihren verunfallten «Ex» im Spital. Die Kinder freut‘s!

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AFilmtipp NDY SCHINDLER-WALCH

«Kennst du eine intakte Familie?»

Tom Sommer

ist, denn das lernst du nur, wenn du jemanden mehr liebst als dich selbst.» «Good Will Hunting», USA 1997, 126 Minuten ist im Handel als DVD erhältlich.

• Andy Schindler-Walch, Filmspezialist und Redaktor bei www.fernsehen.ch

R I C H A R D

Ich habe Ihnen eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die schlechte: All die Bücher (ich sage das, ohne diese abzuwerten) werden Ihnen in erster Linie nichts nützen (sorry, Chef). Die gute Nachricht ist – und Gott sei Dank dafür –, dass Jesus sagt: «Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und ganzer Kraft und deinen Nächsten wie dich selbst.» Das kann ich nicht selber tun. Ich kann nur sagen: «Jesus, hier bin ich. Lehre mich, dich zu lieben und meinen Nächsten.» Je mehr ich anfange, darin zu leben, desto mehr begeistert mich dieser

Jesus. Dann kann es sogar in der Buchhandlung Ihres Vertrauens vorkommen, dass Ihnen die Verkäuferin auf der Suche nach einem Buch rät: «Ich kann Ihnen da kein Buch verkaufen. Gehen Sie in die Stille und lieben Sie Jesus.»

• Manuela Richard liebt ihren Mann und ihren Job in der Evangelischen Buchhandlung in Winterthur (www.evangelische.ch) 41

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ARGENTINIEN

politisches engagement wir leben heute und … reportage | | argentinien

• Pfarrer Martin Müller (Mitte) und Daniel Tejedo, der Leiter der Granja (rechts), mit einem Projektteilnehmer im Werkzeug-Container.

R E P O R TA G E

Ehemaliger Gefängnisdirektor führt die Ranch «Granja Agape»

Daniel Tejeda leitet Projekt von Agape International in Argentinien Daniel Tejeda ist der neue Leiter des Projekts «Granja Agape» zur Resozialisierung strafentlassener Männer in Argentinien. Er bringt 25 Jahre Berufserfahrung als Polizeioffizier und Gefängnisdirektor mit. Ein Porträt.

Peter Keller Daniel Tejeda erlebte eine schwierige Kindheit: Vor bald fünfzig Jahren kam er im argentinischen La Plata als Sohn unverheirateter Eltern zur Welt. Drei Jahre später ging deren Beziehung auseinander. Daniel kam zu einer Tante, wo er seine Kinderund Teenagerjahre verbrachte und eine katholische Privatschule besuchte. Mit fünfzehn Jahren zog er zu seiner Grossmutter. Dort lebte auch sein alkoholkranker Vater, der fünf Jahre später starb.

Ein harter Aufseher Nach dem Abschluss der Mittelschule liess sich Daniel Tejeda an der Hochschule für Gefängnisarbeit in Buenos Aires zum Kriminalisten ausbilden. Nach einer weiteren Ausbildung zum Zahntechniker begann er seine berufliche Laufbahn in einem Gefängnis. Bald war er unter den Gefangenen als harter Wärter gefürchtet.

• Zwei Programmteilnehmer arbeiten im Gemüsegarten.

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Im Hochsicherheitsgefängnis «Los Olmos Unidad 1» begegnete Daniel Tejeda zum ersten Mal dem Pastor Juan Zuccarelli. Dieser Pastor wusste sich von Gott berufen, den Gefangenen das Evangelium zu verkünden. In den folgenden Jahren erlebte Tejeda, wie der christliche Glaube das Leben zahlreicher Gefangener radikal zum Besseren veränderte.

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Versöhnung mit der Mutter Daniel Tejedas eigenes Leben erfuhr 1990 eine Wende: An einer Evangelisation mit Pastor Zuccarelli sah er nach zwanzig Jahren zum ersten Mal seine Mutter wieder. Im Alter von zwölf Jahren war er ihr zum letzten Mal auf der Strasse begegnet. Sie war damals grusslos an ihm vorbeigegangen. Dieses Erlebnis verletzte Daniel Tejeda, und er schwor sich: Mit dieser Frau will ich nichts mehr zu tun haben! Überraschend trafen sie sich wieder unter Gottes Wort. Am selben Abend entschieden sich Mutter und Sohn für den Weg mit Jesus und unternahmen erste Schritte der Versöhnung. Mit dem Glauben kam eine neue Dimension in Daniel Tejedas Leben. Er setzte sich für eine christliche Abteilung im Gefängnis «Los Olmos» ein. Sein Wunsch ging 2003 in Erfüllung: 250 gläubige Gefangene zogen in die Unidad 25, und Daniel Tejeda wurde ihr Direktor. Daraufhin gaben die zuständigen Richter 2004 grünes Licht, damit die ersten Ex-Sträflinge zur Resozialisierung auf der Ranch «Granja Agape» einsteigen konnten.

Nach Brand freigestellt Im Sommer 2005 übertrugen die Behörden Daniel Tejeda die Leitung des Gefängnisses Unidad 28 mit 1200 Gefangenen. Bis zu jenem Zeitpunkt war noch nicht

bekannt, ob es dort Christen gab. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt – Daniel Tejeda nahm gerade an einer Hochzeitsfeier teil – brach in der Unidad 28 ein Brand aus. Dreissig Menschen starben an einer Rauchvergiftung. Der Brand führte szu einer Revolte unter den Gefangenen. Die Behörden suspendierten Daniel Tejeda sofort und haben ihn seither nicht mehr eingesetzt. Als freigestellter Gefängnisdirektor erhält er jedoch weiterhin einen Grundlohn. Im Frühling 2006 begann Daniel Tejeda von La Plata aus, die Gefangenen auf der Granja Agape zu betreuen. Anfang August 2007 zog er mit seiner Frau und fünf seiner sechs Kinder auf die Granja. Die Kinder fahren mit dem Bus zur Schule oder Universität nach La Plata. Dort leben auch ihre Grosseltern, Onkel und Tanten, wo die Kinder hin und wieder bleiben. Tejedas älteste Tochter (26) wohnt in La Plata. Daniel Tejeda fühlt sich in seiner neuen Aufgabe wohl. Seine langjährige Betreuungs- und Führungserfahrung hilft ihm dabei und kommt auch dem Projekt zugute. Da er eher am Rand der Gesellschaft aufwuchs, hat er ein feines Gespür für Aussenseiter entwickelt. Daniel Tejeda leitet sie einerseits mit einer gewissen Härte, andererseits aber auch mit spürbarer Liebe. 43


reportage | argentinien

«Vater, Freund und Pastor sein»

Hier können Sie helfen:

Interview mit Daniel Tejeda über seine neue Aufgabe Heinz A. Suter CZ: Wie hast du die ersten Monate auf der Granja Agape erlebt? Daniel Tejeda: Es war eine sehr anstrengende Zeit. Viel Arbeit wartete auf uns. Und es kostete nicht nur mich, sondern auch die ganze Familie viel Kraft, sich der neuen Lebenssituation anzupassen. Doch mit Gottes Hilfe haben wir es geschafft. Zusammen dienen wir hier unserem Herrn. Was gefällt dir an deiner neuen Aufgabe? Ich bin hier den Chicos (Jungs) ein Vater, Freund und Pastor. Ich helfe ihnen, ihre Fähigkeiten und Gaben zu entwickeln – das ist eine Chance, die sie ohne die Granja Agape nie erhalten hätten. Es ist für mich ein Vorrecht, die Veränderungen in ihrem Leben zu sehen und mit ihnen Gott und den Menschen zu dienen.

• Bild oben: Daniel Tejedo in der Werkstatt: Maschinen stehen bereit; noch fehlt der Strom. • Bild unten: Projekt-Initiant Pfarrer Martin Müller (links) hält mit den elf Programmteilnehmern auf der Granja eine Andacht.

Worin besteht die Herausforderung im Umgang mit den Chicos? Sie besteht darin, Geduld mit ihnen zu haben, wenn die erhoffte Veränderung nicht so schnell eintritt. Ich muss auf den Moment warten können, wo sie das Vertrauen gewonnen haben und ihr Herz öffnen. Manchmal erzählen die Männer dann Dinge, über

Starkstromleitung dringend

die sie noch mit niemandem gesprochen haben. Hast du Kontakt mit ehemaligen Chicos der Granja? Sicher haben wir Kontakt, zum Beispiel mit Rafael Maciel. Wir treffen uns jeden Sonntag im Gottesdienst. Er wuchs hauptsächlich im Jugendgefängnis auf. Doch jetzt arbeitet er in einer Sicherheitsfirma. Er kann sich eine eigene Wohnung leisten und steht auf eigenen Füssen. Er hilft uns auch bei der Gefangenenarbeit. Kontakt haben wir zudem mit Adrián Mosquera. Er war jahrelang in der Unidad 25 inhaftiert gewesen und diente dort später als Pastor. Er kam danach für einige Zeit auf die Granja Agape. Daraufhin schaffte er den Sprung ins Alltagsleben und fand einen Job in der Baubranche. Jetzt lebt er mit seinen Eltern in Buenos Aires und leitet eine Bibelgruppe in seiner Kirche.

Damit sich die Rehabilitanden handwerklich betätigen und weiterbilden können, will Agape International auf der Granja eine Schlosserei sowie eine Schreinerei einrichten. Die Männer haben das Fundament und die Wände der Werkstatt kürzlich errichtet. Gerade während des Besuchs der Schweizer Delegation im Herbst 2007 waren die Männer dabei, das Dach mit Wellblech zu decken. Maschinen für die Holz- und Metallverarbeitung stehen zum Einbau bereit. Vor Monaten hat der Verein bereits den Starkstromanschluss beantragt. Die Fachleute müssen eine Leitung aus der nächsten Stadt unterirdisch zur Granja verlegen. Die Starkstromleitung mit 380 Volt wird voraussichtlich rund 10 000 Franken kosten. Noch fehlt Geld, um den Leitungsbau zu beginnen.

Lohn von Daniel Tejeda Als freigestellter Gefängnisdirektor erhält der Granja-Leiter Daniel Tejeda vom Staat weiterhin einen Grundlohn. Deshalb muss Agape International nicht für seine gesamte Entschädigung aufkommen. Agape unterstützt ihn jedoch mit rund 500 Franken pro Monat für den Aufwand, der durch das abgelegene Wohnen für seine Familie entsteht. Es handelt sich vor allem um Transport- und Telefonkosten. Auf der Granja Agape gibt es keinen Festnetzanschluss, und die Handytarife sind hoch. Agape International Projekt Argentinien Hüeblistrasse 34 8165 Oberweningen www.agape.ch E-Mail: argentinien@agape.ch

Zahlungsverbindung: Campus für Christus, 8005 Zürich Postkonto 80-1486-5 Vermerk: Argentinien 2000/3/990010

Welche Ziele verfolgst du im Jahr 2008? Wir möchten in allen Bereichen, zum Beispiel im Gartenbau und in der Tierhaltung, wachsen und mehr Chicos aufnehmen. Zudem wollen wir die Schreinerei und die Schlosserei in Betrieb nehmen sowie einen Raum für Gemeindeaktivitäten schaffen.

• Bild oben: Mit Wellblech deckten die «Chicos» die neue Werkstatt auf der Granja. • Bild unten: Ein Strafentlassener unterhält den Traktor. 44

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reportage | argentinien

Das Evangelium macht einen Unterschied

Wo steht das Projekt heute?

Im Herbst 2006 reisten Roland Kurth, der Leiter von Agape International, und ich zur Vorstandssitzung des Trägervereins der Granja Agape nach Argentinien. Neben der Granja besuchten wir verschiedene Gefängnisse im Land. Dabei erlebte ich, welchen Wandel die Verkündigung des Evangeliums in vielen Strafanstalten auslöst. Wir sprachen mit Ex-Gefangenen, Mitarbeitern und Gefängnisdirektoren der Unidad 25 sowie des Frauengefängnisses in Los Olmos. Pastor Juan Zuccarelli, Präsident des Trägervereins der Granja Agape, hat vor rund 25 Jahren in Los Olmos mit der Verkündigung begonnen. Diese Saat ist aufgegangen: Heute gibt es in Argentinien Gefängnisse, in denen sich bis zur Hälfte der Insassen zu Christus bekehrt hat.

Partnerschaft zwischen örtlicher Kirche und Agape International

Heinz A. Suter Der argentinische Pastor Juan Zuccarelli reiste mit Ex-Gefangenen in die Schweiz und erzählte an der Expo 1997 von den erwecklichen Aufbrüchen in argentinischen Gefängnissen. Ein Konferenzteilnehmer hörte vom Wunsch Zuccarellis, ein Projekt zur Resozialisierung aufzubauen. Auf eigene Faust reiste dieser Spender 1998 und 1999 in Begleitung nach Argentinien und erkundigte sich vor Ort über die Bedürfnisse. Er kaufte 2000 mit eigenen Mitteln die verlassene Ranch ausserhalb von La Plata in der Provinz Buenos Aires. Die Initianten erstellten Wohnraum und weihten Mitte Oktober 2002 die Granja ein mit zahlreichen Gästen aus Kirche und Politik. Später beauftragte der Spender Agape International mit der Begleitung des Projekts in Argentinien. Im Herbst 2003 reisten Käthi und Fritz Geiser aus der Schweiz erstmals auf die Ranch nach Argentinien. Agape International und Pastor Juan Zuccarelli gründeten 2004 vor Ort einen Trägerverein für die Arbeit auf der Granja Agape. Seither erhalten dort strafentlassene Männer geistliche, menschliche und berufliche Unterstützung bei ihrem Start in ein ehrliches und eigenständiges Leben.

Auf unserem Rundgang begleitete uns eine Studentin. Sie untersuchte für ihre Doktorarbeit den Einfluss des christlichen Glaubens auf die Gefangenen. Dabei stellte sie fest, dass nur fünf Prozent der Haftentlassenen aus diesem Gefängnis rückfällig werden. Dagegen fallen bis zu 45 Prozent der Entlassenen aus nicht christlich geführten Institutionen in die Kriminalität zurück. Das ist ein starkes Zeugnis für die lebensverändernde Kraft des Evangeliums! Möge dieses Zeugnis auch uns im deutschsprachigen Raum ermutigen, die Frohe Botschaft hinter die Gefängnismauern zu bringen. Ich empfinde es als Vorrecht, dass wir von Agape International diese segensreiche Resozialisierungsarbeit unterstützen können. Wir begleiten damit Ex-Gefangene auf dem Weg in eine neue geistliche und soziale Freiheit. Ich danke Ihnen herzlich, wenn Sie sich mit Ihren Gaben und Gebeten am Ausbau der Granja Agape beteiligen.

• Oben: Eingang zum Trakt «Unidad25» der Christen im Gefängnis «Los Olsmos»: Christus unserer einzige Hoffnung.

Heinz A. Suter, Standortleiter Argentinien

• Unten: Begegnung im Frauengfängnis «Los Olmos»: Freude und Lachen in schwieriger Umgebung. Im Frauengefängnis leben die kleinen Kinder bei ihren Müttern. 46

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• Der Vorstand des Granja-Trägervereins (von links nach rechts): der Granja-Leiter Daniel Tejedo, Sekretärin Mara Luciano, Roland Kurth, Leiter von Agape International, Pfarrer Juan Zuccarelli, Standortleiter Heinz A. Suter von Agape International, Gabriel Nicolini und Pedro Pas.

Lobpreis starten sie in den Nachmittag. Darauf folgt eine weitere Arbeitsphase. Nach dem Abendessen bleibt Zeit für Gemeinschaft sowie für Sport und Spiel.

Gemeindeglieder helfen Verschiedene Gemeindeglieder aus Pastor Zuccarellis Kirche engagieren sich für die Männer auf der Granja: Ein Mann besucht sie zweimal pro Woche und treibt mit ihnen Sport. Eine Familie verbringt manches Wochenende auf der Farm, um den Männern Anteil an ihrem Familienleben zu geben. Ferner behandelt ein Zahnarzt aus der Kirche den Chicos gratis die Zähne. Eine junge Frau hilft in der Administration aus.

Tagesablauf

Chicos helfen Obdachlosen

Um 7.15 Uhr beginnt der Tag auf der Granja mit einer gemeinsamen Andacht und Gebet sowie einem Frühstück. Anschliessend geht es an die Arbeit. Alle Chicos, wie die Strafentlassenen genannt werden, erfüllen ihre Aufgaben: Sie versorgen die Enten, Hühner, Rinder und Schafe, jäten im Gemüsegarten, unterhalten die Gebäude und Werkzeuge oder kochen für alle. In der Mittagspause waschen sie ihre Kleider, putzen ihr Zimmer und halten Siesta. Mit einem gemeinsamen Bibelstudium und

In den vergangenen Wintermonaten erfroren einige Obdachlose in La Plata nachts auf den Strassen. Das hat die Chicos auf der Granja bewegt und dazu veranlasst, in kalten Nächten Obdachlose zu suchen und sie vor dem Erfrieren zu retten. Der Bürgermeister von La Plata unterstützt diese Aktion. So helfen die Chicos als Männer am Rand der Gesellschaft anderen bedürftigen Menschen. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein und baut ihre Sozialkompetenz auf. 47


reportage | argentinien

Lebensberichte von Ex-Gefangenen auf der Granja Heilung nach Vergebung • Santiago vergab seinem Attentäter und Gott heilte ihn von den Verletzungen nach einem Kopfschuss.

Santiago (42) wuchs mit neun Geschwistern ebenfalls in einem Armenviertel auf und absolvierte sieben Jahre Primarschule. Bereits in jungen Jahren geriet er in schlechte Gesellschaft und tötete in einem Streit einen Menschen. Die Richter verurteilten ihn 1992 «auf ewig», das heisst bis 2118. Oft stand er im Gefängnis am Gitter seiner Zelle und hörte die Christen beten. Mit der Zeit interessierte er sich für diese Treffen und wollte daran teilnehmen. Santiago fand 1993 zum Glauben und änderte seinen Lebensstil. 1996 heiratete er seine inzwischen auch bekehrte Lebensgefährtin und ordnete sein Leben, so gut es ging. 1998 wurde er selber Pastor der Gemeinde im Gefängnis. Wegen seines guten Betragens reduzierten die Richter seine Strafe auf elf Jahre und entliessen ihn vorzeitig aus der Haft. Santiago kam ebenfalls 2004 als einer der ersten «Gäste» auf die Granja. Fritz und Käthi Geiser halfen ihm bei der Resozialisierung. Heute lebt Santiago mit seiner Frau in der Stadt. Dort arbeitet sie als Sekretärin einer Kirchgemeinde. Santiago hilft unter der Woche als Pastor auf der Granja, studiert mit den Chicos die Bibel und leitet sie mit seiner schönen Stimme in der Anbetung. Vor einigen Monaten hat Santiago wieder einmal sein früheres Jagdgebiet im Armenviertel besucht. Ein drogensüchtiger Mann erkannte ihn und schoss auf ihn, weil er dachte, Santiago werde ihm und seiner Bande wieder Konkurrenz machen. Die Kugel traf Santiago in eine Wange und durchschlug seinen Nacken. Eine Gesichtshälfte blieb gelähmt, und der Nacken entzündete sich. Ein Auge schwoll zu, und Santiago hatte starke Schmerzen. Vor allem aber hatte er eine Riesenwut auf den Täter. Doch Pastor Zuccarelli ermutigte ihn, dem Schützen zu vergeben, damit Heilung eintreten könne. Santiago rang sich zur Vergebung durch, nahm das Abendmahl und erlebte eine wundersame Heilung: Eine Hitze strömte über seine verletzte, gelähmte Gesichtshälfte. Heute lacht und singt Santiago wieder aus vollem Herzen. 48

Mutter betete für kriminellen Sohn

Vom Mörder zum Vorarbeiter

Adrian (35) kam als viertes Kind einer armen Arbeiterfamilie zur Welt. Die Mutter besuchte mit den Kindern eine Kirche im Quartier. Trotzdem geriet Adrians älterer Bruder Hugo auf die schiefe Bahn, begann zu stehlen und einzubrechen und landete schliesslich im Gefängnis. Hugo warnte Adrian vor diesem Leben und forderte ihn auf, es besser zu machen. Doch diese Warnungen schlug der kleine Bruder in den Wind. Er wollte dem grossen in nichts nachstehen und fing bereits mit zehn Jahren an zu stehlen. Mit achtzehn Jahren war Adrian Chef einer Diebesbande. Er wusste nicht, dass seine Mutter weiter für ihn betete. Adrian handelte mit seiner Bande immer dreister; sie verübten bewaffnete Raubüberfälle. Als er achtundzwanzig Jahre alt war, ertappte ihn die Polizei auf frischer Tat. Die Richter verurteilten ihn aufgrund zahlreicher Delikte zu sechs Jahren Gefängnis. 2003 versetzte ihn die Polizei nach Los Olmos, wo er im Trakt der Christen landete. Seine Mutter erhielt im Gebet den Eindruck, ihr Sohn Adrian werde einmal ein Diener Gottes werden. Tatsächlich entschied sich Adrian ein Jahr später für ein Leben mit Jesus Christus.

Gabriel (31) wuchs in einem Armenviertel in einer christlichen Familie auf, die sonntags eine Freikirche besuchte. Sein Vater arbeitete in der argentinischen Schiffswerft in Buenos Aires. Nach sieben Jahren Primarschule verkaufte Gabriel auf der Strasse Süssigkeiten. Als er dreizehn Jahre alt war, starb seine Mutter, die er sehr geliebt hatte, an Krebs. Gabriel verhärtete sich gegen Gott. Er nahm ihm übel, dass er ihm die Mutter weggenommen hatte. Das Elend begann: Keinen Monat nach dem Tod seiner Mutter begann Gabriel zu stehlen. Er beschaffte sich einen Revolver und erschoss mit vierzehn Jahren bei einem Raubüberfall einen Ladenbesitzer. Daraufhin steckten ihn die Behörden in ein Heim für Schwererziehbare. Mit fünfzehn kehrte er zum Vater zurück und verübte weitere Diebstähle und Überfälle. Mit siebzehn Jahren führte Gabriel die Bande «Chicos peligrosos» (gefährliche Jungs) an, und zusammen begingen sie Delikte in La Plata. Zwischendurch landete Gabriel erneut im Heim, riss jedoch aus. Mit zwanzig Jahren organisierte er mit acht Kumpels einen Banküberfall und erbeutete 50 000 Dollar. 1996 landete er in der Untersuchungshaft. Mangels Beweisen liess ihn die Polizei laufen. Während einer Schiesserei trafen ihn Schüsse der Polizei, doch er entkam. Gabriel entwickelte sich zu einem kleinen Robin Hood: Er überfiel mit seiner Bande weitere Banken, hängte sich Goldketten um den Hals und finanzierte mit dem Rest der Beute Kindertagesstätten im Armenviertel. Die Bewohner liebten ihn dafür, fürchteten sich aber gleichzeitig vor ihm. Er wurde berüchtigt, die Leute nannten ihn «Alcides» (Herkules). Freunde aus der Kirche rieten ihm, seine bösen Wege zu verlassen. Als Kind hatte Gabriel von Gott gehört, doch er war immer noch wütend auf ihn. Gabriel trieb weiter sein Unwesen. Er und seine Bande töteten über die Jahre elf Polizisten. Ums Leben kamen ebenso viele seiner Kumpels. Siebzehn Schüsse trafen ihn selber – bis heute stecken drei Kugeln in seinem Körper.

Später fiel sein Vater nach einem Herzanfall in ein Wachkoma und lag wochenlang im Spital. Adrian betete oft für seinen Vater, der schliesslich wieder aufwachte, Gott und Heilung erlebte. Zwei Geschwister von Adrian entschieden sich ebenfalls für den Glauben, sogar «sein kriminelles Vorbild» Hugo. Für Adrian war es ein Höhepunkt, als Hugo ihn mit der Bibel in der Hand im Gefängnis besuchte, wo sie sich aussprachen und versöhnten. Heute lebt Adrian auf der Granja. Er sucht eine Arbeitsstelle, möchte heiraten und ein ehrliches Leben führen.

Am 21. November 2002 boten die Behörden dreitausend Polizisten auf, um «Alcides» und seine Bande zu vernichten. Die Polizisten durchkämmten das berüchtigte Armenviertel, das Gabriel regierte. Nach einer heftigen Schiesserei trafen und stellten sie ihn. Blutüberströmt lag Gabriel am Boden. Ein Polizist wollte ihn erschiessen. Da erschien plötzlich eine Richterin auf dem Platz, stoppte die Schiesserei und rettete Gabriel das Leben. Im Gefängnis von La Plata traf Gabriel auf Daniel Tejeda und auf weitere Christen rund um Pastor Juan Zuccarelli. Langsam fand er zur Busse vor Gott. Er erhielt Vergebung und begann, Gott

• Ein Programmteilnehmer erzählt im Speisesaal auf der Granja Agape aus seinem Leben. cz 4|07

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zu dienen. 2005 sprachen ihn die Behörden mangels Beweisen überraschend frei. Aus der Haft entlassen, suchte Gabriel vergeblich eine Arbeitsstelle. Arbeitgeber fürchteten ihn als berüchtigten Kriminellen und dachten, er werde eine neue Bande gründen. Doch Gabriel wollte als Christ leben. Gefängnispastor Fredy nahm ihn mit in die Gemeinde von Pastor Zuccarelli. Dort hörte Gabriel vom Projekt auf der Granja Agape. Gabriel wollte unbedingt dorthin. Gott erhörte ihn. Am 26. August 2004 kam Gabriel als erster Ex-Häftling auf die Granja. Fritz und Käthi Geiser, das damalige Leiterehepaar aus der Schweiz, nahmen ihn liebevoll auf und unterstützten ihn geistlich und menschlich. Gott veränderte ihn zum Guten. Gabriel zeigte eine gute technische Auffassungsgabe und ist heute für die Werkzeuge auf der Granja verantwortlich. Inzwischen arbeitet Gabriel als Vorarbeiter und Chef-Stellvertreter mit den aktuell zwölf Ex-Gefangenen auf der Granja. Er hilft ihnen so gut und so viel er kann und betet für eine Frau, für Kinder und ein eigenes Zuhause.

• Gefängnis-Wäsche: Blick in den von Christen selbstverwalteten Innenhof des Traktes «Unidad 25» im Gefängnis «Los Olmos».

• Ex-Gefangene treffen sich täglich zu Bibellese, Gebet und Gesang. 49


C F C - N A T I O N A L cfc schweiz

Lokführer und Railpastor

An der Uni Beziehungen aufbauen

Härterer Boden als noch vor Jahren für die Studierendenarbeit «Campus live» in Zürich

Ueli Berger wechselt von Campus für Christus zum Evangelisch-Christlichen Verkehrspersonal

Johanna Vollenweider Nach fünfzehn Jahren bei Campus für Christus wechselte Ueli Berger (46) aus Kaiseraugst auf den 1. Januar 2008 als Railpastor zum Evangelisch-Christlichen Verkehrspersonal (ECV).

• Ueli Berger im Führerstand …

Der Lokführer Ueli Berger bereitet gerade den nächsten Intercity-Zug vor. Da klingelt sein Diensthandy, ein SBB-Berufskollege ist dran: «Du, ich habe mein Arbeitspensum auf achtzig Prozent reduziert. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob das richtig war. Ich komme mir wie eine halbe Portion vor. Du arbeitest doch Teilzeit, wie ist das für dich?» Ueli fragt den Kollegen nach seinen Beweggründen und ermutigt ihn, bei der Entscheidung zu bleiben. Eines Tages hat Ueli eine ungeplante Pause. Im Personalzimmer trifft er einen Kollegen, der sich von seiner Frau getrennt hat und inzwischen geschieden ist. Er ist selber kirchlich aktiv und fragt Ueli, ob eine erneute Heirat erlaubt sei. Nach diesem Ereignis outet sich Ueli bald als Christ und lenkt seine Gespräche auf den Glauben. Er traut sich sogar, einen Kollegen mit Migräne zu fragen, ob er für ihn beten dürfe. Nachdem er das getan hat, verschwinden dessen Schmerzen. «Die meisten Christen haben in ihrem Beruf viele, aber meist ungenutzte Möglichkeiten, Salz und Licht zu sein», meint er.

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Der Railpastor

Internationaler Präsident

Seit dem 1. Januar 2008 ist Ueli Berger zu fünfzig Prozent als Railpastor beim Evangelisch-Christlichen Verkehrspersonal angestellt. Er betreut schweizweit vierundzwanzig monatliche Treffen für das Bahnpersonal. Solche Treffen besucht Ueli selber schon seit zwanzig Jahren – seit er als Lokführer angefangen hat. Zu fünfzig Prozent ist er – neben seiner Mitarbeit bei Campus während der letzten fünfzehn Jahre – Lokführer geblieben. Er leitete bei Campus zuerst den Basler Zweig der Schule für Gemeindemitarbeit und blieb danach Mitarbeiter beim Tim Team. Bei Campus habe er gelernt, ein weites Herz für Andersdenkende zu haben, ohne seine Identität zu verleugnen. Der Referatsdienst bleibe ihm ebenso in guter Erinnerung wie die Vielfalt der Arbeit. «Bei Campus braucht man eine Vision und ein Herz, diese weiterzugeben. Das hat mir immer gefallen», schwärmt Ueli Berger.

Ueli‘s Stärken liegen in der Vernetzung und Organisation. So plante er 2004 die Konferenz der «International Railway Mission» (IRM) in Emmetten, seit 2007 ist er Präsident der IRM. Auch Seelsorge und Evangelisation liegen ihm am Herzen. Deshalb gibt er, gemeinsam mit dem deutschen und österreichischen Verband «Christen bei der Bahn», alle zwei Jahre «Raillight» heraus. In diesem Magazin gibt Berger Glaubenserfahrungen und Zeugnisse von Menschen in Schwierigkeiten weiter. Das Heft soll ermutigen und von Menschen erzählen, in deren Leben Gott eine wichtige Rolle spielt. «Hat dir ein Kollege bereits das ‹Raillight› geschenkt?», ist darum eine von Ueli‘s Fragen. So kommt er mit Eisenbahnern ins Gespräch.

Johanna Vollenweider

Website des ECV: www.ecv-online.ch Website der IRM: www.railway-mission.eu.

Studierende zum Glauben zu führen, ist anspruchsvoller geworden. Nach längerem Prozess sind vergangenen Herbst zwei Studierende durch die Arbeit von Campus live in Zürich zum Glauben gekommen. «Bei manchen dauert es Jahre, doch wenn es mal so weit ist, geschieht die Bekehrung fast ruckartig», erzählt Urs Wolf, Leiter von Campus live. Bereits während ihres ersten Semesters kommt Tabea (Name geändert) mit Campus live in Berührung. Immer wieder besucht sie Vorträge und pflegt den Kontakt zu Karin, der Praktikantin von Campus live. Sechs Jahre nachdem der erste Kontakt zustande gekommen ist – Tabea hat ihr Studium mittlerweile abgeschlossen –, besucht sie zum ersten Mal einen Campus-live-Gottesdienst. Im Gespräch stellt Urs Wolf fest, dass Tabea

mehr über den Glauben wissen möchte. Ab diesem Moment liest Karin mit ihr die Bibel. Nach dem dritten Treffen nimmt Tabea Jesus als ihren Erlöser an. Im selben Monat findet auch Thomas (Name geändert) zum Glauben, drei Jahre nachdem er zum ersten Mal mit Campus live in Kontakt gekommen ist. Die Gespräche mit Urs Wolf und das Buch «Glaube im Kreuzverhör» helfen ihm, Antworten auf seine Zweifel und Fragen zu finden. Die Anlässe von Campus live hinterlassen oft einen starken Eindruck bei den Studierenden. Viele von ihnen sind zuvor noch nie bewusst mit Christen in Berührung gekommen. Während Seminaren wie «Emotionale Intelligenz» und «Erfolgreich studieren» erhalten die Studierenden Gelegenheit zu Diskussionen. Nach dem Seminar werden ihnen Coachinggespräche angeboten. Selten kommt es zu einer sofortigen

Entscheidung. Deshalb sind persönliche Beziehungen und Gespräche vor und nach einem Seminar wichtig; sie sollen suchenden Menschen helfen, dranzubleiben.

Einsätze und Anlässe von Campus live unter: www.campuslive.ch.

• Urs Wolf, Leiter von Campus live • Ein Campus live Kleingruppen-Treffen (unten)

• … und im Gespräch mit einem Arbeitskollegen

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N A T I O N A L I n t e r n a t i o n a l cfc international

NEWSTICKER

Glaube, Spass und Sport Athletes in Action Schweiz neu mit Familiencamps

Johanna Vollenweider Auf dem Campingplatz «Molino a Fuoco» in der Toskana ermöglicht Athletes in Action seit 2007 Camps für sportlich aktive Familien. Während der Mahlzeiten und des gemeinsamen Sports bietet sich Elternwie Kindern die Gelegenheit, Beziehungen zu stärken. Biblische Impulse für Familien sind dem Team von AiA ebenso wichtig wie körperliche Aktivitäten. Durch die erfrischenden geistlichen Inputs fühlen sich die Teilnehmenden gestärkt und gesegnet. Sie beschreiben die Campwochen und die sportlichen Aktivitäten in der Natur als sehr erholsam. «In den Sportcamps herrscht jeweils eine ungezwungene und lockere Atmosphäre», erzählt Regula C. Maag, die Campkoordinatorin von AiA. «Sports», «Faith» und «Fun» sind die Schlagwörter der AiACamps, mit denen die Veranstalter ins Schwarze treffen wollen. AiA wünscht sich, dass jeder gläubige Campteilnehmer bei seinem nächsten Besuch jemanden mitbringt, der noch keine Beziehung zu Jesus Christus hat.

Denn wer einmal ein AiA-Camp besucht hat, meldet sich gerne für ein weiteres an. Auf diese Weise sind schon viele Sportlerinnen und Sportler mit dem Glauben in Berührung gekommen, und manch einer hat sein Leben Jesus anvertraut. Jahr für Jahr baut das AiA-Team sein Campangebot weiter aus. Zwölf Lager vom Polysport-Wintercamp im Engadin bis zum Windsurfcamp in Frankreich stehen sportbegeisterten Kindern, Jugendlichen und junggebliebenen Erwachsenen zur Wahl. Siehe auch das AiA-Campinserat auf Seite 61 in diesem Heft.

Weitere Informationen: www.athletes.ch

kickoff2008.ch AiA ist Teil von Kickoff 2008 Kickoff 2008 ist eine Initiative von Christen aus Kirchen, Werken, Verbänden sowie von nationalen und internationalen christlichen Sportorganisationen. Trägerorganisation ist die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA). Kirchen, Freikirchen und Organisationen können sich als PublicViewing-Ort registrieren lassen. Kickoff 2008 bietet Veranstaltern die rechtlichen Abklärungen sowie ein attraktives Veranstalterpaket mit verschiedenen Produkten. So werden zum Beispiel Spiele der UEFA-Fussball-Euro auf Grossleinwand übertragen. Das bietet die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, die sonst den Sprung über die Türschwelle einer Kirche nicht schaffen.

• Regula C. Maag, Campkoordinatorin von AiA • AiA-Familiencamp in der Toskana (unten)

Weitere Informationen: www.kickoff2008.ch

Immer mehr Kurse in katholischen Kirchen be. «Immer mehr katholische Gemeinden arbeiten mit dem AlphaliveGlaubensgrundkurs», berichtete Nicky Gumbel bei einem Treffen im Vatikan mit Walter Kardinal Kasper, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Weltweit sind mehr als sieben Millionen Menschen in 152 Ländern durch diesen Glaubenskurs in die Grundlagen des christlichen Glaubens eingeführt worden. Von rund tausend Kursen, die zurzeit in Deutschland durchgeführt werden, finden siebzig in katholischen Gemeinden statt.

Vatikan empfing Nicky Gumbel von Alphalive

Auch in der Schweiz steigt das Interesse am Kursmaterial bei Menschen mit katholischem Hintergrund. In katholisch geprägten Ländern wie Frankreich oder Peru sind katholische Gemeinden federführend an den Alphalive-Kursen beteiligt. Kein anderes Angebot der katholischen Erwachsenenbildung unterstreicht die Notwendigkeit eines persönlichen Glaubens an Jesus Christus so eindrücklich wie der Alphalive-Kurs. (Quelle: ideaSpektrum)

Aidsprävention an afrikanischer Schule Lehrerin verwendet Unterrichtsmaterial von Crossroads be. Die Zahl der Aidskranken und -infizierten wird weltweit auf 33,2 Millionen Menschen geschätzt; 68 Prozent davon leben in Afrika südlich der Sahara. Statistisch betrachtet ist jede fünfte Person, die in der hügeligen Vorstadt von Durban in Südafrika in den Bus steigt, mit HIV infiziert oder bereits an Aids erkrankt. Aus Furcht und Ignoranz sowie aufgrund kultureller Tabus schweigt man darüber. Nicht so die Lehrerin Lungie Zama, die neben regulärem Unterrichtsmaterial auch Unterlagen zur Aidspräventi-

on von Crossroads verwendet. Crossroads ist ein Arbeitszweig von Campus für Christus Amerika (www.crossroads.org). Das Material heisst «Life Skills» und hilft Lehrpersonen, mit ihren Schülern über Charakterbildung, Werte und Entscheidungshilfen zu sprechen, um lebensbedrohende Probleme und Situationen zu meistern oder ihnen auszuweichen. Dabei dient der Lebensstil von Jesus Christus als Vorbild. (Quelle: Worldwide Challenge)

Leiterkonferenz von Athletes in Action Mitarbeitende aus 62 Ländern reisten nach Thailand be. Am 2. Dezember 2007 ist der 25-jährige brasilianische Nationalfussballer Ricardo Izecson Santos Leite, genannt Kaká, mit dem «Goldenen Ball», der höchsten Auszeichnung für einen Fussballer in Europa, geehrt worden. Am 17. Dezember 2007 wählte ihn der Weltfussballverband FIFA in Zürich zum Weltfussballer 2007. Das erklärte Ziel der Mitarbeitenden von Athletes in Action (AiA) ist es, Menschen in Lebens- und Glaubensfragen zu begleiten, die wie Kaká im

Rampenlicht stehen und für viele Idol und Vorbild sind. Um diese Idee wieder neu in die eigenen Länder zurückzutragen, trafen sich an der AiA World Leadership Conference in Pattaya, Thailand, vom 14. bis 18. November 2007 110 AiA-Mitarbeitende aus 62 Ländern, mit dem Ziel, sich geistlich zu erneuern, Zeit in der Gegenwart Gottes zu verbringen und untereinander Freundschaften zu knüpfen. (Quellen: Regula Maag, AiA Schweiz)

Jesus-Film läuft täglich in Washington Entdeckung am Washington Dulles International Airport be. Washington Dulles International Airport: Christina Kelly, Pearly Chan und Rachel Ropp warten auf ihren Weiterflug in den Mittleren Osten und nach Zentralasien. Sie vertreiben sich die Zeit mit einem Schaufensterbummel. Plötzlich erregt etwas Bekanntes ihre Aufmerksamkeit: In einem Schaufenster entdecken sie, dass auf einem Bildschirm Ausschnitte des Jesus-Filmes gezeigt werden. Neugierig treten sie näher und stellen fest, dass der Fernseher in der Flughafenkapelle steht, die mit Gebetsräumen und verschiedenen Broschüren unterschiedlicher Religionen ausge-

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stattet ist. Christina Kelly, Pearly Chan und Rachel Ropp sind Mitarbeiterinnen von Campus für Christus und arbeiten beruflich bei den Übersetzungsarbeiten des Jesus-Filmes mit. Christina Kelly nimmt mit dem verantwortlichen Geistlichen Kontakt auf und erfährt, dass der Jesus-Film tagtäglich nonstop gezeigt wird. Pro Tag besuchen etwa 144 Personen die Kapelle; einige von ihnen nehmen sich sogar einen Stuhl und schauen sich den Film an. (Quelle: Chris Lawrence, Worldwide Challenge)

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C f C - I n t e r n a t i o n a l cfc international

Pilgerherberge am Jakobsweg • Bild links: Auf einem Einsatz im August

Agape España startete vor vierzig Jahren als Untergrundbewegung

2007 trafen Barbara und Peter Höhn den Pilger Gerhard. Er schrieb ihnen später: «Zum Glück habe ich in ‹Fuente del Peregri-

Noch unter Francos Diktatur gründete ein Baptistenpfarrer 1968 in Barcelona Campus für Christus Spanien - Agape España. Heute wirken über hundert Mitarbeitende an Sekundarschulen, Universitäten sowie unter Musikern und im Besuchsdienst in Spitälern. Wertvolle Kontakte entstehen in der Pilgerherberge am Jakobsweg.

no› haltgemacht und mit euch geredet und mit dir, Peter, gebetet. Ich habe an diesem Abend gedacht, wer weiss, ob Gott mich anhört. Er hat es gehört, denn ich habe in den folgenden Tagen ungewöhnliche Dinge er-

Statistik René Bregenzer und Peter Höhn Es war 1968 in Barcelona, als der Baptistenpfarrer Josep Monells Agape España gründete. Damals litt Spanien noch unter dem Joch Francos. Die Studierendenarbeit musste sich bis zu seinem Tod im Jahr 1975 als Untergrundbewegung organisieren. Geografisch blieb die Arbeit lange auf Barcelona fokussiert. 1985 wurde Athletes in Action sowie kurz darauf FamilyLife gegründet, deren Aktivitäten sich über ganz Spanien ausbreiteten. Ein Durchbruch geschah 1993, als Agape in Granada eine grosse Konferenz mit über vierhundert jungen Menschen, meist Studierenden, durchführte. Viele der jungen Christen trafen den Entscheid für eine radikale JesusNachfolge. Einige bekamen den Ruf für einen künftigen Dienst und fanden den Weg zu einer vollzeitlichen Mitarbeit bei Agape España. Unter dem damaligen Nationalleiter Javier Garcia, heute Leiter von Agape Europa, erlebte

die spanische Arbeit einen grossen Aufschwung und brachte den Jesus-Film (mit dem Segen der katholischen Kirche) in weite Teile der katholischen Bevölkerung. Eine wichtige Rolle spielte auch der Amerikaner John O‘Neill, der 1993 nach Spanien kam und einjährige Kurzzeiteinsätze mit Studentinnen und Studenten aus den USA förderte. Manche dieser «Stints» («Short Term Internationals») blieben, sind heute mit Einheimischen verheiratet und arbeiten bei Agape Spanien mit. John initiierte auch die Arbeit am Jakobsweg und gründete innovative, an der Kunst und modernen Technologien orientierte Dienste (Movies, Arts, Internet, Communications). Heute wächst die spanische Arbeit von Agape vor allem im Bereich der Sekundarschulen (High Schools), aber auch an den Universitäten. Ferner gibt es Athletes in Action, FamilyLife und Mezzo, eine Arbeit mit über tausend Freiwilligen im Bereich Musik verschiedenster

lebt, und es hält bis jetzt an. Das Erste ist,

Stilrichtungen. Unter dem Namen «Todo por una sonrisa» («Alles für ein Lächeln») besuchen über tausend Freiwillige kranke Menschen in Spitälern. Sie bringen den Patientinnen und Patienten das Evangelium und damit neue Hoffnung. Eine evangelistische Internetarbeit ist im Aufbau. Insgesamt zählt Agape España über hundert vollzeitliche, durch spanische Spenden finanzierte Mitarbeitende.

• Bild unten: Bei der Herberge «Fuente del Peregrino» ist es einfach und interessant, mit den Pilgern ins Gespräch zu kommen.

Ein Schlüsselprojekt bildet seit 1999 die Pilgerherberge «Fuente del Peregrino» («Pilgerbrunnen») am Jakobsweg. Sie liegt an bester Lage etwa 73 Kilometer vor Santiago de Compostela. Die Herberge bietet die Möglichkeit, mit den täglich zu Hunderten vorbeiziehenden und geistlich sehr offenen Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Herberge wird von Agape Spanien und Freiwilligen aus anderen Kirchen betrieben und ist von Mai bis Ende September offen. Jährlich können so Tausende von Kontakten geknüpft werden.

• Rubén und Lidia Fernández, Leiterehepaar der Arbeit von Agape España, hier mit ihrem zweijährigen Sohn Samuel.

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dass ich nun fast jeden Tag für mich bete.»

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Weitere Informationen unter www.agape.org.es; http://fdp.agapecampus.org rubenfernandez@agape-spain.org

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Grosser Zulauf für Pilgerprojekt von Agape España Herberge «Fuente del Peregrino» am Jakobsweg in Spanien Seit 1999: • 7906 Übernachtungen (davon 873 im Jahr 2007) • 216 200 verteilte Broschüren mit Pilgerpsalmen, Videos, Audios (17 900 davon im Jahr 2007); dazu unzählige Kaffees, Wasser, Lächeln ... • 923 Freiwillige, die den Pilgern dienten (101 davon im Jahr 2007) 2007 waren über 100 000 Pilger auf dem Jakobsweg unterwegs. 55


FUR SIE GELESEN ZUM THEMA

für sie gelesen

Gut mit sich selbst umgehen

Nein sagen ohne Schuldgefühle

Angesichts des Feindes

Der Schrei der Wildgänse

Wie man sich vor Übergriffen schützt

Der dritte Weg Jesu – zwischen passivem Widerstand und Gewalt

Leben in Christus jenseits von Institution und Religion

Wo liegen Ursachen der Härte im Umgang miteinander

Peter Höhn Manche Christen fragen sich, wann es biblisch korrekt ist, Nein zu sagen. Dr. Henry Cloud und Dr. John Townsend beschreiben, wie man lernen kann, falsche Nächstenliebe zu entlarven und Grenzen zu setzen. Sie schreiben: Jede Verwirrung, die entsteht, wenn es in unserem Leben um Verantwortung geht, ist ein Problem im Umgang mit Grenzen. Die Unfähigkeit, anderen Menschen gegenüber zum richtigen Zeitpunkt angemessene Grenzen zu ziehen, wirkt sich destruktiv aus. Depressionen, Ängste, Essstörungen, Süchte und schlechte Gewohnheiten, Gefühlsstörungen, Schuld- und Missbrauchsprobleme sowie Ehe- und Beziehungsschwierigkeiten wurzeln in Konflikten mit Grenzen. Die Autoren zeigen eine biblische Sicht bezüglich Grenzen auf und beschreiben, wie man sie in allen Lebensbereichen zu setzen lernt: • Im physischen Bereich: Wir bestimmen, wer uns berührt und unter welchen Bedingungen. • Im geistigen Bereich: Wir haben unsere eigenen Gedanken und Meinungen. • Im emotionalen Bereich: Wir setzen uns mit unseren eigenen Gefühlen auseinander und lassen uns nicht von den Gefühlen anderer manipulieren. • Im geistlichen Bereich: Wir entscheiden zwischen unserem eigenen Willen und dem Willen Gottes. Fragen aus dem Buch: Wie kann ich Grenzen setzen und trotzdem eine liebende Person bleiben? Welches sind «legitime» Grenzen?

Peter Höhn Walter Wink, geboren 1935, war Gemeindepfarrer und Professor für alttestamentliche Theologie am Auburn Theological Seminary in New York. Er unterscheidet in seinem Buch «Angesichts des Feindes – Der dritte Weg Jesu in Südafrika und anderswo» zwischen passivem Widerstand, den Jesus nicht meint, und aktiver Gewalt.

Manfred Kiener Wenn Sie mit dem Zustand der organisierten Religion und mit Ihrer Rolle darin zufrieden sind, dürfen Sie das Buch «Der Schrei der Wildgänse» nicht lesen! Falls Sie sich jedoch nach einem liebevollen Leben in Christus sehnen, jenseits von Institution, Religion und Tradition, empfehle ich Ihnen diese Lektüre. Ein Interviewpartner hat mich kürzlich auf dieses Buch hingewiesen. Lange nicht mehr hat mich eine Geschichte derart gefesselt. «Der Schrei der Wildgänse» handelt von Jake, dem Co-Pastor einer Freikirche. Er ist eigentlich ganz zufrieden mit seinem Christsein und seiner Kirche. Enttäuschungen und schwierige Situationen stellen ihn jedoch vor existenzielle Fragen. Er gerät in eine Krise. Da trifft er in der Stadt einen Fremden. Dieser spricht von Jesus, als hätte er ihn persönlich gekannt. Die Fragen dieses Fremden erschüttern Jakes Überzeugungen. Doch sie bringen ihn dazu, die überwältigende Liebe des Vaters im Himmel zu entdecken und seinen grössten Ängsten ins Auge zu sehen. Schliesslich findet Jake zu neuer Freude und Liebe im Glauben. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein Buch zum Lachen und Weinen!

Brigitte Eggmann Nicht nur bei Umweltschützern stellt Anselm Grün starres Festhalten an Grundsätzen fest. Er fragt nach den Ursachen dieses Rigorismus. Der Autor findet in der Bibel und der spirituellen Tradition Antworten, wie wir sanfter und milder miteinander umgehen können. Die Ursachen der Härte sich selbst gegenüber liegen vor allem in der Kindheit. Wird ein Kind in seiner Einmaligkeit nicht ernst genommen, entstehen Wunden, deren Schmerz es unterdrückt, um weiterleben zu können. Wird dieser Schmerz nicht verarbeitet, zwingt er das Kind und später den Erwachsenen, gegen sich und andere hart zu werden. Wunden entstehen auf viele Weisen. Angst, Misstrauen und falscher Idealismus können die Folge sein und führen oft zu Härte. Ursache für Härte kann aber auch sein, dass ein Kind bei einseitiger und unklarer Erziehung die Nachgiebigkeit der Eltern als Zustimmung zu seinem aggressiven Verhalten auffasst. Sturheit, Selbstüberschätzung und Perfektionismus sind Erscheinungsformen dieser Härte. Anhand griechischer Sagengestalten beschreibt der Autor Lebensentwürfe zum Umgang mit der Härte. Aufgrund der Evangelien zeigt er, wie das Leben gelingen kann. Grün kommt zum Schluss: Wer tolerant und geduldig sein will, der muss zulassen, dass das Unzulässige, das Schlechte und das Fehlerhafte – ja sogar das Böse – in einem gewissen Ausmass vorhanden sind.

Jacobsen, Wayne; Coleman, Dave: Der Schrei der Wildgänse. Bruchsal: GloryWorld-Medien 2007, ISBN-13:978-3-936322-27-9.

Grün, Anselm: Gut mit sich selbst umgehen. Mainz: Grünewald-Verlag 2002, ISBN 3-7867-2424-5.

Cloud, Henry; Townsend, John: Nein sagen ohne Schuldgefühle – wie man sich gegen Übergriffe schützt. Kehl: Editions Trobisch 2005, ISBN 3-7751-9184-4. 56

Der Autor schildert auch eine dritte Möglichkeit als Reaktion auf das Böse. Den Alternativen «Kampf» oder «Ergebung» setzt er die militante Gewaltlosigkeit entgegen, die den Aggressor entwaffnen und so zu einer Form der «intelligenten Feindesliebe» werden kann. Das Werk wurde vor zwanzig Jahren innerhalb kurzer Zeit zu einem der meistgelesenen Bücher Südafrikas. Zurzeit ist die deutsche Ausgabe vergriffen. Einen Auszug aus dem beschriebenen Buch, in dem Walter Wink über das Verständnis des «Hinhaltens der anderen Wange» und des «Mitgehens der zweiten Meile» schreibt, finden Sie im Internet unter http://www.ecunet.de/pdf/derdri.pdf. cz 1|08

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GEBET LIEBE Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, dass ich liebe, wo man hasst, dass ich verzeihe, wo man beleidigt, dass ich verbinde, wo Streit ist, dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist, dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht, dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält, dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert, dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.

Herr lass micht trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern, dass ich tröste, nicht, dass ich verstanden werde, sondern, dass ich verstehe, nicht, dass ich geliebt werde, sondern, dass ich liebe. Denn wer hingibt, der empfängt, wer sich selbst vergisst, der findet, wer verzeiht, dem wird verziehen, und wer mit dir stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.

Franziskus von Assisi (1182-1226)


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