Auszug Ich und der Fremde

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CHRISTLICHES

ZEUGNIS

MAGAZIN VON CAMPUS FÜR CHRISTUS SCHWEIZ

ich und

DER FREMDE

LEBEN IN GOTTES HÄNDEN | DER EX-TERRORIST | IM FREMDEN GOTT SEHEN


INHALT

ERLEBEN – WAS MENSCHEN BEWEGT ERSTAUNEN – WAS MENSCHEN DENKEN ERFAHREN – WAS CAMPUS BEWIRKT

04

DER AUSLÄNDER, MEIN NÄCHSTER

von Sabine Fürbringer

10

WIE VON GOTT VORAUSGESANDT

von Peter Höhn

20

SABATINA JAMES: LEBEN IN GOTTES HÄNDEN von Eveline Rytz

32

PAUL VOGT – FLÜCHTLINGSPFARRER

von Brigitte Eggmann

40

WO FLÜCHTLINGE IHR HERZ AUSSCHÜTTEN von Lydia Liechti

46

ALLES NEU BEI CAMPUS GENERATION?! von Lukas Herzog

04 DER AUSLÄNDER, MEIN NÄCHSTER Sabine Fürbringer

09 GEBET UM EIN WEITES HERZ Peter Höhn

10 WIE VON GOTT VORAUSGESANDT Peter Höhn

13 14

«NEW GENERATION»

Silvana Caspani

DER EX-TERRORIST IN MEINEM BÜRO

Jonathan Schmidt

17 «FILMTIPP»

Andy Schindler

18

WELCHEN NAMEN HAT GOTT?

Samuel Müller

20 MEIN LEBEN LIEGT IN GOTTES HAND Eveline Rytz

24 ALS GEMEINDE BARMHERZIGKEIT LEBEN Brigitte Eggmann

27 «BEZIEHUNGSWEISE»

Sabine Fürbringer

28 IM FREMDEN GOTT SEHEN Peter Höhn

30 DIE WELT AM KÜCHENTISCH Viviane Herzog

32 PAUL VOGT – FLÜCHTLINGSPFARRER Brigitte Eggmann

35 «MEDIEN»

Markus Baumgartner

36 DIE WELT VOR MEINER HAUSTÜR Andreas «Boppi» Boppart

38 KURZ UND GUT – RUTH BERNEY Viviane Herzog

40 WO FLÜCHTLINGE IHR HERZ AUSSCHÜTTEN KÖNNEN Lydia Liechti

44 «BLICKPUNKT WELT» Kurt Burgherr

45 WAS CAMPUS BEWIRKT 55 AUTOREN/IMPRESSUM


EDITORIAL

DEN HORIZONT

ERWEITERN

Fast jeder Vierte der gut acht Millionen Einwohner der Schweiz ist Ausländer – in den Agglomerationen wie im Raum Zürich ist es jeder Dritte. Ob das nun zu viele sind oder nicht: Fest steht, dass die weite Welt, in die Jesus seine Nachfolger sendet, gleich vor der Haustür beginnt. Meinen Horizont hat die Arbeit am Thema «Ich und der Fremde» gewaltig erweitert, vor allem die Begegnung mit der arabischsprachigen Gemeinde in Aarau. Rami und Anna Ziadeh kamen vor dreizehn Jahren aus Syrien in die Schweiz und fanden durch «zufällig» entstandene Kontakte mit Menschen der evangelisch-methodistischen Pauluskirche in Aarau zu einem lebendigen Glauben an Jesus. Heute leiten sie eine wachsende arabischsprachige Gemeinde. Es scheint, als wären sie von Gott für diese Zeit vorausgesandt worden, da wohl noch viele Flüchtlinge aus Syrien und Nahost hierherkommen werden. Überhaupt staune ich, wie viele fremdsprachige Gemeinden in den letzten Jahren in unserem Land entstanden sind. Ein Beispiel dafür zeigt der Lebensbericht von Antony Joseph, der 1985 als Flüchtling in die Schweiz kam, Jesus hier kennenlernte und heute in Zürich einer lebendigen tamilischen Gemeinde vorsteht. Es bewegt mich, wie viele Mitchristen sich privat, in Kirchen oder Organisationen für die Ausländer in unserem Land einsetzen. Ihnen gebührt ein grosser Dank, denn sie leisten einen unschätzbaren Dienst: Sie unterstützen Ausländer mit Lebensmittel- und Kleiderverteilung, Sprachkursen, Integrationshilfe, Orten der Begegnung und Gemeinschaft sowie – wo das Herz offen ist – mit Hilfe rund um das Thema Glauben. Der «Dienst am Nächsten» der Vineyard Bern steht stellvertretend für viele weitere Initiativen, und der Bericht darüber inspiriert, vor Ort in der Gemeinde oder privat selbst die kleinen Schritte der Liebe zu wagen. Rund um das Thema Ausländer gibt es viele Vorurteile und zum Teil berechtigte Ängste. Diese gab es auch schon früher, wie der Beitrag über den Flüchtlingspfarrer Paul Vogt zeigt. Wie reagieren wir heute auf die Fremden im Land und die wohl noch zunehmenden Flüchtlingsströme? Sehen wir nur Gefahren und Probleme? Bangen wir in erster Linie um unsere persönliche Sicherheit und unseren Wohlstand, oder erkennen wir, wie Boppi schreibt, Gottes Handeln und unsere Chancen? Ich hoffe, dass diese Ausgabe zu Letzterem ermutigt. Gerade Weihnachten ist eine einmalige Gelegenheit, Brücken der Liebe zu schlagen, Berührungsängste abzubauen und gemeinsam mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu erfahren: Jesus ist geboren – für Einheimische und Fremde.

Peter Höhn


GEBET UM EIN WEITES HERZ Vater im Himmel Danke, dass du die Bewegungen der Völker in der heutigen Welt in deiner Hand hältst. Ich vertraue darauf, dass du durch die globale Migrationsbewegung deine guten Ziele für die ganze Welt verfolgst und so dein Reich kommt. Danke, dass deine Liebe allen Menschen aus allen Völkern gilt – egal, ob sie in ihrem Heimatland oder hier in einem für sie fremden Land leben. Danke für die Menschen aus anderen Ländern, die du für einen kulturübergreifenden Dienst bei uns in Europa und darüber hinaus vorbereitet und befähigt hast. Lass mich erkennen, wie ich sie unterstützen kann. Ich will mein Herz den Menschen aus anderen Ländern gegenüber nicht verschliessen. Ich will von ihnen lernen und mich selbst beschenken lassen. Ich erlaube dir, Vater, dass du mich mit deiner tiefen Liebe für Menschen aus anderen Völkern und Kulturen erfüllst. Ich möchte bereit sein, wenn du mir jemanden zeigst, mit dem ich eine kulturübergreifende Freundschaft aufbauen kann. Ich möchte Gelegenheiten wahrnehmen, dein Wort mit Christen einer anderen Kultur zu lesen, mich mit ihnen darüber auszutauschen und gemeinsam neue Einsichten zu gewinnen. Zeig uns, wie wir als Kirche, Gemeinde und Gemeinschaft Menschen aus anderen Kulturen deine Liebe noch besser erweisen und ihnen Jesus als Erlöser nahebringen können. Erweitere unseren Horizont als christliche Gemeinschaft, damit wir in der Länge, Breite, Höhe und Tiefe deiner Liebe wachsen.

Amen.

Zusammengestellt von Peter Höhn, inspiriert von den sogenannten Isenfluh-Gebeten http://agik.ch/content/152


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NEW GENERATION

ZUGFAHREN MIT FOLGEN Silvana Caspani

Jeden Tag die gleiche Strecke mit dem Zug: von Bern nach Zürich und wieder zurück. Eine wöchentliche Reisezeit von 15 Stunden oder 900 Minuten: viel Zeit, um Menschen zu begegnen. Ich erinnere mich an die Begegnung mit einem Geschäftsmann. Mit «Hallo, wie geht’s?» hab ich das Gespräch gestartet. Es stellte sich heraus, dass er aus China kommt. Die Frage, ob er schon mal das Evangelium von Jesus Christus gehört habe, verneinte er. Aber es schien ihn zu interessieren, und ich konnte ihm die gute Botschaft erklären. In diesem Zug, in dem jeder Sitzplatz besetzt war, begegnete dieser Mann zum ersten Mal in seinem Leben Gott. Gemeinsam beteten wir, und er nahm die Vergebung von Jesus für sich in Anspruch. Rami und Anna Ziadeh

sowohl über die Immigranten als auch über die Schweiz hält und will sich mit den anderen Mitgliedern der Pauluskirche darauf konzentrieren, Gastfreundschaft zu üben. «Für mich geht es – ob auf politischer, gemeindlicher oder persönlicher Ebene – darum, dass wir immer wieder den Mut haben, zu den Schwächeren zu stehen. Das gilt nicht nur für die Immigranten und Asylanten, sondern auch für Schweizer, die es im Leben nicht immer leicht haben.» Das ist mit ein Grund, dass sich die Pauluskirche für die Lebensmittelhilfe «Tischlein deck dich» geöffnet hat. Durchs offene Fenster beobachte ich, während sich unser Gespräch dem Ende zuneigt, wie viele Menschen aller Couleur dieses Angebot gerne nutzen. Sie werden für mich auf eindrückliche Weise zum Bild für eine zukunftsweisende Kirche, zu der Menschen pilgern, weil sie dort sowohl Brot und Wärme als auch geistliche Nahrung finden.

Eine Zugfahrt kann echt lebensverändernd sein. Ein anderes Mal fragte mich ein Mann in gebrochenem Englisch, ob er im richtigen Zug sässe, und streckte mir seine Fahrkarte entgegen. Nachdem er mir erzählt hatte, dass er aus Israel komme und Jude sei, stellte ich ihm die Frage, wer Jesus für ihn sei. Diese Frage stellte er mir zurück, und ich berichtete ihm von meinen persönlichen Erlebnissen mit Gott. Daraufhin bat er mich, für ihn zu beten, dass auch er Gott erleben könne. Regelmässig erlebe ich solche Begegnungen. Meistens starte ich eine Konversation ganz unbefangen und unbeschwert mit der Frage «Hallo, wie geht’s? Wie war Ihr Tag?» Oft ist mein Gegenüber so erstaunt darüber, angesprochen zu werden, dass prompt eine freundliche Antwort zurückkommt. Und nicht selten entsteht wie von selbst ein Gespräch. Vielleicht gehörst du zu den Menschen, die gerne bereit sind, durch mehrere Zugwaggons zu laufen, um ein freies Abteil zu finden. Oder du achtest darauf, stets mit Gratiszeitung und Ohrstöpsel bewaffnet, möglichen Begegnungen aus dem Weg zu gehen. Wo setze ich mich hin? Eine Frage, die täglich Tausende von Pendlern beschäftigt. Es ist ein Abenteuer, seinen Platz im Zug zu finden. Dieses Abenteuer kann noch weitergehen. Denn Gott hat dir einen Platz im Zug reserviert. Ob du ihn bei deiner nächsten Fahrt findest?

Silvana Caspani arbeitet im Arbeitszweig «Internet Ministry» von Campus für Christus und ist Koordinatorin von MyStory.me Schweiz. Ihre Geschichte: mystory.me/silvana


ERLEBEN

CHRISTLICHES ZEUGNIS | 04/14 | 18

WELCHEN NAMEN HAT GOTT? von Samuel Müller

W

ie viele andere Tamilen floh Antony Joseph 1985 vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka. Sein späterer Weg zum Pastor ist nicht zuletzt Folge einer schicksalhaften Begegnung bei den Zeugen Jehovas. 1983 war in Sri Lanka zwischen den beiden rivalisierenden Volksgruppen der Singhalesen und Tamilen ein Krieg ausgebrochen. Da viele Tamilen der Gruppe der «Liberation Tigers of Tamil Eelam» (LTTE) oder «Tamil Tigers» zugerechnet wurden und ihnen ständig die Verhaftung drohte, entschloss sich der damals 23-jährige Antony zur Flucht.

DAS UNBEKANNTE LAND UND DER UNBEKANNTE GOTT Mit seinem Vater gelangte er zuerst nach Indien, später nach Europa. Die Reise war hart und gefährlich. Immer wieder hörte man von anderen Flüchtlingen, die die Reise nicht überlebt hatten. Über Belgien und Frankreich passierten sie 1985 mit einer Gruppe anderer Tamilen in Genf die Grenze zur Schweiz, einem ihnen völlig fremden Land. Nur am anderen Ende der Schweiz, in St. Gallen, kannten sie jemanden. Dort meldeten sie sich bei der «Fremdenpolizei» und baten um politisches Asyl. Schliesslich wurden sie als Flüchtlinge aufgenommen und verbrachten die nächsten Monate in der Ostschweiz. Antony war katholisch aufgewachsen und besuchte oft die Messe. «Ausser dem Amen verstand ich aber nicht viel,

weil alles in Latein war», erinnert er sich. Bereits in Sri Lanka kam er in Kontakt mit den Zeugen Jehovas. «Ich hörte damals zum ersten Mal, dass Gott einen Namen hatte – das begeisterte mich!» Antony schloss sich dann auch in der Schweiz den Zeugen Jehovas an. Nach der Zeit in St. Gallen arbeitete er zunächst als Küchenangestellter im Restaurant Säntis in Oberbüren, später dann bei der Migros – für den ausgebildeten Hotelfachmann ein starker Kontrast zu seiner Arbeit in Sri Lanka.

liess sich taufen. «Jetzt wusste ich, wie der wahre Gott wirklich heisst: Jesus.» Später, nach zwei klaren Berufungserlebnissen, kam er in Kontakt mit MEOS und begann bald darauf, als Pastor im Raum Zürich zu arbeiten. Inzwischen hat sich auch sein Sohn Terence in den vollzeitlichen missionarischen Dienst berufen lassen. Er arbeitet seit 2013 bei Agape international, der Auslandarbeit von Campus für Christus Schweiz.

Über eine arrangierte Heirat lernte Antony seine Frau kennen, deren ältere Schwester für sie nach einem geeigneten Mann Ausschau gehalten hatte. Die beiden heirateten, und zwei Jahre später kam Terence, ein Jahr später Jeremy zur Welt. Als Antony eines Tages einen Kongress der Zeugen Jehovas im Hallenstadion Zürich besuchte, sprach ihn ein Tamile an und meinte, dass er hier am falschen Ort sei. Antony war überrascht und offen für Korrektur. «Ich war auf der Suche nach der Wahrheit, darum folgte ich meinem Landsmann in eine christliche Gemeinde nach Winterthur.» Hier fand Antony zum lebendigen Glauben an Jesus, vertraute ihm sein Leben an und

Wie haben die Josephs ihre Integration in der Schweiz erlebt? Terence und sein Bruder Jeremy wuchsen in Schwamendingen unter vielen anderen Immigranten auf. «Wir erlebten keine Ausgrenzung und fanden uns oft unter Menschen wieder, die eine ähnliche Geschichte mitbrachten», sagt Terence. Trotz des Spagats zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen seien sie als Secondos bereits gut integriert gewesen. Für Antony war es schwieriger. Viele Leute gaben ihm Arbeit, wollten ihn aber zum Beispiel nicht ins Haus lassen, einfach aus Skepsis und Angst vor der fremden Hautfarbe. Auch bei Christen und in Gemeinden waren die Begegnungen unterschiedlich. «Mit einigen hatte

INTEGRATION, LEICHT UND SCHWER


ERLEBEN

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Familie Antony und Deborah Joseph mit ihren beiden Söhnen Jeremy (links) und Terence (rechts), der bei Agape international mitarbeitet.

Gottesdienst in der tamilischen Gemeinde TCF international in Zürich.

ich engen und guten Kontakt, andere machten eher einen Bogen um mich.» Die tamilische Gemeinde «TCF international», die Antony heute leitet, besuchen neben vielen Tamilen auch einige Singhalesen, Inder und seit einiger Zeit auch Schweizer. Mit den Secondos müssen die Gottesdienste in zwei Sprachen geführt und vom Tamilischen ins Deutsche übersetzt werden. Ich frage Terence, seinen Sohn, wie er die tamilische Gemeinde im Vergleich zu Schweizer Kirchen erlebt, und er weist auf kulturelle Unterschiede hin. «Bei uns

pflegt man für den Gottesdienstbesuch einen gewissen Dresscode. Sri Lanka als ehemalige britische Kolonie hat gewisse Bräuche übernommen, zum Beispiel das Tragen von Krawatten im Gottesdienst.»

BETEN UM DIE KRAFT GOTTES Antony Joseph stellt fest, dass unter Ausländern die Offenheit für geistliche Fragen grösser sei als bei Menschen aus dem westlichen Kulturraum, die eher materialistisch gesinnt seien. Immer wieder erlebt er, dass Menschen zum Glauben an Jesus kommen, nachdem sie eine starke Gotteserfahrung gemacht ha-

ben. Zum Beispiel gäbe es viele Hindus, die im Tempel Heilung und Befreiung gesucht, aber keine Verbesserung ihres Zustands erlebt hätten. Oft seien diese Menschen auch von okkulten Mächten belastet und kämpften mit Depressionen. Aus Neugier kämen sie in die Gemeinde. «Wir beten für diese Menschen, und sie erleben eine spürbare Veränderung, vielleicht sogar ein Wunder oder eine Heilung.» Die Gemeinde wird als Schutz und sicherer Ort wahrgenommen. Hier ist man angenommen und erfährt Hilfe. Dadurch wächst das Interesse am Glauben. Menschen beginnen, die Bibel zu lesen, und erfahren, wer der Gott ist, der ihnen geholfen hat. Daraufhin akzeptieren sie Jesus und vertrauen ihm ihr Leben an. Hier liegt für Antony Joseph denn auch der Schlüssel für Christen im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. «Gebet setzt die Kraft Gottes frei. Menschen erleben diese Kraft und werden neugierig. Das Evangelium entfaltet sich Stück für Stück vor ihnen.» Was rät Antony Joseph Schweizer Christen, die gerne ihre ausländischen Nachbarn mit dem Evangelium erreichen möchten? «Sie sollen als Brückenbauer fungieren, Beziehungen aufbauen, Kontakte pflegen und dann Interessierte in eine geeignete Gemeinde begleiten oder weiterleiten.» Antony Joseph findet, dass Schweizer Christen hier ruhig noch zulegen könnten. «Grundsätzlich beobachte ich eine gewisse falsche Zurückhaltung seitens der Schweizer Christen beim Teilen der guten Nachricht.» Schweizer leisteten zwar viel und vorbildliche Sozialhilfe für Migranten, seien aber zu zögerlich, das Evangelium oder einfach nur das persönliche Zeugnis mit ihnen zu teilen. «Diese Furcht dürft ihr überwinden!» www.tcfinternational.com


17 | 04/14 | CHRISTLICHES ZEUGNIS tan seinen Pass ab und beantragt Asyl. Doch er wird in erster Instanz abgewiesen. Kamen in diesem Moment nicht Zweifel auf, ob die Entscheidung, Christ zu werden, richtig war? Sultan verneint entschieden. «Ich hatte einen Gott an meiner Seite, der für mich gestorben war und der sagte: Wenn sich jemand selbst retten möchte, verliert er. Wer aber alles für mich aufgibt, den werde ich retten.» Vom 7. Februar bis zum 19. März 2009 sitzen die beiden Brüder am Flughafen fest, ehe sie Kontakt mit einer Genfer Gemeinde und schliesslich mit einem Schweizer Missionar aufnehmen können, der den zuständigen Anwälten die Situation der beiden Brüder erklärt. «Sie wussten nicht, dass man in Jordanien zwar als Christ leben konnte, nicht aber als Konvertit.» Schliesslich öffnet sich für Sultan und seinen Bruder die Tür zur Schweiz. Ende 2010 erhalten sie ihre Aufenthaltsbewilligung. Noch im Asylheim starten sie einen evangelistischen Dienst unter Muslimen. Später macht Sultan ein Praktikum bei einem Missionswerk und beginnt 2010 ein Theologiestudium. 2011 heiratet er erneut und wird nochmals Vater einer Tochter. Bis heute konnte Sultan seine beiden Töchter aus erster Ehe nicht aus Jordanien in die Schweiz holen. Dafür ist sein Vater inzwischen zum Glauben an Jesus gekommen. «Wir trafen uns einmal in der Türkei, wo ich ihn taufte. Ich habe viel Schlimmes erlebt. Gleichzeitig schenkte mir Gott Gnade, die alles übersteigt. Durch meine Geschichte durften meine Familie und andere Menschen Gott kennenlernen.»

MUTIG VON JESUS ERZÄHLEN Deshalb wünscht sich Sultan, dass die Christen in der Schweiz mutiger von ihrem Glauben erzählen. Im Leben in der Schweiz sieht er Privileg und Verantwortung zugleich. «Flüchtlinge aus aller Welt kommen hierher, wo man über den Glauben sprechen kann, ohne dafür umgebracht zu werden.» Er rät mir: «Liebe deine ausländischen Mitmenschen wie dich selbst, öffne dein Haus, empfange sie und habe keine Angst vor Muslimen, denn sie suchen Gott. Zeige ihnen den wahren Gott und was er in deinem Leben bewirkt hat, dann kannst du ein Segen sein.» Wir sind mit unserem Gespräch eigentlich schon fertig, als Sultan nochmals laut über seine Vergangenheit nachdenkt: «Hätte die Frau damals in Jordanien nicht mutig die Wahrheit gesagt, dann wäre ich heute vielleicht im Irak oder in Syrien. Vielleicht hätte ich viele Menschen umgebracht. Es ist unsere Chance, zu verhindern, dass Menschen einen falschen Weg gehen und andere mit sich ziehen.» Beeindruckt und dankbar verabschiede ich mich von Sultan. Noch nie war ich dem Weltgeschehen so nahe gewesen wie in diesem Gespräch. Nie zuvor spürte ich stärker, dass ich meinen ausländischen Mitmenschen hier in der Schweiz einen Dienst leisten kann: indem ich ihnen mutig von Jesus erzähle. Danke, Sultan!

FILMTIPP

CHINESE ZUM MITNEHMEN Andy Schindler

Roberto (Ricardo Darín) ist ein Einzelgänger in mittleren Jahren. Er ist mürrisch und unnahbar aufgrund von Erlebnissen in seiner Vergangenheit. Seit langer Zeit führt er einen Eisenwarenladen in Buenos Aires. Dabei kann er sich darüber ärgern, wenn die Anzahl Schrauben in einer Schachtel nicht mit dem übereinstimmt, wofür er den Lieferanten bezahlt hat. Neben der Arbeit pflegt Roberto ein spezielles Hobby. Er schneidet ungewöhnliche Meldungen aus den Zeitungen aus und sammelt sie. So liest er eines Tages auch von einer Kuh, die in China vom Himmel fiel und dabei unglücklicherweise einen Menschen in einem Boot tötete. Roberto ahnt noch nicht, dass er mit dieser Geschichte in Berührung kommen wird. Eines Tages macht Roberto ein Picknick beim Flughafen und beobachtet dabei, wie ein junger Chinese aus einem Taxi geworfen wird. Der Chinese Jun (Ignacio Huang) ist mit dem Flugzeug angereist und auf der Suche nach seinem Onkel. Doch diese Suche ist schwierig, da er kein Geld mehr hat und zudem nur Chinesisch spricht. Roberto weiss nicht recht, ob und wie er dem jungen Ausländer helfen kann. Widerwillig springt er schlussendlich über seinen eigenen Schatten und nimmt Jun zu sich nach Hause, um von dort aus weiter nach dessen Onkel zu suchen. Jun hat ein tragisches Erlebnis hinter sich, was Roberto zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht weiss. Der junge Mann hatte seiner Verlobten während einer Bootsfahrt in China gerade einen Heiratsantrag gemacht, als eine Kuh von Himmel fiel und die Frau beim Aufprall tötete. «Chinese zum Mitnehmen» ist ein bewegender Film über einen Mann, der eines Tages per Zufall einen jungen Ausländer trifft und ihm in der Not hilft. Dadurch verändert sich das Leben dieser beiden Menschen zum Positiven. Der tragikomische Film zeigt anschaulich auf, dass es sich lohnt, sich auf die Begegnung mit einem Menschen aus einer anderen Kultur einzulassen. «Chinese zum Mitnehmen» (ARG/ESP 2011, 90 Minuten) ist im Handel als DVD und Blu-Ray erhältlich.

Andy Schindler-Walch, Filmspezialist


ERLEBEN

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ALS GEMEINDE BARMHERZIGKEIT LEBEN von Brigitte Eggmann

M

it dem Verteilen von Lebensmitteln fing es 1996 ganz klein an. Heute vermitteln dreissig freiwillige Mitarbeitende des DaN (Dienst am Nächsten) der Vineyard Bern Lebenshilfe für Menschen in Not. Philemon Moser leitet seit fünf Jahren den DaN. Der 43-jährige ausgebildete Sozialversicherungsfachmann ist verheiratet und Vater von drei Kindern. «Soziale Gerechtigkeit und gelebter christlicher Glaube sind seit je Teil der DNA der Vineyard Bern. Doch erst 1996 nahm der DaN konkrete Formen an.» Drei Faktoren seien damals zusammengetroffen: das Umfeld, Gottes Zeitpunkt und die Bereitschaft eines Ehepaars.

DIE ANFÄNGE An einer Vineyard-Konferenz stellte die Referentin Anne Watson damals eindringlich eine einzige Frage: «Wie steht es um das praktische Engagement der Gemeinde?» Diese Frage schwirrte durch die Luft wie ein Keim, der sich – unterstützt durch ein prophetisches Reden und Träume von Gott – als Aufgabe mitten ins Herz von Lis und Juan Rohner pflanzte, die als Ehepaar missionarisch tätig werden wollten. «Daraus ist der DaN schrittweise gewachsen», erklärt Philemon Moser. Man begann, zu Beginn jedes Gottesdienstes Lebensmittel zu sammeln, und verteilte diese vorerst nur unter den Vineyard-Bedürftigen. Bereits im zweiten Jahr konnten auch Personen aus anderen Gemeinden oder Menschen, die

keine Berührungspunkte mit der Kirche hatten, unterstützt werden. Nachdem die Organisation Schweizer Tafel im Jahr 2002 die Vineyard Bern in ihr Pilotprojekt aufgenommen hatte, wurden neu auch jede Woche Frischwaren verteilt. Gleichzeitig entstanden verschiedene Beratungsteams, wie zum Beispiel ein Budgetteam, das unentgeltliche Beratungen anbot und erste Schuldensanierungen durchführte. Ein Gratiskleiderladen, der rege von Asylsuchenden besucht wird, sowie Deutschkurse für Asylsuchende und Flüchtlinge erweiterten das Angebot, das heute je nach Bedarf mit Tanz- oder Nähkursen ergänzt wird.

UNBÜROKRATISCH, PRAKTISCH, NÖTIG «Unbürokratisch, praktisch, nötig» – wie die DaN-Broschüre bereits vorausblicken lässt, erhalten Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und mit den verschiedensten Lebenshintergründen in den drei Sozialzentren der Vineyard Bern in Ostermundigen, in Liebefeld sowie im Kornhaus der Stadt Bern materielle Unterstützung, Lebenshilfe und, falls gewünscht, Anstösse zum christlichen Glauben. Es sind Ausländer und Schweizer, die DaN in Anspruch nehmen, Migranten und Asylsuchende,

Muslime, Christen, sozial schwächer gestellte Familien und Alleinerziehende, Rentner, Familien aus Sri Lanka, der Türkei, aus Somalia oder dem Kosovo, Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Iran, aus Eritrea, aus dem Kongo und aus Nordafrika. Die DaN-Mitarbeitenden müssen offen sein für Gespräche, sensibel auf Zwischentöne reagieren können, mit Überraschungen rechnen und mit Überforderung – auch der eigenen – klarkommen. «Denn manchmal lässt sich eine Not trotz aller Anstrengungen nicht aus der Welt schaffen», erklärt Philemon Moser. Seine Mitarbeitenden kommen aus acht verschiedenen Frei- und Landeskirchen, in denen es kein vergleichbares Angebot gibt. Im Zuge der Lebensmittelverteilungen kristallisierten sich vor allem unter Ausländern zwei Bedürfnisse heraus: Hilfe bei der Sprache und Unterstützung bei der Integration in den Arbeitsprozess.

DIE SPRACHE ALS GRUNDLAGE Im Jahr 2002 gaben Marius Bühlmann und Silvia Fels die ersten Deutschkurse, und seit bald sechs Jahren leitet Rösli Hirsbrunner diesen Bereich. Fünfzehn Lehrpersonen unterrichten ehrenamtlich


ERLEBEN

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«Falls jedoch ein Interesse an Glaubensfragen besteht, bieten wir neben dem offiziellen Unterricht eine freiwillige Infostunde an, in der es um den christlichen Glauben geht.» Während die Mütter in Ostermundigen die Schulbank drücken, werden ihre Kinder – vor allem Kleinkinder – in einem Nebenraum mit Spielsachen, Spielen, Liedern und biblischen Geschichten betreut.

VORBEREITUNG AUF DEN ARBEITSMARKT

«Teilen hilft heilen»: Jedes Jahr erfahren in Bern und Umgebung Tausende von Menschen durch den «Dienst am Nächsten» Unterstützung und Freundschaft.

in zehn bis zwölf Klassen von sechs bis acht Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern. Erwachsenenbildnerinnen – ausgebildete Lehrpersonen – unterrichten gemeinsam mit Müttern mit einer pädagogischen Begabung. Rösli Hirsbrunner rät allen Interessierten, einfach mal zu beginnen. «Am besten zu zweit, denn dann kann man sich gegenseitig unterstützen.» Einfach mal angefangen hat auch sie vor sieben Jahren, und sie hat sich dabei völlig überfordert gefühlt. «Unter meinen Schülerinnen und Schülern gab es im gleichen Kurs alles von Uniabgängern bis zu Analphabetinnen. Wie sollte ich sie unter einen Hut bringen?» Sie, die als ehemalige Kauffrau in ihrem Leben noch nie unterrichtet hatte. «Aber Gott hat mir immer wieder geholfen: beim Unterrichten, bei der

Frage, wie ich mit den Schülerinnen und Schülern umgehen kann, bis hin zur Wahl des geeigneten Unterrichtsmaterials.» Von den Lehrpersonen ist ein grosses Herz, immer wieder eine grosse Portion Flexibilität und Geduld gefordert. «Zu Beginn waren alle Deutschkurse gratis, aber mit dem Start in Liebefeld vor eineinhalb Jahren haben wir neu einen kleinen Unkostenbeitrag eingeführt: zwei Franken pro Stunde», ergänzt Rösli Hirsbrunner. Die Verbindlichkeit der Kursteilnehmenden habe sich daraufhin verbessert. Sie finden den Beitrag gerechtfertigt und bezahlen ihn in der Regel gerne. Die Deutschkurse sind «kein verkapptes Instrument für Gemeindewachstum», betont Philemon Moser ausdrücklich.

Die zweite zentrale Aufgabe, vor die sich der DaN gestellt sieht, ist die Integration Arbeitssuchender in den Arbeitsprozess. «Der Wunsch nach Arbeit stellt uns vor eine ganz andere Herausforderung, auf die wir nicht mehr einfach mit materieller Hilfe reagieren können», erläutert Moser. «Ein grosser Teil unserer Klientinnen und Klienten bringt nur geringe Schul- oder keine bis mangelhafte Ausbildung mit, und ihre Sprachkenntnisse sind gering.» In der Schweiz haben sie damit kaum Aussichten, eine Arbeit zu finden, und darum wenig Perspektiven für ihr Leben. «Oft haben sie nur wenig oder gar keinen Kontakt zu Schweizern, und viele kommen nicht aus ihrem eigenen Familienkreis und ihrem sozialen Umfeld heraus.» Unterstützung bei der Stellensuche oder längerfristige Hilfe bei Bewerbungen sowie ein Arbeitstraining könnten ihre Sozialberater auf den Ämtern nur beschränkt anbieten, da sie mit bis zu hundert Dossiers völlig ausgelastet seien. Vor diesem Hintergrund sind die Arbeitstrainings beim DaN eine wichtige Ergänzung zum staatlichen Angebot, welches entweder an ein Programm der Sozialversicherungen gekoppelt ist oder, falls Personen von ausserhalb aufgenommen werden, pro Tag mehr als hundert Franken kostet – ein Betrag, den keine Klientin oder kein Klient des DaN je aufbringen könnte. Beim DaN haben die an einem Arbeitstraining Teilnehmenden die Möglichkeit, während eines Semesters in einem


ERLEBEN

CHRISTLICHES ZEUGNIS | 04/14 | 26 stellt Philemon Moser gelassen fest. «Ein Ziel der Arbeitstrainings wird trotzdem erfüllt: Die Teilnehmenden erhalten eine Aufgabe und damit die Bestätigung, dass sie etwas Sinnvolles tun.» «Wir Schweizer dürfen nicht vergessen», fügt er hinzu, «dass viele Flüchtlinge und Asylsuchende hier bei uns ganz andere Prioritäten setzen als wir. Wir wollen, dass sie die Sprache lernen, sich integrieren und eine Arbeit finden. Sie jedoch suchen in erster Linie Schutz und Sicherheit für sich und ihre Familie.» Das beisse sich manchmal. Hier als Kulturvermittler und Brückenbauer zu dienen, dafür schlägt Philemon Mosers Herz.

Wo steht der DaN in zehn Jahren? Philemon Moser: «Vielleicht verteilen wir keine Kleider mehr, sondern sind vermehrt als interkulturelle Vermittler und Berater tätig.»

bestehenden DaN-Team mitzuarbeiten: im Bistro, bei der Kleiderannahmestelle, beim Verteilen der Kleider und Lebensmittel und beim anschliessenden Aufräumen. Bei Trainingsabschluss erhalten sie als Gegenleistung ein persönliches Empfehlungsschreiben mit Referenzen für künftige Arbeitgeber. Auffallend mehr Frauen als Männer interessieren sich für diese Arbeitstrainings. Da sie in der Regel mehr Zeit brauchen, bis sie sich ausserhalb der Familie eine Arbeit zutrauen, ist für sie ein DaN-Arbeitstraining eine gute Möglichkeit, wertvolle Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt zu erwerben. Abbas, ursprünglich aus dem Iran, hat es geschafft. Mittlerweile ist er längst in den Schweizer Arbeitsprozess integriert, und er hilft seit zwölf Jahren beim Verteilen der Kleider. Philemon Moser schätzt seine Unterstützung sehr. «Erstens kennt Abbas die Abläufe auswendig, und zweitens schlichtet er aufgrund seiner eigenen Erfahrung so manchen Streit um Kleidungsstücke.» Als nach der Eröffnung des ersten Kleiderladens ein Grossteil der Kleider innert Kürze auf dem Boden lag, musste ein neues Konzept her. Statt wie bisher zwischen den Kleiderständern und -tischen umherzuschlendern und auszuwählen, was sie anprobieren möchten, müssen die an den Kleidern

Interessierten nun in Gruppen eingeteilt und gestaffelt zügig an den gesondert mit Damen-, Herren- und Kinderkleidern bestückten Tischen vorbeigehen. Danach werden die Tische für die nächste Gruppe neu hergerichtet. Dieses System gewährleistet, dass auch für die Letzten noch schöne und gute Kleider vorhanden sind. Während der Wartezeit treffen sich die Besucherinnen und Besucher im Bistro nebenan zum Kaffee, die Kinder wuseln zwischen den Bistrotischchen umher, und ihre Mütter, Grossmütter, Tanten und Schwestern begutachten ihre Ware und tauschen untereinander um, was besser passt oder gefällt. Nach der letzten Gruppe gehören das Aufräumen und das Staubsaugen zu den Aufgaben des Teams, bei denen auch die Teilnehmenden der Arbeitstrainings mithelfen.

KULTURVERMITTLER SEIN Das angestrebte Ziel des DaN, pro Jahr zehn vermittlungsfähige Personen auszubilden, wurde noch nicht erreicht – einerseits da selbst nach einem besuchten Deutschkurs die Kenntnisse in der Landessprache noch zu dürftig sind und andererseits weil die angestrebte Vermittlung an Firmen durch Geschäftsleute der Vineyard Bern noch nicht richtig Fuss fassen konnte. «Da müssen wir noch etwas Öffentlichkeitsarbeit leisten»,

SELBST KLEIN ANGEFANGEN Seit fünf Jahren leitet Philemon Moser den DaN. Davor durchlebte er beim Versuch, in Biel eine Vineyard zu gründen, eine schwierige Zeit. Das Vorhaben gelang nicht. «Oft ist es doch so», fasst er für sich diese Erfahrung zusammen, «dass man von etwas Gutem gepackt wird und es dann kopieren will, aber irgendwie funktioniert es nicht.» Die gescheiterte Gemeindegründung trieb ihn ins Gebet, und er begann, intensiv nach Gottes Willen zu fragen. Gleichzeitig fing er an, sich um Menschen in seiner Nachbarschaft zu kümmern. Er übernahm eine Vormundschaft, half älteren Menschen beim Ausfüllen der Steuererklärung oder ging mit ausländischen Nachbarn aufs Amt, vermittelte und übersetzte. Die Begegnungen mit Menschen mit verschiedenen kulturellen und wirtschaftlichen Hintergründen motivierten ihn. Mittlerweile ist er zu fünfzig Prozent beim DaN angestellt. «Wir begegnen Ängsten und Nöten und leisten auf diese Weise einen aktiven Beitrag zu einer ganzheitlichen Integration von Menschen in unsere Gesellschaft.» Zu weiteren fünfzig Prozent leitet er die Kulturübergreifende Arbeit (KüA) der Vineyard Bern ausserhalb der Schweiz, unter anderem in Westund Zentralafrika. Ob in der Schweiz oder im Ausland: Für Philemon Moser ist der DaN Ausdruck eines gelebten christlichen Glaubens und damit mehr


27 | 04/14 | CHRISTLICHES ZEUGNIS als reine Wohltätigkeit. «Wir wollen als Gemeinde Gottes Liebe weitergeben und dabei einen ganzheitlichen Lebensstil pflegen, der für Aussenstehende und Nachbarn nachvollziehbar ist.» Moser macht keinen Unterschied zwischen Gemeinde- und Sozialarbeit. Sozialarbeit sei Gemeindearbeit und gehöre, wie der Gottesdienst, die Sonntagsschule oder die Hauskreise, zum Leben einer christlichen Gemeinde.

DER DAN IST KEINE EINBAHNSTRASSE Was würde er einer Gemeinde raten, die sich um bedürftige Menschen kümmern will? «Erstens mit kleinen, praktischen Schritten beginnen und zweitens mit einem Zitat von John Wimber ermutigen, das ermahnt, dass wir die Armen ebenso nötig haben wie sie uns.» Letzteres zeigte sich für Philemon Moser, als eine muslimische Immigrantin ihre Mithilfe beim Kochen anbot. Er merkte, dass der DaN keine Einbahnstrasse ist. «Menschen wollen nicht nur nehmen, sondern auch geben, etwas zurückgeben.» Obwohl die kulinarischen Vorstellungen und die Rezepte aus der ursprünglichen Heimat der Menschen das DaN-Budget meist sprengen würden und Wünsche in dieser Hinsicht somit nur selten erfüllt werden könnten, ist für Philemon Moser klar: «Sozialarbeit ist immer auch geprägt von Partizipation.» Das DaN-Budget wird gedeckt durch Naturalien- und Geldspenden, aber nicht durch staatliche Subventionen. «Wir wollen unabhängig bleiben und uns die Freiheit nicht nehmen lassen, bei Bedarf mit rat- und hilfesuchenden Menschen auch über Glaubens- und Lebensfragen sprechen zu können oder seelsorgerlich tätig zu sein.» Quellen: − Besuch der Kleidersammel- und -abgabestelle in Ostermundigen sowie Interview mit Philemon Moser − www.vineyard-bern.ch – Probst Adrian: Projektarbeit Arbeitstraining im DaN der Vineyard Bern, 2013

BEZIEHUNGSWEISE

GEDANKLICHE KNOTEN Sabine Fürbringer

Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als unsere Kinder im Primarschulalter Denksportaufgaben nach Hause brachten. Natürlich rätselte die ganze Familie an den Kopfnüssen. Nicht selten endete die Übung mit einem solchen Durcheinander in den Gedankengängen, dass ein wahrer gedanklicher Knoten im Hirn entstand. Die verschiedenen Denkansätze wollten einfach nicht mehr aus den Widersprüchen herausfinden. Ganz Ähnliches konnte ich letzten Sommer anlässlich eines Besuchs bei Freunden in den USA beobachten. Besagtes Ehepaar ist bereits in seinen Achtzigern, mental und auch sonst aber noch durchaus beweglich und an der Tagesaktualität interessiert. Wie andernorts auf dieser Welt erleben auch die USA eine grosse Welle illegaler Einwanderer, die den Staat vor Herausforderungen stellt. Politisch haben unsere Freunde eine dezidierte Meinung: Grenzen dichter machen, Menschen ausweisen und eine härtere Gangart gehören durchaus mit zum Repertoire. Doch nun ist ausgerechnet der Enkel eine Ehebeziehung mit einer illegal anwesenden Frau eingegangen. Damit nicht genug, sie wohnen in der Nachbarschaft und haben eine entzückende kleine Tochter. Das Herz unserer Freunde fliesst über vor Liebe für diese Menschen und kollidiert mit den damit nicht zu vereinbarenden Überzeugungen. Als sie erzählten, konnte ich auf den Gesichtern den unverwechselbaren Ausdruck erkennen, der sagt: gedanklicher Knoten im Hirn! Selber ist es mir schon mehrfach ähnlich ergangen. Im Austausch mit Menschen aus fremden Kulturen stossen meine Meinungen und Annahmen auf andere Realitäten und bringen mich zum Nachdenken. So hat mich der Austausch mit einer Frau aus einem arabischen Land, die mir von ihrer Schulzeit erzählte, zum Überdenken meiner Meinung inspiriert. Als Teenager hatte sie während eines jahrelangen Bürgerkriegs nur sporadisch Zugang zum Unterricht, monatelange Unterbrüche waren die Regel. Dennoch konnte sie ihre intellektuellen Fähigkeiten entwickeln und später in Europa ein Hochschulstudium absolvieren. Diese Realität konfrontierte mich mit meinem inneren Stress, der die kleinen und grösseren Schulkrisen der eigenen Kinder grad zur Staatsaffäre aufblasen wollte. Die Begegnung mit dieser ausländischen Frau hat mehr als einen gedanklichen Knoten im Hirn verursacht. Sie ist mir zum Segen geworden, weil sich mein Horizont erweiterte, festgefahrene Paradigmen sich aufweichten und ich zu einer grösseren Freiheit und Gelassenheit in Schulfragen gefunden habe. Gott hat eben noch ganz andere Wege und Möglichkeiten, als ich sie mir mit meinem engen eigenen Denken zurechtlege.

Sabine Fürbringer ist Psychologin und Familienfrau und arbeitet bei Campus für Christus als Referentin, Autorin und Beraterin.


ERSTAUNEN

CHRISTLICHES ZEUGNIS | 04/14 | 28

IM FREMDEN GOTT SEHEN M

von Peter Höhn

enschen aus fremden Ländern leben aus den unterschiedlichsten Gründen mitten unter uns. Mit welchen Gefühlen begegnen wir ihnen? Angst? Argwohn? Neugier? Sieben Anstösse, sich vom Neuen Testament den Blick weiten zu lassen.

Warum verlassen Menschen ihr Heimatland? Für die einen sind es persönliche, berufliche oder wirtschaftliche Motive, für andere geht es ums nackte Überleben: Sie sind auf der Flucht vor Krieg, vor Gewalt und vor politischer Unterdrückung von Andersdenkenden und Minderheiten.

1.

IM FREMDEN DEN GAST SEHEN

Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt. (Hebräer 13,2; siehe auch 1. Petrus 4,9 und Römer 12,13). In den biblischen Ursprachen ist das Wort für «Gast» und für «Fremder» ein und dasselbe. Gastfreundschaft könnte deshalb auch mit «Fremdenfreundlichkeit» übersetzt werden. Darin inbegriffen ist meistens die Tischgemeinschaft; und weil Liebe durch den Magen geht, ist das gemeinsame Essen seit je der Türöffner für alle tiefergehenden Begegnungen und Gespräche über Gott und die Welt.

2.

IM FREMDEN CHRISTUS SEHEN

Jesus liegen die Menschen am Rand der Gesellschaft besonders am Herzen. Dazu zählt er ausdrücklich auch die Fremden. Matthäus 25,35b … ich war fremd und ihr habt mich bei euch aufgenommen. Ein Ansporn, im fremden Menschen Christus selbst zu sehen und ihn willkommen zu heissen!

Die Bibel sagt nirgends, dass wir fremde Menschen zuerst auf ihre Motive prüfen und dann dementsprechend behandeln sollen. Die Betonung liegt vielmehr darauf, dass unser Gegenüber, egal welcher Herkunft und «Couleur», etwas von der Liebe Gottes wahrnimmt und erfährt. Dabei sind unsere Herzenshaltung und unser Blickwinkel entscheidend.

3.

IM FREMDEN DEN NÄCHSTEN SEHEN

Wer ist denn mein Nächster? Im Zusammenhang mit dieser Frage erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,25 ff.). Jesus macht dabei klar, dass der Nächste durchaus ein uns fremder, andersglaubender Mensch sein kann, ja, dass der Fremde sogar plötzlich unvermutet zum Helfer werden kann, wenn ich selbst der Bedürftige bin. Nächstenliebe umfasst deshalb auch die Liebe zum ausländischen Nachbarn, Reisebegleiter oder «Retter in der Not».

4.

IM FREMDEN NEUE HORIZONTE ERFAHREN

Du bist ein Jude und ich bin eine Samariterin. Wie kannst du mich da um etwas zu trinken bitten? Die Juden vermeiden nämlich jeden Umgang mit Samaritern (Johannes 4,9). In der Begegnung mit der samaritanischen Frau fordert Jesus seine Jünger damals (Sie wunderten sich, ihn im Gespräch mit einer Frau anzutreffen.) und uns heute heraus, Berührungsängste zu überwinden und uns auf Begegnungen einzulassen, vor denen wir uns bisher gescheut haben. Vielleicht wird Gottes Geist ge-


29 | 04/14 | CHRISTLICHES ZEUGNIS rade dadurch eine ungeahnte Tür öffnen. Eine Parallele findet sich in Apostelgeschichte 10, als Gott Petrus auf die Begegnung mit dem heidnischen Hauptmann Cornelius vorbereitet: Was Gott für rein erklärt hat, das erkläre du nicht für unrein! Daraus erwächst eine gewaltige geistliche Horizonterweiterung für alle Beteiligten.

5.

IM FREMDEN GOTTES HANDELN ERKENNEN

In der Begegnung zwischen Philippus und dem Finanzverwalter der äthiopischen Königin Kandake (Apostelgeschichte 8,26–40) oder auch zwischen Paulus und der aus Kleinasien stammenden Handelsfrau Lydia (Apostelgeschichte 16,14) erkennen wir, dass Gott gerade mit Migrantinnen und Migranten strategische Begegnungen bereithält, die der Verbreitung des Evangeliums Flügel verleihen. Sie sollen uns Mut machen, selbst um offene Türen in Form von empfänglichen Menschen zu beten, denen wir vielleicht den entscheidenden Glaubensanstoss geben können.

6.

IM FREMDEN DAS, WAS BLEIBT, ERKENNEN

Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir (Hebräer 13,14). Die weltweit riesige Migrationsbewegung wie auch die zunehmende Zahl von ausländischen Menschen in unserem Land können Gefühle der Verunsicherung und Bedrohung auslösen. Andererseits fordern sie uns heraus, nicht in irdischen und diesseitigen Sicherheiten Zuflucht zu suchen, sondern uns auf die künftigen und bleibenden Werte auszurichten. Damit hängt auch der nächste Aspekt zusammen.

7.

IM FREMDEN ZUM ENDGÜLTIGEN ZIEL DURCHBLICKEN Es wird sich Nation gegen Nation erheben und Königreich gegen Königreich … Wenn aber diese Dinge anfangen zu geschehen, so blickt auf und hebt eure Häupter empor, weil eure Erlösung naht (Lukas 21,9.28). Die grossen Auseinandersetzungen zwischen Völkern und die daraus folgenden Migrationsbewegungen sind nicht zuletzt Teil und Vorboten der von Jesus angekündigten endzeitlichen Wirren. Wir können sie weder verhindern noch aufhalten. Aber es ist trostvoll zu wissen, dass sie auch Vorboten sind, dass Gott seinen grossen Plan vollenden wird, alles im Himmel und auf der Erde unter der Herrschaft Christi zusammenzufassen (Epheser 1,10). Alles – das heisst Vertrautes und Fremdes – wird in Christus seinen versöhnten Platz finden.

ANGEBOTE DER SCHWEIZERISCHEN BIBELGESELLSCHAFT ZUM THEMA MIGRATION Kirchgemeinden, Pfarreien, kirchliche Werke, Schulen und anderen Institutionen, die sich mit dem Thema Migration befassen, stellt die Schweizerische Bibelgesellschaft eine Wanderausstellung, Bibeln und Broschüren zur Verfügung.

WANDERAUSSTELLUNG «GOTT HAT DEN FREMDLING LIEB» Zwölf farbige Ausstellungswände (Roll-ups, 80 × 200 cm, einzeln in Transporttaschen verpackt, einfacher Selbstaufbau) können wochen- oder wochenendweise ausgeliehen werden. In einem ersten Teil zeichnet die Ausstellung die Schicksale «prominenter» Fremder und Migranten in der Bibel nach, Von bleibender Aktualität sind die biblischen Gebote zum Schutz des Fremden. Diesen geht ein zweiter Teil der Ausstellung nach. In einem abschliessenden Teil wird das biblische Konzept der Gastfreundschaft dargelegt, ergänzt mit Bibelworten, die zur Fremdenfreundlichkeit einladen.

BEGLEITMATERIALIEN: «On the Road»: Die 94-seitige Broschüre, entwickelt in Zusammenarbeit mit Migrantinnen und Migranten, nimmt in sieben Kapiteln die verschiedenen Stationen im Leben eines Migranten oder Flüchtlings auf. Die Broschüre eignet sich für Einzelpersonen, für kirchliche Gruppen, sowie natürlich für die Betroffenen selber. Erhältlich in Französisch, Englisch, Spanisch, Chinesisch in Arabisch, Farsi und Türkisch. Preis: CHF 6.–/Exemplar. «Ich bin wie sie»: Die biblischen Texte in dieser 60-seitigen Broschüre thematisieren unterschiedliche Aspekte des Frauseins. Sie gehen Lebenssituationen von Frauen in der Bibel nach – und laden so dazu ein, sich selbst in der Bibel zu entdecken. Erhältlich in Deutsch, Französisch, Englisch, Arabisch, Russisch und Farsi. Preis: CHF 3.50/Exemplar. «Gott hat den Fremdling lieb»: Die Broschüre beinhaltet sämtliche Texte und Bilder der erwähnten Wanderausstellung, in Deutsch und Französisch erhältlich. Preis: CHF 5.50/ Exemplar.

Bestellung unter: Telefon 032 322 38 58 oder www.die-bibel.ch


ERLEBEN

CHRISTLICHES ZEUGNIS | 04/14 | 36

DIE WELT VOR MEINER HAUSTÜR von Andreas «Boppi» Boppart, Missionsleiter Campus für Christus Schweiz

D

ie Globalisierung hat ein neues Fenster geöffnet: Menschen aus aller Welt reisen direkt vor meine Haustür. Fragen wir uns noch: Was ist schweizerisch und einheimisch? Oder bereits: Wie offen sind mein Herz und meine Augen? Die Welt vor meiner Haustür ist relativ beschaulich. Gut möglich, dass in meiner ganzen Ortschaft weniger Menschen leben als in deinem Wohnblock oder deiner Überbauung. Jenins schafft es mit viel gutem Willen auf rund 850 Seelen, die Hobbits einmal nicht mitgezählt. Schliesslich befindet sich die weltweit umfassendste Hobbit-Sammlung nur ein paar Meter von meinem Zuhause entfernt – wie es sich gehört unter dem Boden1. Da der Ausländeranteil in unserer Gemeinde in einem tiefen einstelligen Prozentbereich liegt, missbrauchen wir diese «Mittelerde», damit es nach aussen doch noch ein wenig den Anschein macht, als wären wir weltoffen und multikulturell. Auch die Begrüssungsworte des Gemeindepräsidenten an Neuzugezogene, dass wir «verkehrstechnisch optimal liegen und sehr nahe am Zürcher Flughafen», täuschen nicht über unsere schweizerisch-abgeschiedene Idylle hinweg. Wenn man denn die kurzzeitig durchreisenden Japaner wegzählt, die in Maienfeld und Region verzweifelt nach Heidi und Peter suchen – und


37 | 04/14 | CHRISTLICHES ZEUGNIS stattdessen leicht überrascht auf Heidi und Frodo2 stossen.

WAS MEINE ICH, WENN ICH «SCHWEIZ» SAGE? Ich bin jedoch nicht Bürger von Mittelerde, sondern Schweizer; so steht es jedenfalls in meinem Pass. Wie sehr ich Schweizer bin, weiss ich allerdings nicht, denn in meiner Ahnengalerie findet sich jüdisches Blut, und Boppart ist in Deutschland als Städtename zu entdecken. Gerade kürzlich habe ich mich gefragt, was eigentlich «wirklich schweizerisch» ist. Die Antwort variiert je nach Fragestellung. Schon dann, wenn ich mit unseren Mitarbeitern in der Westschweiz kommuniziere, wird mir jedes Mal bewusst, dass ich zwar von der Schweiz rede, aber dabei oft nur meine kleine Welt im deutschsprachigen Raum sehe. Den typischen Schweizer und die typische Schweizerin gibt es nicht. Wir sind einfach ein wild zusammengewürfelter Haufen von Menschen, die das Vorrecht haben, auf diesem wunderschönen Flecken Erde innerhalb der von Menschen gesetzten Ländergrenzen leben zu dürfen.

DAS GLOBALE DORF Doch gerade die Tätigkeit bei Campus hat mir für andere Nationen und Kulturen die Augen geöffnet, und weltweit gesehen bin plötzlich ICH der Exot. Würde man die Welt nämlich auf ein 800-Seelen-Dorf – die Grösse von Jenins – schrumpfen, dann würde ich ab sofort mit 488 Asiaten, 104 Afrikanern, 104 Menschen aus Nord- und Südamerika, 8 aus Ozeanien und gerade einmal 96 aus Europa zusammenleben und in unseren Strassen den Alpabzug der Kühe bestaunen. Dabei wäre ich im gesamten Dorf der einzige Schweizer und genau genommen noch nicht einmal ein Ganzer. 560 der Personen in meinem Dorf hätten keine weisse Haut und nur 8 einen Hochschulabschluss. Mit meinem Schweizerdeutsch verkäme das Einkaufen im Volg zum Ratespiel, denn die 136 Chinesen bildeten die grösste Sprachgruppierung, und so wären

ERSTAUNEN natürlich auch die Waren auf Chinesisch angeschrieben, was mir wiederum Spanisch vorkäme. Wenigstens wäre die Kirche entsprechend einem Drittel der Dorfbevölkerung noch das grösste religiöse Gebäude im Dorf – da kommt ein Hauch von Vertrautheit auf. Falls wir Christen es denn schaffen würden, tatsächlich alle in dieselbe Kirche zu gehen.

DAS HIMMLISCHE BÜRGERRECHT Mir wird bewusst: In meiner kleinen Welt vor meiner Haustür suggeriert mir die Bezeichnung «schweizerisch» zwar ein Gefühl von Heimat und Verstandenwerden, global gesehen ist da jedoch nicht mehr viel Identität vorhanden, hinter der ich mich verstecken kann. Kommt noch die himmlische Perspektive dazu: Jesus sagt in Johannes 17,14–16, dass seine Nachfolger in aber nicht von dieser Welt sind. So bin ich nicht mehr primär Schweizer, sondern Himmelsbürger. Mir hilft diese Perspektive vom Himmel her, sehr viel offener auf Menschen anderer Nationalitäten zuzugehen, weil wir einfach alle gemeinsam für eine gewisse Zeit dieses globale Dorf bewohnen, das sich Erde nennt. Wir sitzen im selben Boot. Die Frage ist: Haben wir ein offenes Herz und offene Augen für Menschen aus anderen Ländern, die heute sogar bis nach Jenins kommen?

oder wir können diese Menschen und die damit verbundenen Möglichkeiten ignorieren. Jesus würde Letzteres nicht tun. Kurz nach seiner Geburt wurde er selber zum Fremden und Flüchtling – er weiss, wie es sich anfühlt, fernab einer gefühlten Heimat eine neue Existenz aufzubauen. Und ganz bestimmt sähe er nicht primär die Probleme, sondern Chancen wie diese: Ein muslimisches Paar aus einem Land, in dem christliche Aktivitäten strikt verboten sind, war in der Schweiz in den Flitterwochen und hat sich nach einer Begegnung mit Leuten von uns direkt auf der Strasse für Jesus entschieden. Dann verschwanden sie und erschienen auch nicht mehr zu Folgegesprächen. Eine Woche später tauchten sie plötzlich wieder auf. Auf die Frage, warum sie nicht an Gesprächen interessiert gewesen seien, in denen sie mehr über den Glauben gehört hätten, antworteten sie: «Wir haben uns den Rest der Woche in unserem Hotelzimmer eingeschlossen und das ganze Neue Testament gemeinsam gelesen – aus Angst, dass man es uns bei der Rückreise wegnehmen würde.»

DER NEUE MISSIONSAUFTRAG

Wenn sich ein Paar in den Flitterwochen im Hotelzimmer einschliesst, ist das nicht weiter speziell. Wenn es sich jedoch einschliesst, um die Bibel zu lesen, dann muss wirklich Gottes Geist dahinterstecken. So haben sie in unserem Land Jesus kennengelernt und sind mit dem neu gesäten Glaubenspflänzlein in ihren Herzen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt, wo diese angstfreie Begegnung so nicht möglich gewesen wäre. Was daraus noch werden wird? Und: Wer lebt vor deiner Haustür? Wäre es nicht einmal Zeit, für ein nettes Hallo, eine Einladung, um sich im globalen Dorf gegenseitig besser kennenzulernen? Vielleicht entstehen daraus sogar Gespräche darüber, wie man das himmlische Bürgerrecht erhält.

Die Welt vor der Haustür zu haben, verändert den Missionsauftrag ganz stark. Wir können entweder mit dem liebenden Herzen von Jesus persönlich und als Kirche diese Chancen nutzen,

1 Gemeint ist die Greisinger Collection (GC) in Jenins zum Thema von Tolkiens «Mittelerde» (www.greisinger.museum). 2 Frodo ist ein Hobbit und der Held von Mittelerde in Tolkiens Trilogie «Der Herr der Ringe».

Meine Frau Tamara hat zum Beispiel regelmässig Kontakt mit einer Frau aus Eritrea. Ein Kollege hat eine tiefe Freundschaft zu einer Gemeinschaft von Menschen aus den Philippinen aufgebaut. Etliche sind zum Glauben gekommen und tragen das Evangelium in ihrem «Milieu» weiter, innerhalb der Schweiz, aber auch weit über die Landesgrenzen hinaus.


ERFAHREN macht eine deutsche Mitarbeiterin von uns, die Ärztin ist, regelmässig Hausbesuche. Aufgrund der gegenwärtigen Umstände und der Warnungen der westlichen Botschaften haben wir für unser Team eine erhöhte Alarmstufe festgelegt. Den Ausländern legen wir nahe, nicht mehr durch muslimische Gebiete zu fahren. Das alles bringt zusätzliche Anspannung und mehr Stress in unsere Arbeit. Es fällt uns nicht immer leicht, über dem Drang, die sichtbare Not zu lindern, nicht zu vergessen, die gute Botschaft zu verkündigen. So verteilten wir im Oktober zum Adha-Fest nicht nur Lebensmittel an 150 syrische und libanesische Familien, sondern auch eine evangelistische Schrift, die ihnen die Bedeutung dieses Festes aus biblischer Sicht erklärt. Eine andere Herausforderung ist das Wissen, dass unter den Flüchtlingen auch Leute des IS sind, wir aber nicht wissen, wer sie sind. Doch wir wollen Jesus gehorchen und allen helfen. IS-Leute hören darum von Jesus und erfahren seine Liebe. Das ist eine grossartige Gelegenheit. Neben alldem geht unser «normaler» libanesischer Alltag weiter: Dann und wann gibt es Stromausfälle, oder Beamte und Lehrer streiken für einen höheren Lohn und legen damit Teile des Erziehungssystems, des Gesundheitswesens, das Arbeitsministerium und Bereiche der Telekommunikation lahm. Bitte betet für uns, dass wir bei all diesen Herausforderungen die Gelassenheit und die Einheit im Geist bewahren können.

AGAPE INTERNATIONAL LIBANON Thomas und Lydia Liechti leben als Mitarbeitende von Agape international in Aaley, dem wirtschaftlichen Zentrum der Drusen. Aaley liegt etwa zwanzig Kilometer östlich von Beirut an der Strasse nach Damaskus. Sie arbeiten für ACCESS, ein christliches Zentrum für Erwachsenenbildung, das als Begegnungs- und Kulturzentrum dient und die ACCESS International School (AIS) sowie eine christliche Gemeinde beherbergt.

BLICKPUNKT WELT

WENN DER GLAUBE ETWAS KOSTET Kurt Burgherr

Unsere Welt hat sich in den vergangenen dreissig Jahren stark verändert. Politische Grenzen sind gefallen. Neue Kommunikationstechnologien haben die Welt erobert und auch unser Verständnis von «Mission» beeinflusst. Früher bedeutete Mission, in ein fernes Land auf einem anderen Kontinent zu reisen. Meistens mit einem Einwegticket, da es nicht sicher war, ob man wieder zurück nach Hause kommt. Die gegenwärtige Mobilität eröffnet uns da ganz neue Möglichkeiten. Jedes Jahr besuchen unzählige Touristen die Schweiz. Vor allem die Zahl der Besucher aus den arabischen Ländern, aus China und aus Indien hat stark zugenommen. Vor Kurzem war ich in Interlaken und staunte über all die Gäste aus Asien. In einem Shop musste ich mein Anliegen auf Englisch vorbringen, weil die chinesischen Mitarbeiter kein Deutsch sprachen. Ist dies alles nun eine Bedrohung oder eine Chance? Viele Schweizer Christen nutzen die Gelegenheit, um den Touristen, die wieder zurück in ihre Länder gehen, etwas vom christlichen Glauben mit nach Hause zu geben. Daneben sind es jedes Jahr auch Christen aus den Golfstaaten, die in der Schweiz ihren touristischen Landsleuten von Gottes Liebe erzählen – etwas, das in ihren Herkunftsländern streng verboten ist. Als Arabisch sprechende Christen kommen sie leicht mit den arabischen Touristen in Kontakt und kennen deren Kultur. Die arabischen Touristen sind überrascht, Christen aus ihren Ländern kennenzulernen. Sie wissen nicht, dass es sie gibt. Auf der ganzen Welt gibt es Länder, in denen die einheimischen Christen durch die Flüchtlingsströme «vor ihrer Haustür» vor neue missionarische Aufgaben gestellt werden. So ist zum Beispiel der Libanon mit über einer Million syrischer Flüchtlinge konfrontiert, eine riesige Herausforderung für ein Land, das selber mit innenpolitischen Spannungen zu kämpfen hat. Doch Christen im Libanon haben es sich zur Aufgabe gemacht, syrische Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen Gottes Liebe zu zeigen. Sie versorgen sie mit Nahrungsmitteln, warmen Kleidern und Öfen für den Winter. Sie laden sie zu christlichen Veranstaltungen und Gottesdiensten ein. Im Libanon ist das möglich, da Christen offiziell als anerkannte Religionsgemeinschaft gelten. Die Christen des Libanon nutzen damit die Chancen vor ihrer Haustür. Und wir?

Kurt Burgherr ist Leiter von Agape international, der Auslandstätigkeit von Campus für Christus Schweiz, mit Schwerpunkt auf Entwicklungszusammenarbeit sowie Gemeinde- und Leiterentwicklung.


AUTOREN

PETER HÖHN

verantwortlicher Redaktor, leitet bei Campus für Christus den Bereich Spiritualität und Gebet. phoehn@cfc.ch

BRIGITTE EGGMANN

Redaktionsassistentin, zudem arbeitet sie bei Agape international, dem Auslandsbereich von Campus für Christus. beggmann@cfc.ch

IMPRESSUM

HERAUSGEBER

Campus für Christus, Josefstrasse 206, 8005 Zürich Telefon +41 (0)44 274 84 84, www.cfc.ch Campus für Christus ist eine überkonfessionell unabhängige Missions- und Schulungsbewegung mit rund zwanzig in der Evangelisation, Erwachsenenbildung, Diakonie und Mission tätigen Dienstzweigen. Darunter fallen Studentenarbeit/Dozentenforum, Campus Generation – Schülertreff und Jugendarbeit, Alphalive-Glaubenskurse, Agape international – Mission/Entwicklungshilfe, Athletes in Action, Crescendo – Berufsmusiker und -künstler, Christen im Dienst an Kranken, Schulungen in christlich-ganzheitlicher Heilkunde, FamilyLife, Frauen-Frühstückstreffen, CROWN-Finanzkurse, Gottkennen.ch – Internet-Ministry, Dienste an Verantwortungsträgern, Beratung und Schulung in Landes- und Freikirchen, sowie Explo-Schulungskonferenzen.

VERLAG SABINE FÜRBRINGER

ist bei Campus für Christus tätig als Referentin und Beraterin. sfuerbringer@cfc.ch

Christliches Zeugnis, Josefstrasse 206, 8005 Zürich Telefon +41 (0)44 274 84 34, Telefax +41 (0)44 274 84 83, christlicheszeugnis@cfc.ch, www.christlicheszeugnis.ch

ISBN 978-3-905789-50-8 ISSN 1662-243X AUFLAGE

LUKAS HERZOG

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INSERAT JONATHAN SCHMIDT

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Das Christliche Zeugnis publiziert grundsätzlich nur Inserate von Campus für Christus bzw. von CfC-Partnerschaftsprojekten sowie von Veranstaltungen, die das landesweite Miteinander des Leibes Christi im Fokus haben.

KÜNDIGUNGSBEDINGUNGEN Auf Ende Jahr telefonisch/schriftlich

BILDNACHWEIS SAMUEL MÜLLER

ist bei Campus für Christus tätig in der Jugendarbeit Campus Generation. smueller@cfc.ch

Titelseite: Deborah Carrillo S. 3, 8 unten Deborah Carrillo; S. 4, 5, 6, 8 oben MEOS; S. 7 Sabine Fürbringer; S. 11, 12 rechts, 13 oben EMK Aarau; S. 12 links Peter Höhn; S. 13 unten, 27, 30, 49 Campus für Christus; S. 15 Jonathan Schmidt; S. 17, 19, 31, 35 privat; S. 20, 23 zvg EDU-Standpunkt/Sabatina James; S. 25, 26 DaN Vineyard Bern; S. 28 oben, 43 Mitte thenounproject. com; S. 2, 32, 34 Archiv für Zeitgeschichte Zürich; S. 38 Viviane Herzog; S. 40, 41, 42, 44 Agape international; S. 45, 46 Marion Leidig; S. 47 Campus pour Christ; S. 48 Armin Unger; Rückseite Joel Waldvogel


DIE CAMPUS-CREW WÜNSCHT allen Leserinnen und Lesern ein gutes Jahresende, ein frohes Feiern der Geburt Christi und ein gesegnetes und erfülltes 2015. Wir danken Ihnen und freuen uns, dass Sie als Freunde, Missionspartner und Unterstützer auch im neuen Jahr mit uns an Bord sind. Nehmen wir gemeinsam die guten von Gott vorbereiteten Werke in Angriff!


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